Kleiner Führer durch die Altstadt von Stettin - BookRix
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<strong>Kleiner</strong> <strong>Führer</strong> <strong>durch</strong> <strong>die</strong> <strong>Altstadt</strong> <strong>von</strong> <strong>Stettin</strong><br />
<strong>von</strong><br />
Edwin Kuna<br />
Haff Verlag 2011<br />
ISBN: 978-3-942916-22-6
Einleitung<br />
Szczecin ist heute eine moderne Großstadt im Nordwesten Polens<br />
mit 414000 Einwohnern und zugleich auch <strong>die</strong> Hauptstadt der neuen<br />
Wojewodschaft Westpommern, <strong>die</strong> im Ergebnis der jüngsten<br />
Verwaltungsreform gebildet wurde. Die Stadt erstreckt sich<br />
beiderseits der Odermündung und ist <strong>von</strong> der Ostsee 55 km entfernt.<br />
Die Entfernung zur deutsch-polnischen Grenze beträgt nur rund ein<br />
Dutzend Kilometer. Der Hafen <strong>von</strong> Szczecin bildet samt<br />
Świnoujście einen leistungsfähigen, starken Hafenverbund. Hier<br />
kreuzen sich Transitwege, <strong>die</strong> Westeuropa mit den<br />
Ostseeanrainerstaaten sowie Skandinavien mit Südeuropa<br />
verbinden. Im Jahre 2001 besuchten über 400.000 Touristen<br />
Szczecin. Etwa <strong>die</strong> Hälfte der Gäste kam aus dem Ausland.<br />
Besonders kennzeichnend für den Tourismus in Szczecin und der<br />
Wojewodschaft sind ein- oder mehrtägige Besuche <strong>von</strong> Gästen aus<br />
Deutschland, Schweden und Dänemark.<br />
Für <strong>die</strong> Besucher stehen 49 Übernachtungsobjekte (Hotels,<br />
Pensionen, Jugendherbergen) mit ca. 5.000 Betten im Angebot, <strong>von</strong><br />
denen sich über 50 Prozent in Hotels befinden. Szczecin bietet 14<br />
Hotels verschiedenen Standards wie das Vier-Sterne-Hotel Radisson<br />
SAS sowie <strong>die</strong> Drei-Sterne-Hotels Neptun, Panorama, Reda,<br />
Arkona, Victoria, Park, Campanile, Ibis und Novotel.<br />
Szczecin ist eine Stadt mit über tausendjähriger Tradition und<br />
wechselvoller Geschichte. Sie zu erkunden lohnt sich. Auch <strong>die</strong><br />
Stadtverwaltung <strong>von</strong> Szczecin ist uns dabei behilflich. Wir werden<br />
zum Teil <strong>die</strong> angelegte städtische Wanderroute benutzen,<br />
andererseits eine eigene mit Reisegruppen erprobte Linie nehmen.<br />
Die <strong>Stettin</strong>er Wanderroute wurde vom polnischen Verband für<br />
Touristik und Landeskunde (PTTK) erarbeitet; der Besucher folgt<br />
beginnend vom Hauptbahnhof einer 7 km langen Schlaufe, welche<br />
<strong>von</strong> einer roten Linie auf dem Bürgersteig gekennzeichnet ist. Wenn<br />
<strong>die</strong> Linie <strong>durch</strong> einen Kreis mit einer Nummer unterbrochen wird,<br />
sind Sie an einer Sehenswürdigkeit angekommen und können sich<br />
<strong>durch</strong> <strong>die</strong> am Gebäude angebrachten Tafeln informieren.<br />
2
Nehmen Sie sich etwas Zeit und lernen sie <strong>Stettin</strong> zu Fuß näher<br />
kennen. Unser hier vorgestellter, kürzerer Stadtrundgang dauert<br />
etwa 2 Stunden, für den Besuch musealer Einrichtungen ist<br />
natürlich mehr Zeit einzuplanen.<br />
Am Schluss des Buches, nach dem Rundgang oder auch vorher<br />
zum Lesen, haben wir einen Beitrag zur Geschichte <strong>Stettin</strong>s aus<br />
städtebaulicher Sicht angefügt.<br />
3
Stadtrundgang<br />
Unser Stadtrundgang beginnt nicht zufällig am Berliner Tor und<br />
wird zwischen 2 und 3 Stunden dauern. Als Wanderer treten wir<br />
am Tor in eine fremde Stadt ein, <strong>die</strong> uns neugierig macht. An der<br />
Ostseite des Berliner Tores befinden wir uns direkt vor dem<br />
historischen <strong>Altstadt</strong>kern, der <strong>von</strong> hier bis zum Oder-Fluss reicht.<br />
Vor dem Berliner Tor liegt eine stark frequentierte Kreuzung,<br />
nach Norden zu geht eine breite Prachtallee mit zwei <strong>durch</strong> einen<br />
Mittelstreifen getrennte Fahrbahnen ab, an deren Stelle früher <strong>die</strong><br />
Stadtmauer, Wall und Graben das alte <strong>Stettin</strong> <strong>von</strong> der Westseite<br />
her umschlossen.<br />
Berliner Tor<br />
(Am Pl. Brama Portawa)<br />
Preußens König Friedrich Wilhelm I. ließ hier anstelle des alten<br />
mittelalterlichen Stadttores (dem Neuen Tor) im Jahr 1720 ein<br />
prächtiges Stadttor im barocken Stil erbauen, das zunächst als<br />
Brandenburger und dann als Berliner Tor seinen Namen fand. Es ist<br />
neben dem Königstor in <strong>Stettin</strong> das einzige erhaltene barocke<br />
Stadttor an der südlichen Ostseeküste. Der Entwurf für den<br />
beeindruckenden Sandsteinbau stammt vom besten preußischen<br />
Festungsbauingenieur Gerhard Cornelius v. Wallrawe (1692-1773),<br />
<strong>die</strong> Ausschmückung an der äußeren Front vom Bildhauer Damart.<br />
Die künstlerische Gestaltung der Innenfront zur Stadtseite hin<br />
erfolgte erst 1740. Die Gesimse an der Westseite tragen mächtige<br />
Trophäen, mythologische Gestalten (Mars, Herkules) und<br />
allegorische Figuren sowie das preußisch königliche Wappen und<br />
<strong>die</strong> vergoldete Königskrone.<br />
Eine Inschrift in lateinischer Sprache an der Torseite zur <strong>Altstadt</strong><br />
hin erinnert an ein bedeutendes Ereignis der pommerschen und<br />
brandenburgischen Landesgeschichte. In deutschen Worten<br />
übersetzt, steht geschrieben: „Friedrich Wilhelm, König <strong>von</strong><br />
4
Preußen, kaufte das Herzogtum <strong>Stettin</strong>, das den brandenburgischen<br />
Kurfürsten übertragen und den Herzögen <strong>von</strong> Pommern unter<br />
Lehnshoheit zurückgegeben und später <strong>durch</strong> das Schicksal an<br />
Schweden gekommen war, in einem gerechten Vertrage und für<br />
einen gerechten Preis bis zur Peene, ordnete es und verleibte es<br />
seinem Staate ein im Jahre 1719 und ließ das Brandenburger Tor<br />
erbauen.“<br />
Ende 19. Jahrhundert wurden rechts und links am Tor Anbauten für<br />
<strong>die</strong> 1862 erbaute Hauptwache (1928 wieder abgebrochen) erstellt.<br />
Vor dem Tor wurde noch ein Brunnen angelegt. Dieser Brunnen,<br />
<strong>von</strong> Richard Felderhof entworfen, darum auch Felderhofbrunnen<br />
genannt, wurde aber 1932 aus verkehrstechnischen Gründen wieder<br />
entfernt.<br />
Im Jahre 1993 erfuhr das Berliner Tor, heute <strong>von</strong> den <strong>Stettin</strong>ern das<br />
Hafentor (Brama Portawa) genannt, eine gründliche Sanierung.<br />
5
Schauen wir vom Berliner Tor bzw. gehen wie einige Schritte zur<br />
großen Ampelkreuzung in nördlicher Richtung, so sehen wir links<br />
den Paradeplatz.<br />
Paradeplatz<br />
(heute Al. Niedpodleglosci):<br />
Der Paradeplatz, eine breite Allee, führt <strong>von</strong> der Kreuzung am<br />
Berliner Tor linkerhand bis zur sternenförmigen Kreuzung am<br />
Königsplatz und bietet auf beiden Seiten interessante historische<br />
Gebäude und heutige gute Einkaufsmöglichkeiten. Nach der<br />
Gründerzeit (nach 1871) wurden auf der linken Straßenseite einige<br />
repräsentative öffentliche Bauten errichtet: Am Anfang der Allee<br />
<strong>die</strong> Oberpostdirektion (Nr. 41/42) <strong>von</strong> 1905 im neogotischen Stil<br />
und daneben das Generallandschaftsgebäude (heute PKO Bank<br />
Polski), 1891/92 im Stil der italienischen Renaissance erbaut. Auf<br />
der rechten Straßenseite bauten reiche <strong>Stettin</strong>er Kaufleute,<br />
insbesondere jüdische Unternehmer, größere Geschäfts- und<br />
Kaufhäuser. Unter anderem entstanden hier 1915 ein großes<br />
Wertheim Kaufhaus und 1929 an der Ecke<br />
Paradeplatz/Bismarckstraße das Kaufhaus Ponath.<br />
Dieser Paradeplatz war schon Anfang des 18. Jahrhunderts nach<br />
Entfernung der mittelalterlichen Wehranlage entstanden. Nach 1720<br />
wurde <strong>die</strong> alte Stadtmauer abgebrochen und der Wall eingeebnet,<br />
um Militärgebäude für <strong>die</strong> Festung „Fort Preußen“ zu errichten. Die<br />
eingeebnete Wallfläche plante man für das militärische Zeremoniell<br />
und für <strong>die</strong> Öffentlichkeit zu verwenden und legte eine lange und<br />
dabei außergewöhnlich breite, in der Mitte mit Blumen und Bäumen<br />
bepflanzte Prachtstraße an. Auf dem Platz exerzierte über<br />
Jahrzehnte das preußische Militär, hielt seine Paraden ab und<br />
Militär- und Zivilbevölkerung trafen sich zum Promenieren.<br />
Mit Blick nach rechts vom Berliner Tor bzw. ab der Kreuzung führt<br />
<strong>die</strong> Allee des 3. Mai (Al. 3. Maja) in ein Stadtgebiet, welches nach<br />
6
der Entfestigung <strong>Stettin</strong>s als erste Stadterweiterung entstand und<br />
demzufolge <strong>die</strong> Neustadt genannt wurde.<br />
Am Anfang der Straße ist ein großes Gebäude zu sehen, es ist das<br />
heutige Kaufhaus, an dessen Stelle vor 1945 der Ufa-Palast stand.<br />
Der Ufa-Palast wurde am 28. November 1928 als vierstöckiges<br />
Gebäude mit Kino und Restaurant <strong>durch</strong> den Bauherrn Universum<br />
Film-AG (Architekt Baurat Max Bischof Berlin) seiner Bestimmung<br />
übergeben und ist im 2. Weltkrieg zerstört worden. Vor 1945 war<br />
das Haus das größte Kino <strong>Stettin</strong>s.<br />
7
Vom Berliner Tor führt unser Stadtrundgang Richtung Oder-<br />
Fluss über <strong>die</strong> große sternenförmige Kreuzung, dann nach rechts<br />
in <strong>die</strong> Allee des 3. Mai (Al. 3. Maja) und etwa nach 500 m, links<br />
in <strong>die</strong> Straße Grüne Schanze (Ul. Dworcowa) zum Viktoriaplatz<br />
(Pl. Batorego). Der Viktoriaplatz ist mit einem Hotel (ehemaliges<br />
Gebäude der Kommandantur <strong>von</strong> 1868), kleinem Park und dem<br />
Neue(n) Rathaus ausgestattet, hinter dem Rathaus beginnt der<br />
Platz an der grünen Schanze mit dem Manzelbrunnen.<br />
Neues Rathaus (Nowy Ratusz, Plac Baterego 20)<br />
Der reich verzierte neugotische Backsteinbau am alten<br />
Viktoriaplatz wurde nach Plänen vom <strong>Stettin</strong>er Stadtbaurat Konrad<br />
Kruhl in den Jahren 1875-78 erbaut. Das Haus nahm <strong>die</strong><br />
Stadtverwaltung auf, weil das alte Rathaus am Heumarkt den<br />
gewachsenen Verwaltungsansprüchen nicht mehr genügte.<br />
Der rote Backsteinbau liegt in herrlicher Lage in der 1845-1870<br />
erbauten Neustadt und nennt sich heute das Rote Rathaus<br />
(Czerwony Ratusz). Auf einer um das Gebäude führenden<br />
Treppenanlage kann man das Rathaus umgehen. Die Treppe<br />
verbindet praktisch zwei Plätze miteinander, vorne den<br />
Viktoriaplatz und hinten den Platz an der Grünen Schanze (Pl.<br />
Baterego/Ratuszowy-Pl. S. Barory) und bietet eine weite Einsicht<br />
auf <strong>die</strong> Oder und zum Bahnhof.<br />
Die Hinterseite des Rathauses an der Grünen Schanze, mit den zwei<br />
großen heraufführenden Freitreppen, ist eindrucksvoller als <strong>die</strong><br />
Hauptfront nach dem Viktoriaplatz (Pl. S. Batorego) hin gestaltet.<br />
Zwischen beiden Treppen, im Erdgeschoss, liegt der Eingang zu den<br />
prächtigen Kreuzgewölbekellerräumen des Rathauses. Früher war<br />
das Portal mit einem Wappen geschmückt, das im 2. Weltkrieg<br />
zerstörte wurde und nach 1945 nahm das <strong>Stettin</strong>er Seeamt im<br />
wieder aufgebauten Gebäude seinen Sitz.<br />
8
Manzelbrunnen<br />
Bis zur Ausbombung <strong>Stettin</strong>s im August 1944 war hinter dem<br />
Rathaus der Manzelbrunnen vollständig erhalten. Das<br />
Brunnendenkmal wurde 1898 <strong>von</strong> Prof. Ludwig Manzel (1858-<br />
1936) aus Berlin geschaffen. Über den unteren Brunnenteil hinaus<br />
ragte eine monumentale plastische Darstellung. Leider fiel <strong>die</strong>se<br />
dem Krieg zum Opfer. Man kann sie sich nur noch auf alten Fotos<br />
anschauen: Eine große menschliche Figur <strong>die</strong> Sedina, als<br />
Schutzpatronin und Symbol für den glücklichen Wohlstand, Handel<br />
und Schifffahrt <strong>Stettin</strong>s, steht auf dem Vorderteil eines Schiffes. Sie<br />
trägt eine Querstange mit einem Segel über der Schulter und hat<br />
neben sich einen Anker. Das Schiff wiederum wird <strong>von</strong> kräftigen<br />
Männerarmen bugsiert und so auf göttlichen Weg gebracht.<br />
Ringsherum ergießen sich aus großen steinernen Fabelwesen in<br />
Kaskaden rauschende Wasserströme in ein Wasserbecken am Fuße<br />
der Brunnenanlage. Technisch wurden <strong>die</strong> Wasserspiele <strong>durch</strong> eine<br />
Maschinenanlage vom Rathaus aus betrieben.<br />
Heute erfreuen uns nur noch <strong>die</strong> Wasserspiele und ein Ersatz für<br />
<strong>die</strong> Denkmalsgruppe (ein auf dem Brunnenstumpf aufgesetzter<br />
Schiffsanker). Doch lädt <strong>die</strong> Parkanlage mit wertvollen chinesischen<br />
Blauglockenbäumen und Osagedornen immer noch zum Verweilen<br />
ein.<br />
Im Park lassen wir den Blick in nördlicher Richtung auf eine<br />
Anhöhe schweifen. Wir erblicken mehrere prächtige Gebäude.<br />
Ganz links in der Dworcova-Straße steht das Haus der heutigen<br />
Stadtbibliothek (Ksiaznica Szczecinska), das bei seiner<br />
Fertigstellung 1871 zunächst als Stadtgymnasium <strong>die</strong>nte und seit<br />
1904 eine bedeutende Bibliothek aufnimmt. Das Projekt stammte<br />
<strong>von</strong> M. Grünge. Die Bibliothek besitzt etwa 800000 Bände, darunter<br />
200000 deutschsprachige Bücher. Die Vorderfront des Hauses ist<br />
teils in Backstein und teils mit Quaderputz, mit einem schönen<br />
gestaffelten halbrunden Eingangsportal, ausgeführt. An <strong>die</strong> alte<br />
Bibliothek wurde 1997 ein zweites Gebäude angebaut.<br />
9
Links neben dem Bibliotheksgebäude stand <strong>die</strong> <strong>Stettin</strong>er Synagoge<br />
der jüdischen Gemeinde. Sie wurde 1873-75 mit 900 Plätzen für<br />
Männer und 750 für Frauen erbaut. Das Gebäude bezauberte <strong>durch</strong><br />
seinen Reichtum an Gold und Marmor. In den 30er Jahren des 20.<br />
Jahrhunderts wohnten 2700 jüdische Mitbürger in <strong>Stettin</strong>. In der<br />
Reichskristallnacht 1938 fiel <strong>die</strong> Synagoge der Brandstiftung <strong>durch</strong><br />
<strong>die</strong> Nazis zum Opfer. Heute erinnert eine Gedenktafel in drei<br />
Sprachen (polnisch, deutsch, jiddisch) an ihre Vernichtung: „Hier<br />
stand <strong>die</strong> Synagoge der jüdischen Gemeinde, <strong>die</strong> am 9. November<br />
1938 <strong>von</strong> den Nationalsozialisten geschändet und zerstört wurde.“<br />
Rechts vom Bibliotheksgebäude biegt <strong>die</strong> Magazinstraße (Ul.<br />
Rybacka) mit dem Stadthaus (Nr. 1) ab, das <strong>durch</strong> seinen hohen<br />
Turm weithin sichtbar ist. Das Gebäude wurde auf dem Grundriss<br />
eines abgebrochenen Stadthofs im Stile der Neorenaissance, mit<br />
hohem giebelseitigem Turmanbau, in den Jahren 1900-01 erbaut.<br />
Der Entwurf stammt vom Architekten Wilhelm Meyer-Schwartau.<br />
Blickfang des Gebäudes war damals wie heute der hohe aufgesetzte,<br />
mit grüner Platina überzogene Turm. Mit der stattlichen Höhe <strong>von</strong><br />
68 m stellt <strong>die</strong>ser eine weithin sichtbare Silhouette der Stadt dar.<br />
Vor dem Kriege hatten in <strong>die</strong>sem Hause verschiedene städtische<br />
Behörden, wie <strong>die</strong> Sparkasse, das Standesamt oder das Büro der<br />
Baupolizei ihren Sitz. Heute befindet sich hier <strong>die</strong> Medizinische<br />
Akademie „Karol Swierczewski“ der <strong>Stettin</strong>er Universität.<br />
10
Vom Viktoriaplatz wandern wir <strong>die</strong> Grüne Schanze (Dworcova-<br />
Straße) weiter in Richtung Oderfluss entlang und biegen am Ende<br />
der Straße links in <strong>die</strong> Pod Brama ein. Als nächste Station ist<br />
schon <strong>die</strong> Sankt Johannis-Kirche zu sehen. An der Einmündung<br />
sehen wir rechts das alte Kaiserliche Postamt und begegnen gleich<br />
am Anfang der Pod Brama linkerhand der einzigen erhaltenen<br />
preußischen Kaserne (<strong>von</strong> 1818).<br />
St. Johannis-Kirche/Franziskanerkloster<br />
Die Johanniskirche war das Gotteshaus der Franziskanermönche im<br />
Klosterkomplex. Die alten Klostergebäude wurden nach der<br />
Reformation <strong>von</strong> der Stadt als Krankenhaus genutzt und wegen<br />
Baufälligkeit im Jahr 1856 bis auf <strong>die</strong> Kirche abgetragen.<br />
Dieses gotische backsteinerne Gotteshaus entstammt dem 14.<br />
Jahrhundert und zählt zu den ältesten sakralen Bauwerken <strong>von</strong><br />
<strong>Stettin</strong>. Die Johanniskirche erscheint in klarer strenger<br />
Backsteingotik. Sie ist eine dreischiffige Hallenkirche, das<br />
Mittelschiff hat Sternengewölbe, <strong>die</strong> Seitenschiffe besitzen<br />
Kreuzgewölbe. Der damals der Stadt zugewandte Ostgiebel ist mit<br />
Pfeilern sowie mit Blenden um <strong>die</strong> Fenster mit Terrakottenfüllungen<br />
und profilierten Einfassungen reich verziert. Der Westgiebel, der<br />
damals an <strong>die</strong> Stadtmauer grenzte, zielt in seiner Wirkung auf <strong>die</strong><br />
Ferne und entbehrt der Formsteine und der Zierlichkeit des<br />
Ostgiebels. Seine ganze Wand ist mit Pfeilern, <strong>die</strong> über <strong>die</strong><br />
Dachschräge hinausführen, schlicht, aber sehr wirkungsvoll<br />
ausgebildet.<br />
Als typisches Klostergebäude besitzt <strong>die</strong> Kirche keinen<br />
Glockenturm, sondern nur einen Dachreiter. Im Innern weist sie<br />
eine schlichte Schönheit auf, verziert mit Fragmenten <strong>von</strong><br />
Polychommalereien aus dem 15. und 16. Jahrhundert.<br />
Bemerkenswert sind Presbyterium mit Weinrebe-Terrakottafries,<br />
geschlossen mit siebeneckigen Apside, Skulptur auf der<br />
11
Regenbogenstütze, Polychromie aus dem XV. Jahrhundert, gotische<br />
und barocke Grabplatten sowie geradebiegende Pfeiler.<br />
Um 1800 war <strong>die</strong> Johanniskirche eine Garnisonskirche, weil <strong>die</strong> in<br />
<strong>Stettin</strong> stationierte preußische Garnison dort ihren Gottes<strong>die</strong>nst<br />
abhielt, abwechselnd hielt hier auch <strong>die</strong> deutsch-reformierte<br />
Gemeinde Gottes<strong>die</strong>nst. In den napoleonischen Kriegen wurde sie<br />
ein Lagerhaus, wo<strong>durch</strong> <strong>die</strong> mittelalterliche Ausstattung zerstört<br />
wurde. Mehrmals stand für <strong>die</strong> Johanniskirche nach 1900 <strong>die</strong> Frage<br />
des Abbruchs. 1932-34 konnten endlich notwendige<br />
Sicherungsmaßnahmen <strong>durch</strong>geführt werden. 1942 erwarb der<br />
Oberbürgermeister der Stadt <strong>Stettin</strong> <strong>die</strong> ehemalige Johanniskirche,<br />
um sie als Festsaal für kulturelle Zwecke zu nutzen. Einen Umbau<br />
verhinderte der Krieg. Seit 1957 wird <strong>die</strong> Kirche vom<br />
Pallottinerorden betreut. In den Jahren 1982-85 sind auf dem<br />
ehemaligen Klostergelände neue Gebäude ererrichtet worden<br />
(Entwurf Stanislaw Latour).<br />
12
Von der Johanniskirche sind es für den Fußgänger nur einige<br />
Schritte gerade aus, in nördlicher Richtung, bis zur Breiten Straße<br />
(später Große Str., heute Ksiedza Kard. Stefana Wyszynskiego).<br />
Im Mittelalter trennte <strong>die</strong>se Straße (damals ein breiter Weg) <strong>die</strong><br />
bäuerliche <strong>von</strong> der Kaufmannssiedlung. Die jetzige großzügige<br />
Straßenführung wurde allerdings erst nach dem 2. Weltkrieg<br />
geschaffen. Rechts mit Blick zur Oder sieht man <strong>die</strong> gewaltige<br />
Hansabrücke (Lange Brücke) und auf der gegenüberliegenden<br />
Uferseite <strong>die</strong> Lasta<strong>die</strong>.<br />
Wir gehen nach links <strong>die</strong> Breite Straße einige Meter hinauf und<br />
können sie über eine moderne Fußgängerüberführung in Richtung<br />
Jakobikirche überqueren. Unmittelbar vor der Jakobikirche befand<br />
sich früher der Kohlmarkt.<br />
13
Sankt Jakobi-Kathedrale (kosiol sw. Jacuba) u. Pl. Jakuba<br />
Apostola<br />
Die Jakobikirche ist <strong>die</strong> größte und zweitälteste Stadtkirche<br />
<strong>Stettin</strong>s. Ihre Gründung erfolgte bereits in der Anfangszeit der<br />
deutschen Einwanderung im 12. Jahrhundert (1187) <strong>durch</strong> den aus<br />
Bamberg stammenden Bürger Jakob Behringer. Die <strong>Stettin</strong>er<br />
widmeten sie dem Apostel Jakobus, dem Schutzpatron der Pilger<br />
und Fremden.<br />
Volkstümlich wird <strong>die</strong> St. Jakobi-Kirche auch „<strong>die</strong> Große“ genannt.<br />
In Pommern gilt <strong>die</strong>ses Gotteshaus neben der „Hohen“ in Stargard,<br />
der „Weiten“ <strong>von</strong> Kolberg und der „Schönen“ <strong>von</strong> Kammin als<br />
einer der eindrucksvollsten Hallenkirchen.<br />
Die Baugeschichte zerfällt in mehrere Etappen. In der ersten Phase<br />
war <strong>die</strong> Kirche ein romanischer und schlichter Feldsteinbau. Nach<br />
1250 wurde <strong>durch</strong> das rasche Anwachsen der deutschen Gemeinde<br />
ein Erweiterungsbau notwendig. Man öffnete in der zweiten<br />
Bauetappe <strong>die</strong> Westwand und baute das basilikale Langhaus an.<br />
Damit wurde der erste Kirchenbau zum Chor. In der dritten<br />
Bauphase ab 1375 entstand unter Leitung des spätgotischen<br />
Baumeisters Heinrich Brunsberg das großartige Hallenchorwerk.<br />
Zwei weitere Schiffe wurden um den alten Chorraum erbaut und<br />
herumgeführt, <strong>die</strong> alten Außenwände geöffnet und <strong>durch</strong> Pfeiler<br />
ersetzt, so dass ein Chorumgang entstand. Jeder Pfeiler des<br />
nunmehrigen Binnenchores entsprach einem Eckpfeiler des<br />
Chorumganges, so dass er fünfseitig geschlossen war. Vier <strong>von</strong> fünf<br />
Seiten des Fünfecks wurden <strong>durch</strong> einen Pfeiler unterteilt, so<br />
ergaben sich <strong>die</strong> doppelte Anzahl <strong>von</strong> Nischen, Räume für 15<br />
Kapellen, <strong>die</strong> Brunsberg wiederum mit sternenförmigen Gewölben<br />
überspannte. An der Ostseite wurde ein Zwischenpfeiler (der<br />
Fünfte) ausgelassen und damit Platz für ein mächtiges Ostfenster<br />
mit hell hereinströmendem Licht geschaffen. Ein für <strong>die</strong> Religiösität<br />
des 14. Jahrhunderts noch selten anzutreffender Versuch, den<br />
Chorraum mit Licht zu beleben.<br />
14
Etwa gleichzeitig mit dem Chorumbau wurde auch <strong>die</strong> Basilika<br />
dreischiffig mit Kapellen an den Seiten gestaltet. Insgesamt entstand<br />
unter Leitung Heinrich Brunsbergs mit Chor und Langhaus und<br />
zwei weit in <strong>die</strong> Höhe reichenden Türmen ein sakrales Bauwerk, das<br />
zu den schönsten deutschen Hallenchören im Norden gehörte. 1456<br />
stürzte der Südturm nach einem Sturm ein, worauf auch der<br />
Nordturm abgetragen wurde. Etwa fünfzig Jahre später konnte ein<br />
neuer, der Mittelturm, <strong>von</strong> Meister Hans Bänecke erbaut und<br />
eingeweiht werden. Den Turm gliederten Blenden in drei<br />
Geschossen und über ein kräftiges Gesims endigte er nach oben mit<br />
fünf Spitzen, deren mittelste hoch empor ragte. Das Gotteshaus bot<br />
Platz für 10 000 Menschen und für 50 Seitenaltäre. Mit der<br />
Reformation nach 1530 gab <strong>die</strong> Kirche dem evangelischen<br />
Generalsuperintendenten Sitz und erhielt den Rang einer<br />
Bischofskirche <strong>von</strong> Pommern.<br />
Im brandenburgischen Eroberungskrieg <strong>von</strong> 1677 wurde <strong>die</strong><br />
Kirchturmspitze abgeschossen, sie fiel auf das Langhaus und ein<br />
Feuer zerstörte große Teile der Kirche. Der Turm wurde danach nur<br />
abgestumpft und mit 4 Ecktürmchen versehen hergerichtet. Im 18.<br />
Jahrhundert bekam <strong>die</strong> Kirche eine neue barocke Innenausstattung.<br />
Nach einer neunjährigen Bauzeit erhielt der Kirchturm 1902 wieder<br />
seine alte Höhe und eine mittelalterliche spitze Helmform. Er hatte<br />
dann <strong>die</strong> alte gewaltige Höhe <strong>von</strong> 119 m erreicht (der heutige<br />
wieder aufgebaute Turm ist nur noch etwa 55 m hoch, wie vor<br />
1893).<br />
Durch den Bombenhagel 1944 wurde <strong>die</strong> Jakobikirche fast völlig<br />
zerstört. Nach ersten Bausicherungsmaßnahmen in den Jahren 1971-<br />
75 begann der Wiederaufbau und heute <strong>die</strong>nt sie, nachdem <strong>Stettin</strong><br />
katholischer Bischofssitz wurde, als Kathedrale.<br />
Die heutige Innenausstattung entspricht nicht mehr dem<br />
Vorkriegszustand. Die Kapellen sind gewidmet den Herzögen<br />
Pommerns, der Ostrobramska Muttergottes, den Opfern der Nazis-<br />
und Stalinregimes, den Soldaten der Widerstandsbewegung, den<br />
Seefahrern und den Handwerker. Tafeln sind gewidmet dem Papst<br />
Johannes Paul II. und den Primassen Polens: August Hlond und<br />
15
Stefan Wyszynski. Das Erzbischofsmuseum stellt <strong>die</strong> Geschichte<br />
der Kirche in Pommern dar.<br />
Die barocke Orgel, 1697 vom Dresdener Matthäus Schurich<br />
geschaffen, hatte den Krieg nicht überstanden, ebenso <strong>die</strong> berühmte<br />
„Madonna mit den drei Heringen“ im Schnitzwerk des<br />
Chorgestühls. Anstelle des gewaltigen barocken Hochaltars <strong>von</strong><br />
Erhard Löffler aus dem Jahre 1709/11 (ebenfalls zerstört) ist ein<br />
kleinerer gotischer Altar aufgestellt worden. Er stammt aus der<br />
nahen Klosterkirche zu Kolbatz und wurde bis 1945 im<br />
Pommerschen Landesmuseum aufbewahrt. Heute ist <strong>die</strong> „Schwarze<br />
Madonna“, ebenfalls eine Nachkriegserwerbung, einer der<br />
schönsten Sehenswürdigkeiten in der Kirche. Am Turm ist eine<br />
Tafel mit dem Text „Die 5 Gebote der Polen“. Unter dem Turm<br />
befindet sich eine Jubiläumstür, <strong>die</strong> <strong>von</strong> Czeslaw Düwigaj mit<br />
Lebensdarstellungen des heiligen Otto entworfen wurde.<br />
Rechts neben dem Gotteshaus, <strong>von</strong> der Breiten Straße aus gesehen,<br />
steht das Priorhäuschen aus dem Ende des 14. bzw. Anfang des 15.<br />
Jahrhunderts in schlichtem Backstein. Es ist das älteste erhaltene<br />
Wohnhaus <strong>Stettin</strong>s.<br />
Links neben der Kirche (Nordseite) befindet sich eine Glocke vom<br />
letzten Kirchturm, <strong>die</strong> sogenannte „Schwedenglocke“ <strong>von</strong> 1681, auf<br />
einem kleinen Glockenturm gestützt. Sie war mit ihrem Gewicht<br />
<strong>von</strong> 5,7 Tonnen für den neuen, nach 1972 errichteten kürzeren Turm<br />
einfach zu schwer. Das Kreuz vom Papstaltar aus Jasne Blonia<br />
(ehemaliger Park Quistrop-Aue) zeugt vom Papstbesuch in <strong>Stettin</strong><br />
und eine Statue der Muttergottes Unbefleckte Empfängnis der<br />
Jungfrau Maria stammt aus dem Jahre 1991.<br />
Ein nicht mehr vorhandenes Denkmal zum Andenken an den<br />
berühmten <strong>Stettin</strong>er Komponisten Karl Loewe, <strong>von</strong> Helmut W.<br />
Glüner 1897 geschaffen, komplettierte bis 1945 den Kirchplatz.<br />
Karl Loewe wirkte <strong>von</strong> 1820-1866 hier als Organist. Sein Körper ist<br />
in Kiel beigesetzt, sein Herz aber in der Nähe der alten Orgel<br />
begraben. Heute erinnert eine schlichte Gedächtnistafel in der<br />
Kirche an den <strong>Stettin</strong>er Komponisten.<br />
16
Wir betreten wieder <strong>die</strong> Breitestraße und gehen etwa 200 m<br />
zurück in Richtung Oder, um dann linkerhand in <strong>die</strong><br />
Reifschlägerstraße (Ksiecia Msciwoja II) einzubiegen. Am<br />
ehemaligen Heumarkt steht das alte Rathaus <strong>Stettin</strong>s.<br />
17