07.03.2013 Aufrufe

EDITION ANTAIOS Herbst 2009 - Sezession im Netz

EDITION ANTAIOS Herbst 2009 - Sezession im Netz

EDITION ANTAIOS Herbst 2009 - Sezession im Netz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Editorial<br />

von Karlheinz Weißmann<br />

<strong>Sezession</strong> 32 · Oktober <strong>2009</strong> | Editorial<br />

Selbst die in solchen Fragen eher zurückhaltende FAZ fand, daß es nun »genug«<br />

sei mit dem »german bashing«, dem wahllosen Einprügeln auf die Deutschen:<br />

Der amerikanische Oberbefehlshaber der NATO in Afghanistan hatte<br />

jenen Bundeswehroffizier als Sündenbock präsentiert, der den Raketenangriff<br />

auf die festgefahrenen Tanklastzüge in der Nähe von Kundus befohlen<br />

hatte, und es sickerte durch, mit welcher Genugtuung unsere Verbündeten die<br />

Nachricht von – möglichem – deutschem Versagen und – möglicher – deutscher<br />

Schuld aufnahmen.<br />

Dem einen oder anderen kamen ähnliche Wiedergängereien des »häßlichen<br />

Deutschen« in den Sinn: Da war der Schweizer Abgeordnete zum Beispiel,<br />

der nach der saloppen Kritik Steinbrücks am eidgenössischen Umgang<br />

mit Geldwäsche sofort an Deutsche erinnerte, »die vor sechzig Jahren mit Ledermantel,<br />

Stiefel und Armbinde durch die Gassen gegangen sind«; da war<br />

auch die Äußerung Berlusconis, der einem sozialdemokratischen Europaabgeordneten<br />

nach einem gegen ihn gerichteten Wort vorschlug, in einem Film<br />

über KZs »doch den Kapo zu spielen. In dieser Rolle wären Sie perfekt«.<br />

So weit, daß eine Verbindung mit den jüngst entdeckten (wenn auch <strong>im</strong><br />

Kern längst bekannten) Versuchen von Thatcher und Mitterrand hergestellt<br />

würde, die Wiedervereinigung der »Hunnen« oder »Boches« zu hintertreiben,<br />

sind wir noch nicht. Trotzdem ist es Zeit, den Blick auf den inneren Zusammenhang<br />

der einzelnen Fakten zu lenken und das, was dahintersteht: die<br />

lange Tradition des Deutschenhasses.<br />

Den Klassiker zum Thema – Die Ursachen des Deutschenhasses – hat<br />

der Philosoph Max Scheler 1917 geschrieben, während des Ersten Weltkriegs,<br />

also cum ira et studio. Trotzdem ist seine »Nationalpädagogische Erörterung«<br />

kein propagandistisches Machwerk und <strong>im</strong>mer noch der Lektüre<br />

wert. Denn Scheler stellte die vielfältigen Ursachen dieses Affekts heraus: Da<br />

geht es nicht nur um Neid auf deutsche Tüchtigkeit oder Angst vor dem preußischen<br />

Militär, nicht nur um Irritation über deutsche Tiefe oder Ressent<strong>im</strong>ents<br />

gegenüber dem Volk der Dichter und Denker, nicht nur um die Erinnerung<br />

an die germanischen Barbaren oder die superbia teutonicorum – den<br />

»deutschen Hochmut« – der Stauferzeit, und, möchte man heute hinzufügen,<br />

nicht nur um den Zweiten Weltkrieg oder Auschwitz; es geht vielmehr um<br />

feindliche Gefühle, die in »einem allgemeinen Welthasse« gegen die Deutschen<br />

kulminieren, weil sie anders sind: vor allem dadurch, daß sie den großen<br />

Modernisierungsprozeß nicht oder jedenfalls nicht so wie das restliche<br />

Europa, genauer: »der Westen«, durchliefen.<br />

Nun haben wir uns in den vergangenen Jahrzehnten redlich Mühe gegeben,<br />

die Differenz auszugleichen: Westbindung, Westintegration, Verwestlichung,<br />

westernization, waren das große nationalpädagogische Programm<br />

der Nachkriegszeit. Unerschütterlich die Bereitschaft, endlich von uns loszukommen<br />

und zu werden wie alle. Die Bösartigen wollten das, um uns dauerhaft<br />

niederzuhalten, die Einfältigen, weil sie tatsächlich an unsere Miserabilität<br />

glaubten, die Klügeren, weil sie hofften, daß die Deutschen keine gegen<br />

sie gerichtete Koalition mehr fürchten müßten, wenn sie sich bloß unauffällig<br />

machten. Weit gefehlt.<br />

Scheler rechnete übrigens auch das zu den Ursachen des Deutschenhasses:<br />

die Unsicherheit, die Schwäche der Identität, die <strong>im</strong> Fall eines so offensichtlich<br />

hervorragenden Volkes kein Außenstehender glaubwürdig findet.<br />

Editorial<br />

1

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!