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EDITION ANTAIOS Herbst 2009 - Sezession im Netz

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die die verbrannten Hoffnungen Deutschlands<br />

symbolisieren sollen.<br />

Was ist das nun? Protest? »Unbedingt. Aber<br />

nicht <strong>im</strong> üblichen Sinne. Wir erinnern an etwas,<br />

wofür es in der Seele neben den eingeübten Lebensplanungen<br />

eben auch ein Bedürfnis gibt:<br />

Poesie, Größe, Schönheit«, betont Ruch. Auf<br />

den ersten Blick mutet die versuchte Symbiose<br />

von Politik und Poesie sympathisch an, auf den<br />

zweiten aber fragt man sich, wie sie zum Erfolg<br />

führen soll. Politik ist schließlich ein schmutziges<br />

Geschäft, bei dem es um Interessenvertretung,<br />

Macht und Koalitionen geht, während die<br />

Kunst ihre Kraft gerade aus der Unabhängigkeit<br />

schöpft. Auch das Zentrum für politische<br />

Schönheit ist schon einmal in die Falle gelaufen,<br />

die durch die Gegensätzlichkeit von Politik<br />

und Kunst entsteht. Anfang Juli <strong>2009</strong> führten<br />

die Aktionskünstler zum Gedenken an die Opfer<br />

des Massakers von Srebrenica <strong>im</strong> Jahr 1995<br />

ein Theaterstück auf, welches das Versagen der<br />

NATO thematisierte. Der Zuspruch für diese<br />

Aktion dürfte zu groß gewesen sein, und so entwickelte<br />

sich die Aktion zu einer Lobbyveranstaltung<br />

für die in Deutschland lebenden Bosniaken,<br />

bei der vor und nach dem Theaterstück<br />

politische Reden gehalten wurden. Die eigentliche<br />

Aktion geriet zu einer netten Showeinlage<br />

am Rande einer politischen Kundgebung.<br />

An der Frage nach der Unabhängigkeit entscheidet<br />

sich, ob das Zentrum für politische<br />

Schönheit das Zeug zu einem Prototyp einer völlig<br />

neuen Protestform hat. Nur wenn die Macher<br />

ihre Unabhängigkeit verteidigen, können<br />

sie für Lichtblicke in der politischen Einöde sorgen.<br />

Diese neue Form von Protest wäre dann allerdings<br />

auch etwas für Konservative. Die politischen<br />

Vorstellungen der Aktionskünstler um<br />

Philipp Ruch, die sich sehr stark für universelle<br />

Menschenrechte einsetzen, weichen zwar deutlich<br />

von konservativen Anliegen ab. Deren Ästhetik,<br />

ihre medialen Ziele und die zur Verfügung<br />

stehenden Ressourcen sind jedoch von der<br />

Art, daß man davon lernen könnte.<br />

Im Gegensatz zu bisherigen Protestformen<br />

führt das Zentrum für politische Schönheit nur<br />

Aktionen <strong>im</strong> öffentlichen Raum durch, ohne dabei<br />

die Stärke, aber auch den Ballast einer Subkultur<br />

mit sich zu tragen. Es handelt sich um<br />

zeitlich auf ausgewählte Ereignisse begrenzte<br />

Inszenierungen des eigenen Körpers, die spontan<br />

und metapolitisch sind. Als Markenzeichen<br />

für den eigenen Körper hat sich die künstlerische<br />

Ideenschmiede Ruß gewählt, um die verbrannten<br />

Hoffnungen der Bürger darzustellen.<br />

Die Protestbewegungen der letzten 50 Jahre waren<br />

hingegen allesamt sehr stark an Subkulturen<br />

gebunden. Sie existierten dadurch sowohl <strong>im</strong><br />

öffentlichen als auch privaten Raum, denn die<br />

visuellen Protestcodes – Kleidung, Frisur, Symbole,<br />

Tätowierungen, Körperschmuck et cetera<br />

– waren Ausdruck eines Lebensgefühls, das in<br />

der Subkultur gepflegt wurde. Gerade für junge<br />

Menschen stand dabei nicht in erster Linie die<br />

öffentliche und massenmediale Wirkung <strong>im</strong><br />

Mittelpunkt. Sie versicherten sich so vielmehr<br />

ihrer Zugehörigkeit zur entsprechenden Subkultur.<br />

Sie wollten dazugehören, färbten sich deshalb<br />

ihre Haare so wie ihre Freunde und trugen<br />

die gleichen Klamotten. Das gilt für die Masse<br />

der 68er genauso wie für Punks, eingefleischte<br />

Globalisierungsgegner von heute, Ökos und die<br />

Neonaziszene. Aus der sozialen Identität, dem<br />

Lebensgefühl und bewußten Anders-Sein dieser<br />

Subkulturen entstand erst durch eine Konkurrenz-<br />

und Kampfsituation ein kollektives Bewußtsein,<br />

welches dann durchaus mehr oder<br />

weniger professionell vermarktet und medial in<br />

Szene gesetzt wurde. Erst der klare Verlauf von<br />

Frontlinien, die sich meist durch tagespolitische<br />

Entscheidungen oder Ereignisse (etwa Benno<br />

Ohnesorgs Tod) herausbildeten, führte zur Kollektivierung<br />

dieser Bewegungen.<br />

Durch die hohe Akzeptanz von zivilem Ungehorsam<br />

von links nehmen diese Bindungskräfte<br />

jedoch derzeit rapide ab. Auch die Idole<br />

der Linken, die ebenfalls in der Popkultur angekommen<br />

sind, können die Jugend kaum noch<br />

mobilisieren. Als die Bewegungen entstanden,<br />

entschlossen sich die Idole zu einem abhängigen<br />

Parallelleben zu ihren Fans. Ebenso wie die<br />

Protestmassen unterscheiden sie nicht mehr zwischen<br />

öffentlich und privat: Das verleiht ihnen<br />

zwar Authentizität verleiht, führt aber zu einem<br />

Menzel – Politische Schönheit<br />

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