07.03.2013 Aufrufe

EDITION ANTAIOS Herbst 2009 - Sezession im Netz

EDITION ANTAIOS Herbst 2009 - Sezession im Netz

EDITION ANTAIOS Herbst 2009 - Sezession im Netz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Leben in vollkommener Öffentlichkeit. Be<strong>im</strong><br />

Nachdenken über eine konservative Protestbewegung<br />

mit einer entsprechenden Subkultur<br />

sollte jedem klar sein, daß diese nur durch ein<br />

Verwischen der Differenz zwischen privat und<br />

öffentlich machbar ist – sowohl auf der Seite der<br />

Anführer und Idole als auch auf der Seite der<br />

Mitmachenden und der Masse. Die Frage ist,<br />

ob dies dem konservativen Habitus entspricht.<br />

Im besten Fall will der Konservative in seinem<br />

gesamten sozialen Umfeld wirken, <strong>im</strong> weniger<br />

guten Fall beschränkt er sich auf einen biedermeierlichen<br />

Rückzug. Das selbstlose Aufgehen<br />

in einer subkulturellen Nische dürfte hingegen<br />

nur etwas für wenige sein. Jedes Engagement<br />

in einer Subkultur ist mit einer lustvollen<br />

Zurücknahme von eigener Freiheit verbunden.<br />

»Eine neue Menge kultureller Helden, Tanz-<br />

formen, Kunstformen schließt sich zusammen,<br />

nicht nur um eine klassische Generationsrevolte<br />

auszudrücken, sondern die unmittelbare persönliche<br />

Befreiung als Vorspiel öffentlicher radikaler<br />

Gleichheit zu einem teilweisen Ausdruck zu<br />

bringen«, haben die Sozialwissenschaftler Irving<br />

Horowitz und Martin Liebowitz das Wesen von<br />

Subkulturen Ende der 60er Jahre in Social Deviance<br />

and Political Marginality auf den Punkt<br />

gebracht.<br />

Die meisten Konservativen dürften eine tiefe<br />

Abneigung gegen eine konforme Masse hegen.<br />

Denn gerade der Kampf gegen die Unterwerfung<br />

durch die Masse könnte die Aufgabe neuer Protestformen<br />

und ein politisches Hauptanliegen<br />

von Konservativen sein. Wichtig ist es dabei, zuerst<br />

einmal zu begreifen, was den Massenmenschen<br />

heute ausmacht. Der Karlsruher Philologe<br />

und Medienwissenschaftler Götz Großklaus<br />

beschäftigt sich <strong>im</strong> ersten Kapitel seines Büchleins<br />

Medien-Bilder mit dem Bild des Massen-<br />

Körpers und liefert wichtige Gedanken zu einer<br />

54 Menzel – Politische Schönheit<br />

zeitgemäßen Theorie der Masse. Bei Pop-Konzerten<br />

und wichtigen Fußballspielen bilde sich<br />

eine Event-Masse, so Großklaus. Da heutzutage<br />

auch Proteste Events sind, lassen sich die Anregungen<br />

von ihm eins zu eins auf diese Bewegungen<br />

übertragen. Event-Massen sind in zwei Teile<br />

gespalten. Der erste Teil ist zeitlich und räumlich<br />

als Zuschauer klar lokalisierbar, der andere<br />

n<strong>im</strong>mt nur virtuell via einer (Live-)Inszenierung<br />

an der Großveranstaltung teil. Die Event-<br />

Masse versammelt sich also nur noch gemeinsam<br />

»in der Zeit« und nicht mehr ausschließlich<br />

in Zeit und Raum. Neben den lokal verdichteten<br />

Massen, die persönlich vor Ort teilnehmen,<br />

untersucht Großklaus auch die global zerstreuten<br />

Massen, die sich die Emotionen ihrer Idole<br />

und der anwesenden Zuschauer ins Wohnz<strong>im</strong>mer<br />

transportieren lassen. Es geschieht folgendes:<br />

»die Bild-Folgen erregter<br />

Massen erregen weitere, abwesende<br />

Massen und können von<br />

Mal zu Mal an dramatischen<br />

Höhepunkten des verfolgten<br />

Geschehens sehr wohl den s<strong>im</strong>ultanen<br />

und millionenfachen<br />

Aufschrei einer einzigen Erregungs-Masse<br />

hervorbringen«,<br />

meint Großklaus. Die gesamte<br />

Masse ist heute also nicht mehr<br />

fotografierbar, weil sie nicht<br />

mehr an einem Ort zusammenkommt.<br />

Vielmehr entsteht sie<br />

nur durch die mediale Verbreitung<br />

sozialer Emotionen.<br />

Ausgehend von diesen<br />

Überlegungen lassen sich zwei<br />

wichtige Ableitungen vornehmen.<br />

Erstens: Es gibt auch heute<br />

noch eine Masse, nur sieht man<br />

sie nicht mehr so häufig. Zweitens:<br />

Jedes politische Vorhaben<br />

steht und fällt mit der erfolgreichen<br />

Ansprache der global<br />

zerstreuten Massen. Wer keine<br />

Mittel findet, mit Leuten Kontakt aufzubauen,<br />

die nur den Fernseher einschalten oder nur vor<br />

dem Computer hocken, der spricht in einen luftleeren<br />

Raum hinein und befindet sich in jenem<br />

vakuumartigen Schweben, welches Philipp Ruch<br />

als Kennzeichen der Dekadenz ansieht.<br />

Vielleicht ist die gegenwärtige politische<br />

Lage gerade deshalb so unerträglich, weil alles<br />

so schwammig ist. Echte Freund-Feind-Paarungen<br />

gibt es kaum noch und somit wird auch echter<br />

politischer Protest schwieriger und muß sich<br />

verändern. Mit dem allmählichen Zerbröseln<br />

von Subkulturen und deren Individualisierung in<br />

Lebensstile stehen zusätzliche Chancen und Risiken<br />

vor der Tür. Einerseits ist zu befürchten, daß<br />

diese Zersplitterung die Artikulation jeglichen<br />

Protests noch unwahrscheinlicher macht, andererseits<br />

könnte quasi aus dem Nichts auf einmal<br />

etwas entstehen. In dieser Situation liegt es nahe,<br />

sich auf den Kern dessen, was Protest ausmacht,<br />

zu konzentrieren und alles andere über Bord zu<br />

werfen. Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!