Diese Ausgabe komplett als PDF - Studi38
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Fotos: Flickr/Luke Hayfield Photography, Anna Wandschneider<br />
Rolf Nohr ist Professor<br />
für Medienästhetik und<br />
Medienkultur am Institut für<br />
Medienforschung (IMF) der<br />
HBK. Neben Visualität und<br />
visueller Kultur in zahlreichen<br />
Ausprägungen, beschäftigt<br />
er sich unter anderem mit<br />
populären Phänomenen<br />
wie dem Heavy Metal oder<br />
Computerspielen.<br />
Warum erfahren dann gerade Videogames<br />
eine solche Stigmatisierung? Liegt das allein<br />
an „Killerspielen“?<br />
Das hat wohl viele Gründe. Gewaltdarstellungen<br />
sind das eine, aber mir erscheint ein<br />
anderer Punkt mindestens genauso wichtig:<br />
Wir leben in einer Gesellschaft, die versucht,<br />
so produktiv wie möglich zu sein. Unproduktives<br />
Handeln oder „Gammeln“ werden da natürlich<br />
mit Misstrauen beäugt. Dazu kommt<br />
noch, dass der Computer immer noch <strong>als</strong> ein<br />
„neues Medium“ gilt – und neuen Medien begegnet<br />
unsere Kultur traditionell mit einem<br />
großen Misstrauen.<br />
Und warum spielt eine große Gruppe<br />
von Menschen überhaupt keine<br />
Computerspiele?<br />
Vermutlich, weil Computer und andere Spielekonsolen<br />
nur eine sehr eingeschränkte Aus-<br />
Wissenschaft<br />
wahl an Spielen anbieten. Die scheinbar unendliche<br />
Menge an Spielen, die auf dem Markt<br />
sind, kann man vier bis fünf Genres zuordnen.<br />
Die sind dann auch noch strikt voneinander<br />
getrennt. Sie finden – es sei denn, sie bewegen<br />
sich im Independant-Bereich, zwar Massen<br />
von Shootern, Worldbuilding Games und<br />
Escape Spielen, aber niem<strong>als</strong> einen Mix aus<br />
den Dreien. Was das betrifft, ist die Industrie<br />
ein großer Zauderhase – sie bedient sich lieber<br />
etablierter Genres, <strong>als</strong> etwas Neues zu wagen.<br />
Außerdem gibt es natürlich Spiele, die sich für<br />
den Computer einfach nicht eignen. Bei Glückspielen<br />
zum Beispiel brauchen sie einfach einen<br />
sichtbaren, menschlichen Gegenspieler – Black<br />
Jack gegen einen Computer zu spielen, macht<br />
nur bedingt Spaß.<br />
Ob wir nun dabei mit Anderen reden oder<br />
nicht – versuchen wir, in virtuellen Welten<br />
wie der von World of Warcraft unserem Alltag<br />
zu entfliehen?<br />
Natürlich speisen sich solche Spiele immer auch<br />
aus Aussteigerfantasien. Nicht nur Videogames<br />
übrigens – die Literatur- und Filmwelt ist voll<br />
von meist jungen Helden, die ihrer Gesellschaft<br />
den Rücken kehren und sich eine Hütte im Wald<br />
bauen. Übrigens sind sie auf lange Sicht hin nie<br />
wirklich erfolgreich. World of Warcraft oder<br />
Sims kann man dahingehend <strong>als</strong> eine Art risikoarme<br />
Variante von Into the Wild begreifen<br />
– denn wenn in der virtuellen Welt etwas schief<br />
geht, fängt man einfach von vorne an. Außerdem<br />
sind in der Realität komplexe Vorgänge –<br />
zum Beispiel der Bau eines Hauses – im Spiel<br />
oft mit einem Mausklick getan.<br />
In welcher Beziehung stehen Wirklichkeit<br />
und Computerwelt dann zueinander?<br />
Es dürfte den meisten klar sein, dass auch die<br />
„fremdeste“ Fantasywelt immer mit der Realität<br />
und der „echten“ Gesellschaft zu tun<br />
hat. Die Games werden von echten Menschen<br />
programmiert und von echten Mitspielern gespielt,<br />
die meistens die Regeln ihrer normalen<br />
Welt mitbringen...<br />
...und sehr enge Grenzen stecken. Im Prinzip<br />
tut der Spieler doch genau das, was das<br />
Spiel ihm befiehlt? Oder spielt er vielleicht<br />
gerade, weil ihm da jedwede Verantwortung<br />
abgenommen wird?<br />
Computerspiele sind tatsächlich ein stark reglementierter<br />
Raum. Man kann argumentieren,<br />
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dass genau das dem Spieler gefällt, weil er hier<br />
– im Gegensatz zur komplexen Realität – weiß,<br />
was möglich ist und was nicht. Aber auch hier<br />
ist eine Verallgemeinerung schwierig. In Sandbox<br />
Games, ich nenne da <strong>als</strong> Beispiel die GTA-<br />
Reihe, kann der Spieler die Struktur des Games<br />
bis zu einem bestimmten Grad beeinflussen.<br />
Außerdem gäbe unsere Gesellschaft ein ziemlich<br />
armseliges Bild ab, wenn wir die erstbeste<br />
Gelegenheit ergreifen würden, eigenständiges<br />
Denken und Aufklärung über Bord zu werfen<br />
und uns von der totalitären Macht des Computers<br />
regieren zu lassen.<br />
Jetzt reden wir schon die ganze Zeit über<br />
den Computer. Dabei ist das gar nicht<br />
mehr das Neueste vom Neuesten. Wie haben<br />
Smartphones und andere tragbare Konsolen<br />
die Spielewelt verändert?<br />
Das lässt sich in einem Wort zusammenfassen:<br />
Portabilität. <strong>Diese</strong>s Konzept der ständigen Mobilität<br />
eröffnet völlig neue Möglichkeiten – zum<br />
Beispiel Location - based Games, an denen man<br />
nur teilnehmen kann, wenn man sich an bestimmten<br />
Orten in der Realität einklinkt. Seit<br />
mehr <strong>als</strong> zehn Jahren gibt es schon derartige<br />
Versuche: Am Anfang sind die Jungs allerdings<br />
mit einem Riesenrucksack und einer ewig langen<br />
Antenne durch die Gegend gelaufen – das<br />
war innovativ, sah aber absolut affig aus. Heute<br />
geht das „cooler“.<br />
Und wie steht es dabei um den Schutz meiner<br />
Daten?<br />
Grauenhaft. Das ist allerdings kein spezielles<br />
Videogames-Problem, auch kein rein industrielles.<br />
Ein ständig wachsender Teil der<br />
Gesellschaft hat kein Gefühl mehr dafür, was<br />
er über offene Netze, Social Media, oder auch<br />
nur seine Kleidung preisgibt. In manchen Klamotten<br />
stecken beispielsweise ein sogenannter<br />
RFID-Chip, mit denen man Bewegungsprofile<br />
des Trägers erstellen kann. Die Sensoren dazu<br />
stehen dann im dazugehörigen Kleidungsgeschäft.<br />
Das kann nicht angehen.<br />
Zum Abschluss noch eine angenehmere Frage:<br />
Was, glauben Sie, wird sich in den kommenden<br />
Jahren auf dem Spielemarkt tun?<br />
Worldbuilding Games haben meiner Meinung<br />
nach das größte Potenzial. In ihnen liegt eine<br />
gewaltige ästhetische Innovationskraft und der<br />
Fantasie des Spielers sind hier die wenigsten<br />
Grenzen gesetzt. #