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Radius - ZIVILSCHUTZ

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Die Freiwilligen des<br />

Landesrettungsvereins halfen<br />

der Not leidenden Bevölkerung<br />

im Gebiet um L’ Aquila schon<br />

vier Tage nach dem Erdbeben.<br />

Die letzte Mahlzeit, die sie den<br />

Bewohnern der Zeltstadt Sant’<br />

Elia zubereitet haben, wurde am<br />

9. Oktober 2009 aufgetischt.<br />

Der Einsatz in den Abruzzen war<br />

der längste und ungewöhnlichste<br />

Katastropheneinsatz, den das Südtiroler<br />

Weiße Kreuz bisher durchführte.<br />

Die gesamte Hilfsaktion der Autonomen<br />

Provinz Bozen wurde vom<br />

Landesabteilung für Zivilschutz koordiniert.<br />

Monatelang versorgten die<br />

rund zehn bis zwanzig Freiwilligen<br />

des Weißen Kreuzes, die jede Woche<br />

im Camp aktiv waren, zusammen mit<br />

denen der anderen Hilfsorganisationen<br />

bis zu 600 Erdbebengeschädigte<br />

mit täglich drei warmen Mahlzeiten.<br />

Das Weiße Kreuz hatte von Anfang an<br />

die Rolle der Versorgung, sei es der<br />

Bevölkerung von S. Elia, einem Vorort<br />

von L‘Aquila, als auch der Einsatzkräfte<br />

im Lager übernommen. Diese<br />

Versorgung ist eine Kernaufgabe des<br />

Betreuungsdienstes, der im Weißen<br />

Kreuz organisiert ist.<br />

p a g i n i e r u n g<br />

helfen und Erfahrung sammeln<br />

Karfreitag, den 10. April 2009<br />

Das war der Auftakt. Mitten in der<br />

Nacht startete eine 34-köpfige Mannschaft<br />

des Weißen Kreuzes, welche aus<br />

Vertretern des Betreuungszuges und<br />

der Notfallseelsorge zusammengesetzt<br />

war, mit ihren mobilen Einheiten nach<br />

S. Elia. Die ersten drei Wochen waren<br />

sehr anstrengend, da das Zeltlager aus<br />

dem Nichts auf der so genannten grünen<br />

Wiese aufgebaut werden musste.<br />

Direktor Ivo Bonamico beschreibt die Situation<br />

vor Ort: Die Bevölkerung von S.<br />

Elia empfing die Helferinnen und Helfer<br />

sehr herzlich. Die hohe Wertschätzung,<br />

die sie den Freiwilligen entgegenbrachte,<br />

hielt bis zuletzt allen seelischen Belastungen<br />

stand. Die Lagerbewohner von<br />

S. Elia halfen nach Kräften, wo immer<br />

sie konnten. Viele hatten Angst in ihre<br />

beschädigten Häuser zurückzukehren.<br />

Daher blieben sie bis zuletzt im Lager.<br />

Die Freiwilligen der Notfallseelsorge des<br />

Weißen Kreuzes standen den Obdachlosen<br />

mit Trost und psychologischer Hilfestellung<br />

bei. Glücklicherweise konnten<br />

alle Bewohner dieses Zeltlagers vor Wintereinbruch<br />

in neue oder provisorische<br />

feste Unterkünfte untergebracht werden.<br />

Nach den ersten sechs Wochen, die ausschließlich<br />

der Betreuungszug abdeck-<br />

te, wurde die Organisation des Lagers<br />

schrittweise den Sektionen des Weißen<br />

Kreuzes übergeben. Ab Mitte Juni wurden<br />

die Teams der Sektionen wöchentlich<br />

ausgewechselt. Die insgesamt 29<br />

Wochen-Gruppen setzten sich aus je<br />

fünf Freiwilligen, einem Gruppenführer<br />

des Weißen Kreuzes und dem Koch zusammen.<br />

Damit stellte man sicher, dass<br />

keine/r der Freiwilligen einer allzu großen<br />

Belastung ausgesetzt wurde.<br />

Im Camp waren seit dem Erdbeben<br />

vom 6. April 2009 hauptsächlich freiwillige<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

des Weißen und Roten Kreuzes, der<br />

Bergrettungsdienste des AVS und CAI,<br />

Notfallpsychologen und -seelsorger,<br />

die Funknotrufgruppe, Mitarbeiter der<br />

Landesabteilungen Brand- und Zivilschutz,<br />

Forstwirtschaft, Wasserschutzbauten,<br />

Hochbau, Tiefbau, des Straßendienstes,<br />

der Feuerwehren und Ärztinnen<br />

von Medicus Comicus im Einsatz.<br />

Alltag im camp<br />

Die Verteilung aller Tageseinsätze der<br />

Mitarbeitenden des Weißen Kreuzes in<br />

Sant‘ Elia sah so aus: 65 Prozent der<br />

Arbeit wurde von Freiwilligen geleistet,<br />

ein Viertel von externen Freiwilligen,<br />

die sich spontan dazu entschlossen<br />

hatten, dem Aufruf zu folgen, die restlichen<br />

10 Prozent versahen die Köche,<br />

die einzigen Angestellten. Bis zum 11.<br />

Oktober 2009 wurden an 199 Einsatztagen<br />

59.000 Mahlzeiten bereitgestellt.<br />

Geht man von einer durchschnittlichen<br />

Tagesarbeit von 12 Stunden aus, so<br />

wurden rund 15.500 Arbeitsstunden<br />

geleistet, fast zur Gänze von Freiwilligen.<br />

Auf diese beeindruckende Südtiroler<br />

Leistungsbereitschaft ist das Weiße<br />

Kreuz besonders stolz.<br />

Dieser Einsatz stellt ein gutes Beispiel<br />

für die hervorragende vereinsinterne<br />

und -externe Zusammenarbeit dar: Sant’<br />

Elia war nicht nur ein gutes Beispiel für<br />

eine schnell und gekonnt durchgeführte<br />

landesweite Freiwilligensuche, sondern<br />

auch für ein gutes vereinsinternes Zusammenspiel.<br />

Es herrschte immer ein<br />

angenehmes, gutes Klima unter den Helfern,<br />

auch wenn man mit immer neuen<br />

Problemen fertig werden musste.<br />

In Sant‘ Elia wurde die Hilfe aus Südtirol<br />

sehr geschätzt. Die Südtirolerinnen<br />

und Südtiroler wurden als Garanten des<br />

Zusammenhalts gesehen, ein Wert, der<br />

besonders in schlechten Zeiten meist<br />

hart auf die Probe gestellt wird. „Es<br />

war also ein sehr schönes Zeichen, das<br />

wir imstande waren, in dieser Katastrophenregion<br />

zu setzen“, sagt abschließend<br />

Präsident Georg Rammlmair.<br />

Direktor Ivo Bonamico meint dazu folgendes:<br />

„Bei diesem Einsatz konnte das<br />

Weiße Kreuz viel lernen, denn es war<br />

das erste Mal, dass der Landesrettungsverein<br />

einen derart langen und komplexen<br />

Katastrophenfall zu bewältigen hatte.<br />

Der Verein hat gezeigt, dass er auch<br />

weit entfernte Einsätze bestens organisieren<br />

und durchführen kann. Die Katastrophenhilfe<br />

soll zukünftig für das<br />

Weiße Kreuz an Bedeutung gewinnen<br />

und als Tätigkeit ausgebaut werden,<br />

um künftig noch besser für solche Herausforderungen<br />

gewappnet zu sein.“<br />

Danksagung an die vielen Freiwilligen<br />

Die Landesregierung hatte die 700<br />

Freiwilligen und die Organisations-<br />

„Man nannte uns Engel ...“<br />

Stellvertretend für alle<br />

Beteiligten einige Aussagen<br />

von Toni Rainer der zweimal bei<br />

Einsätzen in L`Aqula dabei war<br />

und ein Gespräch mit Markus<br />

Leimegger, Dienstleiter des<br />

Betreuungs-Zuges.<br />

<strong>Radius</strong>: Herr Rainer, was hat Sie motiviert<br />

mitzutun?<br />

T. Rainer: Ich wollte mir das einfach ansehen,<br />

nicht als WK-Angestellter, sondern<br />

einfach so für mich, und auch,<br />

weil es einige gab, die behaupteten, es<br />

funktioniere da unten nicht. Aber mein<br />

Eindruck war positiv, die Hilfe funktionierte<br />

gut, so, wie man es sich in einer<br />

solchen Situation eben erwarten kann.<br />

Bei meinem ersten Einsatz in Sant’ Elia<br />

Mitte Juni war ja die größte Arbeit getan.<br />

Alle arbeiteten zusammen, ich hab<br />

mich wohlgefühlt. Man erlebt ja auch<br />

etwas Außergewöhnliches, das man<br />

so – hoffentlich, muss man sagen – nie<br />

mehr haben kann.<br />

<strong>Radius</strong>: Was hat Sie am meisten beeindruckt?<br />

T. Rainer: Einmal bebte die Erde wieder:<br />

Es war eine halbe Stunde vor Mitternacht,<br />

ich rasierte mich gerade im Gemeinschaftsbad,<br />

der Spiegel entfernte<br />

sich fünf Zentimeter von der Wand. Ein<br />

Betreuer und eine Frau standen draußen.<br />

Eine Minute lang schien das ganze<br />

Lager wie erstarrt zu sein. Es war<br />

erschreckend still. Aber langsam hörte<br />

man wieder ein allgemeines Gemauschel<br />

in den Zelten draußen. Unser Gruppenführer<br />

beschloss, allen Tee und Kekse in<br />

der Mensa anzubieten und bat die Leute<br />

ins große Zelt. Fünf Personen waren<br />

in Panik geraten, die Jüngeren und eine<br />

erfahrene Rot-Kreuz-Krankenschwester<br />

beschwichtigten sie gekonnt. So konnte<br />

dieser wiederholte Erdstoß als etwas Ge-<br />

verantwortlichen am Samstag, 28.<br />

November 2009, zu einer Abschlussfeier<br />

in die Messe Bozen geladen. Landeshauptmann<br />

Durnwalder betonte:<br />

„Wir Südtiroler sind stolz, dass sich<br />

so viele Menschen freiwillig melden,<br />

ihre Freizeit opfern und ihre Arbeitskraft<br />

zur Verfügung stellen, wenn Not<br />

am Mann ist.“ Dies sei ein deutliches<br />

Zeichen dafür, dass auch heute nicht<br />

nur materielle, sondern auch die<br />

menschlichen Werte der Hilfe und<br />

der Solidarität noch zählten. Bischof<br />

Karl Golser feierte die Heilige Messe,<br />

der Pfarrer von S. Elia war auch<br />

angereist und der Landeshauptmann<br />

und der Landesrat verteilten am Ende<br />

den beteiligten Organisationen eine<br />

Ehrenurkunde.<br />

Toni Rainer beim Vorbereiten des Thunfischs<br />

meinsames erlebt werden und das nahm<br />

einigen die Furcht. Am nächsten Tag aber<br />

war die Angst der Leute noch spürbar<br />

stärker als nachts. Sie wiederholten stets,<br />

dass sie nicht in ihre Häuser zurückwollten,<br />

aus denen sie sich nur zufällig schon<br />

ein Mal lebend heraus gerettet hatten.<br />

Diese Angst ist sicher schwer zu überwinden.<br />

Ich empfand es als meine Aufgabe,<br />

mich viel mit den Leuten abzugeben,<br />

ihnen zuzuhören und mit ihnen zu<br />

reden. Das musste ihnen doch gut tun.<br />

Diese freundliche Bereitschaft haben<br />

sie sehr geschätzt und uns alle dankbar<br />

„angeli“ (Engel) genannt.<br />

28 06/2010<br />

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