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Radius - ZIVILSCHUTZ

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Das Zugunglück im Vinschgau<br />

hat gezeigt: Die Rettungskräfte<br />

sind bestens vorbereitet. Die<br />

Koordination hat reibungslos<br />

funktioniert, die Zeitspanne zwischen<br />

Alarmierung und Einsatz<br />

war denkbar gering.<br />

Das Aushängeschild Südtirols in Sachen<br />

öffentlicher Nahtransport,<br />

der Vinschgerzug, ist am 12. April<br />

entgleist. Der um 8.20 Uhr in Mals<br />

gestartete Zug war zwischen Kastelbell<br />

und Latsch von einer Mure<br />

getroffen worden und entgleist. Ein<br />

Waggon kam quer über den Schienen<br />

zum Stillstand, Erdreich, Steine und<br />

entwurzelte Bäume bedeckten den<br />

Zug. Die Rettungskräfte bargen 28<br />

teils Schwerverletzte aus den Trümmern<br />

und gruben neun Tote aus dem<br />

Schlamm aus.<br />

Die Unglücksursache wird noch von<br />

Geologen und Sicherheitsexperten untersucht.<br />

Derzeit geht man davon aus,<br />

dass sich wahrscheinlich aufgrund<br />

von Wasserinfiltrationen das lockere<br />

Material des Schuttkegels oberhalb<br />

der Bahntrasse gelöst hat und mit<br />

hoher Geschwindigkeit auf die Schienen<br />

niedergegangen ist. „Beim Bau<br />

des Latschanderwaales von Goldrain<br />

nach Kastelbell gab es große Schwierigkeiten.<br />

Alle Behörden äußerten Bedenken,<br />

dass es infolge eines defekten<br />

Waales zu einem Unglück kommen<br />

könnte“, erzählt Franz Tappeiner,<br />

Feuerwehrpräsident des Bezirkes Untervinschgau.<br />

p a g i n i e r u n g<br />

horrorszenario wird Realität<br />

horrorszenario geprobt<br />

Der Vinschgerzug ist am 5. Mai 2005 in<br />

Betrieb gegangen. Franz Tappeiner wurde<br />

beauftragt, den Ablauf eines Einsatzes<br />

auf der Strecke zwischen Latsch und<br />

Kastelbell, wo die Rettungsfahrzeuge<br />

nur erschwert hinkommen, zu simulieren.<br />

„Wir haben 2006 in Zusammenarbeit<br />

mit dem Weißen Kreuz, der Bergrettung,<br />

den Carabinieri, den Notärzten<br />

und allen Beteiligten der Eisenbahn ein<br />

Unfallszenario geprobt, bei dem wir etwa<br />

60 Feuerwehrleute als Opfer mit Blutungen<br />

und Brüchen wirklichkeitsnah<br />

hergerichtet haben. Wir wollten damals<br />

herausfinden, wie sieht die Lage spät in<br />

der Nacht beim letzten Zug im extrem<br />

schwierigen und steilen Gelände aus.“<br />

Das Horrorszenario mit Dutzenden<br />

Verletzten erschien damals etlichen<br />

Feuerwehrkommandanten als zu übertrieben.<br />

Nach dem jüngsten Zugunglück<br />

in der Latschander<br />

mussten sich die<br />

Kritiker von damals<br />

eines Besseren belehren<br />

lassen. „Jene,<br />

die damals behauptet<br />

haben, das wird<br />

sich bei uns nie ereignen,<br />

haben sich<br />

beim jüngsten Bezirksfeuerwehrtag<br />

Franz Tappeiner<br />

Untervinschgau in<br />

Schlanders auf die Schulter geklopft“,<br />

grinst Tappeiner. „Ich bin heute froh,<br />

dass ich damals meine Feuerwehrkameraden<br />

und die verantwortlichen<br />

Kommandanten überzeugen konnte,<br />

diese Großübung abzuhalten. Wir hatten<br />

damals alle fünf Wehren aus der<br />

Gemeinde Latsch und drei Wehren der<br />

Gemeinde Kastelbell dabei. Unter den<br />

zehn Einsatzszenarien war auch jenes<br />

in der Latschander dabei.“<br />

verbesserter Einsatz<br />

Tappeiner konnte aufgrund der damaligen<br />

Übung am 12. April den Einsatz<br />

viel besser organisieren. „Der Einsatz<br />

erfolgte sowohl auf der westlichen als<br />

auch auf der östlichen Seite. Wir konnten<br />

den technischen Bereich Anlieferung<br />

und Zufahrtsweg (damals hatten<br />

wir keine Verbindung, der Radweg war<br />

noch nicht gebaut, die Hängebrücke<br />

war damals für Personenübergang gesperrt)<br />

sowie die Regelung des Verkehrs<br />

verbessern. Im Bereich der Sanität haben<br />

wir die Triageplätze im Osten und<br />

im Westen, einen Hubschrauberplatz<br />

im Osten und Westen sowie einen Ablageplatz<br />

für die Toten im Osten und<br />

einen kleineren im Westen errichtet.“<br />

Als die Retter am Einsatzort eintrafen,<br />

waren die Toten alle mit Schlamm bedeckt.<br />

„Wir wollten eine humane Bergung<br />

und haben jeden Toten mit der Hand ausgegraben.<br />

Wir wussten zu Beginn nicht,<br />

wie viele Tote das Unglück gefordert hat“,<br />

erzählt Tappeiner. Wie gehen Feuerwehrleute<br />

bei einer solchen Tragödie mit ihren<br />

Emotionen um? „Ich kann einen Vorhang<br />

vorziehen und den Einsatz ablaufen lassen.<br />

Es treten keine Emotionen auf“,<br />

schätzt sich Tappeiner glücklich. Er hat<br />

sein eigenes Rezept, nachher wieder sein<br />

inneres Gleichgewicht zu finden. „Ich gehe<br />

nach so einem Einsatz nach Hause,<br />

bespreche alles mit meiner Frau und gemeinsam<br />

beten wir ein Vaterunser. Damit<br />

kann ich verhindern, dass ich psychische<br />

Probleme bekomme.“<br />

Psychologische betreuung<br />

Obwohl er selber keine emotionalen Probleme<br />

hat, zeigt er Verständnis für Kameraden,<br />

die mit Toten nicht so leicht<br />

klar kommen. „In der Mannschaft von<br />

Galsaun, wo ich 16 Jahre Kommandant<br />

war, habe ich bei den theoretischen und<br />

praktischen Übungen immer extreme Si-<br />

tuationen ausgesucht, um sie auf Unfälle<br />

mit Toten vorzubereiten. Kameraden, die<br />

Probleme haben, kennt man und schickt<br />

sie daher nicht zu solchen Einsätzen. Wer<br />

psychologische Hilfe braucht, wird nicht<br />

in der Zone A (im direkten Bereich des Geschehens)<br />

eingesetzt, sondern in der Zone<br />

B, in der man Handlanger für die Geräte<br />

ist, oder in der Zone C (Gerätehaus).“<br />

Im Vorfeld dieses Zugunglücks gab es<br />

im unteren Vinschgau viele theoretische<br />

Übungen, in denen man auf solche<br />

Situationen hingearbeitet hat. „Da<br />

konnten wir aus dem Grubenunglück in<br />

Lassnig und der Katastrophe von Galtür<br />

vieles lernen und in unsere Übungen<br />

einbauen.“ Bei diesen Übungen kommt<br />

auch ans Tageslicht, wer belastbar ist.<br />

„Bei einem so großen Unglück wie in<br />

der Latschander muss man im Auge<br />

behalten, wer direkt vor Ort und wer in<br />

der zweiten bzw. dritten Reihe ist.“<br />

Optimale Koordination<br />

Die gemeinsame Nachbesprechung<br />

mit Feuerwehr, Rettungsdienst Weißes<br />

Kreuz, Bergrettung, Notfallpsychologen,<br />

Notfallseelsorge, Notfallmedizin, Landesnotrufzentrale<br />

und den Polizeibehörden<br />

ergab, dass der Einsatzablauf vom Technischen<br />

und Organisatorischen her gut<br />

war, zu verbessern wäre aber die Umleitung<br />

des Verkehrs.“ Die Exekutive müsste<br />

bereits an der Ausfahrt der Autobahn<br />

und der MeBo darauf hinweisen, dass<br />

der Schwerverkehr durch den Vinsch-<br />

gau nicht bzw. nur erschwert möglich<br />

ist. Die lokale Umleitung im Bereich der<br />

Gemeinden Latsch und Kastelbell muss<br />

in Absprache mit dem Straßendienst erfolgen.<br />

„Das war eine Schwachstelle bei<br />

diesem Einsatz“, bestätigt Tappeiner.<br />

Online-Kondolenzbuch<br />

Dass die Rettungskräfte nach dem Zugunglück<br />

nicht einfach zur Tagesordnung<br />

übergehen, beweist u.a. ein Eintrag<br />

der Freiwilligen und Angestellten des<br />

Landesrettungsvereins Weißes Kreuz/<br />

Bezirk Burggrafenamt und Vinschgau<br />

im Online-Kondolenzbuch. So heißt es<br />

dort wörtlich: „Ist auch alles vergänglich<br />

auf dieser Erde, die Erinnerung an liebe<br />

Menschen ist unsterblich und gibt uns<br />

Trost. Auch jetzt, in den Tagen nach dem<br />

tragischen Zugunglück, sind wir zutiefst<br />

über dieses Ereignis erschüttert. Noch<br />

immer sehen wir die Bilder der Verzweiflung<br />

und die Eindrücke, welche sich in<br />

unseren Herzen und Köpfen eingebrannt<br />

haben. Wir haben geholfen, wo Hilfe<br />

möglich war und trauern jetzt mit euch,<br />

wo unsere Hilfe nicht mehr möglich gewesen<br />

ist. So möchten wir allen Angehörigen<br />

und Betroffenen auf diesem Wege<br />

unser tiefstes Mitgefühl ausdrücken und<br />

viel Kraft, aber auch Hoffnung und Zuversicht<br />

wünschen.“<br />

32 06/2010<br />

06/2010 33

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