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Wieso wird das Gespräch am Ende des Lebens zwischen Arzt und ...

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<strong>Wieso</strong> <strong>wird</strong> <strong>das</strong> <strong>Gespräch</strong> <strong>am</strong> <strong>Ende</strong> <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong><br />

<strong>zwischen</strong> <strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> Patient so schwierig?<br />

(Klaus Bally)<br />

Sehr geehrte D<strong>am</strong>en <strong>und</strong> Herren, liebe Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen, liebe<br />

Mitglieder der Fortbildungskommission,<br />

Alle drei Schicksalsgöttinnen waren ja letztlich verantwortlich für <strong>das</strong><br />

unabwendbare Schicksal eines jeden Menschen. Bei den Römern hiessen sie<br />

Parzen, bei den Griechen Moiren.<br />

Nun – währenddem in der griechischen Mythologie noch die Frage im<br />

Vordergr<strong>und</strong> stand, ob jemand überhaupt sterben würde oder unsterblich sei,<br />

fragen wir uns heute „Wie wollen wir sterben“ <strong>und</strong> stellen dabei <strong>das</strong> <strong>Arzt</strong>-<br />

Patienten-<strong>Gespräch</strong> in den Vordergr<strong>und</strong><br />

Zurück zur griechischen Mythologie: Meleagros war der Sohn <strong>des</strong> Oineus <strong>und</strong><br />

der Althaia. Bei der Geburt bestimmte ihn Klotho zu einem edlen Menschen,<br />

Lachesis besang ihn als Helden <strong>und</strong> Atropos, der unsere heutige Fortbildung<br />

gewidmet ist, starrte ins Herdfeuer, in der ein Stück Holz brannte. Dabei sang<br />

sie: „So lange <strong>wird</strong> er leben, bis <strong>das</strong> Holzscheit völlig verbrannt ist“. Da sprang<br />

Althaia auf von ihrem Lager, raffte <strong>das</strong> Holzstück aus dem Feuer <strong>und</strong> verbarg<br />

es in einer Truhe. Später tötete Meleagros im Streit um ein Eberfell die Brüder<br />

seiner Mutter, worauf diese zur Rache <strong>das</strong> Holzstück, an <strong>das</strong> die Moire Atropos<br />

sein Leben bei der Geburt geb<strong>und</strong>en hatte, ins Feuer geworfen hat.<br />

Immerhin später bek<strong>am</strong> die Tollkirsche den N<strong>am</strong>en der Parze <strong>und</strong> wurde zur<br />

Atropa belladonna <strong>und</strong> <strong>das</strong> aus dieser Pflanze gewonnen Atropin führen wir<br />

Hausärzte in unseren <strong>Arzt</strong>koffern mit, nicht um <strong>Lebens</strong>faden abzuschneiden –<br />

was ja nicht unsere primäre Aufgabe ist; darauf werden wir später zu sprechen<br />

kommen – sondern um Leben zu erhalten, wie beispielsweise bei einer Asystolie<br />

oder einer ausgeprägten Bradykardie.<br />

Nun aber zu unserem eigentlichen Thema: Sie alle kennen den Satz, der sogar<br />

von der pharmazeutischen Werbung verwendet <strong>wird</strong>: „Nicht dem Leben Jahre<br />

geben, sondern den Jahren Leben“ – etwas extrem ausgedrückt möchte ich den<br />

Satz für unsere heutige Fortbildung umformen <strong>und</strong> sagen: es geht darum, <strong>das</strong><br />

Leben im Sterben zu sehen oder wenigstens <strong>das</strong> Sterben als eine wichtige<br />

Epoche <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong> mit einer ihr eigenen Dyn<strong>am</strong>ik anzuerkennen <strong>und</strong> nicht<br />

statisch als quasi gleichbedeutend mit Tod wahrzunehmen. Am <strong>Ende</strong> <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong><br />

ist es ja beileibe nicht so, wie der <strong>Arzt</strong> in der Fernsehserie „Der<br />

Schwarzwalddoktor“ sagt „Nun kann ich nichts mehr für Sie tun“ ; in Tat <strong>und</strong><br />

Wahrheit ist sehr viel zu tun; neben dem Tun im Sinne <strong>des</strong> englischen Wortes<br />

„curing“ findet eine Verschiebung hin zum „caring“ statt im Sinne von<br />

Betreuung <strong>und</strong> Begleitung <strong>und</strong> dabei ist ganz wesentlich <strong>und</strong> absolut zentral <strong>das</strong><br />

<strong>Gespräch</strong> <strong>des</strong> <strong>Arzt</strong>es mit seinem Patienten - <strong>und</strong> doch ist es für uns alle noch<br />

immer schwer, mit Menschen an ihrem <strong>Lebens</strong>ende zu kommunizieren, ja sie in<br />

den letzten Wochen ihres <strong>Lebens</strong> überhaupt aktiv teilnehmend zu begleiten.


Den Verantwortlichen der Fortbildungskommission der Medizinischen<br />

Gesellschaft danke ich herzlich, <strong>das</strong>s sie mich angefragt haben, hier einen<br />

kleinen Beitrag zu leisten. Vorweg gesagt bin ich kein Spezialist, weder auf dem<br />

Gebiet der <strong>Arzt</strong>-Patienten-Kommunikation noch auf dem der Palliativmedizin.<br />

Wie viele von Ihnen bin ich seit 23 Jahren als Hausarzt tätig <strong>und</strong> unterrichte<br />

neben<strong>am</strong>tlich Studierende an unserer Medizinischen Fakultät angefangen bei der<br />

„Ersten Hilfe“, einem ausgeprägt dem Leben zugewandten Gebiet, bis hin zur<br />

Palliativmedizin. Mit Frau Dr. Heike Gudat, die sie ganz bald kennenlernen<br />

werden, durfte ich in den vergangenen Jahren ein palliativmedizinisches<br />

Curriculum für Medizinstudierende vom 1. bis zum 6. Jahreskurs konzipieren<br />

<strong>und</strong> teilweise schon umsetzen.<br />

Schon zu Beginn meiner Praxistätigkeit <strong>und</strong> auch später immer wieder erfüllte<br />

mich oft ein Unbehagen, wenn ich mir Gedanken darüber machte, wie ich einen<br />

schwer kranken Menschen in seinen letzten <strong>Lebens</strong>tagen <strong>und</strong> -wochen begleitet<br />

hatte. Wie Sie alle bewahre ich die Krankenakten meiner verstorbenen Patienten<br />

an einem separaten Ort auf, angeschrieben mit „Verstorbene“. Wenn ich dann in<br />

einer ruhigen St<strong>und</strong>e diese Krankengeschichen durchschaue <strong>und</strong> mir die <strong>Lebens</strong>-<br />

<strong>und</strong> Sterbensgeschichten dieser Patienten, die mir oft sehr nahe gestanden sind,<br />

ansehe, darf ich vielleicht feststellen, <strong>das</strong>s ich <strong>das</strong> Tumorleiden zeitgerecht<br />

erkannt habe, <strong>das</strong>s ich den Patienten auch einer korrekten Behandlung zugeführt<br />

habe, bin aber oft unsicher, ob ich diesen Menschen in seinen letzten<br />

<strong>Lebens</strong>wochen seinen Bedürfnissen entsprechend sowohl somatisch wie auch<br />

psychosozial begleitet habe. Wir müssen uns bewusst sein, <strong>das</strong>s sich die<br />

Qualität dieser <strong>Lebens</strong>- <strong>und</strong> Sterbebegleitung nahezu jedem Messinstrument zur<br />

Qualitätskontrolle entzieht. Es gibt kaum bewertbare Indikatoren wie<br />

beispielsweise ein Blutdruck- oder ein Blutzuckerwert, die Überlebenszeit ist<br />

nicht von Bedeutung <strong>und</strong> auf eine Patientenbefragung im Sinne eines Swiss-<br />

PEP-Instrumentariums <strong>wird</strong> zu Recht auch verzichtet. Also reduziert sich die<br />

Qualitätskontrolle letztlich auf meinen ganz persönlichen Eindruck, meine<br />

Reflexion <strong>und</strong> meine Erfahrung mit eigenen Patienten resp. je nach Fall auf die<br />

Rückmeldungen durch die Angehörigen <strong>des</strong> sterbenden Patienten.<br />

Was ist denn für uns Ärzte in der heutigen Zeit so schwierig an diesem <strong>Gespräch</strong><br />

mit einem schwer kranken oder sterbenden Patienten? Viele erfahrene Kollegen<br />

haben immer wieder darüber geschrieben, was beispielsweise<br />

Aufklärungsgespräche für eine Belastung für sie darstellen.<br />

Der bekannte norwegische Palliativmediziner Stein Huseboe schreibt in seinem<br />

Lehrbuch:<br />

- Wir schützen uns vor etwas, <strong>das</strong> für uns unerträglich ist.<br />

- Es fehlt uns an Fachkenntnissen über die Reaktionen von Patienten.<br />

- Es fällt uns schwer, eine Niederlage einzugestehen.<br />

- Es fehlt uns an Ausbildung, Praxis <strong>und</strong> Vorbildern.<br />

- Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht.


- Es ist nicht jedermanns Sache, sich mit gefühlsmässigen Reaktionen<br />

auseinanderzusetzen.<br />

- Wir möchten nicht sterben.<br />

Wir verfügen nicht über die notwendigen kommunikativen Fertigkeiten. Peter<br />

Maguire, der berühmte vor drei Jahren verstorbene Psychiater aus Manchester<br />

hat in einer Clinical Review im BMJ 2002 aufgezeigt, <strong>das</strong>s eine Evidenz dafür<br />

besteht, <strong>das</strong>s Ärzte mit kommunikativer Kompetenz<br />

- die Probleme ihrer Patienten besser identifizieren.<br />

- die Arbeit als befriedigender empfinden <strong>und</strong> weniger stressexponiert sind.<br />

<strong>und</strong> <strong>das</strong>s deren Patienten zufriedener mit der Behandlung sind, wobei es speziell<br />

bei schwer kranken Tumorpatienten weniger zu Angst <strong>und</strong> Depressionen<br />

komme. Es ist schliesslich auch Peter Maguires Verdienst, <strong>das</strong>s mittlerweile auf<br />

der ganzen Welt entsprechende Kurse zur Erlangung einer besseren<br />

kommunikativen Kompetenz angeboten werden.<br />

Dass diese kommunikative Kompetenz über die eigentlichen<br />

Aufklärungsgespräche („delivering bad news“) hinausgeht <strong>und</strong> auch<br />

Prognosegespräche, <strong>Gespräch</strong>e über körperliche Beschwerden, psychosoziale<br />

Inhalte <strong>und</strong> auch <strong>Gespräch</strong>e im Sinne eines <strong>Lebens</strong>rückblicks beinhaltet,<br />

versteht sich von selbst.<br />

Die heute Veranstaltung trägt den Titel „Fortbildungsveranstaltung“:<br />

Fortbildung enthält neben dem Begriff der Bildung auch den Wandel, die<br />

Entwicklung <strong>und</strong> daher möchte ich Ihnen anhand einiger Beispiele aufzeigen,<br />

welcher Wandel vorgeht in der <strong>Arzt</strong>-Patienten-Beziehung <strong>und</strong> in den<br />

Anfordernissen an ein <strong>Arzt</strong>-Patienten-<strong>Gespräch</strong>:<br />

Um den von mir angesprochenen Wandel aufzuzeigen, habe ich mir lange<br />

überlegt, ob ich Geschichten meiner eigenen Patienten darlegen soll oder<br />

Beispiele aus der Literatur. Ich habe mich für den zweiten Weg entschieden in<br />

der Annahme, <strong>das</strong>s Ihnen viele der von mir angesprochenen Geschichten<br />

vertraut sind <strong>und</strong> <strong>das</strong>s es uns so eher gelingt, eine gemeins<strong>am</strong>e Wirklichkeit zu<br />

schaffen. Achten Sie bitte darauf, welcher Wandel vorgeht in der Beziehung der<br />

einzelnen Ärzte zu ihren Patienten, inbesondere aber auch wie die Patienten ihre<br />

Ärzte wahrnehmen resp. inwiefern die Ärzte in den <strong>Gespräch</strong>en den<br />

Erwartungen ihrer Patienten entsprechen.<br />

Leo Tolstoi schrieb <strong>Ende</strong> <strong>des</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die Geschichte vom Tod <strong>des</strong><br />

Iwan Iljitsch. Dieser Iwan Iljitsch, der als Staatsanwalt in einer gewissen<br />

Behaglichkeit <strong>und</strong> Ruhe lebt, den Freuden <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong> frönt, erkrankt schwer. Er<br />

fürchtet Sterben <strong>und</strong> Tod über alle Massen <strong>und</strong> erklärt sich sein frühes Sterben<br />

d<strong>am</strong>it, <strong>das</strong>s er in seinem Leben zuwenig Gutes getan habe, <strong>das</strong>s er sein Leben<br />

verwirkt habe. Vor nunmehr über 120 Jahren stellt Tolstoi den <strong>Arzt</strong> <strong>des</strong> Iwan<br />

Iljitsch als Heuchler dar <strong>und</strong> beschreibt ihn folgendermassen:


„Iwan Ilijtsch fuhr hin. Es k<strong>am</strong> alles so, wie er es erwartet hatte; alles war so,<br />

wie es immer gemacht <strong>wird</strong>. Die Erwartung, die ihm so wohlbekannte gemachte<br />

Würde <strong>des</strong> <strong>Arzt</strong>es, die er auch bei sich im Gesicht kannte, <strong>das</strong> Beklopfen <strong>und</strong><br />

Behorchen, die Fragen, die vorher bestimmte <strong>und</strong> offenbar überflüssige<br />

Antworten heischte, die bedeuts<strong>am</strong>e Miene, die zu verstehen gab: überantworten<br />

Sie sich bloss uns, <strong>und</strong> wir bringen alles in Ordnung; wir wissen ganz genau,<br />

wie alles gemacht werden muss, alles in derselben Weise bei jedem Menschen,<br />

wer es auch sei – es war alles genau so wie beim Gericht. Dieselbe Miene, die er<br />

im Gerichtsaal dem Angeklagten gegenüber aufsteckte, zeigte der berühmte <strong>Arzt</strong><br />

ihm. Der Doktor sagte: Das <strong>und</strong> <strong>das</strong> weist darauf hin, <strong>das</strong>s in Ihrem Inneren <strong>das</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>das</strong> vorhanden ist; wenn es aber durch die Untersuchungen von dem <strong>und</strong><br />

dem nicht bestätigt werden sollte, <strong>wird</strong> man <strong>das</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> annehmen müssen; ist<br />

aber <strong>das</strong> ,so… <strong>und</strong> so weiter. Für Iwan Iljitsch war nur eine Frage wichtig: war<br />

sein Zustand gefährlich oder nicht? Aber der Doktor überhörte die unpassende<br />

Frage. Vom Standpunkt <strong>des</strong> Doktors war diese Frage überflüssig <strong>und</strong> stand nicht<br />

zur Erörterung; für ihn galt es nur die Wahrscheinlichkeit abzuwägen: ob es eine<br />

Wanderniere, ein chronischer Katarrh oder ein Leiden <strong>des</strong> Blinddarms war. Für<br />

ihn war die Frage nach Leben <strong>und</strong> Tod <strong>des</strong> Iwan Iljitsch nicht vorhanden,<br />

sondern bloss der Streit <strong>zwischen</strong> Wanderniere <strong>und</strong> Blinddarm.“<br />

Nun – was will uns Leo Tolstoi d<strong>am</strong>it über diesen <strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> seinen Patienten<br />

miteilen:<br />

- Der <strong>Arzt</strong> findet nie auch nur die geringste gemeins<strong>am</strong>e Wirklichkeit mit<br />

seinem Patienten; er spricht an ihm vorbei, nimmt seine berechtigten<br />

Ängste nicht wahr <strong>und</strong> versteckt sich <strong>und</strong> seine Angst hinter den<br />

medizinischen Fachbegriffen der Wanderniere <strong>und</strong> der<br />

Blinddarmentzündung. Eine Vertrauensbasis kommt nicht zu Stande –<br />

eigentlich erstaunlich wie Leo Tolstoi <strong>das</strong> vor 120 Jahren moniert hat!<br />

Walter Matthias Diggelmann, in den 60er <strong>und</strong> 70er Jahren eine der wichtigsten<br />

linksintellektuellen Stimmen in unserem Land, der sich nach einer<br />

problematischen Jugend zeitlebens als Ausgeschlossener vork<strong>am</strong>, verstarb 1979<br />

an den Folgen eines metastasierenden Bronchialcarcinoms , wurde im<br />

Universitätsspital Zürich von den d<strong>am</strong>als tonangebenden Koryphäen der<br />

Neurologie <strong>und</strong> Neurochirurgie behandelt <strong>und</strong> schrieb seine Erfahrungen im<br />

Buch „Schatten – Tagebuch einer Krankheit“ nieder. Wie erlebt Diggelmann<br />

seine Ärzte <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Gespräch</strong> mit ihnen?<br />

„Natürlich konnten diese hehren Wissenschaftler auch heute wieder nicht zu<br />

einer Entscheidung gelangen. Man weiss nicht, wie es weitergehen soll. Mich<br />

fragt man nicht. Auf meine Bedürfnisse nimmt man keine Rücksicht, auf meine<br />

Wünsche geht man nicht ein…. Statt Fantasie haben diese Leute nur sterile<br />

Operationssäle, <strong>und</strong> ihr ganzes Interesse gilt der Frage, ob ein Patient sich vor<br />

der <strong>Arzt</strong>visite gewaschen hat oder nicht. Die Kalorien werden abgezählt, <strong>das</strong><br />

Gewicht gemessen, aber von den grossen Zus<strong>am</strong>menhängen, <strong>das</strong>s der Mensch


davon lebt, wie er sich fühlt, wann <strong>und</strong> unter welchen Umständen er sich<br />

glücklich fühlt, darüber denken diese Leute nicht nach“ <strong>und</strong> später „ Ich glaube,<br />

<strong>das</strong>s die Angst <strong>des</strong> Patienten ihre Entsprechung in der Angst <strong>des</strong> <strong>Arzt</strong>es hat. Der<br />

<strong>Arzt</strong> hat Angst vor dem Patienten, weil er glaubt, der Patient erwarte zuviel von<br />

ihm. Er hat Angst, dem Patienten zu sagen, <strong>das</strong>s er ihm möglicherweise nicht<br />

helfen kann…..Ein <strong>Arzt</strong> muss eigentlich denken wie ein Schriftsteller, wie ein<br />

Dichter. Er muss sich den Menschen, den Patienten angucken, muss mit ihm<br />

sprechen, meinetwegen st<strong>und</strong>enlang. Er muss ihn kennen lernen, ihn auch so<br />

gründlich wie möglich untersuchen <strong>und</strong> dann muss er ihm eine Geschichte<br />

erzählen, seine Geschichte, die Geschichte <strong>des</strong> Patienten. Vieles muss in diese<br />

Geschichte eingehen: die Aussagen <strong>des</strong> Patienten, <strong>das</strong> Ergebnis der<br />

medizinischen Untersuchung, <strong>das</strong> Wissen <strong>und</strong> die Erfahrung <strong>des</strong> <strong>Arzt</strong>es, vor<br />

allem aber seine <strong>Lebens</strong>erfahrung, auch seine Ängste <strong>und</strong> <strong>das</strong> Bewusstsein <strong>des</strong><br />

Scheiterns…“<br />

Sicher verlangt Diggelmann hier sehr viel von uns Ärzten – <strong>das</strong>s wir uns von<br />

unseren Patienten deren Geschichten erzählen lassen sollen, ist ein berechtigter<br />

Anspruch, <strong>das</strong>s wir aber dem Patienten seine Geschichte erzählen sollen – <strong>das</strong><br />

<strong>wird</strong> kaum wirklich gelingen.<br />

Dieser Text wurde geschrieben, als ich Medizinstudierender war. Von<br />

Kommunikationskursen wusste d<strong>am</strong>als noch niemand etwas. Das Sterben eines<br />

Patienten war in der Regel negativ besetzt, es war Ausdruck eines medizinischen<br />

Misserfolgs – auf der anderen Seite gab es Vorbilder, viele unserer d<strong>am</strong>aligen<br />

Chef- <strong>und</strong> Oberärzte waren Vorbilder im Umgang auch mit sterbenden<br />

Patienten. Es erwachte ein Bewusstsein für die Bedeutung <strong>des</strong> ärztlichen<br />

<strong>Gespräch</strong>s <strong>am</strong> <strong>Lebens</strong>ende.<br />

Stand bei Walter Matthias Diggelmann die Angst, die Unsicherheit, <strong>das</strong> auf ihn<br />

zukommende Unbekannte ganz im Vordergr<strong>und</strong>, was auch sein heftiges<br />

Aufbäumen <strong>und</strong> die Verurteilung der ihn behandelnden Ärzte erklärt, bringt<br />

Peter Noll, der bekannte Basler Strafrechtler, der an der Universität Zürich<br />

lehrte, in seinem Buch „Diktate über Sterben <strong>und</strong> Tod“, <strong>das</strong> er vor seinem Tod<br />

an einem Tumorleiden 1982 schrieb, sehr deutlich zum Ausdruck, <strong>das</strong>s er bereit<br />

sei, Sterben <strong>und</strong> Tod in absehbarer Zeit zu akzeptieren, wenn er sich dafür<br />

keiner verstümmelnden Operation unterziehen müsse – es ging um eine radikale<br />

Zystektomie. Er schreibt in diesem Buch etwas, <strong>das</strong> mir ganz wichtig scheint für<br />

unsere tägliche Arbeit:<br />

„Das <strong>Gespräch</strong> <strong>zwischen</strong> einem, der weiss, <strong>das</strong>s seine Zeit bald abläuft, <strong>und</strong><br />

einem, der noch eine unbestimmte Zeit vor sich hat, ist sehr schwierig. Das<br />

<strong>Gespräch</strong> bricht nicht erst mit dem Tod ab, sondern schon vorher. Es fehlt ein<br />

sonst stillschweigend vorausgesetztes Gr<strong>und</strong>element der Gemeins<strong>am</strong>keit. Nach<br />

dem üblichen Ritual <strong>des</strong> Sterbens müssen beide, der Sterbende <strong>und</strong> der<br />

Weiterlebende, sich an bestimmte Regeln halten: doch sind die Regeln anders<br />

als beim Fussball, ganz verschieden, so<strong>das</strong>s kein Zus<strong>am</strong>menspiel entsteht. Auf


eiden Seiten <strong>wird</strong> viel Heuchelei verlangt. Darum auch die gequälten<br />

<strong>Gespräch</strong>e an den Spitalbetten. Der Weiterlebende ist froh, wenn er wieder<br />

draussen ist <strong>und</strong> der Sterbende versucht einzuschlafen.“<br />

Max Frisch, schreibt in seiner Trauerrede über Peter Noll: „Er wollte nicht<br />

sterben als entmündigtes Objekt der Medizin“ <strong>und</strong> in einem anderen Satz sagt<br />

Frisch über Peter Noll: „Aus seinen hellen Augen trifft uns der Blick eines<br />

Befreiten, der zu wissen wagt, was er weiss, <strong>und</strong> uns ein Gleiches zutraut.“<br />

Hier also der Sterbende als Lehrmeister. Clara Obermüller, die mit Walter<br />

Matthias Diggelmann verheiratet war sagt: Wir, die Überlebenden, können nicht<br />

weiterhin so tun, als wüssten wir nicht, was auf uns zukommt. Sie, die<br />

Sterbenden lehren uns, <strong>das</strong>s der Tod zum Leben gehört. Sie lehren uns, dieses<br />

Wissen anzunehmen <strong>und</strong> mit ihm weiterzuleben.<br />

Ich selbst bin immer wieder beeindruckt <strong>und</strong> betrachte mich als privilegiert,<br />

wenn ich Menschen in den letzten <strong>Lebens</strong>wochen begleiten darf. Und wenn ich<br />

dann erleben darf, wie diese Menschen ihre Endlichkeit anzunehmen bereit sind<br />

<strong>und</strong> mit einer gewissen Selbstverständlichkeit auch darüber sprechen, was nach<br />

ihrem Tod sein soll, ist dies einerseits ergreifend aber auch ermutigend <strong>und</strong> es<br />

hilft uns in unserer Rolle als Ärzte, diesen wichtigen <strong>Lebens</strong>fragen nicht mit<br />

allzu grosser Scheu zu begegnen. Unlängst habe ich ein längeres <strong>Gespräch</strong> mit<br />

einer Patientin geführt, die unter einem metastasierenden Tumor leidet <strong>und</strong> sich<br />

dagegen ausgesprochen hat, eine im Coecum lokalisierte Metastase operieren zu<br />

lassen <strong>und</strong> es war dabei irgendwie für die Patientin <strong>und</strong> mich erleichternd, nicht<br />

mehr darüber sprechen zu müssen, welche Therapiemodalitäten nun noch zur<br />

Verfügung stehen würden, sondern ganz einfach über <strong>das</strong>, was ihr im Leben<br />

wichtig ist <strong>und</strong> was sie in der ihr noch verbleibenden Zeit zu verwirklichen<br />

gedenke.<br />

Auch Harold Brodkey, der berühmte <strong>am</strong>erikanische Schriftsteller, schilderte die<br />

Distanz der ärztlichen Sachlichkeit zu seinem effektiven Befinden sehr<br />

eindrücklich: „Tag für Tag, so will es unser Pakt, geben wir (<strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> Patient)<br />

uns in diesem Krankenhauszimmer terminologisch mit Details ab, unter<br />

Umgehung der unbeantworteten Fragen. Die Bedeutung der Blutwerte, der T-<br />

Zellen-Zahl, <strong>des</strong> Vorhandenseins von Antigenen u.s.w…… <strong>und</strong> die ganze Zeit<br />

über ist aus dem Augenwinkel der Ausgang zu erspähen, <strong>das</strong> weitere Schicksal,<br />

<strong>das</strong> man manchmal Bestimmung nennt, geschlängelt um den Äskulapstab, der<br />

gezielt in den gekränkten Leib gestochen <strong>wird</strong>“. Was Brodkey mit diesem<br />

ungewohnten Bild vom zustechenden Aeskulap genauer meint, sagt er an einer<br />

anderen Stelle: „ Medizin <strong>und</strong> Natur stossen uns gewalts<strong>am</strong> an den Rand <strong>des</strong><br />

<strong>Lebens</strong>“. Mit diesen Worten beschreibt er was viele Patienten heute erfahren,<br />

nämlich <strong>das</strong>s sie kaum mehr unterscheiden können, ob es letztlich die Krankheit<br />

oder die Medizin ist, die sie umbringt. Gerade wegen den letzten heroischen


Anstrengungen unserer hochtechnisierten Medizin zur <strong>Lebens</strong>verlängerung ist<br />

sie auch zum Schreckgespenst geworden. Brodkey schreibt später: „Zu allen<br />

Zeiten habe ich Narkose <strong>und</strong> Operationen mehr gefürchtet als den Tod.“ Diese<br />

Gefühle sind möglicherweise auch Nährboden für <strong>das</strong> Bedürfnis so vieler<br />

Patienten, eine Patientenverfügung zu verfassen. Zum Tod selber sagt Brodkey,<br />

der mehr Mühe hat, die ärztlichen Bemühungen als <strong>das</strong> Sterben <strong>und</strong> den Tod<br />

selbst zu akzeptieren „Ich will den Tod nicht loben, aber in unmittelbarer Nähe<br />

verleiht er den St<strong>und</strong>en ein gewisse Schönheit – die auch wenn sie keiner<br />

anderen Art von Schönheit gleichen mag, überwältigend ist“.<br />

Und dann – „Tanner geht“ - ein im Jahre 2008 erschienenes Büchlein <strong>des</strong><br />

deutschen Journalisten Wolfgang Posinger mit den Unertiteln „Sterbehilfe – ein<br />

Mann plant seinen Tod – wenn eine Reise in die Schweiz der letzte Ausweg ist“.<br />

Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie einen Dialog von <strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> Patient<br />

vermissen. Nicht enttäuscht von der ärztlichen Behandlung oder einer<br />

unzureichenden Kommunikation, nein ohne die ärztliche Behandlung <strong>und</strong><br />

Begleitung auch nur anzusprechen, berichtet Posinger über die letzten<br />

<strong>Lebens</strong>wochen <strong>des</strong> schwer kranken Ulrich Tanner aus Deutschland , der sich für<br />

eine Freitodbegleitung in der Schweiz entschieden hat.<br />

Wenn wir einen Bogen über all diese Bücher spannen, so hat Leo Tolstoi wohl<br />

<strong>am</strong> eindrücklichsten <strong>das</strong> ärztliche Unvermögen vor allem im kommunikativen<br />

Bereich beschrieben <strong>und</strong> der arme Ivan Iljich war diesem <strong>Arzt</strong> bedingungslos<br />

ausgeliefert – erstaunlicherweise war es bei Walter Matthias Diggelmann fast 90<br />

Jahre später nicht wesentlich besser, währenddem Peter Noll <strong>und</strong> auch Harold<br />

Brodkey ein grosses Mass an Autonomie erkennen lassen, indem sie nicht wie<br />

W.M. Diggelmann wütend sind über ihren <strong>Arzt</strong>, sondern den <strong>Arzt</strong> als Fre<strong>und</strong><br />

mit den ihm eigenen Unzulänglichkeiten anerkennen <strong>und</strong> eine Perspektive zu<br />

Sterben <strong>und</strong> Tod entwickeln, die unabhängig ist von der kommunikativen<br />

Kompetenz <strong>des</strong> <strong>Arzt</strong>es. Wolfgang Posinger schliesslich, die Geschichte <strong>des</strong><br />

Ulrich Tanner erzählend, reduziert den <strong>Arzt</strong> auf seine Funktion, <strong>das</strong><br />

Natriumpentobarbital zu rezeptieren <strong>und</strong> erwartet schon gar keine psychosoziale<br />

Unterstützung mehr.<br />

Nun – Sie erkennen den Wandel in der Beziehung <strong>des</strong> <strong>Arzt</strong>es zu seinem<br />

Patienten – wer die grösseren Entwicklungsschritte mitmacht, ist offensichtlich<br />

<strong>und</strong> ganz eindeutig der Patient <strong>und</strong> nicht der <strong>Arzt</strong>. Ärzte sind über all die Jahre<br />

ihren schwer kranken Patienten in gleicher Art begegnet, währenddem die<br />

Patienten <strong>und</strong> d<strong>am</strong>it meine ich auch unsere Patienten oft einen gehörigen Schritt<br />

hin zur Akzeptanz <strong>des</strong> Sterbens geleistet haben. Insges<strong>am</strong>t können wir hier den<br />

Weg von einer unheilvollen Abhängigkeit <strong>des</strong> Patienten von seinem <strong>Arzt</strong>,<br />

gepaart mit einem grotesken Mangel an Einfühlungsvermögen von Seiten <strong>des</strong><br />

<strong>Arzt</strong>es hin zu einer die Oberhand gewinnenden Autonomie <strong>des</strong> Patienten<br />

verfolgen. Manchmal habe ich den Eindruck, <strong>das</strong>s wir Ärzte noch immer wie zu<br />

Iwan Iljitschs Zeiten handeln <strong>und</strong> uns schwer tun, <strong>das</strong> <strong>Gespräch</strong> mit unseren


Patienten über die eigentlichen medizinisch-technischen Details hinaus zu<br />

suchen, währenddem unsere Patienten gleichzeitig eine Autonomie <strong>und</strong> oftmals<br />

eine Unabhängigkeit von uns entwickeln, die auf uns einerseits erschreckend<br />

wirken kann, die aber auch Gr<strong>und</strong>lage sein kann für offene, vertiefte <strong>und</strong> die<br />

echten <strong>Lebens</strong>fragen tangierende <strong>Gespräch</strong>e.<br />

Auch wenn die Akademie der Medizinischen Wissenschaften in ihren 2004<br />

verabschiedeten Richtlinien zur Betreuung von Menschen <strong>am</strong> <strong>Lebens</strong>ende<br />

anerkennt, <strong>das</strong>s <strong>am</strong> <strong>Lebens</strong>ende für den Betroffenen eine unerträgliche Situation<br />

entstehen kann, in der der Wunsch nach Suizidbeihilfe entstehen <strong>und</strong> dauerhaft<br />

bestehen bleiben kann, ist der Wunsch nach assistiertem Suizid für viele von uns<br />

noch ein Tabu, mit dem wir nur äusserst schwer umgehen können.<br />

Nietzsche als Vordenker schrieb in seiner Lehre „vom Sterben zur rechten Zeit“:<br />

„Wenn <strong>das</strong> Werk <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong> getan ist, gilt es, dem natürlichen <strong>und</strong><br />

unvernünftigen Tod zuvorzukommen <strong>und</strong> den freiwilligen Tod zu sterben.“<br />

Nun – einerseits bejahen <strong>und</strong> fördern wir die Autonomie unserer Patienten;<br />

dieses wichtigste ethische Prinzip gilt es hochzuhalten; andererseits haben wir<br />

grosse Mühe, mit den Wünschen unserer autonomen Patienten nach<br />

Suizidbeihilfe umzugehen. Immer in solchen Situationen <strong>wird</strong> der Ruf nach<br />

Palliativmedizin laut. Nun – wie Markus Zimmermann vom Institut für<br />

Sozialethik der Universität Luzern in einem vor wenigen Wochen erschienenen<br />

Editorial zu Recht schreibt, schliessen sich eine gut ausgebaute Palliative Care<br />

<strong>und</strong> Suizidbeihilfe nicht aus - Länder wie Holland <strong>und</strong> Belgien bestätigen dies - ,<br />

sondern befördern sich sogar gegenseitig. Schliesslich reagieren beide<br />

Bewegungen mit ganz unterschiedlichen Strategien auf dieselben Probleme,<br />

nämlich Abhängigkeit, Autonomieverlust <strong>und</strong> Leiden <strong>am</strong> <strong>Lebens</strong>ende. Es<br />

werden nur zwei unterschiedliche Wege angeboten, mit der letzten <strong>Lebens</strong>phase<br />

umzugehen – der der palliativmedizinischen Betreuung <strong>und</strong> Begleitung <strong>und</strong><br />

derjenige der <strong>Lebens</strong>verkürzung beispielsweise durch assistierten Suizid.<br />

Tatsache ist, <strong>das</strong>s Abhängigkeit, Autonomieverlust, Pflegebedürftigkeit,<br />

Depressivität, Schmerzen <strong>und</strong> Leiden in unserem Denken heute noch negativer<br />

bewertet werden, als dies früher der Fall war. Sollten wir nicht unseren Kindern<br />

eines Tages sagen dürfen „Ich brauche Hilfe; ich kann nicht mehr alleine zur<br />

Toilette gehen“. Wir möchten diese <strong>Lebens</strong>phase soweit wie möglich<br />

hinausschieben oder gar gänzlich verhindern. Besuche in Pflegeheimen <strong>und</strong> die<br />

Betreuung demenzkranker Menschen lassen gerade uns als Ärzte immer wieder<br />

erkennen, <strong>das</strong>s sich weder für uns noch für die Gesellschaft die Konfrontation<br />

mit Abhängigkeit <strong>und</strong> Autonomieverlust vollständig eliminieren lässt. Auch<br />

wenn wir heute nicht wissen, wie wir selbst derzeit in einer solchen Situation<br />

entscheiden werden – so wir überhaupt dann noch entscheidungs- <strong>und</strong><br />

urteilsfähig sind – ist es wahrscheinlich auch unsere Aufgabe, mit unseren<br />

Patienten <strong>und</strong> deren Angehörigen eine Kultur <strong>des</strong> Wartens auf den Tod zu<br />

entwickeln. Würdiges Sterben bedeutet ja wohl nicht – wie es die<br />

Sterbehilforganisation Dignitas anbietet, die den Begriff der Würde zu ihrem<br />

N<strong>am</strong>en gemacht hat, dem Sterbensprozess möglichst bald ein <strong>Ende</strong> zu setzen,


sondern vielmehr, Abhängigkeit, Autonomieverlust <strong>und</strong> Pflegebedürftigkeit als<br />

gr<strong>und</strong>legend menschliche Züge anzuerkennen. In To<strong>des</strong>anzeigen lesen wir<br />

immer wieder den Satz „Er hat den K<strong>am</strong>pf gegen die heimtückische Krankheit<br />

verloren“; sollten wir <strong>das</strong> nicht ersetzen durch ein Leben <strong>und</strong> Sterben mit der<br />

Krankheit <strong>und</strong> allen d<strong>am</strong>it verb<strong>und</strong>enen Einschränkungen. Noch ein Wort zum<br />

Buch „Tanner geht“. Dieser Ulrich Tanner hat edle Motive, seinem Leben ein<br />

<strong>Ende</strong> zu setzen - er möchte der Gemeinschaft der Überlebenden nicht zur Last<br />

fallen. So gut <strong>das</strong> aus der individuellen Perspektive <strong>des</strong> Betroffenen zu verstehen<br />

ist, so gefährlich ist es, wenn dieses Denken zum allgemein gesellschaftlichen<br />

Credo <strong>wird</strong> <strong>und</strong> Pflege sowie Zuwendung als positiv besetzte Begriffe ersetzt<br />

werden durch <strong>das</strong> ausgesprochen negativ besetzte „Zur Last fallen“.<br />

Nun – kommen wir zurück zu unserer Gr<strong>und</strong>frage: Warum ist <strong>das</strong> <strong>Gespräch</strong> <strong>am</strong><br />

<strong>Ende</strong> <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong> so schwierig – oder – ist <strong>das</strong> <strong>Gespräch</strong> <strong>am</strong> <strong>Ende</strong> <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong><br />

schwieriger geworden? Wenn ich nun nochmals in den Keller steige, um mir die<br />

Krankengeschichten meiner verstorbenen Patienten anzusehen, darf ich sagen:<br />

Es bleibt schwierig, dieses <strong>Gespräch</strong> mit den Patienten <strong>am</strong> <strong>Lebens</strong>ende –<br />

schwierig, weil gerade für uns Hausärzte, die wir unsere Patienten oft über Jahre<br />

<strong>und</strong> Jahrzehnte betreut haben, der Verlust einer Beziehung zu einem Patienten<br />

schwer erträglich ist; schwierig, auch weil wir <strong>das</strong> Gefühl der Niederlage, <strong>des</strong><br />

Misserfolgs nicht vollständig aus unserem ärztlichen Denken <strong>und</strong> Fühlen<br />

eliminieren können <strong>und</strong> schliesslich, weil unser eigenes Sterben für uns selbst<br />

noch mit allzu vielen Unbekannten verknüpft ist.<br />

Zudem ist <strong>das</strong> <strong>Gespräch</strong> sicher nicht einfacher geworden, da die Werthaltungen<br />

<strong>und</strong> die Erwartungen unserer Patienten insges<strong>am</strong>t vielfältiger als früher sind;<br />

Die Handlungsoptionen haben durch die Fortschritte der Medizin aber auch<br />

durch die gesellschaftliche Akzeptanz der Möglichkeiten, dem Leben frühzeitig<br />

ein <strong>Ende</strong> zu setzen, zugenommen.<br />

Immer wieder hören wir den Satz: Es wäre alles viel einfacher, wenn der Tod<br />

wieder den ihm zugehörigen selbstverständlichen Platz in unserer Gesellschaft<br />

einnehmen würde. Dabei vergessen wir, <strong>das</strong>s wir nicht im Mittelalter leben, als<br />

Sterben <strong>und</strong> Tod durch Seuchen, Krieg <strong>und</strong> Hungersnot omnipräsent waren.<br />

Sterben <strong>und</strong> Tod <strong>des</strong> Iwan Iljitsch, aber auch von W.M. Diggelmann, Peter Noll,<br />

Harold Brodkey <strong>und</strong> Ulrich Tanner werden als tragisch wahrgenommen, da<br />

jahrlang bestehende Beziehungen durch den Tod auseinandergerissen werden.<br />

Vor allem durch die enormen Fortschritte der Medizin nach dem 2. Weltkrieg<br />

wurden Sterben <strong>und</strong> Tod im medizinischen Denken weit in den Hintergr<strong>und</strong><br />

gedrängt <strong>und</strong> nahezu negiert. Es bedurfte grosser Schritte, den Tod als<br />

natürlichen Bestandteil <strong>des</strong> <strong>Lebens</strong> wieder zuzulassen. Sterben <strong>und</strong> Tod<br />

überhaupt zu thematisieren <strong>und</strong> anzunehmen, war <strong>und</strong> ist ja eine der grossen<br />

Aufgaben der Hospizbewegung – Sie werden im nächsten Referat mehr<br />

erfahren. Nach dem negierten, später zugelassenen <strong>und</strong> angenommenen Sterben<br />

sind wir heute konfrontiert mit der Tatsache <strong>des</strong> geplanten To<strong>des</strong>, nicht nur im


Rahmen <strong>des</strong> assistierten Suizids, auch <strong>das</strong> zunehmende Autonomiebedürfnis <strong>und</strong><br />

<strong>das</strong> Interesse an Patientenverfügungen bringen dies zum Ausdruck.<br />

Ein Wort zu den Patientenverfügungen: Patientenverfügungen werden verfasst<br />

in Anerkennung der Tatsache, <strong>das</strong>s Leben endlich ist. Ich habe schon viele<br />

Patientenverfügungen mit Patienten ausgefüllt <strong>und</strong> nehme mir auch die nötige<br />

Zeit dafür. Noch nie hat sich ein Patient von mir dahingehend geäussert, <strong>das</strong>s er<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich lebensverlängernde Massnahmen wünsche resp. bei<br />

Schluckunfähigkeit die Einlage einer PEG-Sonde fordere. Das zunehmende<br />

Bedürfnis nach Patientenverfügungen darf nicht als Misstrauen gegenüber der<br />

Ärzteschaft bewertet werden, sondern ist Ausdruck eines Wertewandels <strong>und</strong><br />

zwar weg vom negierten nicht thematisierten Tod hin zum zugelassenen,<br />

bejahten <strong>und</strong> schliesslich sogar geplanten Tod.<br />

Das <strong>Gespräch</strong> mit Menschen an ihrem <strong>Lebens</strong>ende <strong>wird</strong> auf der einen Seite, wie<br />

wir gehört haben schwerer, auf der anderen Seite <strong>wird</strong> es aber auch leichter;<br />

zumin<strong>des</strong>t kann ich <strong>das</strong> aus meiner persönlichen Erfahrung sagen. Wie auch in<br />

den Literaturbeispielen erwähnt sind zunehmend mehr Menschen bereit, ihr<br />

Sterben <strong>und</strong> den nahenden Tod anzunehmen <strong>und</strong> auch darüber zu sprechen. Das<br />

gibt uns Ärzten die Möglichkeit, mit diesen Menschen nicht ausschliesslich über<br />

Symptome, Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Behandlungsoptionen zu sprechen, sondern darüber<br />

hinaus über ihr gelebtes Leben, über Erreichtes <strong>und</strong> Unerreichtes, über ihre<br />

Beziehungen zu anderen Menschen <strong>und</strong> über die Vorstellung, was nach ihrem<br />

Tod sein <strong>wird</strong>.<br />

Wenn es uns gelingt – <strong>und</strong> hier schlage ich kurz vor dem <strong>Ende</strong> meines Vortrages<br />

einen Bogen zum Referat von Prof. Hügli – mit unseren Patienten <strong>Gespräch</strong>e<br />

über die Sinnfrage in Leben <strong>und</strong> Sterben, über Glück <strong>und</strong> Unglück zu sprechen,<br />

wenn wir <strong>das</strong> Zimmer <strong>des</strong> Sterbenden nicht zögernd betreten, sondern mit<br />

Interesse, werden uns <strong>das</strong> unsere Patienten danken <strong>und</strong> auch uns selbst <strong>wird</strong><br />

eines Tages möglicherweise besser gelingen, den <strong>Lebens</strong>abschnitt <strong>des</strong> Sterbens<br />

zu bejahen <strong>und</strong> auf den Tod zu warten.<br />

Ihnen allen danke ich fürs Zuhören <strong>und</strong> ganz speziell danke ich meinen vielen<br />

Patienten, die ich den letzten 23 Jahren in ihrem Sterben als Hausarzt begleiten<br />

durfte. Wahrscheinlich waren sie meine grössten Lehrmeister nicht nur für den<br />

ärztlichen Alltag sondern auch für mein eigenes Leben <strong>und</strong> vielleicht dereinst<br />

auch Sterben.

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