28.03.2013 Aufrufe

Heft 2 (PDF, 5,32 MB) - Speyer

Heft 2 (PDF, 5,32 MB) - Speyer

Heft 2 (PDF, 5,32 MB) - Speyer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

48 Kultur<br />

________________________________________________________________________________________________________________________________________________<br />

Früher war alles – stopp – nein, früher<br />

war nicht alles besser, nur vieles anders.<br />

Wenn Sie so in den Dreißiger, Vierziger<br />

Jahren - plus minus X - geboren sind,<br />

dann war der Start in die Kindheit in<br />

Kriegs- und Nachkriegszeiten auch für Sie<br />

bestimmt nicht so einfach. Zweifellos<br />

wurden wir geliebt, sicherlich auch nicht<br />

zu knapp, in Watte gepackt wurden wir<br />

nicht. Die Eltern waren unsere stabilisierende<br />

Sicherheit, kein Rundum-Sorglos-<br />

Paket.<br />

Wir konnten uns nicht spontan mit unseren<br />

Freunden verabreden, denn sie hatten<br />

kein Telefon, wir auch nicht. Wir wurden<br />

nicht gebracht und geholt – womit<br />

auch?<br />

Wir trafen uns einfach so. Kamen wir<br />

durchnässt und verdreckt nach Hause,<br />

strahlte unsere Mutter uns nicht an, sondern<br />

verzog das Gesicht. Sie kannte das<br />

TV-Vorbild aus der Waschpulver-Werbung<br />

nicht – woher auch?<br />

Wir holten uns blutige Knie auf geschotterten<br />

Schulhöfen und blaue Schienbeine<br />

im handfesten Streit. Das führte nicht zu<br />

emotionalen Elterngesprächen. Wir<br />

rutschten auf Nachbars Treppe aus und<br />

niemand wurde dafür verklagt. Die Erwachsenen<br />

- der Lehrer, der Schupo, der<br />

Nachbar – sie alle hatten ohnehin erst<br />

mal Recht. Wurden wir schlecht behandelt<br />

oder ausgelacht, tröstete uns die<br />

Mutter aber sie schleppte uns nicht zum<br />

Kinderpsychologen.<br />

Auch mit der Fünf in Mathe mussten wir<br />

klarkommen und den Rüffel einstecken,<br />

denn niemand fragte teilnahmsvoll „wie<br />

wir damit umgehen“.<br />

„Emser Salz“ schmeckte scheußlich, war<br />

aber gut gegen Halsweh.<br />

Das interessierte weder den Arzt noch<br />

den Apotheker.<br />

Gute alte Zeit<br />

Wir mussten das anziehen, was da war –<br />

geändert, geerbt, selbstgenäht, manchmal<br />

kratzig. Wichtig waren eine ordentliche Frisur,<br />

geputzte Schuhe und „sei nicht vorlaut,<br />

iss Deinen Teller leer, grüß’ höflich die<br />

Nachbarn.“<br />

Es gab keine Kinder-Sturzhelme, keine<br />

Stützräder und keine Schwimmflügel; trotzdem<br />

lernten wir Rad fahren und schwimmen.<br />

Wir tranken Wasser aus dem Wasserhahn<br />

und gelegentlich aus Bächen und wir aßen<br />

Lebensmittel ohne aufgedrucktes Haltbarkeitsdatum.<br />

Meine Mutter entfernte die<br />

Schimmelstellen vom Gelee und schmiss<br />

nicht das ganze Glas weg und sie schnitt<br />

sparsam die faulen Stellen aus dem Apfel<br />

und gab uns den Rest. Schenkte uns jemand<br />

Süßigkeiten, stopften wir sie in uns<br />

hinein. War einer von uns zu dick? Ich glaube<br />

nicht. Und wer zu mager war, war es<br />

nicht freiwillig.<br />

Wir trauten uns manches nicht zu fragen<br />

und bekamen doch alles heraus, was wir<br />

wissen wollten. Wir testeten unsere Grenzen<br />

aus, ohne dass jedes Problemchen zum<br />

Konflikt erhoben und ausdiskutiert wurde.<br />

Das meiste verwuchs sich.<br />

Hat uns das alles stärker und belastbarer<br />

gemacht? Irgendwie schon.<br />

Ich hab’ es jedenfalls überlebt und Sie, die<br />

Sie das hier lesen und zu meiner Generation<br />

gehören, auch. Gratuliere!<br />

Helga F. Weisse

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!