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Verjährung und Verwirkung von Unterhaltsansprüchen vom ... - DIJuF

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<strong>DIJuF</strong>-Themengutachten<br />

<strong>Verjährung</strong> <strong>und</strong> <strong>Verwirkung</strong> <strong>von</strong> Unterhalt<br />

– Häufig gestellte Fragen <strong>und</strong> die Antworten –<br />

1. Wie lange dauert die regelmäßige <strong>Verjährung</strong>sfrist für Unter-<br />

haltsansprüche?<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich verjähren Unterhaltsansprüche mit Ablauf der regel-<br />

mäßigen <strong>Verjährung</strong>sfrist des § 195 BGB nach drei Jahren (§ 197<br />

Abs. 2 BGB).<br />

2. Wann beginnt die <strong>Verjährung</strong>sfrist?<br />

Die Frist beginnt jeweils am Jahresende (§ 199 Abs. 1 BGB).<br />

Ein im Jahr 2008 fällig gewordener Unterhaltsanspruch verjährt des-<br />

halb mit Ablauf des 31.12.2011.<br />

Das gilt unabhängig da<strong>von</strong>, ob der Unterhaltsanspruch vor seiner<br />

Fälligkeit tituliert wurde oder nicht.<br />

3. Für welche Unterhaltsansprüche gilt eine längere Verjäh-<br />

rungsfrist?<br />

Eine Ausnahme gilt für Unterhaltsansprüche, die bereits fällig waren,<br />

als ein Titel hierfür geschaffen wurde. Diese schon als Rückstände<br />

titulierten Forderungen verjähren nach § 197 Abs. 1 Nr 3 BGB erst<br />

nach 30 Jahren, wobei die Frist mit der Schaffung des Titels beginnt;<br />

U 3.030 Dl/K<br />

13.10.2011<br />

aktualisiert am<br />

05.09.2012


- 2 -<br />

bei gerichtlichen Entscheidungen kommt es auf deren Rechtskraft<br />

an, bei Urk<strong>und</strong>en auf den Tag der Niederschrift (§ 201 S. 1 BGB).<br />

Beispiel (ohne Berücksichtigung einer <strong>Verjährung</strong>shemmung)<br />

Am 01.09.2011 verpflichtetet sich ein Schuldner durch vollstreckbare Ur-<br />

k<strong>und</strong>e, dem Kind zu diesem Zeitpunkt bereits fällige Rückstände in Höhe<br />

<strong>von</strong> 2.400 EUR zu bezahlen, im Übrigen laufend den Mindestunterhalt.<br />

Die Rückstandsforderung verjährt mit Ablauf des 31.08.2041, der laufende<br />

Unterhalt aus 2011 mit dem Ende des Jahres 2014.<br />

Zur Klarstellung sei nochmals betont:<br />

Für die Frage, ob Unterhaltsansprüche nach dieser Vorschrift einer 30-jährigen Verjäh-<br />

rungsfrist unterliegen, kommt es auf die Titelerrichtung an. Nach diesem Zeitpunkt<br />

fällig gewordene Unterhaltsansprüche sind stets nach § 197 Abs. 2 BGB zu behandeln<br />

<strong>und</strong> verjähren in drei Jahren.<br />

Das gilt auch dann, wenn der Titel später umgeschrieben wird. Denn die Umschrei-<br />

bung ist lediglich die Erteilung einer Vollstreckungsklausel an den Rechtsnachfolger.<br />

Sie ändert aber nichts an der rechtlichen Substanz der titulierten Forderung. Bezieht<br />

sich der Titel auf nach seiner Errichtung fällig werdende Unterhaltsleistungen iSv § 197<br />

Abs. 2 BGB, werden diese nicht allein dadurch „zu rechtskräftig festgestellten An-<br />

sprüchen“ nach Absatz 1 Nr 3, dass nunmehr eine Rechtsnachfolge geltend ge-<br />

macht wird.<br />

4. Können sich Eltern bei Fristablauf ohne weiteres auf die <strong>Verjährung</strong> <strong>von</strong> Kin-<br />

desunterhalt berufen?<br />

Für Kinder im Verhältnis zu ihren Eltern gilt die Sondervorschrift des § 207 Abs. 1 S. 2<br />

Nr 2a BGB. Danach ist die <strong>Verjährung</strong> <strong>von</strong> wechselseitigen Ansprüchen bis zur Voll-<br />

endung des 21. Lebensjahres des Kindes gehemmt.<br />

Eine Hemmung der <strong>Verjährung</strong> bedeutet, dass die Frist nicht läuft, solange das Hin-<br />

dernis besteht. Sie beginnt zu laufen, sobald das Hindernis wegfällt (§ 209 BGB).<br />

Die <strong>Verjährung</strong> <strong>von</strong> Kindesunterhalt beginnt somit erst mit der Vollendung des 21.<br />

Lebensjahres zu laufen.


- 3 -<br />

5. Seit wann gilt die Hemmung bis zum 21. Lebensjahr des Kindes?<br />

Die Ausdehnung der Hemmung auf die Vollendung des 21. Lebensjahres des Kindes<br />

wurde erst mit Wirkung <strong>vom</strong> 01.01.2010 eingeführt, nämlich durch Art. 1 Nr 3 des Ge-<br />

setzes <strong>vom</strong> 24.09.2009 (BGBl I, 3142).<br />

Vorher war die <strong>Verjährung</strong> nur bis zum Eintritt der Volljährigkeit gehemmt.<br />

Für die „Übergangsfälle“ ist zu beachten:<br />

Wurde ein Kind zB am 16.07.1989 geboren <strong>und</strong> demgemäß am 16.07.2007 volljährig,<br />

endete die Hemmung zunächst mit diesem Datum <strong>und</strong> begann die <strong>Verjährung</strong>sfrist<br />

zu laufen. Im Normalfall – ohne die Gesetzesänderung – wäre sie mit Ablauf des<br />

15.07.2010 beendet gewesen.<br />

Hier ist aber die Gesetzesänderung betreffend die Ausdehnung der Hemmung auf<br />

die Vollendung des 21. Lebensjahres zu einem Zeitpunkt eingetreten, als die Verjäh-<br />

rungsfrist noch nicht abgelaufen war. Damit greift im Unterhaltsverhältnis des jungen<br />

Volljährigen zu dem Schuldner die Vorschrift in ihrer jetzigen Fassung ein <strong>und</strong> schiebt<br />

den Beginn der Hemmung der <strong>Verjährung</strong> hinaus auf die Vollendung des 21. Lebens-<br />

jahres, also den 16.07.2010.<br />

Anders wäre dies nur gewesen, wenn der Unterhaltsberechtigte vor dem Jahr 1989<br />

geboren worden wäre. Denn dann hätte er sein 21. Lebensjahr spätestens im Jahr<br />

2009 vollendet, also vor Eintritt der Gesetzesänderung bezüglich der Hemmung der<br />

<strong>Verjährung</strong>.<br />

6. Kommt die Hemmung der <strong>Verjährung</strong> auch einem Rechtsnachfolger zugute?<br />

Der Gr<strong>und</strong> für die Hemmung der <strong>Verjährung</strong> ist: Kinder wie Eltern sollen nicht allein<br />

durch einen drohenden Ablauf der <strong>Verjährung</strong>sfrist gezwungen sein, Ansprüche ge-<br />

richtlich gegeneinander geltend zu machen. Dieses „Pietäts“-Argument entfällt aber,<br />

wenn der Unterhaltsanspruch des Kindes gesetzlich auf einen Rechtsnachfolger<br />

übergeht (OLG Düsseldorf FamRZ 1981, 308; OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 362).<br />

Wird hingegen diese Forderung wieder zB <strong>vom</strong> Land oder Sozialhilfeträger an das<br />

Kind zur Geltendmachung zurückübertragen, beginnt die Hemmung <strong>von</strong> neuem (AG<br />

Hamburg DAVorm 1973, 622; Diederichsen, in: Palandt, BGB, 70. Aufl. 2011, § 207<br />

Rn 1). Denn in diesem Fall wird das Kind erneut Gläubiger der zunächst gesetzlich<br />

übergegangenen Unterhaltsansprüche. Es ist befugt, diese im eigenen Namen –


- 4 -<br />

wenngleich im wirtschaftlichen Interesse des Trägers – gegenüber dem Schuldner<br />

geltend zu machen.<br />

Die Hemmung der <strong>Verjährung</strong> gem. § 207 Abs. 1 S. 2 Nr 2a BGB wirkt sich hierbei indi-<br />

rekt auch zugunsten des Sozialleistungsträgers aus, weil diese Rechtsfolge auch für<br />

die rückübertragenen Forderungen gilt.<br />

Bei fehlender Rückübertragung verbleiben hingegen die zB gem. § 7 Abs. 1 UVG<br />

übergegangenen Forderungen dem Land. Nur dieses kann Zahlungen anfordern<br />

<strong>und</strong> wirksam entgegennehmen. Insoweit gilt die allgemeine <strong>Verjährung</strong>sfrist des<br />

§ 195 BGB ohne die spezielle Hemmung nach § 207 Abs. 1 S. 2 Nr 2a BGB.<br />

7. Wie kann ein Rechtsnachfolger den Eintritt der <strong>Verjährung</strong> verhindern?<br />

a) Eine Hemmung der <strong>Verjährung</strong> kann durch bestimmte Maßnahmen der Rechts-<br />

verfolgung erreicht werden (§ 204 Abs. 1 BGB). Als solche kommen nach Nr 1 bis 3<br />

der Vorschrift für Unterhaltsgläubiger insbesondere in Betracht:<br />

- die Erhebung der Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs, auf<br />

Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils,<br />

- die Zustellung des Antrags im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Min-<br />

derjähriger,<br />

- die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren oder des Europäischen<br />

Zahlungsbefehls im Europäischen Mahnverfahren nach der Verordnung (EG)<br />

Nr 1896/2006 des Europäischen Parlaments <strong>und</strong> des Rates <strong>vom</strong> 12.12.2006 zur Ein-<br />

führung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl EU Nr L 399 S. 1).<br />

Dieselbe Wirkung hat nach § 204 Abs. 1 Nr 14 BGB die Veranlassung der Bekanntga-<br />

be des erstmaligen Antrags auf Gewährung <strong>von</strong> Verfahrenskostenhilfe; wird die Be-<br />

kanntgabe demnächst nach der Einreichung des Antrags veranlasst, so tritt die<br />

Hemmung der <strong>Verjährung</strong> bereits mit der Einreichung ein.<br />

Die Hemmung endet gem. § 204 Abs. 2 BGB sechs Monate nach der rechtskräftigen<br />

Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Gerät<br />

das Verfahren dadurch in Stillstand, dass die Parteien es nicht betreiben, so tritt an<br />

die Stelle der Beendigung des Verfahrens die letzte Verfahrenshandlung der Partei-<br />

en, des Gerichts oder der sonst mit dem Verfahren befassten Stelle. Die Hemmung<br />

beginnt erneut, wenn eine der Parteien das Verfahren weiter betreibt.


- 5 -<br />

b) Ein Neubeginn der <strong>Verjährung</strong> (früher „Unterbrechung") wird gem. § 212 Abs. 2<br />

BGB durch folgende Maßnahmen erreicht:<br />

• wenn der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch durch Abschlags-<br />

zahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt<br />

oder<br />

• eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder<br />

beantragt wird,<br />

Ausnahme: Der erneute Beginn der <strong>Verjährung</strong> gilt in letzterem Fall als nicht eingetre-<br />

ten, wenn<br />

• die Vollstreckungshandlung auf Gläubigerantrag oder wegen Mangels gesetzli-<br />

cher Voraussetzungen aufgehoben wird (§ 212 Abs. 2 BGB);<br />

• dem Antrag nicht stattgegeben oder der Antrag vor der Vollstreckungshandlung<br />

zurückgenommen wird oder die erwirkte Vollstreckungshandlung nach Absatz 2<br />

aufgehoben wird (§ 212 Abs. 3 BGB)<br />

8. Wird vor einer Titelumschreibung geprüft, ob die Forderung verjährt ist?<br />

Die Erhebung der Einrede der <strong>Verjährung</strong> ist unabhängig <strong>von</strong> einer Titelumschreibung<br />

möglich. Vor der Erteilung einer Rechtsnachfolgeklausel kann der Schuldner ange-<br />

hört werden, das ist aber nicht zwingend (§ 730 ZPO).<br />

Im Übrigen prüft der/die Rechtspfleger/in bzw die Urk<strong>und</strong>sperson beim Jugendamt<br />

vor einer Umschreibung nur, ob die Voraussetzungen nach § 727 Abs. 1 ZPO vorlie-<br />

gen. Nicht geprüft wird, ob die titulierte Forderung materiell-rechtlich besteht oder<br />

ob ggf Einwendungen oder Einreden hiergegen erhoben werden können.<br />

Die Titelumschreibung ist nicht etwa da<strong>von</strong> abhängig, dass die Forderung auch ma-<br />

teriell-rechtlich – noch - besteht, also nicht zB durch Erfüllung oder Erlass erloschen ist<br />

(OLG Oldenburg FamRZ 1990, 899). Die entsprechende Einwendung muss der<br />

Schuldner ggf im Wege der Vollstreckungsgegenklage vorbringen, wenn der Rechts-<br />

nachfolger aus dem umgeschriebenen Titel vollstrecken sollte (vgl OLG Düsseldorf<br />

Rpfleger 1977, 67; OLG München FamRZ 1990, 653; Knittel, Beurk<strong>und</strong>ungen im Kind-<br />

schaftsrecht, 6. Aufl. 2005, Rn 418). Dasselbe gilt erst recht für die Einrede der Verjäh-<br />

rung; denn ist eine Forderung verjährt, geht sie nicht etwa rechtlich unter. Der


- 6 -<br />

Schuldner kann lediglich nach Erhebung der entsprechenden Einrede die Leistung<br />

verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB).<br />

Deshalb kann der Rechtsnachfolger in eine Unterhaltsforderung die nunmehr erho-<br />

bene Einrede der <strong>Verjährung</strong> nicht mit dem Einwand unterlaufen, der Schuldner hät-<br />

te diese bereits vor der Titelumschreibung geltend machen müssen.<br />

9. Was bedeutet <strong>Verwirkung</strong>?<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich schließt die Hemmung der <strong>Verjährung</strong> nicht aus, dass im selben Zeit-<br />

raum <strong>Verwirkung</strong> eintreten kann. Denn Unterhaltsansprüche können – selbst bei noch<br />

nicht abgelaufener <strong>Verjährung</strong>sfrist – auch verwirkt werden, wenn der Gläubiger<br />

über längere Zeit hinweg die Forderung nicht geltend macht <strong>und</strong> beim Schuldner<br />

das begründete Vertrauen hervorruft, er werde hierfür nicht mehr in Anspruch ge-<br />

nommen (BGH FamRZ 1999, 1422; OLG Stuttgart FamRZ 1999, 859, 860; OLG-Report<br />

München 2002, 68; Gerhardt, in: Wendl /Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familien-<br />

richterlichen Praxis, 7. Aufl. 2008, § 6 Rn 135). Eine <strong>Verwirkung</strong> kommt nach allgemei-<br />

nen Gr<strong>und</strong>sätzen in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht gel-<br />

tend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, <strong>und</strong> der Verpflichtete sich mit Rück-<br />

sicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte <strong>und</strong> ein-<br />

gerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde.<br />

Insofern gilt für Unterhaltsrückstände nichts anderes als für andere in der Vergangen-<br />

heit fällig gewordene Ansprüche (BGHZ 84, 280, 281; BGH FamRZ 2002, 1698).<br />

Die <strong>Verwirkung</strong> ist eine Ausprägung des Gr<strong>und</strong>satzes <strong>von</strong> Treu <strong>und</strong> Glauben gem.<br />

§ 242 BGB <strong>und</strong> enthält den Vorwurf einer illoyal verspäteten Rechtsausübung an den<br />

Gläubiger. Sie setzt neben dem Zeitmoment, dh dem Ablauf eines längeren Zeit-<br />

raums – wofür bei Unterhalt bereits ein Zeitraum <strong>von</strong> ein bis drei Jahren genügen<br />

kann (BGH aaO; OLG Brandenburg FamRZ 2004, 972; JAmt 2001, 376, 377) – auch ein<br />

Umstandsmoment voraus: Der Schuldner muss aus dem Verhalten des Gläubigers<br />

das berechtigte Vertrauen darauf ableiten können, dass dieser seinen Anspruch<br />

nicht mehr geltend machen werde (vgl hierzu Looschelders/Olzen, in: Staudinger,<br />

BGB, 2009, § 242 Rn 306 m. umfangr. Nachw.).


- 7 -<br />

10. Kann <strong>Verwirkung</strong> schon nach einjähriger Untätigkeit des Unterhaltsgläubigers<br />

eintreten?<br />

Der BGH hat in einem Urteil <strong>vom</strong> 10.12.2003 (XII ZR 155/01 = FamRZ 2004, 531) bereits<br />

den Ablauf <strong>von</strong> nur einem Jahr für ausreichend erachtet, wobei er betont hat, dass<br />

dies unterschiedslos für titulierte wie auch für nicht titulierte Forderungen gelte:<br />

„Wie der Senat bereits wiederholt zu nicht titulierten Unterhaltsrückständen<br />

entschieden hat (vgl. Senatsurteil <strong>vom</strong> 23. Oktober 2002 - XII ZR 266/99 =<br />

FamRZ 2002, 1698, 1699), spricht viel dafür, bei derartigen Ansprüchen an das<br />

Zeitmoment der <strong>Verwirkung</strong> keine strengen Anforderungen zu stellen. Von ei-<br />

nem Unterhaltsgläubiger muß eher als <strong>von</strong> einem Gläubiger anderer Forde-<br />

rungen erwartet werden, daß er sich zeitnah um die Durchsetzung des An-<br />

spruchs bemüht. Anderenfalls können Unterhaltsrückstände zu einer erdrü-<br />

ckenden Schuldenlast anwachsen. Abgesehen da<strong>von</strong> sind im Unterhalts-<br />

rechtsstreit die für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Einkommens-<br />

verhältnisse der Parteien nach längerer Zeit oft nur schwer aufklärbar. Diese<br />

Gründe, die eine möglichst zeitnahe Geltendmachung <strong>von</strong> Unterhalt nahe-<br />

legen, sind so gewichtig, daß das Zeitmoment der <strong>Verwirkung</strong> auch dann er-<br />

füllt sein kann, wenn die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die etwas mehr<br />

als ein Jahr zurückliegen. Denn nach den gesetzlichen Bestimmungen der §§<br />

1585 b Abs. 3, 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB verdient der Gesichtspunkt des Schuld-<br />

nerschutzes bei Unterhaltsrückständen für eine mehr als ein Jahr zurücklie-<br />

gende Zeit besondere Beachtung.<br />

Diese Erwägungen treffen im wesentlichen auch auf titulierte Unterhaltsan-<br />

sprüche zu, die, wie im vorliegenden Fall, erst nach ihrer Titulierung fällig ge-<br />

worden sind. Zwar spielt es, sobald Unterhaltsansprüche tituliert sind, keine<br />

Rolle, daß die Einkommensverhältnisse der Parteien nach Ablauf längerer Zeit<br />

oft nur schwer aufklärbar sind. Dabei handelt es sich aber nicht um ein be-<br />

sonders gewichtiges Argument, das für eine Verkürzung des Zeitmoments der<br />

<strong>Verwirkung</strong> bei nicht titulierten Unterhaltsforderungen spricht. Entscheidend ist<br />

vielmehr der Schuldnerschutz. Von einem Unterhaltsgläubiger, dessen An-<br />

sprüche bereits vor ihrer Fälligkeit tituliert sind, kann mindestens ebenso wie<br />

<strong>von</strong> einem Berechtigten, der über keinen Titel verfügt, erwartet werden, daß<br />

er seine Ansprüche zeitnah durchsetzt (vgl. Senatsbeschluß <strong>vom</strong> 16. Juni 1999<br />

- XII ZA 3/99 - FamRZ 1999, 1422). In beiden Fällen können ansonsten Unter-


- 8 -<br />

haltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Der<br />

Schuldnerschutz verdient es somit auch im Falle der Titulierung künftig fällig<br />

werdender Unterhaltsforderungen, besonders beachtet zu werden, weshalb<br />

auch in diesen Fällen das Zeitmoment bereits nach dem Verstreichenlassen<br />

einer Frist <strong>von</strong> etwas mehr als einem Jahr als erfüllt anzusehen sein kann. Die-<br />

ser Bewertung entspricht auch die gesetzliche Regelung der <strong>Verjährung</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Unterhaltsansprüchen</strong>, die wie die <strong>Verwirkung</strong> unter anderem dem Schuld-<br />

nerschutz dient. Danach verbleibt es nämlich gemäß § 218 Abs. 2 i.V. mit<br />

§ 197 BGB a.F. (jetzt § 197 Abs. 2 BGB i.V. mit § 195 BGB) auch im Falle der Ti-<br />

tulierung <strong>von</strong> zukünftig fälligen <strong>Unterhaltsansprüchen</strong> bei der kurzen Verjäh-<br />

rungsfrist des § 197 BGB a.F., um das Anwachsen <strong>von</strong> Rückständen zu verhin-<br />

dern, die den Schuldner wirtschaftlich gefährden würden, was der Fall wäre,<br />

wenn auch diese künftigen Ansprüche der gewöhnlichen 30-jährigen Verjäh-<br />

rung titulierter Ansprüche unterlägen.“<br />

11. Muss sich der Schuldner ausdrücklich auf eine <strong>Verwirkung</strong> berufen?<br />

Anders als die <strong>Verjährung</strong>, welche als Einrede nur dann zu berücksichtigen ist, wenn<br />

sich der Schuldner ausdrücklich auf ein Leistungsverweigerungsrecht beruft (§ 214<br />

Abs. 1 BGB), muss die <strong>Verwirkung</strong> ggf auch <strong>von</strong> Amts wegen durch ein im Streitfall mit<br />

der Unterhaltsforderung befasstes Gericht berücksichtigt werden, also unabhängig<br />

da<strong>von</strong>, ob sich die begünstigte Partei darauf beruft (st. Rspr vgl BGHZ 3, 94, 103 f; 54,<br />

222; BGH NJW 1966, 343, 345).<br />

Pfändet beispielsweise der Unterhaltsgläubiger wegen der aufgelaufenen Rückstän-<br />

de Arbeitslohn des Schuldners <strong>und</strong> zahlt der Arbeitgeber nicht, muss das Arbeitsge-<br />

richt im Rahmen der Drittschuldnerklage jedenfalls bei offenk<strong>und</strong>igen Anhaltspunk-<br />

ten hierfür auch <strong>von</strong> sich aus prüfen, ob die Geltendmachung der Forderung durch<br />

den Gläubiger nicht wegen <strong>Verwirkung</strong> treuwidrig iSv § 242 BGB ist.<br />

12. Wer trägt im Streitfall die Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast für eine <strong>Verwirkung</strong>?<br />

Die Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast für die konkreten Voraussetzungen der <strong>Verwirkung</strong><br />

seitens des Gläubigers trägt gr<strong>und</strong>sätzlich der Schuldner (hierzu Looschelders/Olzen,<br />

in: Staudinger aaO Rn 332). Allerdings muss der Gläubiger nach entsprechendem<br />

Beklagtenvortrag seinerseits substanziiert darlegen, wann <strong>und</strong> unter welchen Um-


- 9 -<br />

ständen er sein Recht geltend gemacht hat (BGH NJW 1958, 1188, 1189; Roth, in:<br />

MünchKommBGB, 5. Aufl. 2007, § 242 BGB Rn 315; Baumgärtel Anm. zu BGH<br />

13.12.1984, III ZR 20/83 = JZ 1985, 540).<br />

13. Wie kann der Gläubiger den Eintritt der <strong>Verwirkung</strong> verhindern?<br />

Gegen eine <strong>Verwirkung</strong> im jeweiligen Einzelfall spricht, wenn der Gläubiger den<br />

Schuldner nachweislich durch periodische Mahnungen an seine ausstehende Zah-<br />

lungspflicht erinnert hat. Es genügt also, wenn er ihm jährlich eine Aufstellung über<br />

die jeweils bestehenden Rückstände übermittelt <strong>und</strong> sinngemäß zum Ausdruck<br />

bringt, dass deren Begleichung weiterhin erwartet werde.<br />

Diese Zustellung einer derartigen Aufforderung durch Einschreiben mit Rückschein<br />

kann als Vorsichtsmaßnahme im Einzelfall angezeigt sein, wenn mit einem Bestreiten<br />

des Zugangs durch den Schuldner gerechnet werden muss.<br />

Nicht erforderlich ist, dass insoweit die Zwangsvollstreckung versucht wird, obwohl ein<br />

solches Vorgehen im Regelfall nahe liegt, es sei denn, sie erscheint derzeit aussichts-<br />

los.<br />

Auch Zahlungen des Schuldners auf die bestehenden Rückstände sprechen gegen<br />

die Annahme einer <strong>Verwirkung</strong>. Dasselbe gilt dann, wenn er etwa bei einer Vorspra-<br />

che im Jugendamt erneut ausdrücklich seine Tilgungsverpflichtung bezüglich der<br />

Rückstände anerkennt <strong>und</strong> – unter sinngemäßer Bitte um weitere St<strong>und</strong>ung – hierfür<br />

eine Zahlungsmodalität anbietet.<br />

14. Können nur Vollstreckungsmaßnahmen oder auch Mahnungen die Verwir-<br />

kung hindern?<br />

a) Mitunter wird die Meinung vertreten, nur Zwangsvollstreckungsmaßnahmen seien<br />

geeignet, das Umstandsmoment der <strong>Verwirkung</strong> zu vermeiden. Sonstige Formen der<br />

Geltendmachung des titulierten Unterhalts, namentlich Mahnungen oder eine aus-<br />

drückliche St<strong>und</strong>ungserklärung, reichten nicht aus.<br />

Diese Auffassung kann auf Gerhardt (in: Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der fami-<br />

lienrichterlichen Praxis, 8. Aufl. 2011, § 6 Rn 146) berufen:


- 10 -<br />

„Beim Umstandsmoment ist auf die Untätigkeit <strong>von</strong> Vollstreckungsmaßnah-<br />

men abzustellen; ist eine Vollstreckung ohne weiteres möglich, weil der<br />

Pflichtige in einem geregelten Arbeitsverhältnis steht, ist das Umstandsmo-<br />

ment zu bejahen, wenn nichts unternommen wird (Fn. 23: OLG München<br />

FamRZ 2002, 68).“<br />

In der zitierten Entscheidung, deren F<strong>und</strong>stelle im Übrigen in dem Zitat nicht korrekt<br />

angegeben ist (OLG München 29.08.2001, 12 UF 1043/01 = OLG-Report München<br />

2002, 68) wird wörtlich dargelegt:<br />

„[3] Das FamG hat zu Recht ausgeführt, dass die Vollstreckung eines Teils<br />

des titulierten Kindesunterhaltsrückstandes aus dem Gesichtspunkt der illo-<br />

yal verspäteten Rechtsausübung verwirkt ist (BGH v. 16.6.1999 - XII ZA 3/99,<br />

FamRZ 1999, 1422). Der für eine <strong>Verwirkung</strong> nach § 242 BGB erforderliche<br />

Zeit- <strong>und</strong> Umstandsmoment ist <strong>vom</strong> Gr<strong>und</strong>satz her gegeben (vgl. BGH v.<br />

13.1.1988 - IVb ZR 7/87, MDR 1988, 481 = FamRZ 1988, 370).<br />

[4] Die Beklagte hat zwar zutreffend ausgeführt, dass hierfür den Kläger die<br />

Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast trifft, nachdem es sich um eine rechtsvernich-<br />

tende Einwendung handelt. Der Sachverhalt ist insoweit aber unstreitig.<br />

Nachdem es sich um eine <strong>Verwirkung</strong> der Vollstreckung aus einem Titel<br />

handelt, ist allein maßgebend, ob die Beklagte, bzw. das Kind, das sich ein<br />

Verschulden seines gesetzlichen Vertreters nach § 278 BGB anrechnen las-<br />

sen muss, in der Zeit ab Einstellung der Unterhaltsleistung 1993 Vollstre-<br />

ckungsversuche unternommen hat. Dies war bis Mai 2000 unstreitig nicht<br />

der Fall.<br />

[5] Wie der Pfändungs- <strong>und</strong> Überweisungsbeschluss <strong>vom</strong> 25.10.2000 zeigt,<br />

wäre eine Zwangsvollstreckung aber ohne weiteres möglich gewesen,<br />

nachdem der Kläger in einem festen Arbeitsverhältnis steht. Damit ist so-<br />

wohl das Zeit- als auch das Umstandsmoment gegeben.“<br />

b) Die Auffassung, dass nur Zwangsvollstreckungsmaßnahmen den Eintritt der Verwir-<br />

kung hindern können, ist aber nicht überzeugend <strong>und</strong> auch keineswegs unbestritten.<br />

So hat das OLG Celle (10.04.2008, 17 UF 217/07 = FamRZ 2008, 2230) bemerkt:<br />

„[14] Entgegen der Auffassung der Berufungsbegründung lässt sich aus der<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs zur <strong>Verwirkung</strong> titulierter Unterhalts-<br />

rückstände <strong>und</strong> der darin gebrauchten Wendung über die „Durchsetzung<br />

mit Hilfe des Titels“ (BGH Beschluss <strong>vom</strong> 16. Juni 1999 - XII ZA 3/99 - FamRZ


- 11 -<br />

1999, 1422; vgl. auch BGH Urteil <strong>vom</strong> 10. Dezember 2003 - XII ZR 155/01 -<br />

FamRZ 2004, 531, 532) weder unmittelbar noch zwischen den Zeilen das Er-<br />

fordernis entnehmen, dass der für die <strong>Verwirkung</strong> maßgebliche Zeitraum<br />

ausschließlich durch eine Tätigkeit des zuständigen Vollstreckungsorgans<br />

beendet werden könnte. Die „Durchsetzung mit Hilfe des Titels“ kann in die-<br />

sem Sinne schon mit der ernsthaften außergerichtlichen Aufforderung an<br />

den Schuldner beginnen, die titulierte Forderung zu zahlen; dies gilt jeden-<br />

falls dann, wenn - wie es im vorliegenden Fall unzweifelhaft der Fall gewe-<br />

sen ist - der außergerichtlichen Aufforderung zeitnah eine Vollstreckungs-<br />

maßnahme folgt. Denn anders als im Falle <strong>von</strong> <strong>Verjährung</strong> <strong>und</strong> Ausschluss-<br />

fristen muss der Gläubiger bei der <strong>Verwirkung</strong> nicht darum besorgt sein, in-<br />

nerhalb bestimmter Fristen konkrete prozessuale Handlungen vorzunehmen,<br />

sondern es kommt für ihn allein darauf an, beim Schuldner kein berechtig-<br />

tes Vertrauen dahingehend entstehen zu lassen, dass sich der Gläubiger mit<br />

der Nichtzahlung endgültig abgef<strong>und</strong>en habe. Es ist für den Senat kein<br />

sachlich gerechtfertigter Gr<strong>und</strong> ersichtlich, warum zur Abwendung der<br />

<strong>Verwirkung</strong>sfolgen für den Gläubiger eines nicht titulierten Unterhaltsan-<br />

spruchs jede geeignete außergerichtliche Tätigkeit hinreicht, während <strong>von</strong><br />

einem Titelgläubiger in jedem Falle eine Kosten auslösende Einzelvollstre-<br />

ckungsmaßnahme erwartet werden sollte.“<br />

c) Noch weitergehend wird in obergerichtliche Rechtsprechung die <strong>Verwirkung</strong><br />

schon dann ausgeschlossen, wenn der Gläubiger im maßgebenden Zeitrahmen den<br />

Schuldner nur gemahnt hat, ohne anschließend zur Vollstreckung zu schreiten. Ein<br />

Beispiel ist das Urteil des OLG Naumburg (01.12.2009, 3 UF 71/09 = FamRZ 2010, 1090<br />

[Ls]):<br />

„[41] Unter den hier vorgef<strong>und</strong>en Umständen kann entgegen der Auffas-<br />

sung des Klägers <strong>von</strong> einer <strong>Verwirkung</strong> des titulierten (<strong>und</strong> außergerichtlich<br />

vereinbarten) Unterhalts durch den Beklagten nicht ausgegangen werden;<br />

weder Zeit- noch Umstandsmoment lassen einen derartigen Schluss zu.<br />

Denn der Beklagte hat - <strong>und</strong> das bestreitet der Kläger im Berufungsverfah-<br />

ren nicht mehr - im Laufe der Jahre wiederholt unter nachvollziehbarer Dar-<br />

stellung des gezahlten <strong>und</strong> nichtgezahlten Unterhalts auf die Rückstände<br />

hingewiesen <strong>und</strong> an diesen appelliert, den laufenden Unterhalt ordnungs-<br />

gemäß zu entrichten <strong>und</strong> hierneben auf die Rückstände angemessene Zah-


- 12 -<br />

lungen zu erbringen. Das war schon 1999 (Schreiben <strong>vom</strong> 21.12.1999 Blatt<br />

103 II d.A.) <strong>und</strong> im Jahre 2000 (Schreiben <strong>vom</strong> 18.01.2000 <strong>und</strong> 13.07.2000)<br />

der Fall <strong>und</strong> ging weiter mit Schreiben <strong>vom</strong>15.07.2004, 22.07.2004 <strong>und</strong><br />

05.08.2004 sowie 15.02.2005 <strong>und</strong> 22.04.2005 sowie letztmalig vor Einleitung<br />

der Zwangsvollstreckung nach Eintritt der Volljährigkeit des Beklagten am<br />

12.01.2006.<br />

[42] Angesichts der dortigen Darstellung - zu keinem Zeitpunkt hat der Klä-<br />

ger etwa den Darstellungen widersprochen oder den Einwand der Verwir-<br />

kung gegen den Beklagten angebracht - musste es für den Kläger als stark<br />

säumigen, um die nicht unerheblichen Rückstände wissenden Unterhalts-<br />

schuldner klar sein, dass der Beklagte darauf nicht verzichtet hat <strong>und</strong> er<br />

sich auch nicht darauf einstellen konnte, dass die Rückstände nicht gefor-<br />

dert werden. Diese Umstände lassen also den Schluss auf <strong>Verwirkung</strong> gera-<br />

de nicht zu.<br />

[43] Dass der Beklagte in manchen an den Kläger gerichteten Schreiben<br />

nicht stets seine Forderungen wiederholt hat, steht dem nicht entgegen,<br />

noch dazu - wie ausgeführt- eine kritische Reaktion des Klägers auf die üb-<br />

rigen Schreiben unterblieben ist.<br />

[44] Dem steht mit Blick auf das Schreiben des Beklagten an den Kläger<br />

<strong>vom</strong> 12.01.2006 auch nicht das Schreiben des M. -Kreises <strong>vom</strong> 16.11.2005<br />

entgegen, dass sich ohnehin nur zum Unterhaltsvorschuss verhält.<br />

[45] Da auch, wie dargestellt, aus der zeitlichen Abfolge der Forderungen<br />

ein Schluss auf eine <strong>Verwirkung</strong> nicht möglich ist, greift der <strong>Verwirkung</strong>sein-<br />

wand des Klägers insgesamt nicht. Dass der Beklagte im Hinblick auf das<br />

negative Zahlungsverhalten des Klägers nicht schon früher die Vollstre-<br />

ckung eingeleitet hat, lässt die Sache nicht in einem anderen Licht erschei-<br />

nen. Denn einerseits reicht es, wie das Oberlandesgericht Celle unter dem<br />

10.04.2008 ausführt (vgl. OLG Celle FamRZ 2008, 2230), dass der Unterhalts-<br />

gläubiger den Unterhaltsschuldner außergerichtlich wiederholt <strong>und</strong> ernst-<br />

haft - wie hier - auffordert, zu zahlen, so dass bei diesem nicht der Eindruck<br />

entstehen kann, auf die Forderungen werde verzichtet.“<br />

d) Auch die nachfolgenden Entscheidungen gehen in dieselbe Richtung:<br />

• OLG Brandenburg 12.07.2011, 10 UF 115/10 = FamRZ 2012, 1223<br />

• OLG Brandenburg 20.09.2007, 9 UF 107/07 = FamRZ 2008, 906


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• OLG Saarbrücken 09.09.2010, 6 UF 29/10 = MDR 2011, 168<br />

Anmerkung: In diesen Entscheidungen ist jeweils die Rede da<strong>von</strong>, dass es für den<br />

Ausschluss der <strong>Verwirkung</strong> ausreichen könne, den Schuldner mit den Rückständen<br />

„zu konfrontieren“, ggf durch „Gespräche“ (OLG Brandenburg 12.07.2011 aaO) bzw<br />

ihn „zur Zahlung aufzufordern“ (OLG Brandenburg 20.09.2007 aaO) oder ihm „Zah-<br />

lungsaufforderungen bzw Mahnungen“ zukommen zu lassen (OLG Saarbrücken<br />

09.09.2010).<br />

e) Nach alldem überzeugt es schon <strong>vom</strong> Ansatzpunkt her nicht, nur Vollstreckungs-<br />

maßnahmen als <strong>Verwirkung</strong>shindernisse gelten zu lassen. Das wird in maßgeblicher<br />

obergerichtlicher Rechtsprechung anders beurteilt <strong>und</strong> lässt sich auch nicht etwa<br />

aus Erkenntnissen des BGH ableiten, wie das OLG Celle aaO dargelegt hat.<br />

Dass bei Rückständen, die über zwei bis höchstens drei Jahre hinausgehen – in dem<br />

zitierten Fall des OLG München ging es um mehr als acht Jahre – sich mit jedem wei-<br />

teren Monat die Frage dringlicher stellt, weshalb es der Gläubiger jeweils bei bloßen<br />

Saldenmitteilungen <strong>und</strong> Zahlungsaufforderungen belassen hat, anstatt bei gegebe-<br />

ner Möglichkeit hierzu <strong>und</strong> anhaltender Zahlungsverweigerung des Schuldners diesen<br />

auch durch einen Vollstreckungsantrag Nachdruck zu verleihen, muss klar gesehen<br />

werden. Ein dennoch weiterhin untätiger Gläubiger hat somit keine Gewähr dafür,<br />

dass im späteren Streitfall nicht doch das Umstandsmoment der <strong>Verwirkung</strong> bejaht<br />

werden könnte, wenn der Schuldner sinngemäß vorbringt, er habe die offenbar<br />

„zahnlosen“ Mahnungen letztlich nicht mehr als Ausdruck eines vorhandenen Durch-<br />

setzungswillens der Gläubigerseite aufgefasst. Dass es hierbei jeweils auf die Gege-<br />

benheiten des Einzelfalls ankommen kann, braucht nicht hervorgehoben zu werden.<br />

f) Wenn ein Unterhaltsschuldner erklärt, sein Einkommen sei so gering, dass er nicht<br />

einmal den laufenden Unterhalt in voller Höhe zahlen könne <strong>und</strong> der Gläubiger im<br />

Hinblick darauf <strong>von</strong> Vollstreckungsmaßnahmen bezüglich der Rückstände absieht –<br />

wobei er ausdrücklich sein weiteres Interesse an deren späterer Einziehung zum Aus-<br />

druck bringt – überzeugt es in keiner Weise, hierin eine „illoyale Verspätung der<br />

Rechtsausübung“ zu sehen, wie die gängige Umschreibung der <strong>Verwirkung</strong> lautet.<br />

Vielmehr ist dann die Einschränkung zu beachten, die Gerhardt (aaO) wie folgt for-<br />

muliert:


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„Ist eine Vollstreckung dagegen nicht erfolgsversprechend, weil der Pflich-<br />

tige unbekannten Aufenthalts ist, laufend den Arbeitsplatz wechselt oder<br />

kein pfändbares Einkommen hat, wird das Umstandsmoment regelmäßig zu<br />

verneinen sein.“<br />

Dem ist jedenfalls der Fall gleichzustellen, dass das pfändbare Einkommen des<br />

Schuldners nach eigenem Bek<strong>und</strong>en so gering ist, dass nicht einmal der laufende<br />

Unterhalt in voller Höhe gezahlt werden könnte, geschweige denn, dass Rückstände<br />

eingezogen werden könnten.<br />

15. Gelten diese Gr<strong>und</strong>sätze auch für einen Rechtsnachfolger?<br />

Da der Anspruch im Fall einer gesetzlichen Rechtsnachfolge nicht seinen rechtlichen<br />

Charakter als Unterhaltsforderung verliert, gelten diese Gr<strong>und</strong>sätze unabhängig da-<br />

<strong>von</strong>, ob der ursprüngliche Gläubiger oder der Rechtsnachfolger es unterlassen hat,<br />

den Anspruch zeitnah geltend zu machen bzw zu vollstrecken. Wesentlich ist allein,<br />

ob sowohl das Zeitmoment als auch das Umstandsmoment der <strong>Verwirkung</strong> erfüllt<br />

sind, sodass ein schutzwürdiges Vertrauen des Schuldners darauf, für den betreffen-<br />

den Unterhaltszeitraum nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, bejaht wer-<br />

den kann.<br />

Darauf wird auch in Nr 7.3.3. der UVG-RL, letzter Absatz, wie folgt hingewiesen:<br />

„<strong>Verwirkung</strong><br />

Bereits vor der <strong>Verjährung</strong> des Unterhaltsanspruchs kann es zu dessen<br />

<strong>Verwirkung</strong> (§ 242 BGB) kommen. Deshalb muss das Rückgriffsverfahren<br />

mit der Antragstellung beginnen (vgl. RL 7.). Anderen falls droht die Ver-<br />

wirkung des Anspruchs, wenn der Gläubiger durch sein Verhalten beim<br />

Schuldner den nachvollziehbaren Eindruck hervorruft, er wolle den An-<br />

spruch nicht mehr geltend machen. Gerade bei <strong>Unterhaltsansprüchen</strong><br />

sind an den Zeitraum der Nichtverfolgung des Anspruchs keine großen An-<br />

forderungen zu stellen, da der Unterhaltsgläubiger gr<strong>und</strong>sätzlich lebens-<br />

notwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist. Der BGH geht da<strong>von</strong><br />

aus, dass eine <strong>Verwirkung</strong> nahe liegt, wenn der Unterhaltsgläubiger den<br />

Unterhaltsanspruch für Zeitabschnitte, die etwas mehr als ein Jahr zurück-<br />

liegen, nicht geltend macht (BGH <strong>vom</strong> 10.12.2003 - XII ZR 155/01). Dies gilt


- 15 -<br />

für die Geltendmachung <strong>von</strong> noch nicht titulierten Ansprüchen <strong>und</strong> für die<br />

Vollstreckung eines vorhandenen Unterhaltstitels.“<br />

16. Kommen verwirkungssauschließende Mahnungen des Kindes für seinen ei-<br />

genen Unterhalt auch einem Rechtsnachfolger für den übergegangenen Un-<br />

terhaltsanspruch zugute?<br />

Wenn ein Kind – ohne das Bestehen einer treuhänderischen Rückübertragung – ei-<br />

gene ihm verbliebene Unterhaltsrückstände anmahnt, kann dies nicht den Eintritt<br />

der <strong>Verwirkung</strong> bezüglich anderer, auf einen Rechtsnachfolger übergegangener<br />

Unterhaltsforderungen verhindern, wenn dieser insoweit untätig bleibt. Es wäre also<br />

verfehlt, wenn UVG-Stelle, Jobcenter usw sich jeweils darauf verlassen würden, dass<br />

das Kind zB über seinen Beistand seine eigenen Unterhaltsansprüche geltend ma-<br />

che <strong>und</strong> selbst deshalb über längere Zeit hinweg <strong>von</strong> der Einziehung gesetzlich<br />

übergegangener Ansprüche absehen würden.<br />

Diese getrennte Betrachtung gilt selbstverständlich auch im umgekehrten Fall:<br />

Mahnt die UVG-Stelle den Schuldner wegen gem. § 7 Abs. 1 UVG übergegangener<br />

Ansprüche, kommt dies nicht dem Kind zugute, wenn es seine eigenen Unterhalts-<br />

forderungen gegenüber dem Schuldner nicht geltend macht.<br />

Anders ist dies im Fall treuhänderischer Rückübertragung: Da sämtliche Forderun-<br />

gen wieder in der Hand des Kindes vereint sind, erfasst eine entsprechende Zah-<br />

lungsaufforderung seines gesetzlichen Vertreters an den Schuldner sämtliche Rück-<br />

stände, unabhängig da<strong>von</strong>, ob sie dem Kind selbst oder dem Übergangsgläubiger<br />

zustehen.<br />

17. Können Forderungen auch dann verwirkt sein, wenn der Gläubiger aus<br />

rechtlichen Gründen – etwa während des Insolvenzverfahrens oder der<br />

Wohlverhaltensperiode – an einer Vollstreckung gehindert ist?<br />

Es erscheint bereits fraglich, ob der Gläubiger, der wegen eines gesetzlichen Verbots<br />

gar nicht vollstrecken darf, sich treuwidrig in diesem Sinne verhalten kann, solange im<br />

Einzelfall dieses Verbot gilt.<br />

Jedenfalls ist ein Gläubiger aber auf der sicheren Seite, wenn er dem Schuldner in-<br />

nerhalb der für das Zeitmoment der <strong>Verwirkung</strong> unterhaltsrechtlich maßgebenden


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Jahresfrist jeweils routinemäßig, zB durch entsprechende Schreiben, zu verstehen<br />

gibt, dass er nach wie vor an der Einziehung der bestehenden Forderung interessiert<br />

ist <strong>und</strong> diese (falls sie nicht aus anderen Gründen wie etwa die erteilte Restschuldbe-<br />

freiung erloschen ist) wieder geltend machen wird, sobald das Vollstreckungshinder-<br />

nis entfällt.

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