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Teil 1 - Kinderrechte Afrika eV

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BICE Deutschland e.V.<br />

Internationale Kinderrechtsorganisation<br />

Organisation Internationale des Droits de l’Enfant<br />

International Children’s Rights Organisation<br />

Jahresbericht 2003


Titelfoto: © Reuters / Jacky Naegelen<br />

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Inhalt<br />

Einblicke – Ausblicke<br />

Kinder in Gefängnissen oder in Polizeigewahrsam<br />

Kindersoldaten und Kinder als Opfer von bewaffneten Konflikten<br />

D.R. Kongo<br />

Als Hexen verfemte Kinder<br />

Kinshasa, D.R. Kongo<br />

Ausgebeutete Kinder in Kananga<br />

Kasaï-Provinz, D.R. Kongo<br />

Ausgebeutete Kinder in Mbuji-Mayi<br />

Kasaï-Provinz, D.R. Kongo<br />

Straßenkinder<br />

Abidjan, Elfenbeinküste<br />

Junge Haushaltshilfen<br />

Abidjan, Elfenbeinküste<br />

Mütter mit behinderten Kindern<br />

Abidjan, Elfenbeinküste<br />

Lastenträgerinnen in Lomé, in der Region der Seen und in Vo<br />

Togo<br />

Kinder – Opfer von bewaffneten Konflikten<br />

Liberia<br />

Unser Dank – Beispiele der Hilfe<br />

Einnahmen – Aufwendungen für Projekte<br />

Einblicke – Ausblicke<br />

2003 war für uns ein schwieriges Jahr – geprägt von unerwarteten Ereignissen und Rückschlägen in vielen<br />

Ländern <strong>Afrika</strong>s. Die Entwicklung <strong>Afrika</strong>s verläuft nicht linear, es ist ein stetiges Auf und Ab. Die<br />

Demokratisierungsprozesse bieten keine automatische Gewähr für eine friedliche Zukunft.<br />

In Liberia ist das demokratisch legitimierte Regime von Charles Taylor, das sich zunehmend tyrannisch<br />

und ausbeuterisch gebärdete, von mehreren Rebellengruppen und auf internationalen Druck gestürzt<br />

worden. Das einstige Wirtschaftswunderland Elfenbeinküste war plötzlich konfrontiert mit einem bürgerkriegsähnlichen<br />

Konflikt, der das Land an den Rand des Chaos brachte. Der politische, soziale und<br />

wirtschaftliche Unfrieden dauert latent an und ist weiterhin höchst explosiv.<br />

In der Demokratischen Republik Kongo konnte nach vielen Monaten der Verhandlungen und intensiven<br />

Versöhnungsbemühungen ein hoffentlich tragfähiger Konsens gefunden werden. Die Entwicklung in Togo<br />

ist nach wie vor schwierig, zumal das Land auch seit einem Jahrzehnt wegen Defiziten in der Demokratisierung<br />

aus der Sicht der Geberländer von internationaler Hilfe weitgehend ausgeschlossen ist. Eine<br />

rühmliche Ausnahme macht da Mali, dessen Entwicklung kontinuierlich positiv verläuft; die Fortschritte<br />

in diesem armen Sahelland sind unverkennbar und ermutigend.<br />

Bürgerkriege und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen und staatliche Repression<br />

bringen nicht nur mühsam in Gang gebrachte Entwicklungen zum Stillstand. Sie provozieren Hass, Unversöhnlichkeit,<br />

Rachegefühle. Sie schlagen Wunden, die den Prozess der Nationenbildung, das friedliche<br />

Miteinander verschiedener Ethnien, den Aufbau demokratischer Strukturen und wirtschaftliche, soziale<br />

und kulturelle Entwicklung um Jahrzehnte zurückwerfen. Bürgerkriege werden so zu einer Hypothek für<br />

die junge Generation, die um ihre Zukunftschancen gebracht wird.<br />

Als wir beide vor mehr als dreißig Jahren unsere ersten Erfahrungen in <strong>Afrika</strong> machten, war Aufbruchstimmung<br />

vorherrschend und der Fortschrittsoptimismus trotz regionaler Konflikte ungebrochen. Die<br />

neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und die ersten Jahre im neuen Jahrtausend haben uns skeptischer<br />

werden lassen.<br />

Entwicklung braucht Zeit, braucht visionäre und verantwortliche Führer, eine Zivilgesellschaft, die ihre<br />

demokratischen Rechte kennt und wahrnehmen kann, internationale Solidarität, braucht Frieden und<br />

Gerechtigkeit. Zukunft beginnt mit Recht und Gerechtigkeit, nicht mit Willkür.<br />

Hier finden wir als Kinderrechtsorganisation auch unsere politische Aufgabe, indem wir uns konkret dort<br />

engagieren, wo Kindern die elementarsten Rechte vorenthalten werden, und wo wir uns mit unseren einheimischen<br />

Partnern zum Anwalt dieser Kleinsten, Schwächsten und Verwundbarsten machen.<br />

Wirtschaftliche Entwicklung allein garantiert keine Zukunft. Sie kann in <strong>Afrika</strong> nur gelingen durch aktive<br />

Friedens- und Werteerziehung, durch Versöhnungsarbeit. Zukunft in <strong>Afrika</strong> erfordert eine neue Generation,<br />

die jetzt heranwächst. Kinder, die als Rechtssubjekte befähigt werden, ihre Rechte und Pflichten verantwortlich<br />

wahrzunehmen, und die bereit und in der Lage sind, Konflikte, die es immer geben wird, auf<br />

friedliche Weise zu lösen.<br />

Daran arbeiten wir mit. Mit Ihnen als Partner. Dafür sind wir Ihnen und – unausgesprochen – die Kinder,<br />

die heute in <strong>Afrika</strong> heranwachsen, dankbar.<br />

Prof. Dr. med. Peter Stingl<br />

Président du BICE Deutschland<br />

Horst Buchmann<br />

Délégué du BICE pour l’Afrique


Kinder in Gefängnissen und in Polizeigewahrsam<br />

Mali, Senegal, Elfenbeinküste, Togo, D.R. Kongo<br />

Mütter mit ihren Kleinkindern im Gefängnis<br />

Mali, Senegal, Elfenbeinküste, D.R. Kongo<br />

Kindersoldaten<br />

D.R. Kongo<br />

Mali<br />

Liberia<br />

Ausgebeutete Kinder<br />

In Kinshasa und in der Kasaï-Provinz, D.R. Kongo<br />

Straßenkinder<br />

Abidjan, Elfenbeinküste<br />

Behinderte Kinder<br />

Abidjan, Elfenbeinküste<br />

Elfenbeinküste<br />

Togo<br />

D.R. Kongo<br />

Unser Engagement 2003<br />

Kinder – Opfer von bewaffneten Konflikten<br />

Liberia<br />

Kinderarbeiter:<br />

Lastenträgerinnen in Lomé, Togo<br />

Junge Haushaltshilfen in Abidjan, Elfenbeinküste<br />

4<br />

BICE Deutschland e.V.<br />

Vorstand:<br />

Prof. Dr. med. Peter Stingl<br />

Horst Buchmann<br />

Klaus Sänger<br />

Hubert Henninger<br />

Ordentliche Mitglieder:<br />

Irene Berger, Freiburg<br />

Jutta Fichtner, Lahr<br />

Heinz Fütterer, Lahr<br />

Gudrun Hemker, Schwetzingen<br />

Claus Hemker, Schwetzingen<br />

Peter Klein, Stühlingen<br />

Dr. Ariane Küster, Düsseldorf<br />

Prof. Dr. Jorge Serrano, Leuven<br />

Maria Stingl, Steingaden<br />

Dominique Vergnon, Brüssel<br />

Kinder in Gefängnissen oder in Polizeigewahrsam<br />

– Mütter mit Kleinkindern im Gefängnis.<br />

Regionalprojekt in der D.R. Kongo, der Elfenbeinküste, in<br />

Mali, Senegal und Togo.<br />

Projektfinanzierung: 344.217 Euro<br />

Nach 8 Jahren intensiven Engagements ist dieses Projekt im Dezember 2003 zu Ende gegangen.<br />

Im Sinne der UN–Kinderrechtskonvention legte BICE seinen Aktivitäten einen rechtsorientierten<br />

Handlungsansatz zugrunde. Seine Umsetzung hatte für die vom Projekt begünstigten Kinder zur<br />

Folge, dass ihre Rechte in allen Verfahrensabschnitten, beginnend bei der Verhaftung im<br />

Polizeikommissariat bis hin zur sozialen Wiedereingliederung, gefördert und wirksam geschützt<br />

werden konnten.<br />

Artikel 7: Recht auf Name und Staatsangehörigkeit<br />

Dank der Unterstützung von BICE konnten Säuglinge, die während der Inhaftierung ihrer Mütter<br />

geboren wurden, innerhalb der gesetzlichen Frist offiziell registriert werden. Für die älteren Kinder,<br />

bei denen die vorgeschriebene Registrierungsfrist bereits verstrichen war, wurde durch unseren<br />

Rechtsbeistand die nachträgliche Ausstellung einer Geburtsurkunde erreicht.<br />

Artikel 12: Recht auf eine eigene Meinung und ihre Berücksichtigung<br />

Kinder erfahren zunehmend Anerkennung als Rechtssubjekt. Die Schulung von Anwälten, Staatsanwälten,<br />

Richtern, Polizeibeamten und Sozialarbeitern in <strong>Kinderrechte</strong>n sowie die regelmäßige<br />

Anwesenheit von BICE-Mitarbeitern als Vermittler haben dazu geführt, dass sich Kinder immer öfter<br />

vor Polizei und Justiz äußern können, ohne körperliche oder verbale Gewalt befürchten zu müssen.<br />

Immer häufiger wird die Aussage eines Kindes auch bei von diesen Behörden zu treffenden<br />

Entscheidungen berücksichtigt. Vor Gericht hat sich das Kind zunehmend aus seiner Rolle als<br />

»infans« (lat.: derjenige, der nicht spricht) befreit, um endlich als eine Person mit fundamentalen<br />

Rechten anerkannt zu werden. Zum Beispiel sind Polizeibeamte immer häufiger bereit, dem Kind auf<br />

dessen Verlangen das Vernehmungsprotokoll nochmals vorzulesen und die geltend gemachten Fehler<br />

oder Ergänzungen zu berücksichtigen.<br />

Artikel 15: Recht auf Vereinigungen und Versammlungen<br />

Konkrete Beispiele, wie die Kinder ihre Grundrechte selbst fördern. Im Jahre 2003 legte BICE besonderen<br />

Wert auf die aktive Mitwirkung der Kinder und Jugendlichen und reaktivierte bereits bestehende<br />

Jugendgruppen im Kongo. Diese organisierten verschiedene Veranstaltungen mit dem Ziel,<br />

andere Kinder, aber auch Erwachsene, über die Rechte von Kindern sowie über ihre bedrückende<br />

Situation in Gefängnissen zu informieren. Durch solche Maßnahmen fällt es den Familien leichter, die<br />

Rückkehr ihrer aus dem Gefängnis entlassenen Kinder zu akzeptieren.<br />

Artikel 37: Recht auf Schutz vor Folter und Freiheitsentzug<br />

Sichtlicher Rückgang von grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen. Die Partner<br />

von BICE, insbesondere die Polizeibeamten und das Gefängnispersonal, die im Strafrecht und im aktiven<br />

Zuhören geschult wurden, haben zunehmend ein Verhalten entwickelt, dass die Rechte und die<br />

Würde des Kindes respektiert. Durch regelmäßige Präsenz und kontinuierliche Schulung und<br />

Beeinflussung des Gefängnispersonals konnte ein deutlicher Rückgang von Brutalitäten (Schläge mit<br />

der Faust, mit dem Gürtel oder Stromkabel) sowie von sexuellen Angriffen auf Mädchen und entwürdigende<br />

Nötigungen, wie sich vollständig auszuziehen, erreicht werden.<br />

Bedeutende Reduzierung von willkürlichen Verhaftungen. Im Rahmen seiner Zusammenarbeit mit dem<br />

Staat hat BICE für jedes Land, in dem BICE tätig ist, offizielle Zugangsgenehmigungen für<br />

Gefängnisse und Arrestzellen während der Untersuchungshaft erhalten.<br />

5


6<br />

Durch den wöchentlichen Besuch von mehr als 150 Kommissariaten und Polizeistationen wurden<br />

gezielt willkürliche Verhaftungen von Kindern aufgedeckt und deren unmittelbare Entlassung und<br />

Rückführung an die Eltern oder eine Aufsichtsperson veranlasst. 2003 gab es insbesondere in Mbuji-<br />

Mayi im Kongo mehrere Fälle, in denen Kinder ganz willkürlich unter dem völlig unbegründeten<br />

Verdacht der »Rebellion« oder des »Angriffs auf die Staatssicherheit« verhaftet wurden. Diese Kinder<br />

wurden auf Intervention von BICE unmittelbar freigelassen.<br />

Die von BICE organisierten Schulungen ermöglichten es, mit Hilfe von konkreten Fallbeispielen die<br />

gesetzlichen Anforderungen der Inhaftierung oder Ingewahrsamsnahme eines Kindes zu konkretisieren.<br />

Die Statistik zeigt einen leichten Rückgang illegaler Verhaftungen.<br />

Verbesserte Einhaltung gesetzlicher Haftfristen. Die von BICE erarbeitete »Gesetzessammlung zur Jugendgerichtsbarkeit«<br />

wurde 2003 an mehr als 2000 Partner im Kongo und in der Elfenbeinküste verteilt.<br />

Diese Arbeitshilfe, die alle nationalen und internationalen Bestimmungen zum Schutz von<br />

<strong>Kinderrechte</strong>n auflistet, enthält Analysen und Kommentare zur besseren Umsetzung dieser Rechte.<br />

Die Veröffentlichung und Verbreitung dieser Gesetzessammlung hat dazu beigetragen, die aus den<br />

Schulungen von Polizeibeamten, Staatsanwälten, Anwälten und Richtern gewonnenen Erkenntnisse<br />

zu vertiefen und <strong>Kinderrechte</strong> wirksamer zu schützen.<br />

Diese unterschiedlichen Maßnahmen haben bewirkt, dass die Haftdauer (in Gefängnissen oder<br />

Polizeigewahrsam) sich sichtbar reduziert hat und, im Einklang mit den jeweiligen gesetzlichen<br />

Bestimmungen, »so kurz wie möglich« gehalten werden konnte.<br />

Systematischer Abbau von Gerichtsverfahren bei geringfügigen Streitigkeiten. Zu Beginn seines Engagements<br />

im frankophonen <strong>Afrika</strong> stellte BICE fest, dass viele Kinder bereits wegen geringfügiger<br />

Rechtsverletzungen, meistens kleinerer Diebstähle (Hühner, Bananen etc.) strafrechtlich verfolgt<br />

und verurteilt wurden.<br />

Dies veranlasste BICE, die Polizei und Staatsanwaltschaft für eine außergerichtliche Klärung solcher<br />

Streitigkeiten (unmittelbar vor Ort und möglichst im Beisein des Opfers) zu sensibilisieren, um so<br />

den Eintritt des straffällig gewordenen Kindes in ein Justizverfahren zu verhindern. Mit<br />

Einverständnis der Polizeibeamten und Staatsanwälte traten BICE-Mitarbeiter bei kleineren<br />

Streitigkeiten als Vermittler auf und suchten konsequent nach außergerichtlichen Lösungen, die<br />

sowohl im Interesse des Opfers als auch des straffälligen Kindes lagen. Bei gescheiterten<br />

Vermittlungsverhandlungen und im Fall schwerer Straftaten leistete BICE den betroffenen Kindern in<br />

Zusammenarbeit mit Anwälten rechtlichen Beistand. In den Verhandlungen achteten BICE-<br />

Sozialarbeiter und Anwälte darauf, dass Entscheidungen im Einklang mit dem Gesetz und unter<br />

Berücksichtigung des besonderes Interesses des Kindes getroffen wurden.<br />

Stetige Verbesserung der Haftbedingungen für Minderjährige. Auf Initiative von BICE wurde in 17 Gefängnissen<br />

ein separater Unterbringungstrakt für Kinder und Jugendliche eingerichtet. Dadurch<br />

wurde eine effektive Trennung der erwachsenen von den minderjährigen Häftlingen und ein wirksa-<br />

Noch immer treffen wir bei unserer Arbeit auf Haftbedingungen, die in unerträglicher<br />

Weise gegen elementarste <strong>Kinderrechte</strong> verstoßen.<br />

7<br />

Es gelingt BICE aber zunehmend – in Zusammenarbeit mit der lokalen Justiz –<br />

Haftbedingungen zu verbessern und Alternativen zur Haft von Kindern zu initiieren.


mer Schutz ihrer psychischen sowie physischen Integrität ermöglicht. In Bamako, Mali, wurde der<br />

Unterbringungstrakt für Minderjährige ganz aus dem Gefängnisbereich ausgegliedert.<br />

Zusammen mit den minderjährigen Häftlingen sowie verschiedenen Partnern sorgte BICE für eine<br />

regelmäßige Sanierung der Hafträume, um das Risiko von Infektionen, Krankheiten und Epidemien<br />

zu verringern. Die Unterstützung mit zusätzlichen Essensrationen und die Möglichkeit zur täglichen<br />

Körperhygiene haben ebenfalls zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes der inhaftierten<br />

Kinder beigetragen.<br />

Darüber hinaus erhielten sie psychologische Hilfe, durch die sie neues Selbstvertrauen gewannen<br />

und zusammen mit Hilfe der BICE-Betreuer eine Perspektive für ihre Zukunft entwickeln konnten.<br />

Maßnahmen der alternativen Schulbildung bzw. Berufsausbildung wurden verbunden mit sportlichen<br />

und kulturellen Aktivitäten und eröffneten für viele Kinder eine neue Chance auf Zukunft: Arbeit,<br />

Geld, Selbstbestätigung und Anerkennung durch ihre Familien.<br />

Artikel 40: Recht auf Jugendgerichtsbarkeit<br />

Wiederbelebung des Reformprozesses. Im Kongo initiierte BICE Gesprächsrunden, um den Reformprozess<br />

zur Harmonisierung der auf Minderjährige anwendbaren nationalen Gesetze mit internationalem<br />

Recht wiederzubeleben. Hierbei wurde vor allem die Notwendigkeit betont, den Polizeiapparat<br />

sowie das Justizsystem gemäß den internationalen Anforderungen im Bereich der <strong>Kinderrechte</strong> zu<br />

spezialisieren. Dieses Anliegen wurde vom Justizministerium aufgegriffen und durch einen entsprechen<br />

Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht.<br />

Als Übergangslösung bis zur Verabschiedung und Umsetzung der notwendigen Reformen konnte BICE<br />

erreichen, dass die Staatsanwaltschaft zwei ihrer Staatsanwälte, von BICE in <strong>Kinderrechte</strong>n geschult,<br />

speziell mit der Bearbeitung der Fälle straffälliger Minderjähriger betraut wurden.<br />

Größere Achtung des Privatlebens von Kindern. In der Elfenbeinküste wurden mehrere Journalisten von<br />

BICE in Seminaren zum Thema <strong>Kinderrechte</strong> geschult, damit Rechte, Würde und Privatsphäre von<br />

Kindern in Gefängnissen oder Polizeigewahrsam in jedem Verfahrensabschnitt respektiert werden.<br />

Photos, Namen und Adressen der betroffenen Kinder sowie Artikel, die dies missachten, werden in<br />

der Presse nur noch selten veröffentlicht.<br />

Haftalternativen als Regel und nicht als Ausnahme. Durch Schulungen und Sensibilisierung der Staatsanwälte<br />

wurde erreicht, dass diese zunehmend dazu übergehen, alternative Strafmaßnahmen zu<br />

verhängen (z.B. Rückgabe des Kindes in die Obhut der Eltern, Unterbringung in einem Rehabilitationszentrum)<br />

statt die Minderjährigen gemäß der bisher üblichen Praxis zu einer unangemessenen<br />

und nicht selten drakonischen Haftstrafe zu verurteilen.<br />

Das Rehabilitationszentrum Erb Alois (CREA) in Abidjan sowie das Kinderschutzzentrum in<br />

Kinshasa, zwei von BICE geschaffene und verwaltete Einrichtungen, ermöglichten es den Richtern,<br />

ihrer Pflicht nachzukommen, statt Repressionen und Haftstrafen erzieherischen Maßnahmen den<br />

Vorzug zu geben. In Mali, Senegal und Togo wurden ebenfalls große Fortschritte in Richtung<br />

Haftalternativen gemacht.<br />

Regelmäßige Frühförderung von Kleinkindern, die mit ihren Müttern im Gefängnis<br />

aufwachsen, verhindert weitgehend bleibende Entwicklungsschäden.<br />

8<br />

Francis hat einen kleinen Diebstahl begangen. Dank der guten Zusammenarbeit<br />

zwischen dem BICE-Sozialarbeiter und der Polizei konnte eine gütliche Einigung<br />

mit den Geschädigten gefunden werden, die Francis eine Gefängnishaft erspart.<br />

2 Mitarbeiter aus Mbuji-Mayi schildern ihre Eindrücke nach<br />

einjähriger Projektlaufzeit. Welche Veränderungen konnten<br />

Sie, auch in Bezug auf Ihre eigene Person, feststellen?<br />

Hilaire, staatlicher Sozialarbeiter: »Die Zusammenarbeit mit BICE hat zu erstaunlichen und für uns vorher<br />

auch unvorstellbaren Veränderungen geführt. Unsere Sicht- und Verhaltensweise gegenüber Kindern und<br />

Gefangenen hat sich völlig gewandelt. Die bisherige Einstellung gegenüber straffällig gewordenen Kindern<br />

war untragbar. Auch die Sichtweise der Kollegen und der staatlichen Stellen hat sich stark verändert.<br />

Früher wurde ein Gefangener überhaupt nicht mehr als Mensch betrachtet. Jetzt haben die Polizisten<br />

und auch jeder andere begriffen, dass selbst derjenige elementare Rechte hat, der eine Straftat begangen<br />

hat. Alte Praktiken, wonach Gefangene nicht einmal das Recht hatten, ihre Notdurft zu verrichten<br />

und bei der Aufsicht ausschließlich Gewalt angewendet wurde, sind innerhalb eines Jahres vollständig<br />

aufgegeben worden. Es hat ein Bewusstseinswandel stattgefunden.<br />

Auch mein eigenes Ansehen in der Gesellschaft hat sich durch meine Arbeit verändert. Ich merke, dass<br />

ich von meinen Mitmenschen aufmerksam beobachtet werde. Das gibt mir das Gefühl, an der<br />

Entwicklung meines Landes mitzuwirken. Dies ist sehr befriedigend, obwohl es mich auch zwingt, die<br />

mit dieser gesellschaftlichen Stellung verbundene Verantwortung zu tragen.«<br />

Jacky, eine Betreuerin, fügt hinzu: »Durch meine Arbeit konnte ich feststellen, dass sich die Kinder in den<br />

Gefängnissen nicht von anderen Kindern unterscheiden. Sie haben eigene Vorstellungen, bilden sich<br />

eigene Meinungen und haben viele, oft ungeahnte Fähigkeiten. Wenn man diesen Kindern die<br />

Gelegenheit gibt, sich zu entfalten, dann sind sie genauso engagiert und erfolgreich. Wichtig ist, dass<br />

sie eine Grundausbildung erhalten, ihnen all die kleinen Dinge vermittelt werden, die für ein<br />

Zusammenleben in der Gemeinschaft unabdingbar sind: Respekt, Achtung, Sauberkeit… Man muss<br />

ihnen eine Orientierung für die Zukunft geben. Ein Kind braucht Perspektiven, um sich entfalten und<br />

seine Talente nutzen zu können.<br />

Meine Arbeit bereitet mir sehr viel Freude, vor allem wenn ich sehe, wie die Kinder aus sich herausgehen<br />

und aktiv werden. Ihre Reaktionen zeigen, dass sie gewillt sind, den Schritt nach vorn zu machen,<br />

was mich sehr ermutigt. Sie schätzen die von uns angebotene Hilfestellung und Unterstützung.«<br />

Jugendliche haben sich in einem Junior Komitee zusammengeschlossen und ihm<br />

den Namen »Hoffnung« gegeben. Ihr Komitee will sich für die Rechte von Kindern<br />

einsetzen und weitere Jugendliche und Erwachsene für diese Aufgabe gewinnen.<br />

9


© Reuters / Jacky Naegelen<br />

10<br />

Projekt zur Unterstützung der Rehabilitation und<br />

Wiedereingliederung von ehemaligen Kindersoldaten<br />

und Kindern als Opfer von bewaffneten<br />

Konflikten. Kinshasa und Kasaï-Provinzen, D.R. Kongo<br />

Projektfinanzierung: 303.380 Euro<br />

Frieden - eine Herausforderung für dieses Land, das schon zu viele Jahre unter Krieg gelitten<br />

hat. Frieden schaffen, das heißt: neues Vertrauen fassen, sich auf die eigene Identität sowie die<br />

Grundlagen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens besinnen, die Achtung vor dem Gesetz neu<br />

etablieren und den Rechtsstaat wieder aufbauen. BICE ist hiervon überzeugt und leistet durch<br />

dieses Programm einen kleinen Beitrag dazu.<br />

Seit Anfang 2003 befindet sich die Demokratische Republik Kongo in einem Friedensprozess.<br />

Die internationale Gemeinschaft übt weiterhin Druck aus, um dem innerstaatlichen Dialog zu<br />

einem erfolgreichen Abschluss zu verhelfen. Inzwischen wurde von den verschiedenen<br />

Konfliktparteien und Interessengruppen ein Übereinkommen erzielt und unterzeichnet. Damit<br />

besitzt dieses Land endlich eine vorläufige Verfassung und eine Übergangsregierung.<br />

Einziehung von Kindern: keiner entkommt dem Krieg unbeschadet. »Willkommen! Wir sind die ‚têtes<br />

troublées‘ (verwirrten Köpfe). Pascal hier, das ist der Anführer; der dort, ist Stellvertreter... Lach‘ nicht.<br />

Wir haben wirklich jeder einen verwirrten Kopf. Es gibt Momente, da geht’s uns gut, und plötzlich tut<br />

der Kopf weh und Wut steigt auf. Schuld sind die ‚gri-gri‘, die man uns gegeben hat, damit wir im Kampf<br />

keine Angst haben und unverletzbar sind. Siehst Du, mir haben sie da in den Arm Nadeln eingeführt,<br />

die nun in meinem Körper herumirren. Die müsste man entfernen, damit es besser wird, damit ich wieder<br />

normal werde.«<br />

Das waren die Begrüßungsworte einer Gruppe ehemaliger Kindersoldaten in Tubuluku, wo BICE ein<br />

Rehabilitationszentrum am Stadtrand von Kananga aufgebaut hat. Die 17 Jugendlichen wurden im<br />

letzten September entwaffnet und nach 8-jährigem Militärdienst aus der Armee entlassen. Sie sind<br />

hier im Friedensdorf BUPOLE, um sich auf ihre Rückkehr ins zivile Leben vorzubereiten.<br />

Zeit für die Wiedereingliederung; ein Übergang zum friedlichen Leben<br />

Erlernen konstruktiven Verhaltens. Die aus der Armee entlassenen Jugendlichen wurden von den BICE<br />

Mitarbeitern sowie den Dorfbewohnern von Tubuluku, die beim Bau des Rehabilitationszentrums mitgeholfen<br />

und seit Monaten etwas ängstlich auf die Ankunft der Jugendlichen gewartet haben, empfangen.<br />

Die Einbeziehung der Gemeinde ist <strong>Teil</strong> des Rehabilitationsprojektes. Toleranz und Offenheit<br />

gegenüber den Jugendlichen seitens der Gemeinde ist Voraussetzung dafür, dass die Jugendlichen<br />

wieder einen Platz innerhalb der Gemeinde einnehmen können. Mit der Pflanzung von Bäumen wurde<br />

ein erstes Zeichen des Neubeginns gesetzt.<br />

Vom Soldat zum Zivilbürger. Die Jugendlichen konnten sich satt essen, medizinisch behandelt werden<br />

sowie von ihren Erlebnissen, Träumen und Ängsten berichten. Die gesundheitliche Rehabilitierung<br />

ist ein erster Schritt. Aber auch das Leben als Zivilist muss neu erlernt werden. Vormittags wird<br />

unterrichtet: Lesen, Schreiben, Rechnen (Kenntnisse, die beim Überlebenskampf oft in<br />

Vergessenheit geraten sind) sowie Friedenserziehung und Gesellschaftskunde. Nachmittags werden<br />

praktische Kenntnisse in einem Berufsfeld vermittelt. Dies eröffnet den Jugendlichen die<br />

Möglichkeit, Anerkennung nicht wie bisher durch das Tragen einer Waffe, sondern durch ihre besonderen<br />

Fähigkeiten und deren Einsatz zugunsten der Gemeinde zu erlangen. Am Abend ist Zeit für<br />

11


Sport und Spiel zur Entspannung... Die Dorfbewohner sind jedoch so gute Fußballer, dass unsere<br />

Jugendlichen nicht mehr mit ihnen spielen wollen. Sie fühlen sich unterlegen. Der Alltag ist gepflastert<br />

mit kleinen Erfolgen sowie mit Rückfällen zu Drogen, um die Sorgen wie bisher zu verdrängen.<br />

Streitereien wegen Kleinigkeiten entstehen so schnell wie Sommergewitter.<br />

Erneuerung der Familienbande nach langer Unterbrechung. Mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes<br />

werden die Familien der ehemaligen Kindersoldaten ausfindig gemacht. Dann der erste telefonische<br />

Kontakt. Die Angst vor dem Telefonat und die Emotionen danach sind so stark, dass sie fast<br />

greifbar sind. Bei einigen ging es schnell, andere warten noch immer auf Nachricht. Die seelische<br />

Belastung ist groß und kann verschiedene Formen annehmen: Magenschmerzen, Aggressivität,<br />

Depression…<br />

Enttäuschungen und große Ängste<br />

Nach so langer Abwesenheit – keine Rückkehr mit leeren Händen. Obwohl die Erzieher versichern, dass<br />

die Jugendlichen nach Verlassen des Rehabilitationszentrums auch weiterhin bei der<br />

Wiedereingliederung unterstützt werden, sind diese verunsichert. Die Armeebehörden hatten eine<br />

Wiedereingliederungsprämie versprochen; den Gerüchten zufolge fehlt hierfür aber das Geld. Was sollen<br />

sie ohne diese Prämie machen? Eine Rückkehr nach Hause mit leeren Händen ist unmöglich. Wut<br />

kommt auf; die Jugendlichen fühlen sich verraten und möchten sich wehren; die Erzieher können<br />

nicht verhindern, dass der Streit eskaliert. Plötzlich sind die nach und nach aufgegebenen militärischen<br />

Verhaltensmuster wieder da. Die Erzieher sind verunsichert, auch sie haben Angst.<br />

Ausgerüstet für einen Neuanfang. Der Arbeitsalltag nimmt seinen Lauf. Ein neuer Beruf kommt hinzu.<br />

Und schon verabschiedet sich Paul. Er trägt neue Kleidung und einen Rucksack mit seinen persönlichen<br />

Sachen. Er hat ein paar Dollar in der Tasche und besitzt die nötige Ausrüstung, um eine Arbeit<br />

Der Erwerb handwerklicher Fähigkeiten ist ein wichtiger Schritt bei der Vorbereitung<br />

der sozialen Integration von ehemaligen Kindersoldaten. Die Jugendlichen<br />

12<br />

sind stolz, etwas Positives und Nützliches geschaffen zu haben und können so<br />

auch besser ihre Aggressionen bewältigen.<br />

als Bäcker zu beginnen. Er kehrt nicht mit leeren Händen zurück. Er ist stolz und zufrieden, aber auch<br />

beunruhigt. Was erwartet ihn zu Hause? Wird er sich wieder eingewöhnen können? Die anderen<br />

beneiden ihn, wünschen ihm viel Glück. Sie werden auch bald gehen. Nach und nach leert sich das<br />

Zentrum, aber die nächste Gruppe ist bereits angekündigt.<br />

Die Wiedereingliederung ehemaliger Kindersoldaten – ein schwieriges Unterfangen. Einige Jugendliche<br />

haben ihre Einheit verlassen, ohne ihre offizielle Entlassung aus der Armee abzuwarten. Mit<br />

dem Sold, den sie noch immer erhalten, haben sich manche ein Zimmer in einem der ärmeren<br />

Stadtviertel gemietet und erste Kontakte in der Nachbarschaft geknüpft. Die Rückkehr ins Zivilleben<br />

hat dort also bereits begonnen. Für BICE kommt es daher nicht in Frage, diese Jugendlichen anderswo<br />

unterzubringen. Das wäre ein Schritt zurück. BICE und seine lokalen Partner haben vielmehr entschieden,<br />

unmittelbar in den Vierteln Hilfe zu leisten. Die Maßnahmen des Rehabilitationszentrums<br />

werden damit dezentralisiert und der Realität vor Ort angepasst. Die Gemeinde lässt sich trotzdem<br />

nur ungern einbeziehen; das Leben ist für jeden einzelnen sehr hart geworden, für Solidarität ist<br />

kaum Platz. Außerdem herrscht Misstrauen; die ehemaligen Soldaten könnten gefährlich sein; man<br />

hat gelernt, nur noch sich selbst zu vertrauen.<br />

Alle Kinder sind von den bewaffneten Auseinandersetzungen gezeichnet. Diejenigen, die den Krieg<br />

nicht führten, mussten ihn ertragen. Vertreibung, Flucht und Übergriffe jeglicher Art:<br />

Gewalttätigkeiten, Erniedrigungen, Plünderungen, Vergewaltigungen... Alle Zivilisten ohne<br />

Altersunterschied waren hiervon betroffen. Viel Grund also für Leid und Not. In den meisten Familien<br />

wird abwechselnd gegessen, da das Essen an einem Tag nicht für alle reicht. Krankenstationen sind<br />

geschlossen, die Schule funktioniert kaum. Die Kinder trifft dies besonders hart, und die Situation<br />

der Mädchen ist beunruhigend, oft tragisch. Zu den Auswirkungen des Krieges kommt für sie noch<br />

die traditionelle Rolle hinzu, nach der Mädchen und Frauen kaum von Wert sind.<br />

Und die Mädchen? Die Mädchen wurden nicht nur für den aktiven Kampf eingesetzt, sondern darüber hinaus<br />

auch fast systematisch vergewaltigt. Frühe Schwangerschaften, eine hohe Mütter- und<br />

Kindersterblichkeit aufgrund fehlender Vorsorge, Behandlung und unzureichender Ernährung sowie<br />

eine häufige Infizierung mit übertragbaren Geschlechtskrankheiten (HIV-Virus/Aids) sind die Folgen.<br />

Einige der Mädchen wurden »Ehefrauen der Kommandeure«, so die Bezeichnung der Männer. In<br />

Wirklichkeit sind sie unter Zwang und später aufgrund von Gewohnheit und Überlebensnotwendigkeit<br />

zu ihren Konkubinen geworden, ohne Status und Schutz. Weder in der Armee noch in der<br />

Sozialgemeinschaft des Dorfs oder der Stadt können die Mädchen von Vergewaltigung sprechen.<br />

Überall betrachtet man sie als die Schuldigen, die Schande über die Familie gebracht haben. Sie werden<br />

von der Gemeinschaft verstoßen und verlieren jede Aussicht auf eine Heirat.<br />

Auch hier ist ein auf die Zivilgesellschaft ausgerichteter Ansatz sowie eine systematische<br />

Sensibilisierung unerlässlich. Die Aktivierung der Familien und der Gemeinden für die Zukunft der<br />

Kinder, Opfer des Krieges, ist eine von vielen zu meisternden Herausforderungen auf dem Weg zu<br />

einem dauerhaften Frieden.<br />

Im Gespräch mit den BICE-Psychologen und -Sozialarbeitern bringen ehemalige<br />

Kindersoldaten ihre Erwartungen im Hinblick auf die Rückkehr ins zivile Leben<br />

zum Ausdruck – ihre Hoffnungen, ihre Ängste.<br />

13


Weg der familiären und sozialen Wiedereingliederung eines<br />

ehemaligen Kindersoldaten.<br />

Salumu (18) gehörte zur ersten Gruppe von jungen Soldaten, die von der Regierung im<br />

September 2003 in Kananga entlassen wurden. Er stammt aus Kindu (ca. 800 km südlich von<br />

Kisangani im Osten des Landes). Zusammen mit 17 anderen Jugendlichen wurde er im BICE-<br />

Zentrum für Rehabilitation und Wiedereingliederung BUPOLE (Friedensdorf) aufgenommen.<br />

Während unser Pädagogikteam versuchte, seine Familie ausfindig zu machen, setzte Salumu seine<br />

Ausbildung zum Bäcker fort. Der Junge war aufgrund seines Verhaltens ziemlich schwierig und gehörte<br />

zum »harten Kern« der Gruppe. Über Frau Kapunga, Leiterin des Familienministeriums der Kindu-<br />

Provinz, fanden wir seine Familie. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Junge bereits 5 Monate bei uns.<br />

An dem Tag, an dem er das erste Mal mit seiner Mutter telefonierte, stieß er laute Freudenschreie<br />

aus und machte Luftsprünge. Seine Mutter am anderen Ende der Leitung, in Kindu, schrie: »Ja, er ist<br />

es. Das ist mein Sohn. Ich habe seine Stimme erkannt… Er lebt.« Von diesem Tag an war er völlig verändert.<br />

Er wurde sehr kooperativ, zugänglich, entgegenkommend und zeigte sich bereit, mit den<br />

Erziehern und seinen Kameraden zusammenzuarbeiten. 8 Jahre lang hatte Salumu, der mit 10 eingezogen<br />

wurde, keinen Kontakt zu seiner Familie.<br />

… Das Flugzeug der MONUC (Friedenstruppe der Vereinten Nationen im Kongo) ist in Kindu gelandet.<br />

Der Bus hat uns zum Sitz der UN-Organisation im Stadtzentrum gebracht.<br />

50 Meter weiter, im Büro von Frau Kapunga, warteten seine Mutter und seine Tante. Frau Kapunga<br />

kam zu uns und begrüßte die Jugendlichen (Wir begleiteten 2 Jugendliche bei der Zusammenführung<br />

und der Wiedereingliederung in ihre Familien: Salumu in Kindu und Rashidi in dem ca. 200 km<br />

Begleitet von einem Chor aus Kananga, der von Frieden, Versöhnung und<br />

Hoffnung singt, beginnen ehemalige Kindersoldaten die ersten Schritte in ein<br />

ziviles Leben im von BICE aufgebauten Friedensdorf »BUPOLE«.<br />

14<br />

entfernten Samba). Dann rief sie der Mutter zu: »mutoto ye uyu, mukuye uku« (»Hier ist ihr Kind.<br />

Kommen Sie!«). Woraufhin die alte Mutter (über 60) mit offenen Armen und laut rufend über die<br />

Straße lief: »mutete wangu, mutete wangu...« (»mein Sohn, mein Sohn…«). Der junge »Rdc« (sein<br />

Spitzname) schloss wie hypnotisiert die Augen und kuschelte sich in die Arme seiner Mutter, die weinte.<br />

Sie blieben einen Moment so stehen und ein Fotograf verewigte diesen Augenblick durch ein Foto.<br />

Passanten und andere Schaulustige wunderten sich, was da wohl passiert sei und riefen: »yooooh...«,<br />

was abhängig von der jeweiligen Situation Mitgefühl, Freude oder Mitleid ausdrückt. Salumu und<br />

seine Mutter genossen indessen ihr Wiedersehen.<br />

Nach einem ersten Treffen mit der Partnerorganisation ASEFA (Bündnis zum Schutz des Kindes und<br />

alleinstehender Frauen), die den Jugendlichen bei der familiären und sozialen Wiedereingliederung<br />

betreuen wird, gingen wir zu der Familie nach Hause.<br />

Die Mutter trug den Koffer des Jungen auf dem Kopf, und wir liefen in das 3 km vom Stadtzentrum<br />

entfernte Viertel Lumbulumba. Das mit Stroh gedeckte Haus ist in 3 Räume unterteilt, sauber und<br />

gepflegt. Nachdem uns die Mutter hereingebeten hatte, ergriff ich das Wort und sagte in Swahili:<br />

»Mutter, hier ist dein Kind; Salumu, dort ist deine Mutter. Du bist jetzt bei deiner Familie, zu Hause.«<br />

Und die Mutter wandte sich an den Jungen: »Ich hatte 12 Kinder. 10 sind gegangen (gestorben). Ihr<br />

seid jetzt nur noch zu zweit, deine älteste Schwester und Du, mein jüngstes Kind. Dein Vater ist gestorben<br />

als du 8 warst, mit 10 bist Du gegangen. Und heute, dank Gottes, kommst Du wieder zurück, lebend.<br />

Du musst arbeiten, heiraten und den Namen deines Vaters weitergeben. Vorsicht bei den Mädchen hier,<br />

es gibt Krankheiten (Anspielung auf Aids), viele junge Leute sterben...«<br />

Sie hörte auch nicht auf, uns zu danken.<br />

Als wir uns erhoben um zu gehen, forderten uns Mutter, Tante und der Junge auf, zum Essen zu bleiben.<br />

Neben dem Kochtopf lag bereits ein großer Hahn, der uns zu Ehren geschlachtet werden sollte.<br />

Dies erinnerte mich sofort an die Gewohnheit meiner eigenen Mutter, zu Ehren besonderer Gäste ein<br />

Huhn oder einen Hahn zu opfern...! In unserer Kultur ist ein als Opfer dargebrachter Hahn mehr wert<br />

als ein Elefant. Da unser Flug bereits am Nachmittag ging (der Betreuer flog zurück nach Kananga<br />

und ich weiter bis nach Kinshasa) mussten wir dankend ablehnen.<br />

Der Junge begleitete uns noch zurück und sagte zum Abschied: »Vergessen sie nicht, mich immer zu<br />

besuchen, wenn sie in Kindu sind. Unser Haus ist Ihr Haus…«<br />

Damit begann für den ehemaligen Kindersoldat ein neues Leben…<br />

Grégoire NTAMBUA K.N. Koordinateur von BICE-KONGO<br />

Von Zukunftsängsten geplagt suchen die Jugendlichen das Gespräch mit dem<br />

Vizegouverneur der Provinz: »Was wird aus uns? Wird der Staat seine Versprechen<br />

uns gegenüber einhalten?«<br />

15<br />

Nach 3 Monaten intensiver Vorbereitung im Friedensdorf »BUPOLE« kommt der<br />

Abschied, der Aufbruch, die Rückkehr in die Familie oder die Integration in eine<br />

neue Sozialgemeinschaft. Fast alle stellen sich die bange Frage: »Wie werden wir<br />

aufgenommen?«


Als Hexen verfemte Kinder.<br />

Ausgebeutete Kinder in Kinshasa, D.R. Kongo<br />

Projektfinanzierung: 4.595 Euro*<br />

(*Weitere Kosten sind in der Finanzierung des Regionalprojektes Kinder in Polizeigewahrsam enthalten)<br />

Wenn der Wunderzirkus auf der Straße gastiert. Pfosten und einige Dachbleche schlechter Qualität, das<br />

ist die »Kirche der Wiederauferstehung« in dieser Ecke des sozial benachteiligten Viertels im<br />

Nordosten der Millionenstadt.<br />

Die Präsenz von geistig Behinderten an der Leine und Menschen mit Missbildungen im Gesicht verleihen<br />

dieser sogenannten Kultstätte den Anschein eines Wunderzirkus. Im hinteren <strong>Teil</strong> der »Kirche«<br />

hat sich eine Gruppe von ca. 15 Jugendlichen, vorwiegend Mädchen, um ihren »Priester« versammelt.<br />

Er erklärt, warum sich solche Kinder in seiner Kirche befinden und wie er sie von der Hexerei befreit.<br />

Die von ihm »behandelten« Kinder sind sogenannte »Hexenkinder«, die von ihrem familiären Umfeld<br />

aufgrund der bösen Mächte, die sie angeblich besitzen, für unglückliche Ereignisse oder das Elend<br />

der Familie verantwortlich gemacht werden.<br />

Der Präsident der D.R. Kongo, Joseph Kabila, hat sich von dem Phänomen der »Hexenkinder« betroffen<br />

gezeigt und mehrmals seine Entschlossenheit bekundet, diesem Problem in der politischen<br />

Agenda eine gewisse Priorität einzuräumen, um dem Missbrauch von Kindern den Kampf anzusagen.<br />

Hexerei und Austreibung – häufig ein lukratives Geschäft. Die unbegründete Anschuldigung ist oft<br />

auf den Einfluss der Priester der »Kirche der Wiederauferstehung« zurückzuführen. Diese haben in<br />

einem Land, in dem der Glaube und religiöse Wunderheilpraktiken noch fest in der Gesellschaft verankert<br />

sind, Exorzismus- und Austreibungsrituale zu ihrer Geschäftsgrundlage gemacht.<br />

Familien, die sich in Schwierigkeiten befinden, werden häufig von solchen Priestern dazu angestiftet,<br />

eines ihrer Kinder für das Unglück verantwortlich zu machen und es einem Austreibungsritual zu<br />

unterwerfen. Oft werden diese Kinder, nachdem ihnen verschiedene Arten von Gewalt angetan wurden,<br />

»auf die Straße gesetzt«. Stigmatisiert und traumatisiert werden sie sodann von Wunderheilern<br />

der »Kirche der Wiederauferstehung« in Obhut genommen, manchmal jedoch auch unter dem<br />

Vorwand der »Austreibung« von den Priestern sexuell missbraucht.<br />

© Geneviève Justin<br />

Diese Kinder, die der Hexerei beschuldigt und von ihrer Familie verstoßen wurden,<br />

fanden Unterschlupf bei einer Sekte, die Wunderheilungen verheißt. Im Wesentlichen<br />

sind diese Kinder sich selbst überlassen.<br />

Klein und schutzlos werden sie leicht Opfer von Sektenführern und Wunderheilern,<br />

die sich ihre Hilflosigkeit zunutze machen.<br />

Unser Geistlicher bestreitet, einer jener »Scharlatane« zu sein. Er verfüge tatsächlich über Heilungskräfte,<br />

die er zugunsten der von ihm betreuten Kinder einsetzt. Seine angewandten Heilungspraktiken<br />

sind jedoch sehr fragwürdig, zumal oft schmerzhaft und unmenschlich. Zudem verrät sein<br />

Verhalten gegenüber einigen der Mädchen, welche Art von Beziehung er wirklich zu ihnen pflegt.<br />

Aufklärung und Sensibilisierung ohne Unterlass – eine Herausforderung für den Staat, BICE und<br />

die Zivilgesellschaft. Dieser und andere Priester sind Ziel einer Sensibilisierungskampagne, die BICE-Mitarbeiter<br />

zusammen mit Vertretern des lokalen Kinderschutzkommitees durchführen. Ihm wird verdeutlicht,<br />

in welche Gefahr er die Kinder bringt und welche strafrechtlichen Konsequenzen sich für<br />

ihn selbst daraus ergeben können. Er scheint die Richtigkeit des BICE-Anliegens zu verstehen und<br />

bekundet einen gewissen Kooperationswillen. Die BICE-Mitarbeiter wissen jedoch aus Erfahrung,<br />

dass sie auch weiterhin wachsam sein und eine regelmäßige Überprüfung durchführen müssen.<br />

Die Präventionsmaßnahmen in den Stadtvierteln, die in der Regel von Vertretern der lokalen<br />

Kinderschutzkomitees geleitet werden, ermöglichen auch, die Bewohner für die Rechte der Kinder<br />

und vor allem für die elterliche Fürsorgepflicht zu sensibilisieren. Diese Ansätze versuchen, das<br />

Phänomen der »Hexenkinder« zu entmystifizieren.<br />

Rehabilitation nach dem Trauma des Verstoßes und der Geisteraustreibung. BICE wird jedoch nicht<br />

nur präventiv tätig, sondern unterstützt auch die bereits betroffenen Kinder. Die Unterbringung im<br />

Kinderschutzzentrum in Kinshasa, einer Aufnahmeeinrichtung von BICE, ermöglicht es einigen der<br />

sogenannten »Hexenkinder«, physisch sowie psychisch wieder gesund zu werden und ihre Rückkehr<br />

in das familiäre Umfeld oder eine Ersatzfamilie vorzubereiten. 2003 wurden 22 Kinder im<br />

Schutzzentrum in Kinshasa aufgenommen, die meisten auf Veranlassung von besorgten<br />

Polizeibeamten oder Staatsanwälten, welche die Kinder besser schützen wollten und mit denen BICE<br />

eine feste Partnerschaft verbindet.<br />

Die Herausforderung der Wiedereingliederung – Lernen um sein Leben zu meistern. Die Wiedereingliederung<br />

wird vorbereitet durch aktives Zuhören, was den Stress und das erlittene Trauma verringert,<br />

und durch eine erzieherische Begleitung, die es ermöglicht, Zukunftspläne zu schmieden und<br />

umzusetzen. Dank der im Schutzzentrum oder in einer Schule des Viertels erworbenen Kenntnisse<br />

nimmt die Zukunftsplanung auch konkrete Formen an. Die 13 eingeschulten Kinder können sehr stolz<br />

auf ihre guten Schulzeugnisse sein: fast 90% haben bestanden!<br />

Auch die praktische Berufsausbildung hat dazu beigetragen, die Zukunftschancen der Kinder entscheidend<br />

zu verbessern. Im Jahr 2003 haben sich die sogenannten »Hexenkinder« für eine<br />

Ausbildung zum Automechaniker, Gemüsegärtner und Schreiner entschieden. Ihr Ideenreichtum und<br />

ihr sich langsam schärfender Geschäftssinn haben schon zu ermutigenden Ergebnissen geführt.<br />

Die Zukunftspläne der Kinder lassen sich jedoch nur innerhalb und mit der sozialen Gemeinschaft<br />

realisieren, wo jeder den anderen respektiert und sich somit nicht mehr als Außenseiter fühlt.<br />

Im Kinderschutzzentrum »Sauvetage« wachsen sogenannte »Hexenkinder« akzeptiert<br />

in der Gemeinschaft auf. Durch Sport und Spiel erleben sie Normalität und<br />

erfahren wieder ein Stück ungezwungener Kindheit.<br />

16 17<br />

Durch Geschick und Ausdauer bei kleinen handwerklichen Arbeiten stärken Kinder<br />

ihr Selbstwertgefühl. Durch den Verkauf ihrer Flechtarbeiten können sie sich ein<br />

Taschengeld erwirtschaften.


Ausgebeutete Kinder in Kananga.<br />

Kaisaï–Provinz, D.R. Kongo<br />

Projektfinanzierung: 88.321 Euro<br />

Sexueller Missbrauch von Mädchen und jungen Frauen. »Ich heiße Chantal. Ich bin 16 Jahre alt und komme<br />

aus einem kleinen Dorf in der Kasaï-Provinz. Ich litt unter Magenschmerzen, die von Tag zu Tag<br />

schlimmer wurden. Zusammen mit meiner Mutter ging ich ins Krankenhaus, wo uns die<br />

Krankenschwester sagte, dass ich unheilbar krank sei. Ihrer Ansicht nach hatte ich eine Krankheit mystischen<br />

Ursprungs, die nur von einem traditionellen Heiler behandelt werden konnte. Daher suchten<br />

meine Mutter und ich einen solchen Heiler auf.<br />

Der Heiler verlangte von meiner Mutter, mich bis zu meiner Genesung seiner Obhut zu überlassen. Einige<br />

Tage später forderte er mich auf, ihn in ein Nachbardorf zu begleiten, um dort eine Heilpflanze zu besorgen,<br />

die es in unserem Dorf nicht gab. Noch bevor wir das Nachbardorf erreichten, änderte der Heiler die<br />

Reiseroute, und wir setzen unseren Weg nun in Richtung Kananga fort.<br />

Während dieser Reise nutzte der Heiler meine Schutzlosigkeit aus und vergewaltigte mich. Jedes Mal,<br />

wenn ich Widerstand leistete, schlug er mich. Darüber hinaus rief er, er war ja traditioneller Heiler, böse<br />

Geister an, um mir Angst zu machen und mich dazu zu bringen, sexuelle Beziehungen zu ihm zu unterhalten.<br />

Eines Nachts stellte er unter Zugabe meiner Fingernägel einen mystischen Trank her; da er mir<br />

die Nägel gegen meinen Willen mit Gewalt abschnitt, erlitt ich schwere Verletzungen.<br />

Aufgrund all dieser Misshandlungen zeigte ich den Heiler bei unserer Ankunft im Dorf beim Dorfchef an.<br />

Als dieser ihn daraufhin zur Rede stellte, verteidigte er sich mit den Worten: »Das hier ist meine Frau,<br />

ich habe ihrer Familie alles (das volle Brautgeld) bezahlt«.<br />

Nachdem wir in Kananga angekommen waren, brachte mich der Heiler in das Stadtviertel, in dem seine<br />

Brüder wohnten. Da er nach Kikwit weiterreisen wollte, besorgte er in der Nachbarschaft ein Zimmer, wo<br />

er mich während unseres Aufenthaltes einsperrte. Als er eines Tages anfing, mich zu schlagen, habe ich<br />

beim Chef des Stadtviertels Anzeige gegen ihn erstattet, woraufhin Polizisten kamen und ihn verhafteten.<br />

Jetzt befindet er sich in Polizeigewahrsam. Mein Wunsch ist es, zu meiner Mutter in unser<br />

Heimatdorf zurückzukehren.«<br />

Armut, Unwissenheit, sexuelle Gewalt und gesellschaftliche Konventionen sind die<br />

Hauptursachen für ungewollte Schwangerschaften oder erzwungene Frühehen.<br />

Jung, lebensunerfahren und allein auf sich gestellt, haben diese Mädchen und<br />

ihre Kinder ohne Hilfe kaum eine Chance auf Zukunft.<br />

Diskriminierung von Mädchen und Verharmlosen ihres Missbrauchs. Die Diskriminierungen, die eine<br />

Abwertung der Stellung der Frauen und Mädchen darstellen, gehen einher mit dem Verharmlosen der<br />

Misshandlungen und vor allem des sexuellen Missbrauchs, deren Opfer sie werden können. Die<br />

Tatsache, dass junge Mädchen wie Chantal aufgrund von Zwang und Gewohnheit die »Ehefrauen«<br />

älterer Männer werden, die sie sexuell missbrauchen, schockiert niemanden. Frauen und Mädchen<br />

werden in diesem Zusammenhang praktisch als »Gegenstände« betrachtet.<br />

Aufgrund der hohen HIV-Infektionsrate sowie der vielfältigen traumatischen Erfahrungen, die diese<br />

Mädchen machen, sind ihre Gesundheit und ihre Zukunft sehr stark gefährdet. Die – meist ungeschützten<br />

– sexuellen Beziehungen, zu denen sie gezwungen werden, haben für viele Mädchen frühzeitige,<br />

ungewollte Schwangerschaften zur Folge. Sexuell übertragbare Geschlechtskrankheiten<br />

sowie Schwangerschaften stellen für die Familienangehörigen der Mädchen oft eine nicht hinnehmbare<br />

Schande und Entehrung der Familie dar, die fast systematisch zum Verstoß der Mädchen aus<br />

Familie und Gesellschaft führen.<br />

Die jungen Frauen werden für das ihnen widerfahrene »Unglück« selbst verantwortlich gemacht. Die<br />

Männer, die die gesellschaftliche Ausgrenzung der Mädchen verursacht haben, übernehmen für ihre<br />

Handlungen keine Verantwortung und werden in der Regel nur selten zur Rechenschaft gezogen.<br />

Die jungen Mütter, die sich von der Gesellschaft verstoßen und ohne Unterstützung auf der Straße<br />

wiederfinden, sehen oft keine andere Möglichkeit, als die Schwangerschaft abzubrechen oder ihr<br />

Kind nach der Geburt aufzugeben oder sterben zu lassen. Viele von ihnen können nur durch<br />

Prostitution überleben.<br />

Für eine soziale und gesellschaftliche Besserstellung der Frauen und Mädchen. Im Jahr 2003 erarbeitete<br />

BICE einige Handlungsansätze in Bezug auf diese jungen Frauen, um sich besser mit ihren<br />

Problemen vertraut zu machen, Möglichkeiten für ihre Unterbringung zu finden sowie gemeinsam mit<br />

ihnen Perspektiven für ihre Zukunft zu entwickeln. Die Schulung in Einkommen schaffende<br />

Maßnahmen sowie die Vermittlung einer Grunderziehung, insbesondere in den Bereichen Gesundheit<br />

und Sexualität, erlauben es den Mädchen, aus ihrer Außenseiterrolle herauszutreten und ihre eigene<br />

Zukunft selbst aktiv mitzugestalten. Immer mehr junge Mütter sind dadurch in der Lage, ihre<br />

Kinder selbst zu versorgen und zu erziehen.<br />

Darüber hinaus führte BICE zusammen mit den lokalen Kinderschutzkomitees und seinen Partnern<br />

des Netzwerkes »Für das besondere Interesse des Kindes« eine durch die Medien weit verbreitete<br />

Sensibilisierungskampagne zu diesem Thema durch. Ziel der Kampagne war es, in der Öffentlichkeit<br />

das Bewusstsein dafür zu wecken, dass es in der kongolesischen Gesellschaft, insbesondere in den<br />

ländlichen Regionen, neuer Sicht- und Verhaltensweisen gegenüber Frauen und Mädchen bedarf, die<br />

nicht mehr von diskriminierenden sowie durch den Krieg begünstigten Traditionen und Einstellungen<br />

geprägt werden.<br />

Mitglieder der BICE-Equipe in Mbuji-Mayi zusammen mit einigen Verantwortlichen<br />

der lokalen Komitees zur Förderung der <strong>Kinderrechte</strong>, die ihre Aufgabe sehr ernst<br />

nehmen.<br />

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