DON CARLOS - Landestheater Niederösterreich
DON CARLOS - Landestheater Niederösterreich
DON CARLOS - Landestheater Niederösterreich
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Materialmappe<br />
Ab 14 Jahren Spielzeit 10/11<br />
Regie Silvia Armbruster<br />
Bühne und Kostüm Stefan Morgenstern<br />
Es spielen Pippa Galli, Antje Hochholdinger, Elisabeth Luger | Philipp<br />
Brammer, Oliver Rosskopf, Othmar Schratt, Stefan Wilde, Hendrik Winkler<br />
Dramaturgie Barbara Nowotny<br />
Theatervermittlung Simone Uhrmeister<br />
<strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong><br />
Infant von Spanien<br />
Ein dramatisches Gedicht von Friedrich Schiller
Inhaltsverzeichnis<br />
Das Stück<br />
Autor und historischer Kontext<br />
Regisseur und Besetzung<br />
Interview mit Philipp Brammer (<strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>)<br />
Anregungen für den Unterricht<br />
Vorbereitung<br />
Leseprobe 1: KÖNIG und MARQUIS<br />
Vertiefung: Zur Figur des MARQUIS<br />
Leseprobe 2: Text inszenieren<br />
Leseprobe 3: Der GROSSINQUISITOR<br />
Tipps für euren Theaterbesuch<br />
Nachbereitung<br />
Zum Weiterlesen<br />
Seite 1<br />
Seite 3<br />
Seite 5<br />
Seite 9<br />
Seite 10<br />
Seite 13<br />
Seite 15<br />
Seite 17<br />
Seite 19<br />
Seite 20<br />
Seite 22<br />
Kontakt:<br />
Simone Uhrmeister B.A.<br />
Theatervermittlung<br />
T +43 (0)2742/90 80 60-694<br />
M +43 (0)664/604 99 694<br />
theaterundschule@landestheater.net
Das Stück<br />
<strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong><br />
<strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>, Infant von Spanien, ist zerrissen zwischen der Liebe zu seiner Stiefmutter,<br />
die einst seine Verlobte war, und dem Hass auf seinen mächtigen Vater, KÖNIG PHILIPP,<br />
der ihm die Geliebte geraubt hat. KÖNIG PHILIPP wiederum – in seinem krankhaften<br />
Misstrauen gegen seine gesamte Umgebung – sieht einzig in dem MARQUIS VON POSA,<br />
dem Jugendfreund Carlos’, „einen Menschen“ und Vertrauten. Doch POSA,<br />
durchdrungen von dem Glauben an seine Mission, die niederländischen Provinzen von<br />
der Gewalt der Tyrannei zu befreien, findet weder in <strong>CARLOS</strong> noch im KÖNIG die<br />
erhoffte Unterstützung und wird schließlich, wie der Freund, Opfer einer großen<br />
Intrige.<br />
Der Autor<br />
Friedrich Schiller wird am 10. November 1759 in Marbach am Neckar (Deutschland)<br />
geboren. Er erhält eine strenge Ausbildung in der Militärschule des Herzogs von<br />
Württemberg. Danach studiert er Jura, wechselt später jedoch zum Medizinstudium und<br />
bildet sich auch in den Fächern Philosophie, Ästhetik und Geschichte weiter. 1780<br />
beendet er sein Studium und wird Regimentsarzt in Stuttgart – eine schlecht bezahlte<br />
Stelle.<br />
1781 erscheint bereits sein erstes Stück DIE RÄUBER, das er neben seiner Arbeit<br />
geschrieben hat und ein Jahr nach seiner Veröffentlichung am Nationaltheater<br />
Mannheim uraufgeführt wird. Seine Tätigkeit als Schriftsteller wird von seinen<br />
Arbeitgebern – vor allem dem Herzog von Württemberg – nicht gebilligt und Schiller<br />
erhält, als er sich einem Verbot widersetzt, Arrest.<br />
Danach flieht er nach Thüringen, wo er<br />
Unterschlupf auf dem Gut einer wohlgesonnenen<br />
Adeligen findet. Dort schreibt er weitere<br />
Friedrich Schiller 1804 (Weitsch)<br />
Theaterstücke, unter anderem auch einen ersten<br />
Entwurf von <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>, den sogenannten<br />
Bauerbacher Entwurf. Daraufhin erhält er einen<br />
Jahresvertrag als Theaterdichter am Mannheimer<br />
Nationaltheater, dessen Leiter Dalberg von Schiller<br />
begeistert ist. Die Stücke FIESCO und KABALE UND<br />
LIEBE, die ebenfalls aus Friedrich Schillers Feder<br />
stammen, werden in Mannheim uraufgeführt.<br />
1783 erkrankt Schiller an dem Nervenfieber<br />
Malaria und verliert daraufhin seine Stelle als<br />
Theaterdichter. Für den Schriftsteller beginnen<br />
finanziell unsichere Zeiten. Die Zeitung Thalia aus<br />
Leipzig, deren Herausgeber Schiller selbst ist,<br />
druckt bald darauf die ersten drei Akte von <strong>DON</strong><br />
<strong>CARLOS</strong>, vier Jahre später erscheint die erste<br />
Buchausgabe Don Carlos. Infant von Spanien in<br />
einem Verlag in Leipzig. Daraufhin zieht Schiller<br />
1
nach Weimar, in die damalige Stadt der Freidenker und Kreativen, und lernt dort unter<br />
anderem Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin<br />
Wieland kennen. Der Begriff „Weimarer Klassik“ wurde maßgeblich von diesen vier<br />
Schriftstellern geprägt. Schiller arbeitet nun als freier Schriftsteller. 1787 findet die<br />
Uraufführung von <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> in Hamburg statt.<br />
Ein Jahr später wird Schiller – während er an der GESCHICHTE DES ABFALLS DER<br />
NIEDERLANDE VON DER SPANISCHEN REGIERUNG schreibt – zum Professor für<br />
Philosophie ernannt und erhält einen Lehrauftrag für Geschichte an der Universität<br />
Jena.<br />
Seine Zusammenarbeit mit Goethe wird immer intensiver. Von 1789 bis 1799 entstehen<br />
viele wichtige Werke des Schriftstellers, die in Weimar und Leipzig uraufgeführt<br />
werden. Anerkennung für seine Werke findet er schon zu Lebzeiten: 1792 wird ihm das<br />
Bürgerrecht der Republik Frankreich durch die Pariser Nationalversammlung verliehen.<br />
1802 wird Friedrich Schiller in den Adelsstand gehoben und darf sich ab sofort Friedrich<br />
von Schiller nennen.<br />
Auch philosophische Schriften zur ästhetischen Erziehung des Menschen und<br />
theoretische Schriften über die Aufgabe des Theaters verfasste Schiller. Diese geben<br />
Aufschluss über sein Theaterverständnis und sind ein wichtiger Bestandteil der<br />
Geschichte der Theaterwissenschaft.<br />
1790 heiratet er Charlotte von Lengenfeld und hat mit ihr später zwei Söhne, Karl und<br />
Ernst, und zwei Töchter, Karoline und Emilie. Schillers Gesundheit ist sehr zerbrechlich:<br />
nach der Erkrankung an Malaria 1780 leidet er unter anderem an einer<br />
lebensgefährlichen Rippenfell-Entzündung und erleidet zwei Cholera-Anfälle. 1805<br />
stirbt Schiller nach einer verschleppten Lungenentzündung im Alter von 46 Jahren.<br />
2
Die Regisseurin<br />
Das Stück <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> am <strong>Landestheater</strong><br />
Niederösterreich wird von Silvia Armbruster inszeniert.<br />
Silvia Armbruster wird 1966 in Bietigheim-Bissingen,<br />
Baden-Württemberg, Deutschland, geboren. Von 1986 bis<br />
1995 studiert sie Germanistik und Philosophie an der<br />
Ludwig-Maximilian-Universität in München und arbeitet<br />
ab 1990 als Regieassistentin unter anderem am<br />
Nationaltheater Mannheim, am Staatstheater Stuttgart<br />
und am Bayerischen Staatsschauspiel München, unter<br />
anderem bei Hans Kresnik und George Tabori. Für ihre<br />
erste Inszenierung bei der Bremer Shakespeare Company<br />
erhält sie den Förderpreis der Akademie der schönen<br />
Künste in Frankfurt. Weitere Inszenierungen bringen sie nach Mainz, Stuttgart,<br />
Ingolstadt, München und Bremen. Auszeichnungen erhält sie für PESTHAUCH UND<br />
LIEBESLUST nach Boccaccios Decamerone (eingeladen zum baden-württembergischen<br />
Theatertreffen der Stuttgarter Zeitung, zweiter Preis der Jury),<br />
WAHLVERWANDTSCHAFTEN nach dem gleichnamigen Roman von Johann Wolfgang<br />
von Goethe (ausgezeichnet von den Europäischen Festwochen, Passau, eingeladen vom<br />
Theater in der Josefstadt Wien, Schloßpark Theater Berlin, Stuttgart, Bremen, München,<br />
Braunschweig, Tübingen), HYÄNEN von Kerstin Hensel (Ensemblepreis der Bayerischen<br />
Theatertage) und GRACE & GLORIE von Tom Ziegler (eingeladen zum österreichischen<br />
Theatertreffen). Seit 1992 arbeitet Silvia Armbruster für den Hörfunk in Stuttgart: IM<br />
HIMMEL MÜSSTE MAN SITZEN…, VON KOPF BIS FUSS sowie ZUM WEINEN ODER WEIL<br />
IHRS SO HABEN WOLLT.<br />
In der Spielzeit 09/10 inszeniert sie am <strong>Landestheater</strong> Niederösterreich das Kinderstück<br />
DIE BRÜDER LÖWENHERZ.<br />
3
Besetzung<br />
In der Inszenierung von <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> spielen folgende Personen:<br />
Philipp der Zweite, König von Spanien Othmar Schratt<br />
Elisabeth von Valois, seine Gemahlin Pippa Galli<br />
Don Carlos, der Kronprinz Philipp Brammer<br />
Prinzessin von Eboli, Dame der Königin Antje Hochholdinger<br />
Marquisin von Mondekar, Dame der Königin Elisabeth Luger<br />
Marquis von Posa Hendrik Winkler<br />
Herzog von Alba Oliver Rosskopf<br />
Domingo, Beichtvater des Königs Stefan Wilde<br />
Fernsehsprecher Wolfgang Seidenberg<br />
Der Großinquisitor<br />
Oben: 1. Domingo, Mondekar, Herzog von Alba; 2. Don Carlos und Herzog von Alba; 3.<br />
Königin Elisabeth und Marquis von Posa; 4. König Philipp und Königin Elisabeth<br />
Unten: Domingo, Prinzessin Eboli, Mondekar, Königin Elisabeth, König Philipp und Herzog von<br />
Alba<br />
4
Phillip Brammer in einem Interview über den Arbeitsprozess, das<br />
Stück und seine Rolle in <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>:<br />
Lieber Philipp, Du spielst die Hauptfigur in der Inszenierung <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>, nach dem<br />
dramatischen Gedicht von Friedrich Schiller. Das ist eine anspruchsvolle Rolle. In<br />
welcher Hinsicht hat Dich Dein Leben auf diese Rolle vorbereitet? Gibt es Konflikte<br />
oder Situationen in <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>, die Du aus dem Alltag kennst?<br />
Nun, weder stamme ich aus einer königlichen Familie noch hat je ein Freund<br />
beschlossen, für mich in den Tod zu gehen (Gott sei Dank!). Auch bereiten mir im Alltag<br />
die Niederlande oder irgendwelche anderen Lande nur wenig Sorgen... Es ist schwer,<br />
aus der Form einer Tragödie oder eines dramatischen Gedichts Erlebnisse oder Konflikte<br />
in die Welt unseres Alltags zu übertragen, weil das Drama eigentlich immer sich mit<br />
etwas Außergewöhnlichem, von dem normalen Ereignishorizont der Figuren<br />
Abweichendem, beschäftigt.<br />
Etwas, was ich aber gut kenne, ist der stete Anspruch an <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>, Verantwortung<br />
zu übernehmen, sowie die Erkenntnis, dass Handlungen immer auch Konsequenzen<br />
haben, dass man für seine Handlungen auch einstehen muss!<br />
<strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> ist ein Königssohn - das passiert heute kaum mehr jemandem. Wieso ist<br />
die Figur des <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> heute trotzdem noch spannend? Gibt es Konflikte, die<br />
dieser junge Mann bewältigen muss, die jungen Menschen auch heute noch<br />
begegnen?<br />
Auch zu Zeiten des echten <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> ist es recht wenig Menschen “passiert”, ein<br />
Königssohn zu sein! Die Welt der Monarchie ist einfach noch strengeren Regeln<br />
unterworfen als unser “normales” Leben, weswegen sie sich hervorragend dazu eignet,<br />
zu zeigen, was geschieht, wenn diese Regeln gebrochen werden.<br />
Einer der größten Konflikte von <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> ist sein Verhältnis zu seinem Vater. Ein<br />
strenggläubiger Mann, dessen größte Pflicht ist, dieses Riesenreich irgendwie<br />
zusammenzuhalten. Und nun kommt der Sohn mit seinem Freund und die Zwei wollen<br />
die Idee der Freiheit und Selbstbestimmung in das Reich tragen. Sie rütteln an der<br />
Struktur des Staates, sie sind in den Augen der Kirche eine Gefahr und doch bleibt der<br />
der Sohn eben der eigene Sohn! Und <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> ist ja nicht dumm, er weiß es und<br />
vertritt seine Sicht mit großer Vehemenz, wenn auch aus anderen Motiven als sein<br />
Freund POSA. Die Auseinandersetzung mit den Idealen und Werten unserer Eltern sind<br />
etwas, was so ziemlich alle Jugendlichen auch von heute nicht erspart bleibt...<br />
Welches sind <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> Schwächen - und wo liegen seine Stärken?<br />
Das kann man mit einem Wort beantworten: Seine Unbedingtheit. <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> hat<br />
eine unbedingte Vorstellung von der Liebe (ganz oder gar nicht), eine ebenso<br />
unbedingte Vorstellung von Freundschaft, Gerechtigkeit und vieler anderer moralischer<br />
Maßstäbe. Das ist gleichzeitig seine Schwäche als auch Stärke. Schwäche deshalb, weil<br />
diese Unbedingtheit sehr verletzbar macht, weil die mangelnde Kompromissfähigkeit<br />
seinen Erfolg erheblich einschränkt und weil er mit seiner Unfähigkeit zur<br />
Zurückhaltung eigentlich seine gesamte Umwelt vor den Kopf stößt. Stärke deshalb,<br />
weil dieses unbedingte Wollen ihm eine Kraft und Energie verleiht, die ihn erst zu<br />
höheren Aufgaben befähigt!<br />
5
MARQUIS VON POSA stirbt für seinen Freund <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> - aber vor allem für seine<br />
eigenen Ideale. Wie sieht es in unserer heutigen Welt aus? Soll man so hohe Ideale<br />
haben, dass man bereit ist, sich ihnen zu opfern?<br />
Anscheinend gibt es auch heute Leute, die das glauben. Im Grunde liegen auch dem<br />
heutigen Terrorismus Ideale zugrunde, so verquer sie in unseren Augen auch sein<br />
mögen. Eigentlich kann man auf diese Frage nur mit lauter Gegenfragen antworten...<br />
Was heißt Opfern? Was bringt mein Opfer dem Ideal? Welche Ideale sind es überhaupt,<br />
denen ich mich so sehr verschreiben muss – Kirche, Familie, Staat, Lebensphilosophie?<br />
Was mache ich, wenn ich erkennen muss, dass meine Ideale falsch sind? Und, bezogen<br />
auf das Stück, ist der Tod für ein Ideal wirklich ein Opfer oder nur Feigheit?<br />
Denn noch eine Frage bleibt: Warum macht der ach so hehre POSA es nicht selbst? Der<br />
König bietet es ihm an, seine Ideale im Staat umzusetzen, er macht es nicht, trotz aller<br />
Vollmacht, trotz der Entmachtung des ALBA reitet der MARQUIS nicht selbst in die<br />
Niederlande, sondern opfert sich für seinen Freund <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>, damit der es macht?<br />
Stichwort Liebe - ist die Liebe für <strong>CARLOS</strong> ein Phantasma? Die Rettung? Oder der<br />
Untergang? Ist es überhaupt Liebe, was <strong>CARLOS</strong> dafür hält?<br />
Da könnte man jetzt eine Doktorarbeit schreiben und käme nicht wirklich zu einer<br />
Antwort!<br />
Zunächst zur Situation, die wir uns heute kaum mehr vorstellen können. <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong><br />
und ELISABETH sind einander in einer Zwangsverlobung zugesprochen worden. Er lebt<br />
in Spanien, sie in Frankreich. Um sich kennen zu lernen, blieb also nur der Briefverkehr<br />
(vom Briefgeheimnis war damals übrigens auch noch keine Rede...), dann beschließt der<br />
Vater, <strong>CARLOS</strong> Braut zu heiraten. Einmal verheiratet, durfte Elisabeth nur unter<br />
strengsten Regeln Besuch erhalten, ihren nunmehrigen Stiefsohn sah sie nur bei<br />
offiziellen Anlässen. <strong>CARLOS</strong> war also wahrscheinlich mehr in das Bild, dass er von<br />
Elisabeth hatte, verliebt, denn gekannt hat er sie nicht wirklich. Ist das Liebe? Die<br />
Unbedingtheit, mit der <strong>CARLOS</strong> behauptet zu lieben, lässt den Schluss zu, dass es Liebe<br />
ist. Wie sonst wäre er zu solch emotionalen Handlungen fähig? Es ist auf jeden Fall eine<br />
problembehaftete Beziehung, auch und vor allen Dingen wegen des riesigen<br />
unbewältigten Vaterkonflikts.<br />
Wie waren die Proben zum Stück für Dich? Was war besonders schwer? Was fiel Dir<br />
leicht? Welche Rolle spielte die Beziehung zu Deinen SchauspielkollegInnen und der<br />
Regisseurin in dieser Arbeit?<br />
Hier am <strong>Landestheater</strong> Niederösterreich sind wir ein recht kleines Ensemble, deswegen<br />
kennen wir uns schon sehr gut. Auch mit der Regisseurin habe ich schon einmal<br />
erfolgreich gearbeitet, hier gab es auch eine große Vertrauensbasis. Das ist ungemein<br />
wichtig, denn in einer so intensiven Arbeit wie <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> muss man sich aufeinander<br />
verlassen können. Denn die Proben waren vor allem eins: kurz. Da blieb nicht viel Zeit<br />
für grundsätzliche Diskussionen...<br />
Erstaunlich leicht fiel mir das Textlernen, was jetzt überraschen mag. Aber wenn man<br />
sich einmal an die Schillersche Sprache und das Versmaß gewöhnt hat, entdeckt man<br />
eine ziemlich stringente Logik in der Sprache, was es eben leicht macht, sich den Text zu<br />
merken. Sehr schwer war es, mit diesem Text dann auch konsequent umzugehen. Als<br />
6
Schauspieler ist man es gewöhnt, ständig die Handlungen und Motive zu hinterfragen<br />
und anzuzweifeln, um sie zu verstehen. Wie ich schon erwähnt habe, ist die Figur <strong>DON</strong><br />
<strong>CARLOS</strong> aber in ihrer Unbedingtheit zu suchen. Das hieß: immer vorwärts, nie fragen!<br />
Sobald ich mich oder die Regisseurin oder meine Kollegen gefragt habe, sobald ich<br />
Vorsicht oder Zweifel oder auch Berechnung einfließen ließ, wurde die Figur sofort<br />
schwach. Das durfte nicht passieren. Und das zu vermeiden, war sehr schwer.<br />
Du gehst in <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> sehr souverän mit diesem schwierigen Text um - gibt es ein<br />
Geheimnis, wie man sich so viel und dazu sehr anspruchsvollen Text merken kann?<br />
Sich merken ist einfach: Text lernen und wiederholen. Immer und immer und immer<br />
wieder. Das Geheimnis besteht darin, dass man sich den Text nicht nur merkt, sondern<br />
ihn auch versteht. Und zwar nicht nur grundsätzlich, sondern Wort für Wort und immer.<br />
Wenn ich immer weiß, was ich sage, dann kann ich diesen Text auch sagen, als wären es<br />
meine eigenen Worte. Und das ist schon schwieriger...<br />
Was zeichnet Deiner Meinung nach einen guten Schauspieler aus - und wie wird man<br />
einer?<br />
Einen guten Schauspieler erkennt man daran, dass er seinen Beruf liebt! Das<br />
“Werkzeug” für diese Arbeit ist man selber. Die Stimme, der Körper, die Mimik, die<br />
Gestik - damit kann man einen Menschen “erschaffen”, der sich von einem selber<br />
unterscheidet. Ich finde, ein Schauspieler ist dann ein guter Schauspieler, wenn man<br />
nicht mehr den Schauspieler sieht, sondern die Figur, die er erschaffen hat, wenn man<br />
nicht mehr den Text von Schiller hört, sondern von den Figuren, die ihn sprechen,<br />
verkörpern!<br />
Wie wird man einer? Wenn man die Liebe<br />
zur Sprache, zur Emotion und zur<br />
Verkörperung von beidem mitbringt, dann<br />
kann man sich an einer Schauspielschule<br />
(besser vielen...) bewerben, wenn dort das<br />
Talent erkannt wird und man viel Glück hat,<br />
dann kann man das Schauspiel lernen. Der<br />
Rest ist Arbeit und Beharrlichkeit oder auch<br />
die gleiche Unbedingtheit des Wollens wie<br />
bei <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>!<br />
Königin Elisabeth (Pippa Galli) und Don<br />
Carlos (Philipp Brammer)<br />
7
Hinter der Bühne<br />
Außer dem Regisseur/der Regisseurin und den SchauspielerInnen gibt es natürlich noch<br />
andere, wichtige MitarbeiterInnen auf und hinter der Bühne, die in verschiedenen<br />
Abteilungen arbeiten. Dazu gehören:<br />
KostümbildnerInnen: Sie entwerfen die Kostüme in Absprache mit dem RegisseurIn<br />
und zeichnen sogenannte Figurinen: so nennt man die ersten Kostüm-Entwürfe.<br />
In der Schneiderei werden die Kostüm-Entwürfe umgesetzt. Aus der Vorlage (Figurine)<br />
wird ein Schnittmuster entworfen und zusammen mit dem/der KostümbildnerIn die<br />
Stoffe ausgewählt und das Kostüm genäht. Die Maße werden direkt von den<br />
SchauspielerInnen genommen, die regelmäßig zur Anprobe kommen müssen.<br />
Der/die BühnenbildnerIn entwirft in Absprache mit dem/der RegisseurIn das<br />
Bühnenbild und fertigt ein Bühnenbild-Modell an.<br />
In der Bühnenwerkstatt arbeiten verschiedene Handwerker: TischlerInnen,<br />
SchlosserInnen, und MalerInnen. Sie fertigen anhand des Bühnenbild-Modells das<br />
Bühnenbild an. Die großen Teile des Bühnenbildes nennt man Kulissen – zum Beispiel<br />
bemalte Leinwände mit einem Hintergrundbild, Stellwände, Hausfassaden usw. Die<br />
kleinen beweglichen Elemente eines Bühnenbildes nennt man Requisiten.<br />
In der Requisite werden alle kleineren beweglichen Gegenstände (Requisiten, s.o.) für<br />
das Bühnenbild besorgt und verwaltet, die bei einer Aufführung auf der Bühne<br />
gebraucht werden: Teller, Polster, Waffen, Blumen, Essen – aber auch Knall- oder<br />
Nebeleffekte. Außerdem muss die Requisite auch dafür sorgen, dass alle benötigten<br />
Gegenstände sich jeweils vor der Aufführung am richtigen Platz befinden.<br />
Die Bühnen- Licht- und TontechnikerInnen sind jeweils für die verschiedenen<br />
Bereiche der Technik zuständig: BühnentechnikerInnen müssen das Bühnenbild auf und<br />
abbauen und während der Vorstellung umbauen, LichttechnikerInnen müssen die<br />
passende Beleuchtung einstellen und während der Vorstellung die Scheinwerfer<br />
bedienen, TontechnikerInnen müssen Soundeffekte aussuchen oder neu aufnehmen<br />
und bei Bedarf Mikrofone einrichten, um bei der Vorstellung jederzeit für die richtigen<br />
Geräusche, die richtige Musik und Lautstärke zu sorgen.<br />
In der Maske werden SchauspielerInnen vor ihrem Auftritt geschminkt, frisiert und<br />
ihnen falls nötig Perücken aufgesetzt und falsche Bärte angeklebt.<br />
Außerdem arbeiten bei einer Vorstellung noch der/die InspizientIn, der/die<br />
Souffleur/Souffleuse und der/die Garderobier/e hinter der Bühne.<br />
Wer neugierig ist, einmal wirklich auf der großen Bühne stehen will, oder unseren<br />
MitarbeiterInnen begegnen, der meldet sich am besten für eine Führung durch unser<br />
Theater an!<br />
8
ANREGUNGEN FÜR DEN UNTERRICHT<br />
Vorbereitung<br />
Einführung<br />
1. Tragt wichtige Informationen über das Drama <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> vor dem<br />
Vorstellungsbesuch zusammen: Autor, geschichtliche Hintergründe, Handlung<br />
und Struktur des Stückes, Inszenierung und Besetzung.<br />
2. Informiert euch über folgende Begriffe, die zur Interpretation und zum<br />
Verständnis des Dramas zentral sind: Bürgerliches Trauerspiel, Französische<br />
Revolution, Weimarer Klassik, Sturm und Drang.<br />
3. Fragen zum Einstieg in Form und Thematik des Stücks:<br />
Schiller schreibt in einem Brief an den Theaterdirektor Dalberg in Mannheim:<br />
„Es wird kaum mehr nötig sein zu bemerken, dass der DOM KARLOS kein<br />
Theaterstück werden kann.“ Was veranlasste Schiller wohl zu dieser<br />
Aussage? Wieso nennt Schiller das Stück ein „dramatisches Gedicht“?<br />
Die Entstehungsgeschichte von <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> ist eine langwierige. Schiller<br />
schrieb mit Unterbrechungen von 1782 bis 1788 an diesem Werk. Näheres<br />
zur Entstehungsgeschichte findet ihr in Schillers fiktiven Briefen an die<br />
Kritiker des Stückes, die in der Zeitschrift Der Teutsche Merkur veröffentlicht<br />
wurden, in dem er die Entstehung von <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>, seine Ideen und<br />
Gedanken dazu und die Kritiken von dritten Personen an diesem Werk<br />
kommentiert. Einen Auszug aus diesen Briefen findet ihr in dieser Mappe ab<br />
Seite 13.<br />
4. Die Textfassung, die unserer Inszenierung von <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> zugrunde liegt, ist<br />
eine Bearbeitung der Fassung von 1805 von Friedrich Schiller. Wieso muss ein<br />
Dramentext oft für eine Inszenierung bearbeitet werden? Worauf ist bei der<br />
Bearbeitung eines Dramentextes zu achten?<br />
5. Leseprobe 1, 2 und 3 laden dazu ein, sich schon vorab mit der Textvorlage des<br />
Stücks etwas intensiver auseinanderzusetzen.<br />
6. Seht euch das Stück genau an. Hört zu. Lasst es auf euch wirken. Danach tragen<br />
wir das Erlebte zusammen und stellen Fragen.<br />
9
Leseprobe1: KÖNIG und MARQUIS<br />
Der folgende Dialog ist der Textfassung unserer Inszenierung von <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> entnommen.<br />
Lest den Dialog in verteilten Rollen.<br />
Situation: MARQUIS VON POSA wird zum König gerufen, nachdem dieser sich durch die Intrigen,<br />
die um ihn gesponnen werden, von allen Vertrauenspersonen verlassen fühlt und sich nach<br />
einem Menschen sehnt, der den Mut hat, ihm gegenüber offen seine ehrliche Meinung zu sagen.<br />
33. Auftritt<br />
König Philipp, Marquis von Posa<br />
[…]<br />
KÖNIG<br />
Ihr möchtet Gutes stiften.<br />
Wie Ihr es stiftet, kann dem Patrioten,<br />
Dem Weisen gleich viel heißen. Suchet Euch<br />
Den Posten aus in meinen Königreichen,<br />
Der Euch berechtigt, diesem edeln Triebe<br />
Genug zu thun.<br />
MARQUIS<br />
Ich finde keinen.<br />
KÖNIG<br />
Wie?<br />
MARQUIS<br />
Was Eure Majestät durch meine Hand<br />
Verbreiten - ist das Menschenglück? Ist das<br />
Dasselbe Glück, das meine reine Liebe<br />
Den Menschen gönnt? -<br />
Weiß ich ihn glücklich - eh' er denken darf?<br />
KÖNIG<br />
Ihr seid ein Protestant.<br />
MARQUIS<br />
Ihr Glaube Sire, ist auch der meinige.<br />
Die lächerliche Wuth der Neuerung, die nur<br />
der Ketten Last,<br />
Die sie nicht ganz zerbrechen kann,<br />
vergrößert,<br />
Wird mein Blut nie erhitzen. Das<br />
Jahrhundert<br />
Ist meinem Ideal nicht reif. Ich lebe<br />
Ein Bürger derer, welche kommen werden.<br />
KÖNIG<br />
Bin ich der Erste, der Euch von dieser Seite<br />
kennt?<br />
MARQUIS<br />
Ja!<br />
KÖNIG<br />
Neu zum wenigsten ist dieser Ton!<br />
Warum nicht auch einmal Die Probe von<br />
dem Gegenteil.<br />
MARQUIS<br />
Ich höre, Sire, wie klein,<br />
Wie niedrig Sie von Menschenwürde<br />
denken,<br />
Selbst in des freien Mannes Sprache nur<br />
Den Kunstgriff eines Schmeichlers sehen,<br />
und<br />
Mir däucht, ich weiß, wer Sie dazu<br />
berechtigt.<br />
Die Menschen zwangen Sie dazu; die haben<br />
Freiwillig ihres Adels sich begeben,<br />
Freiwillig sich auf diese niedre Stufe<br />
Herab gestellt.<br />
Gefallen sich in ihrer Armuth, schmücken<br />
Mit feiger Weisheit ihre Ketten aus,<br />
Und Tugend nennt man, sie mit Anstand<br />
tragen.<br />
So übergab man Ihnen diese Welt. So ward<br />
Sie Ihrem großen Vater überliefert.<br />
Wie könnten Sie in dieser traurigen<br />
Verstümmlung - Menschen ehren?<br />
KÖNIG<br />
Etwas Wahres find' ich in diesen Worten.<br />
MARQUIS<br />
Aber Schade!<br />
Da Sie den Menschen aus des Schöpfers<br />
Hand<br />
In Ihrer Hände Werk verwandelten<br />
Und dieser neugegoßnen Kreatur<br />
Zum Gott sich gaben - da versahen Sie's<br />
In etwas nur: Sie blieben selbst noch Mensch<br />
–<br />
10
Mensch aus des Schöpfers Hand. Sie fuhren<br />
fort<br />
Als Sterblicher zu leiden, zu begehren;<br />
Sie brauchen Mitgefühl - und einem Gott<br />
Kann man nur opfern - zittern - zu ihm<br />
beten!<br />
Bereuenswerther Tausch!<br />
Ich bitte, mich zu entlassen, Sire. Mein<br />
Gegenstand<br />
Reißt mich dahin. Mein Herz ist voll - der<br />
Reiz<br />
Zu mächtig, vor dem Einzigen zu stehen,<br />
Dem ich es öffnen möchte.<br />
KÖNIG<br />
Redet aus!<br />
MARQUIS<br />
Ich fühle, Sire, - den ganzen Werth -<br />
KÖNIG<br />
Vollendet! Ihr hattet mir noch mehr zu<br />
sagen.<br />
MARQUIS<br />
Sire! Jüngst kam ich aus den Niederlanden. –<br />
So viele reiche, blühende Provinzen!<br />
Ein kräftiges, ein großes Volk - und auch<br />
Ein gutes Volk - und Vater dieses Volkes,<br />
Das, dacht' ich, das muß göttlich sein! - Da<br />
stieß<br />
Ich auf verbrannte menschliche Gebeine -<br />
O Schade, daß, in seinem Blut gewälzt,<br />
Das Opfer wenig dazu taugt, dem Geist<br />
Des Opferers ein Loblied anzustimmen!<br />
KÖNIG<br />
Sehet in meinem Spanien Euch um. Hier<br />
blüht<br />
Des Bürgers Glück in nie bewölktem Frieden;<br />
Und diese Ruhe gönn' ich auch den<br />
Niederländern.<br />
MARQUIS<br />
Die Ruhe eines Kirchhofs!<br />
Schon flohen Tausende<br />
Aus Ihren Ländern froh und arm.<br />
Mit offnen Mutterarmen<br />
Empfängt die Fliehenden die Königin von<br />
England,<br />
Und fruchtbar blüht durch Künste unsers<br />
Landes<br />
Britannien. Verlassen von dem Fleiß<br />
Der "Andersgläubigen", liegt Granada öde,<br />
Und jauchzend sieht Europa seinen Feind<br />
An selbstgeschlagnen Wunden sich<br />
verbluten.<br />
Sie wollen pflanzen für die Ewigkeit,<br />
Und säen Tod? Ein so erzwungnes Werk<br />
Wird seines Schöpfers Geist nicht<br />
überdauern.<br />
Der Mensch ist mehr, als Sie von ihm<br />
gehalten. Des langen Schlummers Bande<br />
wird er brechen und einfordern sein heilges<br />
Recht.<br />
Geben Sie, was Sie uns nahmen, wieder!<br />
Lassen Sie<br />
Großmüthig, wie der Starke, Menschen<br />
reifen<br />
In Ihrem Weltgebäude!<br />
Werden Sie von Millionen Königen ein<br />
König.<br />
Geben Sie die unnatürliche Vergöttrung auf,<br />
Die uns vernichtet!<br />
Gehn Sie Europens Königen voran.<br />
Ein Federzug von dieser Hand, und neu<br />
Erschaffen wird die Erde. Geben Sie<br />
Gedankenfreiheit. –<br />
KÖNIG<br />
Sonderbarer Schwärmer!<br />
MARQUIS<br />
Sehen Sie sich um<br />
In seiner herrlichen Natur! Auf Freiheit<br />
Ist sie gegründet - und wie reich ist sie<br />
Durch Freiheit! - Ihre Schöpfung,<br />
Wie eng und arm!<br />
KÖNIG<br />
Und wollet Ihr es unternehmen, dies<br />
Erhabne Muster in meinen Staaten<br />
nachzubilden?<br />
MARQUIS<br />
Sie, Sie können es. Wer anders?<br />
Weihen Sie dem Glück der Völker die<br />
Regentenkraft!<br />
Stellen sie der Menschheit verlorenen Adel<br />
wieder her!<br />
11
Fragen und Aufgaben zum Text:<br />
1. Unterstreicht alle Textpassagen, die euch Aufschluss auf die politische Situation<br />
geben rot. Stellt zwischen den Hinweisen im Text und den historischen<br />
Hintergründen eine Verbindung her: In welcher Zeit wurde <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong><br />
geschrieben? Auf welchen Konflikt beziehen sich die Bemerkungen von<br />
MARQUIS VON POSA? Was erfahren wir noch über den historischen Kontext?<br />
2. Lest den blau markierten Text. Welche Ideale stecken hinter dieser Forderung<br />
von MARQUIS VON POSA? Was bedeutet „Gedankenfreiheit“ in diesem<br />
Zusammenhang?<br />
3. Lest die Argumente, die MARQUIS VON POSA zu seiner Forderung (blau) führt<br />
genau durch: Welche Situation beschreibt er? Welche Rolle spielt der König in<br />
der von ihm beschriebenen Situation? Wie muss die Situation nach MARQUIS<br />
VON POSAS Vorstellung verändert werden? Und wer hat laut ihm die<br />
Möglichkeit, diese Veränderung herbeizuführen?<br />
Fragen für eine Diskussion:<br />
4. MARQUIS VON POSA hat hohe Ideale. Ist er ein Träumer oder ist sein Wunsch<br />
nach Umsetzung seiner Idealvorstellungen ein reales Ziel?<br />
5. Bedenkt, dass etwa zwei Jahre nach der Veröffentlichung von <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> die<br />
Französische Revolution ausbrach. Welche Ideen hat diese Revolution entfacht?<br />
Wer waren die Wortführer dieser Bewegung? Mit der Guillotine wurden<br />
während der Revolution unzählige Adelige getötet – aus welchem Grund?<br />
6. Max Frisch, ein Schriftsteller, der in der Schweiz lebte und arbeitete, schrieb<br />
einmal:<br />
„Man kann darauf bedacht sein, das Gute durchzusetzen und zu verwirklichen,<br />
oder man kann darauf bedacht sein, ein guter Mensch zu werden – das ist<br />
zweierlei, es schließt sich gegenseitig aus.“<br />
Was würde MARQUIS VON POSA zu dieser Behauptung wohl sagen? Kennt ihr<br />
Beispiele, auf die die Behauptung von Max Frisch zutrifft?<br />
Welche Beispiele erwähnte Philipp Brammer in dem Interview, die auf diese<br />
Aussage ebenfalls zutreffen?<br />
Informiert euch über den Schriftsteller Max Frisch – zu welchen Zeiten lebte er,<br />
und welche politischen Geschehnisse hatte er wohl im Sinn bei dieser<br />
Behauptung?<br />
12
Zur Vertiefung: Die Figur des MARQUIS VON POSA:<br />
Entnommen aus dem 2. Brief von Friedrich Schiller über sein Werk <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>:<br />
Lest folgenden Textauszug.<br />
„Der Charakter des MARQUIS POSA ist fast durchgängig für zu idealisch gehalten<br />
worden; inwiefern diese Behauptung Grund hat, wird sich dann am besten ergeben,<br />
wenn man die eigentümliche Handlungsart dieses Menschen auf ihren wahren Gehalt<br />
zurückgeführt hat. Ich habe es hier, wie Sie sehen, mit zwei entgegengesetzten Parteien<br />
zu thun. Denen, welche ihn aus der Klasse natürlicher Wesen schlechterdings verwiesen<br />
haben wollen, müßte also dargethan werden, in wie fern er mit der Menschennatur<br />
zusammenhängt, in wie fern seine Gesinnungen, wie seine Handlungen, aus sehr<br />
menschlichen Trieben fließen und in der Verkettung äußerlicher Umstände gegründet<br />
sind; Diejenigen, welche ihm den Namen eines göttlichen Menschen geben, brauche ich<br />
nur auf einige Blößen an ihm aufmerksam zu machen, die gar sehr menschlich sind. Die<br />
Gesinnungen, die der Marquis äußert, die Philosophie, die ihn leitet, die<br />
Lieblingsgefühle, die ihn beseelen, so sehr sie sich auch über das tägliche Leben<br />
erheben, können, als bloße Vorstellungen betrachtet, es nicht wohl sein, was ihn mit<br />
Recht aus der Klasse natürlicher Wesen verbannte. Denn was kann in einem<br />
menschlichen Kopf nicht Dasein empfangen, und welche Geburt des Gehirnes kann in<br />
einem glühenden Herzen nicht zur Leidenschaft reifen? Auch seine Handlungen können<br />
es nicht sein, die, so selten dies auch geschehen mag, in der Geschichte selbst ihres<br />
Gleichen gefunden haben; denn die Aufopferung des MARQUIS für seinen Freund hat<br />
wenig oder nichts vor dem Heldentode eines Curtius, Regulus und Anderer voraus. Das<br />
Unrichtige und Unmögliche mußte also entweder in dem Widerspruch dieser<br />
Gesinnungen mit dem damaligen Zeitalter oder in ihrer Ohnmacht und ihrem Mangel<br />
an Lebendigkeit liegen, zu solchen Handlungen wirklich zu entzünden. Ich kann also die<br />
Einwendungen, welche gegen die Natürlichkeit dieses Charakters gemacht werden,<br />
nicht anders verstehen, als daß in Philipps des Zweiten Jahrhundert kein Mensch so, wie<br />
MARQUIS POSA, gedacht haben konnte, – daß Gedanken dieser Art nicht so leicht, wie<br />
hier geschieht, in den Willen und in die That übergehen, – und daß eine idealische<br />
Schwärmerei nicht mit solcher Consequenz realisiert, nicht von solcher Energie im<br />
Handeln begleitet zu werden pflege.<br />
[…]<br />
Alle Grundsätze und Lieblingsgefühle des Marquis drehen sich um republikanische<br />
Tugend. Selbst seine Aufopferung für seinen Freund beweist dieses, denn<br />
Aufopferungsfähigkeit ist der Inbegriff aller republikanischen Tugend.<br />
Der Zeitpunkt, worin er auftrat, war gerade derjenige, worin stärker als je von<br />
Menschenrechten und Gewissensfreiheit die Rede war. Die vorhergehende Reformation<br />
hatte diese Ideen zuerst in Umlauf gebracht, und die flandrischen Unruhen erhielten sie<br />
in Uebung. Seine Unabhängigkeit von außen, sein Stand als Maltheserritter selbst,<br />
schenkten ihm die glückliche Muße, diese spekulative Schwärmerei zur Reife zu brüten.<br />
In dem Zeitalter und in dem Staat, worin der MARQUIS auftritt, und in den<br />
Außendingen, die ihn umgeben, liegt also der Grund nicht, warum er dieser Philosophie<br />
13
nicht hätte fähig sein, nicht mit schwärmerischer Anhänglichkeit ihr hätte ergeben sein<br />
können.<br />
[…]<br />
Wenn die Geschichte reich an Beispielen ist, daß man für Meinungen alles Irdische<br />
hintansetzen kann, wenn man dem grundlosesten Wahn die Kraft beilegt, die<br />
Gemüther der Menschen auf einen solchen Grad einzunehmen, daß sie aller<br />
Aufopferungen fähig gemacht werden: so wäre es sonderbar, der Wahrheit diese Kraft<br />
abzustreiten. In einem Zeitpunkt vollends, der so reich, wie jener, an Beispielen ist, daß<br />
Menschen Gut und Leben um Lehrsätze wagen, die an sich so wenig Begeisterndes<br />
haben, sollte, däucht mir, ein Charakter nicht auffallen, der für die erhabenste aller<br />
Ideen etwas Aehnliches wagt; man müßte denn annehmen, daß Wahrheit minder fähig<br />
sei, das Menschenherz zu rühren, als der Wahn. Der MARQUIS ist außerdem als Held<br />
angekündigt. Schon in früher Jugend hat er mit seinem Schwerte Proben eines Muths<br />
abgelegt, den er nachher für eine ernsthaftere Angelegenheit äußern soll.<br />
Begeisternde Wahrheiten und eine seelenerhebende Philosophie müßten,<br />
däucht mir, in einer Heldenseele zu etwas ganz Anderm werden, als in dem<br />
Gehirn eines Schulgelehrten, oder in dem abgenützten Herzen eines<br />
weichlichen Weltmannes.“<br />
Fragen zum Text:<br />
- Wie erklärt Schiller das Verhalten von MARQUIS VON POSA? Warum hält er es<br />
für realistisch, dass diese Figur sich für jemanden wie <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> „opfert“?<br />
- Vergleicht diese Aussagen von Schiller mit dem Interview mit Philipp Brammer<br />
(Seite 6) – welche Motive vermutet Philipp Brammer hinter dem Tod des<br />
MARQUIS VON POSA?<br />
- Was für Charaktereigenschaften würdet ihr Schiller zuschreiben? Wie steht er zur<br />
Figur des MARQUIS VON POSA? Wie interpretiert ihr die im Text blau markierte<br />
Stelle? Gibt es Parallelen zwischen POSA und Schiller?<br />
14
Leseprobe 2: Text inszenieren<br />
Lest den folgenden Dialog in verteilten Rollen.<br />
Die Situation: KÖNIG PHILIPP hat erfahren, dass die Verdächtigungen gegen MARQUIS VON<br />
POSA falsch waren und er bereut, dass er ihn umbringen liess.<br />
57. AUFTRITT<br />
KÖNIG zu den VORIGEN.<br />
KÖNIG<br />
Gib diesen Todten mir heraus. Ich muß<br />
Ihn wieder haben.<br />
DOMINGO<br />
(leise zum Herzog von Alba).<br />
Reden Sie ihn an.<br />
KÖNIG<br />
(wie oben).<br />
Er dachte klein von mir und starb. Ich muß<br />
Ihn wieder haben. Er muß anders von<br />
Mir denken.<br />
ALBA<br />
(nähert sich mit Furcht). Sire -<br />
KÖNIG<br />
Wer redet hier?<br />
Hat man vergessen, wer ich bin? Warum<br />
nicht auf<br />
Den Knieen vor mir, Kreatur? Noch bin<br />
Ich König. Unterwerfung will ich sehen.<br />
Setzt Alles mich hintan, weil Einer mich<br />
Verachtet hat?<br />
ALBA<br />
Nichts mehr von ihm, mein König!<br />
Ein neuer Feind, bedeutender als dieser,<br />
Steht auf im Herzen Ihres Reichs. -<br />
DOMINGO<br />
Prinz Carlos -<br />
KÖNIG<br />
Er hatte einen Freund, der in den Tod<br />
Gegangen ist für ihn - für ihn! Mit mir<br />
Hätt' er ein Königreich getheilt! -<br />
Die Todten stehen nicht mehr auf. Wer darf<br />
Mir sagen, daß ich glücklich bin? Im Grabe<br />
Wohnt Einer, der mir Achtung vorenthalten.<br />
Was gehn die Lebenden mich an? Ein Geist,<br />
Ein freier Mann stand auf in diesem ganzen<br />
Jahrhundert - Einer - Er verachtet mich<br />
Und stirbt.<br />
ALBA<br />
So lebten wir umsonst! - Laßt uns<br />
Zu Grabe gehen, Spanier! Auch noch<br />
Im Tode raubt uns dieser Mensch das Herz<br />
Des Königs!<br />
KÖNIG<br />
(Er setzt sich nieder, den Kopf auf den Arm<br />
gestützt).<br />
Ich hab' ihn lieb gehabt, sehr lieb. Er war<br />
Mir theuer, wie ein Sohn. Er<br />
War meine erste Liebe.<br />
Und wem bracht' er dies Opfer?<br />
Dem Knaben, meinem Sohne? Nimmermehr.<br />
Ich glaub' es nicht. Für einen Knaben stirbt<br />
Ein Posa nicht. Der Freundschaft arme<br />
Flamme<br />
Füllt eines Posa Herz nicht aus. Seine<br />
Neigung war<br />
Die Welt mit allen kommenden<br />
Geschlechtern.<br />
Nicht<br />
Den Philipp opfert er dem Carlos, nur<br />
Den alten Mann dem Jüngling, seinem<br />
Schüler.<br />
O, es ist klar!<br />
Auf meinen Hintritt wird gewartet.<br />
ALBA<br />
Lesen Sie<br />
In diesen Briefen die Bekräftigung.<br />
KÖNIG<br />
Man rufe mir den Inquisitor Cardinal.<br />
15
Fragen und Aufgaben zum Text:<br />
1. Nachdem ihr den Dialog einmal in verteilten Rollen gelesen habt, untersucht ihn<br />
nochmals genauer: Welche Textstellen lassen auf die Gemütsverfassung des<br />
Königs schließen? Unterstreicht diese Stellen rot.<br />
2. Wieso ist der König so außer sich? Wie fühlt er sich gegenüber seinem Sohn<br />
<strong>CARLOS</strong>? Welche Gefühle hat er für MARQUIS VON POSA? Wieso fühlt er sich<br />
von dessen (selbst initiiertem) Tod gedemütigt?<br />
3. An welchen Stellen des Textes vermutet ihr Gesten, Bewegungen oder eine<br />
bestimmte Mimik beim Sprecher oder dessen Gegenüber? Welche Gesten könnt<br />
ihr euch zum Beispiel bei der blau markierten Stelle vorstellen? Notiert euch an<br />
den entsprechenden Stellen, wie sich die Schauspieler verhalten müssten und<br />
versucht, diese Interpretation beim nächsten Lesen dieser Szene umzusetzen.<br />
Bildet kleinere Gruppen und erarbeitet jeweils eine eigene Inszenierung dieser<br />
kleinen Szene. Ihr werdet sehen, dass es zu verschiedenen Interpretationen des<br />
Textes kommt.<br />
Text in Szene setzen – Inszenieren eines Dramentextes<br />
Bei der Entstehung einer Theaterproduktion ist dieses genaue Lesen des Textes die<br />
wichtigste Grundlage für die Inszenierung und damit die Interpretation des Dramas. Es<br />
gibt verschiedene „Lesarten“: jeder Mensch interpretiert das, was er liest ein wenig<br />
anders. Das ist das Spannende am Theater: Es gibt einen Dramentext, der schon<br />
unzählige Male auf den verschiedensten Bühnen der Welt gespielt wurde, und<br />
TROTZDEM wird derselbe Text wieder neu interpretiert: weil es immer neue Versionen<br />
geben kann, die immer neue Aspekte der Geschichte beleuchten oder verdeutlichen.<br />
Beim Inszenieren könnt ihr euch weitere Fragen stellen:<br />
Welche Charaktereigenschaften haben DOMINGO, ALBA und KÖNIG<br />
PHILIPP?<br />
In welchen Gemütszuständen befinden sich die drei? Welche Bedeutung hat<br />
der Tod von MARQUIS VON POSA für KÖNIG PHILIPP? Für ALBA und<br />
DOMINGO?<br />
An welchem Ort könnte diese Konversation stattfinden? Gibt es<br />
irgendwelche Gegenstände im Raum (Tische, Stühle)? Wo befinden sich die<br />
drei Personen? Sitzen/stehen/liegen/laufen sie?<br />
Welche Kleidung tragen die Personen? Hat ihre Kleidung eine Auswirkung<br />
auf ihre Bewegungen (z.B. Eine Ritterrüstung -> schwerfälliges Bewegen;<br />
Mantel, der ausgezogen wird etc.)<br />
Überlegt euch eine Situation, in der dieses Gespräch völlig absurd oder<br />
komisch wäre. Wie würde dieses Gespräch zum Beispiel in einem Linienbus<br />
aussehen? Oder auf einer Baustelle?<br />
Diese Szene ist nur sehr kurz. Ihr könnt aber immer eurer Phantasie freien Lauf lassen<br />
und auch die anderen beiden Leseproben inszenieren.<br />
Viel Freude dabei!<br />
16
Leseprobe 3: Der GROSSINQUISITOR<br />
Lest den folgenden Dialog in verteilten Rollen. Die Situation: In einem Gespräch mit dem<br />
GROSSINQUISITOR sucht KÖNIG PHILIPP nach Antworten:<br />
58. AUFTRITT<br />
KÖNIG, INQUISITOR CARDINAL<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Steh ich vor dem König?<br />
KÖNIG<br />
Ich habe<br />
Gemordet, Cardinal,<br />
und keine Ruhe -<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Weßwegen haben Sie gemordet?<br />
KÖNIG<br />
Ein<br />
Betrug, der ohne Beispiel ist -<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Ich weiß ihn.<br />
KÖNIG<br />
Was wisset Ihr? Durch wen? Seit wann?<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Seit Jahren,<br />
Was Sie seit Sonnenuntergang.<br />
KÖNIG<br />
Ihr habt<br />
Von diesem Menschen schon gewußt?<br />
Und er ging frei herum?<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Das Seil, an dem<br />
Er flatterte, war lang, doch unzerreißbar.<br />
KÖNIG<br />
Man wußte,<br />
In wessen Hand ich war - Warum versäumte<br />
man,<br />
Mich zu erinnern?<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Diese Frage geb' ich<br />
Zurücke - Warum fragten Sie nicht an,<br />
Da Sie in dieses Menschen Arm sich warfen?<br />
Sie kannten ihn! Ein Blick entlarvte Ihnen<br />
Den Ketzer. - Was vermochte Sie, dies Opfer<br />
Dem heil'gen Amt zu unterschlagen?<br />
Darf Einer Gnade finden,<br />
Mit welchem Rechte wurden<br />
Hunderttausend<br />
Geopfert?<br />
KÖNIG<br />
Er ist auch geopfert.<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Nein,<br />
Er ist ermordet - ruhmlos! freventlich! - Das<br />
Blut,<br />
Das unsrer Ehre glorreich fließen sollte,<br />
Hat eines Meuchelmörders Hand verspritzt.<br />
KÖNIG<br />
Leidenschaft riß mich<br />
Dahin. Vergib mir.<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Leidenschaft? – Antwortet<br />
Mir Philipp, der König?<br />
- Leidenschaft! Geben Sie Gedankenfreiheit.<br />
Wenn das Gebäude Ihrer Ueberzeugung<br />
schon<br />
Von Worten fällt - mit welcher Stirne, muß<br />
Ich fragen, schrieben Sie das Bluturtheil<br />
Der hunderttausend schwachen Seelen, die<br />
Den Holzstoß für nichts Schlimmeres<br />
bestiegen?<br />
KÖNIG<br />
Mich lüsterte nach einem Menschen.<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Wozu Menschen? Menschen sind<br />
Für Sie nur Zahlen, weiter nichts. Muß ich<br />
Die Elemente der Monarchenkunst<br />
Mit meinem grauen Schüler nochmal<br />
durchgehen?<br />
Der Mensch verlerne zu bedürfen,<br />
Was ihm verweigert werden kann.<br />
17
KÖNIG<br />
Ich bin ein kleiner Mensch, ich fühl's - Du<br />
forderst<br />
Von dem Geschöpf, was nur der Schöpfer<br />
leistet.<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Nein, Sire, mich hintergeht man nicht. Sie<br />
sind<br />
Durchschaut - uns wollten Sie entfliehen.<br />
Sie wollten frei und einzig sein.<br />
Stünd' ich<br />
Nicht jetzt vor Ihnen - beim lebend'gen<br />
Gott! –<br />
Sie wären morgen so vor mir gestanden.<br />
KÖNIG<br />
Nicht diese Sprache! Mäßige dich, Priester!<br />
Ich duld' es nicht.<br />
Eine Arbeit noch,<br />
Die letzte -<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Wenn Philipp sich in Demuth beugt.<br />
KÖNIG<br />
Mein Sohn<br />
Sinnt auf Empörung.<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Was beschließen Sie?<br />
KÖNIG<br />
Nichts - oder Alles.<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Und was heißt hier Alles?<br />
KÖNIG<br />
Ich lass' ihn fliehen, wenn ich ihn<br />
Nicht sterben lassen kann.<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Nun, Sire?<br />
KÖNIG<br />
Kannst du mir einen neuen Glauben<br />
gründen,<br />
Der eines Kindes blut'gen Mord vertheidigt?<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Die ewige Gerechtigkeit zu sühnen,<br />
Starb an dem Holze Gottes Sohn.<br />
KÖNIG<br />
Ich frevle<br />
An der Natur - auch diese mächt'ge Stimme<br />
Willst du zum Schweigen bringen?<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Vor dem Glauben<br />
Gilt keine Stimme der Natur.<br />
KÖNIG<br />
Ich lege<br />
Mein Richteramt in deine Hände. – Kann<br />
Ich ganz zurücke treten?<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Geben Sie<br />
Ihn mir.<br />
KÖNIG.<br />
Es ist mein einz'ger Sohn - Wem hab' ich<br />
Gesammelt?<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Der Verwesung lieber, als<br />
Der Freiheit.<br />
KÖNIG<br />
Kommt.<br />
GROSSINQUISITOR<br />
Wohin?<br />
KÖNIG<br />
Aus meiner Hand das Opfer zu empfangen.<br />
Fragen zum Text:<br />
Was ist ein GROSSINQUISITOR? Warum hat dieser das Recht, auf diese Weise mit dem<br />
König zu sprechen? Warum wendet sich der König in dieser Situation an ihn?<br />
Was passiert in diesem letzen Dialog? Welche Entscheidungen werden getroffen?<br />
18
Tipps für euren Theaterbesuch<br />
Wir freuen uns auf euren Besuch im <strong>Landestheater</strong> Niederösterreich!<br />
Damit der Theaterbesuch für alle ein angenehmes Erlebnis wird, auch für die<br />
Schauspielerinnen und Schauspieler, wollen wir euch einige wichtige Informationen<br />
geben:<br />
Wir freuen uns, wenn ihr rechtzeitig im Theater seid (20-30 Minuten vor<br />
Vorstellungsbeginn). Dann könnt ihr ohne Eile und Hektik eure Garderobe und<br />
Rucksäcke im Foyer abgeben, Mitgebrachtes essen oder trinken, und dann in Ruhe eure<br />
Plätze im Zuschauerraum einnehmen.<br />
Eure Eintrittskarte wird am Eingang zum Zuschauerraum kontrolliert, bitte haltet sie<br />
bereit oder bleibt in der Nähe eurer Lehrperson, die eure Theaterkarten vorzeigt.<br />
Theater ist kein Fernsehen, sondern findet live statt. Es entsteht im Moment jeder<br />
Aufführung immer wieder neu und bezieht seinen besonderen Reiz auch aus dem<br />
Mitwirken des Publikums.<br />
Das bedeutet, dass die Darsteller auf der Bühne sehr genau merken, was im<br />
Zuschauerraum vor sich geht. Sie hören euch flüstern, das Rascheln von Zuckerlpapier,<br />
sie sehen, dass eure Gesichter vom Display eures Handys gespenstisch beleuchtet sind<br />
und sie sehen auch, wenn eine halbe Reihe aufsteht, weil jemand von euch den Saal<br />
verlässt, um auf die Toilette zu gehen.<br />
Viele Menschen auf und hinter Bühne bemühen sich am Tag eures Theaterbesuches,<br />
dass die Vorstellung ein gelungenes Ereignis wird. Mit eurem interessierten und<br />
kollegialen Verhalten tragt ihr dazu bei.<br />
Die Schauspielerinnen und Schauspieler spielen nur für euch - unterstützt sie mit eurer<br />
Aufmerksamkeit und eurem Applaus!<br />
Wir wünschen euch allen eine spannende und unterhaltsame Vorstellung und<br />
freuen uns auf ein Wiedersehen im<br />
<strong>Landestheater</strong> Niederösterreich!<br />
19
Nachbereitung<br />
Fragenkatalog zur Vorstellung<br />
Bei einem Gespräch in der Klasse gibt es sicherlich einiges rund um den<br />
Vorstellungsbesuch zu besprechen. Um das Gesehene zu reflektieren, empfiehlt es sich<br />
die ersten Eindrücke und Erinnerungen zu sammeln:<br />
Was war ein beeindruckender Moment im Stück? Welche Szene oder Sequenz ist<br />
euch besonders in Erinnerung geblieben? Was hat sie besonders gemacht?<br />
Denkt nochmal daran zurück, wie verschiedene Theatermittel verwendet<br />
wurden: Licht? Musik? Sprache? Bühnenraum? Bühnenbild? Kostüme?<br />
Rhythmus? Spannungsbogen im Handlungsverlauf?<br />
Sind euch außer den Schauspielern noch andere Mitarbeiter rund um die Bühne<br />
aufgefallen? Welche Aufgaben hatten die drei Personen hinter dem Mischpult?<br />
Sind sie euch aufgefallen?<br />
Für die Nachbereitung einer Theateraufführung ist es oft hilfreich, möglichst nah am<br />
Bühnengeschehen zu bleiben, um dann vielleicht die Inszenierung mit der Vorlage oder<br />
euren Erwartungen zu vergleichen. Es bietet sich an, die Aufführung thematisch in<br />
Arbeitsgruppen zu reflektieren.<br />
Figuren<br />
Welche Figuren sind aufgetreten? Welche Verhältnisse untereinander waren zu<br />
erkennen?<br />
Waren die Rollen typgerecht besetzt? Oder habt ihr euch Figuren anders<br />
vorgestellt?<br />
Welche Figur hat euch beeindruckt? Warum?<br />
Kanntet ihr Rollen aus der dramatischen Vorlage? Welche waren abgewandelt?<br />
Habt ihr jemanden vermisst?<br />
Bühne<br />
Was war charakteristisch für das Bühnenbild? Hat sich die Bühne verwandelt?<br />
Wann und wie?<br />
Ist euch etwas an den Kostümen aufgefallen? Konntet ihr von der Kleidung auf<br />
die Charaktere der Figuren schließen?<br />
Wo und in welcher Zeit könnte die Geschichte spielen, wenn ihr nach der<br />
Ausstattung geht?<br />
Neben Kostüm und Bühnenbild – welche anderen Theatermittel haben in der<br />
Inszenierung eine Rolle gespielt? Licht? Ton?<br />
Beschreibt einen Moment der Inszenierung, bei dem Licht- oder Musikeinsatz<br />
Bedeutung hatte.<br />
20
Aufbau des Stücks<br />
Erinnert ihr euch an die erste Szene?<br />
Beschreibt kurz eure Eindrücke der letzten Szene.<br />
Hatte die Inszenierung einen bestimmten Rhythmus, einen Höhepunkt, einen<br />
Spannungsverlauf?<br />
Was wisst ihr über den Begriff Dramaturgie? Was hat dieser mit diesen Fragen zu<br />
tun?<br />
Wenn ihr die Aussage des Stücks in einem Satz, einem Motto oder in einer Moral<br />
benennen müsstet – wie würde sie lauten?<br />
Könnt ihr Vergleiche zwischen den Schwierigkeiten der Figuren im Stück und<br />
euch bekannten Problemstellungen ziehen?<br />
Inszenierung<br />
Was an der Inszenierung würdet ihr als zeitgenössisch bezeichnen? Hat das Stück<br />
aus dem Jahre 1788 etwas mit eurer Gegenwart zu tun?<br />
Gab es etwas in der Inszenierung, das euer Interesse besonders geweckt hat?<br />
Was habt ihr euch von der Inszenierung erwartet?<br />
Was hat euch überrascht / irritiert / gefallen?<br />
Wie würdet ihr die Geschichte inszenieren?<br />
Was ist eine Regieanweisung? Wie erkennt man diese in einem Dramentext?<br />
Welche Bedeutung hat sie für den Regisseur?<br />
Was könnte eine Fortsetzung sein? Gäbe es ein mögliches anderes Ende?<br />
Szenenanalyse – Traumsequenzen:<br />
Denkt an die Traumsequenzen von <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>: Wie wurde deutlich, dass es<br />
sich um einen Traum handelte?<br />
Welche Funktion haben diese Szenen in der Inszenierung gehabt?<br />
Diese Szenen kommen in der Originalfassung von Schiller nicht vor. Wie kam die<br />
Regisseurin wohl auf die Idee, solche einzubauen?<br />
Was sagen die Traumszenen über <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong> aus? Wie sieht die Regisseurin<br />
wohl die Figur des Königssohns? Welche Eigenschaften schreibt sie ihm zu?<br />
Allgemein<br />
Kommt bei Bedarf nochmals auf die Fragen aus der Vorbereitung und den Leseproben<br />
zurück.<br />
Findet ihr nun, nachdem ihr das Stück gesehen habt, andere Antworten? Ist euch<br />
manches klar geworden? Konntet ihr zwischen euren Diskussionen aus der<br />
Vorbereitung und dem Stück eine Verbindung herstellen? Habt ihr besprochene<br />
Themen im Stück wiedergefunden?<br />
Solltet ihr noch offene Fragen haben, kommen wir gerne mit euch ins Gespräch.<br />
21
Zum Weiterlesen<br />
North, Michael: Geschichte der Niederlande, C.H. Beck 3. Auflage 2007.<br />
Safranshi, Rüdiger: Schiller oder Die Erfindung des deutschen Idealismus, dtv 2007<br />
Schiller, Friedrich: Don Carlos. Briefe über Don Carlos. Dokumente, hg. von Gerhard<br />
Storz (Rowohlts Klassiker. 72/73), Reinbek 1960, oder:<br />
Schiller, Friedrich: Don Karlos, Infant von Spanien. Ein dramatisches Gedicht. Mit einem<br />
Kommentar von Helmut Nobis, Suhrkamp 2007<br />
„Laß mich weinen,<br />
An deinem Herzen heiße Thränen weinen,<br />
Du einz'ger Freund. Ich habe Niemand - Niemand –<br />
Auf dieser großen weiten Erde Niemand.<br />
So weit das Scepter meines Vaters reicht.<br />
Vater!<br />
Ich weiß ja nicht, was Vater heißt - ich bin<br />
Ein Königssohn - O, wenn es eintrifft, was<br />
Mein Herz mir sagt, wenn du aus Millionen<br />
Herausgefunden bist, mich zu verstehn,<br />
Wenn eine Thräne, die mir Lindrung gibt,<br />
Dir theurer ist als meines Vaters Gnade –“<br />
„O theurer als die ganze Welt.“<br />
<strong>CARLOS</strong>, MARQUIS VON POSA, aus <strong>DON</strong> <strong>CARLOS</strong>, von Friedrich Schiller<br />
22