Michael Perkampus – Ninegal 1 NINEGAL Na! - es gibt sie freilich ...

Michael Perkampus – Ninegal 11
bar, bejammerten sich, bestöhnten, stritten sich. Wie der Wanderer war dieser Mob
nicht durch das Land gereist, um dieses seltsame Schloß zu besuchen; Boden krümmte
sich unter die Sohlen (für die Rutscher – Kniee), Feuernähte trennten die Luft – daraus
sie kamen zu einer unbekannten Stunde Zeitgeschichte, einen grauenhaften Lärm
veranstaltend, der an die skandinavische Oskorei erinnerte (die man weiter südlich 'Die
Wilde Jagd' nennt). Unbekannt die Stunde, unbekannt der Grund des Phänomens (wie
des Meeres). Sinn- und Ziellos geisterte das Heer höllenlärmend durch die dunklen
Säle und Kammern. Der Prunk war jetzt 'ihr' Prunk. Verwachsene Idioten sangen
schröckliche Lieder, Kantaten primitiver Lust in kakophonisch fremden Zungen.
Veitstänzer, Kleingewüchs, verlebte Dirnen (mit Mösen magerlippig) – die Nymphae
da sichtbar, da nicht. Arme, schmächtige, ziemlich junge, halb verhungerte Frauen mit
dünnen Schenkeln und armseligen Kaninchensteißen; Bruchbienen, Gurren, Klunten,
Metzen, Rierbeine, Bubenhufen, Aleemenschen, Betzen, Bödelsche, Nillen,
Hübscherinnen, Gluphuren, Tiffen – mit schwärend aufgeblähten Bäuchen;
rußverschmierte Ketzer tanzten Konvulsion, der Urin lief seitwärts beins hinunter
(andere nahmen ihren eigenen Kot auf oder spuckten unablässig).
Der Traum selbst entsprang dem Schlaf der Gräfin Bathory, die, vollgestopft mit
Opiaten (vornehmlich benutzte sie zum Ritual des Rauchens eine Shisha – das Opium
selbst mischte sie mit Moassel Silum), auf ihrem ausladenden Plüschbett lag. Der
Träumenden entsprang ein Bach, der sich mit blutigen Tränen füllte. In den
Blutkristallen ersah sie Gesichter aus längst vergangenen Tagen – und sie wußte nicht,
daß es bereits die Gesichter des Wahnsinns waren. Stimmen drangen auf sie ein, eine
undeutliche Gestalt trat auf sie zu und hielt das Enuma Elish in der Hand, jenen
babylonischen Schöpfungsmythos, dem auch der Gilgamesch entstammte, und dem
ebenso die biblische Genesis ihre Einfälle verdankte. Wer der Traumbesucher war,
konnte die Gräfin nicht erkennen; die Aura gelben Siechtums schirmte die
Erscheinung. Dann wechselte das Bild: Das Buch öffnete sich, tanzende Bilder gab es
frei. Eine Gauklertruppe schien es zu sein; diese pulste näher an den Rand der Bibel.
Monoton der Ruf der Bettler – da Schlangenbeschwörer, dort Märchenerzähler, Gnome
und Gänsevieh. Kurz Bevor der Troß das Buch verlassen hätte müssen, stand er
plötzlich still. Grimassen wurden gezogen, von einer fürchterlichen Eigenart besessen,
visionierte Debauche. Aber die Gräfin fürchtete sich nicht. Ein Klopfen als gäbe es da
eine Tür, die es zu öffnen galt, doch es waren nur die Seiten des Buches, aus denen der
ganze Zirkus gaffte. - »Herein«, sagte die Gräfin tonlos. »Das wird so nicht gehen«
antwortete ein Buckliger und renkte seinen Kiefer aus, um die Worte überhaupt
sprechen zu können. »Wie dann?« Hauchen. »Du mußt uns öffnen!« »Wie?« »Wie
man eine Tür eben öffnet!« Der Krüppel ließ seinen Kopf von einer Schulterseite zur
anderen fallen, die Bettler schrien nach Geld.
Niemand hat jemals beobachtet, wie der Traum seine Türen aufschließt. Dieses Ritual
vollzog sich stets auf die nur ihm mögliche geheimnisvolle Art und Weise. Welchen
Schlüssel er dafür benutzt, weiß der Mensch nicht; welche Form der Schlüssel ist, weiß
er noch weniger, doch von den atemberaubenden Ergebnissen hat er sich stets