Heft 2/2008 - Pro Tier
Heft 2/2008 - Pro Tier
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Foto : zvg Bildarchiv H.P. Roth<br />
schen gegenüber nie aggressiv verhalten.<br />
Die todbringende Einstufung<br />
als « Risikobär » bezieht sich indes<br />
auf die Gefahr, dass es zu nahen<br />
und überraschenden Begegnungen<br />
mit Menschen » kommen konnte,<br />
« mit möglichen ernsthaften Verletzungen<br />
eines Menschen als Folge<br />
». Diese vage und kleine Gefahr<br />
reichte den Behörden als Todesurteil<br />
aus. Die Wahrscheinlichkeit,<br />
von einem an Menschen gewöhnten<br />
Bären verletzt zu werden, mag<br />
selbst für Leute im Bärengebiet weit<br />
geringer sein als die, bei einem Verkehrsunfall<br />
zu Schaden zu kommen.<br />
Aber das Risiko besteht, und weil es<br />
ungewohnt ist, wollen die Behörden<br />
es nicht tragen.<br />
Tödliche Büro-Logik<br />
Der behördlichen Büro-Logik zufolge<br />
hätte der Einwanderer aus<br />
den italienischen Alpen wohl des<br />
Lesens der deutschen Amtssprache<br />
kundig sein sollen. Dann hätte<br />
JJ3 entziffern können, dass Bär<br />
nicht gleich Bär ist, dass es unauffällige,<br />
problembehaftete und riskante<br />
Bären gibt. Letztere heissen<br />
wohl darum so, weil sie gemäss<br />
Amtsdeutsch ihre « Entfernung »<br />
riskieren, wenn sie zu fest über die<br />
Stränge hauen. Es definiert nun mal<br />
der Mensch, welche <strong>Tier</strong>e sich wie<br />
zu verhalten haben, um geduldet zu<br />
sein oder in Ungnade zu fallen, und<br />
welches Fleckchen Natur unserem<br />
vermassten Wertschöpfungs-System<br />
in welcher Weise ökonomisch<br />
optimal zu dienen hat. Daher wird<br />
JJ3 fortan als erster Risikobär seine<br />
geschichtliche Würdigung ausgestopft<br />
im Museum erfahren.<br />
Dennoch gibt es einige Lichtblicke<br />
: Die Sympathie und Zustimmung<br />
für Grossraubtiere in der<br />
Schweizer Bevölkerung ist ausgesprochen<br />
gross. So wurde beispielsweise<br />
ein eingerichtetes Forum zum<br />
Thema Bärenabschuss auf der Website<br />
www.naturschutznetz.ch/jj3 zu<br />
einem eigentlichen Online-Kondolenzbuch<br />
gegen den Abschuss<br />
von JJ3. Bei Redaktionsschluss<br />
verzeichnete das Forum rund 750<br />
Einträge. Laut den Betreibern sprechen<br />
sich über 90 <strong>Pro</strong>zent gegen<br />
<strong>Pro</strong><strong>Tier</strong> 2/08<br />
Foto : zvg Bildarchiv Hans Peter Roth<br />
Schäden von JJ3<br />
kurz vor seinem Abschuss<br />
den Abschuss des Risikobären aus.<br />
Die Einträge gehen nun als Petition<br />
an das Bündner Jagdinspektorat<br />
mit der Bitte, den Raubtieren in<br />
der Schweiz eine Chance zu geben.<br />
Bereits hat die Bündner Regierung<br />
angekündigt, dass Graubünden ein<br />
bärensicheres Abfallsystem einführen<br />
will, um Bären künftig möglichst<br />
von Siedlungen fernzuhalten. Derweil<br />
lebt MJ4, der Halbbruder von<br />
JJ3, ganz unauffällig im Bündnerland,<br />
ist kaum bekannt und liefert<br />
keine Schlagzeilen. Möge es so<br />
bleiben.<br />
Weitere Luchse gewildert<br />
Kein Lichtblick für die Luchse im<br />
Berner Oberland. Das Untersuchungsrichteramt<br />
Berner Oberland<br />
führt erneut eine Untersuchung gegen<br />
Unbekannt, weil Hinweise auf<br />
Wilderei vorliegen. Dies, nachdem<br />
das Fotofallenmonitoring markant<br />
weniger Luchse erfasst hat. « Auffallend<br />
ist insbesondere der Rückgang<br />
der Luchse zwischen Brienz<br />
und dem Haslital, wo nur noch<br />
zwei Luchse fotografiert wurden ;<br />
im Vorwinter waren es noch acht<br />
<strong>Tier</strong>e », hielt das Bundesamt für<br />
Umwelt bereits im August 2007 fest.<br />
Der eidgenössische Jagdinspektor<br />
Reinhard Schnidrig geht davon aus,<br />
« dass der markante Rückgang allein<br />
durch Abwanderung und natürliche<br />
Sterblichkeit nicht zu erklären ist<br />
und illegale Tötungen wahrscheinlich<br />
sind ».<br />
Der Berner Volkswirtschaftsdirektor<br />
Andreas Rickenbacher äussert<br />
sogar die Befürchtung, dass<br />
« der Luchsbestand möglicherweise<br />
schon eine kritisch tiefe Dichte<br />
erreicht hat, welche die Überlebensfähigkeit<br />
der Population in<br />
Frage stellt ». Peter Zenklusen,<br />
Präsident des Berner Jägerverbandes,<br />
sieht dies diametral anders : In<br />
der Praxis zeige sich « je länger je<br />
mehr », dass Grossraubtiere in Gebieten<br />
wie dem östlichen Berner<br />
Oberland « überhandnehmen und<br />
die Auswirkungen auf den Bestand<br />
ihrer Beutetiere gravierend sind ».<br />
Mit anderen Worten : Zenklusen<br />
jammert einmal mehr, die bösen<br />
Luchse frässen den armen Jägern,<br />
die ohne erlegtes Wild wohl am<br />
Hungertuch nagen müssen, die<br />
Beute weg.<br />
Glaubt man dagegen den Werten<br />
des Fotofallenmonitorings, muss<br />
der Unterbestand von Gämsen und<br />
Rehen im Oberland ganz andere Ursachen<br />
haben. Geht man noch von<br />
20 bis 25 erwachsenen und halberwachsenen<br />
Luchsen im Berner<br />
Oberland aus, reissen diese 500<br />
bis 600 Gämsen und 800 bis 1000<br />
Rehe pro Jahr. Zum Vergleich : Die<br />
Jäger im Berner Oberland schiessen<br />
1700 Gämsen und fast 1000<br />
Rehe. Weitere 1200 Gämsen und<br />
800 Rehe kommen jährlich ohne<br />
jagdliche Einwirkung (Kollisionen<br />
mit Fahrzeugen, Krankheit, Abstürze,<br />
Lawinen, Erschöpfung, etc.) zu<br />
Tode. (hpr) <br />
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