NFV_03_2011 - Rot Weiss Damme
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Hausbesuch<br />
12<br />
„Auch das Lachen haben wir nicht verlernt“<br />
Björn Kasper aus Hellwege liegt seit fünf Jahren im Wachkoma –<br />
Mutter Ute hat die Hoffnung nicht aufgegeben<br />
Von WIELAND BONATH<br />
„Auch das Lachen haben wir nicht verlernt“,<br />
sagt Ute Kasper zum Abschied. Dabei<br />
hat das Schicksal mehr als genug bei der<br />
55-jährigen Frau aus Hellwege im Landkreis<br />
<strong>Rot</strong>enburg abgeladen. Vor fünf Jahren fiel<br />
Zwillingssohn Björn, damals 19, nach einem<br />
Sportunfall in ein Wachkoma. Vor drei Jahren<br />
starb plötzlich ihr lange Zeit von Krankheit<br />
geplagter Mann Ronald mit erst 54 Jahren.<br />
Ute Kasper ist nicht zerbrochen. Sie lebt<br />
jeden Tag neu. Sie lebt, sie arbeitet, sie<br />
kämpft, wenn notwendig, jeden Tag neu.<br />
Und sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben.<br />
Die Hoffnung darauf, Björn möge eines<br />
Tages aus seinem tiefen Schlaf erwachen,<br />
in den Jahr für Jahr in Deutschland<br />
rund 40.000 Menschen aus unterschiedlichen<br />
Gründen für verschieden lange Zeit<br />
fallen. „In diesem Zustand“, so Mediziner,<br />
„kann das Individuum auch durch starke äußere<br />
Stimuli wie wiederholte Schmerzreize<br />
nicht geweckt werden.“ Allerdings haben<br />
Forschungen inzwischen ergeben, dass Koma-Patienten<br />
über die Fähigkeit verfügen,<br />
so der Neurochirurg Andreas Zieger vom<br />
Evangelischen Krankenhaus Oldenburg,<br />
„innerlich auf Reize zu reagieren, noch bevor<br />
es zu äußerlich wahrnehmbaren Verhaltensänderungen<br />
kommt.“ Koma-Patienten<br />
verfügen also offensichtlich über eine noch<br />
weitgehend unerforschte „Antenne“.<br />
Die Medizinisch-technische Assistentin<br />
und Praxisberaterin Ute Kasper wird jenen<br />
Ute Kasper mit ihrem Sohn Björn, der seit fünf Jahren im Koma liegt<br />
und von ihr liebevoll gepflegt wird. Unterstützung findet sie bei Paul<br />
Metternich, der zu einem Freund der Familie geworden ist.<br />
März <strong>2011</strong><br />
Sonnabend im April 2005 nicht vergessen.<br />
Ihr Sohn Björn – genau wie sein Zwillingsbruder<br />
Benjamin ein begeisterter und talentierter<br />
Fußballer – habe sich, so hieß es zunächst,<br />
beim „Warmlaufen“ am Sportplatz<br />
Depstedt eine Kopfverletzung zugezogen.<br />
Der anfänglich nicht alarmierende Unfall<br />
steigerte sich jedoch sehr bald in seiner Dramatik<br />
und endete mit dem Koma. Ohne<br />
Fremdeinwirkung war Björn ein Aneurysma<br />
im Kopf geplatzt.<br />
„Ja ist gleichbedeutend mit<br />
dem einmaligen<br />
Schließen der Augenlider.<br />
Zweimal schließen<br />
steht für Nein.“<br />
Die Mutter weiß von ihrem anderen<br />
Sohn Benjamin, dem zweieiigen Zwilling:<br />
„Als das mit Björn passierte, ist ihm seine<br />
andere Hälfte abgetrennt worden.“ Das<br />
Leben der Familie Kasper wurde von heute<br />
auf morgen umgestülpt. Zwar gab es und<br />
gibt es für den oft harten Alltag (und Sonntag)<br />
von außen Unterstützung und ausreichende<br />
finanzielle Hilfe – Arbeit bleibt jedoch<br />
genug. Denn die 55-jährige Mutter<br />
und Hausfrau führt ihren sie beanspruchenden<br />
Beruf weiter.<br />
Die Zahl der Freunde, die heute zu<br />
Björn kommt, ist weniger geworden. Berührungsängste?<br />
In der<br />
Vergangenheit haben<br />
Fußballfreunde Benefizspiele<br />
veranstaltet.<br />
Aber wie gesagt: Die<br />
materiellen Klippen des<br />
Alltags sind inzwischen<br />
geglättet, die notwendigen<br />
Geräte konnten<br />
für Björn angeschafft<br />
werden.<br />
Der ganz normale<br />
Alltag ist geblieben,<br />
und zwar zu einem großen<br />
Teil für die berufstätige<br />
Mutter, die immer<br />
wieder die Zähne<br />
zusammenbeißen muss<br />
und dabei das Lachen<br />
nicht verlernt hat. 6 Uhr<br />
aufstehen, um 7 Uhr<br />
Frühstück, wobei dem<br />
im Rollstuhl besonders<br />
gesicherten Björn Nahrung<br />
und Trinken durch<br />
eine Sonde eingeführt<br />
wird. Ute Kasper zieht<br />
ihren Sohn an, packt<br />
seine Tasche, unter anderem<br />
mit der Nahrung,<br />
den Handschienen,<br />
dem Kommunika-<br />
tionsbüchlein für Notizen<br />
der Therapeuten in<br />
Lilienthal. Nach dort<br />
geht es nämlich an-<br />
Ute Kasper mit den Fußballschuhen, die ihr<br />
Sohn zuletzt benutzte. Fotos: Bonath<br />
schließend in einem Spezialkleinbus in eine<br />
Tagesförderung für späterworbene Hirnschäden.<br />
Eine Einrichtung, die von der Mutter<br />
sehr gute Noten bekommt. Ute Kasper<br />
weiß nämlich: „Björn muss auch andere<br />
Menschen um sich haben. Nicht nur die<br />
Mutter darf zu den Reizpunkten gehören,<br />
sondern andere Stimmen, andere Leute.“<br />
Am frühen Abend wird dann Björn von<br />
Wolfgang Krause oder seinen Kollegen vom<br />
Taxi-Ruf Schumacher, Ottersberg, im speziellen<br />
Fahrzeug nach Hellwege in die stille Straße<br />
Am Goldanger gefahren. Muss die Mutter<br />
einmal länger arbeiten, wird der junge<br />
Mann bei Nachbarin Doris Johannsen und<br />
deren Familie in Empfang genommen. Übrigens:<br />
Weder in diesem Fall noch in einem<br />
anderen Beispiel ist die selbstverständliche<br />
Hilfe, wo die Ärmel hochgekrempelt werden,<br />
nicht ausgestorben: „Wenn es ganz<br />
doll klingelt“, weiß Ute Kasper, „dann ist es<br />
Paul.“ Paul Metternich, ein sympathisches<br />
„Sport-Unikum“ aus <strong>Rot</strong>enburg, und zwar<br />
nicht mit hohlem Boden. Der 64-Jährige ist<br />
zu einem helfenden Freund der Familie<br />
geworden. Und deshalb klingelt es immer<br />
wieder doll ...<br />
Ute Kasper über Björn: „Der Zustand, in<br />
dem er sich befindet, ist unterschiedlich. Einmal<br />
ist er näher an der Wirklichkeit, dann<br />
weniger nahe. Ich merke sehr wohl, wenn er<br />
mir sehr aufmerksam zuhört. In diesen Fällen<br />
dreht Björn mir den Kopf zu.“ Nach ihrer<br />
Beobachtung kommt es zwischen ihr und<br />
ihm zu einem Kommunizieren, wenn auch<br />
in sehr beschränktem Umfang. Die Mutter:<br />
„Ja ist für ihn gleichbedeutend mit dem einmaligen<br />
Schließen der Augenlider. Zweimal<br />
schließen steht für Nein.“ Die 55-Jährige ergänzt:<br />
„Man freut sich über die kleinen<br />
Schritte. Noch mehr würden sein Bruder und<br />
ich mich natürlich freuen, wenn er eines Tages<br />
ganz wieder da wäre.“