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Afrikaner in Hamburg - Museum für Völkerkunde

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Leben <strong>in</strong> zwei Welten<br />

Das Leben <strong>in</strong> afrikanischen Ländern unterscheidet sich <strong>in</strong> vielen Aspekten vom Leben <strong>in</strong> Deutschland. Die verschiedenen<br />

Welten haben Vor- und Nachteile, das beschreiben auch die Interviewten. Die südafrikanische Sänger<strong>in</strong> Lebo<br />

Masemola sagt: „Deutschland ist e<strong>in</strong>samer, die Menschen <strong>in</strong>dividueller, mehr auf sich bezogen. Die nächste Person<br />

ist fast egal.“ Kalidou Barry sieht dies anders: „Ich f<strong>in</strong>de, der Mensch ist sehr wichtig <strong>in</strong> diesem Land (Deutschland).<br />

Das ist me<strong>in</strong>e persönliche Erfahrung.“ Und er ergänzt: „Du verhungerst nicht, du bist nie krank ohne e<strong>in</strong>e ärztliche Betreuung,<br />

du schläfst nicht draußen, du musst nicht nackt rumlaufen. Was <strong>für</strong> e<strong>in</strong>en Mensch notwendig ist am Anfang,<br />

hast du alles und kriegst du hier <strong>in</strong> diesem Land.“ Joseph Mané antwortet auf die Frage, was er vermisst, wenn er an<br />

den Senegal denkt: „Die Kultur, diese frei lebenden Menschen, die sich bewegen können und alle fröhlich s<strong>in</strong>d. So<br />

ist das Leben dort. Da kann man jemanden besuchen ohne Vorwarnung. Das Leben spielt sich auf der Straße ab. An<br />

jeder Ecke gibt es Gruppen, die Musik machen. Hier <strong>in</strong> Deutschland ist es anders. Hier beschränkt sich das Leben im<br />

Kopf. Man muss irgendwie sehr viel überlegen. Planmäßig.“ Das Leben <strong>in</strong> zwei Welten kann e<strong>in</strong>e große Bereicherung<br />

se<strong>in</strong>. So sieht es auch Lebo Masemola und wünscht sich, dass mehr Menschen <strong>in</strong> Deutschland sehen, „dass nicht<br />

jeder <strong>Afrikaner</strong> nach Europa kommt, um nach etwas zu betteln, sondern dass wir auch hier s<strong>in</strong>d, um etwas zu geben.<br />

Wir werden immer <strong>Afrikaner</strong> se<strong>in</strong> – egal wo auf der Welt. Damit bereichern wir die kulturelle Vielfalt und geben<br />

unser Wissen weiter.“ Aber das Leben <strong>in</strong> zwei Welten verlangt den Betroffenen auch e<strong>in</strong>iges ab. Joseph Mané beschreibt,<br />

dass er sich manchmal als Tourist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Heimatland fühlt: „Wenn man auswandert, hat man nach e<strong>in</strong>er<br />

Weile ke<strong>in</strong>e Zugehörigkeit mehr. Ich denke, ich habe den Faden irgendwie verloren. Das Leben dort geht ja weiter.<br />

Freunde von damals s<strong>in</strong>d alle weg, oder verheiratet. Die haben jetzt andere Bedürfnisse. Und dann sitzt man da. Man<br />

ist praktisch e<strong>in</strong> Tourist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Heimatland, ohne Orientierung.“<br />

Heimweh<br />

Die meisten der Interviewten telefonieren regelmäßig mit Familie und Freunden <strong>in</strong> Afrika um die Brücke zwischen<br />

den Welten zu schlagen. Die Südafrikaner<strong>in</strong> Futhi Mhlongo, die <strong>in</strong> <strong>Hamburg</strong> beim Musical „Der König der Löwen“ als<br />

Rafiki auf der Bühne steht, sagt, sie rufe ihre Familie fast jeden Tag an: „Da b<strong>in</strong> ich eher so der old fashion Typ und<br />

benutzte das Telefon anstatt Skype oder die ganzen anderen neuartigen Kommunikationsmittel.“ Das Kochen von<br />

Gerichten aus der Heimat, traditionelle afrikanische Musik und Kunstgegenstände <strong>in</strong> der Wohnung helfen ebenfalls<br />

gegen Heimweh. Aber <strong>in</strong> manchen Momenten überkommt die Sehnsucht die Interviewten. Futhi Mhlongi sagt: „So<br />

richtig Heimweh habe ich nicht, weil ich mich <strong>in</strong> <strong>Hamburg</strong> sehr wohl fühle. Aber es gibt Momente – zum Beispiel<br />

wenn ich auf der Bühne b<strong>in</strong>. Dann s<strong>in</strong>ge ich und versuche dem Publikum die afrikanische Atmosphäre näher zu br<strong>in</strong>gen.<br />

In solchen Momenten wünsche ich mir, dass me<strong>in</strong>e Familie da ist, mich sehen und mir zugucken kann. Das s<strong>in</strong>d<br />

so Augenblicke, wo sich e<strong>in</strong> Teil von mir nach Hause sehnt oder sich eben se<strong>in</strong>e Heimat hierher wünscht.“ Djeynaba<br />

Siby sagt: „Wenn ich Stress habe, dann ist das Heimweh groß. Dann will ich manchmal e<strong>in</strong>fach nach Hause. Ich fühle<br />

mich <strong>in</strong> Deutschland oft diskrim<strong>in</strong>iert und schlecht behandelt, zum Beispiel bei er Jobsuche oder bei der Wohnungssuche.<br />

Das würde mir <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Heimat nie passieren.“ Dagegen er<strong>in</strong>nert sich Joseph Mané, dass er auch als er erst<br />

seit kurzem <strong>in</strong> Deutschland war, ke<strong>in</strong> Heimweh nach dem Senegal hatte: „Ich hatte ke<strong>in</strong>en Grund dazu, Heimweh zu<br />

haben. Me<strong>in</strong>e Eltern s<strong>in</strong>d gestorben. Me<strong>in</strong>e Schwestern waren alle verheiratet, me<strong>in</strong>e Brüder hatten Arbeit. Ich hatte<br />

ja alles gemacht, was ich als Mann machen konnte. Ich hatte dort e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong>e Aufgabe mehr.“ Als Adama Diène<br />

gefragt wird, wie oft er an Afrika denkt, lautet se<strong>in</strong>e Antwort: „Afrika ist m<strong>in</strong>destens fünfmal so groß wie Europa und<br />

dazu noch sehr vielfältig. Wie kann ich da an ganz Afrika denken? Ich kann nur an me<strong>in</strong>e Heimat Senegal denken. Ich<br />

denke dann an me<strong>in</strong> zu Hause und sehe me<strong>in</strong>e Familie, me<strong>in</strong>e Freunde und die Stadt wo ich aufgewachsen b<strong>in</strong>.“<br />

<strong>Hamburg</strong> als Heimat<br />

<strong>Hamburg</strong> ist <strong>für</strong> ke<strong>in</strong>en der Interviewten die Stadt, <strong>in</strong> der sie aufgewachsen s<strong>in</strong>d. Sie s<strong>in</strong>d als Erwachsene <strong>in</strong> die<br />

Hansestadt gezogen. Kann e<strong>in</strong> Wohnort e<strong>in</strong>e Heimat werden? Kalidou Barry sagt <strong>Hamburg</strong> sei die erste Stadt <strong>in</strong><br />

Deutschland, wo er gesagt habe: „Ich bleibe!“ Und er erklärt im Interview: „Ich habe mich verliebt <strong>in</strong> die Stadt. Großstadt,<br />

Wasser, grün, ke<strong>in</strong>e weiten Wege. In <strong>Hamburg</strong> kann ich überall se<strong>in</strong>, das ist alles vernetzt. Wir haben sehr tolle<br />

Menschen gefunden hier.“ Luisa Natiwi aus Uganda sagt: „<strong>Hamburg</strong> hat mir e<strong>in</strong>e Heimat gegeben. Das offene, das<br />

flache er<strong>in</strong>nert mich an Karamoja. Hier habe ich das Gefühl, dass ich angekommen b<strong>in</strong>. Nicht nur ich b<strong>in</strong> angekommen,<br />

sondern auch me<strong>in</strong>e Vision. Me<strong>in</strong>e Märchen zu schreiben, me<strong>in</strong>e Projekte, me<strong>in</strong>e Pläne.“ Lebo Masemola lebt<br />

gerne <strong>in</strong> <strong>Hamburg</strong>. Doch identifiziert sie sich selbstverständlich als Südafrikaner<strong>in</strong>. Sie sagt: „Ich b<strong>in</strong> Südafrikaner<strong>in</strong><br />

und ich werde immer Südafrikaner<strong>in</strong> se<strong>in</strong>. Ich kann überall <strong>in</strong> der Welt leben, ich bleibe ich selbst. Und das heißt:<br />

me<strong>in</strong>e Kultur bleibt.“<br />

Die Antworten auf die Fragen der Studierenden s<strong>in</strong>d vielfältig, vielschichtig und manchmal widersprüchlich. Sie<br />

geben e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> das außergewöhnliche, <strong>in</strong>teressante, manchmal schwierige Leben von afrikanischen Immigranten<br />

<strong>in</strong> <strong>Hamburg</strong>. Die Interviews sollen die Leser und Besucher anregen, weitere Fragen zu stellen, das Gespräch zu<br />

suchen und die Perspektiven der mehr 30.000 als <strong>Afrikaner</strong> <strong>in</strong> <strong>Hamburg</strong> kennen zu lernen.<br />

Die Interviews wurden geführt von:<br />

Marie Fleischhauer, Julia Kottkamp, Valerie Landau, Stefanie Michels, Sab<strong>in</strong>a Remus, Kim Schwarz und Julia Wehmeier.<br />

Foto: www.mediaserver.hamburg.de/C. O. Bruch<br />

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