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Kinder besser vor Gewalt schützen - Weisser Ring e.V.

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Opferhilfe<br />

SO HILFT DER WEISSE RING<br />

Vater tötet Kind<br />

durch Schütteln:<br />

Hirnlähmung<br />

Nur ein bisschen ausspannen,<br />

das hatte sich Tina R. <strong>vor</strong>genommen,<br />

als sie ihr Baby beim Vater<br />

ließ. Der inzwischen von ihr<br />

getrennt lebende Mann wollte ein<br />

Wochenende lang auf seine vier<br />

Monate alte Tochter aufpassen.<br />

D<br />

och aus den erholsamen Tagen wurde<br />

nichts. Der Aufenthalt beim Kindsvater<br />

entwickelte sich zur Tragödie, die Tina R. ihr<br />

ganzes Leben lang nicht vergessen wird. Denn<br />

Anja, ihr Baby, starb nach dramatischen Stunden<br />

in einer Notfallklinik.<br />

„Das ist die schlimmste Erfahrung, die<br />

man machen kann“, sagt Tina R. In ihren<br />

Augen schimmern Tränen, und ihre Stimme<br />

stockt, wenn die Erinnerungen kommen. Als<br />

die Mutter ihre Tochter zum Exfreund bringt,<br />

bleibt sie noch einen Tag, damit sich das Kind<br />

<strong>besser</strong> eingewöhnt. Die Eltern telefonieren<br />

später miteinander. Das Kind sei unruhig, sagt<br />

der Vater. „Es war sicher ungewohnt für Anja,<br />

allein bei ihrem Vater zu bleiben“, meint Tina<br />

R. Aber Grund zur Sorge sah die junge Frau<br />

zunächst nicht, sie vertraute dem Vater voll<br />

und ganz.<br />

Den nächsten Anruf erhält Tina R. jedoch<br />

aus der Notfallklinik. „Anja hat sich irgendwie<br />

komisch verhalten, nicht mehr richtig geatmet“,<br />

informiert sie der Exfreund nur knapp.<br />

Sie sagt: „Ich habe überhaupt nicht verstanden,<br />

was passiert ist, das Gespräch war so<br />

schnell beendet.“ Die junge Mutter ist unruhig,<br />

ruft eine Freundin an, die sie in die Klinik<br />

bringt.<br />

Dort wird Tina R. mit dem Schlimmsten<br />

konfrontiert, was einer Mutter widerfahren<br />

kann. Die Ärzte hatten ihre kleine Tochter eine<br />

dreiviertel Stunde lang reanimiert und alles<br />

getan, damit die Kleine wieder atmet. Aber die<br />

Mediziner verlieren den Kampf. Das vier<br />

Monate alte Baby stirbt infolge einer schweren<br />

Hirnverletzung.<br />

Der Vater kann sich den Tod seiner Tochter<br />

nicht erklären. Er habe nur mit ihr gespielt,<br />

versichert er immer wieder. „Ich konnte mir<br />

auch nicht <strong>vor</strong>stellen, dass er der Kleinen<br />

<strong>Gewalt</strong> angetan hatte“, meint die Mutter. Er<br />

14 WEISSER RING 1/07<br />

Foto: Martina Schäfer<br />

sei ein ruhiger Typ gewesen, der nicht zu<br />

<strong>Gewalt</strong>ausbrüchen neigte. Tina R. ist völlig<br />

verzweifelt, denn die Ärzte können zunächst<br />

keine genaue Ursache feststellen. „Ich habe<br />

selbst Medizinbücher gewälzt“, erzählt sie.<br />

Dem Exfreund glaubt sie seine Beteuerungen,<br />

er habe dem Kind keine <strong>Gewalt</strong> angetan.<br />

Das Mädchen, so erzählt er, sei völlig in Ordnung<br />

gewesen, bis es sich merkwürdig verhalten<br />

habe und plötzlich Atmungsprobleme aufgetreten<br />

seien. Doch der Mann verstrickt sich<br />

zunehmend in Widersprüche. Die Ergebnisse<br />

der Rechtsmedizin sind eindeutig. Die kleine<br />

Anja starb an einer Hirnlähmung infolge eines<br />

Schütteltraumas. Der Vater wird angeklagt.<br />

„Dazu ist doch kein<br />

normaler Mensch fähig“<br />

Tina R. ist am Boden zerstört. „Ich brauchte<br />

eine Weile, um mit der Situation fertig zu werden“,<br />

berichtet sie. „Ich habe das einfach nicht<br />

glauben können, dass mein Exfreund meine<br />

Kleine getötet hat. Dazu ist doch kein normaler<br />

Mensch fähig.“<br />

Unterstützung findet die junge Frau beim<br />

WEISSEN RING. Rechtsanwalt Dr. Bernhard<br />

Weiner, WR-Landes<strong>vor</strong>sitzender in Niedersachsen,<br />

nimmt sich des Falles an und steht<br />

Tina R. zur Seite. „Ich habe mich gleich gut<br />

aufgehoben gefühlt, Dr. Weiner ist ein guter<br />

Zuhörer und hat mich über alles informiert“,<br />

lobt Tina R. ihren Rechtsbeistand.<br />

Vor Gericht tritt die junge Frau als<br />

Nebenklägerin auf. Sie will im Wege eines<br />

Adhäsionsverfahrens auch ihre Schadensansprüche<br />

im Strafverfahren geltend machen.<br />

„Ich weiß, dass kein Geld der Welt meine<br />

Tochter wieder lebendig machen kann“, sagt<br />

Tina R. Aber, und da wird sie von ihrem<br />

Anwalt unterstützt, es könne nicht angehen,<br />

dass sich der Täter der kompletten Verantwortung<br />

entziehe. „Ich will mich nicht bereichern,<br />

aber mein Exfreund soll spüren, wie sehr er<br />

mir Schmerzen zugefügt hat.“<br />

In dem Strafprozess <strong>vor</strong> dem Landgericht<br />

wird der Vater wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.<br />

Ein <strong>vor</strong>sätzliches Handeln sei dem<br />

Angeklagten nicht nachzuweisen, so die<br />

Ansicht des Gerichtes.<br />

Damit läuft das zivilrechtliche Verfahren<br />

nicht im Sinne der Nebenklägerin, die 5000<br />

Euro Schmerzensgeld gefordert hatte. Den<br />

Streitwert setzt das Gericht aber auf 1000<br />

Euro fest, der Angeklagte muss lediglich 500<br />

Euro zahlen, und Tina R. bekommt auch noch<br />

die Kosten des Verfahrens aufgebürdet.<br />

Rechtsanwalt Dr. Weiner findet deutliche<br />

Worte: „Das Urteil des Gerichtes ist falsch und<br />

Rechtsanwalt<br />

Dr. Weiner<br />

im Gespräch<br />

mit der Mutter<br />

der getöteten<br />

Anja<br />

bedeutet einen Schlag ins Gesicht des Opfers“.<br />

Gegen den Verlauf des Strafprozesses gebe es<br />

keine Vorbehalte, sehr wohl aber gegen den<br />

zivilrechtlichen Fall.<br />

„Obwohl der Mann verurteilt ist, soll die<br />

Mutter alle Kosten übernehmen. Da hat das<br />

Gericht versäumt, angemessen zu reagieren.“<br />

Der Rechtsanwalt legte Rechtsmittel gegen<br />

das Urteil ein, mit dem Ziel, dass noch einmal<br />

über den zivilrechtlichen Teil neu verhandelt<br />

wird. Das Gericht, so lautet die Argumentation<br />

des Anwalts, habe ein Grundurteil gefällt und<br />

zwar ohne einen Hinweis darauf zu geben,<br />

dass die zu erwartende Höhe des Schmerzensgeldes<br />

deutlich unter dem Antrag der<br />

Nebenklägerin liegt. Martina Schäfer<br />

Kontrollsüchtiger<br />

Ehemann treibt<br />

Frau in den Ruin<br />

Die Geschichte der Birgit M.<br />

klingt unglaublich und sie<br />

scheint mit gängigen Rechtsauffassungen<br />

nicht vereinbar<br />

zu sein. Dabei wirkte <strong>vor</strong><br />

ein paar Jahren noch alles<br />

perfekt.<br />

S<br />

ie hatte einen beliebten Mann, zwei nette<br />

<strong>Kinder</strong> und einen erfüllenden Job als<br />

<strong>Kinder</strong>garten-Leiterin. Ihr gehörte ein neues<br />

Haus und die komplette Ausstattung. Doch sie<br />

kann in dem Haus nicht wohnen und ihren<br />

Besitz nicht nutzen, hatte einen Nervenzusammenbruch<br />

und steht <strong>vor</strong> der Insolvenz. Schuld<br />

daran ist ihr Mann.<br />

Nach der Hochzeit fühlte sie sich glücklich:<br />

Er war fürsorglich und charmant, ständig<br />

bekam sie Blumen. Dass der selbstständige<br />

Architekt, der viel unterwegs war, bis zu<br />

20 mal am Tag anrief, störte sie nicht. Doch<br />

nachdem sie nach dem Erziehungsurlaub wieder<br />

arbeiten ging und die Familie von den<br />

Eltern weg in das neugebaute Haus zog,<br />

glaubte er, sie nicht mehr unter Kontrolle zu<br />

haben. Sein Verhalten wurde zur Tyrannei –<br />

sobald er sie demütigen konnte und sie verzweifelt<br />

wirkte, begannen seine Augen zu<br />

leuchten. Er kontrollierte sie ständig, nach<br />

Dienstschluss hatte sie sofort zu Hause zu<br />

sein, nicht mal zum Einkaufen ließ er ihr Zeit.<br />

Nach Treffen mit Freunden gab es stundenlangen<br />

Streit, weil er <strong>vor</strong>schreiben wollte, was sie<br />

sagte, und schließlich verfolgte er sie sogar im<br />

Haus auf Schritt und Tritt.<br />

Das Arbeiten wurde durch seine ständigen<br />

Anrufe immer schwerer, und als er auch noch<br />

ihr Handy und ihre Telefonrechnung überwachte,<br />

steigerte sich ihre Angst. Dafür sorgten<br />

außerdem seine ständigen Hinweise, dass<br />

er sehr christlich sei und sie seine Ehefrau<br />

bleibe, bis dass der Tod sie scheide.<br />

Gleichzeitig mimte er den liebevollen<br />

Ehemann, der ihr Kaffee ans Bett brachte und<br />

sie beschenkte. „Ich tue alles für euch, das<br />

macht kein Mann sonst“, war sein Standardsatz.<br />

Nach außen prahlte er ebenfalls mit seiner<br />

Fürsorge, und so bekam niemand etwas<br />

von seiner Eifersucht mit. Im Gegenteil: Den<br />

als Selbstdarsteller geübten Mann fanden alle<br />

sympathisch. Deshalb konnte sich Birgit M.<br />

niemandem anvertrauen, sie nahm an, dass ihr<br />

keiner glauben würde. Sie hatte sich manchmal<br />

sogar gewünscht, dass er mal zuschlägt,<br />

um einen Beweis für seinen Terror zu haben.<br />

Die 37-Jährige versteht bis heute nicht,<br />

warum sie sich so lange quälen ließ: „Ich bin<br />

eigentlich eine resolute Frau“, sagt sie. Aber<br />

sie dachte an die <strong>Kinder</strong> und die Schulden, an<br />

den Beruf bei der Kirche, den sie als Geschiedene<br />

verlieren könnte. Also ließ sie sich<br />

immer mehr isolieren. Bald fühlte sie sich psychisch<br />

am Ende, konnte nichts mehr essen,<br />

hatte schlaflose Nächte. Außerdem musste sie<br />

feststellen, dass er mit einer ergaunerten<br />

Unterschrift ihren Bausparvertrag geräubert<br />

hatte, um seine Firma zu sanieren. Auf ihre<br />

Beschwerden reagierte er mit Drohungen, und<br />

sie bekam Todesangst. „Ich dachte, der bringt<br />

uns alle um“, erinnert sie sich.<br />

Nach einem Nervenzusammenbruch<br />

nahm Birgit M. schließlich alle Kraft zusammen<br />

und floh zu ihren Eltern – ausgestattet nur<br />

mit dem, was sie am Leibe trug. Dabei ist der<br />

Hausstand ihr Eigentum: „Er hat nicht einen<br />

Teller mit gebracht“, sagt sie. Auch das Haus<br />

lief auf ihren Namen. Trotzdem durfte er laut<br />

Gerichtsbeschluss mietfrei darin leben, und sie<br />

musste alle Kosten wie Kredit, Steuer und<br />

Müllabfuhr zahlen sowie seine Schulden tilgen.<br />

Sie hätte nach ihrem Auszug sofort klagen<br />

müssen, so das Argument der Richterin.<br />

Aber damals war die Gepeinigte mit den Nerven<br />

am Ende gewesen und völlig gelähmt.<br />

Unterhalt für die <strong>Kinder</strong> zahlte ihr Mann auch<br />

nicht. Den Terror durch Anrufe bei Tag und<br />

Nacht setzte er munter fort. Das Klingeln<br />

eines Telefons ließ Birgit M. am ganzen Körper<br />

zittern und sogar bei Anrufen im Fernsehen<br />

bekam sie Herzrasen. Anzeigen bei der<br />

Der Ehemann verfolgt<br />

und quält Birgit M.<br />

Polizei blieben erfolglos, da er sie nicht körperlich<br />

quälte, und auch sonst fühlte sie sich<br />

völlig allein gelassen.<br />

Mittlerweile lebt Birgit M. mit ihren <strong>Kinder</strong>n<br />

im fünften Jahr ohne ihren Besitz auf 70<br />

Quadratmetern, während es sich ihr Mann auf<br />

230 Quadratmetern gut gehen ließ. Zwar hat<br />

sie jetzt in einem Vergleich erreicht, dass sie<br />

ihre Sachen holen darf, aber er lässt alle Termine<br />

platzen. Sie hat nicht einmal eine<br />

Waschmaschine, „ohne meine Eltern käme<br />

ich gar nicht klar“, sagt die 37-Jährige. Ihr<br />

Mann, der einen Offenbarungseid abgelegt<br />

und sogar die <strong>Kinder</strong>-Sparbücher leer geräumt<br />

hat, fordert Unterhalt von ihr – sie vermutet,<br />

dass er sein Leben mit Schwarzgeld<br />

finanziert. Die Scheidung zögert er hinaus,<br />

indem er Unterlagen verweigert. Inzwischen<br />

ist das Haus versteigert und sie muss vermutlich<br />

Insolvenz anmelden. Birgit M.: „Er ruiniert<br />

mein ganzes Leben – genau wie er es<br />

immer angedroht hat.“ Einen Ausweg weiß<br />

sie nicht. Susanne Sobko<br />

Hilfe vom Weissen <strong>Ring</strong><br />

An den WEISSEN RING hat sich Birgit M.<br />

erst spät gewendet, weil sie glaubte, nur<br />

<strong>Gewalt</strong>opfer werden betreut. Der Kontakt<br />

zur Außenstelle war ihr erster Lichtblick.<br />

Sie ist sehr dankbar für die vielfältige<br />

Hilfe, beispielsweise beim Organisieren<br />

und Finanzieren von Umzug und Kur oder<br />

beim Verhandeln mit Krankenkasse und<br />

Anwalt. „Ich hatte dazu keine Kraft mehr“,<br />

erinnert sie sich. Besonders lobt sie „die<br />

ständige menschliche Hilfe“ – es war ihr<br />

am Wichtigsten, „dass einem endlich mal<br />

jemand zuhört“.<br />

WEISSER RING 1/07<br />

15<br />

Foto: Feldmann

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