deutsches Festival 11.â18. Juni 2011
deutsches Festival 11.â18. Juni 2011
deutsches Festival 11.â18. Juni 2011
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24 JuNI ’11 04 inTerviewT<br />
tom Stromberg im Gespräch mit Dorothea Marcus, Fotos: © MEYER ORIGINALS<br />
PoPsTaR PEachEs uND<br />
INDIEN-IMbIss<br />
eS iST wieDer SoweiT: impulSe beginnT, DaS gröSSTe unD wichTigSTe<br />
TheaTerTreffen Der freien Szene – in Seinem 20. Jahr. ein inTerview<br />
miT einem Der zwei KünSTleriSchen leiTer Tom STromberg<br />
Akt: EIGENtLIch DARF DER IMPuLSE-SIEGER ALS GROS-<br />
SER PREIS bEIM bERLINER thEAtERtREFFEN AuFtREtEN.<br />
NuN ISt „tEStAMENt“ vON ShE ShE POP OhNEhIN DA zu<br />
SEhEN. GIbt ES kEINEN uNtERSchIED MEhR zwISchEN<br />
StADtthEAtERN uND FREIER SzENE?<br />
Tom Stromberg: Die Jury des Theatertreffens musste endlich<br />
einsehen, dass es in Deutschland nur gutes Theater gibt, wo<br />
es herkommt, ist letztlich egal. man sieht an der einladung<br />
von „Testament“ nach berlin, wie gut es der freien Szene<br />
gerade geht. es gibt kaum ein Theater, das sich nicht mit<br />
einem ihrer namen schmückt. allein Karin beier zeigt das:<br />
gintersdorfer/Klaßen, hofmann & lindholm, rimini, gob<br />
Squad, gesine Danckwart... die Stadttheater haben begriffen,<br />
wie unverzichtbar der einfluss der freien Szene ist.<br />
Akt: DAS kANN MAN NIcht ERNSthAFt ANNEhMEN,<br />
wENN MAN SIch IN köLN uMSIEht. köLN uND NRw<br />
SIND wIEDER EINMAL NIcht vERtREtEN – wIE SchON<br />
EtwA IN DEN LEtztEN zEhN JAhREN. wARuM?<br />
TS: Das stimmt doch gar nicht. Köln ist mit einer Koproduktion<br />
der Studiobühne dabei, im letzten Jahr schon war hier<br />
„conte d’amour“ beim finnisch-deutschen festival Theaterszene<br />
europa zu sehen. ähnliches gilt für die anderen einladungen:<br />
„Testament“ und „Die rabtaldirndln“ sind Koproduktionen<br />
mit dem ffT Düsseldorf, „The host“ von andros<br />
zins-browne eine mit pacT zollverein in essen, gob Squad<br />
„Saving the world“ haben mit ringlokschuppen mülheim<br />
und Theater oberhausen kooperiert, es gibt andere beispiele.<br />
nur, weil es keine nrw-Künstler sind, sind es sehr wohl<br />
produktionen aus nrw. Daran sieht man auch, was das<br />
bundesland seit einigen Jahren für eine vielfalt von produktionsstätten<br />
zu bieten hat – das ist ja eine Qualität, die man<br />
nicht übersehen darf, so etwas hat kein anderes bundesland.<br />
und für Köln gilt nach wie vor, dass genau diese produktionsstätte<br />
hier fehlt. es ist nun einmal so: Kein Künstler,<br />
der sich weiterentwickeln will, kann darauf verzichten,<br />
sich Kooperationspartner zu suchen und grenzüberschreitend<br />
– auch im wortwörtlichen Sinn – zu arbeiten.<br />
Akt: DENNOch wäRE SchöNER, wENN DIE häuSER<br />
Auch IN NRw ANGESIEDELtE küNStLER FöRDERtEN. wIE<br />
ISt DIE LAGE DER FREIEN SzENE IN NRw?<br />
TS: Die fördersituation für freie Künstler ist in nrw<br />
nicht optimal. für Theaterensembles etwa gibt es keine<br />
Spitzenförderung wie im Tanz, und auch dort sind 65.000<br />
euro im Jahr im grunde zu wenig. Da sind die europäischen<br />
nachbarländer oder berlin weiter. es gilt in nrw<br />
nach wie vor eher das gießkannenprinzip. ich beobachte<br />
außerdem, dass es zwischen den Künstlern hier kaum einen<br />
austausch gibt. natürlich hat nrw als bundesland<br />
eine fläche, die das schwer macht. aber die Künstler hier<br />
reden auch zu wenig miteinander, gucken sich zu wenig<br />
an, und dann fehlt eine kritische reflexion des eigenen<br />
Tuns. Selbst renommierte gruppen wie das bonner fringe<br />
ensemble müssen zudem täglich um ihre Spielstätte<br />
kämpfen. ein problem ist auch die nachwuchsförderung:<br />
dabei könnten doch aus der Theaterwissenschaft bochum<br />
oder der folkwang-Schule in essen stärkere Studiengänge<br />
gemacht werden. Daher siedeln sich in nrw auch nicht<br />
unbedingt neue Künstler an. Der zug nach hamburg oder<br />
berlin ist stark, es ist schwer dagegen anzusteuern.<br />
Akt: wIE ISt MAN ALS FREIER küNStLER ERFOLGREIch?<br />
EIN übLIchES PRObLEM ISt, DASS IMMER NEuE PREMI-<br />
EREN hERAuSGEbRAcht wERDEN MüSSEN wEGEN DER<br />
FöRDERGELDER, AbER GROSSARtIGStE StückE NIcht<br />
öFtER GESPIELt wERDEN köNNEN.<br />
TS: um an geld zu kommen, das man ja in der unterfinanzierten<br />
freien Szene braucht, gibt es nur wenige möglichkeiten:<br />
entweder man internationalisiert sich, tut sich<br />
mit einem produktionshaus zusammen oder findet partner<br />
im Stadttheater. alle, die etwas geworden sind, sind<br />
es dadurch geworden, dass sie drei, vier partner hatten.<br />
Dann rotieren sie, dann werden sie gesehen, dann können<br />
sie auch öfter spielen. zuhause mit seinem publikum<br />
seine fünf vorstellungen spielen – das wird auf Dauer<br />
nicht funktionieren. Die fördermechanismen einer Stadt<br />
sollten auf vier Säulen beruhen: projektförderung, Konzeptförderung,<br />
gastspielförderung – und auf jeden fall<br />
auch abspielförderung, damit nicht das passiert, was<br />
selbst She She pop erlebten. obwohl sie mit ihrem meisterwerk<br />
ständig durch die welt tourten, konnten sie von<br />
den gagen nicht leben und mussten natürlich für die<br />
nächste produktion „Drei Schwestern“ proben. ich habe<br />
sie mir gar nicht erst angesehen, weil sie nicht so gut<br />
sein konnte wie „Testament“.<br />
Akt: wIE kOMMt MAN IN DIE IMPuLSE-AuSwAhL?<br />
TS: man kann sich bewerben, aber wir kommen auch so<br />
gucken. wir haben ein weit verzweigtes Scout-System.<br />
hier in nrw ist es gregor runge, Dramaturg vom pumpenhaus<br />
münster, der einen sehr guten überblick über<br />
die Szene hat. er sieht zwischen fünf und 15 arbeiten im<br />
monat, 20-25 prozent davon stammen aus Köln und Düsseldorf.<br />
aber damit Kölns große Szene besser repräsentiert<br />
wäre, bräuchte es hier einfach ein funktionierendes<br />
produktionshaus, und auch bessere regie-ausbildungsmöglichkeiten.<br />
Akt: wAS SIND DIE kRItERIEN FüR DIE AuSwAhL?<br />
MANchMAL hAttE MAN IN DEN LEtztEN JAhREN DEN<br />
EINDRuck: hAuPtSAchE FORMAL uNGEwöhNLIch?<br />
TS: in jeder Jury hatten wir bewusst bildende Künstler,<br />
diesmal Timo Sehgal und veit Sprenger, die den Theaterkuratoren-manager-Journalisten-Konsens,<br />
den man sonst oft<br />
in Jurys vorfindet, nicht teilen. uns ist wichtig, dass außenblicke<br />
hereinkommen, die durchaus anders entscheiden als<br />
professionelle Theatergucker. und so haben wir uns zum<br />
beispiel nach langer Diskussion nicht für „verrücktes blut“<br />
von nurkan erpulat entschieden, das auch zum Theatertreffen<br />
und zu den mülheimer Stücken eingeladen war.<br />
Akt: wENN MAN SIE zwINGEN wüRDE, zwEI LIEb-<br />
LINGSAbENDE zu NENNEN, wELchE wäREN DAS?<br />
TS: „Testament“ von She She pop ist wirklich ein meisterwerk.<br />
auf der folie von King lear werden die persönlichen<br />
biografien der Schauspieler mit ihren echten vätern<br />
aufgearbeitet. man sollte da mit seinen eltern zusammen<br />
hineingehen. Da muss man schon sehr hartgesotten sein,<br />
wenn man keine Träne verdrückt. Die andere arbeit, die<br />
ich nennen müsste, wäre „Trans-europa-bollywood“ von<br />
god’s entertainment. Da geht es um eine immigrantengeschichte<br />
und ein ratespiel, bei dem es gewinner und<br />
verlierer gibt. ich kann jedem nur raten, zu verlieren.<br />
Die gewinner fliegen nach bombay, und die verlierer<br />
werden hingebeamt. Sie müssen eine choreografie mit<br />
indischen Kostümen einstudieren. Da ist ein gewürzmarkt<br />
aufgebaut, ich selbst war Schlangenbeschwörer.<br />
Die Sieger bekommen freigetränke und müssen für sie<br />
tanzen, zum Schluss gibt es ein großes fest. Dann denkt<br />
man, man hätte es geschafft, doch dann geht’s noch zum<br />
inder um die ecke, man kann essen und trinken und am<br />
ende tanzen alle auf den Tischen. ein wahnsinnig lustiger<br />
abend, nach dem man sogar am nächsten Tag noch<br />
gute laune hat.<br />
05 24 JuNI ’11<br />
inTerviewT/eingeblicKT<br />
Akt: wELchE NEuERuNGEN GIbt ES zuM JubILäuM?<br />
TS: wir haben großartige Künstler aus Deutschland außerhalb<br />
des wettbewerbs eingeladen: popstar peaches etwa mit<br />
einer art performance-Konzert, das hier in nrw zum ersten<br />
mal zu sehen ist. Sie zeigt, welche bandbreite es gibt, und<br />
dass eben auch ein internationaler popstar in der deutschen<br />
Theaterszene arbeitet – weil es hier interessante partner<br />
gibt. auch unsere marathons gibt es weiter, die bisher immer<br />
ausverkauft waren. Die leute scheinen nichts lieber zu<br />
haben, als dass man sie durch vier aufführungen begleitet<br />
und während der busfahrt party macht. wir haben uns eine<br />
iphone-app ausgedacht – alle die ein iphone haben sind unsere<br />
freunde, aber auch die anderen kommen nicht zu kurz.<br />
auf der app kann man das programm sehen, ausschnitte,<br />
hintergrundinfos, es gibt einen wettbewerb, an dem man mit<br />
einem video teilnehmen kann. Die gruppe hgich.T sollte<br />
man sich im netz ansehen – extrem skurril. Das sind Studenten<br />
der hamburger Kunsthochschule, die eine band haben<br />
und ziemlich die Sau rauslassen. gewinnen kann man, dass<br />
die band aus dem Siegerfilm ein neues lied macht. ohne diese<br />
interaktiven Sachen kann man heute keine Kunstveranstaltung<br />
mehr machen. So gerne ich das feuilleton lese – ein<br />
junges publikum informiert sich einfach anders.<br />
Akt: wO GEht DIE FREIE SzENE GEGENwäRtIG hIN?<br />
TS: es setzt sich eine entwicklung fort: den klassischen<br />
regisseur gibt es im off-Theater immer seltener. Dass<br />
sich da einer mit Stücken der klassischen Theaterliteratur<br />
beschäftigt und durch seinen Kopf gefiltert die weisheit<br />
weitergibt, das tritt in den hintergrund. fast immer entwickeln<br />
gruppen gemeinsam projekte. es geht darum, dass<br />
im Theater etwas echtes passiert – ob das nun ein Schauspieler<br />
oder ein performer vermittelt, ist eher zweitrangig.<br />
Akt: IMMER NOch SchEINEN DIE IMPuLSE FüR DIE<br />
StADtthEAtER vON DER FREIEN SzENE AuSzuGEhEN.<br />
wAS MAcht MAN AbER, wENN DIE SO AuSGEbLutEt<br />
wIRD, DASS SIE SIch GAR NIcht MEhR zuSAMMEN-<br />
FINDEN kANN, wIE EtwA IN köLN ?<br />
TS: Jeder, der vor ort ist, muss lobbyarbeit für die freie Szene<br />
machen, so wie es ja auch mit der akT passiert. Die Szene<br />
selbst wird aber nie aussterben. Solange leute bereit sind,<br />
unter prekärsten umständen zu spielen – in berlin zuweilen<br />
für abendgagen von 25 euro – wird es immer so eine<br />
Szene geben. austrocknen kann man das nicht. aber natürlich<br />
muss man dafür sorgen, dass mehr geld zur verfügung<br />
steht. Kollege matthias von hartz sagt natürlich,<br />
dass man in Städten neue modelle installieren müsste,<br />
auch, um die Stadttheater zu retten: dass man etwa ein<br />
Theater halbjährlich für die freie Szene und halbjährlich<br />
für den kommunalen Spielbetrieb öffnet. ich könnte mir<br />
gut vorstellen, dass das irgendwann mal versuchsweise<br />
umgesetzt wird. DOROthEA MARcuS<br />
www.FEStIvALIMPuLSE.DE<br />
MAMMA MAFIA<br />
von FederIco bellInI u.A.<br />
übersetzt von eduArd wInklhoFer<br />
regIe: AntonIo lAtellA<br />
vorstellungen AM 10. / 12. / 13. / 17. / 26.06.<br />
theAterkAsse: 0221/22128400<br />
www.schAusPIelkoeln.de<br />
ÄRgER MIT DER akaDEMIE<br />
Die findungskommission, die bis zum Sommer die ersten<br />
zwölf mitglieder der akademie der Künste der welt vorschlagen<br />
soll, ist seit dem 10. mai komplett. eins der sechs<br />
Kommissionsmitglieder wurde mit hilfe der Seite www.kuult.de<br />
von der freien Szene gewählt. 125 Stimmen wurden<br />
abgegeben, die wahl fiel auf Jan Krauthäuser, musikjournalist<br />
und organisator der humba parties sowie des edelweißpiratenfestivals.<br />
nicht gerade ein überregional beachteter,<br />
interkultureller Kulturmanager. nach der wahl wird<br />
nun protest laut.<br />
migrationsforscher mark Terkessidis etwa, mitglied des<br />
initiativkreises und federführend beim entwurf des projekts,<br />
hat sich daraus enttäuscht verabschiedet. er beklagt<br />
die „intransparenz“ der wahl – und die Tatsache, dass in<br />
der Kommission niemand mit interkultureller erfahrung,<br />
geschweige den migrationshintergrund sitzt. Tatsächlich<br />
sind amelie Deuflhard (intendantin von Kampnagel hamburg),<br />
ralf christoph (leiter der c/o pop), Kasper König<br />
(Direktor museum ludwig) sowie louwrens langevoort<br />
(intendant philharmonie Köln) zwar verdiente Kulturkenner,<br />
bisher aber nicht gerade durch interkulturellen bezug<br />
aufgefallen. auch an der findungskommission beteiligt<br />
ist regina wyrwoll, generalsekretärin der Kunststiftung<br />
nrw, die immerhin wertvolle Stiftungserfahrungen einbringt.<br />
andere Stimmen der freien Szene, die namentlich<br />
nicht genannt werden wollen, beklagen das hauruck-verfahren<br />
der wahl – und dass es vorab nur dürftig kommuniziert<br />
wurde. in zwei wochen sollte man sich auf adäquate<br />
Kandidaten für die nominierung einigen, danach war<br />
die online-wahl bereits abgeschlossen. es gab also nur<br />
ein zeitfenster von vier wochen, in das auch noch ostern<br />
fiel, keine zeit also für auseinandersetzung. Die folge:<br />
„eine nominiertenliste mit teilweise völlig unbekannten<br />
sowie eine absurd geringe wahlbeteiligung. zudem bleiben<br />
sowohl die aufstellung der Kandidaten als auch der<br />
wahlvorgang völlig undurchsichtig. Jeder konnte ernannt<br />
werden, jeder konnte unbeschränkt oft abstimmen“, so der<br />
vertreter der freien Szene (der redaktion bekannt). auch<br />
wer dem ob die anderen mitglieder vorschlug, bleibt offen.<br />
Die wahl kommentiert der verärgerte gesprächspartner<br />
so: „für ein projekt, das ausstrahlung in die globale<br />
Kunstwelt haben soll, ist Krauthäuser nun der vertreter<br />
einer freien Szene, die ihn nicht gewählt hat.“ Kulturamtsleiter<br />
Schmidt-werthern entgegnet auf die Kritik, dass das<br />
verfahren in der ratsentscheidung vom Sommer 2009 niedergelegt<br />
wurde. bereits einen monat vor der wahl wurde<br />
darüber informiert – auf www.kuult.de sowie durch pressemitteilungen<br />
und mailverteiler. Die mitglieder sollten erfahrungen<br />
in verschiedenen Kunstsparten, vor allem der<br />
außereuropäischen Künste, verfügen, männer und frauen<br />
etwa gleich vertreten sein. Dies sei bei den ernannten<br />
der fall. allerdings werfe die geringe wahlbeteiligung<br />
der freien Szene auch bei ihm fragen auf.<br />
bleibt zu hoffen, dass das einst so groß gedachte akademie-projekt<br />
nicht durch Streit, fehlinformationen, lokales<br />
platzhirsch-gehabe und Desinteresse verwässert<br />
wird – und auf die höhe des interkulturellen Diskurses<br />
zurückkehrt. DOROthEA MARcuS<br />
Foto: oliver Fantitsch