3 MaI ‘09 06 beSucht Grete als erfolglose Schauspielerin mit Sehnsucht nach Brigitte-Abo? Andreas Schneiders, Matthias van den Berg Fotos: Wolfgang Weimer PoPIKoNEN IM ZITaTEHaCK Die gaStKritiKerin DeS m<strong>on</strong>atS Karin fiScher iSt leiterin unD theaterKritiKerin Der SenDung „Kultur heute“ im DeutSchlanDfunK unD hat im raKetenKlub „fauSt 1.0“ v<strong>on</strong> Der germaniacgroup geSehen es hat lange gedauert, bis sich die rezepti<strong>on</strong> v<strong>on</strong> goethes „faust“ nicht mehr nur auf das philosophieren über den „faustischen menschen“ k<strong>on</strong>zentrierte. Das ewige ungenügen an sich selbst als urdeutscher Wesenszug: So k<strong>on</strong>nte der teufelspakt sogar als folie für die irrati<strong>on</strong>alismen deutscher politik à la hitler dienen. lange auch hat es gedauert, bis in germanistischen Seminaren über fausts verhältnis zu frauen Klartext geredet wurde. Die Weimarer Klassik suchte „helenen in jedem Weibe“. für die exegeten heute ist klar: faust wollte einfach nur ficken. oder wie tom martus, regisseur und künstlerischer leiter der „germaniacgroup“ im radiointerview sagte: „moralisch gesehen ist der plot des faust das schlimmste Stück deutscher literaturgeschichte. zwei männer missbrauchen eine minderjährige und beschweren sich dann noch darüber, dass sie schwanger wird.“ Das regietheater hat den Studierstubenfaust und seinen verteufelten Kompagn<strong>on</strong> deshalb längst zu den zwei Seiten einer Selbstverwirklichungsmedaille gemacht, über die ein naives mädchen auf der Suche nach echter liebe tödlich zu fall kommt. Das vor gut einem Jahr gegründete theaterkollektiv „germaniacgroup“ geht nun noch einen Schritt weiter. mephisto, urbild des bösewichts, und der alte grübler faust, der sich als „frustfaust“ tausendfach in der jüngeren deutschen popliteratur tummelt, werden als popik<strong>on</strong>en betrachtet, die tom martus „runter brechen, nackt machen will und gucken: was ist denn dann noch da.“ Das K<strong>on</strong>zept erinnert an barbara Webers „unplugged“Serie über die raf oder britney Spears; auch elfriede Jelinek und ihr regisseur nicolas Stemann arbeiteten so bei „ulrike maria Stuart“, indem sie Schillers maria Stuart und ulrike meinhof als verbrecherKöniginnen der herzen stilisierten, um die modische ik<strong>on</strong>ographie des terrors damit gleichzeitig zu torpedieren. Dieses theater ist selbst teil des pop, dessen mittel es verwendet, um im besseren falle eine ir<strong>on</strong>iefähige zeitgenossenschaft zu beanspruchen. im schlechteren falle wird es zur wilden zitat und bilderschleuder, die dem<strong>on</strong>striert, warum unter „postmodern“ oft nur noch „beliebig“ zu verstehen ist. „faust 1.0“ ist erstmal beides nicht. Der raketenklub im hinterhof der Kölner Weidengasse verströmt dem charme einer nicht ganz fertig geweißelten garage; das entrée ähnelt einer baustelle: bühne und requisiten sind mit dünner malerfolie verhängt. hier wird nicht armes theater inszeniert; dieses theater ist arm. mephisto wechselt selbst die cDs mit der hintergrundmusik (peter alexander!), und das gretchen hat man sich ganz gespart, natürlich aus k<strong>on</strong>zepti<strong>on</strong>ellen gründen. goethes text ist gerupft, aber erkennbar, der rest ist alltagssprache oder filmzitat. faust und mephisto sind sch<strong>on</strong> optisch gegenSpieler, letzterer offenbar mit höherem auftrag: den „frustfaust zu 'ner Sau zu machen.“ Doch wer einen „bizarren parforceritt zwischen ‚rain man’, ‚apocalypse now’ und ‚fight club’“ verspricht, muss wissen, welche ästhetische fallhöhe er mitzitiert. Da reicht es keineswegs, andreas Schneiders als mephisto militarylook und helm zu verpassen oder immer mal wieder zum lispelnden autisten zu machen. Die philosophische Dimensi<strong>on</strong> in all diesen filmen ist die tatsache, dass bruder, freund oder todfeind nur je die andere Seite, die abgründe des Selbst markieren. Doch dass mephisto die „fleischgewordene Kreatur v<strong>on</strong> fausts Seelenmüll“ sein soll, wie es auf der Webseite heißt, bleibt reine behauptung. Was wir sehen, ist ein faustpopmosaik voll interessanter verweise, die aber kein bild ergeben. faust ist ein dickleibiger, alt gewordener popliterat in gestreiftem bademantel, der den berühmten eingangsm<strong>on</strong>olog schnell mit „bla bla bla“ abkürzt und sich mit einem überzeugenden „fick die Diskurse“ vom drögen intellektuellendasein verabschiedet. matthias van den berg hat bei allem Andreas Schneiders (rechts) als Mephisto und zentrum der Inszenierung mut zur halbnackten Körperlichkeit in seiner schimmeligen Kleinststudierstube schlicht zu wenig Spielmöglichkeit. für ihn gilt, trotz mehrfachen rollentauschs, mephistos Diktum: „Du bist am ende, was du bist“: ein depressiver Suchender im urwald der eigenen begierden, der sich schließlich eher luft als lust verschafft: in der vergewaltigung eines transvestiten. mephisto hingegen ist viele: abgeklärter zyniker und philosoph; eine erfolglose Schauspielerin namens grete, die sich eine Karriere ebenso wünscht wie Kinder und „brigitte“abo; ein zerem<strong>on</strong>ienmeister und exorzist der faustischen begierden in schwarzer perücke und roter corsage; Jesusimitat; aalglatter verführer; ausgebeutete transe; ein Kämpfer im Kriegsgetümmel. andreas Schneiders ist das eigentliche zentrum dieser aufführung, denn er gibt jeder einzelnen seiner rollen, was der inszenierung im ganzen fehlt: eine präzise, durchdachte, strenge form. Die puzzleteile aus faust und filmzitaten fügen sich ans<strong>on</strong>sten schlecht zusammen, die angestrebte aktualisierung scheitert an den Klippen der ambiti<strong>on</strong>. und wirft fragen auf: Wozu dient heute noch die frage nach der religi<strong>on</strong>? Wozu goethe, wenn gretchens Kerker doch nur die Krise im eigenen Kopf symbolisiert? am ende der immerhin kurzweiligen 80 minuten fühlt der zuschauer sich alleine gelassen und erschöpft. „faust 1.0“ soll ja wohl heißen: theater unplugged, direkt, körperlich, distanzlos, nichtvirtuell. Wer den Klassiker goethe als popkulturlieferanten verwurstet, darf sich nicht wundern, dass am ende zitatehack heraus kommt. Das ist auch nahrhaft, aber nicht dasselbe. Die gute nachricht dieses abends aber lautet: Wenn das theater durch einen einzigen Schauspieler mehr erzählt als die gesamte inszenierung, hat letztlich doch das theater gew<strong>on</strong>nen. TeRMIne IM MAI: RAKeTenKLuB, 8., 9., 28., 30. 5. KARIn FIScheR 3 MaI ‘09 07 gemeint IST KUlTUR PlaNBaR? im mai Soll im KulturauSSchuSS Köln Der „KulturentWicKlungSplan“ in Seine enDgültige form gebracht WerDen – beSchloSSen WerDen Soll DaS WerK vom rat noch vor Der SommerpauSe im Juni. einige fraKti<strong>on</strong>en, allen voran Die cDu, haben für Die freie theaterSzene bahn brechenDe vorSchläge vorgelegt. Braucht es bei dieser schönen Aussicht noch einen Kulturentwicklungsplan?, Foto: istockphoto eigentlich scheint alles gut zu sein. trotz Wirtschaftskrise soll die Kulturförderung in Köln in einem seit fast drei Jahren geplanten Kulturentwicklungsplan massiv festgeschrieben werden. ähnliches forderte jüngst auch der Deutsche bühnenverein, schließlich gestalte die öffentliche Kulturförderung ja wie nichts s<strong>on</strong>st den „inneren zusammenhang der gesellschaft“. ganz abgesehen dav<strong>on</strong> verspricht man sich in Köln mit dem Kulturentwicklungsplan einiges an Stadtmarketing und imageeffekten: Kultur als lockvogel und aushängeschild – ein etwas k<strong>on</strong>servativer ansatz, schließlich ist Kunst ja erst dann gut, wenn sie zum Störfaktor wird. Warum die ausarbeitung so lange gedauert hat? nicht zuletzt, weil man dem Kulturentwicklungsplan v<strong>on</strong> anfang an vorwarf, einem altbacken repräsentativen Kulturbegriff zu frönen – und kaum etwas zur zeitgenössischen und jungen profilbildung der Stadt beizutragen. und wohl auch, weil die freie theaterszene Kölns sich darin nicht angemessen wieder fand. Schließlich sollten zunächst nur oper und Schauspiel zur „führenden instituti<strong>on</strong> in allen Sparten“ werden. vor allem verschleppte sich die ausarbeitung aber, da die freie Szene in die beratungen mit einbezogen werden sollte – und eine widersprüchliche meinungsfülle zu koordinieren war, die erst der neue Kulturamtsleiter K<strong>on</strong>rad SchmidtWerthern moderierend bändigen k<strong>on</strong>nte. eS GIBT BALD KeIne FReIe Szene MehR? „im rat ist K<strong>on</strong>sens, dass ein unterschied zwischen freier und etablierter Szene nicht mehr gemacht werden soll“, erläutert SchmidtWerthern. beide bereiche sollten einheitlich gedacht werden – denn letztlich gehörten ja auch freie bildende Künstler oder musikensembles zu so etwas wie der „freien Szene“. Das trifft nicht überall auf zustimmung. Wutschnaubend äußerte sich etwa der Schauspieler axel Siefer v<strong>on</strong> theater K<strong>on</strong>nex, ein kulturelles urgestein v<strong>on</strong> Köln, im aktinterview darüber, dass der begriff freie Szene in der neuesten fassung des Kulturentwicklungsplans zum verschwinden gebracht werde. „Der begriff soll eliminiert werden und das ziel ist erreicht: es gibt keine freie Szene mehr, nur noch eine verwaltete Szene. verwaltet entweder durch k<strong>on</strong>servative intendanten, oder direkt durch das Kulturamt“, befürchtet er. „Das ist nicht Sinn der Sache“, sagt allerdings die neue kulturpolitische Sprecherin der SpD anke brunn. auf die grünen, unterstützt v<strong>on</strong> der SpD, geht der vorschlag zurück, im Kep die „freie und instituti<strong>on</strong>elle Szene gleichberechtigt“ zu behandeln. „man kann heute nicht mehr dav<strong>on</strong> ausgehen, dass Kunst und Kultur auf instituti<strong>on</strong>en beschränkt ist. es soll also nicht mehr v<strong>on</strong> der art der finanzierung, s<strong>on</strong>dern v<strong>on</strong> den inhalten her gedacht werden. Wir möchten die interdisziplinarität stärker fördern, die dem freien theater in Köln auch gut zu gesicht stehen würde – da wächst der humus“, sagt sie. auch Dietmar Kobboldt, vorsitzender der theaterk<strong>on</strong>ferenz, sagt: „Wir gehen dav<strong>on</strong> aus, dass Kultur auf zwei gleichberechtigten Säulen beruht – den städtischen instituten und der freien Szene. Wenn eine wegfällt, bricht das gebäude zusammen.“ er will auf keinen fall freie Szene gegen städtische instituti<strong>on</strong>en ausspielen – s<strong>on</strong>dern beide stärker vernetzen. peter bach vom Kölner Kulturrat, der den Kep anfangs stark kritisierte und dann k<strong>on</strong>struktive vorschläge vorlegte, sagt außerdem noch: „Die rolle der freien Szene ist im Kep deutlich stärker entwickelt, als es jemals in Köln der fall war“. Sie sei darin als impulsgeber v<strong>on</strong> unten geschätzt, ihr entwicklungspotential und förderbedürfnis anerkannt. auch sieht er einen „paradigmenwechsel“ heraufziehen: „Die freie Szene in Köln wurde bisher falsch und zu verengt definitiert“. cDu: 15 PRozenT FüR FReIe TheATeR Dass die freie theaterszene im Kulturentwicklungsplan nicht unter den tisch fällt, dafür sorgen die vorschläge einiger frakti<strong>on</strong>en, die in letzter minute noch eingebracht werden sollen. Sie muten teilweise geradezu sensati<strong>on</strong>ell an. allen voran muss man das K<strong>on</strong>zeptpapier der cDu erwähnen: Darin ist vorgesehen, dass das freie theater in Köln eine Steigerung der fördermittel erhalten soll, die stets fünfzehn prozent des zuschusses für die Städtischen bühnen beträgt. herauskommen würde die sensati<strong>on</strong>elle Summe v<strong>on</strong> rund 6,6 mio. euro – wenn man vom städtischen zuschuss v<strong>on</strong> 44 mio. ausgeht. Das käme einer erhöhung v<strong>on</strong> rund 5 mio. euro gleich. Selbst, wenn man nur vom Schauspielzuschuss ausginge (22 mio.) wäre es eine verdoppelung des jetzigen etats. Der vorsitzende des Kulturausschusses lothar lemper ist zuversichtlich, dass sein vorschlag im Kep festgehalten wird. auch die anderen vorschläge der cDu können sich sehen lassen: zwar lehnt man ein zentrales haus für die freien theater ab und möchte die theater in ihren städtischen „milieus“ lassen. aber sie schlagen etwa einen „Kölner theatertag“ vor, ein angebot der freien theater an jeden bürger, einmal im m<strong>on</strong>at eine aufführung kostenlos zu besuchen – die Stadt würde den finanziellen ausgleich übernehmen. Sind diese visi<strong>on</strong>en reine zukunftsmusik ohne reale grundlage, etwas, das dem Kep vom Kulturrat ebenfalls sch<strong>on</strong> vorgeworfen wurde? Die cDu meint: nein. aber natürlich muss man bedenken, dass der große fürsprecher der Kultur, lothar lemper, in der nächsten legislaturperiode kein ratsmandat mehr erhalten wird. FüR DIe FDP zähLT DeR TAnz – unD AKT Dagegen verhalten sich die übrigen frakti<strong>on</strong>en, was die freie theaterszene betrifft, eher bedeckt. einig scheint man sich lediglich darin zu sein, dass im tanz etwas passieren muss, dass es ein tanzhaus sowie mittelfristig wieder eine dritte Sparte tanz an den Städtischen bühnen geben muss. Die fDp sieht den tanz und die errichtung eines tanzhauses sogar als eine der wichtigsten prioritäten in Köln, solange es keine dritte Sparte gibt, „Diese lücke muss mit freiem tanz ausgefüllt werden“, sagt etwa ihr kulturpolitischer Sprecher ulrich Wackerhagen. an zweiter Stelle folgt der bau eines freien theaterhauses nach dem vorbild des fft in Düsseldorf, in dem sich die freie Szene vernetzen könnte und gastspiele zu sehen wären. „Wir wollen die freie Szene weiter stärken, denn letztlich erreicht sie genauso viel publikum wie das Stadttheater“, so Wackerhagen. und er erinnert: “Wir können stolz darauf sein, dass es das erste wirkliche förderprogramm in Köln nicht für musik oder literatur, s<strong>on</strong>dern für das theater gab”. er lobt ausdrücklich die arbeit des Kulturamtes – und das erscheinen der theaterzeitung akt. nach ähnlichem vorbild soll es bald übrigens auch eine kostenlose, unabhängige Kölner literaturzeitschrift geben. SPD unD GRüne: AKADeMIe DeR KünSTe Die SpD, die durch den verlust ihres kulturpolitischen Sprechers hansgeorg bögner etwas mitgenommen war, befindet sich noch in der phase der Diskussi<strong>on</strong> – ihr entwurf ist über den bereits im Januar vorgelegten noch nicht hinausgelangt. Darin sind vor allen Dingen die musik und die bildende Kunst als Schwerpunkte erwähnt – sowie das projekt einer „akademie der Künste der Welt“, das sie mit den grünen als vorschlag in den rat eingebracht hatten. im nachfolgepapier soll ebenfalls ein Schwerpunkt auf tanz und dem künftigen tanzhaus liegen, auch das eint sie mit den grünen. „Die tanzszene nrW ist in Köln zu hause und hat kaum entwicklungsmöglichkeiten hier – das muss sich ändern“, sagt anke brunn. auch einem theaterhaus stehen SpD und grüne nicht abgeneigt gegenüber, allerdings habe es nach dem tanzhaus erst zweite priorität. Die grünen und ihre kulturpolitische Sprecherin angela Spizig meint: „Wir wollen im Kep festlegen, dass alle maßnahmen geprüft werden, die Künstler an Köln binden oder nach Köln bringen.“ und so scheint es letztlich doch, dass sich in Köln viel bewegen würde durch den Kulturentwicklungsplan. Die frage ist ohnehin, wie viel für die freie Szene „v<strong>on</strong> oben“ geplant werden kann. Da kann man es letztlich nur mit dem Kulturdezernenten georg Quander halten. als er letztens bei einem abend im Kulturforum den Kep vorstellte, wurde ihm vorgeworfen: „Wir vermissen große visi<strong>on</strong>en“. zu recht erwiderte Quander damals allerdings, dass er nicht für große visi<strong>on</strong>en zuständig sei – denn schließlich könne er nur Wege bereiten, und zwar möglichst sinnvolle, um die eigentliche arbeit der Kultur, die ideen und impulse, möglichst optimal geförderten, interessanten Künstlern zu überlassen. DoRoTheA MARcuS