Das Magazin der Bundesimmobiliengesellschaft
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THEMA<br />
Foto: istock<br />
schutzRäume<br />
„Schutzbedürftig“<br />
Aus Angst vor Kriegen hat die<br />
Republik schutzräume geschaffen.<br />
275 dieser Relikte des Kalten Krieges<br />
werden <strong>der</strong>zeit von <strong>der</strong> BiG<br />
verwaltet und unterschiedlich<br />
genutzt. Der größte für 1.062<br />
Personen befindet sich im<br />
Regierungsgebäude in <strong>der</strong><br />
Radetzkystraße – und steht für<br />
den akuten ernstfall eher nur<br />
bedingt bereit.<br />
«Ich werde daher in meinem<br />
Geschäftsbereich bei jedem Neubau<br />
zumindest Grundschutzräume vorsehen<br />
und über Wunsch des beteiligten<br />
Ressortministers Schutzräume mit<br />
höherem Schutzumfang anordnen.»<br />
Vinzenz Kotzina, ehemaliger Bautenminister<br />
A<br />
ngeblich halten die das aus. Selbst wenn jemand<br />
100 Kilogramm wiegt. Ich kann das nicht<br />
glauben.“ Walter Lorenz, Objektmanager <strong>der</strong><br />
<strong>Bundesimmobiliengesellschaft</strong> (BIG), richtet<br />
einen zweifelnden Blick auf das Bettgestell. Statt Matratze<br />
und Lattenrost ist die massive Eisenkonstruktion mit<br />
einem grünen Synthetikstoff umspannt – Marke Baumarkt,<br />
allerdings für den Garten-Sichtschutz. Gleich sechs<br />
Schlafplätze auf drei Ebenen bietet die Vorrichtung, die naturgemäß<br />
we<strong>der</strong> Luxus noch Intimsphäre bieten kann; je<strong>der</strong>,<br />
<strong>der</strong> sich hier zur Ruhe betten möchte, hat nicht einmal<br />
Platz, um sich nachts sorgenfrei umdrehen zu können.<br />
Denn eine Pritsche misst nur 40 Zentimeter in <strong>der</strong> Breite<br />
bei fast zwei Metern Länge. Die einzige vorgebliche Privatsphäre<br />
sollen cremefarbene Vorhänge um die Bettenlager<br />
bieten. Benutzt hat sie jedoch noch niemand, denn <strong>der</strong><br />
Schutzraum im Regierungsgebäude in <strong>der</strong> Radetzkystraße<br />
2 musste bisher noch nicht in Betrieb genommen werden.<br />
Mit Platz für 1.062 Personen ist er <strong>der</strong> wohl größte seiner<br />
Art in Österreich und einer von insgesamt 275, die von<br />
<strong>der</strong> BIG betreut werden. Die meisten davon sind Kin<strong>der</strong> des<br />
Kalten Krieges.<br />
Reale Bedrohung<br />
Urvater <strong>der</strong> öffentlichen Schutzräume ist <strong>der</strong> damalige<br />
Bautenminister Vinzenz Kotzina. Er schreibt am 24. Juli<br />
1967 in einem Vortrag an seine Ressortkollegen: „Ich werde<br />
daher in meinem Geschäftsbereich bei jedem Neubau zumindest<br />
Grundschutzräume vorsehen und über Wunsch<br />
des beteiligten Ressortministers Schutzräume mit höherem<br />
Schutzumfang anordnen.“ So richtig wollte, trotz „realer“<br />
Bedrohung aus dem Osten, das Thema aber scheinbar<br />
nicht in Schwung kommen. Jahre später kritisiert Bautenminister<br />
Karl Sekanina fehlende Klarheit <strong>der</strong> Zuständigkeiten:<br />
„Wenngleich alle wesentlichen Planungs- und Baumaßnahmen<br />
in diesem Zusammenhang getroffen werden,<br />
sind die meisten so errichteten Schutzräume <strong>der</strong>zeit noch<br />
nicht funktionsfähig, weil ihre Grundausstattung durch<br />
das Bundesministerium für Bauten und Technik und die<br />
Restausstattung <strong>der</strong> Schutzräume durch die verwaltenden<br />
Ressorts ebenso wie ihre Wartung bis dato nicht geregelt<br />
sind.“ Allerdings bleibt in diesem Ministerratsvortrag vom<br />
17. März 1981 ein Hintertürchen offen, um doch noch eine<br />
Nutzung zu sichern: „Ferner soll in Zukunft den Möglichkeiten<br />
<strong>der</strong> Doppelverwendung von Schutzräumen beson<strong>der</strong>e<br />
Aufmerksamkeit geschenkt werden.“ Wir schreiben<br />
das Jahr 1986. Am 26. April explodiert <strong>der</strong> Kernreaktor in<br />
Tschernobyl, halb Europa wird durch den nuklearen Super-<br />
Gau verstrahlt. Damit wird die atomare Angst, die <strong>der</strong> Kalte<br />
Krieg all die Jahre davor schon verbreitet hat, noch weiter<br />
verstärkt. Im Jahr 1986 wird auch das große Regierungsgebäude<br />
in <strong>der</strong> Landstraßer Radetzkystraße eröffnet, wo sich<br />
heute Verkehrs- und Gesundheitsministerium befinden.<br />
Und ebendort sollten im Fall des Falles die Minister und<br />
Beamten Schutz finden, weshalb im dritten von vier Untergeschoßen<br />
<strong>der</strong> Groß-Bunker eingerichtet wird. Nach <strong>der</strong><br />
Reaktorkatastrophe in <strong>der</strong> Ukraine ist allerdings das Schutzbedürfnis<br />
konstant gesunken. Somit ist auch <strong>der</strong> „Keller“ im<br />
Bundesamtsgebäude Radetzkystraße in einen Dornröschenschlaf<br />
gefallen. Genau 25 Jahre später, im Jahr 2011, ruft<br />
das Drama in Japan die teilweise vergessenen Schutzräume<br />
in Erinnerung.<br />
„Eigentlich ist das ja eine Ebene <strong>der</strong> Tiefgarage. Wenn es<br />
einmal nötig wird, kann man den Schutzraum sofort an<strong>der</strong>s<br />
nutzen. 26 Pkw hätten hier Platz“, berichtet Lorenz. 26 Autos<br />
o<strong>der</strong> 1.062 Menschen also – ein Vergleich, <strong>der</strong> erst die unvorstellbare<br />
Enge beschreibt, die bei Vollbesetzung entstehen<br />
würde. „Eintritt verboten. Lebensgefahr“, prangt pikanterweise<br />
oberhalb <strong>der</strong> massiven Eisentür, durch die es in<br />
den Bunker geht. Der (nicht leuchtende) Schriftzug bezieht<br />
sich allerdings auf die Garage, falls es etwa einmal brennen<br />
sollte.<br />
Es riecht modrig dort unten. Die Luft steht, wie in Kellern<br />
alter Häuser. „Wir haben hier ein Umluftsystem ohne Luft<br />
von außen. Mittels Sandfilter wird die Luft immer gereinigt“,<br />
erzählt <strong>der</strong> BIG-Objektmanager. Allerdings wäre,<br />
wenn draußen alles zusammengebrochen ist, die Luft irgendwann<br />
zu dünn. „Nach drei Wochen ist <strong>der</strong> Diesel für<br />
das Notstromaggregat aus. Was dann passieren würde,<br />
weiß keiner.“ Es ist einer von vielen Punkten, die den riesigen<br />
Bunker hinterfragenswert machen. „Man hat sich zwar<br />
überlegt, wie man all die Leute hier unterbringt und entsprechend<br />
versorgt, aber wie man sie dann hier beschäftigt,<br />
hat sich keiner überlegt“, merkt Lorenz an. Gegen den sicher<br />
54 BIG BusiNess Nr. 9 | 2011 | www.big.at<br />
Nr. 9 | 2011 | www.big.at BIG BusiNess<br />
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schutz<br />
›<br />
Räume<br />
Foto: michael hetzmannse<strong>der</strong><br />
Wie viele<br />
Schutzräume in<br />
Österreich existieren,<br />
weiß niemand so<br />
genau. In den<br />
Gebäuden <strong>der</strong> BIG<br />
sind es fast 300. Die<br />
wenigsten davon<br />
sind allerdings für<br />
den Ernstfall bereit.