Unsigned Sounds - Underground Music Magazine, Ausgabe 05
unsignedsounds@gmx.net
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Das Grosse Betteln<br />
Das Angebot einer Plattenfirma.<br />
Der große Sprung, die Treibstoff-<br />
zündung für die Karriereleiter, der<br />
Traum eines jeden Künstlers wird<br />
Wirklichkeit!<br />
Doch der Musikindustrie geht es<br />
schlecht. Schon 2008 schrumpfte der<br />
europäische Phonomarkt laut Wirt-<br />
schaftsspiegel um 6,3%. Hätten nicht<br />
spätestens zu diesem Zeitpunkt sämtli-<br />
che Alarmglocken in den Büros der<br />
Musikmultis ohrenbetäubend läuten<br />
müssen, so ist der Umsatzeinbruch für<br />
den europäischen Markt inzwischen bei<br />
einem Minus von fast 20% angekom-<br />
men. Die digitale Revolution zwingt<br />
das Musikimperium in die Knie. Na-<br />
men wie Ariola, Polydor oder EMI sind<br />
nur noch Schall und Rauch. Nachdem<br />
bei letztgenannter Heimat von Künst-<br />
lern wie Herbert Grönemeyer und<br />
COLDPLAY die Umsatzzahlen plötz-<br />
lich im selben Rot wie das Firmenlogo<br />
erschienen, wurde die einst millionen-<br />
schwere Firma verscherbelt – zu einem<br />
Spottpreis von 1,9 Millionen US-<br />
Dollars.<br />
Auch kleine Plattenfirmen und Distri-<br />
butoren sind von dieser Entwicklung<br />
betroffen. Ein Indie-Label nach dem<br />
anderen schließt seine Pforten. Das<br />
Lamento ist groß.<br />
Dabei war dies durchaus vorhersehbar.<br />
Die Schallplatte wurde von der Kassette<br />
abgelöst, die Kassette von der CD.<br />
Trotz dieser Entwicklung strotzte die<br />
Labelbranche vor vermeintlichen Um-<br />
satzeinbrüchen, die die Einführung<br />
eines neuen Speichermediums für<br />
Musik mit sich brachte. In den 1980er<br />
Jahren warnte die Industrie mit Slogans<br />
wie „Home taping is killing music!“ vor<br />
dem Aufnehmen und Tauschen von<br />
Tapes. Ebenfalls eher verhalten als<br />
vehement war in den 1990er Jahren die<br />
Einführung eines Kopierschutzes für<br />
Compact Discs. Denn aufgrund der<br />
stabil bleibenden Einnahmen aus<br />
Plattenverkäufen ging man es eher<br />
locker an und ignorierte gekonnt die<br />
düsteren Zukunftsprognosen vermeint-<br />
licher Wirtschaftsexperten.<br />
Doch der Wandel kam. Und er äußerte<br />
sich in einer Enormität, deren Wucht<br />
die inzwischen adipös gewordene<br />
Industrie zurückwarf wie die Wucht<br />
eines Tsunamis: Live-Streams und<br />
Downloading. Gift für die Ohren der<br />
Labelchefs. Das Projektil für den Gna-<br />
denschuss einer ganzen Branche. Ton-<br />
träger in physikalischer Form – von nun<br />
an ein Nischenprodukt?<br />
Zumindest stand schnell fest, dass die<br />
Shake-Hand- und Download-<br />
Generation eine eher ungeeignete<br />
Zielgruppe für nachhaltige Kaufkraft<br />
darstellte. Um sich weiterhin auf dem<br />
Markt behaupten zu können, mussten<br />
innovative Ideen erdacht werden. Es<br />
grenzt an ein Wunder, dass die sonst so<br />
träge Musikindustrie für diese Erleuch-<br />
tung nur zehn Jahre benötigt hat.<br />
Als Contergan für die geschundenen<br />
Synapsen der Label-Bosse dienen nun<br />
nicht mehr die Tonträger- und Mer-<br />
chandise konsumierende Fans, sondern<br />
man besinnt sich zurück auf die Ur-<br />
sprünge der Labelpolitik. Zurück auf<br />
die Zeiten, in denen nicht nur Konsu-<br />
menten, sondern auch die Interpreten<br />
für ihre Liebe zur Musik bluten muss-<br />
ten. Es ist fast wie früher: Im Canossa-<br />
gang wird der freischaffende Künstler<br />
mit offener Hand und verdeckten<br />
Karten zur Kasse gebeten. In Form von<br />
Plattenverträgen, die gar keine sind.<br />
Da Tonträger als umsatzstarkes Medi-<br />
um nur noch auf dem Papier existieren,<br />
verwandeln sich viele Plattenfirmen,<br />
sowohl im Mainstream- als auch im<br />
Independentsektor, zu Promotion- und<br />
Bookingagenturen. Die neue Strategie<br />
sieht eine Art „Bandbetreuung“ als<br />
Dienstleistung vor. Garantien im<br />
Rahmen von Promotion- und Marke-<br />
ting-Kampagnen mit hohen Marktwer-<br />
ten sollen potentielle Interessenten<br />
locken und Geld in die leeren Firmen-<br />
kassen spülen. Slogans wie „Nichts ist<br />
erfolgreicher als der Erfolg selbst!“ oder<br />
proletenhaftes Imponiergehabe mit<br />
nichtssagenden Referenzen sollen den<br />
Eindruck suggerieren, man hätte es mit<br />
seriösem Humanismus par excellence zu<br />
tun. Die Angebote variieren und bieten<br />
eine ganze Palette an buchbaren Optio-<br />
nen für den nach besseren Gigs und<br />
höherem Ansehen strebenden Underg-<br />
round-Mucker.<br />
Buchbar? Die große Ernüchterung setzt<br />
ein, sobald man zwischen den Zeilen<br />
liest. Hier avanciert das großzügige<br />
Angebot plötzlich zu einem Kostenvor-<br />
anschlag. Genauestens werden Preise<br />
und Optionen zu Promotionszwecken<br />
aufgelistet, mögliche Kooperationen,<br />
Interview-Bookings und Review-<br />
Garantien versichert. Amazon-Charts-<br />
Promotion, Entwicklung eines ziel-<br />
gruppenorientiertenKommunikations- konzepts. Möchegern-Businesstalk von<br />
lyrischen Perückenträgern, die unter<br />
hunderten von versandten Emails<br />
hoffen, einen Dummen zu finden, der<br />
entweder zu beschränkt ist, um sich<br />
selbst um die Promotion seiner Band zu<br />
kümmern, oder nicht begriffen hat, wie<br />
das Internet funktioniert. „Ganzheitli-<br />
che Kampagnen mit PR-Garantie“ auf<br />
Laufzeitbasis von 1-2 Monaten werden<br />
zu „günstigen Konditionen“ von knapp<br />
2000€ offeriert wie das Korn dem<br />
Huhn. Die Kosten, die man für diesen