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Zur Gerechtigkeit in David Humes - Jan-Gerd Tenberge

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” Untersuchung über die Pr<strong>in</strong>zipien der Moral“<br />

<strong>Zur</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>in</strong> <strong>David</strong> <strong>Humes</strong><br />

1 Matrikel-Nr. 349658<br />

<strong>Jan</strong>-<strong>Gerd</strong> <strong>Tenberge</strong> 1<br />

16. November 2009


Im dritten Abschnitt, ” Über die <strong>Gerechtigkeit</strong>“ 1 , se<strong>in</strong>es Buches ” Untersuchung<br />

über die Pr<strong>in</strong>zipien der Moral“ beschäftigt sich <strong>David</strong> Hume mit dem S<strong>in</strong>n und<br />

dem Nutzen der <strong>Gerechtigkeit</strong> sowie der Entstehung der selbigen. Es geht ihm<br />

dabei <strong>in</strong>sbesondere um die Frage, ob die <strong>Gerechtigkeit</strong> alle<strong>in</strong> aus ihrem Nutzen<br />

für die Gesellschaft entspr<strong>in</strong>gt.<br />

Um sich dem Thema zu nähern stellt Hume e<strong>in</strong>gangs fest, dass es sicherlich von<br />

niemandem bestritten wird, dass zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> Teil der Wertschätzung, den die<br />

Tugend der <strong>Gerechtigkeit</strong> erfährt, aus ihrem allgeme<strong>in</strong>en Nutzen entsteht. Hume<br />

fragt nun, ob es überhaupt andere Gründe für die Anerkennung der <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

geben kann und zeigt an e<strong>in</strong>igen Beispielen auf, dass dem nicht so ist. Zunächst<br />

nutzt er zwei Beispiele e<strong>in</strong>er positiven Idealgesellschaft, <strong>in</strong> der das allgeme<strong>in</strong>e<br />

Glück bereits ohne <strong>Gerechtigkeit</strong> maximal ist:<br />

1. In e<strong>in</strong>er Welt, <strong>in</strong> der es dem Menschen an nichts mangelt, er im Überfluss<br />

lebt, sche<strong>in</strong>t <strong>Gerechtigkeit</strong> ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n zu machen. Wenn ich über unbe-<br />

grenzte Mittel verfüge, so muss es mich nicht <strong>in</strong>teressieren, ob jemand von<br />

dem, was man geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> als me<strong>in</strong> bezeichnen würde, nimmt. Ohne An-<br />

strengung könnte ich mir etwas von gleichem Wert verschaffen. Das nach<br />

heutiger, übere<strong>in</strong>stimmender Annahme ungerechte Verhalten des anderen<br />

würde mir ke<strong>in</strong>erlei Nachteil bedeuten, ich hätte also ke<strong>in</strong>en gerechtfertigten<br />

Grund, ihn für se<strong>in</strong> Verhalten zu strafen - ergo macht alle<strong>in</strong> die Vorstellung<br />

von Eigentum <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Gesellschaft gar ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.<br />

Ähnliches ist auch <strong>in</strong> der realen Welt überall dort zu sehen, wo Rohstoffe im<br />

Überfluss vorhanden s<strong>in</strong>d. Hume führt an, dass niemand e<strong>in</strong> Eigentum an<br />

Luft 2 oder Wasser 3 erwerben könne, weil beide <strong>in</strong> solchen Mengen verfügbar<br />

seien, dass ihr Nutzen für den E<strong>in</strong>en ke<strong>in</strong> Nachteil für den Anderen bedeutet.<br />

In dieser idealen Welt also, <strong>in</strong> der sich nach Hume alle anderen sozialen<br />

Tugenden freier und stärker entfalten sollten als <strong>in</strong> unserer realen, wäre die<br />

1 In diesem Aufsatz wird im Folgenden nur der erste der beiden Teile dieses Abschnittes<br />

behandelt.<br />

2 Das lässt sich heute nicht mehr unumschränkt aufrecht erhalten, da die<br />

Luft - nicht durch Verbrauch, sondern durch Verschmutzung - <strong>in</strong>zwischen doch<br />

von e<strong>in</strong>igen zum Nachteil aller genutzt wird, was zum Handel mit Luft führt:<br />

http://www.bmu.de/emissionshandel/aktuell/aktuell/1201.php<br />

3 Auch das ist heute so nicht mehr wahr, <strong>in</strong> Bolivien war die Wasserversorgung zum<strong>in</strong>dest<br />

teilweise privatisiert: http://www.pbs.org/frontl<strong>in</strong>eworld/stories/bolivia/timel<strong>in</strong>e.html<br />

1


<strong>Gerechtigkeit</strong> fehl am Platze und würde, wenn es sie denn gäbe, sicher nicht<br />

zu den Tugenden gezählt, weil sie ke<strong>in</strong>erlei Anstrengung bedürfte.<br />

2. In e<strong>in</strong>er zweiten idealisierten Welt <strong>Humes</strong> s<strong>in</strong>d zwar die Mittel nicht zahl-<br />

reicher vorhanden als <strong>in</strong> der echten, die Menschen jedoch s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ander<br />

derart stark zugeneigt, dass e<strong>in</strong> jeder se<strong>in</strong>e Interessen nicht über die e<strong>in</strong>es<br />

beliebigen anderen stellt. Auch hier, argumentiert Hume, sei die Gerechtig-<br />

keit als Tugend alle<strong>in</strong> schon dadurch nicht notwendig, dass e<strong>in</strong> jeder jedem<br />

anderen schon aus Neigung nur das Beste wünschte. Durch diese Art der<br />

Nächstenliebe wäre e<strong>in</strong>e kodifizierte <strong>Gerechtigkeit</strong> überflüssig, da das Gu-<br />

te immer auch das Gerechte ist und niemand jemandem etwas böses tun<br />

würde. In <strong>Humes</strong> Beispiel der zwei Felder (S. 103) wird dies deutlich: Wel-<br />

chen S<strong>in</strong>n macht es, die beiden Felder zu trennen, wenn beide Bauern auf<br />

das Schicksal des jeweils anderen genauso bedacht s<strong>in</strong>d wie auf ihr eigenes<br />

und am Ende daher so oder so die Felder zum besten Vorteil beider bestel-<br />

len würden? Ähnliches gilt allgeme<strong>in</strong> für alle verfügbaren Güter: Wo jeder<br />

schon aus Überzeugung se<strong>in</strong> Hab und Gut für das Wohl aller (im Gegensatz<br />

zu se<strong>in</strong>em eigenen) e<strong>in</strong>setzt, da muss er nicht durch die <strong>Gerechtigkeit</strong> dazu<br />

angehalten werden; es wäre auch gar nicht erkennbar, ob er aus Gerechtig-<br />

keit oder Überzeugung handelt.<br />

Hume merkt hier (S. 104) an, dass e<strong>in</strong>e solche Gesellschaft <strong>in</strong>nerhalb von<br />

Familien, <strong>in</strong>sbesondere zwischen zwei Ehepartnern, hier sogar per (damali-<br />

gem) Gesetz, zum<strong>in</strong>dest näherungsweise existiert. Innerhalb e<strong>in</strong>er familiären<br />

Geme<strong>in</strong>schaft s<strong>in</strong>d, im Gegensatz zum ersten Beispiel, ke<strong>in</strong>e unbegrenzten<br />

Güter verfügbar, die vorhandenen werden aber selbstverständlich und ohne<br />

Zwang zum besten Wohle aller Familienmitglieder e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Diese beiden Beispiele zeigen, dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft, deren Zustand nicht<br />

mehr verbesserungsfähig ist, die Tugend der <strong>Gerechtigkeit</strong> ke<strong>in</strong>erlei Zweck mehr<br />

hat und es auch nur schwer vorstellbar ist, wie sie unter solchen Umständen<br />

überhaupt angelegt se<strong>in</strong> sollte, damit sie erkennbar ist. Das untermauert <strong>Humes</strong><br />

Vermutung nicht nur dadurch, dass die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>in</strong> diesen Formen des Zu-<br />

sammenlebens ke<strong>in</strong>en Vorteil brächte, sonder <strong>in</strong>sbesondere auch dadurch, dass sie<br />

<strong>in</strong> ihnen gar nicht denkbar wäre. Würde die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>in</strong> diesen Gesellschaf-<br />

ten existieren, sie brächte niemandem e<strong>in</strong>en Nachteil e<strong>in</strong>, sie wäre nur überflüssig.<br />

2


Dass die Tugend aber, wenn sie überflüssig wird, automatisch aufhört zu existie-<br />

ren, ist gerade Beweis für <strong>Humes</strong> These, dass sie ihre Rechtfertigung ausschließlich<br />

aus dem Nutzen für die Allgeme<strong>in</strong>heit zieht.<br />

Dies nun war der Beweis dafür, dass dort, wo das Glück aller bereits maxi-<br />

miert ist, die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht existiert. Mit weiteren Beispielen möchte Hume<br />

nun zeigen, dass auch <strong>in</strong> größter Not, wo der Mensch nur noch se<strong>in</strong>em Selbster-<br />

haltungstrieb verpflichtet se<strong>in</strong> kann, die Tugend 4 ke<strong>in</strong>en Platz f<strong>in</strong>det.<br />

1. Im ersten, sehr kurzen aber besonders e<strong>in</strong>leuchtenden, Beispiel wird e<strong>in</strong><br />

Schiffbrüchiger genannt, der sich ohne Betrachtung der Eigentumsverhältnisse<br />

an jedes greifbare Trümmerstück klammert um über Wasser zu bleiben. Es<br />

ist leicht e<strong>in</strong>sehbar, dass <strong>in</strong> diesem Falle niemand dem Besitzer (beispiels-<br />

weise e<strong>in</strong>es Rettungsr<strong>in</strong>gs) e<strong>in</strong> Vorrecht darauf gewähren würde diesen zu<br />

nutzen. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> würde sich hier zum Nachteil (sprich: Tod) des-<br />

jenigen auswirken, der sie befolgt und man kann sich e<strong>in</strong>en Fall denken, <strong>in</strong><br />

dem alle verfügbaren Rettungsr<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Person gehören, die sich<br />

weigert, andere daran teilhaben zu lassen: Würde man nun <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

üben (also Recht im S<strong>in</strong>ne von Gesetz walten lassen), so würde dies den<br />

Tod aller Passagiere bis auf diesen e<strong>in</strong>en bedeuten. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> wäre<br />

also nicht nur zum Nachteil des E<strong>in</strong>zelnen, sondern auch zum Nachteil aller<br />

Menschen.<br />

2. Das zweite Beispiel handelt von e<strong>in</strong>er belagerten Stadt <strong>in</strong> der Hunger herrscht.<br />

Unter diesen Umständen enteignet der Staat die Bauern und gibt das Korn<br />

an die Bürger, um deren Überleben zu sichern. Jemandem se<strong>in</strong>en Besitz un-<br />

ter Anwendung von Zwang zu nehmen und an andere zu verteilen ist unter<br />

normalen Umständen selbstverständlich nicht gerecht, es ist aber für jeder-<br />

mann leicht e<strong>in</strong>sehbar, das unter den gegebenen Umständen der Nutzen für<br />

die Gesellschaft gerade durch Missachtung der <strong>Gerechtigkeit</strong> gemehrt wird.<br />

<strong>Humes</strong> Argument ist nun, das niemand ernsthaft die Aufrechterhaltung der<br />

normalen Gesetze (und damit der <strong>Gerechtigkeit</strong>) unter diesen Umständen<br />

wollen könne.<br />

3. E<strong>in</strong> drittes Beispiel läuft im Wesentlichen analog zu den ersten beiden: Ei-<br />

4 Mit dem Begriff die Tugend ist hier und im Folgenden die <strong>Gerechtigkeit</strong> geme<strong>in</strong>t, nicht das<br />

allgeme<strong>in</strong>e Vorhandense<strong>in</strong> von Tugenden.<br />

3


ne Person, die <strong>in</strong> die Hände e<strong>in</strong>es Verbrechers, der vorhersehbar größtes<br />

Unglück über die Gesellschaft br<strong>in</strong>gen wird, gefallen ist und von Staat<br />

und Gesetz nicht mehr geschützt werden kann, muss sich zur Wehr set-<br />

zen und dazu jedes mögliche Mittel (<strong>in</strong> diesem Beispiel: Waffen) nutzen,<br />

auch wenn es ihr nicht gehört und sie es normalerweise nicht rechtmäßig<br />

erlangen könnte.<br />

Es folgen im Text noch e<strong>in</strong>ige weitere Beispiele, die aber allesamt den bereits<br />

genannten sehr ähnlich s<strong>in</strong>d. Für deren Wiedergabe soll hier zunächst ke<strong>in</strong> Platz<br />

verwendet werden, ich komme später noch auf sie zu sprechen.<br />

Interessanter ist vorerst e<strong>in</strong>e spätere Textstelle (S. 109), <strong>in</strong> der e<strong>in</strong> hypotheti-<br />

sches Wesen beschrieben wird, das dem Menschen gleich, aber mental und phy-<br />

sisch vollkommen unterlegen ist. E<strong>in</strong> derartiges Wesen wäre offensichtlich voll-<br />

kommen auf das Wohlwollen der Menschen angewiesen, da es se<strong>in</strong>em eigenen<br />

Verlangen dem Menschen gegenüber ke<strong>in</strong>en Nachdruck verleihen kann.<br />

Bei der Betrachtung dieses Wesens nun unterscheidet sich <strong>Humes</strong> Konzeption<br />

vom allgeme<strong>in</strong>en Verständnis von <strong>Gerechtigkeit</strong>; se<strong>in</strong>er Ansicht nach gebietet die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> hier ke<strong>in</strong>e gütige Behandlung e<strong>in</strong>es solchens, da ihre Ungleichheit<br />

(im S<strong>in</strong>ne von Unterlegenheit) dem Menschen gegenüber dazu führt, dass sie nicht<br />

Teil der menschlichen Gesellschaft se<strong>in</strong> können. 5 Da nun <strong>Gerechtigkeit</strong> etwas ist,<br />

das <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Gesellschaft zu deren Vorteil existiert, erstreckt sie sich <strong>in</strong><br />

ihren Auswirkungen nicht auf die außerhalb der Gesellschaft stehenden Wesen. 6<br />

An diese top-down-Erklärung schließt Hume (S. 110f) noch e<strong>in</strong>e bottom-up-<br />

Variante an, <strong>in</strong> der er zunächst von e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zelnen Menschen ausgeht. Wäre<br />

dieser alle<strong>in</strong> zur Fortpflanzung fähig (etwa wie e<strong>in</strong>e Zelle durch Teilung), so würde<br />

er ke<strong>in</strong>en Vorteil daraus ziehen anderen gegenüber gerecht zu se<strong>in</strong>. Er würde also<br />

se<strong>in</strong> eigenes Wohl über das aller anderen stellen und damit bestens für sich und<br />

se<strong>in</strong>e Nachkommen sorgen. E<strong>in</strong>e Gesellschaft käme nicht zustande.<br />

Nun ist es aber so, dass die Natur die Menschen <strong>in</strong> Mann und Frau aufgeteilt<br />

hat, die nur zusammen zur Fortpflanzung fähig s<strong>in</strong>d. Das bed<strong>in</strong>gt bereits die Bil-<br />

dung e<strong>in</strong>er Familie als Zweckgeme<strong>in</strong>schaft und damit Gesellschaft. Nun wird die<br />

Vernunft jedem schnell die E<strong>in</strong>sicht geben, das hier gewisse Regeln dazu führen,<br />

5 Man kann sich sicherlich fragen, ob Gesellschaft immer e<strong>in</strong>e Gleichheit ihrer Mitglieder<br />

bed<strong>in</strong>gt, Hume setzt dieses jedenfalls voraus.<br />

6 Allerd<strong>in</strong>gs gebietet die unabhängige Tugend der Menschlichkeit nach Hume sehr wohl e<strong>in</strong>en<br />

gütigen Umgang mit diesen.<br />

4


dass das Wohl der Familie gemehrt wird und er wird sich diesen Regel daraufh<strong>in</strong><br />

ohne Zwang unterwerfen, was bereits der Ursprung der <strong>Gerechtigkeit</strong> ist. Im Wei-<br />

teren werden mehrere Familien zu der E<strong>in</strong>sicht kommen, dass gewisse Vorteile <strong>in</strong><br />

noch größeren Gruppierungen leichter zu erreichen s<strong>in</strong>d. So kann sich e<strong>in</strong> gan-<br />

zes Dorf besser gegen Angreifer zur Wehr setzen als e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelne Familie. Solch<br />

größere Gesellschaften verlangen logischerweise nach weitergehenden Regeln für<br />

das Zusammenleben, diese Regeln erstrecken sich aber niemals über den Rand<br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft h<strong>in</strong>aus. Dies bedeutet nun abermals, dass <strong>Gerechtigkeit</strong> nur<br />

<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Gesellschaft existiert. Das bedeutet abschließend nun zweierlei:<br />

1. <strong>Gerechtigkeit</strong> existiert, wenn sie existiert, immer <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er (geschlos-<br />

senen) Gesellschaft.<br />

2. <strong>Gerechtigkeit</strong> herrscht nur dort, wo der Allgeme<strong>in</strong>heit e<strong>in</strong> Vorteil durch<br />

sie entsteht oder dieser zum<strong>in</strong>dest vermutet wird. Insbesondere herrscht<br />

nicht <strong>in</strong> jeder Gesellschaft <strong>Gerechtigkeit</strong>. In Extremsituationen, guten wie<br />

schlechten, kann sie entweder überflüssig se<strong>in</strong> oder h<strong>in</strong>ter höhere Ideale oder<br />

Triebe, allen voran den zur Selbsterhaltung, zurücktreten.<br />

Der erste Punkt dürften schlüssig se<strong>in</strong>, wenn man das Recht <strong>in</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

als Ordnung oder Gesetz auffasst. Man würde nicht auf die Idee kommen bei-<br />

spielsweise den Tieren menschliche Gesetze aufzuzwängen und auch wird man<br />

im Allgeme<strong>in</strong>en auch solche Gesetze anderer Gesellschaften akzeptieren, die den<br />

eigenen diametral entgegengesetzt s<strong>in</strong>d - wenn sie denn die eigenen Gesellschaft<br />

nicht tangieren. So empf<strong>in</strong>den die meisten Menschen das Pr<strong>in</strong>zip von ” fressen und<br />

gefressen werden“ im Tierreich durchaus nicht als ungerecht, würde es aber auf<br />

den Menschen angewendet doch als sehr ungerecht empf<strong>in</strong>den.<br />

Warum nun aber <strong>Gerechtigkeit</strong> nur dort möglich se<strong>in</strong> soll, wo sie zum all-<br />

geme<strong>in</strong>en Vorteil ist, ist nicht so leicht e<strong>in</strong>zusehen. <strong>Humes</strong> Beispiele s<strong>in</strong>d zwar<br />

schlüssig, erfüllen aber nicht den Anspruch der Allgeme<strong>in</strong>heit und es lassen sich<br />

relativ e<strong>in</strong>fach auch Gegenbeispiele f<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e Angriffsfläche bietet beispielswei-<br />

se das Bürgerkriegsbeispiel (S. 106): Ist es nicht so, dass viele Nationen im Krieg<br />

zum<strong>in</strong>dest versuchen sich an die Genfer Konventionen zu halten, selbst wenn der<br />

Gegner dies nicht tut? Aus dem würdigen Umgang mit dem Gegner folgt im All-<br />

geme<strong>in</strong>en ke<strong>in</strong> Vorteil für die eigene Seite; im Gegenteil b<strong>in</strong>det jeder Gefangene<br />

5


Ressourcen im Vergleich zu e<strong>in</strong>em Getöteten. Hier unterwirft sich also e<strong>in</strong>e Ge-<br />

me<strong>in</strong>schaft e<strong>in</strong>er Vorstellung von <strong>Gerechtigkeit</strong> die ihr selbst nur Nachteile br<strong>in</strong>gt.<br />

Der Grund dafür mag dar<strong>in</strong> liegen, dass für die meisten Menschen, im Gegensatz<br />

zu <strong>Humes</strong> Aussage (S. 109), <strong>Gerechtigkeit</strong> und Menschlichkeit durchaus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>s<br />

fallen und eben darum durchaus auch Nachteile <strong>in</strong> Kauf zu nehmen bereit ist um<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> aufrecht zu erhalten.<br />

Hume könnte darauf relativ leicht e<strong>in</strong>wenden, dass zwei Kriegsparteien ke<strong>in</strong>e<br />

vone<strong>in</strong>ander unabhängigen Gesellschaften seien, weil beide Teil der noch größeren<br />

Gesellschaft der Menschheit als solcher s<strong>in</strong>d, da er das aber auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bei-<br />

spiel beim Krieg gegen die Barbaren (ebenfalls S. 109) nicht tut, sche<strong>in</strong>t hier doch<br />

e<strong>in</strong> Konflikt vorzuliegen, den er ohne weiteres nicht aufzulösen vermag.<br />

Es lässt sich dennoch sicherlich festhalten, dass <strong>Humes</strong> Konzeption im Großen<br />

und Ganzen sowohl <strong>in</strong> Deckung mit der geme<strong>in</strong>en Vorstellung von der Gerechtig-<br />

keit als auch <strong>in</strong> sich schlüssig ist.<br />

6

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