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Nr. 6/2005 November & Dezember Ausgabe 22

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Seit fast 500 Millionen Jahren bevölkern Haie die Weltmeere. Über 570 Arten hat man<br />

bis heute beschrieben, vom zehn Zentimeter kleinen Zwerghai bis zum Plankton fressenden<br />

Giganten, dem Walhai, der bis zu 14 Meter groß werden kann. Die meisten<br />

Haie leben im Meer, aber auch Süßwasserhaie sind bekannt. Bestimmte Haiarten können<br />

sogar zwischen Süß- und Salzwasser wechseln. In ihrer jeweiligen ökologischen<br />

Nische zählen sie zu den Topräubern und sorgen so für die Gesundheit und die Balance<br />

in dem sie umgebenden, komplexen Ökosystem.<br />

Haie verfügen über geradezu unglaubliche Sinne. Neben einem extrem guten Gehör, das<br />

auch Bewegungen unter Wasser als so genannte Schwingungsmelodien hören kann,<br />

sehen die meisten Haiarten extrem gut und verfügen über ein exzellentes Riechvermögen,<br />

das es ihnen erlaubt, Gerüche bis zu einer Verdünnung von 1:10 Milliarden zu erfassen.<br />

Das entspricht einem Tropfen in einem Schwimmbecken von 20x50 Metern und zwei<br />

Meter Tiefe. Dazu kommen weitere Sinnesorgane, die zum Beispiel Druckwellen messen<br />

können oder elektrische Felder bis zu einer Spannung von fünf milliardstel Volt.<br />

Auch wenn die verschiedenen Sinne bei den einzelnen Arten unterschiedlich ausgeprägt<br />

sind, in einem sind alle Haie gleich: Sie sind optimal an ihre jeweilige<br />

Umwelt angepasst. Dazu trägt eine ungewöhnliche Anatomie bei. Auch wenn Haie<br />

oft als Fische bezeichnet werden, so sind wir Menschen doch mehr mit einem<br />

Salamander verwandt, als ein Hai mit einem „normalen“ Knochenfisch. Haie gehören<br />

ebenso wie Rochen und Chimären zu den Knorpeltieren. Wesentliche Unterschiede<br />

bestehen in dem leichteren Skelett aus Knorpel und einer ausgeprägten<br />

Leber, die die Schwimmblase der Fische ersetzt.<br />

Ebenso ungewöhnlich wie seine Anatomie ist auch die Biologie des Haies. Obwohl die meisten<br />

Haiarten lebend gebären, gibt es viele Arten, die Eier legen. Unter den<br />

Lebendgebärenden gibt es wiederum einige Arten, die ihre Eier im Bauch ausbrüten und<br />

die Junghaie lebend gebären. Haie sind deshalb mit einem Begriff und einer Beschreibung<br />

nicht zu umfassen. Zu unterschiedlich sind die Arten, ihre Anatomie und ihre Biologie.<br />

Nur wenige Arten können dem Menschen potenziell gefährlich werden und selbst bei<br />

diesen gehört der Mensch nicht ins Beuteraster. Das zeigen die geringen Zahlen der<br />

Haiattacken sehr deutlich. Zwischen 60 bis 100 dieser Unfälle zwischen Mensch und<br />

Hai ereignen sich jährlich und nur fünf bis zehn enden für den Menschen tödlich. Doch<br />

ungeachtet der statistisch fast nicht erfassbaren Unfälle ist die Angst vor dem „Killer<br />

Hai“ eine der ausgeprägtesten Phobien der von Medien beeinflussten Menschheit.<br />

Die Medien sind es, die aus einem Haiunfall eine weltumspannende Horrorgeschichte<br />

machen, die wochenlang alle Zeitungen füllt. Nehmen wir zum Beispiel einen Motorradunfall,<br />

bei dem der Fahrer später im Krankenhaus einen Arm verliert. Dieses Ereignis<br />

wäre maximal eine kleine Meldung im lokalen Teil einer Zeitung, aber keine Grundlage für<br />

eine internationale Medienkampagne. Ist jedoch anstelle des Motorrads ein Hai in den<br />

Vorfall verwickelt, stürzen sich alle Medien auf die Meldung, ungeachtet der im Verhältnis<br />

zu Motorradunfällen statistisch sehr geringen Zahl von Haiunfällen weltweit. Diese einseitige<br />

Berichterstattung hat ihre Ursache in der menschlichen Sensationslust, die nicht erst<br />

seit dem Stephen-Spielberg-Klassiker „Der weiße Hai“ besteht.<br />

All diese Fakten machen den Hai zu einem der wohl verkanntesten Tiere auf diesem<br />

Planeten und verhindern gleichzeitig den Schutz dieser Tiere. Wer schützt schon<br />

etwas, vor dem er sich fürchtet? Und dass wir Haie schützen müssen, steht außer<br />

Frage. Ihre extrem wichtige Rolle im Ökosystem Meer beginnen wir erst jetzt allmählich<br />

zu verstehen. Fast zu spät, denn weltweit beginnt das Meer als größtes Ökosystem<br />

der Erde mit einer enormen Komplexität bereits zu bröckeln. Einen wesentlichen<br />

Anteil daran hat die aktuelle Ausrottung der Haie. Über 200 Millionen Haie<br />

sterben jährlich durch Menschenhand. 100 der 570 bekannten Arten gelten bereits<br />

als hochgradig bedroht, der berüchtigte Weiße Hai inzwischen sogar als biologisch<br />

ausgestorben. Eine Untersuchung der Universität von Halifax zeigt Rückgänge<br />

bestimmter Haiarten im Nordatlantik von 90 Prozent in den letzten sechs Jahren.<br />

Die Ausrottung der Haie ist in vollem Gange,<br />

aber sie geschieht im Verborgenen, unbemerkt<br />

von der Öffentlichkeit. Ein Umsatz versprechender<br />

Grund für die unbarmherzige Verfolgung<br />

der Tiere ist das Finning. Damit bezeichnet<br />

man das Abschneiden der Flossen meist<br />

bei lebendigem Leib, denn es geht ausschließlich<br />

um die Flossen. Inzwischen weltweit zu<br />

einem Milliardenmarkt geworden, bei dem die<br />

Gewinnspannen höher als im Rauschgifthandel<br />

liegen. Alles für eine stundenlang weichgegarte<br />

Knorpelmasse in einer Brühe. Kulinarisch<br />

fragwürdig, ökologisch eine Katastrophe, denn<br />

nach einer Studie werden in den nächsten vier<br />

Jahren etwa 250 Millionen Chinesen die Einkommensschwelle<br />

überschreiten, die es ihnen<br />

erlaubt, mehrmals im Monat Haiflossensuppe<br />

zu essen. Spätestens dann beginnt der Ausverkauf<br />

der Meere.<br />

Aber es nicht nur ein chinesisches Problem.<br />

Weltweit boomt der Flossenhandel. Spanien<br />

zum Beispiel ist der zweitgrößte Exporteur<br />

von Haiflossen und unter der spanischen<br />

Flagge ist eine der weltweit größten Haifangflotten<br />

unterwegs. Auch Deutschland ist recht<br />

aktiv und gehört zu den führenden Exporteuren<br />

von Heringshai-Flossen. Der Flossenhandel<br />

bietet Gewinnspannen, die höher als<br />

bei Rauschgift liegen, und wird von einer<br />

internationalen Mafia regiert. Aktuell sind<br />

große Flossen bereits selten geworden. Da<br />

überwiegend nur noch Babyhaie gefangen<br />

werden – ein Symptom für die Überfischung<br />

der Arten – werden die getrockneten Babyhaie<br />

heute als neuer, perverser „Modetrend“<br />

gehandelt.<br />

Auch in Europa und vor allem in Deutschland<br />

werden Haie perfekt vermarktet. Die Bauchlappen<br />

des selten gewordenen Dornhais werden<br />

unter „Schillerlocke“ angeboten, das Fleisch<br />

unter „Seeaal“. Haiknorpel wird zu fragwürdigen<br />

Medikamenten verarbeitet und die Haut zu<br />

Uhrenarmbändern. Auch Flossen gibt es in jedem<br />

„besseren“ asiatischen Lokal. Der Hai ist ein<br />

regelrechter Supermarkt, aus dem sich jeder<br />

ungestraft bedienen kann.<br />

Das Ende einer fast 500 Millionen alten Entwicklung<br />

scheint ebenso absehbar wie die dramatischen<br />

Folgen für das Ökosystem Meer. So formulierte<br />

der bekannte südafrikanische Haischützer<br />

Andrew Cobb: „Wenn die Haie sterben, stirbt das<br />

Meer. Wenn das Meer stirbt, werden wir folgen!“<br />

Weiterführende Informationen unter<br />

www.Stop-sales.com und<br />

www.sharkproject.com<br />

Tom Körber SHARKPROJECT / Gerhard Wegner<br />

SHARKPROJECT / Erich Ritter<br />

SHARKPROJECT / Erich Ritter<br />

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