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Sprachkontakte - Universität Konstanz

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3) Kreolistik<br />

Kreolsprachen entstehen aus Pidgins. Letztere wiederum sind das Ergebnis extremer Formen<br />

von Sprachkontakt, in welchen man – auf etwas vereinfachende Weise gesprochen – von<br />

einer „lexifizierenden“ Sprache ausgehen kann, deren Grammatik in radikaler Art vereinfacht<br />

ist (und damit dem isolierenden Typ entspricht, d.i. praktisch keine grammatischen<br />

Morpheme aufweist) und am ehesten kognitiv privilegierten Diskursprinzipien gehorcht.<br />

Pidgins entstehen, wenn Sprecherkollektive aufeinandertreffen, die sich gegenseitig nicht über<br />

eine bereits bestehende Sprache verständigen können. In diesen Sinne sind Pidgins Sprachen<br />

ohne Muttersprachler; sie können aber zum Ausgangspunkt für die Entwicklung einer<br />

komplexeren und stärker konventionalisierten Grammatik (mit eigener Norm) werden, die<br />

schließlich sogar standardisiert und zur Basis muttersprachlichen (d.i. eines natürlichen<br />

Erstsprach-)Erwerbs werden könnte. Wenn das geschieht, spricht man von Kreolsprachen.<br />

Man kann wohl zwei Hauptformen von Pidgins unterscheiden 4 : die verbreitetere Form<br />

scheint diejenige gewesen zu sein, bei der eine europäische Prestigesprache (Portugiesisch,<br />

Spanisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Niederländisch) von Einheimischen oder Sklaven<br />

in entfernteren Weltgegenden als Lingua Franca akzeptiert werden musste. Die L1 der<br />

Sprecher war dabei in der Regel nicht einheitlich. Der Erwerb der L2 (= der europäischen<br />

Kolonialsprache) war sehr rudimentär; das lexikalische Material stammte aus dieser<br />

Prestigesprache (sie wird deshalb auch als „lexifier language“ bezeichnet), es konnte dabei zu<br />

einem großen Teil phonetisch verändert werden 5 . Eine solcherart rudimentäre Sprache wurde<br />

den Kindern weitergegeben, und sie zwang auch die L1-Sprecher der Prestigesprache, sich im<br />

Umgang mit den L2-Sprechern an diese Sprachform anzupassen. Mit der Zeit stellte sich so<br />

ein Usus ein. Diese Art von Pidgins ist im wesentlichen eine Art linguistisches Produkt aus<br />

der Kolonialzeit.<br />

Die andere Form des Pidgins unterscheidet sich von der ersten vor allem aus<br />

soziolinguistischer Sicht, nicht jedoch in ihren strukturellen Eigenheiten. Bei ihr gibt es kein<br />

(oder nur ein wesentlich geringeres) Prestigegefälle zwischen den beteiligten<br />

Kontaktsprachen, aus denen sich ein Pidgin ergibt; und es diente nicht als Input-Sprache für<br />

den Spracherwerb einer nachfolgenden Generation (weshalb sich aus ihm auch kein Kreol<br />

entwickelt). Zwei der bekanntesten Fälle sind das chinesisch-englische Pidgin, entstanden im<br />

19. Jahrhundert in südchinesischen Hafenstädten, und das Russenorsk, ein russischnorwegisches<br />

Pidgin, gesprochen von Händlern um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert<br />

am europäischen Eismeer.<br />

4) Soziolinguistik (inkl. Dialektologie)<br />

Soziolinguistik wäre von der ‘Soziologie des Sprechens’ und der Ethnolinguistik<br />

abzugrenzen. In ersterer geht es um die strukturellen, d.i. linguistisch erforschbaren<br />

Manifestationen sozialer (sowie zum Teil auch biologischer) und kommunikativ bedingter<br />

Unterschiede 6 innerhalb größerer Sprecherkollektive, letztere sind dagegen eine Teildisziplin<br />

der Soziologie bzw. der Ethnologie (vgl. dazu die Ethnologie des Sprechens als eigenen<br />

Forschungszweig); sie gehen damit von anderen Ziel- und Akzentsetzungen aus. Im<br />

„klassischen“ Sinne konzentriert sich die Soziolinguistik (vor allem im angelsächsischen<br />

Raum) auf die Erforschung der Kovarianz zwischen sprachlichen (strukturellen) Variablen<br />

und solchen Parametern wie Alter, Geschlecht und soziale Zugehörigkeit (vgl. Chambers<br />

4<br />

Zur Entstehung und den Arten von Pidgins und Kreolsprachen gibt es verschiedene, zum Teil divergierende<br />

Standpunkte. Für gute Überblicke vgl. Bechert/Wildgen (1991: 129ff.), Thomason/Kaufman (1991: Kap. 7).<br />

5<br />

So stellt die Bezeichnung ‘Pidgin’ selbst eine Verballhornung von engl. business dar. Sie entstammt dem<br />

chinesisch-englischen Pidgin aus dem 19. Jahrhundert, welches allerdings dem zweiten Haupttyp entspricht<br />

(s.u.).<br />

6<br />

Sie wird auch als „sekulär“ bezeichnet. Als klassisches Beispiel einer solchen Arbeit kann man etwa auf Labov<br />

(1972) verweisen.<br />

4

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