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organischen Lebens nachzuahmen, haben auf ihre Art und Weise das Äquivalent<br />
der Mühe, des Alterns, des Mißgeschicks erlitten. Sie haben sich verwandelt, wie<br />
die Zeit uns verwandelt. Das Gemetzel der Christen oder der Barbaren, die<br />
Umstände, unter denen sie bis zu ihrer Entdeckung unter der Erde, welche sie<br />
uns schließlich zurückerstattet hat, verbracht haben, die klugen und törichten<br />
Restaurierungen, die zu ihrem Vorteil beziehungsweise Nachteil waren, die Verkrustungen<br />
beziehungsweise die echte oder unechte Patina, alles, bis hin zur<br />
Atmosphäre in den Museen, wo sie heutzutage aufbewahrt werden, kennzeichnet<br />
für immer den Metall- oder Steinkörper. Einige dieser Veränderungen sind sublim.<br />
Zu der Schönheit, wie ein menschliches Gehirn, eine Epoche, eine besondere<br />
Gesellschaftsform sie beabsichtigt hatte, gesellt sich eine unabsichtliche<br />
Schönheit hinzu, die mit den Wechselfällen der Geschichte einhergeht und mit<br />
den Auswirkungen natürlicher Ursachen oder der Zeit zusammenhängen«,<br />
schrieb Marguerite Yourcenar. 3<br />
Seine Köpfe, die Aphroditen, Diadumenen, Victorien versetzt Meyer in einen<br />
feierlichen Schwebezustand. Eingefangen im Moment, der den verweigerten<br />
Blick wiedergibt, umflutet von Luft, Erde und Athmosphäre, als Rundplastiken<br />
oder ausgeschnitten wie moderne Ikonen auf undefinierbarem und irrealem<br />
Bildgrund, drängen sie groß auf den reduzierten Dimensionen der Leinwand in<br />
den Vordergrund. Sie werden durchkreuzt von quer verlaufenden Farbbändern,<br />
die auf die Erdschichten anspielen, aus denen sie zutage getreten sind, eine Art<br />
Gedächtnisgeologie: eine neue Distanz, ein neuer Raum, real und symbolisch<br />
zugleich tut sich nun dem Betrachter auf. Es sind Verschleierungen, welche die<br />
Bedeutung der Zeit interpretieren, Lasierungen, die zusammen mit dem Ausschnitt,<br />
der Festlegung der Maße, der scheinbaren Mystifikation des leuchtenden<br />
Gelb und des künstlichen Blau die Grenze zwischen Realität und Abstraktion<br />
verwischen. Den bereits versehrten Statuen fügt der Künstler ungewohnte<br />
Schnitte zu, zerbricht erneut mit seiner Malerei die Fragmente der Skulpturen,<br />
die Architekturen werden abgeschnitten, ihre Details werden in die Nähe bzw. in<br />
die Ferne gerückt und verlieren an Schärfe.<br />
Die Landschaften erscheinen wie kleine Ansichten aus den Skizzenbüchern<br />
früher Reisender, irreal in ihrem Ockergelb, in das sie getaucht sind als seien sie<br />
von einem plötzlichen Blitz durchzogen, oder im nordischen Nachtblau, das die<br />
weißen Reflexe der Säulen soeben aufhellt. Die zierlichen Säulen bilden auf der<br />
Leinwand Gruppen von zwei oder drei, wie die kleinen Bronzearbeiten, die antike<br />
Bauwerke neu deuten und in klassischer Form eine Klassizität erfinden, die<br />
es nie gegeben hat: erodierte und gekrümmte Säulen, als seien auch sie von der<br />
Erde freigelegt worden, Überreste aus einer alten Schmiede, Fundstücke imaginärer<br />
Ausgrabungen. Skulptur und Architektur durchdringen und vermengen<br />
sich, gehen ineinander über.<br />
Auch in den übermalten Fotos werden sie zusammengefügt, während durch<br />
den Farbauftrag eine unwirkliche Patina erzeugt wird, Gelb und Blau, als sei es<br />
eine überzogene Nachahmung der Farbe künstlicher Tage und Nächte. Meyer<br />
durchläuft den Klassizismus Palladios mit jenem vielschichtigen Empfinden, das<br />
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