Download als PDF - Evangelische Akademikerschaft in Deutschland
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Wer aufmerksam Themen und Diskussionen <strong>in</strong> der<br />
Gesellschaft verfolgt, der stößt immer wieder auf<br />
e<strong>in</strong>e Gemengelage von Themen, die sich – durchaus<br />
auch im Umfeld der Sorge um den Zustand der<br />
Umwelt und die Klimaentwicklung – um die Frage<br />
nach der Schöpfung und <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />
um die Frage nach Gott, um die Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
um die Evolutionstheorie, den Kreationismus<br />
und das <strong>in</strong>telligent design drehen. Dazu gehört auch<br />
die Frage, ob der Mensch dem Schöpfer <strong>in</strong>s Handwerk<br />
pfuschen darf: Fragen der Gentechnologie und<br />
der Frage, wer Herr über Leben und Tod ist.<br />
E<strong>in</strong> weiterer Kontext ist die Renaissance des Religiösen<br />
und die erstaunte Feststellung, dass Religion<br />
sich nicht e<strong>in</strong>fach verflüchtigt, je aufgeklärter die<br />
Menschen werden. Nach e<strong>in</strong>er aktuellen Studie der<br />
Bertelsmann-Stiftung bezeichnen sich zwei Drittel<br />
der Menschen <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> <strong>als</strong> religiös bis hochreligiös.<br />
Das <strong>als</strong>o ist der H<strong>in</strong>tergrund für die folgenden<br />
Überlegungen, die vordergründig zunächst ihren<br />
aktuellen Anlass im Gespräch zwischen christlichem<br />
Glauben und Naturwissenschaft, zwischen<br />
Evolutionslehre und Schöpfungsglauben haben. E<strong>in</strong><br />
Gespräch, dessen H<strong>in</strong>tergrund aber sehr viel über<br />
Entwicklungen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft und allgeme<strong>in</strong>e<br />
Grundhaltungen verrät, Entwicklungen, bei<br />
denen es mir wichtig ersche<strong>in</strong>t, hier aus kirchlicher<br />
Sicht auch öffentlich Stellung zu beziehen.<br />
Charles Darw<strong>in</strong><br />
Thema Atheismus<br />
Schöpfungsglauben und Evolutionsverständnis<br />
E<strong>in</strong> Beitrag zur Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem “neuen Atheismus”<br />
von Gebhard Fürst<br />
Der aggressive “neue Atheismus” richtet erneut Grenzen<br />
zwischen Naturwissenschaften und Theologie sowie Kirche<br />
auf, die längst überwunden s<strong>in</strong>d. In der Folge unterläuft er<br />
die tragenden Grundwerte unserer Gesellschaft; er stellt die<br />
Basis für Wirtschafts- und Sozialdarw<strong>in</strong>ismus.<br />
Das Jahr 2009 wurde vielfach <strong>als</strong> Darw<strong>in</strong>jahr ausgerufen.<br />
Vor 200 Jahren, am 12. Februar 1809, wurde<br />
Charles Darw<strong>in</strong> geboren. Zudem veröffentlichte<br />
Darw<strong>in</strong> se<strong>in</strong> zentrales Werk Über die Entstehung der<br />
Arten durch natürliche Auslese im November 1859,<br />
<strong>als</strong>o vor 150 Jahren.<br />
Darw<strong>in</strong>s Theorie war e<strong>in</strong>e Antwort auf die zu<br />
se<strong>in</strong>er Zeit <strong>in</strong> der Luft liegende Frage nach der Konstanz<br />
oder Veränderlichkeit der Arten. Und es ist<br />
auch heute unbestreitbar, dass der Kerngehalt des<br />
Darw<strong>in</strong>ismus – Selektion <strong>als</strong> e<strong>in</strong> mächtiges Motiv<br />
bei der Entwicklung der Artenvielfalt – bisher die<br />
tauglichste Hypothese zur Erklärung der biologischen<br />
Geschichte ist. Was die Frage von allem Anfang<br />
an theologisch brisant machte, hat mit unserem<br />
Staunen vor der ungeheuren Vielfalt und Komplexität<br />
der Organismen zu tun.<br />
Die Evolutionslehre war lange Zeit auch mit<br />
ungeprüften weltanschaulichen Voraussetzungen<br />
belastet, die den Konflikt mit dem christlichen Glauben<br />
verstärkten. So wurde die Grundüberzeugung<br />
auch <strong>in</strong> andere Wissenschaften und Kulturgebiete<br />
übertragen – nicht zuletzt auch auf die Ethik –, dass<br />
nämlich die Evolution die Best-Angepassten mit<br />
dem Sich-Durchsetzen belohnt. Dieses “Recht des<br />
Stärkeren” wurde dom<strong>in</strong>ant.<br />
E<strong>in</strong>e vergröbernde und gezielte Popularisierung<br />
brachte dann erst vollends den Konflikt. Das Darw<strong>in</strong>-Jahr<br />
2009 hat die Ause<strong>in</strong>andersetzung um die<br />
Frage Darw<strong>in</strong>ismus und Schöpfungsglaube verschärft.<br />
Mit der Ablehnung des Schöpfungsglaubens<br />
geht auch die Bestreitung Gottes e<strong>in</strong>her.<br />
Der Darw<strong>in</strong>ismus liefert vielen das Argumentationsmaterial<br />
für die atheistische Position, Gott existiere<br />
nicht. Vere<strong>in</strong>facht wird zum Beispiel gesagt:<br />
“Der Mensch hat sich aus dem Tierreich entwickelt,<br />
<strong>als</strong>o braucht es ke<strong>in</strong>en Schöpfer.” Überhaupt entstehe<br />
und entwickle sich das Leben aus sich selbst.<br />
evangelische aspekte 4/2009 9
Thema Atheismus<br />
10<br />
Deshalb gelte es, den unaufgeklärten Schöpfungsund<br />
Gottesglauben endlich ad absurdum zu führen.<br />
Wie weit das geht, zeigen besonders deutlich die<br />
Forderungen der Giordano Bruno Stiftung anlässlich<br />
des Darw<strong>in</strong>-Jahres, e<strong>in</strong> “Evolutionsfeiertag” solle<br />
das Fest Christi Himmelfahrt ersetzen. Denn der<br />
Staat, so die Stiftung, müsse den Atheismus bei den<br />
Feiertagen gleichberechtigt berücksichtigen.<br />
Der Darw<strong>in</strong>ismus und die Theologie<br />
Dr. Gebhard Fürst<br />
Das ist der größere Kontext und H<strong>in</strong>tergrund: Aus<br />
e<strong>in</strong>em unterschwellig vorhandenen Agnostizismus<br />
ist e<strong>in</strong> offensiv auftretender und<br />
sich <strong>in</strong>szenierender “neuer Atheismus”<br />
geworden. Hierzu möchte<br />
ich gern Stellung beziehen.<br />
Deshalb zunächst konkret<br />
ist Bischof der<br />
Diözese Rottenburg-Stuttgart.<br />
Dieser Beitrag<br />
geht zurück auf e<strong>in</strong>en Vortrag, den<br />
der Verfasser erstm<strong>als</strong> auf dem<br />
Herbstfest des Bischofs <strong>in</strong> Stella<br />
e<strong>in</strong>ige Bemerkungen im Umkreis<br />
von Darw<strong>in</strong>’schem Evolutionsverständnis<br />
und christlichem<br />
Schöpfungsglauben. Unaufgeregten<br />
Zeitgenossen ist seit langem<br />
klar: Die Naturwissenschaften<br />
Maris, Stuttgart, am 20. September und die theologische Deutung<br />
2009 gehalten hat. Der mündliche der Weltentstehung gehen zu-<br />
Text wurde nur ger<strong>in</strong>gfügig überarnächst e<strong>in</strong>mal verschiedene<br />
beitet.<br />
Wege und dürfen nicht mite<strong>in</strong>ander<br />
vermischt werden.<br />
Berücksichtigt man diese<br />
Prämisse, lässt sich durchaus sagen: Die Evolutionstheorie<br />
ist, sofern sie nicht über ihre Methode<br />
h<strong>in</strong>ausgehende Aussagen trifft, grundsätzlich mit<br />
der Bibel und der kirchlichen Lehre vere<strong>in</strong>bar, da es<br />
sich dabei eben um zwei Sichtweisen auf e<strong>in</strong><br />
Geschehen handelt. E<strong>in</strong>erseits um die naturwissenschaftliche<br />
Erklärung, andererseits um die theologische<br />
Dimension und Deutung der Entstehung der<br />
Welt und der Schöpfung <strong>in</strong>sgesamt.<br />
Diese Klärung ist längst erfolgt. Sowohl Natur<strong>als</strong><br />
auch Geisteswissenschaftler s<strong>in</strong>d sich darüber<br />
e<strong>in</strong>ig, dass weder die Tatsache der Evolution noch<br />
die darw<strong>in</strong>istische Interpretation auf Fragen nach<br />
dem S<strong>in</strong>n beschriebener Ereignisse Antworten geben<br />
können. Denn Fragen über S<strong>in</strong>n und Bedeutung<br />
e<strong>in</strong>er Entwicklung liegen ausdrücklich jenseits des<br />
Bereichs der Naturwissenschaften (Vgl. zu diesem<br />
Themenkomplex <strong>in</strong>struktiv und fächerübergreifend:<br />
Klose, Joachim; Oehler, Jochen (Hrsg.), Gott oder<br />
Darw<strong>in</strong>? Vernünftiges Reden über Schöpfung und<br />
evangelische aspekte 4/2009<br />
Evolution, Berl<strong>in</strong> 2008). Man kann sich nur wundern,<br />
wie wenig <strong>in</strong> der derzeitigen – aus Anlass des<br />
Darw<strong>in</strong>-Jahres lautstark <strong>in</strong>szenierten – Diskussion<br />
Kenntnisse über die <strong>in</strong>tensive Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
der Theologie mit e<strong>in</strong>em evolutiven Weltverständnis<br />
wirksam s<strong>in</strong>d.<br />
Teilhard de Chard<strong>in</strong> – um e<strong>in</strong>en prom<strong>in</strong>enten<br />
Namen zu nennen – hat hier über viele Jahrzehnte<br />
Bedeutendes geleistet. Denn Teilhard war nicht nur<br />
e<strong>in</strong> brillanter Theologe, sondern auch e<strong>in</strong> Naturwissenschaftler<br />
und Forscher mit großen Kenntnissen<br />
gerade im Bereich der Evolutionsforschung. Mit se<strong>in</strong>em<br />
so klaren wie e<strong>in</strong>fachen Merksatz: “Gott macht,<br />
dass die D<strong>in</strong>ge sich selber machen”, baute er e<strong>in</strong>e<br />
tragfähige Brücke zwischen den verschiedenen<br />
Denk- und Deutungsmustern, mit denen Naturwissenschaft<br />
und Glaube die Entstehung der Welt erklären.<br />
Gott macht, dass die D<strong>in</strong>ge sich selber machen:<br />
Es wird <strong>als</strong>o ke<strong>in</strong> plumper Denkgegensatz zwischen<br />
den wissenschaftlichen Erklärungsmustern etwa der<br />
Evolutionsforschung und der Genetik e<strong>in</strong>er- und<br />
den Glaubenssätzen der Schöpfungserzählungen<br />
andererseits aufgebaut. Solche tiefer gehenden,<br />
heute aber weith<strong>in</strong> anerkannten Grundlagen der<br />
Verständigung werden von populistisch vere<strong>in</strong>fachenden<br />
Autoren bewusst ignoriert.<br />
Der Neo-Atheist Schmidt-Salomon zum Beispiel<br />
lässt die Held<strong>in</strong> se<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>derbuchs mit dem Titel<br />
Susi Neunmalklug erklärt die Evolution die Schöpfungserklärung<br />
ihres Lehrers mit Häme und Gelächter<br />
kommentieren: “E<strong>in</strong>en so doofen Gott kann es<br />
gar nicht geben! Gott ist so was wie e<strong>in</strong> Riesen-<br />
Osterhase für Erwachsene!” Für Susi Neunmalklug<br />
ist klar, dass alle<strong>in</strong> Urknall und Evolutionslehre <strong>als</strong><br />
Ursache und ausreichende Erklärung für die Entstehung<br />
von Welt und Menschen ausreichen.<br />
Hier wird auf den ersten Blick klar, dass diese<br />
Polemik ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>en modernen Gottes- und<br />
Schöpfungsglauben, sondern allenfalls dessen verkürzte<br />
Karikatur – den Kreationismus – trifft. Dieser<br />
vor allem <strong>in</strong> Amerika existierende Kreationismus<br />
erklärt die biblische Schöpfungsgeschichte für e<strong>in</strong><br />
naturwissenschaftliches Lehrbuch über die tatsächliche<br />
Entstehung des Universums und des Lebens.<br />
Die theologische Schöpfungslehre fragt dagegen,<br />
warum überhaupt etwas ist. Den Schöpfungsaussagen<br />
der Bibel geht es nicht um e<strong>in</strong>e Beschreibung<br />
des Wie, sondern um e<strong>in</strong> grundlegendes Verständnis<br />
für das Das des Se<strong>in</strong>s. Es fällt <strong>in</strong> die Kompetenz<br />
der Naturwissenschaften zu erklären, wie<br />
die Welt entstanden ist; auf dieser Ebene lassen sich
aus dem biblischen Schöpfungsglauben und dem<br />
theologischen Schöpfungsbegriff ke<strong>in</strong>e Aussagen<br />
ableiten, die <strong>in</strong> Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen und Theorien treten könnten.<br />
Dialog Naturwissenschaft-Kirche<br />
Versuche, beide Denk- und Sprachwelten zusammenzuzw<strong>in</strong>gen,<br />
übersehen etwas ganz Grundlegendes:<br />
Biblische Schöpfungsaussagen s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e protokollartigen<br />
Berichte über den Entstehungsvorgang<br />
der Welt, sondern ursächliche S<strong>in</strong>ndeutungen. Der<br />
Glaube der Bibel, dass die Schöpfung – bildlich<br />
gesprochen – im Letzten aus der Hand des Schöpfers<br />
kommt, und me<strong>in</strong> eigener Glaube an den<br />
Schöpfer müssen <strong>als</strong>o durch die Erkenntnisse der<br />
Evolutionstheorie nicht <strong>in</strong> Frage gestellt werden, da<br />
es sich um zwei unterschiedliche Erkenntniswege<br />
handelt. Sie bereichern sich gegenseitig. Wer<br />
behauptet, dass Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliche<br />
Erklärung e<strong>in</strong>ander ausschlössen,<br />
stellt e<strong>in</strong>e irrtümliche Behauptung auf.<br />
In solchen Behauptungen wird bewusst ignoriert,<br />
wie differenziert und sauber argumentiert es<br />
längst Gespräche, Austausch und Verständigung<br />
zwischen Theologie und Naturwissenschaft gerade<br />
auch auf dem Gebiet der Evolutionsfragen gibt. Hier<br />
wird e<strong>in</strong>fach verschwiegen, dass <strong>in</strong> der Katholischen<br />
Kirche auch lehramtlich längst e<strong>in</strong>deutig und<br />
höchst differenziert Stellung genommen wurde.<br />
So hat bereits Papst Pius XII. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rede aus<br />
dem Jahr 1941 und später <strong>in</strong> der Enzyklika “Humani<br />
generis” (1950) e<strong>in</strong>deutig erklärt, dass die Kirche<br />
nichts dagegen e<strong>in</strong>zuwenden habe, dass<br />
“die Evolutionslehre (<strong>in</strong>sofern sie nämlich den<br />
Ursprung des menschlichen Leibes aus schon existierender<br />
und lebender Materie erforscht) [...]<br />
gemäß dem heutigen Stand der menschlichen Wissenschaften<br />
und der Theologie <strong>in</strong> Forschungen und<br />
Erörterungen von Gelehrten <strong>in</strong> beiden Feldern<br />
behandelt werde, und zwar so, dass die Gründe beider<br />
Auffassungen, nämlich der Befürworter und der<br />
Gegner, mit der nötigen Ernsthaftigkeit, Mäßigung<br />
und Besonnenheit erwogen und beurteilt werden.”<br />
In eben dieser Richtung hatte etwa Papst Johannes<br />
Paul II. 1985 e<strong>in</strong>deutig erklärt: “Recht verstandener<br />
Schöpfungsglaube und recht verstandene Evolutionslehre<br />
stehen sich nicht im Wege: Evolution setzt<br />
Schöpfung voraus.” Gerne er<strong>in</strong>nere ich hier auch<br />
nochm<strong>als</strong> an den Merksatz von Teilhard: “Gott<br />
macht, dass die D<strong>in</strong>ge sich selber machen.” Christlicher<br />
Schöpfungsglaube geht davon aus, dass Gott<br />
die Grundlage, den Ausgangspunkt, den notwendigen<br />
(<strong>in</strong>neren und äußeren) Impuls gibt, dass überhaupt<br />
Werden und Entstehen beg<strong>in</strong>nen und sich<br />
Vielfalt entfalten kann.<br />
Der Konkurrenzsituation zwischen Evolutionstheorie<br />
und Schöpfungsglauben ist e<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende<br />
Absage erteilt. Gott ist nach christlichem Verständnis<br />
ke<strong>in</strong> Handwerker, der <strong>als</strong> Lückenbüßer e<strong>in</strong>greift<br />
und e<strong>in</strong>fach nur mehr oder weniger statische<br />
D<strong>in</strong>ge macht. Er ist nach moderner, theologischkirchlich<br />
weith<strong>in</strong> akzeptierter Schöpfungstheologie<br />
vielmehr die Ursache, die Grundlage, die ermöglicht,<br />
dass etwas entsteht, wächst und sich entwickelt.<br />
Gegenwärtig sche<strong>in</strong>t es allerd<strong>in</strong>gs so, dass die<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung im Umkreis des Darw<strong>in</strong>ismus<br />
und der Evolutionslehre für manche nur e<strong>in</strong> willkommener<br />
Anlass ist, um hier auch grundsätzlicher<br />
aus e<strong>in</strong>er atheistischen Position heraus gegen Glauben,<br />
Christentum und Kirche zu polemisieren.<br />
Gemäß der Maxime: “E<strong>in</strong>e Institution, die e<strong>in</strong>en –<br />
so wie Susi Neunmalklug das formuliert – Gott <strong>als</strong><br />
‘Oster-Hasen für Erwachsene’ vorstellt, ist auch<br />
ansonsten für denkende Menschen ke<strong>in</strong>eswegs<br />
ernst zu nehmen und trägt allenfalls zur Verdummung<br />
bei.”<br />
Der “neue Atheismus”<br />
Teilweise ist der E<strong>in</strong>druck nicht von der Hand zu<br />
weisen, dass e<strong>in</strong>ige Organisationen wie etwa die<br />
Giordano Bruno Stiftung oder die so genannte<br />
Humanistische Union das Darw<strong>in</strong>-Jahr lediglich <strong>als</strong><br />
Vehikel benutzen, um ihre Thesen auf offensiv werbende<br />
und teilweise auch auf subtil-aggressive Art<br />
<strong>in</strong> die Gesellschaft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zutragen. Und darum gilt<br />
es für uns, hier sehr wachsam zu se<strong>in</strong>, zur notwendigen<br />
Klärung und Unterscheidung der Geister beizutragen<br />
und selbst offensiv Stellung zu beziehen.<br />
E<strong>in</strong>es der wichtigsten Argumente der Religionskritiker<br />
ist es, den Gottesglauben aus e<strong>in</strong>em Bedürfnis<br />
des Menschen heraus zu erklären. Es gebe vitalbiologische<br />
Bedürfnisse, für die man Gott nicht<br />
brauche.<br />
Dieses Denkmuster des nach menschlichen<br />
Bedürfnissen geschaffenen Gottes ist schon von<br />
Ludwig Feuerbach her bekannt. Es tauchte auch<br />
schon <strong>in</strong> der antiken Polemik gegen den Götterglau-<br />
Thema Atheismus<br />
evangelische aspekte 4/2009 11
Thema Atheismus<br />
12<br />
ben auf und begegnet heute wieder. Allerd<strong>in</strong>gs, das<br />
muss man sagen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er plumpen und plakativen<br />
Art. Über die Dürftigkeit der Argumente kann man<br />
sich nur wundern. Andere erklärte Atheisten distanzieren<br />
sich von so dürftigem Argumentationsniveau,<br />
weil sie wissen, dass diese Art plumper Polemik<br />
den eigenen, seriös vorgetragenen atheistischen<br />
Positionen nur schaden kann (Vgl. dazu EZW-Texte<br />
204. Schöpfungsglaube zwischen Anti-Evolutionismus<br />
und neuem Atheismus).<br />
Der amerikanische Autor Richard Dawk<strong>in</strong>s<br />
ergeht sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch – das man eher e<strong>in</strong><br />
wütendes Pamphlet nennen müsste – Der Gotteswahn<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Polemik. Da wird ke<strong>in</strong> Klischee<br />
ausgelassen und ersichtlich darauf abgezielt, e<strong>in</strong>e<br />
religiöse Leserschaft zu provozieren mit der These,<br />
dass der, der da <strong>als</strong> Weltengrund und Ursprung<br />
allen Dase<strong>in</strong>s geglaubt werde, <strong>in</strong> Wahrheit e<strong>in</strong> unaufgeklärtes<br />
Hirngesp<strong>in</strong>st sei.<br />
Große Zeitungen stuften diese Veröffentlichungen<br />
<strong>als</strong> “säkularen Fundamentalismus” e<strong>in</strong>, nannten<br />
Dawk<strong>in</strong>s e<strong>in</strong>en “biologische(n) Hassprediger”.<br />
Der Spiegel sah e<strong>in</strong>en “Kreuzzug der Gottlosen” <strong>in</strong><br />
Gang gekommen.<br />
Dawk<strong>in</strong>s ist an der Praxis der Religion <strong>in</strong>teressiert,<br />
<strong>als</strong>o zum Beispiel auch an der Frage, warum<br />
sie so verbreitet ist. Zur Beantwortung dieser Frage<br />
greift er nun <strong>in</strong>teressanterweise auf Charles Darw<strong>in</strong><br />
zurück und erklärt den erstaunlicherweise immer<br />
noch allgegenwärtigen Glauben an Gott <strong>als</strong> evolutionäres<br />
Nebenprodukt. Religiöse Gedanken s<strong>in</strong>d für<br />
Dawk<strong>in</strong>s nicht mehr <strong>als</strong> mentale Viren, die sich<br />
ähnlich e<strong>in</strong>em Computervirus von Gehirn zu Gehirn<br />
verbreiten.<br />
Die K<strong>in</strong>dern vermittelte religiöse Erziehung<br />
bezeichnet er dabei gar <strong>als</strong> geistigen K<strong>in</strong>desmissbrauch.<br />
Aus <strong>in</strong>fantilen Bedürfnissen entspr<strong>in</strong>ge<br />
andererseits die Erf<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es Gottes, der eben<br />
evangelische aspekte 4/2009<br />
genau diese Bedürfnisse befriedige. Hunger beweise<br />
aber nicht die Existenz von Brot; Durst beweise<br />
nicht, dass es so etwas wie Wasser geben müsse.<br />
Dawk<strong>in</strong>s versucht sich mit dem Instrumentarium<br />
e<strong>in</strong>er biologistischen Sprache an e<strong>in</strong>er Destruktion<br />
alles Religiösen. Religion ist für ihn e<strong>in</strong>st <strong>als</strong><br />
Instrument des Überlebenskampfes entstanden zur<br />
Förderung und Stärkung des Vertrauens <strong>in</strong> die Vorgaben<br />
von erfahrenen Anderen. Aber durch den<br />
Fortgang der Evolution sei sie längst zu e<strong>in</strong>em irrelevanten<br />
Nebenprodukt abgesunken. Die neu-atheistische<br />
Kurzformel heißt: “Jeder soll nach se<strong>in</strong>er<br />
Façon glücklich werden; Hauptsache, er versucht es<br />
ohne Gott.”<br />
Gesellschaftliche Folgen des “neuen<br />
Atheismus”<br />
Hierbei geht es bei weitem nicht nur um e<strong>in</strong>e theoretische<br />
Diskussion, die die Kirche zwar betrifft, die<br />
man aber <strong>in</strong>sgesamt eher den Fachwissenschaftlern<br />
und Universitäten überlassen könnte. Denn die<br />
Offensive des neuen Atheismus zielt darauf ab, das<br />
Klima, ja die Grundorientierungen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />
<strong>in</strong>sgesamt zu verändern.<br />
In se<strong>in</strong>er Bestreitung Gottes höhlt der Atheismus<br />
auch den Geltungsanspruch der Gebote Gottes<br />
für den Menschen aus. Dass es ke<strong>in</strong>en Gott gibt,<br />
gegenüber dem man letztlich Verantwortung zu tragen<br />
hat und vor dem man sich letztlich verantworten<br />
muss: Diese mit steigender Aggressivität vorgetragene<br />
Überzeugung nimmt <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />
zu.<br />
Die Bestreitung Gottes ist letztlich e<strong>in</strong>e Kampfansage<br />
auch an e<strong>in</strong>e b<strong>in</strong>dende Moral. Und auch e<strong>in</strong>e<br />
Kampfansage gegenüber dem <strong>in</strong> der Präambel unse-
es Grundgesetzes festgeschriebenen Grundsatz, die<br />
Verfassung unseres Geme<strong>in</strong>wesens und se<strong>in</strong>e Gestaltung<br />
stehe “<strong>in</strong> Verantwortung vor Gott und den<br />
Menschen”.<br />
Darum aber ist mir <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Überlegungen die<br />
Beleuchtung der Verb<strong>in</strong>dung von Atheismus und<br />
Darw<strong>in</strong>ismus so wichtig. Denn der Atheismus weitet<br />
das im Darw<strong>in</strong>ismus <strong>als</strong> <strong>in</strong>nere Dynamik der<br />
Evolution formulierte Gesetz – survival of the fittest<br />
– erheblich aus und entwickelt es leicht zum Wirtschaftsdarw<strong>in</strong>ismus<br />
und zum Sozialdarw<strong>in</strong>ismus:<br />
Die Entwicklung wird vorangetrieben durch das<br />
alle<strong>in</strong>ige Überleben des Stärkeren und Besseren –<br />
alles Andere hat ke<strong>in</strong> Recht zum Da-Se<strong>in</strong>.<br />
Könnte es nicht se<strong>in</strong>, dass die zunehmende Entwicklung<br />
<strong>in</strong> unserer Gesellschaft, alle Lebensbereiche<br />
unter den Maximen e<strong>in</strong>er bed<strong>in</strong>gungslosen Ökonomisierung<br />
zu betrachten und beurteilen, letztlich<br />
auch hier e<strong>in</strong>en unerkannten H<strong>in</strong>tergrund hat? Dass<br />
Wirtschaft und Banken ihre Grundregeln aus der<br />
Welt der Ökonomie schöpfen, mag noch nachvollziehbar<br />
se<strong>in</strong>. Wobei ja auch hier im letzten Jahr<br />
deutlich zu spüren war, woh<strong>in</strong> und <strong>in</strong> welche Abwege<br />
dieser Weg führt.<br />
Aber dass auch im sozialen Bereich, <strong>in</strong> den Fragen<br />
der Menschenwürde am Beg<strong>in</strong>n und am Ende<br />
des Lebens, bei den Entscheidungen <strong>in</strong> der Biomediz<strong>in</strong><br />
und so weiter stets der Maßstab bed<strong>in</strong>gungsloser<br />
Ökonomisierung gelten soll und damit alle<strong>in</strong> die<br />
Frage nach der Nützlichkeit und die Dom<strong>in</strong>anz des<br />
je Stärkeren und Fitteren, lässt mich sehr besorgt <strong>in</strong><br />
die Zukunft unserer Gesellschaft schauen. Mit der<br />
Menschenwürde und den Grundrechten der Menschen<br />
ist dies unvere<strong>in</strong>bar.<br />
Der neue offensive Atheismus fordert Christen<br />
heraus, Rechenschaft zu geben von ihrem Glauben.<br />
Und dies sei <strong>als</strong> Abschluss deutlich gesagt: Wer se<strong>in</strong><br />
Leben aus Glauben verantwortet führt, braucht dabei<br />
se<strong>in</strong>en Verstand ke<strong>in</strong>eswegs abzugeben.<br />
Christen s<strong>in</strong>d vielmehr herausgefordert, unseren<br />
Glauben mit den guten Argumenten, die für ihn<br />
sprechen, auch gegenüber den Herausforderungen<br />
der Gegenwart offensiv zu verteidigen. Denn die<br />
Attacken betreffen ke<strong>in</strong>eswegs nur die geistige Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
mit Christentum und Kirche. Auch<br />
die Grundlagen unseres Geme<strong>in</strong>wesens und unserer<br />
Gesellschaft s<strong>in</strong>d davon betroffen. Die moralischen<br />
Werte und tragenden Grundorientierungen unseres<br />
Zusammenlebens werden hier unterlaufen. Darum<br />
s<strong>in</strong>d gerade Christen herausgefordert, Stellung zu<br />
beziehen und die eigene Glaubensüberzeugung offensiv<br />
vertreten. ó<br />
Thema Atheismus<br />
evangelische aspekte 4/2009 13