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1<br />

Exerzitien des Ignatius und<br />

Existenzanalyse nach A. Längle –<br />

Zusammenschau zweier Wege<br />

von Rupert Dinhobl<br />

gewidmet<br />

dem Exerzitienhaus St. Altmann<br />

meinen Ausbildnern Alfried und Silvia Längle<br />

und vor allem meiner Frau<br />

Claudia<br />

eingereicht als Abschlußarbeit für die existenzanalytische Therapieausbildung<br />

im Juli 2003


2<br />

Inhalt<br />

1. Vorwort .................................................................................................................... 5<br />

2. Ziel und Aufriß der Wege......................................................................................... 8<br />

2.1. Ziel der Exerzitien und der Existenzanalyse ..................................................... 8<br />

2.2. Aufriß der Wege .............................................................................................. 14<br />

2.2.1. Das Vierwochenschema des Exerzitienbuches ........................................... 15<br />

2.2.2. Strukturmodell und Prozeßmodell der Existenzanalyse ............................... 17<br />

2.2.2.1. Strukturmodell: Die vier Grundmotivationen ............................................. 17<br />

2.2.2.1.1. Sein-Können...........................................................................................18<br />

2.2.2.1.2. Leben-Mögen ......................................................................................... 19<br />

2.2.2.1.3. Selbstsein-Dürfen .................................................................................. 20<br />

2.2.2.1.4. Handeln-Sollen ...................................................................................... 21<br />

2.2.2.2. Prozeßmodell: Die Personale Existenzanalyse (PEA) .............................. 22<br />

3. Personen und Wirkfaktoren ................................................................................ 24<br />

3.1. Grundhaltung des Exerzitanten bzw. Klienten ................................................ 24<br />

3.1.1. Grundhaltung des Exerzitanten ................................................................... 24<br />

3.1.2. Grundhaltung des Klienten .......................................................................... 25<br />

3.1.3. Zusammenschau ......................................................................................... 26<br />

3.2. Stellung des Exerzitienleiters bzw. des Therapeuten...................................... 27<br />

3.2.1. Nabenfunktion des Exerzitienleiters ............................................................. 27<br />

3.2.2. Phänomenologische Haltung des existenzanalytische Therapeuten ........... 29<br />

3.2.3. Zusammenschau ......................................................................................... 31<br />

3.3. Wirkfaktoren .................................................................................................... 32<br />

3.3.1. Wirkfaktoren der existenzanalytische Psychotherapie ................................. 32<br />

3.3.2. Wirkfaktoren in den Exerzitien ..................................................................... 33<br />

4. Phasen des Weges ............................................................................................ 35<br />

4.1. Sich auf den Weg einlassen ........................................................................... 35<br />

4.1.1 Prinzip und Fundament der Exerzitien .......................................................... 35<br />

4.1.2. Dasein-Können und die Frage nach dem Sinn ............................................ 37<br />

4.1.3. Zusammenschau ......................................................................................... 39<br />

4.2. Sich dem Abgrund stellen ............................................................................... 42<br />

4.2.1. Erste Exerzitienwoche ................................................................................. 42<br />

4.2.1.1. Prüfung des Gewissens (EB 24-44) .......................................................... 42<br />

4.2.1.2. Die täglichen fünf Übungen ....................................................................... 44


3<br />

4.2.1.3. Zusätze ..................................................................................................... 48<br />

4.2.2. Existenzanalytische Entsprechungen .......................................................... 48<br />

4.2.2.1. Existenzanalytisches Basistheorem .......................................................... 49<br />

4.2.2.2. Selbstdistanzierung, innerer Dialog, Selbsterfahrung ............................... 50<br />

4.2.2.2.1. Exkurs aus Bibel und Tradition .............................................................. 54<br />

4.2.2.3. Inauthentizität, Gewissen, Reue ............................................................... 59<br />

4.2.2.3.1. Biblisches Paradigma: Die Sünde des Königs David ............................. 62<br />

4.2.2.4. Angst ......................................................................................................... 62<br />

4.2.2.4.1. Biblische Beispiele: Abraham, Jakobs Kampf, Jesus am Ölberg ........... 66<br />

4.2.2.5. Emotion ..................................................................................................... 69<br />

4.3. Den Entschluß wagen ..................................................................................... 73<br />

4.3.1. Zweite Exerzitienwoche ............................................................................... 73<br />

4.3.1.1.Regeln zur Unterscheidung der Geister ..................................................... 74<br />

4.3.1.1.1. Regeln I ................................................................................................. 76<br />

4.3.1.1.2. Regeln II ................................................................................................ 85<br />

4.3.1.2. Erwägungen, Besinnungen und Betrachtungen der zweite Woche .......... 88<br />

4.3.1.2.1. . Der Ruf und die Betrachtungen von der Menschwerdung und der Geburt<br />

Jesu ....................................................................................................................... 88<br />

4.3.1.2.2. Besinnung über zwei Banner..................................................................90<br />

4.3.1.2.3. Besinnung über die drei Menschengruppen .......................................... 93<br />

4.3.1.2.4. Drei Weisen der Demütigung ................................................................. 95<br />

4.3.1.3. Vollzug der Erwählung .............................................................................. 98<br />

4.3.1.3.1. Das „Worüber“ der Erwählung ............................................................... 99<br />

4.3.1.3.2. Drei Zeiten der Erwählung ................................................................... 100<br />

4.3.1.3.3. Die zwei Arten der ruhigen Wahl .......................................................... 102<br />

4.3.1.4. Betrachtung zur Erlangung der Liebe ..................................................... 103<br />

4.3.2. Existenzanalytische Entsprechungen ........................................................ 107<br />

4.3.2.1. Personale Existenzanalyse (PEA) .......................................................... 107<br />

4.3.2.1.1. Phänomenologische Analyse – Eindruck (PEA 1) ............................... 110<br />

4.3.2.1.2. Innere Stellungnahme (PEA 2) ............................................................ 112<br />

4.3.2.1.3. Antwortende Ausführung – Ausdruck (PEA 3) ..................................... 115<br />

4.3.2.2. Wille – Willensstärkungsmethode ........................................................... 116<br />

4.3.2.3. Sinnerfassungsmethode ......................................................................... 120


4<br />

4.3.3. Paradigma einer existentiellen Lebenshaltung: Die Verkündigung an Maria<br />

............................................................................................................................. 121<br />

5. Nachwort ............................................................................................................. 124<br />

LITERATUR ......................................................................................................... 127<br />

BIBELSTELLEN ................................................................................................... 132


1. Vorwort<br />

5<br />

Der Grund, warum ich dieses Thema gewählt habe, ist ein sehr persönlicher. Die<br />

Haupttätigkeit während meiner 20 Jahre als Benediktiner von Göttweig war es, ein<br />

Exerzitienhaus aufzubauen und dieses dann 12 Jahre lang zu leiten. In dieser Zeit<br />

bestand meine Aufgabe vor allem darin, Gruppen, später vermehrt Einzelpersonen<br />

zu begleiten, die ihr Leben im Licht des Glaubens ausrichten wollten. Aus dieser<br />

Arbeit hat sich sehr bald ein Typus von Exerzitien entwickelt, der mir sehr zugesagt<br />

hat, nämlich Einzelexerzitien. Dafür haben sich Menschen in die Stille der<br />

klösterlichen Umgebung zurückgezogen, in dem sie ganz auf sich selbst<br />

zurückgeworfen waren. In den 5 bis 10 Tagen, die ein solcher Kurs dauert, gab es<br />

neben dem Stillschweigen – der Sinn besteht darin, bei sich zu bleiben – als<br />

Strukturelement das tägliche Gespräch von einer halben Stunde mit dem<br />

Exerzitienleiter. Darin geht es, die inneren Regungen der Seele zu besprechen,<br />

Dinge, die berühren, wahrzunehmen, neue Perspektiven, die sich eröffnen,<br />

weiterzuentwickeln. Auf der anderen Seite ist es aber auch entscheidend, sich den<br />

Schattenseiten zuzuwenden, den Dunkelheiten, Ängsten, der Trostlosigkeit. In den<br />

Gesprächen werden diese inneren Bewegungen gemeinsam im Licht des Glaubens<br />

zu deuten versucht. Ein weiteres wichtiges Element war die Betrachtung der Hl.<br />

Schrift. Ziel der Schriftbetrachtung ist es, die Stelle auf sich wirken zu lassen und zu<br />

erspüren, welche Regungen, Erkenntnisse diese in der eigenen Seele hervorruft. Die<br />

Hl. Schrift und die Stille sind sozusagen die Katalysatoren für die inneren<br />

Bewegungen, die dann Gegenstand für das Gespräch mir dem Exerzitien(beg)leiter<br />

sind. Diese Strukturelemente gehen auf das Exerzitienbuch des hl. Ignatius von<br />

Loyola (1491 – 1556) zurück, in dem versucht wird, den Exerzitanten in einem<br />

vierwöchigen Prozeß zu einem authentischen, christlichen Leben zu begleiten.<br />

Im Laufe meiner Tätigkeit merkte ich, daß viele Menschen mit kleineren, aber auch<br />

größeren psychischen Leiden zu Exerzitien kamen. Deshalb wuchs in mir der<br />

Wunsch, mir psychologisches, vor allem aber auch psychotherapeutisches Wissen<br />

anzueignen, eventuell auch eine Psychotherapieausbildung zu beginnen. Dies war<br />

damals aus verschiedenen Gründen nicht möglich. In dieser Zeit stieß ich immer<br />

wieder auf die Existenzanalyse in Form von Vorträgen von Alfried Längle, die mir<br />

Exerzitienteilnehmer brachten. Weiters erhielt ich einmal den Hinweis einer<br />

Einrichtung, mich zur Nachbetreuung eines Alkoholkranken an A. Längle zu wenden.


6<br />

Dabei spürte ich eine innere Nähe, eine Ähnlichkeit zwischen meiner bisher<br />

gemachten inneren Erfahrung und der Existenzanalyse. Nach meinem Austritt aus<br />

dem Benediktinerorden war es für mich klar und innerlich logisch, die<br />

Existenzanalyseausbildung zu beginnen. Im Laufe der Ausbildung stieß ich sehr oft<br />

auf Elemente, die mir mit Erfahrungen, die ich aus den Exerzitien hatte, sozusagen<br />

verwandt erschienen. Deshalb entstand bald der Gedanke, als Abschlußarbeit eine<br />

Zusammenschau beider Modelle, beider Wege zu versuchen 1<br />

. Fast 500 Jahre liegen<br />

zwischen diesen Entwürfen, der Bogen spannt sich vom Beginn der Neuzeit, - der<br />

Wende vom Mittelalter hin zur vertieften Entdeckung des Subjekts, die Zeit der<br />

Reformation und der Inquisition – bis zur Wende vom 20. auf das 21. Jahrhundert.<br />

Sprache, Umstände sind völlig verschieden, aber die Psyche des Menschen ist im<br />

Wesentlichen dieselbe geblieben. Darüber hinaus ist diese Arbeit auch ein Versuch,<br />

den roten Faden, die Kontinuität in meinem persönlichen Lebensverlauf zu<br />

entdecken, im „Gott Suchen“ (vgl. Benediktusregel 58,7) des Klosterlebens und im<br />

authentisch „Sinnvoll Leben“ (vgl. Längle 1994a) der Existenzanalyse.<br />

Als Methode für diese Arbeit wählte ich die abschnittsweise Darstellung des<br />

Exerzitienbuches, um im Anschluß daran die – meiner Meinung nach – innerlich<br />

verwandten Themen der Existenzananlyse zu besprechen. Ich habe weiters<br />

versucht, die wesentlichen Themen des Exerzitienbuches inklusive der zweiten<br />

Woche ohne Auslassung darzustellen, um nicht in die Gefahr des Eklektizismus zu<br />

kommen und vorschnell beide Entwürfe zu harmonisieren. Auch die sperrigen<br />

Passagen des Exerzitienbuches sollten zur Sprache kommen. Die dritte. und vierte.<br />

Exerzitienwoche habe ich nicht mehr behandelt, weil in ihnen meiner Meinung nach<br />

der innere Bezug zur Existenzanalyse fehlt. In diesen Abschnitten geht es um die<br />

bewußte Imitatio Christi, das Mitleben mit Passion und Auferstehung des Herrn. Mir<br />

ist des Weiteren bewußt, daß die einzelnen Themenkreise genauer behandelt<br />

werden könnten, vor allem auch was die Literatur betrifft. Meine Absicht aber war es,<br />

einen ersten Durchblick durch den ganzen Exerzitienprozeß zu geben, soweit er im<br />

Vergleich mit der Existenzanalyse relevant ist. Für die Feinarbeit – aus jedem<br />

Themenkreis könnte man eine Arbeit schreiben – bleibt noch viel Raum.<br />

1<br />

Eine Parallele zum Exerzitienbuch zieht auch JH Schulz – wenn auch nur punktuell – im „Autogenen<br />

Training“ (1991) 326, 337f.


7<br />

Noch einige Anmerkungen zur Arbeit. Als Text für das Exerzitienbuch wählte ich, falls<br />

nicht anders angegeben, die Übersetzung von Hans Urs v. Balthasar. Die Gründe<br />

dafür sind wieder persönliche: erstens habe ich während meiner 13 jährigen Tätigkeit<br />

als Exerzitienleiter diesen Text verwendet, zweitens hat mich Balthasar in meinem<br />

Theologieverständnis entscheidend geprägt. Darüber hinaus gibt es noch einen<br />

interessanten Zusammenhang. Balthasar hat in seiner Wiener Zeit, als er<br />

Germanistik studierte, bei R. Allers gewohnt (vgl. Krenski 1995, 14), der wiederum<br />

Lehrer von V. Frankl war. Balthasar fand seinen Weg in der Studentenzeit „weniger<br />

durch brillante Dozenten als durch Begegnung mit Inspiratoren, die ihn förderten und<br />

ihm persönlich verbunden waren .... So sprach er später von Rudolf Allers, Erich<br />

Przywara ... Paul Claudel...“ (Krenski 1995, 158f). - Im Text dieser Arbeit wird das<br />

Exerzitienbuch mit „EB“ zitiert. Die Zahl danach bezieht sich auf den jeweiligen<br />

Abschnitt. Ein zweites wichtiges ignatianisches Dokument ist die Autobiographie, die<br />

Ignatius selbst den Titel „Bericht des Pilgers“ gegeben hat. Dieser wird in der Arbeit<br />

mit „PB“ angegeben. Die Zahl gibt dann das jeweilige Kapitel an.<br />

Zwei persönliche Vorlieben fließen noch in diese Arbeit ein: Es ist einerseits der<br />

wiederholte Bezug auf die Hl. Schrift, sowohl des Alten als auch des Neuen<br />

Testaments. Die Bibel ist für mich der Grundtext jeglicher Spiritualität. Ignatius selbst<br />

sieht in der Schriftbetrachtung ein Kernstück des Exerzitienprozesses (vgl. EB 2,<br />

101-136, 262-312). Für ihn ist das Leben Jesu entscheidend. Ich persönlich glaube,<br />

daß auch das Altes Testament für den inneren Prozeß von großer Bedeutung ist. In<br />

der heutigen Exerzitienpraxis wird es vielfach verwendet. Andererseits besteht eine<br />

zweite Vorliebe im Rekurs auf die Benediktusregel, was aus meiner 20 jährigen<br />

Zugehörigkeit zum Benediktinerorden zu erklären ist. Das Dokument der<br />

Benediktusregel (Benedikt von Nursia lebte 480 – 547) gehört zum Grundbestand<br />

christlicher Spiritualität (vgl. dazu: Balthasar 1980). Zudem hat Ignatius auch einen<br />

wichtigen biographischen Bezug zum Benediktinischen: im Kloster Montserrat hatte<br />

er ein entscheidendes Bekehrungserlebnis und erhielt wichtige Impulse für die<br />

Schriftbetrachtung (vgl. dazu Kiechle 2001, 25f) .Die Benediktusregel wird im Text<br />

immer mit „RB“ (Regula Benedicti) zitiert. Die erste Zahl bezieht sich auf das Kapitel,<br />

die zweite auf den Vers.


2. Ziel und Aufriß der Wege<br />

2.1. Ziel der Exerzitien und der Existenzanalyse<br />

8<br />

Am Anfang dieser Arbeit soll das Ziel der Exerzitien und der Existenzanalyse<br />

beschrieben und eine Definition beider Wege (im Sinn von Met-hode) gegeben<br />

werden. Lassen wir zuerst Ignatius selbst zu Wort kommen, der an den Beginn des<br />

Exerzitienbuches eine Definition von Geistlichen Übungen, wie er die Exerzitien<br />

bezeichnet, gibt (EB 1).<br />

Unter geistlichen Übungen versteht man jede Art, das Gewissen zu erforschen<br />

(considerar), sich zu besinnen (meditar), zu betrachten (contemplar), mündlich und im<br />

Geiste (mental) zu beten und andere geistige Tätigkeiten, wie später<br />

erklärt wird. Denn wie Lustwandeln, Ausschreiten und Laufen körperliche Tätigkeiten<br />

sind, so nennt man geistliche Übungen jede Weise, die Seele vorzubereiten (preparar)<br />

und in Bereitstellung zu setzen (disponer) , dazu hin<br />

(para), alle ungeordneten Neigungen (affectiones) von sich zu tun, und nachdem sie<br />

abgelegt sind, (para) den göttlichen Willen zu suchen und zu finden in der Einrichtung<br />

(disposicion) des eigenen Lebens, (para) zum Heil (salud) der<br />

Seele


9<br />

Köster (1999, 34f) sieht den Schwerpunkt dieser Definition im letzten Glied des<br />

dreifach finalen Satzgefüges (dreimal para), nämlich in salud, das die Bedeutung<br />

sowohl von Gesundheit als auch von spiritueller Ganzheit (Heil) einschließt. Er deutet<br />

den oben zitierten Text (EB 1) als ganzheitliches prozeßhaftes Geschehen: Der<br />

Mensch soll sich im Prozeß der Exerzitien innerlich von dem lösen, was seiner<br />

innersten Bestimmung widerspricht, um sich vielmehr darauf auszurichten, was<br />

seiner innersten Bestimmung entspricht, um so seelisch heil und gesund zu werden<br />

(Köster 1999, 34). Zusammenfassend beschreibt Köster (1999, 35) das Ziel der<br />

Exerzitien „in der Ausrichtung des Lebens auf Gott seelisch - geistlich gesund und<br />

heil zu werden, auf jene einmalige Ganzheit hin zu wachsen, zu der jeder Mensch<br />

von Gott angelegt ist.“ Abschließend wird noch Irenäus von Lyon (+202) zitiert: “Die<br />

Ehre Gottes ist der lebendige Mensch“ (Köster 1999, 35).<br />

Bemerkenswert ist weiterhin eine Kurzdefinition der Exerzitien, die Ignatius in EB 21<br />

gibt. Er sieht den Sinn der geistlichen Übungen darin, „sich selbst zu überwinden und<br />

sein Leben zu ordnen, ohne sich durch irgendeine Neigung, die ungeordnet wäre,<br />

bestimmen zu lassen“ (EB 21). Es geht auch in dieser Beschreibung um die<br />

Entfernung, Überwindung ungeordneter 2<br />

Neigungen, m. a. W. um die Befreiung von<br />

a-personaler Fremdbestimmung. Die dadurch erreichte Selbstverfügbarkeit und<br />

Selbstbestimmung ist keine absolute, sie ist rückgebunden an den Schöpfer. Wie<br />

nun diese Überwindung geschieht, ist Gegenstand der erste Woche (4.2). In der 3.<br />

Woche wird dann das Suchen und Finden des göttlichen Willens entfaltet (4.3.).<br />

Was ist nun Existenzanalyse? Sie wird von A. Längle (vgl. dazu Längle A 2001b)<br />

beschrieben als Therapierichtung für die Behandlung seelischer Störungen wie<br />

Ängste, Depressionen, Hysterie, Persönlichkeitsstörungen, Süchte u. a. m.<br />

Begründet wurde sie in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts vom Psychiater V.<br />

E. Frankl und von A. Längle ab den 80er Jahren in der „Wiener Richtung“ (Längle A<br />

2001b 183) weiterentwickelt. In der existenzanalytische Therapie geht es darum, das<br />

Wesen des Menschen – inmitten seiner Herausforderung und Unruhe – zum Vollzug<br />

zu bringen. Es soll das aktiviert werde, was der Mensch kann und soll. Die<br />

2 Bemerkenswert der Ausdruck der Unordnung. Er begegnet wieder im englischen Ausdruck der<br />

Persönlichkeitsstörungen „personality disorder“ (Pschyrembel 1994, 1175)


10<br />

fundamentalen Fragen lauten: Wie komme ich zu einer erfüllten Existenz? Was sind<br />

die Grundbedingungen für eine erfüllte Existenz? (vgl. Längle A 2001a, 7). Der<br />

Betroffene soll durch die Therapie zu einem atmenden Austausch mit sich und der<br />

Welt kommen und damit seinen Auftrag, nämlich das zu verwirklichen, wofür er<br />

„geschaffen“ wurde, auszuführen. Darin besteht die Selbstfindung. Ziel der<br />

Existenzanalyse ist es, Menschen zu helfen, mit innerer Zustimmung zu handeln und<br />

zu leben. Darin kommt die Authentizität, die personale Echtheit zum Ausdruck. Die<br />

Freiheit der Person im ständigen Ja zum eigenen Handeln wird dadurch realisiert.<br />

Längle definiert 1990 die Existenzanalytische Psychotherapie (Längle 1990, 255) als<br />

„prozeßhafte Begleitung und Anleitung des Patienten zu einem neuen Umgang mit<br />

sich und mit der Welt." 10 Jahre später lautet die Definition in folgender Weise<br />

(Längle, Tutsch 2000, 17):<br />

Existenzanalyse kann definiert werden als eine phänomenologische, an der Person<br />

ansetzende Psychotherapie, mit dem Ziel, der Person zu einem (geistig und emotional)<br />

freien Erleben, zu authentischen Stellungnahmen und eigenverantwortlichem Umgang<br />

mit sich und ihrer Welt zu verhelfen. In einfachen Worten: die existenzanalytische<br />

Psychotherapie hat zum Ziel, den Menschen zu befähigen, mit innerer Zustimmung zum<br />

eigenen Handeln und Dasein leben zu können.<br />

Diese „innere Zustimmung“ oder das „Ja zum Leben“ (Ausbildungskurs 28.9.-<br />

2.10.1998) drückt sich in vierfacher Weise nach zwei Richtungen (zu mir und der<br />

Welt hin) aus: Es ist erstens ein Ja zum eigenen Körper und zu den Bedingungen in<br />

der Welt, zweitens ein Ja zu den eigenen Emotionen und den Werten, die mich<br />

ansprechen, drittens ein Ja zum Selbstsein, zur Authentizität der eigenen Person und<br />

den Andersheiten in den Begegnungen und viertens ein Ja zur eigenen Biographie<br />

und den situativen Anfragen, bzw. den letzten Sinnzusammenhängen.<br />

(Ausbildungskurs 28.9. – 2.10.1998) Zusammenfassend könnte man sagen, daß die<br />

Existenzanalyse in die Kategorie „,existentieller Psychotherapierichtungen´<br />

zuzuordnen ist, die dem therapeutischen Grundprinzip der Wiederherstellung der<br />

dialogischen Austauschfähigkeit mit der Welt folgen.“ (Längle, Tutsch 2000, 17).<br />

Beim ersten Durchlesen der beiden Zielsetzung fallen wenige Übereinstimmungen


11<br />

auf. In den Exerzitien geht es darum, die ungeordneten Neigungen zu entfernen und<br />

den göttlichen Willen zu suchen und zu finden. Davon ist in der<br />

Existenzanalysedefinition expressis verbis nichts zu finden. Bemerkenswert ist das<br />

Ziel des Weges im Exerzitienbuch (nach Köster) salud (Heil/Heilung). In der EA läßt<br />

sich kein Ausdruck von Gesundheit bzw. Heilung finden, der Sachverhalt wird aber<br />

personal - existentiell ausgedrückt als „neuer Umgang mit sich und der Welt“ (Längle<br />

1990, 225), bzw. „mit innerer Zustimmung zum eigenen Handeln und Dasein leben<br />

(Längle, Tutsch 2000, 17).<br />

An dieser Stelle möchte ich eine Anmerkung zum Thema Heil und Heilung machen.<br />

A. Längle zitiert in seinem Vortrag „Psychotherapie – Methode oder Spiritualität?“<br />

(2001b) bei den Salzburger Hochschulwochen 2001 Frankl, der kategorisch die<br />

beiden Termini Heil und Heilung zuweist: „Das Ziel der Psychotherapie ist<br />

seelische Heilung. Dem gegenüber ist das Ziel der priesterlichen Seelsorge das<br />

Seelenheil.“ (Frankl 1959, 704). A. Längle führt weiter aus: „Psychotherapie stellt<br />

kein Heilsversprechen dar, sondern kennt nur statistische Häufungen von<br />

Besserungen sie verheißt kein Leben nach dem Tod. Psychotherapie kann also<br />

kein Heil vermitteln, sondern nur Heilung anregen“ (Längle A 2001b, 181). Köster<br />

legt nun das entscheidende Wort salud in EB 1 nicht nur als Heil aus, wie es<br />

traditionellerweise geschieht, aus, sondern auch als Gesundheit, also ein Begriff aus<br />

der Heilkunde. Es geht nach dieser Auslegung der Exerzitien auch um seelische<br />

Heilung, um Gesundheit. Daß diese Ansicht in der großen biblisch-spirituellen<br />

Tradition eingebettet ist, mag der Hinweis auf die Stelle in Johannes 5,1-18 dienen,<br />

in der es zunächst um die Heilung eines Menschen geht, der 38 Jahre lange krank<br />

war. „Willst du gesund (hygies) werden?“ (Joh 5,6) fragt ihn Jesus. Bemerkenswert<br />

ist zunächst, daß Jesus die Zustimmung, den freien Willen des Kranken einholt.<br />

Nach seiner Heilung wird er vom Herrn noch einmal angesprochen: „Jetzt bist du<br />

gesund, sündige nicht mehr, damit dir nicht noch Schlimmeres zustößt“ (Joh 5,14).<br />

Es gibt noch etwas Tragischeres als krank zu sein, nämlich „zu sündigen“, m. a. W.:<br />

das Ziel seines Lebens zu verfehlen (vgl. dazu 4.2.2.3.). – In der Existenzanalyse<br />

geht es nach Frankl um „seelische Heilung“ (Frankl 1959, 704), um „Besserung von<br />

Symptomen“ (Längle A 2001b 181). A. Längle schreibt im Lehrbuch der<br />

Existenzanalyse über den Begriff des „Existierens“: „Im Sich-Einlassen und<br />

Engagieren ist der Mensch ‚ganz‘ er selbst, ‚ganz‘ in jenem ursprünglichen Sinn des


12<br />

Begriffes ‚heil‘... es entsteht ein emotionaler Bezug zur Welt“ (2001a, 7). Nach allem,<br />

was ich in der Ausbildung mitbekommen habe, geht es in dieser Therapierichtung um<br />

mehr als nur um die Besserung von Symptomen, es geht um den<br />

Sinnzusammenhang, um die große Perspektive des Lebens. In der<br />

existenzanalytische Sichtweise wird auch der Tod ins Leben miteinbezogen 3<br />

. Ein<br />

Ausspruch A. Längles hat sich mir in diesem Zusammenhang stark eingeprägt: „Der<br />

Tod mag sein und ich kann trotzdem leben.“ Dies hat wesentlich mit Heil zu tun,<br />

wenn durch die existenzanalytische Psychotherapie eine Lebensperspektive eröffnet<br />

wird, die das ganze Leben umschließt und die Möglichkeit eröffnet, auch über den<br />

Tod hinauszugehen. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang ein (leider!)<br />

unveröffentlicher Vortrag von A. Längle zum Thema Heil, in dem er die<br />

Tiefendimensionen ausführt, in der abschließenden Zusammenfassung auf G. Funke<br />

verweisend: „Die anthropologischen Voraussetzungen des Heilens sind daher, wie<br />

FUNKE (1982) ausführt, nicht im ‚störungsfreien und beziehungsoptimalen Ablauf<br />

der biophysischen Funktionen‘ gelegen, was im Begriff ‚Gesundheit‘ aufgeht.<br />

Menschliches Sein vollzieht sich nicht auf dieser Ebene, sondern in dem ihm zur<br />

Verwirklichung in Freiheit aufgegebenen Lebenssinn. Ob jemand Heilung erfährt<br />

entscheidet sich daran, ob und wie er seinen Lebenssinn verwirklichen kann‘“<br />

(Längle A 1982, 22).<br />

Im Workshop „Sinn als Kategorie von Heil und Heilung“ 4<br />

haben D. Trobisch und ich<br />

folgende These vertreten: Psychotherapie und Seelsorge gehen den gleichen<br />

(induktiven, d. h. vom Menschen ausgehenden) Weg. In der Psychotherapie kann die<br />

Frage nach Gott aufbrechen, in der Seelsorge bricht sie auf.<br />

Noch ein Wort zum Üben: Ignatius sieht einen entscheidenden Faktor in den<br />

Exerzitien im Üben. A. Längle spricht über die Psychotherapie von einer „Arbeit, die<br />

mitunter schmerzlich und leidvoll sein kann“ (Längle A 2001b, 181). In beiden<br />

Prozessen geht es also auch um Arbeit, um methodisches Vorgehen.<br />

3<br />

Vgl. dazu u. a. die Ausführungen zur 4. Grundmotivation (2.2.2.1.) und zur Biographischen Methode<br />

(Längle A 2000c, 7)<br />

4<br />

„Sinn als Kategorie von Heil und Heilung. Praktische Verhältnisbestimmung von Seelsorge und<br />

Psychotherapie“ auf dem Jahreskongreß 2000 der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse<br />

(„Wenn der Sinn zur Frage wird“)


13<br />

Beide Formen verstehen ihre Konzepte als Wege, Prozesse: die Existenzanalyse als<br />

„prozeßhafte Begleitung und Anleitung des Patienten“ (Längle 1990, 225), die<br />

Exerzitien als geistliche Übungen in einer Länge von 4 Wochen (EB 4), in denen sich<br />

der Mensch bereiten und disponieren soll auf den Willen Gottes hin (vgl. EB 1).<br />

Ignatius spricht in seiner Definition von Negativem, das überwunden werden muß:<br />

„alle ungeordneten Neigungen von sich zu tun“ (EB 1). Die EA drückt dies in ihrer<br />

Definition positiv aus: „zu einem freien Erleben verhelfen“ (Längle, Tutsch 2000,<br />

17). In einer anderen Definition der EA werden sehr wohl die Störungen<br />

angesprochen, in der EA „als Analyse der Bedingungen auf Existenz hin“ (Winklhofer<br />

1987, 38) beschrieben wird. Analyse der Bedingungen, die Hindernisse, die<br />

Blockaden für den Vollzug der Existenz zu orten und aufzulösen (vgl.<br />

Ausbildungskurs). Im „Suchen und Finden des göttlichen Willens“ (EB 1) könnte man<br />

eine Entsprechung zur authentischen Stellungnahme und zum eigenverantwortlichen<br />

Umgang mit sich und der Welt sehen. Diese Behauptung wird in späteren Kapiteln<br />

(bes. in 4.3.) weiter entfaltet.<br />

Eine bemerkenswerte Parallele zum „Ja zum Leben finden“ (Ausbildungskurs 28.9.-<br />

2.10.1998) zeigt sich in einer Beschreibung der Exerzitien von Lambert (2000, 32).<br />

Geistliche Übungen sind „Einladungen an den Menschen, ,Ja‘ zu sagen zu den<br />

Entscheidungen der ,Menschen-freundlichkeit Gottes‘, die in Christus erschienen ist<br />

(vgl. Tit 3,4): Ja zur schöpferischen Liebe, Ja zur erlösenden Liebe, Ja zur rufenden<br />

und sendenden Liebe, Ja zum Leben der Liebe noch im Sterben, Ja zur siegenden,<br />

auferstandenen und vollendenden Liebe“.<br />

Als weitere gemeinsame Tiefenstruktur fällt auf, daß der Mensch in beiden<br />

Konzepten ein Angesprochener, ein Angefragter ist: vom Willen Gottes in den<br />

Exerzitien, von der Welt, vom Leben in der Exitenzanalyse. Als Angesprochener ist<br />

der Mensch zur Antwort eingeladen. In der Existenzanalyse geht es um die freie,<br />

personale Antwort, um die „innere Zustimmung...zum Dasein“ (Längle, Tutsch 2000,<br />

17). Das EB drückt es im Suchen und Finden des göttlichen Willens (EB 1) aus.<br />

Diese Formulierung mutet eher starr an. Bleibt da Raum für persönliche Freiheit, für<br />

einen Umgang mit dem Anspruch, der mich erreicht? Diese Frage, ob das Suchen<br />

und Finden des Willens Gottes eine dialogische Struktur und damit Raum für Freiheit<br />

aufweist, wird in 4.3. nachgegangen.


14<br />

Beide: Gott (EB) und Welt, bzw. Leben (Existenzanalyse) sprechen den Menschen<br />

an. Gott und Welt scheinen jedoch ein kontradiktorischer Gegensatz zu sein, vor<br />

allem wenn man an die Theologie des Johannes (z.B. 1,10) oder des Paulus (z.B.<br />

1Kor 2,12) denkt. Welt im existentiellen Sinn aber bedeutet Anspruch von außen, von<br />

der Situation her, auf die es zu antworten gilt. Analog dazu wird Gott bei Ignatius als<br />

jemand beschrieben, der sozusagen von außen ruft (vgl. EB 91 ff), der aber<br />

andererseits in allen Geschöpfen wohnt, in den Elementen Dasein, in den Pflanzen<br />

wachsendes Leben, in den Tieren sinnliches Fühlen, in den Menschen geistige<br />

Einsicht verleihend“ (EB 235). Kurz gesagt: Gott ist in Allem und er spricht mich in<br />

allen Situationen an; Gott begegnet mir in der Realität, in dem, was ist, theologisch<br />

ausgedrückt in der Immanenz. Es bedarf dann der Gabe der Unterscheidung (EB<br />

314ff), ob dieser vermutete Anruf wirklich ein Anruf Gottes ist und schließlich bedarf<br />

es der Entscheidung (EB 169ff) zu antworten bzw. sich einzulassen. Dazu möchte<br />

ich die Behauptung aufstellen, daß Gott in den Exerzitien und Welt bzw. Leben in der<br />

Existenzanalyse analog zu gebrauchen sind, insofern es sich um den situativen<br />

Anspruch handelt, dem es zu antworten gilt. Der große Unterschied aber besteht<br />

darin, daß es in den Exerzitien um das persönliche Du Gottes geht, auf das ich mich<br />

einlassen soll, Welt ,bzw. Leben jedoch nicht personal sind. Kann ich es wagen, mich<br />

der Welt zu überlassen? Andererseits: „niemand hat Gott je gesehen“ (Joh 1,18)<br />

außer der Sohn - und die Gotteserfahrung führt nach dem 1. Johannesbrief über den<br />

Menschen, den Bruder (1 Joh 4,12.20) über die Welt. So schließt sich der Kreis<br />

wieder zur Aussage des Ignatius “Gott in allen Dingen“ (EB 235): Gott zeigt sich in<br />

(trotz) seiner Transzendenz als immanenter eingefleischter (inkarnierter) Gott.<br />

Letztendlich bleibt aber doch ein Unterschied im Sich-Einlassens auf ein personales<br />

Du als letzten Urgrund (Exerzitien) bzw. auf eine nicht personale Welt<br />

(Existenzanalyse) bestehen. Dies macht m. M. n. einen, vielleicht den wesentlichen<br />

Unterschied zwischen Psychotherapie und Seelsorge aus.<br />

2.2. Aufriß der Wege<br />

Nach der Beschreibung des Ziels soll bereits am Beginn der Arbeit ein kurzer Aufriß<br />

der beiden Wege zu ihren jeweiligen Zielen hin gegeben werden, um den<br />

Gesamtzusammenhang leichter verstehen zu können. Zuerst wird das<br />

Exerzitienbuch mit seinem Vierwochenschema vorgestellt. Dann folgt eine<br />

Darstellung des Strukturmodells (Längle A 2001b, 187) der Existenzanalyse, den vier


15<br />

Grundmotivationen, die auch als die „Grundbedingungen ganzheitlichen Existierens“<br />

(Längle 2000, 22) bezeichnet werden und des Prozeßmodells (Längle A 2002, 2),<br />

der Personalen Existenzanalyse<br />

2.2.1. Das Vierwochenschema des Exerzitienbuches<br />

Grundsätzlich ist zu bemerken, daß eine Exerzitienwoche nicht in erster Linie eine<br />

Zeitmaß, sondern eher eine Phase, eine Einheit bedeutet (EB 4). Bevor Ignatius in<br />

seinem Vierwochenschema den Prozeß der geistlichen Übungen entfaltet, gibt er in<br />

den „Bemerkungen“ (EB 1-20) eine Art Gebrauchsanleitung bzw. einen „Kommentar<br />

oder Ausführungsbestimmungen“ (E. Przywara, zit. nach: Haas 1966, 121) für die<br />

Durchführung der Exerzitien. Diese adnotaciones, wie sie im spanischen Text<br />

heißen, erläutern zuerst das Ziel (EB 1), geben Anweisung über die Art der<br />

Betrachtung (EB 2,3), in EB 4 eine kurze Gliederung der Vierwochenstruktur, weiters<br />

eine Anweisung über die Grundhaltung dessen, „der die Exerzitien empfängt“ (EB<br />

15) und desjenigen, der sie gibt (EB 6-17), um schließlich in den letzten<br />

Bemerkungen (EB 18-20) auf besondere Bedingungen einzugehen: Anpassung an<br />

verschiedene Altersgruppen, Bildungsgrade, Zeitverhältnisse etc.<br />

Ignatius schaltet vor den vierwöchigen Kurs der Exerzitien einen Abschnitt „Prinzip<br />

und Fundament“ (EB 23). Köster (1999, 15) nennt dieses kurze Kapitel eine<br />

„Einübung in die Geistlichen Übungen“. Weiter schreibt er: „Das Prinzip und<br />

Fundament ... will dem Übenden helfen, in Erfahrung zu bringen, ob er für diesen auf<br />

Entscheidung ausgerichteten Weg disponiert ist“ (Köster 1999, 15). Es ist „auf eine<br />

äußerste Dichte gebrachte Kurzformel des gesamten Exerzitiengeschehens. Es<br />

enthält schon die gesamte Substanz der Geistlichen Übungen als<br />

Entscheidungsprozeß“ (Köster 1999, 15). Der Text mutet wie ein nüchterner<br />

Katechismussatz an:<br />

Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und<br />

Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten. Die anderen Dinge auf Erden sind zum<br />

Menschen hin geschaffen, und um ihm bei der Verfolgung seinen Zieles zu helfen, zu<br />

dem hin er geschaffen ist. ... Darum ist es notwendig, uns allen geschaffenen Dingen<br />

gegenüber gleichmütig (indiferentes) zu machen . (EB 23)


16<br />

Nach dieser „Vision des Ganzen“ Köster (1999, 17), wird die erste Exerzitienwoche<br />

(EB 24-90) beschrieben, deren Inhalt Ignatius als „Erwägung (consideración) und<br />

Betrachtung (contemplación) der Sünden“ (EB 4) angibt. Man könnte sie auch als<br />

Reinigungs- oder Umkehrphase (via purgativa) bezeichnen: „alle ungeordneten<br />

Neigungen von sich zu tun“ (EB 1). Die erste Woche beginnt mit der „besonderen<br />

und täglichen Prüfung“ (EB 24), der Gewissenserforschung oder dem<br />

Partikularexamen und schließt mit der Generalbeichte und Kommunion ab (EB 44).<br />

In diese Woche gehört auch der 1. Teil der sogenannten „Unterscheidung der<br />

Geister: Regeln, um einigermaßen die verschiedenen Bewegungen zu erklären und<br />

zu erspüren, die in der Seele sich verursachen; die guten, um sie aufzunehmen, die<br />

schlechten, um sie zu verwerfen“ (EB 313).<br />

Die zweite Woche (EB 91-189) nimmt den größten Teil des Exerzitienbuches ein, in<br />

ihr liegt auch der Schwerpunkt des Exerzitienprozesses: im Suchen und Finden des<br />

göttlichen Willens (EB 1). Es geht um den „entscheidenden Durchbruch in die<br />

Freiheit geschöpflicher Existenz“ (Köster 1999, 83), und weiterhin: der Übende soll<br />

„experimentell zur ‚Erkenntnis des wahren Lebens‘ (EB 139) finden“ (Köster 1999,<br />

83). Der Prozeß soll schließlich zur Entscheidung (Wahl) führen, „zur Besserung und<br />

Neuformung des Lebensstandes“ (EB 189) bzw. zum Vollzug einer Standeswahl (EB<br />

135ff), falls diese ansteht. Die Methode, um zu einer Entscheidung zu kommen, führt<br />

über die Strukturbetrachtungen, die in die Meditation der Geheimnisse des Lebens<br />

Jesu von der Verkündigung bis zum Palmtag eingebettet sind. Die vier<br />

Strukurbetrachtungen könnte man mit einem Handlauf vergleichen, der dem<br />

biblischen Stoff sein „eigenes Gefälle“ (Köster 1999, 83) gibt. In der ersten<br />

Betrachtung geht es um den „Ruf des Königs“ (EB 91-100), um das<br />

Angesprochensein von Gott. Die Betrachtung der „Zwei Banner“ (EB 136-148) oder<br />

„Zwei Bereiche, Existentiale“ (Köster 1999, 110) hat die Erkenntnis von gut und böse<br />

(vgl. EB 139) und die Nachfolge Christi zum Gegenstand. In der „Besinnung über<br />

drei Menschengruppen“ (149ff) wird der Übende angeleitet zu erkennen, „das Je-<br />

Bessere zu umfangen“ (EB 149). Hier taucht ein ignatianisches Grundwort, das<br />

„magis“, das „Mehr“ (Lambert 2000, 106-108) auf, das den Exerzitienprozeß<br />

durchzieht. In der letzten Strukturbetrachtung „Über die drei Weisen der Demut“ (EB<br />

164-168) geht es um die völlige Indifferenz (ein weiteres Grundwort des EB, Lambert<br />

2000, 59-61) gegenüber allem, was die Nachfolge Jesu bringt. „Dabei ist zu


17<br />

beachten, dass diese Haltung totaler Verfügbarkeit die ‚Schlagseite‘ (Vorliebe) hat,<br />

Jesus Christus ähnlicher zu werden in wirklicher Armut, in Unrecht und Verachtung“<br />

(Köster 1999, 128). Auf dieser inneren Basis traut Ignatius dem Übenden zu, eine<br />

Wahl zum Je-Besseren, bzw. eine Standeswahl zu treffen (EB 169-189). Dazu helfen<br />

die Regeln zur Unterscheidung der Geister für die zweite Woche (EB 328-333): „zu<br />

dem Zweck, die Geister noch genauer zu unterscheiden“ (EB 328).<br />

In der dritten und vierten Woche geht es allein um die Betrachtung des gekreuzigten<br />

und auferstandenen Herrn, um das „Paschamysterium in den Exerzitien“ (Köster<br />

1999, 185). Bedeutsam ist der je-eigene Glaubensweg, „der in der schmerzlich<br />

befreienden Dialektik des Paschamysteriums zur Entfaltung und Reife kommt. Der<br />

ganze Prozeß der Geistlichen Übungen steht im Gefälle dieses Grundgeheimnisses<br />

unseres Glaubens“ (Köster 1999, 186). Wie bereits erwähnt, wird die dritten und<br />

vierten Exerzitienwoche in dieser Arbeit nicht behandelt.<br />

Nach der vierten Woche setzt Ignatius die zu Herzen gehende „Betrachtung zur<br />

Erlangung der Liebe“ (EB 230-237), die wie das „Prinzip und Fundament“ (EB 23)<br />

nicht zum Vierwochenschema gehört. Köster nennt diese Betrachtung „Brennpunkt<br />

einer Linse“ (1999, 15), der die ganze Dynamik zusammenfaßt und den Übergang in<br />

den Alltag ermöglichen will. (vgl. Köster 1999, 15). Nach der Anleitung „Drei Weisen<br />

zu beten“ (EB 238-248) fügt Ignatius Betrachtungsanweisungen über die<br />

„Geheimnisse des Lebens Christi“ (EB 261- 312) hinzu. Nach den schon erwähnten<br />

„Regeln zur Unterscheidung der Geister“ (EB 312-336) folgen die Kapitel „Im Dienst<br />

der Almosenverteilung“ (EB 338-344) und Bemerkungen, „um Skrupeln und Einflüsterungen<br />

unseres Feindes zu merken und zu erkennen“ (EB 345-351). Die<br />

schwer zu verstehenden Regeln zur „Kirchlichen Gesinnung“ (EB 352-370) schließen<br />

das Exerzitienbuch ab.<br />

2.2.2. Strukturmodell und Prozeßmodell der Existenzanalyse<br />

2.2.2.1. Strukturmodell: Die vier Grundmotivationen<br />

Die vier Grundmotivationen werden am Beginn ausführlich beschrieben, da im Laufe<br />

dieser Arbeit immer wieder auf sie Bezug genommen wird. 1993 (Längle A 2000a,<br />

22) wurde dieses Strukturmodell von A. Längle in die Existenzanalyse eingeführt.


18<br />

Man könnte sie als den Grundstock oder das Herzstück der existenzanalytischen<br />

Lehre bezeichnen. Im Unterschied zum Prozeßmodell, der Personalen<br />

Existenzanalyse, auch Wirkinstrument (Längle A 2002, 2) genannt, „steht das<br />

Konzept der personal-existentiellen Grundmotivationen als zentralem Wirkinhalt“<br />

(ebd.) dieser gegenüber. Die Grundmotivationen erweitern die Franklsche<br />

Motivationstheorie durch „die Beschreibung dreier vorangegangener und sie<br />

bedingender persönlichkeitsstrukturierender Motivationen“ (Längle A 2000a, 22) und<br />

bilden die „Grundbedingungen ganzheitlichen Existierens“ (ebd.). Vier Bereiche<br />

werden angesprochen: erstens die Welt und ihre Bedingungen und Möglichkeiten,<br />

dann das Leben in seiner ganzen Vitalität, drittens die eigene Person in ihrem Selbst-<br />

Sein und viertens die Zukunft mit der damit verbundenen Aufforderung zum Handeln<br />

und zum Sich-Einbringen in das Lebensgefüge, in dem der Mensch steht (vgl. dazu<br />

Längle A 2001b, 186). Diese vier Bereiche sind keinesfalls als statisch anzusehen,<br />

sondern stellen eine dynamische Herausforderung dar: Die Motivation zum<br />

physischen Überleben und zur geistigen Daseinsbewältigung im Dasein-Können, die<br />

Motivation zur psychischen Lebenslust und zum Werterleben im Leben-Mögen, die<br />

Motivation zur persönlichen Authentizität und zur Gerechtigkeit im Sosein-Dürfen und<br />

die Motivation zum existentiellen Sinn im Handeln-Sollen (Längle A 2001b, 187). Als<br />

Mensch bin ich von der Existenz vor eine vierfache Frage gestellt: Die Grundfrage<br />

der Existenz: „Ich bin – kann ich sein?“, die Grundfrage des Lebens: „Ich lebe – mag<br />

ich leben?“, die Grundfrage der Person: „Ich bin – darf ich so sein?“ und die<br />

Grundfrage der Existenz „Ich bin da – wofür ist das gut?“ Vier Modalverben drücken<br />

diese vier Bereiche treffend aus: können, mögen, dürfen, sollen. Wenn alle vier<br />

Verben „bei einer Handlung zutreffen, kann von echtem Wollen gesprochen werden“<br />

(Längle A 2002, 3). – Nun werden die vier Grundbedingungen der Existenz im<br />

Einzelnen beschrieben.<br />

2.2.2.1.1. Sein-Können<br />

Die erste Bedingung beruht auf dem banalen Faktum, daß ich bin, daß ich überhaupt<br />

da bin. Kann ich überhaupt sein? Wer, was trägt mich? Bin ich im Kosmos gehalten<br />

oder treibe ich wie eine Nußschale im Ozean des Seins? Kann ich dieses Dasein<br />

überhaupt bewältigen? Was brauche ich nun für dieses fundamentale Dasein? Drei<br />

Faktoren werden dafür angegeben: Halt, Raum und Schutz. „Habe ich genügend<br />

Raum, um da zu sein? – Was gibt meinem Leben Halt? – Habe ich Schutz,<br />

Angenommensein, Heimat, ein Zuhause?“ (Längle A 2001b, 191). Fehlt diese Basis,


19<br />

entsteht Unruhe, Unsicherheit, Angst. Ist Vertrauen in den letzten seinsgebenden<br />

Halt da, ist die Bedingung der Möglichkeit für Existenz gegeben. Grundvertrauen in<br />

den Seinsgrund wird diese Realität existenzanalytisch bezeichnet (vgl. Längle A<br />

2001b, 191f). Die Brisanz dieses Themas kommt etwa in der Frage zum Ausdruck:<br />

Würde alles zusammenbrechen (wie Gesundheit, Partnerschaft, Beruf), was würde<br />

mich dann noch am Leben halten? Hätte ich noch einen letzten Grund, der mich bis<br />

in den Tod hinein begleiten würde oder wäre dann nur mehr gähnende Leere? Wäre<br />

es ein Fall in das Nichts, eine Ver-nichtung? In der existenzanalytische Therapie geht<br />

es nun nicht um das Postulat eines letzten Halts, sondern um das ahnende<br />

Wahrnehmen dieser Realität.<br />

Induziert wird diese Grundgewißheit durch das Angenommensein. Die zentralen<br />

Tätigkeiten der ersten Grundmotivation sind das Annehmen der Realität. Wenn das<br />

personale Ja dazu noch nicht gegeben werden kann bleibt als erster Schritt das<br />

Aushalten des Unabänderlichen, der Faktizität. Denn die tiefste „Erfahrung von<br />

Gehaltensein erlaubt es mir, ein „Ja zur Welt“, ein „Ja zum Dasein“ und zu seinen<br />

Bedingungen zu geben – die Einwilligung und Zustimmung zu geben zu dem, was<br />

ist, so dass ich es als gegeben annehmen kann und das, was schwer ist, letztlich<br />

aus-halten kann“ (Längle A 2001b, 192). Das personale Instumentarium der ersten<br />

Grundmotivation ist das Wahrnehmen des Faktischen, die Kognition. Die personalen<br />

Fähigkeiten bestehen neben dem schon erwähnten Vertrauen in Mut und Demut,<br />

Hoffnung, Treue, Wahrheit und Glaube. Weiters wird die erste Grundmotivation dem<br />

Körper zugeordnet. Ist dieser existentielle Bereich gestört, bilden sich Angst-, Panik-,<br />

aber auch Zwangsstörungen aus. Angst ist aber ein ubiquitäres Phänomen, das sich<br />

in allen anderen existentiellen Bereichen – bisweilen verdeckt – zeigt. Ihre Wurzel<br />

hat sie aber in diesem basalen Bereich der ersten Grundmotivation.<br />

2.2.2.1.2. Leben-Mögen<br />

Hat der Mensch Raum in der Welt, stellt sich auch Leben ein. Bietet die erste<br />

Grundmotivation sozusagenden Boden und spannt den Raum auf, so erfüllt die<br />

zweite Grundmotivation diesen mit Qualität. Mag ich dieses Leben? Wie fühlt es sich<br />

an? Ist es gut? Hier geht es um die pathische Dimension, denn „Dasein wird<br />

von mir erlebt und erlitten“ (Längle A 2001b, 193). Es geht weiter um das Lebendig-<br />

Sein, um Emotion, um Freude und Trauer, um Wärme, um Farbe im Grau des<br />

Daseins. Um das Leben zu mögen, brauche ich wieder dreierlei: Nähe, Zeit und


20<br />

Beziehung. Lasse ich mich berühren vom Leben? Kann ich Nähe zu allem<br />

Geschaffenem aufnehmen, auch zu mir und – kann ich diese auch halten? Wofür<br />

nehme ich mit Zeit? Kann ich verweilen oder hetze ich von einem Ort zum anderen?<br />

Habe ich Beziehungen, in denen ich Nähe fühle, worin ich Zeit verbringe und mich<br />

verbunden weiß? Hier wendet sich der Mensch dem Leben zu und die Tiefe der<br />

Person gerät in Schwingung mit sich selber und mit der Welt. Diese Erfahrung bildet<br />

den Grundwert des Daseins, das tiefste Gefühl für die Welt des Lebens. Waren<br />

annehmen und aushalten die personalen Aktivitäten der ersten Grundmotivation, so<br />

sind diese zuwenden und trauern für die zweite. Die personalen Fähigkeiten sind auf<br />

dieser Ebene Emotion, Liebe, Verbundenheit, Lebenslust, Genuß, Freude und<br />

Trauer. Das psychische Instrumentarium besteht im Fühlen, wie etwas ist, im Mit-<br />

Fühlen, in der Emotion. Diese existentielle Ebene wird der Psyche zugeordnet. Wenn<br />

dieser Bereich gestört ist, zeigt sich dies in der Depression.<br />

2.2.2.1.3. Selbstsein-Dürfen<br />

So wichtig das emotionale Schwingen in der Tiefe der Seele, das Sich-Einlassen,<br />

das Verschmelzen mit dem Du ist, so reicht es nicht für eine erfüllte Existenz aus. Bei<br />

aller Verbundenheit empfindet sich der Mensch als anders, als verschieden.<br />

Einzigartigkeit, Individualität, Subjekthaftigkeit und Personsein sind unverrückbare<br />

Konstanten menschlicher Existenz, die er in seinen Entscheidungen zu<br />

berücksichtigen hat. Ich bin. Aber darf ich so sein? Die Auseinandersetzung mit<br />

dieser Frage führt zum Aufbau einer inneren Struktur, der Identität, Authentizität,<br />

Selbstfindung und Ethik. Im Blickwinkel der dritten Grundmotivation sind die Themen<br />

Grenze, Abgrenzung gegenüber anderen wichtig, um das je-Eigene der Person in<br />

den Blick zu bekommen. Um dies zu bewältigen, bedarf es wieder dreierlei:<br />

Beachtung, Wertschätzung und Rechtfertigung. Von wem werde ich eigentlich<br />

angesehen, be-achtet? Wofür erhalte ich Wertschätzung, wofür kann ich mich selber<br />

schätzen? Kann ich zu meinem Verhalten stehen, vor mir be-stehen? Wenn ja, finde<br />

ich mich selber, meine Authentizität, meinen Selbstrespekt Die Summe dieser<br />

Erfahrungen bilden den Selbstwert, das Personsein, den tiefsten Wert des eigenen<br />

Ich aus. Aus dieser Tiefe meines Personseins vernehme ich etwas wie eine Stimme,<br />

ein Gespür, das sich gefühlsmäßig anmeldet und mir etwas be-deutet, sagt, spüren<br />

läßt. Dieses Phänomen wird als Gewissen, das Personalissimum bezeichnet.<br />

Personsein heißt nun: sich in Empfang nehmen, bereit sein für das, was es in mir<br />

sagt. Und dieses es ist nicht fremd, es wird als zu mir gehörig, als meinig empfunden,


21<br />

obwohl es mich in meinem Bewußtsein überschreitet. Ich bin mir nun anvertraut, in<br />

die Hand gegeben, überantwortet. Der Ort dieser Begegnung (ich mit mir) ist die<br />

Intimität, die Keimschicht der Person. Hierin ist auch die Authentizität begründet. Sie<br />

ist die Haltung der Offenheit sich selbst gegenüber und das ehrliche In-Empfang-<br />

Nehmen des Eigenen. Falls dieser Bezug zu sich (Selbstbezug) fehlt, bin ich<br />

verlassen, von mir im Stich gelassen, unerträglich einsam. Existenzanalytische<br />

Therapie bedeutet das „Lernen des inneren Gesprächs; des Aufnehmens der<br />

personalen Beziehung zu sich, aus der heraus die Beziehung zur Welt auch personal<br />

werden kann“ (Längle A 2001b, 198).<br />

Die personale Aktivität auf dieser Ebene besteht im Gegenübertreten, An-sehen, Zu-<br />

Sich-Selbst-Stehen, Abgrenzen und Stellungnehmen. Die Folge davon ist<br />

Authentizität, Respekt und Würde, Muße, Trostfindung, Reue und Verzeihen. Das<br />

psychische Instrumentarium besteht im Hin-spüren und in der Position. Die dritten<br />

Grundmotivation wird dem Geist zugeordnet. Störungen in diesem existentiellen<br />

Bereich führen zu Hysterie und Narzissmus.<br />

2.2.2.1.4. Handeln-Sollen<br />

Die Vernunft des Menschen verlangt, das Dasein in einem größeren Zusammenhang<br />

eingebettet zu sehen, „worin die eigene Existenz verstehbar wird und trotz ihrer<br />

Vergänglichkeit aufgehen kann“ (Längle A 2002, 7). Die Vernunft will erkennen,<br />

worum es im Leben gehen soll. Die Voraussetzungen dafür sind wieder dreifach:<br />

Strukturzusammenhang, Tätigkeitsfeld und Zukunft. – Sehe und erlebe ich mich in<br />

einem größeren Zusammenhang, der meinem Leben Ordnung und Struktur gibt?<br />

Familie, Arbeitsplatz, Natur, Einbindung in die Gesellschaft (als zóon politikón), die<br />

Vernetzung mit dem Kosmos sind Stichworte, die in Strukturzusammenhang fallen. –<br />

Habe ich etwas, wo ich benötigt werde, wo ich produktiv sein kann? Diese Fragen<br />

betreffen das Tätigkeitsfeld, „das mit Verantwortung verbunden ist und dem<br />

Menschen Aufgaben stellt, Erlebnismöglichkeiten bietet und Einstellungen<br />

abverlangt“ (Längle A 2002, 7). Hier geht es um das Größere, in dem die Einzeltat<br />

aufgeht. Im Punkt Zukunft könnte man die Intentionalität allen Tuns<br />

zusammenfassen: Woraufhin ist mein Tun ausgerichtet, gibt es Entwicklung und<br />

Entfaltung? Auf dieser letzten Ebene ist der telos angesprochen: nicht nur das Ende,<br />

sondern auch das Ziel und der Zweck des Handelns, man könnte auch sagen, der<br />

Sinn. Diesen hat Frankl als die „Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit“


22<br />

(zit. nach Längle A 2001b, 199), Längle als „die wertvollste Möglichkeit der Situation“<br />

(ebd.) bezeichnet. In diesem existentiellen Sinn, wie ihn Längle bezeichnet (ebd.)<br />

geht es um das Hier und Jetzt, was gerade in der jeweiligen Situation das<br />

Wertvollste, Wichtigste und Dringlichste ist, das es zu verwirklichen gilt. Darüber<br />

hinaus fragt der ontologiosche Sinn nach den Zusammenhängen im Ganzen. So<br />

rührt die Zukunftsdimension am Mysterium, am Glauben, an der Spiritualität (vgl.<br />

Längle A 2001b, 200).<br />

Die personale Aktivität der vierten Grundmotivation besteht in der Über-ein-stimmung<br />

mit der Situation, im Prüfen, ob der Akt gut ist für mich und die Welt und schließlich<br />

im Handeln. – Die personalen Fähigkeiten sind Hingabe, Tat, diese Ebene berührt<br />

aber auch die Sinnfrage, die Religiosität, die Spiritualität. Das psychische<br />

Instrumentarium besteht im Erkennen des situativ Geforderten bzw. Gebotenen, in<br />

der Aktion. – Wenn Defizite vorliegen, wirken sich diese als noogene Neurosen (vgl.<br />

Frankl 1991, 13f, 86f), bei schwereren Beeinträchtigungen als paraexistentielle<br />

Persönlichkeitsstörungen (Furnica 1999) aus. Störungen auf dieser Ebene haben<br />

auch Auswirkungen auch auf alle anderen existentielle Bereiche.<br />

2.2.2.2. Prozeßmodell: Die Personale Existenzanalyse (PEA)<br />

Die Personale Existenzanalyse, das Prozeßmodell und Wirkinstrument der<br />

Existenzanalyse (Längle A 2002, 2) soll an dieser Stelle nur skizzenhaft beschrieben<br />

werden, da sie später ausführlich behandelt wird (4.3.2.1.). Sie wurde von A. Längle<br />

1988 - 1990 entwickelt und stellt die „zentrale Methode der Existenzanalyse“ (Längle<br />

A 2000e, 31) dar. Ihr liegt das prozessuale Personmodell zugrunde, das den<br />

Menschen als ansprechbar (beeindruckend), verstehend (fähig zur Stellungnahme)<br />

und antwortend (fähig zum Ausdruck) sieht. Kurz ausgedrückt kann die PEA in einem<br />

Dreiecksmodell beschrieben werden: Eindruck – Stellungnahme – Ausdruck. Die<br />

daraus abgeleitete Methode erfolgt in vier Schritten. Im ersten Schritt (PEA 0), geht<br />

es um das Erfassen der Fakten, „in der sich das Selbstverhalten des Patienten in<br />

seiner Alltäglichkeit artikuliert“ (Lleras 2000, 35). Im zweiten Schritt, der<br />

„phänomenologischen Analyse“ wird die Emotionalität freigelegt und das<br />

Selbstverstehen des Patienten in seiner Situation angesprochen (vgl. Lleras 2000,<br />

35). Hier ist der Ein-druck entscheidend, der gelungen ist, wenn sich die Person in<br />

ihrer Tiefendimension angesprochen fühlt und sich eine emotionale Bewegung


23<br />

einstellt. „Welche Gefühle macht das? Welche Bewegungen stellen sich spontan<br />

ein? Was sagt mir das (eigentlich)?" (vgl. Längle Tb 2000f, 24) sind die<br />

entscheidenden Fragen, die den phänomenologischen Gehalt des Erlebens zu<br />

heben versuchen Im dritten Schritt, der inneren Stellungnahme (PEA 2), wird das<br />

„Verstehen der eigenen Existenz aus der jeweiligen Situation entwickelt“ (Lleras<br />

2000, 35). In dieser Phase „bringt sich die Person mit ihrer Authentizität, mit ihren<br />

echten ur-sprünglichen Tiefenbewegungen ins Spiel und wird dadurch<br />

selbstgestalterisch.“ (Längle A 2000f, 24). Dieser Integrationsversuch bringt die<br />

neuen Ein-drücke in Beziehung mit den früheren Bezügen und Werten. In dieser<br />

Phase ist zuerst das Verstehen entscheidend („Verstehe ich mich? Verstehe ich den<br />

anderen?“ A. Längle 2000f, 25), weil dadurch die Einseitigkeit des situativen<br />

Werteanspruchs gelöst und der innere Betrachtungswinkel geweitet wird (vgl. Längle<br />

A 2000f, 24f). Auf der Basis des Verstehens kann es nun zu einer authentischen<br />

Bewertung durch das Gewissen kommen („Was spüre ich im Tiefsten dazu?“). Der<br />

nächste Schritt besteht darin, „zum eigenen Gewissen Stellung zu beziehen“ (Längle<br />

A 2000f, 27): „Was halte ich grundsätzlich davon? Was sage ich persönlich dazu?“<br />

(Längle A 2000f, 25). Die letzte Stellungnahme, die nun bereits handlungsorientiert<br />

ist, zeigt sich im Willen. Er ist der Ent-schluß zum Handeln (vgl. Längle A 2000f, 27).<br />

Die relevante Frage lautet: „Was würde ich am liebsten und im Grunde tun wollen?“<br />

(Längle A 2000f, 25). Im vierten Schritt (PEA 3) geht es um den Aus-druck, die<br />

Weltbezüglichkeit, die Ek-sistenz. Hierin „realisiert sich die Person durch den Willen,<br />

daß sie etwas Bestimmtes in die Welt geben will“ (Längle 2000f, 27).


3. Personen und Wirkfaktoren<br />

24<br />

3.1. Grundhaltung des Exerzitanten bzw. Klienten<br />

3.1.1. Grundhaltung des Exerzitanten<br />

In EB 5 gibt Ignatius die Grundhaltung dessen, „der die Exerzitien empfängt“ (EB 5)<br />

an. Diese 5. Bemerkung (adnotacion) wird in der ignatianischen Literatur als<br />

disposition de base, „als die fundamentale Disposition“ (Haas 1977, 159)<br />

beschrieben.<br />

Dem, der die Übungen empfängt, ist es sehr nützlich, mit großer Seele und mit<br />

Weitherzigkeit (con grande animo y liberalidad) seinem Schöpfer und Herrn gegenüber<br />

in sie einzutreten, Ihm sein ganzes Streben und seine Freiheit darbringend, damit Seine<br />

Göttliche Majestät sowohl seiner Person wie seines gesamten Besitzes gemäß Ihrem<br />

heiligsten Willen sich bediene. (EB 5)<br />

Bemerkenswert sind die beiden Ausdrücke con grande animo und liberalidad. Nach<br />

Ignatius besteht die Grundhaltung des Exerzitanten darin, eine große Seele,<br />

Großmut, ein weites Herz, einen langen Atem, Freiheit, Freigebigkeit, Großherzigkeit,<br />

die Haltung des Nicht-fixiert-Seins zu haben. Andererseits besteht sie auch darin,<br />

das eigene Streben, die Vorstellungen, Wünsche, Lebenskonzepte zuerst einmal<br />

darzubringen (ofrecer), vielleicht auch zu offerieren, anzubieten, loszulassen, um<br />

offen und verfügbar für den Anruf Gottes zu sein. Die Haltung des Empfangens,<br />

Annehmens (recibir) ist dabei wesentlich (vgl. Haas 1967, 161). Nach Köster wird die<br />

Offenheit und Verfügbarkeit „nur unter Mühen und im Durchstehen immer<br />

wiederkehrender Krisen zuteil“ (Köster 1999, 171). Weiters ist es nach Köster<br />

wichtig, mit der tiefsten Sehnsucht des eigenen Herzens in Berührung zu kommen,<br />

„mit jener Suchbewegung, die Gott ihm selbst ins Herz gelegt hat“ (Köster ebd.). Dies<br />

wird in den Exerzitien durch die Betrachtung eines biblischen Textes versucht, in<br />

dem der Exerzitant etwas entdeckt, das ihn ganzheitlich anspricht. Dieses<br />

Angesprochensein, die innere emotionale Bewegung gilt es dann zu bergen und zu<br />

bearbeiten.


25<br />

Die Grundhaltung der Offenheit und Verfügbarkeit ist Basis, „wegbereitende<br />

Disposition“ (Haas 1967, 160), aber auch reife Frucht am Ende der Exerzitien in der<br />

Betrachtung zur Erlangung der Liebe („De amore“, EB 234). Bis in Formulierungen<br />

hinein gleichen die beiden Texte einander (EB 5 und 234). Die innerste Seele von<br />

„De amore“ ist „liebende Hingabe und hingebende Liebe“ (Haas 1967, 160).<br />

Nimm Dir, Herr, und übernimm meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen<br />

Verstand und meinen ganzen Willen, mein ganzes Haben und Besitzen. Du hast es mir<br />

gegeben, zu Dir, Herr, wende ich es zurück; das Gesamte ist Dein; verfüge nach Deinem<br />

ganzen Willen, gib mir Deine Liebe und Gnade, das ist mir genug. (EB 234)<br />

Weiters kommt die Haltung des Sich-Ansprechen-Lassens, der Offenheit und<br />

Verfügbarkeit sehr deutlich am Beginn der zweiten Woche – in der es um das<br />

Suchen und Finden des göttlichen Willens geht – zum Ausdruck. In der ersten Übung<br />

wird der Exerzitant angeleitet, den Ruf des ewigen Königs zu betrachten (EB 91ff).<br />

Darin heißt es, der Exerzitant soll um die Gnade bitten, daß er „nicht taub sei auf<br />

seinen Ruf hin, sondern schnell und voll Bereitschaft (presto y diligente) zu erfüllen<br />

Seinen Heiligsten Willen.“ (EB 91)<br />

3.1.2. Grundhaltung des Klienten<br />

Die Grundhaltung des Menschen in der Sicht der Existenzanalyse besteht in der<br />

kopernikanischen Wende der Sinnfrage, wie Frankl es nannte: „Das Leben selbst ist<br />

es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen, er ist vielmehr der vom<br />

Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten – das Leben zu verantworten hat.<br />

Die Antworten aber, die der Mensch gibt, können nur Antworten auf konkrete<br />

´Lebensfragen´sein. In der Verantwortung des Daseins erfolgt ihre Beantwortung, in<br />

der Existenz selbst ´vollzieht´ der Mensch das Beantworten ihrer eigenen Fragen“<br />

(Frankl 1987, 96).<br />

Existentielle Grundhaltung bedeutet, daß der Mensch nicht als isolierte Monade lebt,<br />

sondern immer eingebunden in Raum und Zeit in einer Situ-ation steht,<br />

existenzphilosophisch ausgedrückt, daß er in der Welt ist. Und diese Welt macht<br />

etwas mit ihm, sie spricht, sie fragt ihn an. Der Mensch ist nun eingeladen, sich<br />

diesen Fragen zu stellen, sie vorerst einmal wahr und zur Kenntnis zu nehmen.


26<br />

Folgende Fragen könnten an den Kern der existentiellen Haltung führen: Laß ich<br />

Fragen des Lebens überhaupt an mich heran? Bin ich empfänglich, vom Leben<br />

berührbar? Habe ich eine Offenheit dem Leben gegenüber oder bin vielmehr ich es,<br />

der a priori das Leben bestimmen will?: Was will das Leben überhaupt von mir? Der<br />

zweite Schritt besteht dann darin, dem Leben zu antworten. Das Leben ist mir als<br />

Gabe, als Auf-gabe gegeben, die ich zu verwirklichen habe. Dies geschieht in<br />

konkreten Alltagssituationen, tagtäglich neu. Daraus erwächst der Sinn im Leben, der<br />

als „beste Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit“ (Längle S 2000 a, 29),<br />

oder als „beste Möglichkeit in der konkreten Situation“ (Längle S 2000 b, 42) definiert<br />

ist.<br />

Längle ist in der Entwicklung der 4 Grundmotivationen noch eine Schritt weiter<br />

gegangen und hat vor der Sinnfindung die Voraussetzungen beschrieben, um die<br />

jeweils wertvollste Möglichkeit, die das Leben bietet – und damit den Sinn – finden zu<br />

können. Voraussetzungen sind:<br />

1. bewußt hinzuschauen, was an Möglichkeiten, Bedingungen und faktischen<br />

Gegebenheiten vorliegen,<br />

2. fühlen, was mich als Wert besonders anzieht,<br />

3. heben und auswählen der von mir erspürten und erkannten besten Möglichkeit<br />

und<br />

4. tun, Wirklichkeit werden lassen, was ich ausgewählt habe, indem ich mich ganz<br />

hingebe.<br />

3.1.3. Zusammenschau<br />

Es ist unschwer zu sehen, daß die Grundstruktur beider Wege, was den Exerzitanten<br />

bzw. Klienten betrifft, sehr ähnlich ist. Sowohl in der Existenzanalyse, als auch in<br />

den Exerzitien geht es um das Angesprochensein des Menschen von Gott bzw. vom<br />

Leben, von der Welt. Voraussetzung dafür ist die Offenheit, die innere Freiheit. Die<br />

Grundbewegung des Lebens geht nicht vom Menschen aus, sondern er wird von<br />

außen erfaßt. Der Mensch ist eingeladen zu antworten.<br />

Wo bleibt da die Freiheit des Menschen? Diese Frage könnte sich angesichts der<br />

Definitionen Ignatius´ und Frankls stellen. Ist der Mensch bloß Vollzugsorgan<br />

dessen, was das Leben fordert? Dieser Frage wird im Laufe der Arbeit noch<br />

nachzuspüren sein. Jedenfalls soll an dieser Stelle die Grundbewegung des Lebens


27<br />

deutlich werden: Nicht der Mensch stellt vorerst Fragen an das Leben, sondern er ist<br />

vom Leben in Frage gestellt.<br />

3.2. Stellung des Exerzitienleiters bzw. des Therapeuten<br />

3.2.1. Nabenfunktion des Exerzitienleiters<br />

Zu Beginn eine persönliche Erfahrung des hl. Ignatius, die er dem Exerzitienleiter<br />

ans Herz legt: „Nach meiner Ansicht kann es keinen größeren Irrtum in den<br />

geistlichen Dingen geben, als die anderen nach sich selbst leiten zu wollen.“ (zit.<br />

nach Köster 1999, 167). Der entscheidende Text aber findet sich im Exerzitienbuch<br />

in den Anweisungen Nr. 15:<br />

Der Exerzitiengeber darf den Empfangenden nicht mehr zur Armut oder zu einem<br />

Versprechen hin bewegen als zu deren Gegenteil, noch auch mehr zu einem Stand oder<br />

einer Lebensweise als zu einer anderen. Denn wenn wir auch außerhalb der Exerzitien<br />

erlaubter- und verdienstlicherweise alle jene, deren Eignung mit Recht angenommen<br />

werden kann, dazu bewegen dürfen, Enthaltsamkeit, Jungfräulichkeit, Ordensstand und<br />

jede Art von evangelischer Vollkommenheit zu erwählen, so ist es doch innerhalb der<br />

geistlichen Übungen beim Suchen des göttlichen Willens jeweils mehr entsprechend<br />

und viel besser, daß Er selbst, der Schöpfer und Herr, sich Seiner ihm hingebenden<br />

Seele mitteile (se communicar) sie zu seiner Liebe und Seinem Lobpreis umfange<br />

(abrazar) und sie zu jenem Weg hin bereite (disponer), auf dem sie Ihm fürderhin je<br />

besser dienen (servir) kann. Dergestalt, daß der Exerzitiengeber sich weder zu der<br />

einen noch zu der anderen Seite hin wende und hinneige, sondern in der Mitte stehend<br />

wie eine Waage, unmittelbar den Schöpfer mit Seinem Geschöpf wirken lasse und das<br />

Geschöpf mit seinem Schöpfer und Herr. (EB 15)<br />

Entscheidend für diese Arbeit ist der zweite Teil des zitierten Textes. In den<br />

Exerzitien hat der Leiter ganz zurückzutreten, viel mehr ist Gott selbst es, der sich<br />

mitteilt, sich kommuniziert, in Dialog mit der Person - der sich ihm hinneigenden<br />

Seele – tritt. Gott umarmt förmlich den Menschen (in abrazar steckt bracchium: Arm),<br />

um die Seele zu disponieren, damit sie ihm künftig besser dient. Was den<br />

Exerzitienleiter betrifft, wird von ihm, die Beeinflussung betreffend, völlige Abstinenz<br />

gefordert. Anschaulich dazu ist das Bild der Waage: wie eine Nabe (vgl. dazu Köster<br />

1999, 168) in der Mitte stehend soll der Exerzitienleiter einen Freiraum schaffen, in<br />

dem Gott unmittelbar – ohne Beeinflussung – mit dem Menschen arbeiten kann. Der


28<br />

Leiter steht in der schwierigen Position, einerseits die direkte Kommunikation<br />

zwischen Gott und dem Menschen zu ermöglichen, andererseits keinen Einfluß<br />

auszuüben. Es erinnert an die Funktion des Katalysators in der Chemie.<br />

Was hat der Exerzitiengeber neben der Nabenfunktion noch zu tun? In EB 2 wird<br />

eine weitere Aufgabe beschrieben, nämlich den biblischen Betrachtungsstoff, der die<br />

inneren Bewegungen (mociones) hervorbringen soll (vgl. EB 6), in kurzen<br />

zusammenfassenden Worten darzulegen. Nach Ignatius ist es wichtiger, daß der<br />

Exerzitant die für ihn relevanten Dinge selber findet, als sie ihm vorzulegen, denn<br />

dies gewährt ihm „mehr Geschmack und geistliche Frucht“ (EB 2). Hierauf folgt der<br />

bemerkenswerte Satz: „Nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge,<br />

sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von Innen“ (EB 2). Es geht um das<br />

geistig-emotionale Erfaßtwerden von der inneren Dynamik.<br />

Wenn sich dieses innere Bewegtsein im Übenden nicht vollzieht oder wie es Ignatius<br />

in EB 6 ausdrückt: „er nicht von den verschiedenen Geistern getrieben wird, von<br />

Trost und Trostlosigkeit“ (EB 6), dann ist wieder der Exerzitienleiter in seiner aktiven<br />

Rolle gefordert: er muß viel um die Übungen fragen, ob und mit welcher Sorgfalt die<br />

Übungen gemacht wurden usw. (vgl. EB 6). In EB 7 gibt Ignatius Verhaltensweisen<br />

an, wie der Exerzitenleiter dem Exerzitanten in Zeiten der Trostlosigkeit begegnen<br />

soll: „ nicht hart und rauh, sondern mild und sanft, indem er ihm Mut und Kraft für<br />

die Zukunft einflöst, die Trugwerke des Feindes der menschlichen Natur aufdeckt<br />

und ihm Wege weist, sich auf die kommenden Tröstungen vorzubereiten“ (EB 7).<br />

Entscheidend ist dabei, den Exerzitanten in die Regeln zur Unterscheidung der<br />

Geister (vgl. EB 8) einzuführen. Die Regeln, dem Herzstück der Exerzitien, werden<br />

später behandelt (4.3.1.1.).<br />

Nie darf der Exerzitienleiter in das Innere des Übenden vordringen. Er darf nicht<br />

versuchen, „die persönlichen Gedanken und Sünden des Empfangenden<br />

auszuforschen und kennenzulernen“ (EB 17). Er wird auf seine Nabenfunktion im<br />

Bild der Waage verwiesen. Andererseits muß er sich in der inneren geistlichen<br />

Dynamik auskennen: „So kann er ihm entsprechend seinem größeren oder<br />

geringerem Vorankommen verschiedene geistliche Übungen vorlegen, die der Not<br />

einer so bewegten Seele angepaßt und zugemessen sind“ (EB 17). Die Eigenschaft


29<br />

der Discretio, der Unterscheidung – die übrigens Benedikt von Nursia „Mutter aller<br />

Tugenden“ (RB 64,19) nennt – wird in EB 18 deutlich: Der Exerzitienleiter soll die<br />

Übungen dem Alter, der Bildung oder Begabung anpassen, damit es zu keiner<br />

Überspannung der Kräfte kommt. Hierin wird das „situative Umgehen mit der<br />

jeweiligen Wirklichkeit des Übenden“ (Köster, 1999, 170) deutlich. Ein Text aus dem<br />

Brief an die Mitbrüder, die als Konzilsberater nach Trient geschickt wurden, drückt<br />

diese Haltung aus: „Ich wäre langsam im Sprechen, würde beim Zuhören zu lernen<br />

versuchen und bliebe dabei innerlich ruhig, um die Gedanken, Gefühle und<br />

Absichten der Sprecher aufzufassen und hernach um so besser zu antworten bzw.<br />

um so besser zu schweigen“ (Köster 1999, 169f).<br />

Abschließend ein Text, der die Grundlage der Beziehung zwischen Geber und<br />

Empfänger der Exerzitien, ja aller Christen beschreibt: Jeder gute Christ muß mehr<br />

bereit sein,<br />

eine Aussage des Nächsten zu retten als zu verdammen. Vermag er sie aber nicht zu<br />

retten, so forsche er nach, wie jener sie versteht, so verbessere er ihn mit Liebe, genügt<br />

dies aber nicht, so suche er alle passenden Mittel, daß jener, sie richtig verstehend,<br />

sich rette. (EB 22)<br />

Diesen Text, der von Wohlwollen, tiefem gegenseitigen Respekt, sorgfältigem<br />

Hinhören aufeinander, Authentizität und verstehender Haltung spricht, plaziert<br />

Ignatius an den Beginn des Übungsteil des Exerzitienbuches.<br />

3.2.2. Phänomenologische Haltung des existenzanalytische Therapeuten<br />

Die Nabenfunktion des Exerzitienleiters erinnert an die phänomenologische Haltung,<br />

die vom existenzanalytische Therapeuten verlangt wird (vgl. Lleras 2000, 34f). Diese<br />

Haltung, wie sie in der Existenzanalyse Anwendung findet, geht in ihrer Wurzel auf E.<br />

Husserl zurück mit seiner berühmt gewordenen Forderung „zu den Sachen selbst“<br />

(zit. nach Vetter 1989, 14) Mit Sachen sind die Phänomene gemeint, alles was sich<br />

zeigt, so die deutsche Bedeutung von Phänomen. Sie umfassen „Dinge,<br />

Mitmenschen, Lebewesen, Artefakte, bloße Erscheinungen, Symptome,...usf.“<br />

(Vetter 1989, 14). Heidegger erläutert den Begriff Phänomene mit den Worten. „Das<br />

was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen<br />

lassen“ (zit. nach Vetter 1989, 14f). Der Philosoph aus dem Schwarzwald sieht im


30<br />

Ausdruck Phänomenologie „primär einen Methodenbegriff. Er charakterisiert nicht<br />

das sachhaltige Was der Gegenstände der philosophischen Forschung, sondern das<br />

Wie dieser“ (Heidegger 1979, 27). Heidegger kommentiert das Husserl´sche zu den<br />

Sachen selbst: „Der Titel ‚Phänomenologie‘ drückt eine Maxime aus, die also<br />

formuliert werden kann: ‚zu den Sachen selbst!‘ – entgegen allen freischwebenden<br />

Konstruktionen, zufälligen Funden, entgegen der Übernahme von nur scheinbar<br />

ausgewiesenen Begriffen...“ (Heidegger 1979, 27f). Scheler drückt den Sachverhalt<br />

leichter faßlich aus: „An erster Stelle ist Phänomenologie weder der Name für eine<br />

neue Wissenschaft, noch ein Ersatzwort für Philosophie, sondern der Name für eine<br />

Einstellung geistigen Schauens, in der man etwas zu erschauen oder doch zu<br />

erleben bekommt, was ohne sie verborgen bleibt: nämlich das Reich von ‚Tatsachen‘<br />

eigentümlicher Art. Ich sage ‚Einstellung‘ – nicht Methode.“ (Scheler, zit. nach<br />

Handout, Ausbildungskurs). Und an anderer Stelle wird Scheler für unseren<br />

Zusammenhang noch deutlicher: „Die neue Haltung mag zunächst vage genug<br />

emotional als ein Sichhingeben an den Anschauungsgehalt der Dinge, als die<br />

Bewegung eines tiefen Vertrauens in die Unumstößlichkeit alles schlicht und evident<br />

‚Gegebenen‘, als mutiges Sichselbstloslassen in der Anschauung und in der<br />

liebenden Bewegung zu der Welt in ihrer Angeschautheit bezeichnet werden...“<br />

(Scheler zit. nach Handout, Ausbildungskurs). Mit der Scheler´schen Formulierung<br />

wird die Relevanz für die therapeutische Haltung deutlich erkennbar. Entscheidend<br />

dabei ist die Offenheit des Therapeuten (vgl. Lleras 2000, 34f), der den Klienten in<br />

seiner Eigenart belassen muß. Maxime muß das Phänomen sein, eben das, was<br />

sich vom Klienten her zeigt. Es geht um das „Ansichtigwerden des Patienten von ihm<br />

selbst her“ (Lleras 2000, 35). Vom Therapeuten wird einerseits gefordert, daß er sich<br />

ganz einläßt und vom Patienten treffen läßt, wodurch ein interpersonales Feld<br />

zwischen Therapeuten und Klienten entsteht. Andererseits muß er sich wieder von<br />

seiner Betroffenheit lösen, muß sein Urteil über seine vermeintlich objektive Realität<br />

aufheben (Epoché), „wodurch ein freier Raum für die Artikulation des<br />

Selbstverständnisses des Patienten entsteht“ (Lleras 2000, 35). Die relevante<br />

Realität ist die intersubjektive Realität des Patienten und des Therapeuten, aus der<br />

Wirklichkeit entsteht. Die phänomenologische Methode zielt auf das Verstehen des<br />

Patienten ab, nicht auf das Analysieren oder Deuten der Phänomene und trachtet<br />

danach, das Wesen zu schauen. Gemeint ist damit das Einzigartige,


31<br />

Unverwechselbare, das, was die Person einmalig zu dem macht, was sie ist. (vgl.<br />

Ausbildungskurs Mai 1999).<br />

Von drei „Grundstücken“ (Vetter 1989, 18) spricht Heidegger in seiner<br />

Phänomenologie, die das methodische Vorgehen bestimmen: Die Reduktion, die<br />

Destruktion und die Konstruktion. Diese Stufen können methodisch in folgende<br />

Fragen gefaßt werden: 1. Was zeigt sich spontan? 2. Ist es wirklich so? 3. Wie ist<br />

es? (vgl. dazu: Handout „Phänomenologie“, Ausbildungskurs Mai 1999). So ist die<br />

phänomenologische Haltung an dem interessiert, was sich zeigt, an den<br />

Zusammenhängen, wie sie sich zeigen, am Wesen, was sich darin zeigt und an der<br />

Existenz, was sie für uns bedeutet (vgl. Ausbildungskurs Mai 1999). Vom<br />

Therapeuten in der Praxis verlangt die phänomenologische Haltung, daß er nur von<br />

dem spricht, was sich zeigt und wie es bei ihm ankommt (interpersonales Feld).<br />

Dann hat er dieses Urteil in Frage zu stellen. Ist es wirklich so? Weiters ist sein Mut<br />

zur Subjektivität gefragt, denn die Wahrnehmung erfolgt am subjektiven Erleben:<br />

Wesentliches läßt sich nur am eigenen Wesen erfassen. Schließlich ist es<br />

entscheidend, die Eigen-arten des Therapeuten in der Haltung der Epoché zu<br />

subtrahieren, einzuklammern, weil der Wahrnehmende immer auch selbst enthalten<br />

ist (vgl. dazu Handout „Phänomenologie“ Ausbildungskurs Mai 1999).<br />

Längle hat die phänomenologische Haltung in der Personalen Existenzanalyse in<br />

eine therapeutisch anwendbare Methode gegossen (vgl. LLeras 2000, 35): In der<br />

Deskription (PEA 0) artikuliert sich das Selbstverständnis des Patienten in seiner<br />

Alltäglichkeit; durch die phänomenologische Analyse (PEA 1) wird die Emotionalität<br />

freigelegt und das Selbstverstehen artikuliert; durch die innere Stellungnahme (PEA<br />

2) entwickelt sich das Verstehen der eigenen Existenz aus der jeweiligen Situation,<br />

„womit sich die Dimension des Handelns eröffnet“ (LLeras 2000, 35) in PEA 3.<br />

3.2.3. Zusammenschau<br />

Als entscheidende Übereinstimmung zwischen Exerzitienleiter und Therapeuten<br />

erachte ich die innere Offenheit gegenüber dem Exerzitanten bzw. Klienten. Nicht<br />

der Leitende weiß, was für den Begleiteten gut ist, sondern dieser muß seinen<br />

inneren Weg selbst gehen, muß selber auf die Spur kommen, was für ihn das<br />

Richtige ist (vgl. EB 2). Der Leiter induziert in gewisser Weise den Prozeß, indem er<br />

in den Exerzitien den Betrachtungsstoff vorgibt (EB 2), bzw. sich in der Therapie als


32<br />

personales Gegenüber positioniert. Die Epoche, das Einklammern des Leiteranteils<br />

ist wesentlicher Anteil sowohl der phänomenologischen Methode als auch der<br />

Exerzitien: Der Exerzitiengeber soll den Empfänger nicht zu der einen oder anderen<br />

Seite hinlenken, sondern „in der Mitte stehend wie eine Waage unmittelbar den<br />

Schöpfer mit seinem Geschöpf wirken lassen“ (EB 15). Wie dies geschieht, wird im<br />

Abschnitt über die Wahl (4.3.1.3.) und in den Regeln zur Unterscheidung der Geister<br />

(4.3.1.1.) behandelt. Auf der anderen Seite muß der Leitende sowohl in den<br />

Exerzitien, als auch in der Therapie als Person greifbar sein. In den Exerzitien als<br />

der, der den Stoff vorlegt und aufbereitet (EB 2), im geistlichen Prozeß Erfahrung hat<br />

(EB 6) und der nachfragt, wenn sich nichts bewegt. (EB 2). Der existenzanalytische<br />

Therapeut muß als Gegenüber erfahrbar, als Du greifbar sein, damit sich das<br />

interpersonale Feld aufspannen kann, in dem sich der Prozeß entfaltet.<br />

Von inneren Bewegungen mociones spricht Ignatius als entscheidendes Wirkelement<br />

(EB 6). Vom Ansprechen, besser, vom Anfühlen und Umgehen mit den Emotionen<br />

geht es wesentlich in der existenzanalytische Therapie. Dazu später in 4.2.2.5.<br />

3.3. Wirkfaktoren<br />

3.3.1. Wirkfaktoren der existenzanalytische Psychotherapie<br />

In diesem Zusammenhang sind auch die „Wirkfaktoren der existenzanalytische<br />

Psychotherapie“ (vgl. Handout, Ausbildungskurs) zu nennen. Gemeint sind drei<br />

spezifische Schwerpunkte, in denen die persönlichkeitsspezifischen Eigenschaften<br />

des Psychotherapeuten aufgezeigt und in Beziehung zur Personalen<br />

Existenzanalyse gesetzt werden. Es handelt sich erstens um die phänomenologische<br />

Offenheit des Therapeuten, die zum subjektiven Werteerfassen und zu persönlichen<br />

Emotionen anleitet. Diese Offenheit leitet den Patienten an nachzufühlen, nicht nur<br />

was er erlebte, sondern auch weshalb er es so erlebte. Der Therapeut zeigt die<br />

Betrachtungsweise vor, wie der Patient auf die Probleme schauen soll. Hierin ist die<br />

PEA 1, das Arbeiten am Ein-druck zu erkennen. Der zweite Schritt, das Verweilen,<br />

Bei-Sein, Konfrontieren, führt zu persönlicher Stellungnahme, zum Erkennen von<br />

lebensgeschichtlichen Zusammenhängen, zum Finden von neuen Einstellungen.<br />

Durch das Mittel des Verstehens des Therapeuten gelangt der Patient zu einem<br />

Verständnis von sich selbst, m. a. W.: er bekommt sich selbst in die Hand gespielt, er


33<br />

erkennt die Beweggründe für sein Handeln und der Therapeut ermutigt ihn der<br />

inneren Spur nachzugehen, um sich besser zu verstehen. Dieser Schritt der<br />

Stellungnahme entspricht PEA 2. Im dritten Schwerpunkt, dem beziehungsstiftenden<br />

Vorgehen wird das Ausdrucksverhalten erarbeitet, wodurch sich der Patient zu<br />

äußeren und internalisierten Werten in Beziehung bringt und neue Lebensbezüge<br />

aufbaut. Es geht um den – poetisch ausgedrückt – atmenden Austausch mit der<br />

Welt, um einen möglichst breiten Dialog mit ihr. Hierin ist die PEA 3, das<br />

Ausdrucksverhalten zu erkennen.<br />

Um das Thema Wirkfaktoren in der Psychotherapie geht es auch in K. Grawes´s<br />

„Psychologischer Therapie“ (Grawe 2000), die er Wirkprinzipien nennt. Als ersten<br />

gibt er das Wirkprinzip „Intentionsrealisierung“ (vgl. Grave 2000, 87 ff) an, auch<br />

„Problembewältigung“ (ebd.) genannt, hinter dem die „Erwartungs-mal-Wert“<br />

Perspektive steckt. Wie kann man Erwartung herstellen, Volitionsprozesse fördern<br />

und dafür benötigte Teilfähigkeiten ausbilden? Wie können weiters Erwartungen<br />

verändert und Besserungserwartungen induziert werden, sind einige relevanten<br />

Fragen. Das zweite Wirkprinzip nennt Grawe „Intentionsveränderung“ (vgl. 2000 89<br />

ff), in der es um den motivationalen Klärungsprozeß geht. Im dritten Prinzip der<br />

„prozessualen Aktivierung“ (Grawe 2000, 93 ff), wird auf die unmittelbare Erfahrung<br />

und das aktuelle Erleben des Patienten größten Wert gelegt. Weiters ist die<br />

„Ressourcenaktivierung“ (Grawe 2000, 95 ff) ein wichtiger Faktor, wobei Grawe<br />

meint, daß in der Vergangenheit zu großer Wert auf die Problemperspektive gelegt<br />

wurde. Als fünftes und letztes Wirkprinzip nennt er die „Orientierung an<br />

Wirkprinzipien statt an Therapiemethoden“ (Grawe 2000, 99 ff). Daß Grawe von<br />

einem psychologischen, einem kognitiv behavioristischen Ansatz und nicht von<br />

einem personalen ausgeht, zeigt seine Terminologie. Bemerkenswert ist aber, daß<br />

Themen wie Wille (Volition genannt) unmittelbares Erleben, Motive, Intention,<br />

Ressourcen, Erwartungsveränderung (erinnert an die existenzanalytische<br />

Einstellungsänderung) wesentlich in seinem Therapiekonzept vorkommen. Es sind<br />

Themen, die auch in der Existenzanalyse von großer Relevanz sind. Die<br />

Wirkfaktoren haben wiederum eine Parallele zu den vier Grundmotivationen.<br />

3.3.2. Wirkfaktoren in den Exerzitien<br />

Wirkfaktoren in den Geistlichen Übungen sind in erster Linie personale. Es sind die<br />

schon beschriebenen Eigenschaften des Exerzitanten (siehe 3.1.1) wie die große


34<br />

Seele (grande animo) und die innere Freiheit (liberalidad), die Haltung der inneren<br />

Offenheit und der Verfügbarkeit (vgl. EB 5). Auf der Seite des Exerzitienleiters (siehe<br />

3.2.1.) ist es die Nabenfunktion, den Exerzitanten nicht auf die eine oder andere<br />

Seite seiner Überlegungen „hin zu bewegen“ (EB 15), sondern Gott wirken zu lassen<br />

und sich selbst – nicht als Person, jedoch mit allem manipulativem Streben –<br />

herauszunehmen (vgl. EB 15, 17). Auf der anderen Seite muß der Exerzitienleiter<br />

eine Katalysatorfunktion wahrnehmen, um als Mittler (man könnte auch Mediator<br />

resp. Mediatrix sagen) den Übenden mit seinem Schöpfer in lebendigen, geistig –<br />

emotionalen Kontakt zu bringen. Dies geschieht durch seine Person, seine<br />

Glaubens- und Lebenserfahrung und durch seine Anleitung zum Üben. Der letzte<br />

Punkt, nämlich das Üben, scheint mir der wichtigste Unterschied zur<br />

existenzanalytische Psychotherapie zu sein. Ignatius weist den Exerzitanten an,<br />

täglich viele Stunden die vorgeschriebenen Übungen zu machen (vgl. z.B. dazu EB<br />

2, 19, 45 – 89) und sieht darin einen (vielleicht den) entscheidenden Wirkfaktor zur<br />

Erreichung des Zieles. Darin könnte man eine stark behavioristische Färbung in den<br />

Exerzitien erkennen. Die Übungen scheinen eine Gratwanderung zwischen dem<br />

Machbaren, Lernbaren (den Übungen) und dem Ereignishaften, Geschenkhaften zu<br />

sein. Beide Pole sind entscheidend, es gilt die richtige Balance zu finden.<br />

Theologisch ausgedrückt könnte man sagen: Es geht einerseits um das Einwirken<br />

Gottes, um die Gnade im Geschenkhaften und andererseits um die Mitwirkung des<br />

Menschen im menschlich Machbaren. Die Kunst besteht darin, beide Pole<br />

gleichzeitig zu sehen, zu integrieren und dabei keinen zu verabsolutieren. Üben stellt<br />

aber auch einen Wirkfaktor in der Existenzanalyse dar, im Prozeßmodell der<br />

Personalen Existenzanalyse, im Ausdrucksverhalten (PEA 3) hat das Üben durchaus<br />

einen Platz, vor allem in der Therapie von Angst und Zwang (vgl. Ausbildungskurs).


4. Phasen des Weges<br />

4.1. Sich auf den Weg einlassen<br />

35<br />

4.1.1 Prinzip und Fundament der Exerzitien<br />

Dem Vierwochenschema der Exerzitien ist, wie bereits angedeutet, im „Prinzip und<br />

Fundament“ (EB 23) ein kurzer Abschnitt vorgeschaltet, der in der „Betrachtung zur<br />

Erlangung der Liebe“ (EB 230-237) am Ende des Buches seine Entsprechung findet.<br />

Das Prinzip am Anfang bezeichnet Köster als „Vision“, als „Perspektive“ (Köster<br />

1999, 17) des Ganzen. De amore faßt „am Ende die ganze Bewegung der vier<br />

Wochen wie im Brennpunkt einer Linse noch einmal zusammen“ (Köster 1999, 15).<br />

Im Prinzip sieht Köster ein Kriterium für den Übenden, ob er überhaupt für den<br />

Entscheidungsweg disponiert ist (vgl. Köster 1999, 15). Er bezeichnet diesen<br />

Abschnitt als eine „Testphase“ (Köster 1999, 24) der Exerzitien.<br />

Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott Unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und<br />

Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten. Die anderen Dinge auf Erden sind zum<br />

Menschen hin geschaffen, und um ihn bei der Verfolgung seines Zieles zu helfen, zu<br />

dem hin er geschaffen ist. Hieraus folgt, daß der Mensch sie so weit zu gebrauchen hat,<br />

als sie zu diesem Ziele hin helfen, und so weit zu lassen, als sie ihn daran hindern.<br />

Darum ist es notwendig, uns allen geschaffenen Dingen gegenüber gleichmütig<br />

(indiferentes) zu machen, überall dort, wo dies der Freiheit unseres Wahlvermögens<br />

eingeräumt und nicht verboten ist, dergestalt, daß wir von unserer Seite Gesundheit<br />

nicht mehr als Krankheit begehren, Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als<br />

Ehrlosigkeit, langes Leben nicht mehr als kurzes, und dementsprechend in allen<br />

übrigen Dingen, einzig das ersehnend und erwählend, was uns jeweils mehr zu diesem<br />

Ziele hin fördert, zu dem wir geschaffen sind. (EB 23)<br />

Der erste Satz des Textes klingt trocken dogmatisch. Er drückt die Grundhaltung<br />

aus, daß der Mensch ein ens ab alio, ein Seiendes von einem Anderen, nicht aus<br />

sich selbst gemacht, sondern sein Sein, seine Existenz einem andern verdankt.<br />

Dieses – man könnte sagen: existentielle – Grundaxion, das wir bereits in Kapitel<br />

„Grundhaltungen“ (3.1.) besprochen haben, zeigt sich hier wieder in fundamentaler<br />

Weise. Es ist die conditio sine qua non, von der sich alles ableitet. Das<br />

„schöpferische Wort“ (vgl. Gen 1,3; Joh 1,3) ist der Akt Gottes, das „Loben, Ehrfurcht


36<br />

erweisen und Dienen“ (vgl. EB 23) ist Ant-wort des Menschen. Ziel, Sinn des<br />

Menschen ist es, auf diese Weise „sich zu retten“ (EB 23). Bemerkenswert ist die<br />

aktive Formulierung: sie verweist auf den aktiven Beitrag des Menschen, auf seine<br />

freie Mitwirkung. Dies ist die zweite conditio sine qua non: ohne das freie, personal<br />

entschiedene Ja, ist Rettung, Heil nicht möglich.<br />

Der zweite Satz stellt eine weitere wichtige Regel auf, daß Ziel und Mittel zur<br />

Erreichung des Zieles nicht verwechselt werden dürfen. Mittel sind alle geschaffenen<br />

Dinge, die der Mensch gebrauchen oder lassen (quitarse) muß, um das Ziel zu<br />

erlangen. Hinter dieser Feststellung steht die Schriftstelle Genesis 1,26f, in der Gott<br />

den Menschen als Verwalter über die Schöpfung einsetzt, ihm seine Schöpfung<br />

verantwortlich delegiert. Freilich darf der Mensch nie vergessen, daß er sich einem<br />

anderen verdankt und ihm daher ver-ant-wortlich ist. Um diese Wirklichkeit nicht zu<br />

vergessen wurde der Sabbat eingesetzt. Obwohl Krone der Schöpfung ist der<br />

Mensch nicht letzverantwortliches Maß aller Dinge, sondern verweist auf den<br />

Urgrund des Seins, der nicht er selber ist. Das in Exodus formulierte 1. Gebot „Ich bin<br />

Jahwe dein Gott. ... Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ (Ex 20,1)<br />

drückt diese Wirklichkeit in rechtlicher Satzung aus. Alles Übel leitet sich m. M. n.<br />

biblisch von der Übertretung dieses 1. Gebotes ab: sich selbst als letzte Autorität zu<br />

sehen und das Sich-Verdanken-von-einem-Anderen zu vergessen, m. a. W:<br />

vergessen, Geschöpf zu sein und sich selbst zu Gott machen.<br />

Was daraus folgt ist die Haltung der Gleichmut (indiferencia) gegenüber allen<br />

geschaffenen Dinge. Das Bild der Waage könnte man auch in dieser Passage<br />

erkennen. Ignatius gibt nun konkrete Beispiele, auf die sich die „indiferencia“ zu<br />

beziehen hat. Der letzte Satz faßt noch einmal zusammen, um aber in der Erwählung<br />

das je beste Mittel zu finden, das die Erreichung des Zieles mehr (magis) fördert.<br />

Damit ist das „Prinzip und Fundament“ ganz in die Schöpfungstheologie eingebettet,<br />

die a priori gut ist: „Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“<br />

(Gen 1,31). Im Gewahrwerden dieses guten Fundamentes ist erst die Konfrontation<br />

mit den Abgründen der eigenen Person (erste Woche) und die Entscheidung für das<br />

je-Bessere in der Wahl (zweite Woche) möglich. Um diese Basis zu legen,


37<br />

verwenden heute Exerzitienleiter 5<br />

viel Zeit und Mühe für das Fundament, bevor sie in<br />

die weitere Dynamik einsteigen.<br />

4.1.2. Dasein-Können und die Frage nach dem Sinn<br />

An dieser Stelle scheint es mir passend zu sein, die erste und vierte.<br />

Grundmotivation zu erwähnen und die Sinnfrage 6<br />

zu diskutieren. Bemerkenswert<br />

sind die ersten Worte des Fundamentes: „Der Mensch ist geschaffen...“ EB 23). Wie<br />

oben erwähnt geht es um die Annahme des Grundaxioms, daß der Mensch<br />

geschaffen ist, sich einem anderen verdankt. Dies erinnert stark an die 1.<br />

Grundmotivation der Existenzanalyse (vgl. dazu Längle A 2000a, 22f, ders. 2001b,<br />

191, Ausbildungskurse Existenzanalyse). Hierin geht es um die Grundfrage der<br />

Existenz: Ich bin da – kann ich sein? Verstehe ich dieses mein Da-sein? Es mag ein<br />

Staunen hervorrufen, daß ich überhaupt bin. Die Frage des „Woher?“ beantwortet die<br />

Existenzanalyse als Psychotherapierichtung nicht, aber sie nimmt das Faktum des<br />

Daseins wahr. Als Tätigkeit des Menschen in dieser Phase bleibt das Akzeptieren<br />

dieses Umstandes, das Aushalten (falls es schwer ist), das zu einem Annehmen<br />

führen soll, letztlich zu einem Ja zum Dasein. Dazu braucht es Raum, Schutz und<br />

Halt und vor allem das Vertrauen, im Tiefsten gehalten, getragen zu sein. Dieses<br />

tiefste Vertrauen wird in der Existenzanalyse Grundvertrauen in den Seinsgrund (vg.<br />

Längle 2000b, 23f) genannt. Es geht um die ontologische Grunderfahrung, „dass da<br />

‚immer etwas ist‘, das Halt gibt und das größer ist als man selbst – eine Welt, eine<br />

Ordnung, ein Kosmos, ein Nichts, ein Gott“ (Längle 2001b 192). Ist dieses Vertrauen<br />

brüchig, führt es zur Verunsicherung, zur Angst. Induziert wird dieses Dasein-Können<br />

dadurch, daß sich der Mensch angenommen weiß und fühlt.<br />

Im Prinzip und Fundament geht es weiter um die „Testphase“ (Köster 1999, 24) der<br />

Exerzitien, um die Perspektive, den großen Wurf, man könnte auch sagen: um den<br />

intentionalen Aspekt, ob der Übende für den Prozeß der inneren Umkehr und der<br />

Wahl disponiert ist (vgl. Köster 1999, 15) und diesen auch will. Die 4.<br />

Grundmotivation fragt ebenfalls nach den Sinnzusammenhängen, nach dem Wohin<br />

und Wofür der Existenz (Längle A 2000a, 23). Ein Mensch, der eine Therapie<br />

beginnt, muß sich ebenfalls den grundsätzlichen Fragen stellen: Was ist das Ziel der<br />

5 Persönliche Mitteilungen vieler Exerzitienleiter an den Verfasser<br />

6 Vgl. dazu auch die Ausführungen von E.J. Bauer 2000


38<br />

Therapie? Was will ich erreichen? Welchen Sinn hat sie? Wofür tue ich das? Diese<br />

Fragen stellen sich aber auch vor jeder kleineren oder größeren Entscheidung:<br />

Warum, wofür tue oder lasse ich dieses oder jenes?<br />

Voraussetzung für die Sinnfindung ist die schon öfter erwähnte existentielle Haltung<br />

(vgl. dazu 3.1.2). Der Mensch ist eingebettet in einer Situ-ation, in einem<br />

Beziehungsrahmen, der etwas mit mir macht, der mich anfrägt. Wie gehe ich mit<br />

dieser Situation um? Es mag eine Phase des Überlegens, des Nachsinnes, des Im-<br />

Herzen-Bewegens folgen: Was bedeutet dieser Anspruch, dieser Anruf für mich? In<br />

welche Richtung soll es gehen, was ist der Sinn des Geschehens? In welchem<br />

Zusammenhang steht wovon ich angesprochen bin? Was ist die Perspektive, die<br />

sich hier eröffnet? Paßt dies in mein Lebenskonzept? Hier stellt sich die Frage: Habe<br />

ich ein Lebenskonzept und wie schaut es aus? Gibt es einen intentionalen Bogen,<br />

wofür, wozu ich lebe? Gibt es einen Sinn in meinem Leben, auf den ich mich hin<br />

bewege?<br />

Das „Prinzip und Fundament“ (EB 23) spricht von einem Sinnkonzept: „Der Mensch<br />

ist geschaffen dazu hin, Gott Unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu<br />

dienen und so seine Seele zu retten“ (EB 23). Frankl spricht in seiner Sicht vom Sinn<br />

ebenfalls von einem letzten Sinn, einem Übersinn: „Das Ganze hat keinen Sinn – es<br />

hat einen Übersinn (...) Den Übersinn zu denken ist unmöglich; so ist es notwendig,<br />

ihn zu glauben“ (Frankl 1984, 201). Längle faßt Frankls Position weiter zusammen:<br />

„Sinn – vermittelt durch Werte – steht wie ein Licht vor uns, das vom Absoluten<br />

ausgeht und sich an den Dingen der Welt bricht; erfaßbar ist dieser Sinn für den<br />

Menschen durch das ‚Sinnorgan‘ Gewissen, dem Einfallstor der Transzendenz.“<br />

(Längle 1994b, 17). Frankls Sinnbegriff setzt den Wertbegriff voraus. Denn den „Sinn<br />

des Daseins erfüllen wir – unser Dasein erfüllen wir mit dem Sinn allemal dadurch,<br />

daß wir Werte verwirklichen“ (Frankl 1984, 202). Mit dem Sinnorgan „Gewissen“ (vgl.<br />

Frankl 1987, 76) werden nun die Werte in Abstimmung mit dem ewigen allgemein<br />

gefaßten moralischen Gesetz erfaßt (Frankl 1979, 29). Alle Werte sind nun auf den<br />

letzten Wert bezogen, also relativ, von diesem Wert abzuleiten. Diese letzte Instanz<br />

weist nach Frankl „durchaus personale Struktur“ (1959, 694) auf, und er scheut sich<br />

nicht, „dieses Personalissimum so zu nennen, wie die Menschheit es nun einmal<br />

genannt hat: Gott“ (ebd.). Erst von diesem Wertemaximum erhalten die Dinge ihren


39<br />

Wert (vgl. Frankl 1984, 223). Frankl geht in der Sinnerfassung eher deduktiv vor.<br />

Längle (1994b, 15ff) schlägt zur Begriffsklärung die Unterscheidung zwischen<br />

ontologischem Sinn und existentiellem Sinn vor, die in der Folge zu einer heftigen<br />

Auseinandersetzung geführt hat. 7<br />

Im ontologischen Sinn wird danach gefragt,<br />

welchen Sinn eine Sache oder ein Umstand an sich hat, im existentiellen Sinn „nach<br />

dem persönlichen subjektiven Sinn, den eine Sache oder persönliche Umstände für<br />

die Einstellungen und für das Verhalten des einzelnen Menschen in einer<br />

bestimmten Situation haben“ (Längle 1994b, 18), oder kurz formuliert: „‘die<br />

wertvollste Möglichkeit der Situation‘. Existentieller Sinn entsteht durch die<br />

Wechselwirkung zwischen dem erlebenden, fühlenden, leidenden Ich und seiner<br />

(wertvollen oder wertlosen) Welt.“ (Längle 1994b, 17). Längle geht m. E. in der<br />

existentiellen Sinnsuche induktiv vor, vom Wertefühlen in einer konkreten Situation,<br />

aus der sich Sinn ergibt. Die Brücke zum ontologischen Sinn schlägt Längle in<br />

folgender Weise: „ durch den Vollzug des existentiellen Sinnes stößt der Mensch<br />

im Laufe seines Lebens zum ontologischen Sinn seiner Existenz vor. Ansonsten gibt<br />

der existentielle Sinn keine Auskunft darüber, ob etwas (ontologisch) Sinn hat“<br />

(Längle 1994b, 18). Was die Gottesfrage angeht (es wurde die Logotherapie oft als<br />

religiöse Therapie bezeichnet, vgl. dazu Längle 1994b, 15) meint Längle (1994b, 20),<br />

daß Gott beim Franklschen Sinnbegriff am Anfang steht. Werte und Sinn vermitteln<br />

und künden von ihm, - beim existentiellen Sinnbegriff „steht am Ende Gott offen“<br />

(ebd. 20). Gott oder das Absolute ist nicht zwingend enthalten. Dies ist der Bereich<br />

des Intimen, des ganz Persönlichen des Menschen. In dieser ganz existentiellen<br />

Haltung ist der Mensch auf das „eigenverantwortliche und persönliche Besorgen<br />

seiner Existenz“ (ebd. 20) verwiesen.<br />

4.1.3. Zusammenschau<br />

Im ersten Teil des Abschnitts Prinzip und Fundament wird dem Exerzitienprozeß eine<br />

Perspektive, ein intentionaler Bogen oder existenzanalytisch ausgedrückt: ein<br />

ontologischer Sinn vorangestellt. Im 2. Teil (als Skizze) und vor allem in den Phasen<br />

der 1. und zweite Woche geht es dann um das Finden des je eigenen Sinns in einer<br />

konkreten Situation: „Was ist das in dieser Stunde von Gott Gewollte?“. Diese<br />

7 Vgl. dazu Bulletin 1994 Nr. 3, 32ff


40<br />

Phasen, von denen noch ausdrücklich die Rede sein wird, weisen m.E. eine große<br />

Nähe zum existentiellen Sinn auf.<br />

Den ontologischen Sinn könnte man m. E. auch als Rahmen bezeichnen, in dem sich<br />

dann der konkrete existentielle Sinn ereignet. Was das Prinzip (EB 23) betrifft,<br />

scheint mir der ontologische Sinn eher formal als inhaltlich geprägt zu sein. „Gott<br />

loben und ihm dienen“ (vgl. EB 23) ist eher eine Haltung als eine inhaltliche Vorgabe,<br />

von der etwas deduziert werden könnte. Ich erkenne in dieser Haltung einen Raum<br />

oder eine Gestimmtheit, in der der Exerzitant seinen je eigenen Weg geht – und dies<br />

ohne Manipulation von außen (vgl. EB 15). Ohne ontologischen Sinn, so wie ich ihn<br />

verstehe, scheint die existentielle Sinnsuche kaum möglich zu sein. Denn ohne<br />

Perspektive (die Hoffnung mit einschließt), ohne wozu und wofür wird das Leben<br />

kaum durchzuhalten sein. So ist m. E. der ontologische Sinn nicht zwingend religiös<br />

eingefärbt, obwohl er die letzten Fragen anspricht, die an der Transzendenz rühren.<br />

Deshalb stelle ich die Hypothese auf, daß das Sinnkonzept jedes Menschen mit dem<br />

ontologischen Sinn zu tun hat, so unterschiedlich dieses auch sein mag. Das<br />

Sinnkonzept ist mit dem ontologischen Sinn identisch: Er ist das Produkt aller<br />

existentiellen Sinnfindungsprozesse. Und mit jedem neuen existentiellen Sinn<br />

modifiziert sich der ontologische Sinn. Diese Dynamik der Modifizierung des<br />

ontologischen Sinns meine ich auch im Leben Jesu zu erkennen, wie es sich aus<br />

der Überlieferung des Neuen Testament ausmachen läßt: War Jesus zuerst davon<br />

erfüllt, das Reich Gottes auf Erden aufzubauen, die Frohbotschaft zu predigen,<br />

Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben (vgl. Mk 1,33.39, etc), mußte er in der<br />

Folge immer mehr den Widerstand, auch das Scheitern seiner Mission erfahren:<br />

„Deine Rede ist unerträglich (sklerós: eig. hart), wer kann sie hören? Und viele<br />

zogen sich zurück“ (Joh 6,60.66); sie waren „entschlossen, ihn zu töten (Joh 11,53).<br />

Und schließlich führt sein Leben in die Todesangst, die Aussichtslosigkeit, in das<br />

Grauen am Ölberg (vgl. dazu Mk, 14, 33ff), um im Verlassenheitsschrei Jesu am<br />

Kreuz (Mk 15,34.37), in der Aporie, der Ausweglosigkeit zu enden. So hat sich m. E.<br />

der ontologische Sinn Jesu von einer missionarischen schöpferischen Ausrichtung zu<br />

einer das Leid, das Scheitern und den Tod annehmenden Haltung modifiziert, durch<br />

die hindurch sich Auferstehung ereignet, ohne die darunterliegende Folie des<br />

missionarischen Wirkens zu verändern. Die Grundhaltung Jesu könnte als<br />

Proexistenz (vgl. Schürmann 1975) bezeichnet werden, als Leben für die Menschen.


41<br />

Was die Exerzitien betrifft, könnte man sagen, daß das Prinzip (EB 23) zwar einen<br />

ontologischen Sinn vorgibt, der sich aber in der Haltung der Proexistenz – wie immer<br />

sie sich im authentischen Prozeß zeigen mag – ganz individuell manifestiert. Freilich<br />

darf in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, daß im letzten Kapitel<br />

des Exerzitienbuches, quasi als Anhang, in „Die kirchliche Gesinnung“ (EB 352 –<br />

370) diese Freiheit wieder eingeschränkt wird: „ in allem zu gehorchen der<br />

wahren Braut Christi, die da ist unsere Heilige Mutter, die Hierarchische Kirche.“ (EB<br />

352). Dazu ist vieles geschrieben worden: einerseits die tiefe Liebe des hl Ignatius<br />

zur Kirche, die Abgrenzung gegenüber dem Protestantismus, aber auch die überall<br />

lauernde Inquisition (vgl. dazu Köster 1999, 203-213).<br />

Einen bemerkenswerten Beitrag zum Thema „Prinzip und Fundament“ und<br />

Grundmotivationen hat der Existenzanalytiker R. Kienast beim Kongreß der <strong>GLE</strong> im<br />

Jahr 2000 „Wenn der Sinn zur Frage wird“ im Workshop „Spiritualität als Sinn und<br />

Werteverwirklichung“ geleistet. Kienast meint, wenn man das Fundament des<br />

Ignatius und die Grundmotivationen von Längle gegenüberstellt, dann wird deutlich,<br />

daß beide vom gleichen Phänomen reden, auch wenn sie dieses anders deuten. Die<br />

beiden Modelle werden wie folgt gegenübergestellt.<br />

Prinzip und Fundament<br />

• Ich bin von Gott gewollt und<br />

geschaffen<br />

• Ziel ist es so zu leben, daß es mir<br />

danach zumute ist, Gott zu loben<br />

(sich vom Leben berühren lassen)<br />

• Indifferenz: Freier Umgang mit den<br />

„Dingen, um auf dieses Ziel<br />

hinzuleben...<br />

• ...was uns MEHR zu diesem Ziel<br />

hinführt<br />

Grundmotivationen<br />

• 1. GM: Grundvertrauen; „Da sein<br />

Können“, Schutz<br />

• 2.GM: Grundwert: „Wert sein<br />

mögen“ Es ist gut zu leben<br />

• 3. GM: Selbstwert: Es ist gut wie<br />

ich bin<br />

• 4. GM: Sinn wollen (Wille zum<br />

Sinn): Ich will daß mein Leben gut<br />

ist


4.2. Sich dem Abgrund stellen<br />

4.2.1. Erste Exerzitienwoche<br />

42<br />

In der ersten Woche geht es um den Prozeß der Umkehr, der Abkehr von der Sünde,<br />

der Zuwendung auf Gott hin. Man kann die erste Woche auch als Reinigungsweg<br />

(via purgativa) bezeichnen. Schon in EB 1 wird in knapper Form auf diese<br />

Wirklichkeit hingewiesen, daß Geistliche Übungen die Seele dazu hin disponieren,<br />

„alle ungeordneten Hinneigungen von sich zu tun“, oder wie es in EB 21 heißt: „sich<br />

selbst zu überwinden“. Köster spricht dabei von einem schwierigen Unterfangen, den<br />

Umgang mit Sünde und Schuld zugänglich zu machen (vgl. Köster 1999, 61). Die<br />

erste Woche ist für die Exerzitien so entscheidend, daß der Prozeß unter Umständen<br />

danach abgebrochen werden könnte. Ignatius legt dies in EB 18 nahe, wenn die<br />

Empfänger „einfachen und ungebildeten Geistes sind, oder von Dingen der<br />

Öffentlichkeit oder von wichtigen Geschäften in Anspruch genommen sind“ (EB 19).<br />

4.2.1.1. Prüfung des Gewissens (EB 24-44)<br />

Die Gewissensprüfung teilt sich in eine besondere und eine allgemeine. Die<br />

besondere (EB 24-31), auch Partikularexamen genannt, beginnt mit der ersten<br />

Woche. Sie liest sich wie eine nüchterne Instruktion. Ignatius weist den Übenden an,<br />

sich einen Vorsatz zu fassen, eine bestimmte Sünde zu meiden und dies jeweils<br />

nach dem Mittag- und Abendessen zu erforschen, wie oft er diesen Fehler begangen<br />

habe. Die Anzahl vermerke er auf einem Blatt und vergleiche jeweils Tage und<br />

Wochen miteinander (EB 27-31), nicht ohne vorher die Gnade Gottes erbeten zu<br />

haben (EB 25). Weiters soll er sich bei jedem Fehler an die Brust schlagen. Dies<br />

zeigt Ignatius´ praxisorientiertes, fast verhaltenstherapeutisches Vorgehen in diesem<br />

Abschnitt. Es drückt eine nüchterne Hinwendung zur Realität aus.<br />

Die allgemeine Prüfung des Gewissens (EB 32-44) bezeichnet Lambert als den<br />

„Blick aufs Ganze“ (1996, 220) und nennt die tägliche Gewissenserforschung<br />

„geistliches Schwarzbrot“ (Lambert 2000b, 217). Es geht dabei um das „reflectendo<br />

en si mismo“ (EB 235), das „auf sich selbst zurückbesinnen und einigen Nutzen aus<br />

dieser Sicht“ (Köster 1999, 45) zu ziehen.


43<br />

Ignatius wußte, wovon er sprach, wenn es um Sünde geht. Ein kurzer Blick auf seine<br />

Biographie macht dies deutlich. Eine Kugel ins Bein stoppte sein nicht gerade<br />

erbauliches Leben. Ein deutliches Zeugnis dafür ist, daß den ersten Biographen<br />

auferlegt wurde, nicht alles von seiner Biographie zu schreiben: Aggressivität,<br />

maßloser Ehrgeiz und ein „sehr freier Umgang mit Frauen“ (Lambert 2000b, 214) in<br />

dieser Zeit, sind Ignatius, wie er selbst sagt, nicht fern. Die Zeit nach der<br />

Verwundung auf dem Krankenlager wirft ihn im wahrsten Sinne des Wortes auf sich<br />

selbst zurück und leitet den Prozeß der Umkehr nolens volens ein.<br />

Die allgemeine Prüfung (EB 32 – 44) gibt Anleitung, das Gewissen nach den Sünden<br />

der Gedanken, Worte und Werke zu erforschen. Ignatius geht es darum, das Leben<br />

differenziert wahrzunehmen, wobei er zwischen Regungen und Gedanken<br />

unterscheidet, die von der Person selbst stammen und jenen, die von außen<br />

kommen. Es mischt sich Eigenes, das dem eigenen Willen und der eigenen Freiheit<br />

entspringt mit Fremdem, das vom guten oder schlechten Geist kommt (vgl. EB 32).<br />

In EB 43 zeigt Ignatius, wie bei der allgemeinen Gewissenserforschung vorgegangen<br />

werden soll. Bemerkenswert ist der erste Punkt, der darin besteht, Gott für die<br />

empfangenen Wohltaten Dank zu sagen (EB 43). Sie lenkt den Blick auf das Positive<br />

und leitet zunächst an, das wahrzunehmen, „was eigentlich trägt, lockt, weiterführt im<br />

Leben“ (Lambert 2000b, 221). Dann soll der Übende um die Gnade bitten, die Sünde<br />

zu erkennen und von sich zu werfen. Üben heißt nach Ignatius nicht nur eine<br />

Methode anwenden, sondern sie ist auch Gabe, Geschenk. Auf dieser Basis soll der<br />

Exerzitant den Tag durchgehen, Stunde für Stunde. Mit der Bitte um Verzeihung und<br />

dem Vorsatz der Besserung schließt die allgemeine Gewissenserforschung ab. Am<br />

Ende der erste Woche rät Ignatius zur Generalbeichte, „um ein Gespür für den<br />

Gesamtzusammenhang des Lebens zu entwickeln“ (Lambert 2000, 221). Der<br />

Tagesrückblick oder das „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“ (Lambert 2000b,<br />

212) als einer der wichtigsten Übungen will den Tag geistlich entziffern, um die<br />

‚Ordnung des Lebens‘ im täglichen Leben fortzusetzen“ Köster 1999, 47). Diese<br />

Übung durchzieht den gesamten Exerzitienprozeß.


4.2.1.2. Die täglichen fünf Übungen<br />

44<br />

Es sind fünf Übungen, Besinnungen (meditaciones) 8<br />

, die den Übenden mit der<br />

Realität der Sünde konfrontieren wollen. In der ersten Übung geht es um die Sünde<br />

der Engel, der Sünde Adams und der Todsünden, in der zweiten Übung um die<br />

persönlichen Sünden. Die dritten und vierten Übung sind Wiederholungen,<br />

Vertiefungen, die mit der Betrachtung der Hölle schließen.<br />

Die erste Übung (EB 45 – 54) führt Ignatius breiter aus, indem er detaillierte<br />

methodische Anweisungen gibt, die auch für alle späteren gelten. Es sollen alle drei<br />

Fähigkeiten (Seelenkräfte) eingesetzt werden, nämlich Gedächtnis, Verstand und<br />

Wille, wobei unter Wille in der mittelalterlichen Psychologie die Gefühle mitgemeint<br />

sind (vgl. Lambert 2000, 162) 9<br />

.<br />

Jede Übung beginnt mit dem Vorbereitungsgebet, das eine bewußte Einstellung auf<br />

das Ziel hervorrufen, aber auch das Bewußtsein wachhalten soll, empfangendes<br />

Geschöpf zu sein. Die erste Einstellung einer meditacion besteht in der „Zurichtung<br />

des Schauplatzes (composición viendo el lugar)“ (EB 47). Der Gegenstand der<br />

Betrachtung soll plastisch, sinnenhaft, wie auf einer Bühne vor-gestellt werden.<br />

Ignatius weist an, „mit der Schau der Einbildung den leiblichen Ort sehen, an dem<br />

sich die zu betrachtende Sache befindet“ (EB 47). Für die Übungen der erste Woche,<br />

in der es um die Betrachtung der Sünde, also etwas Abstraktes, geht, soll der<br />

Übende mit der „Schau der Einbildung sehen und betrachten, wie die Seele<br />

eingekerkert ist in diesem Leibe und der ganze Mensch in diesem Erdental wie<br />

verbannt unter unvernünftige Tiere“ (EB 47) lebt. Diese Formulierung mag abstoßend<br />

und befremdend klingen, hat aber den Sinn, die Seele in Bewegung zu bringen (vgl.<br />

EB 6), damit der Übende „mit seinem Kernschatten in Berührung kommt, um seine<br />

Kernverletzungen kennenzulernen“ (Köster 1999, 64). Köster versucht die Stelle<br />

tiefenpsychologisch zu erklären. Es gehe darum, aus dem unbewußten Ausagieren<br />

der Kernverletzungen herauszukommen, vom Opfer zum Täter zu werden, der „für<br />

seine unbewußte Täterrolle die Verantwortung übernimmt“ (Köster 1999, 64). So<br />

kann „seine größte Schwäche für ihn und andere zum Segen werden“ (Köster 1999,<br />

64). Die Haltung des Empfangens spiegelt die zweite Einstellung wieder, nämlich<br />

8 Vgl. dazu Lambert 2000b, 162ff<br />

9 Zur mittelalterlichen Psychologie siehe Lambert 2000b, 162


45<br />

Gott zu bitten und zu wünschen, was „ich will und wünsche (lo que quiero y deseo)“<br />

(EB 48, zit. nach Köster 1999, 65). Die innere Bewegung darf nicht selbst gemacht<br />

werden, sondern muß von Gott angeregt sein. Für die erste Woche bedeutet dies<br />

„Beschämung und Verwirrung über mich selbst zu erbitten“ (EB 48).<br />

Nach den methodischen Vorbemerkungen werden die Betrachtungen beschrieben:<br />

In der ersten geht es um die Sünde der Engel (EB 50): Gott ist nicht Zentrum,<br />

sondern das Geschöpf. Weiters soll die Sünde Adams und Evas (EB 51) betrachtet<br />

werden: Der Mensch ist nicht indifferent zum Geschaffenen, Mittel und Ziel zum Heil<br />

werden vertauscht. Schließlich ist die Sünde des „jeweils Einzelnen, der wegen einer<br />

Todsünde in die Hölle kam“ (EB 52) Gegenstand der Betrachtung. Der Schuß der<br />

Betrachtung mündet in die „unendliche Güte Gottes“ EB 52), die im abschließenden<br />

Zwiegespäch (EB 53) mit dem am Kreuz hängenden Herrn gehalten wird,<br />

„anschaulich (imaginando)“ (EB 54) wie Ignatius ausdrücklich anweist: „wie Er denn<br />

als Schöpfer dazu kam, sich zum Menschen zu machen und vom ewigen Leben zum<br />

zeitlichen Tod niederzusteigen und so für unsere Sünden zu sterben“ (EB 54).<br />

Ignatius weist an, dies anschaulich (imaginando EB 54) mit richtigen Worten zu tun,<br />

„wie ein Freund mit einem Freunde spricht oder ein Knecht zu seinem Herrn, bald um<br />

Gnade bittend, bald wegen eines begangenen Fehlers anklagend, bald seine<br />

Anliegen mitteilend und dafür Rat erbittend“ (EB 54).<br />

Es geht Ignatius bei der meditacion bzw. contemplacion wesentlich um den gezielten<br />

Einsatz aller Seelenkräfte (potencias del alma) (EB 50-53), später auch mit dem<br />

Einsatz aller Sinne (EB 66-70). Bei der Engelsünde heißt es, sich diese „ins<br />

Gedächtnis rufen; und dann über das Gleiche mit dem Verstande nachzudenken<br />

(discurriendo): und hierauf mit dem Willen, indem ich (willentlich) verlange, dieses<br />

Ganze ins Gedächtnis und Verständnis zu rufen, um je mehr mich zu beschämen<br />

und zu verwirren mit dem Willen entsprechend die Affekte zu bewegen“ (EB 50,<br />

zit. nach Haas 1977, 34). Entscheidend sind die Phasen: erstens sich in Erinnerung<br />

rufen, zweitens mit dem Verstand durchgehen und drittens mit dem Willen zu<br />

affizieren, im konkreten Fall Beschämung und Verwirrung zu wollen bzw. zuzulassen.<br />

Köster versucht die „symbolisch-intentionale Struktur“ (Köster 1999, 70) dieser ersten<br />

Übung zu erfassen: In EB 50-52 geht es um die „symbolische Repräsentation der


46<br />

Sünde als mir vorgegebene Wirklichkeit“ (Köster 1999, 71) durch Engel, Stammeltern<br />

und jeden verdammten Menschen (man könnte sagen: das, was ich erbe, im Sinn<br />

einer Erbschuld). Ergebnis ist die Sünde der Verweigerung, die zum Verlust der<br />

Gottesnähe führt (vgl. Köster 1999, 71). Dies übertrage ich nun „auf meine von der<br />

Unheilsgeschichte infizierte und real mitbestimmte Situation (EB 53 – 54), d.h. ich<br />

gehe mit der ganzen Wahrheit meines Lebens in die heilende und erlösende<br />

Gegenwart dessen, der sich ohne Rücksicht und Vorsicht (auch) für mich<br />

entschieden hat“ (Köster 1999, 71). Der Rahmen des Bildes bildet der Gekreuzigte<br />

„in dem Gottes unendliche Güte ein Antlitz und eine Gestalt bekommen hat“ (Köster<br />

1999, 71). Ziel ist es, mit diesem Gekreuzigten in einen personalen Austausch, in<br />

einen Dialog zu kommen, „wie ein Freund mit einem Freunde spricht“ (EB 54).<br />

In der zweiten Übung soll nun der Exerzitant die Realität seines von Schuld<br />

eingefärbten Lebens anschauen. Das Leben soll abschnittsweise durchgegangen<br />

werden, um sich die Sünden in Erinnerung zu rufen (EB 56) und sich als sündiges<br />

Geschöpf im Kosmos zu positionieren: Gott – Engel – Menschen und alle Kreaturen<br />

(vgl. EB 58).<br />

Diese vorgestellte Realität ist nun mit Affekt, mit innerer Bewegung zu füllen. In EB<br />

55 heißt es: Gott „um einen großen und durchdringenden Schmerz und um Tränen<br />

über meine Sünden“ bitten, oder in EB 60 die Anweisung: „staunender Ausruf mit<br />

stets steigendem Affekt beim nachdenklichen Durchgehen durch alle Geschöpfe, wie<br />

sie mich am Leben gelassen haben“ (EB 60, zit. nach Haas 1977, 37). Die Übung<br />

schließt mit einem Gespräch der Barmherzigkeit, als Antwort auf die Güte Gottes:<br />

„Überlegen und Danksagen Unserem Herrn, daß Er mir bis jetzt das Leben<br />

geschenkt hat, und sich Besserung für die Zukunft vornehmen mit seiner Gnade.<br />

Vater Unser.“ (EB 61)<br />

Die dritte und vierte Übung, die vor dem Mittagessen und zur Vesperzeit gehalten<br />

werden, sind Wiederholungen der ersten und zweiten Übung. Bei der dritten Übung<br />

heißt es in EB 62: „jene Punkte anmerkend und bei ihnen verweilend, bei welchen<br />

ich größere Trostlosigkeit spürte oder größeres Fühlen im Hl. Geiste“. Die<br />

Betrachtungspunkte sollen auf jene fokussiert werden, die eine innere Bewegung<br />

ausgelöst haben. Dadurch entdeckt der Übende „nach und nach die Spur, auf der<br />

Gott ihn weiterführen will“ (Köster 1999, 76). Ein dreifaches Gespräch (mit Maria,


47<br />

dem Sohn Gottes und Gott Vater) soll eine innere Erkenntnis „interno conoscimento“<br />

(EB 63) von Sünden und fühlbaren Abscheu vor ihnen hervorrufen, weiters ein<br />

Spüren von der Unordnung des Lebens, um sich zu bessern und schließlich eine<br />

Erkenntnis von der Welt, um sich von eitlen Dingen zu entfernen (vgl. EB 63). In der<br />

vierten Übung (EB 64) wird dann die dritte verdichtend („resumiendo“) (Köster 1999,<br />

78) wiederholt und die Aufmerksamkeit auf die „cosas contemplandas“ (Köster 1999,<br />

71) – die zu betrachtenden Dinge – mit aufmerksamer Hingabe gerichtet, um das<br />

Bewußtgewordene noch tiefer emotional zu verankern.<br />

Die fünfte Übung, die vor dem Abendessen gehalten werden soll, ist die Besinnung<br />

über die Hölle. (EB 65-71). „Sie bereitet sowohl denen, die Exerzitien geben, als<br />

auch denen, die Exerzitien machen, oft die größten Schwierigkeiten (Köster 1999,<br />

78f). Bei dieser Betrachtung geht es darum, daß es „eine letzte Konsequenz<br />

endgültiger Verweigerung“ (Köster 1999, 79) gibt, die „zur realen Möglichkeit des<br />

Übenden werden kann“ (Köster 1999, 79). Nach der ersten Einstellung –<br />

„imaginando“ (Zurichtung) (EB 65) – soll der Übende bitten, daß die Höllenrealität<br />

ganz nahe an ihn herankomme („interno sentimiento“, EB 65, zit. nach Köster 1999,<br />

79), um – wenn schon nicht aus Liebe zum Herrn – wenigstens aus Furcht vor der<br />

Hölle nicht in die Sünde zu fallen 10<br />

(vgl. EB 65). Die Angst hat an dieser Stelle eine<br />

wichtige Funktion. Sie „soll hier dem Übenden seine Freiheit bewußt machen. Am<br />

‚Ort‘ seiner Angst entdeckt er seine innere Bestimmung und Gefährdung“ (Köster<br />

1999, 79). Die fünfte Übung umfaßt fünf Punkte. Diese sind insofern bemerkenswert,<br />

als Ignatius den Übenden anweist, die Höllenrealität mit allen fünf Sinnen<br />

wahrzunehmen, entsprechend der Anweisung von EB 2 („sentir y gustar<br />

internamente“). „Nur was mir wirklich nahe kommt, kann ich mit meinen Sinnen<br />

erfassen, so daß es in mir ein inneres Fühlen (‚interno sentimiento‘) hinterläßt“<br />

(Köster 1999, 80). Die destruktiven Kräfte der Sünde sollen im Exerzitanten<br />

emotional verankert werden. Auch die fünften Übung mündet in ein Gespräch mit<br />

dem Herrn, als dankbare Antwort, bis jetzt am Leben erhalten worden zu sein und so<br />

viel Zuneigung und Barmherzigkeit („piedad y misericordia“, EB 71) erhalten zu<br />

haben. Dieses Berührtsein von der Zuwendung des Herrn soll die Basis für die<br />

10 Derselbe Gedanke, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, findet sich in der Benediktusregel, am<br />

Ende des 7. Kapitels „Über die Demut“ am Gipfel des inneren Weges. Dort gelangt der Mönch „zu<br />

jener Gottesliebe, die alle Furcht vertreibt. Aus dieser Liebe wird er alles...einhalten, nicht mehr aus<br />

Furcht vor der Hölle (‚timore gehennae‘), sondern aus Liebe zu Christus (‚amore Christi‘)“ (RB 7, 67ff).


48<br />

zweite Woche sein: das Sich-Öffnen für seinen Ruf (EB 91) und die Nachfolge (EB<br />

104).<br />

4.2.1.3. Zusätze<br />

In den Zusätzen – am Ende der erste Woche plaziert – gibt Ignatius Anweisungen,<br />

„die Übungen jeweils besser zu machen und um jeweils besser das zu finden, was<br />

man sucht“ (EB 73). Es geht um die Fokussierung der Gedanken und Stimmungen,<br />

aber auch um den bewußten Gebrauch des Körpers und der Begleitumstände.<br />

Schon beim Schlafengehen soll der Übende überlegen, wann und zu welchem Ziel er<br />

aufstehen werde (vgl. EB 73). Dann darf er beim Erwachen nicht jedem Gedanken<br />

Raum geben, sondern soll „sich sogleich dem zuwenden, was in der 1. Übung um<br />

Mitternacht betrachtet wurde (EB 74), und jene körperliche Haltung mit dem jeweils<br />

größten Effekt (z.B. stehen, knien, sitzen ... EB 76) wählen. Bemerkenswert ist auch<br />

der Zusatz, der zum Bleiben, zum Verweilen einlädt. Wenn „ich finde, was ich<br />

begehre, werde ich, ohne ängstliche Sorge weitergehen zu müssen, ruhig verweilen,<br />

bis ich mir genug getan habe“ (EB 76). Weiters soll jede Übung im Nachhinein<br />

reflektiert werden (EB 77). In der erste Woche soll der Übende nicht an Dinge<br />

denken wollen, die Fröhlichkeit hervorrufen und nicht lachen (EB 78, 80), das<br />

Zimmer verdunkeln und vom schlechten Wetter Gebrauch machen, um das zu<br />

finden, was er sucht (vgl. EB 79). Der 10. Zusatz betrifft Bußübungen, Nahrung (EB<br />

83), Schlaf (EB 84) und die „Züchtigung des Fleisches betreffend“ (EB 85f). Es soll<br />

ein ganzheitliches – um dieses so viel strapazierte Wort zu verwenden – Erfahren<br />

der geistlichen Realität sein. Ignatius gibt in EB 87 noch weitere Erklärungen über<br />

den Sinn der Buße. Neben der Genugtuung für die Sünden und als Mittel zu<br />

erlangen, was der Übende begehrt, ist es ein „Mittel um sich selbst zu überwinden,<br />

damit die Sinnlichkeit der Vernunft gehorche“ (EB 87).<br />

4.2.2. Existenzanalytische Entsprechungen<br />

Auf den ersten Blick scheint es zu den Themen Gewissenserforschung, Sünde, Hölle<br />

keine existenzanalytische Entsprechung zu geben. Beim genaueren Hinsehen und<br />

Verinnerlichen dieser Themen beginnen existenzanalytische Topoi mit erstaunlicher<br />

innerer Entsprechung aufzuleuchten.


49<br />

4.2.3. Existenzanalytisches Basistheorem<br />

An dieser Stelle scheint es mir wichtig zu sein, eine grundsätzliche Struktur zu<br />

erwähnen, um die existenzanalytische Sicht vom Menschen tiefer zu verstehen,<br />

nämlich das existenzanalytische Basistheorem (Längle 2001b, 28ff), in dem es um<br />

die dialogische Beziehung zu sich und der Welt geht. Denn der Mensch steht nach<br />

dieser Sicht in einem ständigen Dialog mit sich und der Welt. Existenzanalytische<br />

Therapie setzt genau an diesem Punkt an: falls dieser zweifache atmende Austausch<br />

blockiert ist, versucht die Therapie diesen Dialog wieder in Gang zu bringen (vgl.<br />

dazu 2.1.). Graphisch läßt sich dieser Sachverhalt folgendermaßen darstellen<br />

(Längle 2001a, 28, modifiziert):<br />

Die erste Graphik zeigt die Doppelbezüglichkeit zur Innen- bzw. zur Außenwelt:<br />

Beide Welten stehen im dialogischen Austausch miteinander, in dem es zu<br />

Stellungnahmen der Person kommt: Stellungnahme sowohl zu mir (der Innenwelt),<br />

als auch zum anderen (der Außenwelt). In der Schnittfläche beider Welten zeigt sich<br />

dann die Person.<br />

Die zweite Graphik streicht nun die beiden Pole der Person heraus: den Intimitätspol<br />

als das Innerste der Person und das Selbst, den Weltpol, als die „welthafte Identität<br />

der Person“ (Längle 2001a, 28). Man könnte den linken Teil der Graphik auch mit<br />

Selbstbezug, den rechten Teil mit Weltbezug umschreiben. Um die Verbindung mit<br />

den Exerzitien herzustellen, sehe ich in der Dynamik der erste Woche eher den


50<br />

Intimitätspol, den Selbstbezug gegeben, in der zweite Woche den Weltpol, den<br />

Weltbezug, obwohl der jeweils andere Pol immer mitgesehen werden muß.<br />

4.2.2.2. Selbstdistanzierung, innerer Dialog, Selbsterfahrung<br />

Die erste Woche der Exerziten könnte man mit dem Spruch, der über dem Orakel<br />

von Delphi stand ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ (erkenne dich selbst!) umschreiben.<br />

Selbsterkenntnis setzt ein Gewahrwerden der inneren Bewegungen und Vorgänge<br />

voraus, ein Zuwenden zu sich selbst, wie es im Intimitätspol (4.2.2.1.) ausgedrückt<br />

ist. Um mich aber mir zuwenden zu können, muß ich mich zuerst von mir<br />

distanzieren. Damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Punkt der<br />

existenzanalytische Lehre angelangt: der Selbstdistanzierung. Sie ist die „Fähigkeit<br />

der Person, von sich Abstand nehmen zu können“ (Tutsch, 2000a, 37). Der Mensch<br />

erfährt sich darin als jemand, der sich selbst gegeben und nicht ausgeliefert ist. Sie<br />

eröffnet die Möglichkeit, „etwas aus sich zu machen“ (ebd. 37). Voraussetzung für<br />

die Selbstdistanzierung ist die Freiheit. In ihr hat der Mensch die Fähigkeit, zu sich in<br />

Abstand zu treten, um sich zu sich selbst verhalten zu können. Denn er kann mit<br />

nichts umgehen, wenn er nicht mit sich selbst umgehen kann. Selbstdistanzierung ist<br />

der erste Schritt zur inneren Welt und eröffnet einen Raum der inneren Freiheit. (vgl.<br />

dazu Ausbildungskurs).<br />

Bereits Viktor Frankl, der Begründer der existenzanalytische Anthropologie, hat vor<br />

allem Wert auf die Distanznahme zum „Psychophysikum“ (Tutsch 2000a, 38) gelegt.<br />

Gemeint ist damit die Distanznahme des Geistigen (Freien) zum Leib-Seelischen.<br />

Frankl verwendet die Selbstdistanzierung unter anderem in der Therapie von<br />

Erwartungsängsten (Frankl 1991, 207f) oder von Zwangsneurosen (ebd. 215). Bei<br />

ihm ist aber „der Aspekt der Bezugnahme zu sich als Intensivierung der<br />

Selbsterfahrung vernachlässigt“ (Tutsch 2000a, 38).<br />

In der existenzanalytische Ausbildung (vgl. Ausbildungskurs) werden ganz praktische<br />

Formen der Selbstdistanzierung besprochen (s. Handout) wie Training, sich<br />

überwinden, Askese (was auch mit Übung, Training übersetzt werden kann), sowohl<br />

in körperlicher Form (z.B. fasten, kalt duschen), als auch in geistig-psychischer<br />

Weise (z.B. sich vornehmen, etwas Unangenehmes zu tun), Pausen einlegen, um<br />

Distanz zu gewinnen und sich zurücknehmen, sich selbst kommentieren, einer dritten


51<br />

Person erzählen. (Dazu könnte man aus der Literatur Homers Odyssee anführen, in<br />

der Odysseus seine Taten und Abenteuer immer wieder erzählt. Man könnte dies<br />

einerseits als Stilmittel betrachten, andererseits ist es m. E. auch eine Methode, um<br />

das Erlebte zu verarbeiten). Als weitere Akte der Selbstdistanzierung werden Humor,<br />

Gebet, Kunst, Trauer, Schlaf und letztlich der Tod beschrieben. Hier vollzieht sich<br />

Selbstdistanzierung in endgültiger Weise. Wenn man nun das hier Gesagte mit dem<br />

Exerzitienbuch vergleicht, ist eine Nähe zur Passage über die Buße zu erkennen<br />

(vgl. EB 87). In den Exerzitien ist die Selbstdistanzierung ein Mittel, die Sünde zu<br />

überwinden, in der Existenzanalyse, um zu einem atmenden Austausch zu kommen.<br />

Im Zusammenhang mit der Selbstdistanzierung ist mir der Sinn des Ausdrucks<br />

aufopfern (z. B. von Schmerzen, von Verlust) tiefer bewußt geworden. Aufopfern wird<br />

von manchen kirchlichen Kreisen überstrapaziert (alles annehmen, was kommt in<br />

Sinn einer Opferseele), von anderen wieder nur belächelt und entwertet. Ich sehe im<br />

Aufopfern zuerst einen Akt der Selbstdistanzierung, in dem ich mich vom Symptom z.<br />

B. des Schmerzes distanziere und einen Freiraum zwischen mir und dem Symptom<br />

schaffe. Ich habe nun die Möglichkeit mit dem Schmerz umzugehen, mich zu<br />

verhalten. In der christlichen Sichtweise kommt dann noch der Aspekt des Für hinzu,<br />

daß nämlich dieser Akt des Aufopferns einen Wert für andere Menschen hat, dieser<br />

Akt sozusagen der ganzen Menschheit zugute kommt. Mit Aufopfern verwandte<br />

Termini sind: loslassen, hingeben, anbieten, darbringen, offerieren. Diese haben den<br />

Schwerpunkt entweder mehr auf der Seite der Selbstdistanzierung oder auf der Seite<br />

der Pro-existenz (vgl. dazu Schürmann 1975), des Lebens für andere.<br />

Eine notwendige Ergänzung zur Selbstdistanzierung ist die Selbstannahme (Tutsch<br />

2000a, 38), „dem Bewußtsein und Gefühl des sich selbst gegeben und anvertraut<br />

Seins“ (Tutsch 2000a, 38). Ansonsten „besteht die Gefahr der Selbstverleugnung“<br />

(ebd.). Die Selbstannahme schließt auch ein vierfaches Ja ein: ein Ja zu meinem<br />

Dasein, zu meinem Leben, zu mir, so wie ich bin und ein Ja zu meinen Bezügen, in<br />

denen ich stehe (vgl. Ausbildungskurs). Bemerkenswert ist in diesem<br />

Zusammenhang, daß der Theologe Romano Guardini (+1968) meines Wissens nach<br />

als erster die Selbstannahme explizit in die Theologie, die geistliche Literatur<br />

eingebracht hat. 11<br />

Im Exerzitienprozeß hat dieser Topos einen wichtigen Platz. Viele<br />

11 Guardini R (2001)


52<br />

Exerzitienleiter unserer Zeit stellen die Selbstannahme an den Beginn, in die Phase<br />

des Prinzips und Fundament (siehe auch dort).<br />

An dieser Stelle noch eine kurze biblische Anmerkung zur Selbstannahme. Ich sehe<br />

in der Perikope von der Taufe Jesu, am Beginn seiner öffentlichen Tätigkeit, eine<br />

vom Vater induzierte Selbstannahme Jesu, die sich in der Stimme bei der Taufe am<br />

Jordan zeigt: „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Gefallen gefunden<br />

habe“ (Mk 1,11 parr). Der Vater steht hinter dem Sohn, läßt diesem seine Liebe, sein<br />

Wohlwollen spüren, damit der Sohn in seiner Sendung seinen authentischen Weg<br />

gehen kann – trotz enormer Widerstände bis hin zur Kreuzigung. In mein geliebter<br />

Sohn zeigt sich für mich der Grundwert: es ist gut, daß du bist; in Gefallen gefunden<br />

eher der Selbstwert: so wie du bist, ist es o.k.<br />

Eine für unseren Zusammenhang entscheidende Form der Selbstdistanzierung ist<br />

das Innere Gespräch (vgl. Handout, Ausbildungskurs), das auch „zentraler Wirkfaktor<br />

existenzanalytischer Psychotherapie“ (Handout) genannt wird. Das innere Gespräch<br />

greift die Selbstdistanzierung und die Selbstannahme auf, realisiert die<br />

Persondefinition als das In-mir-Sprechende und gründet den Selbstwert, nämlich das<br />

Ja zu meinem Sosein: sich selbst ernst nehmen und zu sich stehen (vgl. Handout).<br />

Eine Nähe zum inneren Gespräch weist das Kolloquium, das Zwiegespräch der<br />

Exerzitien auf, das am Ende jeder Übung gehalten werden soll (z.B. EB 53, 61, 71).<br />

Es handelt sich hier zwar nicht um ein Selbstgespräch, sondern um ein<br />

Zwiegespräch mit Jesus, Gott Vater, Maria, trotzdem weist es den Charakter eines<br />

inneren Gesprächs auf, da der Gesprächspartner quasi internalisiert ist.<br />

Die therapeutische Funktion besteht darin, daß durch das innere Gespräch versucht<br />

werden soll, den blockierten inneren Austausch mit sich selber nachzuholen. Durch<br />

das Schaffen eines inneren Gegenübers wird das innere Gespräch ermöglicht und<br />

damit die Begegnungsfähigkeit nach außen erweitert. Anders ausgedrückt: der<br />

blockierte Selbstbezug soll wieder in Gang gebracht werden, damit der Weltbezug<br />

wieder möglich wird. Man könnte das innere Gespräch auch als angewandtes<br />

existentielles Basistheorem (vgl. 4.2.2.1.) bezeichnen. Methode dafür ist die schon<br />

öfter erwähnte Personale Existenzanalyse: Zuerst sich erklären, was man tut, es<br />

begründen und mit sich darüber reden (PEA 0), dann das Erleben einholen (PEA 1)


53<br />

(Wie geht es mir damit?), Stellungnahme (PEA 2) treffen (Was halte ich davon?), und<br />

sich innerlich an jemanden richten und formulieren versuchen: Was will ich diesem<br />

Menschen sagen? (PEA 3). Dabei geht es zentral um die Wiederherstellung der<br />

Dialogfähigkeit: in der Existenzanalyse mit sich und der Welt, in den Exerzitien mit<br />

Gott. Dieser Dialog mit Gott hat den Austausch mit sich und den Menschen zur<br />

Folge, weil nach Ignatius Gott „in allen Dingen“ (vgl. EB 235) wohnt.<br />

Schließlich scheint es mir noch wichtig zu sein, auf das Thema Selbsterfahrung zu<br />

kommen, denn m. M. n. ist dies bei Ignatius besonders in der erste Woche und in der<br />

Abschlußbetrachtung „Zur Erlangung der Liebe“ (EB 230 ff) von Bedeutung. Dort<br />

kommt der Ausdruck reflectendo en si mismo viermal vor (EB 234, 235, 236, 237).<br />

Wörtlich könnte man übersetzen: zurückbiegen, zurückbesinnen auf sich selbst. In<br />

der Existenzanalyse hat diese Thema zur Spaltung geführt, für Viktor Frankl war es<br />

der Grund, sich von der Gesellschaft der Logotherapie und Existenzanalyse<br />

zurückzuziehen, als A. Längle diese in das Ausbildungscurriculum eingeführt hat<br />

(vgl. dazu Längle 1992, 3-7). Frankl nannte die Selbsterfahrung „absolut<br />

antilogotherapeutisch“ (Längle 1992, 3), denn „ganz Mensch ist der Mensch<br />

eigentlich nur dort, wo er ganz aufgeht in einer Sache, ganz hingegeben ist an eine<br />

Person. Und ganz selbst wird er, wo er sich selbst übersieht und vergißt“ (Frankl<br />

1984, 47). Er sieht darin die Gefahr eine „Hyperreflexion“ (Frankl 1982, 232), daß der<br />

Mensch nicht mehr seine Aufmerksamkeit auf die Welt des Sinns richtet, sondern mit<br />

sich in reflektiver Weise beschäftigt ist. Denn die wesensmäßige Bestimmung des<br />

Menschen sieht Frankl in der Selbsttranszendenz (vgl. Frankl 1959, 676). Ohne<br />

diese These in Frage zu stelle, setzt Längle seinen Entwurf einer existenanalytischen<br />

Selbsterfahrung entgegen: „Selbsterfahrung muß kein Verzicht auf Selbst-<br />

Distanzierung und Selbst-Transzendenz sein. Eine existentiell orientierte<br />

Selbsterfahrung setzt beide anthropologischen Grundfunktionen voraus – mehr noch:<br />

sie setzt sie auch ein! Da, wo es in der Selbsterfahrung (im Einzelgespräch oder in<br />

der Gruppe) um das Beleuchten des Umgangs mit sich selber geht, bewirkt dies ja<br />

gerade eine kritisch-wohlwollende, verstehende Distanznahme zu sich selbst und<br />

somit eine Ablöse von einem unkritisch-unbeurteilten, eventuell sogar dissonanten<br />

Verhalten und Selbsterleben, zu dem noch nicht Stellung bezogen wurde. Und dort,<br />

wo es in der Selbsterfahrung um den Umgang mit anderen geht, geht es um das<br />

kritische Beleuchten der personal-existentiellen Fähigkeit auf andere einzugehen, sie


54<br />

in ihren Beweggründen zu verstehen, offen zu sein etc. Darin wird Selbst-<br />

Transzendenz realisiert:“ (Längle 1992, 5). Bei der Selbsterfahrung geht es nicht um<br />

eine „psychische Nabelschau“ (Frankl, zit. nach Längle 1992, 4), sondern will eine<br />

Anleitung sein „zum besseren Sehen, Verstehen, Beurteilen und tieferen Erfahren<br />

der eigenen Existenz, um selbst ‚Experte‘ existentieller Lebensweise zu werden“<br />

(Längle 1992, 5). Damit wird auch der Gefahr vorgebeugt, von der Erfahrung anderer<br />

abhängig zu werden. Dies hat m. M. n. auch Ignatius klar erkannt, weshalb er dem<br />

Exerzitienleiter einschärft, den Exerzitanten „nicht zu der einen noch zu der anderen<br />

Seite“ (EB 15) hinbewegen, sondern „unmittelbar den Schöpfer mit dem Geschöpf“<br />

(ebd.) und umgekehrt wirken lassen soll. Sowohl in den Exerzitien als auch in der<br />

Existenzanalyse geht es um authentische innere Erfahrung.<br />

4.2.2.2.1. Exkurs aus Bibel und Tradition<br />

Wenn man Texte aus der Hl. Schrift und der geistlichen Tradition mit<br />

existenzanalytische Augen liest, kann man in diesen ähnliche Züge erkennen. Ein m.<br />

E. sprechendes Beispiel für die Selbstdistanzierung, inneres Gespräch, auch<br />

Selbsterfahrung findet sich im Psalm 42/43, der von den Exegeten als „Gebetslied“<br />

(Kraus 1978, 473) oder auch als „individuelles Klagelied“ (ebd.) bezeichnet wird. In<br />

diesem Klagegebet „lechzt“ (Ps 42,2) und dürstet (Ps 42,3) die Seele – eig. der<br />

„Atem“, das „Schnauben“ oder auch als „Selbst“ gedeutet (Kraus 1978, 474) – nach<br />

Jahwe, dem „Gott meines Lebens“ (Ps 42,3) oder wie es die Einheitsübersetzung<br />

sagt „dem lebendigen Gott“. Der Beter befindet sich in einer prekären Situation:<br />

Tränen sind seine Speise bei Tag und Nacht (Ps 42,4), er fühlt sich „aufgelöst“ (Ps<br />

42,7), von den Fluten weggespült (Ps 42,8), von Gott verlassen (Ps 42,10) von den<br />

Feinden bedrängt (Ps 42,10). Seine Gebeine sind zerschlagen (Ps 42,11), verspottet<br />

ist er von seinen Widersachern (Ps 42,11) im Rechtsstreit von List und Tücke<br />

umgeben (Ps 43,1). Diese Klagen werden mit einem dreimaligen Refrain<br />

durchzogen, einer „Herzensberuhigungsformel“ (Kraus 1978, 475), eines<br />

Selbstzuspruchs des Beters an seine verschmachtende Seele. Nach einem<br />

Klageabschnitt kommt es jeweils zur Selbstdistanzierung: Der Beter tritt aus seiner<br />

Klage heraus und wendet sich seiner Seele zu, indem er sie ermutigt: „Meine Seele,<br />

warum bist du betrübt und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm<br />

noch danken, meinem Gott und Retter, auf den ich schaue“ (Ps 42,6.12; 43,5). Nach<br />

der Selbstdistanzierung nimmt der Beter seine schmerzliche Situation wahr und ernst


55<br />

(er transzendiert sie nicht sofort), läßt sich ein, wendet sich ihr zu, begegnet ihr mit<br />

Verstehen und Wohlwollen (vgl. dazu den existenzanalytische Trauerprozeß,<br />

Handout), bleibt aber nicht dabei stehen. Er spricht seiner Seele gut zu und lenkt ihre<br />

Aufmerksamkeit zum helfenden Gott (Ps 42,6), nicht ohne sich an die Geborgenheit<br />

und Freude früherer Tage zu erinnern (Ps 42,5). Die Erinnerung im Zuspruch an die<br />

Seele spielt auch im Psalm 103 eine große Rolle: „Lobe den Herrn meine Seele und<br />

vergiß nicht, was er dir Gutes getan“ (Ps 103,2). Denn Gott hat schon die Schuld<br />

vergeben und alle Gebrechen geheilt (Ps 103,4), das Leben von Krankheit erlöst (Ps<br />

103,5). Höhepunkt ist die Erinnerung an Gottes Wesen, das gekennzeichnet ist<br />

durch Barmherzigkeit, Gnade, Langmut und Reichtum an Erbarmen (Ps 103,8).<br />

Ebenso die Selbstberuhigungsformel in Ps 116,7: „Komm wieder zur Ruhe, mein<br />

Herz. Denn der Herr hat dir Gutes getan“, oder wie man auch übersetzen könnte:<br />

Denn der Herr tut dir gut!<br />

Eine bemerkenswerte Form der Selbstdistanzierung, des ansatzweisen inneren<br />

Gesprächs und der Selbsterfahrung findet sich auch im Neuen Testament im<br />

Gleichnis vom verlorenen Sohn oder barmherzigen Vater, wie es auch genannt wird<br />

(Lk 15, 11-32). Der Sohn hat sein ganzes Erbe durchgebracht, dann als Schweinehirt<br />

(man bedenke für einen Juden!) gearbeitet und nicht einmal das Futter der Schweine<br />

bekommen. An diesem Tiefpunkt angelangt heißt es im Text (Lk 15,17): „Er ging in<br />

sich und sprach“ (eigentlich zu sich). Wörtlich steht im Text: kommend zu sich sprach<br />

er (eis heautón de elthon efe). Die Selbstdistanzierung wurde von außen, durch<br />

seinen erbärmlichen Zustand hervorgerufen, diese hat ihm eine klare Sicht der<br />

Realität vermittelt (daß es selbst den geringsten Tagelöhnern seines Vater besser<br />

geht als ihm, vgl. Lk 15,17), hat ihn in Beziehung zu sich gebracht, wodurch er<br />

schließlich in Dialog mit sich gekommen ist. Diese Art der Selbsterfahrung hat ihn<br />

bewogen, zum Vater aufzubrechen (Lk 15,18). Wichtig ist in diesem Zusammenhang<br />

die Grundbedingung seiner Rückkehr: die Erfahrung des barmherzigen Vaters (Lk<br />

15,20), der ihn schon von weitem kommen sieht, ihm entgegen läuft und Mitleid mit<br />

ihm hat (ebd.). Eine Erfahrung der Güte des Vaters hatte der Sohn bereits bei<br />

seinem Weggang, als er das Erbe widerspruchslos ausgehändigt bekam. Diese in<br />

gewisser Weise bedingungslose Annahme des Vaters induziert den Prozeß der Umund<br />

Rückkehr, letztlich auch die Selbstannahme des Sohnes. Eine andere


56<br />

Möglichkeit wäre die Verzweiflung, im äußersten Fall das Wegwerfen des eigenen<br />

Lebens gewesen.<br />

Aurelius Augustinus (354-430), Bischof von Hippo, kann meines Erachtens einen<br />

wichtigen Beitrag zu unserem Thema leisten. 12<br />

Der große lateinische Kirchenlehrer<br />

sieht Selbstbezug und Selbsterkenntnis als fundamental an. Mader (1991, 172f) führt<br />

dies in seiner Arbeit über Augustinus in folgender Weise aus: „Der menschliche Geist<br />

‚ist‘ nur, wenn er sich auf seinen Ursprung rückbezieht. Er hat sein Sein und Leben<br />

nur in dieser Rückwendung. Seine Endlichkeit beruht darin, daß er grundsätzlich<br />

nicht aus sich selbst ist; daß er erst ist, wenn er sich selbst zurück zu seinem<br />

Ursprung wendet, woher er das hat, wodurch er sich und alles Andere erkennen und<br />

wollen kann. Zweifellos gehört zu dieser Rückwendung auch eine Abwendung vom<br />

‚Außen‘ und eine Zuwendung zum ‚Innen‘. Die bloße Verinnerlichung als<br />

Negation des Äußeren erbringt noch keine positive Selbstbeziehung. Erst das<br />

Überschreiten des Ich, des Selbst in der Rückwendung zum Ursprung läßt dieses zur<br />

Person werden. Augustinus spricht immer wieder von Selbstidentität und<br />

Selbsttranszendenz – schon in ‚De vera religione‘ heißt es ausdrücklich: ‚Geh´ in dich<br />

hinein und überschreite dich!‘“ (Mader 1991, 172f). Bemerkenswert ist hier der<br />

Zusammenhang zwischen Selbst- und Fremdbezug. Fremdbezug ohne Selbstbezug<br />

ist nicht authentisch, Selbstbezug ohne über sich hinauszugehen, sprich<br />

Selbsttranszendenz kommt nicht zum Leben, bleibt steril. Dies sind<br />

Zusammenhänge, die auch die Existenzanalyse lehrt. – Dieses Wort Augustins, das<br />

bereits aus „De vera religione“ zitiert wurde, hat mich während meines<br />

Theologiestudiums geprägt: „Noli foras ire, in te ipsum redi, in interiore homine<br />

habitat veritas Deus intimior intimo meo“. „Geh´ nicht aus dir heraus“,<br />

sinngemäß übersetzt, „kehr´ in dich selbst zurück, im inneren Menschen wohnt die<br />

Wahrheit, Gott ist dir näher als du dir nahe bist“ (De vera religione 39,78; zit<br />

nach Pfligersdorffer 1983, 12). Gotteserkenntnis, Gotteserfahrung und damit jede<br />

echte Erfahrung, innere Erkenntnis ist nicht außengeleitet (obwohl meist von außen<br />

durch ein Wort, ein Ereignis induziert), sondern vollzieht sich letztlich im Innersten,<br />

biblisch gesprochen im Herzen, oder anders ausgedrückt: im Personkern, dem<br />

Personalissimum des Menschen. Ohne Selbstbezug ist keine Erkenntnis möglich,<br />

auf diese These könnte man die augustinischen Gedanken reduzieren. Daß<br />

12 Vgl. dazu die Stichworte wie Selbstbezug, Selbsterfahrung, Selbsterkenntnis in: Mader 1991, 444.


57<br />

Gotteserkenntnis – und Erkenntnis überhaupt – keine nur und in erster Linie rationale<br />

Angelegenheit ist, zeigt der folgende Text aus den „Confessiones“, den<br />

biographischen Bekenntnissen des hl. Augustinus. Hier wird deutlich, daß<br />

Gotteserkenntnis mit Fühlen (und das mit allen Sinnen) zu tun hat, wenn auch auf<br />

einer sublimen Weise. Leider ist die Übersetzung etwas pathetisch, das lateinische<br />

Original ist weit nüchterner und klarer.<br />

Ich liebe Dich Herr – ohne Wank und Zweifel, meiner Liebe voll und fest bewußt. Mein Herz hast<br />

Du mit Deinem Wort getroffen, und ich war Dein. Was aber liebe ich, da ich Dich liebe?<br />

Nicht die Schönheit eines Körpers noch den Rhythmus der bewegten Zeit; nicht den Glanz des<br />

Lichtes,...,nicht die süßen Melodien...nicht der Blumen, Salben, Spezereien Wohlgeruch...nicht<br />

Leibesglieder, die köstlich sind der fleischlichen Umarmung: nichts von alledem liebe ich,<br />

wenn ich liebe meinen Gott. Und dennoch liebe ich ein Licht, und einen Klang und einen Duft<br />

und eine Speise und eine Umarmung, wenn ich liebe meinen Gott: Licht und Klang und Duft<br />

und Speise und Umarmung meinem inneren Menschen. Dort erstrahlt meiner Seele, was kein<br />

Raum erfaßt, dort schmiegt sich an, was kein Überdruß auseinanderlöst. Das ist es, was<br />

ich liebe, wenn ich liebe meinen Gott. (Augustinus 1980, 497ff)<br />

Erkenntnis hat mit Liebe wesenhaft zu tun. Dies drückt der Text sehr sinnenfällig aus.<br />

Der Zusammenhang zwischen Liebe und Erkennen kommt bereits im Hebräischen<br />

deutlich zum Ausdruck. „Erkennen“ hat auch die Bedeutung von Entdecken von<br />

Mann und Frau in ihrer geschlechtlichen Unterschiedenheit mit dem daraus<br />

resultierenden geschlechtlichen Verkehren (vgl. dazu Schmitz 1977, 245). So findet<br />

sich der Ausdruck „Erkennen“ z. B. in Gen 4,1: Adam erkannte Eva; sie wurde<br />

schwanger. Im Neuen Testament ist dieser Zusammenhang im Wort Marias an den<br />

Engel erkennbar: „da ich keinen Mann erkenne“ (Lk 1,34).<br />

Selbsterkenntnis findet sich auch in der Benediktusregel. Der Vater des<br />

abendländischen Mönchtums weist die Brüder an, sie sollen immer im Herzen<br />

erwägen („animo suo semper revolvere“ RB 7,12), sich von jeglicher Art Sünden<br />

freizuhalten (RB 7,12). Und in Vers 18 heißt es weiter: „Der Mönch soll immer seine<br />

schlechten Gedanken gewissenhaft überprüfen und sich vor seiner Schlechtigkeit in<br />

Acht nehmen (observare)“. In der Benediktusregel hat Selbsterkenntnis, wie auch im<br />

Exerzitienbuch eine stark moralische Färbung.


58<br />

Ein meiner Meinung nach entscheidendes Wort sagt Jahrzehnte später Papst Gregor<br />

der Große (+604) in seiner Lebensbeschreibung des hl. Benedikt. Er beschreibt<br />

Benedikt als einen Menschen, der „habitavit secum“ 13<br />

(Gregor d. Gr. 1995, 114), der<br />

bei sich selbst oder mit bzw. in sich selbst wohnte, lebte. Dieses rätselhafte Wort<br />

spricht Gregor über Benedikt nach dessen Scheitern in Vicovaro, wohin er von den<br />

dortigen Mönchen als Vorsteher gerufen worden war. In dieser Gemeinschaft aber<br />

wurde er bald wegen seiner Strenge abgelehnt, ja es wurde sogar der Versuch<br />

unternommen, ihn zu vergiften. Danach „kehrte er an die Stätte seiner geliebten<br />

Einsamkeit zurück. Allein unter den Augen Gottes wohnte er in sich selbst“<br />

(Gregor 1995, 115). Im anschließenden Dialog mit seinem Gesprächspartner Petrus<br />

(die Lebensbeschreibung ist in Dialogform abgefaßt) erklärt Gregor dieses für Petrus<br />

unverständliche Wort: „Sooft wir nämlich durch die Unruhe der Gedanken zu sehr<br />

aus uns herausgeführt werden, sind wir zwar noch wir selbst, aber nicht mehr in uns<br />

selbst; denn wir verlieren uns selbst aus dem Blick und schweifen anderswo umher.“<br />

(Gregor 1995, 117). Weiter unten heißt es: „Der heilige Mann wohnte in sich selbst,<br />

weil er stets wachsam auf sich achtete, sich immer unter den Augen des Schöpfers<br />

sah, sich allezeit prüfte und das Auge des Geistes nicht außerhalb seiner selbst<br />

umherschweifen ließ“ (Gregor 1995, 117). Bemerkenswert ist auch der Hinweis auf<br />

den „Verlorenen Sohn“ (Lk 15), der in der Sichtweise Gregors unter sich war (Gregor<br />

1995, 119): „Können wir sagen, daß jener junge Mann in sich war, der die<br />

Schweine hütete? ‘Er kehrte in sich selbst zurück ‘ Wenn er aber in sich<br />

gewesen wäre, woher ist er dann zu sich zurückgekehrt?“ (Gregor, 1995, 117).<br />

Neben der eben beschriebenen Möglichkeit unter sich zu sein, gibt es noch die dritte<br />

Variante „über sich“ (Gregor 1995, 119) zu sein, nämlich im Geist der Verzückung,<br />

man könnte sagen in der Ekstase. Gregor wählt das Beispiel des Apostels Petrus,<br />

der von einem Engel aus dem Kerker befreit wurde (Apg 12,11). Der Normalzustand<br />

aber besteht darin, in sich selbst zu wohnen und über seine Gedanken zu wachen<br />

(vgl. Gregor 1995, 119) und sich nicht so leicht, um es alltagssprachlich zu sagen<br />

aus der Fassung bringen zu lassen. In sich selbst sein könnte man deuten, heißt:<br />

einen atmenden Austausch mit sich und der Welt zu haben und aus dieser Position<br />

heraus authentisch und personal, sozusagen frei handeln zu können. Ist dies nicht<br />

möglich (wie bei Benedikt in Vicovaro), bedeutet dies wieder in sich selbst<br />

zurückzukehren bis der Mensch fähig ist, sich authentisch zu entscheiden. Es geht<br />

13 Vgl. dazu auch Pausch 1992, 79ff


59<br />

um einen Prozeß des inneren Wachstums. Dafür hat das habitare secum eine<br />

entscheidende Funktion. Es ist sozusagen die Basis, auf der die innere Entwicklung<br />

aufbaut.<br />

Mit diesem Exkurs sollte gezeigt werden, daß Themen wie Selbstbezug, inneres<br />

Gespräch, Selbsterfahrung die biblisch christliche Tradition durchziehen und daß sie<br />

in vielfacher Hinsicht mit den Ansichten der Existenzanalyse kongruent sind.<br />

4.2.2.3. Inauthentizität, Gewissen, Reue<br />

Die existenzanalytischen Entsprechungen scheinen sich immer schwieriger zu<br />

gestalten. Haben sich in der Gewissenserforschung und der Sündenerkenntnis<br />

Ähnlichkeiten mit der Selbstdistanzierung, dem Inneren Gespräch und der<br />

Selbsterfahrung gezeigt, so kommen wir nun zur Frage, ob sich auch eine<br />

existenzanalytische Entsprechung zum Thema Sünde finden läßt. Eine klassische<br />

Definition von Sünde, (die auf Augustinus zurückgehen soll) lautet recurvatio (resp.<br />

incurvartio) in seipsum, Rückwendung, Zurückkrümmung in sich selbst. Auf den<br />

ersten Blick scheint dies ein Gegensatz zum im vorigen Kapitel (4.2.2.2.1.) zitierten<br />

Augustinischen noli foras ire (vgl. De vera religione 39, 78) zu sein. Doch in der hier<br />

angeführten Sündendefinition drückt sich die schon erwähnte berechtigte Sorge aus,<br />

daß Selbstbezug ohne Weltbezug, Selbstdistanzierung ohne Selbsttranszendenz ein<br />

steriles, unfruchtbares Kreisen um sich selbst bleibt. Das Wort der Rückkrümmung in<br />

sich selbst ist der Gedankenwelt Frankls sehr ähnlich, der die Metapher vom Auge,<br />

das sich im gesunden Zustand nicht sieht, verwendet: ein Auge, das sich sieht, ist<br />

krank. (vgl. dazu Frankl 1959, 676). Ein Mensch, der auf sich zurückgekrümmt ist,<br />

geht an seiner Bestimmung, an seiner menschlichen Wesenheit vorbei, oder<br />

theologisch ausgedrückt: Er lebt in Sünde. So könnte man die recurvatio in seipsum<br />

als einen pervertierten Selbstbezug bezeichnen.<br />

Eine andere Deutung von Sünde kommt vom griechischen Wort hamartánein, das in<br />

der Grundbedeutung das Ziel verfehlen (vgl. Gemoll 1965, 39) heißt, z. B. wenn ein<br />

Bogenschütze nicht trifft. M. a. W.: Sünde bedeutet, das Eigentliche des Lebens<br />

verfehlen, das Wofür des Lebens nicht in den Blick zu bekommen, die große<br />

Sinnperspektive zu verlieren oder an seinem eigentlichen Leben vorbeizuleben – um<br />

mit Christian Furnica zu sprechen, paraexistentiell zu leben (vgl. Furnica 1998, 13ff).


60<br />

Das eigentliche Leben könnte man in existenzanalytischer Sprache ausgedrückt<br />

authentisches Leben bezeichnen. Umgekehrt könnte man sagen: Sünde entspricht in<br />

gewisser Weise der Inauthentizität, dem nicht authentischen Leben. Damit sind<br />

Themen der dritte Grundmotivation angesprochen (vgl. 2.2.2.1.3.): Darf ich so sein,<br />

wie ich bin? Woher nehme ich die Gewißheit, so sein zu dürfen, wie ich bin? Es geht<br />

um die Fragen des Zu-sich-Stehens, des Selbstwerts, des Gewissens, der<br />

Authentizität.<br />

Was ist nun Authentizität? (vgl. dazu Längle A u S 2000, 7) Von der griechischen<br />

Wortwurzel her bedeutet authéntes (Gemoll 1965, 139): von eigener Hand<br />

ausgeführt, selbst vollendend, Urheber zu sein. In der Existenzanalyse geht es nun<br />

darum, einen Maßstab zu finden, „wonach ich mich selbst beurteile und mich selbst<br />

erkenne“ (Längle A 1999 Handout: Keimpunkt der Authentizität). Darin liegt die<br />

Erfahrung, daß ich so mit mir in die Zukunft gehen mag, daß die Richtung stimmt und<br />

daß dies von verläßlichen Anderen so eingeschätzt wird. Es ist das tiefe innere<br />

Gefühl der Richtigkeit, mehr noch der Stimmigkeit, das sich einstellt, wenn ich mich<br />

mit mir in Abstimmung bringe. Dies setzt die Anerkennung einer Tiefenperson als<br />

Urgrund des Ich voraus. Diese Tiefenperson ist das innerste, nie zu fassende Wesen<br />

des Menschen, das immer wieder aufbricht und mir sozusagen voraus ist. Aus dieser<br />

Tiefenperson – aus der Intimität mit sich selbst – meldet sich das Gewissen und so<br />

wird Authentizität als innere Stimmigkeit erlebt. In der durch die Freiheit ermöglichte<br />

Lebensgestaltung geht es darum, selbst zu sein, ohne sich fremdbestimmen zu<br />

lassen oder sich aufzugeben. Ob ich nun richtig liege erkenne ich daran, wenn die<br />

Zweifel aufhören, sich Friede und ein tiefes Gefühl so stimmt´s einstellt. Authentizität<br />

ist ein „Gefühl der Zentrierung in sich und des Ausgerichtetseins auf eine Zukunft, in<br />

der die Vergangenheit aufgehoben ist“ (Längle A 1999 Handout: Keimpunkt der<br />

Authentizität). Authentizität wird auch als das ursprüngliche Ich beschrieben, das<br />

Echte, das Gespür der Übereinstimmung mit sich selbst. Dies ist der authentische<br />

Maßstab der Selbstbeurteilung (vgl. Längle A Handout: Keimpunkt der Authentizität).<br />

„Darin kommt die (zeitliche) Einmaligkeit und (wesensmäßige) Einzigartikeit der<br />

Person zum Ausdruck, die sie in allen existentiellen Belangen (Entscheidungen,<br />

Handlungen, Verantwortung, Sinn) unvertretbar und unverzichtbar macht“ (Längle A<br />

u S 2000, 7). Mit Authentizität hängt ein weiterer wichtiger Begriff zusammen,<br />

nämlich der des Gewissens (vgl. dazu Tutsch 2000b, 22). Er wurde bereits in diesem


61<br />

Kapitel erwähnt. In der Existenzanalyse wird Gewissen definiert als „Gespür für die<br />

Hierarchie der Werte in einer Situation im Hinblick auf das, was die Person<br />

insgesamt für gut und richtig hält“ (Tutsch 2000b, 22). Erlebnismäßig zeigt sich das<br />

Gewissen „als das Spüren dessen, ‚was zu tun das Richtige (Stimmige) ist‘“ (ebd.).<br />

Die Existenzanalyse kennt zwei moralische Instanzen: das anerzogene Über-Ich<br />

(öffentliches Ich) und das Gewissen als „angeborenes, intimes ‚Sinnorgan‘ (Frankl).<br />

Das Gewissen unterscheidet sich vom Gehorsam fordernden Über-Ich durch<br />

wohlwollendes Anbieten der ureigensten Lebensmöglichkeiten“ (Tutsch 2000, 22).<br />

Der Akt, wie der Mensch zur Authentizität in Abstimmung mit seinem Gewissen<br />

kommt, wird in der Existenzanalyse mit Spüren bezeichnet (vgl. dazu dritte.<br />

Grundmotivation, 2.2.2.1.3.)<br />

Sünde könnte man nun als Inauthentizität bezeichnen, als Fremdbestimmung, als ein<br />

Leben, das nicht auf das Gewissen abgestimmt ist. Ignatius würde sagen, es ist ein<br />

Leben, das „von ungeordneten Neigungen bestimmt“ (EB 1) ist. Die Existenzanalyse<br />

zeigt einen Weg aus der Selbstentfremdung, der Inauthentizität auf, nämlich in der<br />

Reue (vgl. Längle A Handout: Reue – Bereuen. Personale Verarbeitung der<br />

Selbstentfremdung. Inauthentizität). Der erste Schritt besteht im Bedauern des<br />

Schadens, im bewußten Eingeständnis des Fehlers, der sich im Akt des Schämens<br />

vor sich und den anderen zeigt. Als zweiter Schritt folgt das Bereuen, als inneres<br />

Gespräch über das eigenen Handeln. Bereuen ist somit ein innerer Prozeß, in dem<br />

zuerst das Gespür für das Richtige aufgenommen und die Spannung zwischen dem<br />

Eigentlichen und dem, was ich getan habe, empfunden wird. Die Spannung führt in<br />

der Änderungsabsicht zur Motivation ich will es ändern, wenn notwendig, auch den<br />

Schaden wiedergutzumachen. Im zweiten Schritt liegt der Traueranteil der Reue, der<br />

im Emotionalen (vgl. dazu zweite. Grundmotivation in 2.2.2.1.2.) verankert ist.<br />

Dadurch erhält die Änderungsabsicht ihr Gewicht. Der innere Prozeß schließt im<br />

Sich-Verzeihen ab: es ist die innere Versöhnung mit sich und das Loslassen des<br />

Alten. Ging es im zweiten Schritt um den Selbstbezug, den Dialog nach Innen, so<br />

öffnet der dritten Schritt den Dialog nach außen, den Weltbezug in der Begegnung,<br />

im Gespräch. Nun hat sich der, der sich selbst entfremdet hat, der Schuldige, die<br />

Freiheit, sich selbst, seine Wunde zu zeigen. Er kann zu sich, zu dem, was er getan<br />

hat, stehen und die Reaktion der Welt aushalten bzw. annehmen. Zusammenfassend<br />

könnte man den Prozeß der Reue folgendermaßen beschreiben: Ich stelle mich zu


62<br />

meiner Erkenntnis und fasse mein Gefühl dazu, laß es in mir wirken und nehme<br />

Distanz zur eigenen Tat, hebe mich heraus und bringe mich in Dialog mit meiner<br />

Ursprünglichkeit. Dieser Akt der Selbstfindung öffnet mich wieder für andere. –<br />

Hilfreich in der Verarbeitung von Verletzungen ist der von außen, von der Welt<br />

entgegengebrachte Trost. Damit eröffnet sich wieder eine Sinnperspektive (vgl. dazu<br />

Längle A: Handout: Reue – Bereuen)<br />

4.2.2.3.1. Biblisches Paradigma: Die Sünde des Königs David<br />

Als alttestamentliches Beispiel für induzierte Selbsterkenntnis und Reue könnte man<br />

König David anführen, der das Verbrechen (vgl. dazu CIC can. 1090 §1; Ruf 1983,<br />

264) des qualifizierten Gattenmordes (2 Sam 11-12) begangen hat. Der König<br />

verliebt sich in Batseba, die Frau eines seiner Krieger, als er sie beim Baden sieht.<br />

Der König läßt ihn in der Schlacht an vorderster Front aufstellen. Er wird getötet und<br />

David nimmt Batseba zu seiner Frau. Der Prophet Natan versucht nun den König<br />

durch eine Geschichte zur Einsicht zu bringen, in der ein reicher Mann einem Armen<br />

dessen einziges Lamm wegnimmt. Hier wendet der Prophet eine Art Perspektiven-<br />

Shifting 14<br />

(vgl. dazu Kolbe 2000,17) an. Natan hat seine Geschichte noch nicht<br />

beendet, fällt ihm David ins Wort und verlangt den Tod für diesen Mann. Darauf das<br />

entwaffnende Wort des Propheten: „Du selbst bist dieser Mann“ (2 Sam 12,7). David<br />

kommt zur Selbsterkenntnis, zum Eingeständnis seiner Schuld: „Ich habe gegen den<br />

Herrn gesündigt“ (2 Sam 12,13) und bereut (2 Sam 12,16ff). Die Schuld wird ihm<br />

vergeben (2 Sam 12,13), die Lebenslinie des Königs aber weist ab diesem Zeitpunkt<br />

große Einbrüche auf (vgl. dazu 2 Sam ab 13). Bemerkenswertes Detail am Rand:<br />

eines der gemeinsamen Kinder Davids und Batsebas, der König Salomo, wird trotz<br />

der Vorgeschichte Träger der Verheißung (2 Sam 12,24). Damit wird deutlich, daß es<br />

biblisch einen Weg aus der Sünde zurück zum Heil, zur Integrität, den Weg der Reue<br />

gibt.<br />

4.2.2.4. Angst<br />

Konnten für Sünde in Inauthentizität und für Bekehrung in Reue existenzanalytische<br />

Entsprechungen gefunden werden, stellt sich nun die Frage, ob es auch für das


63<br />

Thema Hölle (4.2.1.2.) ein existenzanalytisches Analogon gibt. Die Höllenbetrach-<br />

tung des Exerzitienbuches gehört zu den schwierigsten Passagen, die sowohl<br />

denen, die Exerzitien geben wie denen, die Exerzitien machen, oft größte<br />

Schwierigkeiten bereitet (vgl. Köster 1999, 78f). Die Hölle stellt die Möglichkeit dar,<br />

daß es „eine letzte Konsequenz endgültiger Verweigerung“ (Köster 1999, 79) gibt. M<br />

E. hat Hölle existentiell mit dem großen Themenkreis der Angst 15<br />

(vgl. dazu Längle A<br />

1996 4ff) zu tun, die existenzanalytisch gesehen die Kehrseite der 1.<br />

Grundmotivation (vgl. dazu 2.2.2.1.1.), des Grundvertrauens darstellt. Angst ist nicht<br />

irgendein Thema, es ist ein, wenn nicht das Grundthema existenzanalytischer<br />

Psychotherapie (vgl. Längle A, Ausbildungskurs). Daß Hölle und Angst in innerem<br />

Zusammenhang stehen, zeigt sich nicht zuletzt im Ausdruck Höllenangst. Der<br />

Zugang zu diesem schwierigen Thema scheint aber in den Exerzitien und in der<br />

Existenzanalyse ein entgegengesetzter zu sein. Kommen im Normalfall Menschen<br />

mit Angststörungen in die Psychotherapie mit dem Ziel, von diesen geheilt zu<br />

werden, so wird in den Exerzitien die Angst durch die Höllenbetrachtung erst<br />

hervorgerufen. Man könnte in den Exerzitien von einer evozierten oder induzierten<br />

Angst sprechen, mit dem Ziel, die Möglichkeit des letzten Scheiterns in den<br />

Blickpunkt zu bekommen, um dann das Leben auf das eigentliche Ziel hin<br />

auszurichten. Aufs Erste betrachtet könnte man zusammenfassen: in der<br />

Existenzanalyse geht es darum, von der Angst befreit zu werden, in den Exerzitien<br />

dagegen vom paraexistentiellen Leben (vgl. Furnica 1999) zu einem Leben, das von<br />

den ungeordneten Neigungen befreit, den göttlich Willen zum Heil der Seele sucht<br />

(vgl. EB 2). Dieser Gegensatz läßt sich aber bei tieferer Betrachtung nicht<br />

aufrechterhalten. Denn in der Existenzanalyse wird Angst nie als nur etwas<br />

Negatives gesehen, im Gegenteil: sie ist die „‘via regia‘ in die Tiefe des Daseins“<br />

(Längle A 1996, 12), der Königsweg zum Seinsgrund. Heidegger nennt Angst die<br />

„Grundbefindlichkeit ... als eine ausgezeichnete Erschlossenheit des Daseins“.<br />

(1979, 184ff). Das Dasein ist in der Tat aus zwei Gründen angsterregend: erstens,<br />

weil es keine absolute Sicherheit in der Existenz gibt – Unberechenbares ist immer<br />

14 Diese existenzanalytische Methode wird angewandt, wenn eine Betroffenheit aufgrund eines<br />

Erlebnisses oder einer Erfahrung hätte vorliegen müssen. Dies kann möglich werden, wenn die<br />

Perspektive des Betreffenden verändert wird (vgl. Kolbe 2000,17)<br />

15 Während ich diese Zeilen schreibe wird gerade der <strong>International</strong>e Kongreß der Gesellschaft für<br />

Logotherapie und Existenzanalyse (28. –30.3.2003 in Hamburg) mit dem Thema „Angst – Phänomene<br />

existentieller Verunsicherung und ihre Behandlung“ vorbereitet. Die Referate lassen eine vertiefte<br />

Sicht auf die Angstproblematik erwarten.


64<br />

möglich – und zweitens, weil die menschliche Existenz eine begrenzte Seinsform<br />

zum Tod darstellt. Leben ist Sein zum Tod. Ein Ausspruch eines Theologieprofessors<br />

aus meiner Studienzeit illustriert diese Grundbefindlichkeit: Malum metaphysicum est<br />

limitatio entis (das metaphysische, man könnte sagen, das grundsätzliche Übel ist<br />

die Begrenztheit des Seienden). Die Begrenztheit, die Endlichkeit des Lebens<br />

bewußt anzunehmen und positiv mit ihr zu leben, stellt eine große Aufgabe dar. Sie<br />

ist vielleicht die größte Herausforderung menschlicher Existenz. Die Angst provoziert<br />

mich mit dieser Tatsache auseinanderzusetzen. Nach Heidegger (vgl. dazu 1979,<br />

184ff) zeigt die Angst die Welt in ihrer Unheimlichkeit, weil die alltägliche Vertrautheit<br />

wie eine Täuschung in sich zusammenbricht. In ihr wird der Mensch vor den<br />

Abgrund, den Zusammenbruch, das Scheitern, vor das Nichts gestellt, das zur Welt<br />

gehört und das Dasein von überall her bedroht. In der Unheimlichkeit der Angst<br />

erfährt sich der Mensch isoliert, vereinzelt und auf sich zurückgeworfen. Die Gefahr<br />

eines oberflächlichen (nicht eigentlichen Lebens) besteht darin, sich in ein<br />

Verfallensein in die Welt zu flüchten, in eine beruhigte Vertrautheit bei innerweltlich<br />

Seiendem. Heidegger nennt dies Verfallensein in eine uneigentliche, verfremdete<br />

Existenz (vgl. 1979, 191). Existenzanalytisch könnte man sagen: die Angst macht<br />

den Menschen aufmerksam, wenn er „von etwas Relativem eine Absolutheit“ fordert<br />

(Längle A 1990/1997 Handout: Existenzanalyse der Angst, 6), m. a. W. wenn er den<br />

absoluten Halt, den letzten Seinsgrund von etwas Kontingentem (Zufälligem, was in<br />

der Welt vorzufinden ist) erwartet. Damit sind Werte wie Garantien für Besitz,<br />

Beziehungen, aber auch Forderungen wie absolut richtig handeln und den Sinn des<br />

eigenen Lebens zweifelsfrei erkennen zu müssen gemeint (vgl. Längle A 1990/1997<br />

Handout, 6). Wenn aber die Angst nicht geleugnet und sich ihr gestellt wird, hilft sie<br />

dem Menschen „das ganz Eigene und Eigentliche als Möglichkeit seines Seins<br />

offenbar zu machen“ (Längle A 1996, 5). Frankl sieht die Angst letztlich in der<br />

Endlichkeit des Daseins begründet. Dadurch ist der Mensch darauf angewiesen,<br />

jeden Tag seines Daseins sinnvoll zu gestalten. Hätte er unendlich Zeit, könnte er<br />

sich unendlich lange Zeit lassen und müßte nicht den Sinn des Augenblicks suchen<br />

(vgl. Längle 1996, 5). Die heutige Existenzanalyse sieht den sich ängstigenden<br />

Menschen als einen Menschen auf der Suche nach Halt, der von der Ver-nichtung<br />

bedroht ist. Auf der anderen Seite macht die Angst den Menschen wach, gesammelt,<br />

fokussiert, sie ist Ausdruck der Ernsthaftigkeit des Daseinswillens und einer<br />

persönlichen Lebensgestaltung. Pathologisch wird die Angst aber, wenn der Halt –


65<br />

wie schon erwähnt – eine Garantie für eine absolute Sicherheit bieten soll (vgl.<br />

Längle A 1996, 6).<br />

Existenzanalytisch werden zwei Formen der Angst beschrieben: die Grundangst und<br />

die Erwartungsangst (Längle A 1996, 6). Die Grundangst entsteht durch die<br />

Erschütterung haltgebender Strukturen, wenn das Nichts ins Dasein hereinbricht,<br />

wenn die Brüchigkeit, Begrenztheit der Welt erfahren und die potentielle Nichtigkeit<br />

der Existenz deutlich wird. „Die Grundangst ist eine Begegnung mit dem ‚Nichts‘, das<br />

durch die hohlen Augen von Vergangenheit und Tod ins Dasein hereinstarren kann“<br />

(Längle A 1996, 7). Die Erwartungsangst wird beschrieben als ängstliche Einstellung<br />

bzw. als Haltung zur Angst. Sie liegt sozusagen eine Ebene über der Grundangst, als<br />

sekundäre Reaktion auf die Angst. Der Mensch ist der Angst nicht mehr gewachsen,<br />

die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Welt ist erschüttert. An ihre Stelle<br />

treten Schutzhaltungen (Copingreaktionen), es kommt zur Ausbildung von<br />

angstabwehrenden Haltungen (Längle A 1996, 7). Die frei flotierende Angst soll<br />

durch Vermeiden, Flucht, Bekämpfen, Totstellreflex, durch starre Rituale oder<br />

magische Beschwörungen gebannt werden.<br />

Wenn wir nun wieder auf die Höllenbetrachtung der Exerzitien zurückkommen, stellt<br />

sich die Frage, ob es sich dort um eine Grund- oder um eine Erwartungsangst<br />

handelt. M. E. will Ignatius mit dieser Übung die falschen Sicherheiten aufbrechen<br />

(das Verfallensein an die Welt, um mit Heidegger zu sprechen), den Menschen mit<br />

der letzten Brüchigkeit des Seins, mit der Ver-nichtung konfrontieren, um ihn auf die<br />

Spur des eigentlichen Lebens (in existentieller Sprache ausgedrückt) hin zu<br />

bewegen. M. E. handelt es sich hier in erster Linie um eine induzierte Grundangst.<br />

Sekundär kann man auch von einer induzierten Erwartungsangst sprechen, um das<br />

Leben im Hinblick auf die Angst vor der Hölle, den timor gehennae (RB 7,67), wie es<br />

in der Benediktusregel heißt, zu bessern. An dieser Stelle zeigen sich sowohl der<br />

existentielle Pol in der Grundangst, als auch der moralische Pol in der<br />

Erwartungsangst. M. E. ist bei Ignatius der existentielle Pol der entscheidende,<br />

obwohl auch die moralische Färbung nicht zu übersehen ist. – Am Beginn dieses<br />

Kapitels habe ich die Behauptung aufgestellt, daß es sich bei Ignatius um eine<br />

evozierte bzw. induzierte Angst handelt. Aber auch in der existenzanalytische<br />

Therapie der Erwartungsangst wird mit Angstinduktion im Sinn der


66<br />

Angstkonfrontation gearbeitet. Die Erwartungsangst braucht eine Konfrontation mit<br />

den angstmachenden Realitäten und die Erschütterung der klammernden Haltungen,<br />

die den Zugang zum Sein blockieren und die Haltung der Gelassenheit verhindern<br />

(vgl. Längle A 1996, 9). Konkret wird in dieser Methode – Tor des Todes genannt –<br />

konsequent nachgefragt, bis zur letzten, tiefsten Angst vorgedrungen wird, die im<br />

Normalfall die Todesangst, die Vernichtungsangst darstellt. Sich dieser Angst zu<br />

stellen, in gewisser Weise zu sterben und aus diesem Zustand das Leben neu zu<br />

gestalten (Ignatius würde ordnen sagen, vgl. EB 21) ist Frucht des Durchgangs durch<br />

das Tor des Todes (vgl. dazu Längle A 2000d, 3; ders. 1996/99 Handout: Therapie<br />

der Angst).<br />

Als Abschluß dieses Kapitels ein Zitat von A. Längle, das den Sinn der Angst wie<br />

folgt zusammenfaßt:<br />

So sehen wir den tieferen Sinn der Angst einerseits darin, all das zu finden, was dem<br />

Menschen Halt geben kann für dieses Leben auf dieser Welt; andererseits aber darin zu<br />

lernen, alles das lassen zu können, was aus der Welt stammt, und die Begrenztheit der<br />

Existenz zu akzeptieren. Nur wer letztlich das Leben lassen kann, kann sich in das<br />

Leben einlassen. So können wir beginnen, ‚endlich‘ zu leben (Längle A 1996, 12).<br />

4.2.2.4.1. Biblische Beispiele: Abraham, Jakobs Kampf, Jesus am Ölberg<br />

Eine bemerkenswerte Begegnung mit der Angst hat Abraham in Gen 15. Abraham –<br />

alt und kinderlos – empfängt die Verheißung, Nachkommen wie Sterne am Himmel<br />

zu bekommen. In dieser Stelle geht es um das Vertrauen, den Glauben an die<br />

Führung Gottes. Zur Besiegelung dieser Verheißung an Abraham wird er von Gott<br />

angewiesen, ein Brandopfer darzubringen. Während er dies tut, „stießen Raubvögel<br />

auf die Fleischstücke herab, doch Abraham verscheuchte sie“ (Gen,15,11). Die<br />

Vögel sind ein Symbol der hereinbrechenden Angst. – Bei Sonnenuntergang, heißt<br />

es weiter, „fiel auf Abraham ein tiefer Schlaf; große, unheimliche Angst überfiel ihn“<br />

(Gen,15,12). In diese Erschütterung hinein spricht Gott sein Wort der Verheißung<br />

des Bundes mit Abraham. Man könnte sagen: die Angst öffnet die Tiefenschichten<br />

des Menschen und macht ihn in dieser Lebensveränderungskrise bereit für<br />

(manchmal fundamental) neue Lebensphasen. Voraussetzung dafür aber ist die<br />

positive Bewältigung dieses Einbruchs und das Erkennen der Krise als Chance.


67<br />

Nebenbei bemerkt: das chinesische Schriftzeichen für Krise ist aus Gefahr und<br />

Chance 16<br />

zusammengesetzt (vgl. dazu Sonneck 1995, 28). Das Phänomen der Krise<br />

schließt beide Momente ein.<br />

Ein weiteres alttestamentliches Beispiel einer Angstkonfrontation findet sich in<br />

Jakobs Kampf mit einem Mann am Jabbok (Gen 32,23-33). Jakob, der Sohn Isaaks<br />

und Rebekkas, der jüngere Zwillingsbruder Esaus (Gen 25,19-26), zeigt sich als<br />

schlauer, durchtriebener, aber auch als von Angst getriebener und flüchtender<br />

Mensch. Jakob hat ein besonderes Naheverhältnis zu seiner Mutter, die ihm durch<br />

einen Trick (das berühmte Linsengericht) das Erstgeburtsrecht verschafft (Gen 27,1-<br />

40). Seither ist er auf der Flucht vor seinem Bruder, weil er Angst hat, von ihm getötet<br />

zu werden (Gen 27,41ff). Nach Jahren führen die Wege beider Brüder wieder<br />

zusammen, ein Treffen wird unvermeidlich (Gen 32). Jakob hat große Angst (Gen<br />

31,8), deshalb versucht er es zuerst mit Beschwichtigung, indem er Esau immer<br />

wieder große Geschenke schickt (Gen 32,1-13). Doch dann erfährt Jakob eine<br />

Angstkonfrontation der eigenen Art. Am Vorabend des zu erwartenden<br />

Zusammentreffens, nachdem er seine Frauen und Herden über den Fluß gebracht<br />

hat, bleibt er allein (vereinzelt) ohne Schutz und äußeren Halt, ganz auf sich<br />

geworfen. Da überfällt ihn ein unbekannter Mann und sie ringen die ganze Nacht<br />

miteinander. Die Nacht gilt als Zeit des Unheimlichen und der Ungeborgenheit.<br />

Gegen Morgengrauen fragt Jakob nach dem Namen des Unbekannten. „Was fragst<br />

du mich nach meinem Namen?“ (Gen 32, 30). Da wußte Jakob, daß er es nicht mit<br />

einem gewöhnlichen Menschen zu tun hat. Wer ist nun dieser Mann? Ein Engel, ein<br />

Dämon, oder Gott selbst? In der jüdischen Auslegung sollen alle drei Varianten von<br />

verschiedenen Auslegern für möglich gehalten werden. Man könnte den Mann<br />

weiters auch als Jakobs Schatten, als seine personifizierte Angst deuten. Am Ende<br />

des Kampfes verläßt Jakob den Jabbok als Verwandelter mit einem neuen Namen,<br />

sozusagen mit neuer Identität: „Nicht mehr Jakob 17<br />

wird man dich nennen, sondern<br />

Israel ; denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und hast<br />

gewonnen“ (Gen 32,29). Er geht aber auch als Verwundeter, Gezeichneter, als<br />

Hinkender (Gen, 32,32) und dadurch Erfahrener von diesem Kampfplatz. Nach<br />

16<br />

Krise als Gefahr und als Chance könnte man als eines der Leitmotive bezeichnen, die die Arbeit in<br />

der Kriseninterventionsstation der Christian-Doppler-Klinik in Salzburg (Leiter R. Fartacek)<br />

kennzeichnen.<br />

17<br />

Was so viel wie Fersenhalter oder trivial ausgedrückt Haxlsteller heißt


68<br />

dieser Konfrontation mit seinem Kernschatten wird Jakob fähig, Vater des<br />

Zwölfstämmevolkes Israel zu werden. Aber: Jakob wird trotz seiner Verwandlung<br />

kein anderer Mensch, er bleibt ängstlich und vorsichtig. Nach dem Kampf in der<br />

Nacht kommt es zur Begegnung mit Esau, das Treffen gestaltet sich problemlos.<br />

Vielmehr ist Esau über die große Angst seines Bruders sehr überrascht (Gen 33,1-<br />

20). Man könnte in dieser Perikope eine Therapie der Erwartungsangst sehen.<br />

Im Neuen Testament finden sich viele Beispiele von Angstkonfrontationen, z. B. in<br />

Mk 4,35-41, der Stillung des Seesturms, als Jesus seinen Jüngern sagt: „Warum<br />

habt ihr solche Angst? Habt ihr keinen Glauben?“ (Mk,4,40) Nebenbei bemerkt: Das<br />

Wort Glaube heißt im Griechischen pístis und bedeutet Glaube und Vertrauen, auch<br />

Zuverlässigkeit (vgl. Gemoll 1965, 607). Auch hier ist die Beziehung zwischen Angst<br />

und Vertrauen, wie sie existenzanalytisch in der 1. Grundmotivation gesehen wird<br />

(vgl. dazu 2.2.2.1.1.), zu erkennen.<br />

Jesus, der seinen Jüngern das Vertrauen sozusagen als Gegengift gegen die Angst<br />

zeigt, wir selbst von der Angst in ihrer schwersten Form, der Agonie (vgl. Lk 22,43),<br />

der Todesangst in Getsemani (Mk 14,26-42) heimgesucht. Nach dem Abendmahl,<br />

als der Verrat des Judas evident geworden war, geht Jesus mit seinen Jüngern<br />

hinaus auf den Ölberg. Dort setzt er sich ab, um allein zu beten. Sein Beten erinnert<br />

an Jakobs Kampf am Jabbok. Lukas spricht ausdrücklich von Kampf (14,36). Allein –<br />

die Jünger schlafen – vereinzelt, auf die Erde geworfen (Mk 14,35), sozusagen auf<br />

sich selbst geworfen, betet er. In diesem Gebet ist schon etwas von seinem Gebet<br />

am Kreuz, dem Todesschrei (Mk 15,37) zu spüren, wo er sich selbst von seinem<br />

Vater verlassen erfährt (Mk 15,34). Drei Verben beschreiben bei Markus die<br />

Todesangst Jesu: ekthambeisthai, ademonein (Mk 14,33) und perilypos esti he<br />

psyche mu eis thanatu (Mk 14,34). Ersteres hat die Bedeutung von Entsezten „und<br />

kennzeichnet den Schauder bei der Erfahrung des Heiligen, hier ... im drohenden<br />

Tod“ (Pesch 1977, 389). Das zweite Verb drückt das in Angst oder Verlegenheit sein<br />

aus (vgl. Gemoll 1965, 10), es hat auch die Bedeutung von Grauen und Zagen,<br />

Kummer, Unruhe und „Furcht und Schrecken“ (Pesch 1977, 389). Der dritte<br />

Ausdruck spricht von einer Umhüllung (peri-) von Traurigkeit (lype) der Seele bis in<br />

den Tod. Dieses peri- wird auch als Bild des Umschlossenseins, des aussichtslosen<br />

dunklen Tunnels der Verzweilfung gedeutet. E. Ringel soll darin die Versuchung Jesu


69<br />

zum Suizid gesehen haben 18<br />

. Einengung ist ja eines der Symptome des<br />

Präsuizidalen Syndroms nach Ringel (vgl. dazu Sonneck 1995, 155f; Nindl 2001, 55).<br />

Die Schwere der Angst wird bei Lukas in dem Bild, daß Jesu Schweiß wie<br />

Blutstropfen (thromboi! haimatos) auf die Erde niederfallen (Lk 22,44), ausgedrückt.<br />

In seiner Agonie kommt ihm nach Lukas ein Engel zu Hilfe und stärkt Ihn (vgl. Lk<br />

22,43). Als Jesus von seinem Gebet resp. Kampf aufgestanden war (das griechische<br />

Wort läßt auch die Auferstehung mitschwingen) und seine Jünger schlafend findet,<br />

hat er als Wort an sie : „Wachet und betet“ (Mk 14,28), bei Lukas „Steht auf und<br />

betet“ (Lk 22,46). Darin zeigt sich m. M. n. die Aufforderung, sich bewußt der Angst<br />

zu stellen und sie durchzustehen bzw. durchzukämpfen.<br />

4.2.2.5. Emotion<br />

Dem existenzanalytisch geschulten Leser wird sicher aufgefallen sein, daß es<br />

Ignatius in den Exerzitien nicht nur um verstandesmäßige, rationale Übungen geht,<br />

sondern daß es ihm auf die Sinnenhaftigkeit ankommt, auf das emotionale Erleben<br />

Damit befinden wir uns existenzanalytisch gesehen auf der Ebene der 2.<br />

Grundmotivation, in der es vor allem um das Er-leben geht (vgl. 2.2.2.1.2.).<br />

An dieser Stelle möchte ich an die Aufgaben des Exerzitienleiters erinnern, der die<br />

Betrachtungen nicht vollständig auslegen, sondern vielmehr den Übenden anleiten<br />

soll, selbst in den Stoff einzudringen, selbständig die Geschichte zu überdenken, um<br />

dann selbst auf den Geschmack zu kommen und die geistliche Frucht genießen zu<br />

können (vgl. EB 2). „Denn nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge,<br />

sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von innen“ (EB 2). Die spanischen<br />

Ausdrücke für Fühlen (sentir) und Kosten 19<br />

(gustar) sprechen von selbst. Auf dem<br />

geistlichen Weg sind die Sinne, ist das Fühlen wesentlich beteiligt, es ist eine<br />

conditio sine qua non im Prozeß der inneren Erkenntnis. Was die Sinnenhaftigkeit<br />

betrifft sei auch an die in 4.2.2.3.1. erwähnte Augustinusstelle verwiesen, in der er<br />

die Gottesbeziehung sinnenhaft beschreibt.<br />

Weiters geht es im Exerzitienprozeß um „geistliche Bewegungen“ (EB 6) wie Trost<br />

und Trostlosigkeit: der Exerzitant ist von verschiedenen Geistern getrieben“ (EB 6).<br />

18 Nach einer persönlichen Mitteilung von Bischof A. Stöger<br />

19 Kosten erinnert an einen Psalmvers (34,9). „Kostet und seht, wie gut der Herr ist“


70<br />

Für Bewegungen steht im spanischen Text mociones, es geht also um E-motionen,<br />

um Gefühle, die die Thymopsyche, also den affektiven Bereich der Seele betreffen.<br />

Wie bereits erwähnt fällt die Emotion in der mittelalterlichen Psychologie in den<br />

Bereich des Willens; dieser Bereich ist für den inneren Prozeß von großer<br />

Bedeutung. Interessanterweise begegnet der Ausdruck affectarse (er wird mit sich<br />

stimmen übersetzt) in EB 16, worin es darum geht, sich zum Gegenteil von dem was<br />

ich anstrebe, hin zu stimmen (affizieren), um sicher zu sein, daß ich das, was ich<br />

anstrebe, keine ungeordnete Neigung ist. Man könnte die Formel aufstellen: Ohne<br />

innere Bewegung kein Exerzitienprozeß.<br />

Daß die Emotionen in der neueren Entwicklung der Existenzanalyse, der „personalen<br />

Wende“ (Längle A 2000i, 11) eine bedeutsame Rolle spielen, dürfte aus dem bisher<br />

dargelegten erkennbar sein. Die zweite Grundmotivation (2.2.2.1.2.) und die PEA 1<br />

(2.2.2.2., 4.3.2.1.) handeln davon. Die Grundthese der existenzanalytische<br />

Emotionstheorie besagt, „daß jedes Gefühl eine Reaktion auf die Wahrnehmung<br />

eines Objektes ist, die durch ein physisches, psychisches oder geistiges Berührtsein<br />

entsteht, wodurch die Vitalität (beim Fühlen) und/oder die Geistigkeit (beim Gespür)<br />

des Menschen in Bewegung gerät, was vom Ich als (Gefühls)-Kraft erlebbar und<br />

Grundlage von Werterfassen (Emotionstheorie) und Beziehung ist“ (Längle A 2000i,<br />

11). Zeit ist der wichtige Faktor für die Entstehung von Gefühlen. Die PEA beschreibt<br />

–als prozessuales Emotionsmodell – die zeitliche Abfolge der Gefühle: Die „‘primäre<br />

Emotion‘ (PE) besteht aus Affekt, Impuls und phänomenalem Gehalt der<br />

Gefühlswahrnehmung, die Verarbeitung der PE führt zur ‚integrierten Emotion‘ (IE),<br />

die das genuine, ‚stimmige‘, authentische Gespür darstellt, das als Ausdruck des<br />

Gewissens zu werten ist und ein Verstehen und Urteilen und schließlich ein<br />

Entscheiden und Entschließen beinhaltet“ (Längle A, 2000i, 11). Bemerkenswert<br />

dazu ist auch der Artikel von A. Längle „Kann ich mich auf mein Gefühl verlassen“<br />

(1994c), auf den später (4.3.2.1.1.) noch einmal eingegangen wird.<br />

Der Affekt spielt weiters bei der Betrachtung eine große Rolle. Nach der „Zurichtung<br />

des Schauplatzes“ (EB 47), die man mit einer Imagination vergleichen könnte, weist<br />

Ignatius den Übenden an, zu erbitten was er begehrt: nämlich Freude bei tröstlichen<br />

Stoffen (wie z. B. die Auferstehung), Beschämung und Verwirrung z. B. bei der<br />

Sündenbetrachtung (EB 48). Diese emotionale Bewegung ist nicht machbar, der


71<br />

Mensch kann aber zweierlei dafür tun: erstens sich bereiten (disponer) und zweitens<br />

um diese Gabe bitten. In EB 52 werden im Zusammenhang mit der<br />

Sündenbetrachtung alle drei seelischen Bereiche mit ihrer Anwendung beschrieben:<br />

zuerst ins Gedächtnis rufen, dann mit dem Verstand überlegen und drittens „mit dem<br />

Willen schließen“ (EB 52). Im dritten Bereich ist die Emotion mitgemeint. Wenn man<br />

den Zusammenhang von Wille und Emotion nicht bedenkt, könnte man Ignatius als<br />

Voluntaristen, bei dem es in erster Linie auf den Willensakt ankommt, mißverstehen.<br />

Bei der Betrachtung ist entscheidend, bei jenen Punkten zu verweilen, „bei welchen<br />

ich größere Tröstung oder Trostlosigkeit spürte oder größeres Fühlen im Heiligen<br />

Geiste“ (EB 62). Die entscheidenden Punkte der Betrachtung sind also jene, die mit<br />

einer emotionalen Bewegung einhergehen. Das Ziel der Sündenbetrachtung ist<br />

zuerst das Spüren des inneren Durchdrungenseins von der Sünde und der Abscheu<br />

vor ihr, zweitens das Fühlen der Unordnung und drittens das Entfernen der eitlen<br />

(vana bedeutet eig. leer) Dinge (EB 63). Wenn man EB 62 und 63 zusammen<br />

betrachtet, könnte man die Phasen der Personalen Existenzanalyse (vgl. 2.2.2.2.)<br />

erkennen: Im Gedächtnis und Verstand zeigt sich PEA 0 (das Sich-Erinnern und<br />

verstandesmäßige Überlegen), im Fühlen und Spüren das Heben der primären<br />

Emotion, des Eindrucks (PEA 1), wobei in diesem Prozeß schon die Entscheidung<br />

gegen die Spünde miteingeschlossen ist und damit Elemente der Stellungnahme<br />

(PEA 2) vorkommen. Schließlich ist im Entfernen der eitlen Dinge das<br />

Ausdrucksverhalten (PEA 3) zu erkennen.<br />

Die Sinnenhaftigkeit und die emotionale Affizierbarkeit ist am stärksten in der<br />

Höllenbetrachtung zu sehen: „das innere Fühlen der Strafe zu erbitten, die die<br />

Verdammten erleiden, um nicht in Sünden zu fallen“ (EB 65). In EB 66-70 sind<br />

dann alle fünf Sinne angesprochen, die von den Höllenqualen erfaßt werden sollen.<br />

In EB 87 werden noch Bußübungen angeführt, damit der Bitte um innere Bewegung<br />

Nachdruck verliehen wird.<br />

Wenn es in der existenzanalytische Therapie zuerst um das Heben ins Erleben geht,<br />

so schlägt Ignatius einen ähnlichen Weg ein, wenn er in den mociones eine conditio<br />

sine qua non des geistlichen Prozesses sieht (vgl. EB 6), die er im m. E. Herzstück<br />

der Exerzitien, in den „Regeln zur Unterscheidung der Geister“ (EB 313-336) oder


72<br />

„Regeln zur geistlichen Unterscheidung“ (Köster 1999, 132), wie sie auch genannt<br />

werden, beschreibt.


4.3. Den Entschluß wagen<br />

73<br />

Nachdem im 1. Teil des 4. Kapitels sozusagen die Basis für den Weg gelegt wurde<br />

(kann und will ich mich überhaupt auf den Weg einlassen?), im zweiten Teil das<br />

bisherige Leben in Gewissenserforschung und Selbsterkenntnis am Prüfstand stand<br />

(war das Leben, das ich bisher gelebt habe, ein authentisches, stimmiges Leben,<br />

oder bedarf es der Veränderung, der Um-kehr?), so geht es im dritten Teil um die<br />

Entscheidung für die Zukunft: Wie soll ich mein Leben weiterhin gestalten, in welcher<br />

Form Weichen für die Zukunft stellen, oder tiefgreifende (Lebens-) Entscheidungen<br />

treffen? Wird in der ersten Woche gefragt: Wo habe ich mein Ziel verfehlt?, stellt sich<br />

in der zweiten Woche die Frage: Für welches Ziel, das mir entspricht, entscheide ich<br />

mich? Welche Wahl (z. B. des Lebensstandes) treffe ich? Im nun folgenden Teil<br />

werden die Inhalte der zweiten Exerzitienwoche beschrieben, in einem weiteren<br />

Abschnitt – wie bereits zuvor – die existenzanalytische Entsprechungen.<br />

4.3.1. Zweite Exerzitienwoche<br />

Diese Phase wird von Köster als das „Kernstück der Ignatianischen Exerzitien“<br />

Köster 1999, 83) bezeichnet. Es geht darin um die Vergegenwärtigung der<br />

Geheimnisse des Lebens Jesu auf das Kreuz hin, das den entscheidenden<br />

Durchbruch in die Freiheit des Existenz bedeutet. Die zweite Woche ist eine<br />

Anleitung, „experimentell“ (Köster 1999, 83) zur „Erkenntnis des wahren Lebens“ (EB<br />

139) zu kommen. Es geht um einen experimentellen, man könnte auch sagen<br />

empirischen Vorgang. Dies mag in einem geistig-spirituellen Prozeß fremd klingen,<br />

ich hoffe aber, daß aus dem bisher Dargelegten beim Leser eine Ahnung dafür<br />

vorausgesetzt werden kann. Die zweite Exerzitienwoche könnte man auch als<br />

Entfaltung von EB 1, der Zieldefinition der Exerzitien sehen, nämlich „den göttlichen<br />

Willen zu suchen und zu finden in der Einrichtung (disposición) des eigenen Lebens<br />

zum Heil der Seele“. Bevor nun die zweite Woche im einzelnen beschrieben wird,<br />

möchte ich das m. E. Herzstück der Exerzitien, die „Regeln zur Unterscheidung der<br />

Geister“ (EB 313ff) oder „Regeln zur geistlichen Unterscheidung“ (Köster 1999, 132)<br />

darlegen, die erste und zweite Exerzitienwoche miteinander verbinden.


74<br />

4.3.1.1. Regeln zur Unterscheidung der Geister<br />

Die mociones, die Regungen und Bewegungen der Seele, wurden bereits als<br />

conditio sine qua non für den Exerzitienprozeß erwähnt (vgl. 4.2.2.5.), Köster teilt<br />

ihnen eine „Hauptrolle“ (1999, 132) zu. Diese Gefühle, Stimmungen, Träume etc.<br />

sind für den geistliche Weg entscheidend und sorgfältig wahrzunehmen. In den<br />

„Regeln zur geistlichen Unterscheidung“ (Köster 1999, 132) geht es nun darum,<br />

diese mociones zu unterscheiden 20<br />

, was nützt und was schadet auf dem inneren<br />

Weg, oder anders ausgedrückt: welche inneren Regungen kommen von Gott, vom<br />

guten Engel oder vom Engel des Lichts, von Luzifer, der oft im Anschein des Lichtes,<br />

des Guten verkleidet (vgl. EB 332), auftritt.<br />

Köster meint, daß die Regeln „kaum etwas Neues gegenüber der Tradition“ (1999.<br />

133, vgl. auch Heilig 1994, 2) bieten. Das Neue ist aber ihre Verbindung mit der<br />

„Wahl“ (ebd.). Köster drückt dies zusammenfassend aus:<br />

Er provoziert gewissermaßen die unterschiedlichen Regungen und<br />

Stimmungen im Menschen, Trost- und Trostlosigkeit, vor allem durch das vertiefende<br />

Hineinführen in die ‚Geheimnisse des Lebens Jesu‘, um experimentell herauszufinden,<br />

welches der Wille Gottes für den Übenden sei, welchen Weg er vor Gott gehen soll. Er<br />

begnügt sich nicht damit, diesen Willen aus allgemeinen Prinzipien abzuleiten, sondern<br />

er fragt danach, welche Entscheidung für eine konkrete Person unter ganz bestimmten,<br />

einmaligen Umständen ansteht. Die geistliche Unterscheidung ist also eine Weise, die<br />

Wahrheit zu tun (Joh 3,32), d.h. sich der Realität zu stellen, wie sie das Leben<br />

einfordert. Gott spricht zu uns vor allem durch die Herausforderung des Lebens. Das<br />

bedeutet auch, dass ich mich ggf. in einer konkreten Situation sachkundig machen<br />

muß, weil sonst der Klärungs- und Entscheidungsprozeß im ‚luftleeren Raum‘ verläuft.<br />

So kommt es darauf an, die Welt, d.h. die äußeren Ereignisse und ihre Auswirkungen<br />

auf mein Leben im Licht des Glaubens zu lernen und darauf zu vertrauen, ‘Gott in allen<br />

Dingen zu finden‘“ (Köster 1999 133).<br />

20 Die Kunst des Unterscheidens ist bereits in der Benediktusregel als wesentliches geistliches<br />

Instrument zu finden: Dort weist Benedikt den Abt im 64. Kapitel (einer nicht der Vorlage, der<br />

Magisterregel, entnommenen Stelle) an, in seine Aufträgen und Befehlen umsichtig und überlegt zu<br />

handeln und: „Immer wisse er zu unterscheiden und Maß zu halten (discernat et temperet), eingedenk<br />

der weisen Mäßigung (discretionem !)des hl. Jakob“ (RB 64,17f). Soweit die Übersetzung der<br />

Steidleausgabe (1975). Die Kommissionsausgaabe (1992) übersetzt discretio mit „maßvoller<br />

Unterscheidung“ (RB 64,18), die in Vers 19 , als „Mutter der Tugenden“ bezeichnet wird. Sprachlich<br />

interessant: die Wurzel krin- (griech.) -> krisis und cern (lat.) -> dis-cretio ist die Gleiche (Vgl. dazu<br />

Stowasser 1936, 103)


75<br />

Damit wird unmißverständlich klar, was Köster mit „experimentell“ (1999, 132f) meint:<br />

der Exerzitienvorgang ist kein deduktiver Prozeß, sondern vielmehr ein induktiver.<br />

Dies weist eine Ähnlichkeit mit dem auf, was A. Längle in die Sinndiskussion<br />

(existentieller Sinn, vgl. 4.1.2.) eingebracht hat.<br />

Wie ist nun Ignatius zu seinen Regeln gekommen? Primär durch seine eigene<br />

Erfahrung 21<br />

. Zwei Abschnitte seines Lebens seien in diesem Zusammenhang<br />

erwähnt. Zuerst seine Verwundung bei Pamplona (BP 1). Dort wurden seine beiden<br />

Beine durch einen Kanonenschuß schwer verletzt, trotz guter ärztlicher Versorgung<br />

war er dem Tod nahe (BP 3). Auf dem Weg der Genesung mußte er lange das<br />

Krankenlager hüten, wo er sich die Zeit mit dem Lesen von Ritterromanen vertrieb.<br />

Als er diese ausgelesen hatte, nahm er sich das Leben Christi und eine Sammlung<br />

von Heiligenleben vor (BP 3). Beim Nachdenken über diese Stoffe machte er bald<br />

die Erfahrung einer Unterscheidung: wenn er sich mit weltlichen Gedanken<br />

beschäftigte, hatte er zwar großen Gefallen daran, aber bald darauf fühlte er sich<br />

ausgetrocknet und mißgestimmt. Nach dem Lesen der geistlichen Schriften erfüllte<br />

ihn nicht nur Trost, sondern er blieb zufrieden und froh auch in der Zeit danach. Nicht<br />

sofort, aber „allmählich kam er dazu, darin die Verschiedenheit der Geister zu<br />

erkennen, die dabei tätig waren, nämlich einmal der Geist des Teufels und das<br />

andere Mal der Geist Gottes. Dies war die erste Überlegung, die er über die Dinge<br />

Gottes anstellte. Und als er später die Exerzitien verfaßte, begann er von hier aus<br />

Klarheit über die Lehre von der Verschiedenheit der Geister zu gewinnen“ (BP 8).<br />

Eine zweite Begebenheit (vgl. dazu Lambert 2000a, 99) sei noch erwähnt. Diese<br />

ereignete sich, als Ignatius bereits versuchte, Gott in großem Verlangen „zu dienen<br />

auf alle Weise, so gut er es nur verstand“ (BP 14). Es war zu einer Zeit, in der noch<br />

innerlich „blind“ (BP 14) war, „noch keinen Blick für innere Werte“ (ebd.) hatte er und<br />

noch nicht verstand, „was Demut, Liebe und Geduld eigentlich seien“ (ebd.). Und: „er<br />

kannte jenes Gespür für den Willen Gottes noch nicht, das diese Tugenden zu<br />

lenken und ins rechte Maß zu bringen hat“ (ebd.).So ritt er eines Tages auf seinem<br />

Maultier, als ihn ein Maure einholte. Im Gespräch stellte sich heraus, daß er nicht an<br />

die immerwährende Jungfrauschaft Mariens glaubte (BP 15). Nach dem Gespräch,<br />

als der Maure wieder fortgeritten war, kam ihm der Gedanke und die innere<br />

21 Vgl. dazu weitere Ausführungen in: Heilig 1994, 4ff


76<br />

Erregung, seiner Pflicht nicht Genüge getan zu haben, weil er den Mauren derartige<br />

Dinge über Maria aussprechen ließ. Es ergriff ihn das Verlangen, dem Mauren einige<br />

Dolchstiche zu versetzen. Doch dann kam ihm an einer Weggabelung der Gedanke,<br />

dem Esel die Entscheidung zu überlassen – da „fügte es unser Herr“ (BP 16), daß<br />

der Esel nicht dem Mauren nachging. Auf diesem Weg gelangte er zum<br />

Benediktinerkloster Montserrat, wo er seinen Bekehrungsweg fortsetzte (BP 17f).<br />

Metaphorisch gesprochen könnte man sagen: Der Esel (als Bild für die emotionalen<br />

Schichten der Seele) spürt oft richtiger als der (bisweilen ideologisch besetzte) Geist.<br />

Ignatius versucht dann beide Dimensionen, die Geistige und die Emotionale für den<br />

Entscheidungsprozeß zu nutzen. In ähnlicher Weise geschieht dies auch in der<br />

Methode der Personalen Existenzanalyse.<br />

4.3.1.1.1. Regeln I<br />

Der erste Teil der Regeln „eignet sich mehr für die erste Woche“ (EB 313). Die<br />

einleitende Überschrift lautet: „Regeln, um einigermaßen die verschiedenen<br />

Bewegungen zu erklären und zu erspüren, die in der Seele sich verursachen; die<br />

Guten, um sie aufzunehmen, die schlechten, um sie zu verwerfen“ (EB 313). Köster<br />

(1999, 135) geht in seiner Erklärung dieses kurzen Textes vor allem auf die Verben<br />

ein: „Die Regeln wollen helfen, zu erspüren (sentir), wahrzunehmen, was in mir<br />

vorgeht; einen Zugang zu finden zu den ‚verschiedenen Bewegungen‘ in mir, ohne<br />

sie zu werten“. Wir befinden uns hier auf der Wahrnehmungs- bzw.<br />

Erfahrungsebene. Im oben zitierten Balthasartext ist das Verb erspüren an die zweite<br />

Stelle gesetzt. Das erste Verb im oben angegeben Text lautet erklären, Köster gibt<br />

den spanischen Ausdruck conocer mit „erkennen“ und „verstehen, was in mir<br />

vorgeht“ (1999, 136) wieder. Dabei ist die gedankliche Ebene angesprochen: Der<br />

Exerzitant soll überlegen und erkennen, woher die mociones kommen, in welche<br />

Richtung sie tendieren und was sie verursachen; m. a. W.: wie sie sich in der Seele<br />

auswirken. Die Unterscheidung zwischen Erfahrungsebene (mit den Bewegungen<br />

von Trost und Trostlosigkeit) und gedanklicher Ebene (Gedanken aus Trost und<br />

Trostlosigkeit) sind wichtig. Als weitere zwei Schritte (die nicht im Text stehen)<br />

schlägt Köster das Artikulieren vor („die inneren Regungen ins Wort bringen“ 1999,<br />

136) und zu urteilen (werten). Schließlich gilt es zu entscheiden, was zu tun ist: die<br />

guten Regungen aufzunehmen (recibir) und die schlechten zu verwerfen (lancar).<br />

Lambert bringt diese Dynamik in einen Dreischritt: „spüren – erkennen – Stellung<br />

nehmen“ (2000a, 103). Darin lassen sich Anklänge an die Personale


77<br />

Existenzanalyse erkennen: Eindruck – Stellungnahme – Ausdruck (vgl. dazu<br />

2.2.2.2.). In seiner pointierten Sprache nennt Lambert die Regeln „Kultivierung der<br />

geistlichen Geschmacksnerven“ (Lambert 2000a, 103). Es gehe um „Geschmack<br />

und Nachgeschmack“ (ebd.) der geistlichen Erfahrung. – Köster sieht das<br />

Entscheidende der Regeln darin, „mehr und mehr spürig“ (1999, 136) zu werden für<br />

die feinsten Regungen im Inneren, wahrzunehmen, welche Impulse bewegen und<br />

was sie auslösen. Dadurch „findet er allmählich die Spur, auf der er den Willen<br />

Gottes für sich entdecken kann“ (Köster 1999, 137).<br />

Die ersten beiden Regeln (EB 314, 315) geben eine grundsätzliche Orientierung der<br />

geistlichen Dynamik.<br />

DIE ERSTE REGEL. Denen, die von Todsünde zu Todsünde gehen, pflegt der böse<br />

Feind gemeinhin augenscheinliche Lust vorzustellen, indem er Bilder sinnlicher<br />

Ergötzungen und Lüste hervorruft, um sie jeweils mehr in ihren Lastern und Sünden zu<br />

bewahren und zunehmen zu lassen. Der gute Geist verfährt bei solchen in<br />

entgegengesetzter Weise; er stachelt sie auf und gibt ihnen Gewissensbisse im innern<br />

Instinkt der Vernunft. (EB 314)<br />

DIE ZWEITE. Bei denen, die entschieden voranmachen in der Reinigung von ihren<br />

Sünden und im Dienste Gottes Unseres Herrn vom Guten zum je Besseren<br />

umhergehen, hat eine Weise statt, die der ersten Regel entgegengesetzt ist. Denn nun<br />

ist es dem bösen Geiste eigen, zu beißen, traurig zu stimmen und Hindernisse zu legen,<br />

indem er mit falschen Gründen beunruhigt, damit man nicht weiter vorrücke. Und dem<br />

guten Geist ist es eigen, Mut und Kraft, Tröstungen, Tränen, Einsprechungen und Ruhe<br />

zu geben, indem er alle Hindernisse leicht macht und weghebt, damit man im Tun des<br />

Guten weiter voranschreite. (EB 315)<br />

Am Beginn des Weges ist sorgfältig zu prüfen, in welche Richtung der Exerzitant<br />

geht. Es ist zu schauen, ob er vom „Guten zum je Besseren“ oder „vom Schlechten<br />

ins je Schlechtere“ (EB 335) unterwegs ist. Mit „sinnlichen Ergötzungen und Lüsten“<br />

(EB 314) sind alle „ungeordneten Neigungen“ (EB 2) gemeint. Die Bewegungen der<br />

verschiedenen Geister resultieren aus der Richtung, in die jemand unterwegs ist.<br />

Lambert drückt dies folgendermaßen aus: „Die Frage nach der Grundausrichtung ist<br />

so bedeutsam (vgl. EB 314): Konkret gesagt: Wer viel Alkohol trinkt, wird von<br />

Mittrinkern kräftig ermutigt; wenn er aber ‚Nein, danke‘ sagt, wird er als<br />

Muttersöhnchen verlacht – umgekehrt wird er dann von den ‚Nüchternen‘ bestärkt.“


78<br />

(2000a, 104). Kurz zusammengefaßt könnte man die Dynamik auf die Formel<br />

bringen: Wer sich auf einem guten Weg befindet, wird bei Negativeinflüssen negativ,<br />

bei Positiveinflüssen positiv bewegt. Umgekehrt gilt: Wer sich auf einem schlechten<br />

Weg befindet, wird bei Negativeinfüssen positiv und bei Positiveinflüssen negativ<br />

bewegt 22<br />

. Es gilt herauszufinden, auf welcher Grundausrichtung, auf welchem<br />

„Existenzial“ (Köster 1999, 139) sich der Mensch befindet. – Bemerkenswert ist die<br />

bildreiche, sinnenhafte Sprache des Ignatius: Die Geister stacheln auf, geben<br />

Gewissensbisse (EB 314), stimmen traurig, geben Hindernisse, beruhigen, sprechen<br />

Mut, Tröstungen zu, geben Tränen (EB 314): Ebenso auch in EB 335: der gute Engel<br />

„berührt die Seele, sanft, leicht und lind wie ein Tropfen Wassers, der in einen<br />

Schwamm eindringt. Der böse dagegen berührt sie spitz und scharf und mit Gedröhn<br />

und Unruhe, wie wenn ein Tropfen Wasser auf einen Stein fällt“ (EB 335, kursiv v.<br />

Verf.). Und noch ein Hinweis auf die beiden Grundrichtungen: ist diese der aktuellen<br />

Bewegung entgegengesetzt, „so treten sie mit Geräusch und Sensationen und<br />

Fühlbarkeit ein; ist sie aber gleich, so tritt der Geist schweigend ein wie in sein<br />

eigenes Haus bei offener Tür“ (EB 335, kursiv v. Verf.)<br />

Die weiteren beiden Regeln (EB 316, 317) beschreiben den geistlichen Trost und die<br />

Trostlosigkeit.<br />

DIE DRITTE. Vom geistlichen Trost. Ich rede von Trost, wenn in der Seele eine innere<br />

Bewegung sich verursacht, bei welcher die Seele in Liebe zu ihrem Schöpfer und Herrn<br />

zu entbrennen beginnt und demzufolge kein geschaffenes Ding auf dem Antlitz der<br />

Erde mehr in sich zu lieben vermag, es sei denn im Schöpfer aller. Desgleichen: wenn<br />

einer Tränen vergießt, die ihn zur Liebe seines Herrn bewegen, sei es aus Schmerz über<br />

seine Sünden oder über das Leiden Christi Unseres Herrn oder über andere unmittelbar<br />

auf Seinen Dienst und Lobpreis hingeordnete Dinge. Und endlich nenne ich Trost jede<br />

Zunahme von Hoffnung, Glaube und Liebe, und jede innere Freudigkeit, die ihn zu den<br />

himmlischen Dingen ruft und zieht und zum eigenen Heil seiner Seele, indem sie ihn<br />

besänftigt und befriedet in seinem Schöpfer und Herrn. (EB 316)<br />

22 Eine existenanalytische Unterscheidung könnte in diesem Zusammenhang hilfreich sein, die<br />

Unterscheidung zwischen gut und angenehm. Gut gehört in den Bereich der Noodynamik (sie ist mit<br />

dem Gewissen abgestimmt), angenehm in den der Psychodynamik. Wenn sich der Mensch im<br />

positiven Existenzial befindet, wird er den guten Geist m. M. n. als gut empfinden (mit den<br />

Begleitgefühlen von Friede, Freiheit und Freude), wenn er im negativen Existenzial steht, wird er den<br />

negativen Geist als angenehm empfinden, weil die zuerst beschriebenen Begleitgefühle nicht bleiben<br />

(vgl. dazu Ignatius nach seiner Verwundung in diesem Kapitel)


79<br />

Trost hat bei Ignatius eine intentionale Dynamik: Er verursacht im Menschen eine<br />

innere Bewegung der Liebe zu Gott hin (vgl. EB 21). Verursacher des Trostes ist der<br />

„Gute Geist“ (EB 315), der Tränen hervorrufen kann, die wiederum emotional<br />

(existenzanalytisch die zweite Grundmotivation betreffend, Quellpunkt des Lebens,<br />

vgl. 2.2.2.1.2.) tiefer zu Gott hin ziehen. Trost bedeutet dann die Zunahme der drei<br />

göttlichen Tugenden (Hoffnung, Glaube und Liebe – in dieser Reihenfolge!), dann<br />

jede innere Freudigkeit, die wieder auf die himmlischen Dinge und das Heil der Seele<br />

(vgl. auch EB 1) hinführt. Diese Freude besänftigt und befriedet in Gott. – Hier könnte<br />

leicht der Eindruck eines Dualismus entstehen, auf der einen Seite das böse<br />

Geschaffene, Irdische, und auf der anderen Seite das gute Himmlische. An dieser<br />

Stelle muß wieder auf die den Exerzitienprozeß abschließende Betrachtung zur<br />

Erlangung der Liebe (EB 230 – 237) hingewiesen werden, wo Gott als in allen<br />

Dingen wohnend (EB 236f) beschrieben wird, als in-karnierter, fleisch-gewordener<br />

Gott, der durch seine Menschwerdung den ganzen Kosmos vergöttlicht hat.<br />

Trost 23<br />

kann nun als Gefühl der inneren Rührung (der Be-rührung durch den guten<br />

Geist) beschrieben werden, der Vermehrung der Freude, des Friedens und der<br />

Besänftigung. Trost ist aber nicht nur ein gutes Gefühl, sondern weist – wie schon<br />

erwähnt – eine intentionale Bewegung auf Gott hin auf. Das Gefühl ist dann<br />

sozusagen ein Begleitgefühl (Vgl. Köster 1999, 140). (Begleitgefühle werden auch in<br />

der Existenzanalyse beschrieben, vgl. die Begleitgefühle zur Authentizität, s.<br />

Handout). Die Erfahrung des Trostes ist weiter die Voraussetzung für die<br />

Entscheidung zum Guten hin. Er ist die innere emotionale Motivation für die Wahl<br />

zum je Besseren. Der Trost zieht sozusagen auf Gott hin.<br />

Die Trostlosigkeit wird nun als Gegenteil von Trost beschrieben (EB 317).<br />

DIE VIERTE: Von der geistlichen Trostlosigkeit. Ich nenne Trostlosigkeit alles, was zur<br />

dritten Regel im Gegensatz steht, als da ist: Verfinsterung der Seele, Verwirrung in ihr,<br />

23 Im lateinischen Wort für Trost consolatio steckt das Wort sol (Sonne) drinnen: sich von der Sonne<br />

bescheinen lassen (nach Kienast 2000). – Bemerkenswert auch die Bezeichnung der 3. Göttlichen<br />

Person, des Heiligen Geistes, als Consolator (z. B: in der Pfingstsequenz: Consolator optime, dulcis<br />

hospes animae, Gotteslob 1975, 304).- Interessant auch die Bedeutungsvielfalt des griechischen<br />

Ausdrucks für den Heiligen Geist, Parakletos: er ist der Fürbitter (das Verb parakalein heißt bitten;<br />

man bedenke das neugriechische Wort parakaló für bitte!), der Beistand, als Verteidiger, als<br />

Rechtsanwalt, der für seinen Klienten eintritt (biblisch: der Beistand, den der Vater im Namen Jesu<br />

senden wird; vgl. Joh 14,16, der die Gläubigen gegen den Ankläger , vgl. Apk 12,10,<br />

verteidigt), der Helfer und schließlich der Tröster.


80<br />

Hinneigung zu den niedrigen und erdhaften Dingen, Unruhe verschiedener<br />

Getriebenheiten und Anfechtungen, die zum Mangel an Glauben, an Hoffnung, an Liebe<br />

bewegen, wobei sich die Seele ganz träg, lau, traurig findet und wie getrennt von ihrem<br />

Schöpfer und Herrn. Denn wie der Trost das Gegenteil von Trostlosigkeit ist, so sind<br />

auch die Gedanken, die der Trostlosigkeit entspringen, entgegengesetzt den Gedanken,<br />

die aus dem Trost entstehen. (EB 317)<br />

Ignatius kommt zuerst auf den emotionalen Teil der Seele, die Thymopsyche zu<br />

sprechen: Verfinsterung, Verwirrung, Hinwendung zu niedrigen Dingen, die Seele<br />

fühlt sich träge, lau und traurig. Existenzanalytisch zeigt sich hier die Schattenseite<br />

der zweite Grundmotivation, die in der Depression ihre Ausformung findet:<br />

Befindlichkeits- und Affektstörungen (Losigkeitssymptome, depressive Verstimmung,<br />

auch Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung) Antriebsstörung, eingeschränkte<br />

Affizierbarkeit von positiven Gefühlen, und Biorhythmusstörungen (vgl. dazu<br />

Fleischhacker, Hinterhuber 1997, 45). Weiters ist das Gefühl der Trennung von Gott<br />

(meist auch mit dem Gefühl des Getrenntseins von den Menschen verbunden)<br />

besonders schmerzlich 24<br />

(vgl. dazu Haas 1977, 170f). Neben dem emotionalen<br />

Bereich der Thymopsyche ist auch der kognitive der Noopsyche betroffen: aus der<br />

Trostlosigkeit entspringen Gedanken der Trostlosigkeit, der Verzweiflung.<br />

Die Erfahrung der Trostlosigkeit 25<br />

ist nach Ignatius kein Indiz für einen negativen<br />

Exerzitienprozeß (das wäre der Fall, würden keine mociones auftreten; vgl. dazu EB<br />

6). Beides, Trost und Trostlosigkeit wertet er als geistliches Geschehen, als eine<br />

Erfahrung, die im Glauben wurzelt (vgl. Köster 1999, 141). Wenn, wie bereits<br />

erwähnt, die Trostlosigkeit aus der positiven Grundrichtung herrührt, ist sie „ein<br />

24<br />

Dazu sei wieder die Ölbergszene Jesu (vgl. 4.2.2.4.1.) und sein Verlassenheitsschrei am Kreuz<br />

erwähnt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mk 15,34, Ps 22,2)<br />

25<br />

Bemerkenswert sind auch die Ausführungen eines spanischen Zeitgenossen des hl. Ignatius, des<br />

hl. Johannes vom Kreuz (1551 – 1591) zu diesem Thema. Er sieht die Trostlosigkeit als Mittel zur<br />

Reinigung der Seele (durch die „dunkle Nacht“ hindurch), um für die Vereinigung mit Gott (union de<br />

Dios) bereit zu werden: Die Seele muß „erst geistig leer und arm werden, abgelöst von jeder Stütze,<br />

Tröstung und jeder natürlichen Auffassung göttlicher und menschlicher Dinge. Einmal derart von allem<br />

entblößt, ist sie wahrhaft arm im Geist und hat den alten Menschen ausgezogen; sie kann dann das<br />

durch die dunkle Nacht verschaffte selige Leben gewinnen: den Stand der Vereinigung mit Gott“<br />

(Johannes v. Kreuz 1983, 100). Weiters: „Sehr schmerzhaft ist diese Reinigung der Seele aufgrund<br />

der vielen Ängste, Einbildungen und Kämpfe, die sie in sich verspürt. Der Anblick und das Gespür<br />

ihres eigenen Jammers läßt sie befürchten, sie sei verloren und ihr Glück sei für immer dahin“ (ebd.<br />

101f).Die seelische Trostlosigkeit ruft nach Johannes das Zusammentreffen von der göttlicher Liebe<br />

mit der ungereinigten Seele hervor. Er verwendet die Metapher vom nassen Holzscheid, das zuerst<br />

durch das Feuer getrocknet werden muß. Dieser Vorgang ist sozusagen unangenehm für das Holz<br />

(es rußt und verbreitet üblen Geruch etc.). Nach der Trocknung aber kann sich das Feuer mit dem<br />

Holz vereinigen, es verzehrt sich, gibt Wärme und Licht. (vgl. ebd. 104f)


81<br />

notwendiges Geschehen“ (Köster 1999, 141), sie reinigt von „ungeordneten<br />

Neigungen“ (EB 1), Köster spricht in diesem Zusammenhang von Narzismus (vgl.<br />

1999, 141). Trostlosigkeit gehört aber auch „zur Struktur der psychischen und<br />

geistlichen Entwicklung“ (ebd.). Es geht dabei um krisenhafte Zustände (vgl. dazu<br />

Sonneck 1995, 28ff): daß nämlich die bisher entwickelte Struktur aufgebrochen und<br />

Platz für eine neue gemacht wird. Dies vollzieht sich meist durch einen Bruch<br />

hindurch, mit dem auch die oben erwähnten Gefühle einhergehen. Von Krise als<br />

Gefahr oder Chance wurde bereits früher gesprochen (4.2.2.4.1.). In dieser Phase<br />

werden Exerzitien wirklich als Krise im wahrsten Sinne des Wortes (von krísis als<br />

Scheidung und Ent-scheidung; vgl. dazu Gemoll 1965, 453) erlebt. Biblisch<br />

ausgedrückt könnte man sagen: Neuer Wein paßt nicht in alte Schläuche (vgl. Lk 5,<br />

37).<br />

In diesem Abschnitt ist der Exerzitienleiter angewiesen, „nicht rauh und hart, sondern<br />

mild und sanft vorzugehen, indem er ihm Mut und Kraft für die Zukunft einflößt, die<br />

Trugwerke des Feindes der menschlichen Natur aufdeckt und ihm Wege weist ...“<br />

(EB 7) mit dem Exerzitanten umzugehen. An dieser Stelle wird auch die wichtige<br />

Funktion des Exerzitienleiters deutlich, der sich in den inneren Bereichen auskennen<br />

muß, um die Regeln situativ anwenden zu können.<br />

Entscheidend für den Exerzitienprozeß sind die inneren Bewegungen, daß der<br />

Übende von verschiedenen Geistern getrieben wird (vgl. EB 6). Die letztere<br />

Formulierung erinnert an die biblische Stelle Mk 1,12f: „Danach < Taufe Jesu> trieb<br />

der Geist Jesus in die Wüste. Dort blieb Jesus 40 Tage lang und wurde vom Satan in<br />

Versuchung geführt. Er lebte mit den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm“.<br />

Diese kurze Markusperikope scheint mir ein Paradigma für Trost und Trostlosigkeit<br />

zu sein. Jesu wird vom Geist (pneuma) in die Wüste geführt, einem ambivalenten<br />

Ort. Einerseits ist die Wüste der Ort der ersten Liebe (vgl. Jer 2,2), der Erwählung,<br />

der Rettung (vgl. Exodus), der unmittelbaren Gotteserfahrung, auch der inneren<br />

Wandlung, der Ort, an dem Gott seinem Volk zu Herzen spricht, andererseits aber<br />

auch der wüste, leere Ort (eremos topos) des Ausgesetztseins, des Mangels, wo<br />

alles Uneigentliche abfällt, der Ort der Dämonen und der Versuchung. So wird Jesus<br />

nach der Taufe (wo ihm der Vater seinen Rücken stärkt und Jesu Selbstwert<br />

induziert) in die Wüste geführt, wo sich der zweite Schritt seiner Vorbereitung für


82<br />

seine Sendung vollzieht. In der Wüste, könnte man pointiert ausdrücken, machte<br />

Jesus seine Exerzitien: Dort wird er vom Satan (Mk 1,12) in Versuchung geführt<br />

(entspricht der Trostlosigkeit, EB 315), auf der anderen Seite dienen ihm die Engel<br />

(Mk 1,13), was auf Trost hindeutet. Und schließlich steht noch der Satz im Text: „Er<br />

war mit den wilden Tieren“ (Mk 1,13). Dies könnte einerseits an den Kampf mit den<br />

Dämonen denken lassen, andererseits aber auch an das Bild von Jes 11, an das<br />

friedliche Zusammenleben mit den wilden Tieren, als Bild des endgültigen Friedens,<br />

des Schalomzustandes. Alle diese Facetten spiegeln die Wüste wieder, den Ort von<br />

Trost und Trostlosigkeit, um für den Einzug in das gelobte Land bereit zu machen, m.<br />

a. W. für das eigentliche Leben.<br />

Nach diesem biblischen Exkurs wieder zurück zum Exerzitientext. Die folgenden vier<br />

Regeln (EB 318 – 321) geben Anweisungen für das Verhalten in Trostlosigkeit. EB<br />

318 spricht davon, zur Zeit der Trostlosigkeit nie eine Entscheidung zu treffen,<br />

sondern fest in der Entscheidung zu stehen, die in der Zeit des Trostes getroffen<br />

wurde. Denn wie der gute Geist jeweils mehr im Trost berät, so in der Trostlosigkeit<br />

der böse „auf dessen Ratschläge hin wir nie finden können, um das Rechte zu<br />

treffen“ (EB 318). In EB 319 spricht Ignatius von der Entscheidung gegen die<br />

Trostlosigkeit. Als Mittel gibt er mehr an Gebet, Betrachtung, sich viel prüfen<br />

(Gewissens-erforschung) und Buße an. Es geht darum, sich vom Gefühl und von den<br />

Gedanken zu distanzieren, indem man die oben genannten Mittel ergreift.<br />

Diese Regel erinnert an den von Frankl überlieferten Satz: „Man braucht sich nicht<br />

alles gefallen lassen, auch nicht von sich selbst“ (Ausbildungskurs). Man kann in der<br />

Regel EB 319 die Selbstdistanzierung, die Selbsterkenntnis, die existentielle Haltung<br />

des sich bewußt Verhaltenkönnens erkennen (ein Rest personaler Freiheit und damit<br />

Verantwortung bleibt selbst in starker Trostlosigkeit).<br />

EB 320 beschreibt den Sinn der Trostlosigkeit in der „Probe seiner natürlichen<br />

Fähigkeiten“, um den verschiedenen Anfechtungen zu widerstehen. EB 321 spricht<br />

davon, in Geduld auszuharren, „die den ihn überkommenden Quälereien<br />

entgegenwirkt“ (ebd.). Und der Übende soll daran denken, daß er bald wieder<br />

getröstet sein wird; an die Anwendung der Mittel gegen die Trostlosigkeit wird noch<br />

einmal erinnert.


83<br />

Haas beschreibt noch einen bemerkenswerten Aspekt, was den Zusammenhang<br />

zwischen Exerzitienleiter und Trostlosigkeit betrifft. In der Trostlosigkeit empfindet<br />

sich der Übende von Gott und den Menschen (oft auch vom Exerzitienleiter)<br />

verlassen, er spürt niemanden mehr. Es kann nun sein, daß der Exertzitant „seine<br />

eigenen, jetzt plötzlich auftauchenden Schwierigkeiten sowohl auf Gott wie auf den<br />

Exerzitiengeber projiziert und diese nun zum ‚Sündenbock‘ seiner eigenen<br />

seelischen Verwirrung macht und sich deshalb auch in der daraus resultierenden<br />

Trostlosigkeit von ihnen trennen will. Hier muß die Hilfe des Exerzitiengebers<br />

einsetzen, indem er erstens durch mildes und sanftmütiges Verhalten mehr denn je<br />

Vertrauen und Liebe gegenüber dem Übenden walten läßt; indem er zweitens die<br />

trügerische Situation dem Übenden klarzulegen und damit weitgehend aufzulösen<br />

versucht; indem er drittens die Gründe aufdeckt, warum wir in Trostlosigkeit<br />

geraten“ (Haas 1977, 171). Aus eigener Erfahrung sowohl im persönlichen Leben als<br />

auch in der Begleitung von Exerzitanten erscheint mir aber die Geduld, der lange<br />

Atem entscheidend zu sein. Denn Trostlosigkeit – wenn sie nicht durch<br />

Nachlässigkeit hervorgerufen wird – ist nicht durch Aktivität zu vertreiben, sie<br />

vergeht. Wichtig ist m. E. die Einstellung zur Trostlosigkeit, die wesentlich im<br />

Geschehen-lassen, im Aushalten liegt. Der Faktor Zeit ist hier entscheidend. Darin<br />

treffen sich m. E. die Begleitung durch die Trostlosigkeit und die<br />

Depressionstherapie. Die Einstellungsänderung (vgl. Ausbildungskurs) ist in der<br />

existenzanalytische Therapie wichtig, von ihr spricht auch Köster im<br />

Exerzitiengeschehen (1999, 144).<br />

Ignatius versucht in EB 322 detailliert den Ursachen von Trostlosigkeit auf die Spur<br />

zu kommen. Sie kann von Lauheit und Nachlässigkeit kommen, zweitens von Gott<br />

selbst, um den Übenden zu erproben, wie weit er ohne den Lohn des Trostes im<br />

Dienst Gottes sich hingibt. Drittens kann Gott zur Erkenntnis führen, „inwendig zu<br />

erleben, daß es nicht unsere Sache ist, große Hingabe, intensive Liebe, Tränen oder<br />

irgendeinen anderen geistlichen Trost zu verschaffen“ (EB 322), sondern daß es<br />

ganz die Sache Gottes ist. Das Gefühl von Trost kann nicht erzeugt werden, es stellt<br />

sich ein.


84<br />

EB 313 und 324 geben Anweisungen für den Zustand des Trostes. EB 323 spricht<br />

davon, sich in den Zustand der Trostlosigkeit zu versetzen, um, wie Köster schreibt,<br />

„den nötigen ‚Bodenkontakt‘ nicht zu verlieren, solange er geistlichen Trost erfährt“<br />

(1999, 145). Wie die Versetzung in den Zustand der Trostlosigkeit aussieht wird in<br />

EB 324 angegeben: sich demütigen und erniedrigen, „indem er bedenkt wie wenig er<br />

Wert ist zur Zeit der Trostlosigkeit ohne diese besondere Gnade der Tröstung“ (EB<br />

324). Andererseits soll er bedenken, wieviel er in der Trostlosigkeit durch die Gnade<br />

vermag „indem er die Kräfte bei seinem Schöpfer sich holt“ (EB 324). Damit soll auf<br />

das Geschenkhafte des Trostes hingewiesen werden, zu dessen Erreichen der<br />

Mensch aufgerufen ist, seinen Beitrag zu leisten. Der Grund dafür liegt in der Würde,<br />

der relativen Autonomie des Menschen (vgl. Gen 1,26). Die Mitwirkung des<br />

Menschen zu seinem Heil, die sich letztlich im Akt des Glaubens, im Zutrauen, daß<br />

Gott es vollbringt, zeigt, ist conditio sine qua non. Davon war bereits öfter die Rede.<br />

Als biblisches Beispiel in der Unterscheidung von Trost und Trostlosigkeit könnte<br />

man die Verklärung Jesu (Lk 9,28-36) anführen, in der die Jünger während der Meta-<br />

morphosis (der griech. Ausdruck von Verklärung) Jesu von großem Trost erfüllt<br />

waren: Petrus: „Es ist gut hier zu sein. Wir wollen drei Hütten bauen“ (Lk 9,33). Dann<br />

aber, als eine Wolke ihren Schatten auf sie warf, waren sie irritiert und bekamen<br />

Angst (vgl. Lk 9,35). Jesus läßt seinen Jüngern die Herrlichkeit verkosten<br />

(sozusagen ein Aperitif für die Auferstehung, den Himmel), damit sie leichter die<br />

Schattenseiten von Leid und Kreuz bestehen können (vgl. dazu die Ölbergperikope<br />

4.2.2.4.1.)<br />

In den letzten drei Regeln (EB 325-327) verwendet Ignatius starke Bilder, um die<br />

Schliche des bösen Geistes, den er dreimal „Feind der menschlichen Natur“ (EB 325,<br />

326, 327) bezeichnet: das Bild des Weibes (EB 325), des eitlen Verliebten (EB 326)<br />

und des Häuptlings (EB 327). Köster spricht von „unbewußten Reaktionsmustern“<br />

(1999, 145), die durch „Testbilder“ (ebd.) aufgespürt werden sollen, „um dem<br />

Übenden zu veranschaulichen, inwieweit er zu sich selber stehen kann angesichts<br />

von Widerstand, von eigener Abgründigkeit und im Bewußtsein seiner ‚schwächsten<br />

Stelle‘“ (ebd.). Das tertium comparationis des ersten Bildes des Weibes (EB 325) –


85<br />

ist die Schwachheit 26<br />

. Der Feind – obwohl er übermächtig erscheint – flüchtet, sobald<br />

man ihm stark entgegentritt und ihm die Stirn bietet. Im Bild des eitlen Verliebten (EB<br />

326) wünscht der Feind nicht entdeckt zu werden: er flüstert der Seele Angst ein, die<br />

inneren, oft unangenehmen, schambesetzten, bisweilen auch pervertierten<br />

Regungen auszusprechen. Schließlich geht es im Bild des Häuptlings (EB 327) um<br />

die schwächste Stelle: der Feind umschleicht den Menschen und schlägt genau dort<br />

zu. In diesen Bildern geht es um Selbstwahrnehmung, um Selbsterkenntnis.<br />

Wenn diese Metaphern (vor allem die erste!) für unsere Ohren abstoßend bis skurril<br />

klingen mögen, so zeigt ihr Inhalt wichtige Punkte in der spirituellen Dynamik auf. In<br />

der Exerzitienpraxis haben sie sich meiner Erfahrung nach oft als sehr hilfreich für<br />

die Übenden erwiesen, wenn sie situativ eingesetzt wurden.<br />

4.3.1.1.2. Regeln II<br />

Geht es in den Regeln I in erster Linie um das Phänomen der Trostlosigkeit, steht in<br />

der zweiten Woche der Trost im Vordergrund. Nach Köster setzt die Dynamik der<br />

Regeln II einen „emotional ausgeglichenen Menschen voraus“ (1999, 146). In der<br />

zweiten Woche geht es darum, im Wahlprozeß Sicherheit oder besser Gewißheit zu<br />

bekommen, daß ich mich auf meine Erfahrungen von Trost verlassen und auf dieser<br />

Basis einen Entschluß fassen kann.<br />

Die erste Regel (EB 329) weist klar die Urheber von Trost und Trostlosigkeit zu: Gott<br />

und seinen Engeln ist es in ihren Anregungen eigen, „wahre geistliche Freude und<br />

Trost zu geben und alle Trauer und Verwirrung, die der Feind herbeiführt, zu<br />

entfernen, dessen Art es ist, gegen solche geistliche Fröhlichkeit und Tröstung<br />

anzukämpfen, indem er Scheingründe, Spitzfindigkeiten und anhaltende<br />

Täuschungen beizieht“ (EB 329). Ignatius gibt Scheingründe und Spitzfindigkeiten<br />

an, die besonders bei ängstlichen und skrupulösen Menschen einen negativen<br />

Einfluß ausüben. Ignatius hat dies in seinem Bekehrungsprozeß in Manresa selbst<br />

erfahren (vgl. BP.19ff). Menschen, die eine Bekehrung erlebt haben, neigen dazu,<br />

alles besonders gut und dazu noch mehr als gut machen zu wollen. Dies führt dann<br />

zum Zuviel des Guten, das sich wieder ins Negative kehrt (vgl. BP 19ff). Schon der<br />

26<br />

Dies erinnert an Shakespears Hamlet „Fraility, thy name is woman!“ (I,2), Schwachheit, dein Name<br />

ist Weib.


86<br />

Wüstenvater Abbas Poimen sagt: „Alles Übermaß ist von den Dämonen“ (zit. nach<br />

Köster 1999, 149). Meiner Erfahrung nach zieht das Gute, das Schlechte schiebt,<br />

treibt, drängt. Wenn es dem negativen Geist nicht gelingt, den Menschen durch<br />

Trägheit von seinem Weg abzubringen, versucht er es durch vermehrten Antrieb,<br />

was noch gefährlicher ist.<br />

Die zweite Regel (EB 330) spricht von einer völlig evidenten Form des Trostes, bei<br />

der es keinen Zweifel gibt: „Einzig Gott unser Herr kann ohne vorausgehenden<br />

Grund der Seele Trost geben ohne vorausgehendes Fühlen oder Erkennen<br />

irgendeines Gegenstandes, der ihr vermittels der Akte ihres Verstandes und Willens<br />

eine solche Tröstung herbeiführen würde“ (EB 330). Diese Regel hat dann für die<br />

Wahl (EB 175) eine besondere Bedeutung.<br />

In den Regeln drei bis sieben (EB 331-335) geht es um den zweifelhaften Trost: Wie<br />

kann ich in diesem Fall dennoch Gewißheit bekommen? Wenn EB 330 von einem<br />

grundlosen Trost gehandelt hat, spricht EB 331 davon, daß mittels eines Grundes<br />

sowohl der gute, als auch der böse Engel zu trösten vermag – jedoch zum<br />

entgegengesetzten Ziel hin. EB 332 erläutert diesen Gedanken noch genauer: „Die<br />

Art des bösen Engels, der sich in die Gestalt eines Engels des Lichtes verwandelt ist<br />

es, mit der frommen Seele einzutreten und mit sich selbst auszutreten“. Dies<br />

bedeutet: Der Feind kommt zuerst mit guten und heiligen Gedanken, der gerechten<br />

Seele angepaßt und beginnt allmählich, fast unmerklich, diese zu seinen negativen<br />

Zielen hinzubewegen, „indem er die Seele in seine verdeckten Betrügereien und<br />

verkehrten Absichten hineinzieht“ (EB 332).<br />

EB 333 faßt nun zusammen, indem auf den Verlauf der Gedanken hingewiesen wird.<br />

Sind Anfang, Mitte und Ende gut, dann ist alles gut, frei nach dem Sprichwort: Ende<br />

gut, alles gut. Dies ist das Zeichen des guten Engels. „Wenn aber einer im Verlauf<br />

seiner Gedanken bei einer schlechten Sache endet oder wenn es die Seele<br />

schwächt oder verwirrt, indem es ihr Frieden, die Stille und Ruhe, die sie vorher<br />

hatte, wegnimmt, so ist dies ein klares Zeichen, daß es vom bösen Geiste<br />

herstammt, dem Feind unseres Fortschritts und ewigen Heils“ (EB 333). Die sechste<br />

Regel (EB 334) greift den Verlauf noch einmal auf und beschreibt das böse Ende als<br />

den „Schlangenschwanz“, der „gespürt und erkannt wird“ (EB 334). Damit sind die


87<br />

negativen Begleitgefühle und Gedanken gemeint. Wenn dies geschieht ist es<br />

nützlich, sofort den Verlauf der guten Gedanken zu betrachten, diese vom Anfang zu<br />

verfolgen bis hin zur Abzweigung zu den schlechten Gedanken. Ignatius weist an<br />

dies zu tun, um durch diese Erfahrung „sich künftig von seinen <br />

gewohnten Betrügereien hüten zu können“ (EB 334).<br />

Die siebte Regel (EB 335) beschreibt in Bildern die Wirkweisen des guten bzw.<br />

bösen Engels: „Bei denen, die vom Guten zum je Besseren voranschreiten, berührt<br />

der gute Engel die Seele sanft, leicht und lind wie ein Tropfen Wassers, der in einen<br />

Schwamm eindringt. Der böse dagegen berührt sie spitz und scharf und mit Gedröhn<br />

und Unruhe, wie wenn der Tropfen Wassers auf einen Stein fällt:“ (EB 334). Wie<br />

bereits in EB 314, 315 beschrieben, kommt es auf die Grundrichtung an, auf der sich<br />

der Mensch befindet, was die Reaktion betrifft, die im Menschen ausgelöst wird.<br />

„Denn ist sie entgegengesetzt, so treten sie mit Geräusch und Sensation und<br />

Fühlbarkeit ein; ist sie gleich, so tritt der Geist schweigend ein wie in sein eigenes<br />

Haus bei offener Tür“ (EB 335). Dieses letzte Bild mutet – bei dem sonst so<br />

nüchternen Ignatius – beinahe poetisch an.<br />

Die achte Regel greift noch einmal die zweite auf, die Tröstung ohne Grund (EB<br />

330). Diese sich aktuell vollziehende Tröstung (actual consolación) ist von der Zeit<br />

nach dieser Tröstung mit ihren abgeleiteten Folgerungen, Vorsätzen und Ansichten<br />

zu unterscheiden. Letztere dürfen nicht als direkt von Gott kommend angesehen<br />

werden, sondern müssen sehr genau untersucht werden, „bevor man ihnen volles<br />

Zutrauen schenkt oder sie in die Tat umsetzt“ (EB 336). Diese Weisung erscheint mir<br />

deshalb so wichtig, weil bei ihrer Nichtbeachtung Fanatismus, totalitärem<br />

Sendungsbewußtsein Tür und Tor geöffnet ist.<br />

Abschließend sei noch einmal darauf verwiesen, daß es dem Übenden wenig hilft,<br />

ihn mit den Regeln alleine zu lassen, sondern „vielmehr sollte der Exerzitienbegleiter<br />

mit den Regeln zur geistlichen Unterscheidung so vertraut sein, daß er sie im Prozeß<br />

der geistlichen Übungen situativ einbringen kann“ (Köster 1999, 150).


88<br />

4.3.1.2. Erwägungen, Besinnungen und Betrachtungen der zweite Woche<br />

Die Übungen der zweiten Woche bestehen aus Erwägungen (consideraciónes), die<br />

eher die diskursiven, kognitiven Fähigkeiten, also die Noopsyche, aktivieren, die<br />

Betrachtungen (contemplaciónes) – sie betreffen mehr den affektiven Bereich, die<br />

Thymopsyche – und die Besinnungen (medidaciónes), die zwischen beiden Formen<br />

stehen. Die consideraciónes sind eher den Strukturbetrachtungen (eins und vier)<br />

zugeordnet, die den contemplaciónes, den Betrachtungen des Lebens Jesu, „ihr<br />

eigenes Gefälle“ (Köster 1999, 83) geben.<br />

4.3.1.2.1. Der Ruf und die Betrachtungen von der Menschwerdung und der<br />

Geburt Jesu<br />

Die erste Strukturbetrachtung (EB 91 – 100) ist mit dem Satz überschrieben: „DER<br />

RUF des irdischen Königs dient dazu das Leben des Ewigen Königs zu betrachten“<br />

(EB 91). Es geht um die schon beschriebene existentielle Haltung des Exerzitanten,<br />

der sich von außen, von Gott, gerufen weiß. Sich bewußt auf diesen Ruf Gottes<br />

einzustellen, sich dafür zu disponieren, ist Sinn dieser Übung. Ignatius wählt die<br />

Metapher vom irdischen König, der für einen Krieg zur Unterwerfung der<br />

Ungläubigen Soldaten rekrutiert (EB 93). Der König wird als sehr freigiebig und<br />

menschenfreundlich (tan liberal y tan humano) beschrieben, dem schwer die<br />

Bereitschaft zur Gefolgschaft abgeschlagen werden kann (EB 94). Dieses Beispiel<br />

wird auf Christus übertragen (EB 95ff). Bei dieser Übung geht es noch um keine<br />

Entscheidung, sondern um die ruhige Überlegung, welche Möglichkeit der Reaktion<br />

es auf den Ruf geben könnte: Menschen, die dem „gesunden Hausverstand folgen<br />

und wiederum andere, die einer tieferen Motivation nachkommen“ (Köster 1999, 87).<br />

Nach der Umkehrphase braucht der Übende offenbar Zeit, um zu spüren, „wohin<br />

sein ‚Wünschen und Sehnen‘ (EB 98) geht“ (Köster 1999, 87). Und noch einmal<br />

braucht es Zeit, „bis das ‚Wünschen und Sehnen‘ (e-motio) und das gründliche<br />

Überlegen (ratio), das Erwägen und abwägen der ‚Kosten‘, wenn überhaupt, zu einer<br />

Übereinstimmung finden“ (Köster 1999, 87). Existenzanalytisch gesehen, befinden<br />

wir uns hier im Bereich der zweiten Grundmotivation. EB 98 stellt für die Exerzitien<br />

eine wichtige personale Wende dar: Die Tiefe der Gefolgschaft durch den Ruf des<br />

Königs besteht nicht in der Faszination des apostolisches Ziels – die Unterwerfung<br />

der Ungläubigen (EB 93), vgl. das Ritterideal, verkörpert in der Biographie des


89<br />

Ignatius – sondern in der „tiefen Beziehung mit Christus“ (Köster 1999, 89). Nur darin<br />

kann das „Harte und Mühevolle, das Undankbare und Skandalöse Armut und<br />

Scheitern als Weg zum Leben erfahren und verstanden werden“ (ebd.). Im<br />

Gebet (EB 98) bringt der Übende sein Angebot dar – er legt sozusagen sein Offert -,<br />

um in den Dienst des Königs aufgenommen zu werden. Darin ist wieder die Haltung<br />

der Indifferenz spürbar.<br />

Nach der ersten Strukturbetrachtung – besser Strukturerwägung – folgen die<br />

Betrachtungen über die Menschwerdung und die Geburt Jesu. Diese<br />

contemplaciónes holen den „Übenden aus der vielleicht noch distanzierten Rolle des<br />

Beobachters heraus, um ihn an die Schwelle zum Geheimnis der Erlösung zu<br />

führen“ (Köster 1999, 98). Nach dem Vorbereitungsgebet wird er in die Bildwelt der<br />

Übung (EB 102) eingeführt: Er soll sich die gesamte Fläche der Welt<br />

vergegenwärtigen, wie die Menschen in ihr ins Verderben laufen und wie die drei<br />

göttlichen Personen beschließen, die Welt durch die Menschwerdung der zweiten<br />

göttlichen Person in Maria zu retten. Danach folgt die gewohnte Zurichtung des<br />

Schauplatzes (EB 103), in der das Vergegenwärtigte bildhaft vorgestellt wird. In der<br />

dritten Einstellung (bitten, worum ich begehre EB 104), soll der Übende „bitten um<br />

die innere Erkenntnis des Herrn, der sich für mich zum Menschen gemacht hat, dazu<br />

hin, daß ich jeweils mehr Ihn liebe und Ihm nachfolge“ (EB 104). In der weiteren<br />

Vertiefung werden nun die Sinne angesprochen: Sehen, und wahrnehmen die<br />

Personen auf der Erde, wie sie gekleidet sind etc., andererseits auch die göttlichen<br />

Personen in ihrem Tun, schließlich den Kontaktpunkt zwischen Himmel und Erde im<br />

Gruß 27<br />

des Engels an Maria sehen, dann „sich besinnen, um aus solchem Anblick<br />

einen Nutzen zu ziehen“ (EB 106). Dieselben Punkte im Hinblick auf das Hören (EB<br />

107) und das Tun der Personen (EB 108) durchgehen. Den Abschluß der<br />

Betrachtung bildet die Aussprache, der Austausch mit den drei göttlichen Personen<br />

und mit Maria (EB 109). Im Nachdenken (reflectir) soll der Übende wahrnehmen,<br />

„was er in sich verspürt“ (EB 109). Die je persönliche Reaktion im Menschen ist für<br />

den persönlichen Weg des Exerzitanten entscheidend. Was hervorgerufen wird, ist<br />

Sache zwischen Gott und der Seele (vgl. EB 15):<br />

27 Dies erinnert an den Kuß zwischen Himmel und Erde, ausgedrückt im adventlichen Psalm 85:<br />

„Gerechtigkeit und Friede küssen sich“ (Ps 85,11)


90<br />

Während die Betrachtung von der Menschwerdung eine kosmische Dimension<br />

aufweist, spricht jene von der Geburt die Verhältnisse der kleinen Leute in Nazareth<br />

an (vgl. Köster 1999, 107). Die Struktur der Betrachtung ist die der vorhergehenden<br />

ähnlich. Es fällt auf, daß Ignatius den Übenden anweist, quasi als mit-handelnde<br />

Person in das Geschehen einzusteigen (EB 114): „als Dienerlein, das sie anstaunt<br />

und betrachtet und in ihren Nöten bedient“ (EB 114). Der letzte Punkt mag am<br />

meisten berühren. Er führt zum Übenden zurück, der erwägen soll, „daß der Herr in<br />

der größten Armut geboren wurde, und am Ende mit soviel Mühen, von Hunger und<br />

Durst, von Hitze und Kälte, von Schmähungen und Anwürfen am Kreuz sterbe, und<br />

alles das für mich“ (EB 116). Dieses existentielle Moment ist wieder für die<br />

Exerzitiendynamik entscheidend. Die Vertiefung des bereits Erspürten und<br />

Erkannten besteht in den Wiederholungen, die in der Betrachtung unter „Anwendung<br />

der fünf Sinne“ (EB 121 – 126) ihre tiefste emotionale Verankerung finden soll. Die<br />

Struktur dieser Betrachtung ist der Höllenbetrachtung der ersten Woche ähnlich. Die<br />

ersten beiden Betrachtungen führt Ignatius sehr detailliert aus, sie sind<br />

paradigmatisch für alle weiteren Betrachtungen des Lebens Jesu.<br />

Weiterer Stoff bietet die Betrachtung über die Darstellung Jesu im Tempel, die Flucht<br />

nach Ägypten (EB 132), das Leben in Nazareth und die Auffindung im Tempel (EB<br />

134). Im Anschluß an die letzte Betrachtung – als Jesus einerseits in seiner Initiation<br />

der Bar Mizwa Feier im Tempel (man könnte sie mit der christlichen Firmung<br />

vergleichen) seine Rolle in der Familie gefunden hat, andererseits aber auch durch<br />

sein Zurückbleiben im Tempel in die Dynamik seiner Sendung hinein ausgebrochen<br />

ist – nach dieser Betrachtung regt Ignatius an, sich prinzipiell mit seiner Standeswahl<br />

auseinanderzusetzen (EB 135). Denn in „jedem Stand oder Leben, das der Herr uns<br />

schenkt, um es zu erwählen“ (EB 135), ist der Stand der Vollkommenheit zu<br />

erreichen.<br />

4.3.1.2.2. Besinnung über zwei Banner<br />

Die zweite sogenannte Strukturbetrachtung nennt Ignatius medidación, Besinnung.<br />

In ihr geht es um die zwei entgegengesetzten Bereiche, Existenziale, die bereits aus<br />

den Regeln zur Unterscheidung der Geister (4.3.1.1.1.) bekannt sind. Das eine<br />

Banner ist das Banner „Christi, des höchsten Befehlshabers und Unseres Herrn, das<br />

andere Luzifers, des Todfeindes unserer menschlichen Natur“ (EB 136). Der Mensch


91<br />

soll sozusagen eine „‘Witterung‘, eine Sensibilisierung dafür entwickeln, wo<br />

menschliches Leben zur Entfaltung kommt und wo es sich selbst immer fremder wird<br />

– bis zum Verlust seiner Identität“ (Köster 1999, 110). Der Übende soll sich die<br />

beiden Herrschaftsgebiete von Babylon und Jerusalem (EB 138) vorstellen.<br />

Jerusalem ist der „Inbegriff von Heimat, wo Gott und Mensch und die Menschen<br />

untereinander zu endgültiger, erfüllter Gemeinschaft zusammenfinden“ (Köster 111).<br />

Im Gegensatz steht dazu Babylon (vgl. Gen 11), das einen „den Menschen<br />

verachtenden Weltstaat, den Ort gottloser Selbstbehauptung, den ‚Raum‘ seelischgeistiger<br />

Verblendung und Verwirrung“ (Köster 1999, 111) symbolisiert. Ziel ist es,<br />

den Exerzitanten „zur Erkenntnis des wahren Lebens“ 28<br />

(EB 139) zu führen.<br />

Ignatius beschreibt die verschiedenen Strategien beider Heerführer. Der böse Feind<br />

wirft „Netze und Ketten“ (EB 142) aus, die durch Begierde nach Reichtum in<br />

Versuchung führen sollen, um „leichter zu eitler Ehre der Welt und von da zu<br />

ausgewachsenem Hochmut“ (EB 142) zu gelangen. In dieser Weise geschieht<br />

Versuchung, wie sie paradigmatisch in der Versuchung Jesu (vgl. Lk 4, 1-12)<br />

dargestellt ist. Entsprechend als Gegensatz hat man sich „vorzustellen den höchsten<br />

und wahren Befehlshaber, der da ist Jesus Christus, Unser Herr“ (EB 143). Christus<br />

schlägt sein Lager an einem unscheinbaren, anmutigen Ort auf (EB 144), sendet<br />

seine Jünger mit seiner Lehre in die ganze Welt aus (EB 145) und hält eine Rede an<br />

diese seine Freunde (EB 146). Die Grundhaltung ist die „höchste Armut im Geist“<br />

(EB 146;. vgl. Bergpredigt Mt 5,3). Mit dieser Grundforderung beginnt Jesus sein<br />

öffentliches Wirken im Matthäusevangelium, nämlich Bettler (ptochoì) im Geist zu<br />

sein. Damit ist im Grund wieder die Indifferenz und die existentielle Haltung<br />

angesprochen. – Der Dynamik der Versuchung (Reichtum -> Ehre -> Hochmut) wird<br />

28 Biblisch betrachtet, hat der Terminus Leben einen entscheidenden Stellenwert, man denke unter<br />

anderem an das Buch Deuteronomium (z. B. „Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine<br />

Nachkommen“ 30,19 ) und vor allem an das Johannesevangelium, wo Leben fast in jedem Kapitel<br />

vorkommt (z. B. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ 10,10). Die<br />

Exerzitien möchten ein Weg zum Leben sein. Dies erinnert an den Psalmvers 16,11 „Du zeigst mir<br />

den Pfad zum Leben“. Dieser Vers, „Du zeigst mir, Herr, den Weg zum (bzw. des) Leben (Lebens)“ –<br />

je nachdem, ob man den Genetiv als subjectivus oder als objektivus übersetzt – hat seine<br />

Wirkungsgeschichte auch in der Benediktusregel, Prolog 14 - 20. Darin ruft (vgl. EB 91) der Herr der<br />

Volksmenge zu, in der er seine Arbeiter sucht (im Unterschied zur ignatianischen Weise, in der der<br />

Herr Soldaten sucht): „Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht? Wenn du das hörst und antwortest: ‚Ich‘, dann sagt Gott zu dir. Willst du das wahre und ewige<br />

Leben haben, ... meide das Böse und tu das Gute, suche den Frieden und jage ihm nach! <br />

... Seht doch, in seiner Güte zeigt uns der Herr den Weg zum Leben“ RB Prol. 14-20. Dieser letzte<br />

Satz ist das oben erwähnte Zitat aus Psalm 16, der das Prozeßhafte, den Weg zum (bzw. des) Leben


92<br />

die Haltung der Demut 29 gegen den Hochmut entgegengesetzt (EB 146). Dieser Weg<br />

soll den Menschen „von allen falschen Sicherungen des Haben-Wollens, Gelten-<br />

Wollens und Sich-behaupten-Wollens befreien“ (Köster 1999, 114). Ziel ist die<br />

Haltung der humilidad, der Demut (EB 146). In der Demut geht es letztlich darum,<br />

„dass der mir von meinem Schöpfer eingestiftete Lebenssinn ... von mir entdeckt und<br />

als Schatz gehoben wird ... Demut meint also, etwas mir von Gott Vor-gegebenes<br />

zum Zug kommen zu lassen – trotz aller noch so liebgewonnenen und manchmal<br />

wohlfeilen Lebenskonzepte“ (Köster 1999, 115). Um zu dieser Indifferenz 30<br />

zu<br />

kommen, ist es wichtig, sich mehr den widerständigen Dingen wie Armut,<br />

Schmähung, Geringschätzung zuzuwenden, um dann in der Wahl für das von Gott<br />

Gegebene bereit zu sein. Dieser Text erinnert stark an das Prinzip und Fundament<br />

(EB 23): „uns allen Dingen gegenüber gleichmütig (indiferentes) zu machen <br />

dergestalt, daß wir von unserer Seite Gesundheit nicht mehr als Krankheit begehren,<br />

Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit ...“. In der zweiten<br />

Woche begegnet auch die Konfrontation mit Leid und Kreuz in der Leben-Jesu-<br />

(bzw. Lebens) beschreibt. Bemerkenswert ist der positive Grundtenor dieses Textes, in dem die<br />

Erlangung des Lebens Sinn bzw. Ziel des Weges ist..<br />

29<br />

Demut ist auch eine Kategorie in der existenzanalytische Lehre. Sie ist im Bereich der ersten<br />

Grundmotivation angesiedelt. Längle umschreibt Demut mit Verneigung vor dem Sein, sich den<br />

Gegebenheiten beugen, ein Ja zur Realität: Ich beuge meinen Kopf und empfange (vgl.<br />

Ausbildungskurs).<br />

<br />

Demut hängt existenzanalytisch mit Hoffnung, Treue, Wahrheit, Glaube zusammen, vor allem aber mit<br />

Vertrauen und Mut. Mir ist während der Ausbildung eine bildhafte Definition eingefallen, die diese<br />

letzten drei Tugenden zusammenfaßt: Vertrauen ist die Brücke über den Abgrund der Unsicherheit,<br />

auf der Mut gepaart mit Demut darüber gehen.<br />

30<br />

An dieser Stelle soll auf das bekannte Gebet von Teresa von Avila (1515 – 1582), einer<br />

Zeitgenossin des Ignatius, hingewiesen werde, das die Indifferenz, gepaart mit großem Vertrauen<br />

ausdrückt: „Nada te turbe nada te espante todo se pasa dios no se muda la paciencia todo lo alcanza<br />

quien a dios tiene nada le falta solo dios basta.“ (Teresa von Avila 1982, 131). Man könnte diesen<br />

Text in folgender Weise übertragen: Nichts soll dich durcheinander bringen (in den Turbo bringen),<br />

nichts dich erschrecken. alles vergeht, Gott ändert sich nicht. Geduld erreicht alles. Wer sich an Gott<br />

hält, fehlt nichts. Gott allein. Basta.


93<br />

Betrachtung. Die Exerzitien wollen zu Nachfolge und Nachahmung Christi („Imitatio<br />

Christi“, vgl. EB 109) führen.<br />

Die Meditation mündet in ein Gespräch, das zuerst mit „Maria, Unserer Herrin“ (EB<br />

147) gehalten wird. Der Grund, warum zuerst mit Maria, könnte darin bestehen, weil<br />

sie als Paradigma eines demütigen – in der existentiellen Haltung lebenden –<br />

Menschen bezeichnet werden kann (vgl. 4.3.3.); der Mensch wird sozusagen von<br />

dort abgeholt, wo er als Geschöpf steht. Maria soll nun von ihrem Sohn für den<br />

Übenden die Gnade erlangen, „unter sein Banner angenommen zu werden, zuerst in<br />

der größten Armut im Geist, und falls Seine Göttliche Majestät daran Gefallen fände<br />

und mich erwählen und annehmen wollte, nicht minder zu äußerer Armut; zweitens<br />

im Erleiden von Schimpf und Unrecht, um Ihm darin jeweils mehr nachzufolgen“ (EB<br />

147). Dieses Gespräch rührt bereits an der Wahl, ergreift aber nicht den Weg, den<br />

sich der Übende vorstellt, sondern erwartet und erbittet ihn. Im Erwarten zeigt sich<br />

die Indifferenz, im Erbitten der Wille des Exerzitanten, der aber wieder in die Haltung<br />

der Indifferenz, des Annehmens mündet. Adressaten des Gebetes sind nach Maria<br />

der Sohn und der Vater. Babylon könnte man mit Haben oder Festhalten<br />

kennzeichnen („Wer sein Leben retten will, wird es verlieren“ Mt 16,25)<br />

– Jerusalem mit Empfangen, Sein bzw. Sein-Lassen („Wer sein Leben um<br />

meinetwillen verliert wird es gewinnen“ Mt 16,25). Als Bild für<br />

Babylon könnte man die zupackende Faust, als Bild für Jerusalem die geöffnete,<br />

empfangende Hand nehmen.<br />

4.3.1.2.3. Besinnung über die drei Menschengruppen<br />

In diesem Abschnitt (EB 149 –155) handelt es sich – wie auch bei der vorigen – um<br />

eine medidación, in der „jener ‚offene Komparativ‘ besonders häufig genannt wird,<br />

der die geistlichen Übungen von Anfang bis Ende durchzieht“ (Köster 1999, 120). Die<br />

Überschrift lautet: „Die Besinnung über drei Menschgruppen wird gehalten dazu hin,<br />

das Je-Bessere zu umfangen“ (EB 149). Es geht in dieser Übung vornehmlich um<br />

das ignatianische magis (mehr), das nach Köster den Übenden nicht unter Druck<br />

setzen will: „Es geht vielmehr um die Entwicklung eines feinen Gespürs und um die<br />

Disposition ‚in unserem Leben die guten Werke zu tun, die Gott uns im Voraus<br />

bereitet hat‘ (Eph 2,10)“ (Köster 1999, 120). Das magis wehrt jeder Statik und öffnet<br />

den Raum für die Dynamik des Prozesses. Lambert beschreibt dies in seiner


94<br />

bekannt pointierten Sprache: „Dies ist der Sinn des ignatianischen ‚mehr‘: Die Liebe<br />

ist kein stehendes Gewässer, kein Tümpel, keine Zysterne, die leergepumpt wird. Die<br />

Liebe läuft nicht aus, sondern sie läuft über. Liebe ist Quellwasser, das sich aus den<br />

unerschöpflichen Grundwassern von Himmel und Erde nährt“ (Lambert 2000a, 107).<br />

Das magis kommt in dieser Besinnung noch drei weitere Male vor (EB 151,152,155).<br />

Gegenstand der Meditation ist das Beispiel von drei Menschengruppen, die einen<br />

großen Geldbetrag rechtmäßig erworben haben. Alle drei Menschengruppen „suchen<br />

ihr Heil und den Frieden in Gott ... zu finden, indem sie ablassen vom Hemmschuh,<br />

... der in der Anhänglichkeit an das erworbene Gut besteht“ (EB 150).<br />

Die erste Gruppe möchte von den Anhänglichkeiten lassen, wendet aber keine Mittel<br />

zur Erreichung dieses Ziels an (EB 153). Die zweite Gruppe will ebenfalls davon<br />

lassen, aber so, „daß sie im Besitz der erworbenen Sache bleibt ..., daß Gott dorthin<br />

kommen soll, wohin sie selbst will“ (EB 154). Die dritte Gruppe will von der<br />

Anhänglichkeit in jener Weise lassen, „daß eben so wenig eine Neigung sie<br />

bestimmt, die erworbene Sache zu behalten oder sie nicht zu behalten“ (EB 155). An<br />

dieser Stell erscheint das magis: Die dritte Gruppe will das Geld<br />

vielmehr einzig wollen oder nicht wollen, je nachdem Gott Unser Herr es in ihren Willen<br />

legt und es dem Einzelnen besser erscheint zum Dienst und zum Lobpreis Seiner<br />

Göttlichen Majestät. Und inzwischen will sie ihre Sorgfalt daran wenden, alles der<br />

Neigung nach zu verlassen, indem sie ihre Kraft daran setzt, weder diese noch<br />

irgendeine andere Sache zu wollen, außer wenn einzig der Dienst Unseres Herrn sie<br />

bewegt, so daß die Sehnsucht, jeweils besser Gott unserem Herrn dienen zu können,<br />

sie zur Annahme oder zum Lassen der Sache bestimmt (EB 155).<br />

Es erscheint mir wichtig zu betonen, daß es in dieser Stelle auf den Willen des<br />

Einzelnen ankommt, der wiederum von Gott bewegt wird. Gegen den eigenen Willen<br />

darf nichts geschehen. In den Exerzitien geht es darum, die Bedingungen für die<br />

Entfaltung des authentischen Willens freizulegen. Gott ist es, der bewegt und die<br />

Sehnsucht hervorruft. Mittel bzw. Methoden, um zur wirklichen Indifferenz zu<br />

gelangen, werden (wie bereits in der Bannerbetrachtung) in den drei Aussprachen<br />

angegeben: nämlich zu bitten, „auch wenn es gegen das Fleisch wäre, der Herr<br />

möge einen zu äußerer Armut erwählen, und (zu sagen), man wünsche es und bitte<br />

darum und erflehe es, wofern es nur zum Dienst und Lobpreis Seiner Göttlichen<br />

Güte gereiche“ (EB 157). Köster faßt zusammen, daß der Übende an dieser Stelle


95<br />

noch „nicht indifferent (gleichmütig) genug ist. Entscheidend bleibt, dass bei dieser<br />

Disposition nichts erzwungen werden kann. Die Suchbewegung des Übenden, wie er<br />

Jesus mit ungeteiltem Herzen dienen kann, geht weiter“ (1999, 124). Die<br />

dazugehörigen Leben-Jesu-Betrachtungen reichen von der Taufe Jesu im Jordan<br />

(EB 158) bis zum Palmtag (EB 161).<br />

4.3.1.2.4. Drei Weisen der Demütigung<br />

Diese Überlegung (consideración) – EB 164 – 168 – wird der Wahl vorgeschaltet,<br />

„um sich zur wahren Lehre Christi hinzustimmen (affectarse)“ (EB 164). Es geht<br />

dabei um ein affektives, emotionales Berührt-Werden (vgl. zweite Grundmotivation;<br />

2.2.2.1.2.) vom armen und geschmähten Christus: Dies ist eine Weiterführung der<br />

Bannerbetrachtung (EB 136 – 148), in der Armut und Verspottung als Mittel gegen<br />

Reichtum und Ehre angeführt werden. Paulus faßt diese Grundhaltung des Christen<br />

im knapp gefaßten (bereits auf vorpaulinische Wurzeln zurückgehenden)<br />

Christushymnus des Philipperbriefes zusammen: „Seid untereinander so gesinnt, wie<br />

es dem Leben in Christus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest,<br />

wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den<br />

Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war<br />

gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. – Darum hat Gott ihn über alle erhöht<br />

und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel,<br />

auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder<br />

Mund bekennt: ‚Jesus Christus ist der Herr‘ – zur Ehre Gottes, des Vaters“(Phil 2,5-<br />

11). Drei Ausdrücke sind im ersten Teil für unseren Zusammenhang von Bedeutung.<br />

Erstens: Er hielt nicht daran fest Gott gleich zu sein (Phil,2,6) heißt eigentlich, er hielt<br />

es nicht für ein zu Raubendes, für ein Beutestück, das man unbedingt festhalten<br />

muß, Gott gleich zu sein. Hier kommt die Indifferenz, das Loslassen stark zum<br />

Ausdruck. Zweitens: Er entäußerte sich, heißt eigentlich, er entleerte sich (ekénosen<br />

heauón) von seiner Gottesgestalt (morfé theú) und nahm Sklavengestalt an. Drittens:<br />

Er erniedrigte sich (etapeínosen heautón). In diesem Ausdruck steckt Demut<br />

(tapeinosýne) und heißt eigentlich er demütigte sich, was uns wieder zu unserer<br />

Demutserwägung führt. Wichtig ist es auch, das Auge auf den zweiten Teil des<br />

Hymnus zu lenken: auf die vom Vater vollzogene Erhöhung. In diesem Hymnus ist<br />

die Paschadynamik von Erniedrigung (Leiden, Tod) und Erhöhung (Auferstehung) zu


96<br />

erkennen, die dann explizit Gegenstand der dritten und vierten Exerzitienwoche (EB<br />

190 –229) ist.<br />

Die „Drei Weisen der Demut“, wie sie Köster (1999, 124) nennt, wollen einen letzten<br />

check-up vor der Wahl geben: Wie steht es mit meiner augenblicklichen Disposition?<br />

Man könnte diese Übung auch als die drei inneren Einstellungen oder als die drei<br />

Formen der Entschiedenheit Gott gegenüber bezeichnen.<br />

DIE ERSTE WEISE der Demütigung ist notwendig zum ewigen Heil. Ich muß mich<br />

nämlich so weit herabsetzen und so weit erniedrigen, als es mir möglich ist, dazu hin,<br />

in allem dem Gesetz Gottes unseres Herrn zu gehorchen, derart, daß ich – auch wenn<br />

man mich zum Herrn aller geschaffenen Dinge in dieser Welt machte, oder wenn es<br />

mein eigenes zeitliches Leben gälte – nicht auf den Gedanken käme, ein Gebot zu<br />

übertreten (EB 165).<br />

Diese erste Form der Einstellung zu Gott könnte man als eine statische, basale<br />

bezeichnen, die noch nicht für die Wahl reicht. „Die innere Freiheit für dem<br />

persönlichen Ruf ist noch nicht gegeben“ (Köster 1999, 126).<br />

DIE ZWEITE ist vollkommenere Demütigung als die erste: wenn ich mich nämlich an<br />

dem finde, daß ich nicht mehr wünsche und ersehne Reichtum als Armut zu besitzen,<br />

Ehre als Unehre zu suchen, langes Leben als kurzes zu begehren, wo es für den Dienst<br />

Gottes Unseres Herrn gleich bleibt, und daß ich dabei nicht um alles Geschaffene noch<br />

um den Verlust meines eigenen Lebens auf den Gedanken käme, eine läßliche Sünde<br />

zu begehen (EB 166).<br />

In dieser zweiten Weise versucht der Mensch mit Entschiedenheit sein Leben von<br />

Gott her zu gestalten. Es ist den Gedanken des Prinzips und Fundamentes (EB 23)<br />

ähnlich. Auf dieser zweiten Ebene befindet sich der Übende in der Haltung der<br />

Indifferenz, die Voraussetzung für die Wahl ist. Dazu ein Text des Jesuiten K.<br />

Rahner: „Dabei bleibt immer zu sagen, daß diese absolute, aktive Indifferenz <br />

etwas ist, das wir nie vollkommen haben, sondern worauf wir uns im besten Fall<br />

hinbewegen . Wie spät merken wir erst, wie sehr wir an etwas hängen, mit ihm<br />

uns schon restlos identifiziert haben“ (zit. nach Köster 1999, 127). Diese zweite<br />

Weise erscheint mir auch der existentiellen Haltung, wie sie die Existenzanalyse<br />

beschreibt, ähnlich zu sein.


97<br />

DIE DRITTE ist ganz vollkommene Demütigung: wenn ich nämlich die erste und zweite<br />

Weise einschließend, um Christus Unserem Herrn je mehr nachzufolgen und ihm<br />

der Tat nach ähnlicher zu werden, je mehr mit dem armen Christus Armut wünsche und<br />

erwähle als Reichtum, je mehr mit dem schmacherfüllten Christus Schmach als<br />

Ehrenerweise, und je mehr danach verlange, als ein Tor oder Narr angesehen zu<br />

werden um Christi Willen, der zuerst als ein solcher angesehen wurde, denn für weise<br />

und klug in der Welt (EB 167).<br />

Diese dritte Weise stellt den mystischen Kern des Exerzitiengeschehens dar, nämlich<br />

das Mitleben mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn (vgl. dazu den die<br />

Ausführungen zum Philipperhymnus in diesem Kapitel). Hier geht es um die<br />

Schicksalsgemeinschaft mit Christus, um das paulinische „Christus gleichgestaltet<br />

werden“ (Röm 8,29), um die Imitatio Christi. Aber noch einmal muß hier angemerkt<br />

werden: Niemand darf sich diese Lebensform eigenmächtig wählen, sie ist Gabe.<br />

Wenn der Exerzitant Sehnsucht danach hat, ist das Mittel der Wahl das Erbitten 31<br />

(vgl. EB 168). Der Übende muß aber dennoch in der Haltung der Indifferenz bleben,<br />

die Erwählung ist Sache des Herrn. An dieser Stelle muß meiner Erfahrung nach der<br />

Exerzitienleiter besonderen Augenmerk auf die 15. Bemerkung (EB 15) legen, die ihn<br />

selbst betrifft. Er muß sich hüten, manipulierend in den Prozeß einzugreifen, vielmehr<br />

„in der Mitte stehend wie eine Waage, unmittelbar den Schöpfer mit seinem<br />

Geschöpf“(EB 15) wirken lassen. Darin besteht meines Erachtens die größte Kunst<br />

des Exerzitienleiters, aber auch die Gefahr des (seelischen, bisweilen auch des<br />

körperlichen) Mißbrauchs.<br />

31 An dieser Stelle ein kurzes Wort zur Phrase „Bitten um was ich begehre“ (z.B. EB 139), die das<br />

ganze Exerzitienbuch als immer wiederkehrenden Bestandteil jeder Besinnung und Betrachtung<br />

durchzieht. Bitten ist ein Ausdruck, der in der Existenzanalyse naturgemäß nicht vor kommt, weil das<br />

personale transzendente Du als Adressat der Bitte fehlt. Wie später noch gezeigt werden soll, geht es<br />

in der Existenzanalyse um den Prozeß vom diffusen Wünschen zum personalen Wollen. Das Bitten<br />

scheint mir in diesem Themenkomplex angesiedelt zu sein, greift es eine diffuse Sehnsucht, ein<br />

Begehren und Wünschen auf, der Mensch erfährt sich zu schwach, dies in die Tat umzusetzen und<br />

schickt diesen Wunsch an Gott mit dem Auftrag resp. der Bitte, diesen zu realisieren. Die Realisation<br />

schaut aber normalerweise so aus, daß Gott den Bittenden affektiv und gedanklich in die<br />

entsprechende Richtung bewegt und ihn befähigt, dieses Ansinnen in die Tat umzusetzen. Die<br />

Annahme und Mitwirkung des Menschen wird vorausgesetzt, besser gesagt (durch die Gnade Gottes)<br />

ermöglicht. Den englischen Ausdruck enable im Sinn von ermöglichen finde ich in diesem<br />

Zusammenhang treffend: Gott befähigt und ermöglicht. Das Bitten stellt somit einen wichtigen<br />

personalen Akt dar, um aus der inneren Blockierung herauszukommen, der aber die Entscheidung<br />

und die Tat des Menschen nicht ersetzt. Bitten ist auch im Zusammenhang mit der Grunddynamik der<br />

Liebe, des Austausches, zu sehen: im Empfangen und Schenken. Biblisches Grundwort für dieses<br />

Tun ist unter anderem in der Bergpredigt zu finden: „Bittet, dann wird euch gegeben“ (Mt 7,7). - Es<br />

stellt sich hier die Frage nach einem möglichen existenzanalytischen Äquvalent. Könnte ein Analogon<br />

aus existenzanalytischer Sicht entwickelt werden?


98<br />

Als biblisches Beispiel könnte man an dieser Stelle das Gleichnis vom „Reichen<br />

Jüngling“ (Mt 19,16-30) anführen, das die erste und zweite Weise der Demut<br />

illustriert. Ein junger Mann kommt zu Jesus und fragt, was er tun muß, um das Leben<br />

zu gewinnen. Halte die Gebote, ist die Antwort Jesu (vgl. die erste Weise der Demut).<br />

Das genügt dem jungen Mann aber nicht und er fragt weiter: Was fehlt mir noch? Da<br />

antwortet Jesus: Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib<br />

das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann<br />

komm und folge mir nach (vgl. die zweite Weise der Demut). Dann ging der Mann<br />

weg, denn er hatte ein großes Vermögen. Jesus warnt daraufhin seine Jünger vor<br />

der Gefahr des Reichtums mit den bekannten Worten: Eher geht ein Kamel durch ein<br />

Nadelöhr als ein Reicher in das Himmelreich (Mt 19,24). Darauf die erschreckte<br />

Frage der Jünger: Wer kann da noch gerettet werden? Für Menschen ist das<br />

unmöglich, nicht aber für Gott, für Gott ist alles möglich (Mt 19,26). Petrus stellt<br />

darauf die Frage nach dem Lohn, dafür, daß die Jünger alles verlassen haben. Die<br />

verblüffende Antwort Jesu: Sie bekommen das Hundertfache und in der kommenden<br />

Welt das ewige Leben (Mt 19,28f). In der Lukasfassung folgt dann die Ankündigung<br />

von Leiden und Auferstehung Jesu: „Er wird ... verspottet, mißhandelt und<br />

angespuckt werde, und man wird ihn geißeln und töten. Aber am dritten Tag wird er<br />

auferstehen (Lk 18,32f). Hierin zeigt sich die dritte Weise der Demut. So könnte man<br />

diese Perikope als Folie hinter der Demutsbesinnung erkennen.<br />

4.3.1.3. Vollzug der Erwählung<br />

Der Weg bis zur Wahl, der Erwählung war lang, vielleicht mag er auch umständlich<br />

und kompliziert erschienen sein. Ignatius legt aber auf dieses Vorspiel zur Wahl<br />

großen Wert. Es geht ihm um eine gründliche Disponierung für die Wahl. Der<br />

Übende soll dahin gelangen, „was ihn mehr zu diesem Ziel hinführt, auf das er hin<br />

geschaffen ist“ (EB 23), wie es das Prinzip und Fundament beschreibt. Roger<br />

Schutz, Prior von Taize, drückt dies folgend aus: „Dem Evangelium nach heißt ‚manselber-sein‘<br />

so lange zu graben, bis man auf die unersetzliche Gabe stößt, die in<br />

jedem Menschen verborgen ist. Durch diese einzigartige Gabe hindurch verwirklicht<br />

sich der Mensch in Gott“ (zit. nach Köster 1999, 151). Wie schwierig der Akt der<br />

Wahl ist, beschreibt das offizielle jesuitische Direktorium von 1599: „Unter allen<br />

Übungen gibt es keine schwierigere oder eine, die größere Sorgfalt und geistliche


99<br />

Unterscheidung erfordert, als die der Wahl, weil diese Zeit so verschiedenen<br />

Regungen der Seele und oft auch Irrtümern ausgesetzt ist. Denn der Mensch kann<br />

vom Bösen nicht nur besiegt, sondern oft auch durch ein gutes und richtiges<br />

Vorstellungsbild getäuscht werden.“ (Köster 1999, 152f)<br />

Am Beginn zum Vollzug der Wahl läßt Ignatius den Blick des Übenden noch einmal<br />

überprüfen, das Auge der Ausrichtung (intención) muß klar (simple) sein und ruft<br />

noch einmal das Ziel der Exerzitiendynamik ins Bewußtsein:<br />

Bei jeder guten Wahl muß, soweit sie von uns abhängt, das Auge unserer Ausrichtung<br />

(intención) einfach sein, indem es einzig allein das anschaut, wozu ich geschaffen bin,<br />

nämlich hin zum Lobpreis Gottes Unseres Herrn und zum Heil meiner Seele. Was immer<br />

ich also erwähle muß so beschaffen sein, daß es mir zum Ziel hin helfe, zu dem hin ich<br />

geschaffen bin. Und ich soll nicht das Ziel zum Mittel hin ordnen, sondern das Mittel<br />

zum Ziel. So kommt es vor, daß viele zuerst die Wahl treffen zu heiraten, was ein Mittel<br />

ist, und dann an zweiter Stelle Gott Unserem Herrn in diesem Ehestand zu dienen,<br />

welcher Dienst Gottes doch das Ziel ist. Sie streben also nicht geraden Weges zu<br />

Gott, sondern sie wollen, daß Gott geraden Weges ihren ungeordneten Neigungen<br />

entgegenkomme So darf nichts mich bewegen, dergleichen Mittel zu wählen oder<br />

sie liegen zu lassen, als einzig der Dienst und Lobpreis Gottes Unseres Herrn und das<br />

ewige Heil meiner Seele (EB 169).<br />

4.3.1.3.1. Das „Worüber“ der Erwählung<br />

In den folgenden vier Punkten wird der Gegenstand der Erwählung in den Blick<br />

genommen: Erstens muß der Gegenstand „indifferent und gut“ (EB 170) sein:<br />

zweitens wird auf die Unterscheidung zwischen unwandelbare (z.B. Ehe oder<br />

Priestertum) und wandelbare (z.B. Annahme einer Pfründe) Wert gelegt (EB 171).<br />

Der dritte Punkt beschreibt, daß eine unwandelbare Erwählung nicht rückgängig<br />

gemacht werden kann. Erkennt der Übende, daß er früher eine solche Wahl in<br />

ungeordneter Weise getroffen hat, bereue er, trachte aber danach „innerhalb seiner<br />

Erwählung ein gutes Leben zu führen“ 32<br />

(EB 172). Eine solche schiefe Wahl ist aber<br />

keine göttliche Berufung (selbst wenn das Priestertum gewählt wurde), denn jede<br />

Berufung von Gott ist „immer lauter und durchsichtig (limpia)“ (EB 172). Der vierte<br />

Punkt (EB 173) regt den Übenden, der eine veränderliche Wahl in guter Weise<br />

32 Hier unterscheidet sich die existenzanalytische Sicht, in der es a priori keine unveränderliche Wahl<br />

gibt, gleichwohl mit der Änderung einer Wahl sehr sorgsam umgegangen wird.


100<br />

getroffen hat, an, diese nicht anzuzweifeln, sondern diese zu vervollkommnen. Darin<br />

klingt wieder das ignatianische magis an. In der Bemerkung (EB 174) wird angeregt,<br />

eine veränderliche Wahl, die schief war, neu zu treffen.<br />

4.3.1.3.2. Drei Zeiten der Erwählung<br />

Drei Zeiten gibt Ignatius für eine „gesunde und gute Wahl“ (EB 175) an. Die erste<br />

Zeit ist die der Gottunmittelbarkeit (EB 175),<br />

wenn Gott Unser Herr den Willen so bewegt und an sich zieht, daß eine ihm ergebene<br />

Seele, ohne zu zweifeln oder auch nur zweifeln zu können, dem folgt, was gezeigt wird,<br />

wie Sankt Paulus und Sankt Matthäus taten, als sie Christus Unserem Herrn<br />

nachfolgten (EB 175).<br />

Mit der Zeit der Gottunmittelbarkeit sind plötzliche Einbrüche der göttlichen Gnade<br />

und Liebe gemeint, die dann habituell werden und dem Leben eine ganz neue<br />

Richtung geben. Es ist ein Evidenzgeschehen, das man auch Disclosure-Erlebnis<br />

(Erschließungserlebnis) nennen kann. Der Geist, die Emotion, der Körper, die ganze<br />

Existenz wird von dieser neuen Wirklichkeit durchdrungen und entflammt, so daß es<br />

keinen Zweifel mehr gibt. „Ein Zwang liegt auf mir“ so drückt es Paulus aus (1 Kor<br />

9,16). Zwang bedeutet hier nicht Druck von außen, Fremdbestimmung, sondern ein<br />

inneres Erfülltsein, in dem es nur mehr einen Weg gibt, der zieht. Ignatius beschreibt<br />

als Beispiele die Berufung des Apostels Matthäus (Levi) – als er am Zoll sitzend von<br />

Jesus berufen wurde, Mt 8,9-13 – und des Apostels Paulus, als es ihn vor Damaskus<br />

zu Boden warf (vgl. Apg 9,4). Ein ergreifendes Zeugnis aus der Kirchengeschichte<br />

stammt von Blaise Pascal von seiner Bekehrung: „Das Jahr der Gnade 1954.<br />

Montag, 23. November ...von ungefähr zehn und einhalb Uhr am Abend bis ungefähr<br />

eine halbe Stunde nach Mitternacht, Feuer. ‚Gott Abrahams, Isaaks, Gott Jakobs‘,<br />

nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewißheit. Gewißheit. Empfindung. Freude.<br />

Friede. Gott Jesu Christi. Vergessen der Welt und aller Dinge, ausgenommen<br />

Gott. Er wird nur auf den Wegen gefunden, die im Evangelium gelehrt sind.<br />

Größe der menschlichen Seele. Freude, Freude, Freude, Tränen der Freude.<br />

Ich habe mich von dir getrennt. Möge ich nie von ihm getrennt sein. <br />

Ewig in der Freude für einen Tag der Plage auf Erden“ (zit. nach Köster 1999, 155f).<br />

Die Gottunmittelbarkeit trägt ekstatische Züge, wie sie bereits beim Über sich Sein


101<br />

der Benediktusvita (vgl. Gregor 1995, 119) bekannt sind. In jüngster Zeit sind die<br />

Beispiele von Paul Claudel, der sich an seinem 18. Geburtstag in Notre Dame<br />

bekehrt haben soll, ebenso von André Frossard, der seine plötzliche Umwandlung in<br />

dem Buch „Gott existiert – ich bin ihm begegnet“ (2002) dargelegt hat. Auch der<br />

Verfasser dieser Zeilen ist Zeuge dieses plötzlichen Eingreifens Gottes in seinem<br />

Leben.<br />

Die zweite Zeit der Wahl liegt vor, „wenn Klarheit und Einsicht genug empfangen<br />

wird, von der Erfahrung in Tröstung und Trostlosigkeit her und aus der Erfahrung der<br />

Unterscheidung der Geister“ (EB 176). In diesem Fall herrscht die klassische<br />

Exerzitiensituation vor. Der Übende wird in der Seele tief bewegt, und es gilt durch<br />

die Unterscheidung der Geister den authentischen Weg herauszufinden. In dieser<br />

zweiten Zeit gelten alle Weisungen, Regeln und Anregungen, die zur Unterscheidung<br />

der Geister, zur Grundhaltung des Exerzitanten, zur Aufgabe des Exerzitienleiters<br />

und zur Vorbereitung die Wahl gesagt wurden. Großer Wert ist auf die klare<br />

Erkenntnis des Geistes und auf die damit verbundenen Begleitgefühle wie Stille,<br />

Friede, Freude, Freiheit und Trost zu legen. Meiner Erfahrung nach stellen sich<br />

Erkenntnis und Gefühle fraktioniert ein: Zuerst ein Strahl der Erkenntnis mit einem<br />

(angefochtenen) Begleitgefühl; beides setzt sich (bei Echtheit) immer mehr durch<br />

und durchdringt (oft nach langen Kämpfen) die gesamte Existenz. In diesem Fall<br />

geht es um „experimentelle Gotteserkenntnis“ (Köster 1999, 159). Der Exerzitienleiter<br />

hat die Funktion des Betrachters, besser des Refenzpunktes von außen. Es ist<br />

wichtig, daß sich der Übende der Überprüfung des Leiters aussetzt, der die<br />

Entscheidung noch einmal auf ihre Echtheit – umgangssprachlich gesagt – abklopft.<br />

Existenzanalytisch erinnert dies an den Realitätsbezug, an die Bezogenheit auf die<br />

Welt, die Rolle des Exerzitienleiters an die phänomenologische Haltung.<br />

Die dritte Zeit nennt Ignatius „ruhig“ (EB 177), wenn er nicht von den Geistern hin-<br />

und herbewegt wird. Er macht von den natürlichen Fähigkeiten des diskursiven<br />

Denkens, des Überlegens in Freiheit und Ruhe Gebrauch. In dieser dritten Zeit gibt<br />

es zwei Arten, die Wahl vorzunehmen.


102<br />

4.3.1.3.3. Die zwei Arten der ruhigen Wahl<br />

„DIE ERSTE ART eine gute und gesunde Erwählung zu treffen“ (EB 178) beginnt<br />

damit, „sich die Sache vorzulegen, über die ich Erwählung zu halten wünsche“ (EB<br />

178). In dieser dritten Zeit muß es sich ausschließlich um eine wandelbare<br />

Erwählung handeln. Nach dieser ersten Klärung ist es – wie in jeder Wahlsituation –<br />

wichtig, sich das Ziel (im Sinn des Prinzips und Fundamentes, EB 23) vor Augen zu<br />

halten. Neu ist, daß dieser Text mit dem Bild der Waage verknüpft wird, das bereits<br />

aus der Anweisung für den Exerzitienleiter (EB 15) bekannt ist. Nun soll sich der<br />

Übende im Gleichgewicht der Waage befinden, „um dem folgen zu können, von dem<br />

ich spüre, daß es mehr zur Ehre und zum Lobpreis Gottes ... und zur Rettung meiner<br />

Seele dient“ (EB 179). Dabei ist zu bemerken, daß nur zwei Gegenstände<br />

gegeneinander abgewogen werden können. – Im dritten Punkt weist Ignatius an,<br />

Gott zu bitten, „er wolle meinen Willen bewegen und mir das in die Seele legen, was<br />

ich in der vorgelegten Sache tun soll in dem ich gut und getreu mit meinem<br />

Verstand überlege “ (EB 180). Bitten, daß Gott den Willen bewegt – hier ist mit<br />

dem Willen auch die Emotion angesprochen, gekoppelt mit dem Verstand, dem<br />

diskursiven Denken. – Im vierten Punkt (EB 181) wird das diskursive Überlegen<br />

weitergeführt, dann allerdings unter geänderten Vorzeichen. Agere contra könnte<br />

man diese Phase nennen: jeweils die Nachteile der einen und der anderen Seite<br />

betrachten. Nun wird wieder das Bild der Waage verwendet (EB 182): „zusehen<br />

wohin sich die Vernunft jeweils mehr hinneigt“. Nicht die emotionale Regung ist in<br />

dieser Methode der Entscheidung relevant, sondern die vernunfthafte Regung. – Im<br />

sechsten Punkt soll sich der Übende nach getroffener Wahl ins Gebet begeben „und<br />

ihm diese Wahl darbringen, damit seine göttliche Majestät sie annehme“ (EB 183).<br />

Am Ende der Wahl steht die Darbringung, sozusagen das Offertorium (die Wahl<br />

darbringen ). Es geht dabei um ein letztes Loslassen, um die letzte Freiheit,<br />

die Indifferenz. Dem Wahlvorgang liegt ein dialogischer Austausch von Empfangen<br />

(Annehmen) und Geben zugrunde: Gott gibt, der Mensch empfängt, nimmt an – und<br />

gibt Gott zurück.<br />

DIE ZWEITE ART eine gute und gesunde Erwählung zu treffen, beruht in der ersten<br />

Regel auf dem Spüren jener Liebe,


103<br />

die mich bewegt hat, eine bestimmte Sache zu wählen, von oben herabsteige aus der<br />

Liebe Gottes, dergestalt, daß der Wählende zuerst in sich spürt, wie die größere Liebe<br />

für die Sache, die er erwählt, einzig seinen Schöpfer und Herrn zum Grund hat (EB 184).<br />

Die zweite Regel regt die Imagination an (EB 185): sich einen unbekannten<br />

Menschen vorstellen, dem man alle Vollkommenheit wünscht. Dann erwägen, was er<br />

tun und erwählen soll zur Ehre Gottes und zur größeren Vollendung seiner Seele.<br />

Und selbst genauso handeln. Man könnte darin eine Art Persektiven-shifting (Kolbe<br />

2000) erkennen.<br />

Im dritten Punkt wird die Entscheidung imaginativ in die Todesstunde (EB 186), im<br />

vierten Punkt an den Tag des Gerichtes (EB 187) verlegt: Wie würde ich mich in<br />

dieser ultima ratio entscheiden? Die letzten beiden Formen erinnern an die<br />

existenzanalytische Angsttherapie, wo sich nach dem Durchgehen durch das Tor des<br />

Todes eine neue Lebensperspektive, eine authentische Wahl des Lebensweges<br />

auftut (vgl. Handout, Angsttherapie). – Den Abschluß der zweiten Art bildet wieder<br />

das Offertorium, die Darbringung der Wahl (EB 189). – Bemerkenswert ist, daß in der<br />

ersten Art eher die Vernunft der Wegweiser für die Entscheidung ist, in der zweiten<br />

Art eher das Gespür und das existentielle Sich-Aussetzen den letzten Dingen.<br />

Der abschließende Abschnitt zur Wahl (EB 169) legt noch einmal die Nützlichkeit der<br />

Erwägung zum Je-Besseren innerhalb einer schon getroffenen, unveränderlichen<br />

Wahl vor. Dabei geht es um die Modifizierung des Lebensstils zum Je-Besseren hin.<br />

Das Wahlkapitel endet mit dem Satz: „Denn es bedenke ein jeder, daß er in allen<br />

Dingen des Geistes soweit gefördert werden wird, als er herausspringt aus seiner<br />

Eigenliebe, seinem Eigenwillen und seinem Eigennutz“ (EB 169). Damit spricht<br />

Ignatius noch einmal – wie in einem Refrain – die Haltung der Umkehr („alle<br />

ungeordneten Neigungen von sich zu tun“ EB 1) und der uneingeschränkten (aber<br />

experimentell verifizierten!) Verfügbarkeit gegenüber dem Willen Gottes (Indifferenz)<br />

an. Auch hier ist wieder mutatis mutandis die existentielle Haltung zu erkennen.<br />

4.3.1.4. Betrachtung zur Erlangung der Liebe<br />

Diese Übung, die jenseits des Exerzitienprozesses – im Anschluß an die vierte<br />

Woche – steht, „fasst am Ende noch einmal wie in einem Brennpunkt die ganze


104<br />

Dynamik (Bewegung) des Exerzitiengeschehens zusammen und will zugleich den<br />

Übergang schaffen zum Alltag, in den der Übende wieder hinausgeht“ (Köster 1999,<br />

25). Sie ist das Pendant zum Prinzip und Fundament, der „Testphase“ (Köster 1999,<br />

24) der Exerzitien. Mir ist die Inkonsequenz in der Gliederung, De amore in der<br />

Besprechung der zweiten Woche zu behandeln, bewußt. Sie erscheint mir aber als<br />

eine organische Weiterführung des zuletzt Gesagten und eine Abrundung, eine<br />

Synthese des gesamten Prozesses.<br />

Auf zwei Dinge ist bei dieser Betrachtung im Vorfeld zu achten: erstens, „daß die<br />

Liebe mehr in die Werke gelegt werden muß als in die Worte“ (EB 230). Der zweite<br />

Punkt besteht in einer Beschreibung des Wesens der Liebe, die im Austausch<br />

besteht:<br />

Die Liebe besteht in der Mitteilung von beiden Teilen her; das will heißen, daß der<br />

Liebende dem Geliebten gibt und mitteilt, was er hat, oder von dem, was er hat oder<br />

kann, und, und als Gegenstück dazu der Geliebte dem Liebenden, derart, daß wenn der<br />

eine Wissen oder Ehren oder Reichtümer besitzt, er es dem gibt, der es nicht hat, und<br />

so teilt immer einer dem anderen mit (EB 231).<br />

Die Vorbereitung der Betrachtung geschieht wie gewohnt: zuerst (EB 232) die<br />

Zurichtung (auf „des Schauplatzes“ wird verzichtet), sehen, wie ich vor Gott und<br />

seinen Heiligen stehe, die für mich eintreten (EB 232). Dieses dreimalige für mich<br />

(por mi) durchzieht den Text (EB 232, 234, 236). Der zweite Punkt besteht im Bitten<br />

um die innere Erkenntnis der von Gott geschenkten Wohltaten, um Ihn besser lieben<br />

und Ihm besser dienen zu können (EB 233).<br />

Die Betrachtung beginnt mit der Vergegenwärtigung („mit großer Hingabe“ con<br />

mucho afecto, EB 234) der empfangenen Wohltaten im Bereich der Schöpfung,<br />

Erlösung und persönlicher Gaben. Dann erwägen „wie Großes Gott Unser Herr für<br />

mich getan und wieviel Er mir von dem gegeben hat, was Er besitzt, und folgerichtig,<br />

wie sehr derselbe Herr danach verlangt, Sich selbst mir zu geben, soweit Er es nur<br />

vermag gemäß Seiner göttlichen Herablassung“ (EB 234). Nun folgt die<br />

Rückbesinnung auf sich selbst (reflectendo en si mismo) und die Betrachtung der<br />

Gegenbewegung von mir zu Gott: „Was ich von meiner Seite schuldigerweise<br />

darbieten und geben muß nämlich alles was ich habe, und mich selber damit,


105<br />

so wie einer, der mit großer Hingabe darbietet“ (EB 234). Nach dieser betrachtenden<br />

Einstellung folgt das vielleicht berühmteste Gebet des Exerzitienbuches, das<br />

sogenannte Suscipe 33<br />

, die Bitte um Annahme, Aufnahme der Hingabe des<br />

Menschen:<br />

Nimm Dir, Herr, und übernimm meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen<br />

Verstand und meinen ganzen Willen, mein ganzes Haben und Besitzen. Du hast es mir<br />

gegeben, zu Dir, Herr, wende ich es zurück; das Gesamte ist Dein; verfüge nach deinem<br />

ganzen Willen, gib mir Deine Liebe und Gnade, das ist mir genug (EB 234).<br />

In dieser personalen Ant-wort reagiert der Mensch auf das persönliche Wort Gottes<br />

an ihn, das Wort Gottes, das konkret, das fleischgeworden ist.<br />

Im zweiten Betrachtungspunkt (EB 235) soll der Übende erwägen, wie Gott in seinen<br />

Geschöpfen wohnt: in Pflanzen, Tieren, selbst in den Elementen und so auch in mir.<br />

Diese Passage erinnert an das Johannesevangelium: „Das Wort ist Fleisch<br />

geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Statt unter uns kann man auch in<br />

uns übersetzen, worauf die Lehrer der Ostkirche Wert legen. Ignatius führt dieses in<br />

mir noch weiter aus: „Wie Er mir Dasein gibt, mich durchseelt, mir Sinne erweckt und<br />

geistige Einsicht verleiht, wie Er dergleichen einen Tempel aus mir macht, da ich zu<br />

einem Gleichnis und Bild seiner Göttlichen Majestät geschaffen bin“ (EB 235). Dieser<br />

Gedanke nimmt die Schöpfungstheologie auf: der Mensch als Ebenbild Gottes (vgl.<br />

Gen 1,26), der den Menschen zu seinem Partner erwählt hat (vgl. Köster 1999, 32).<br />

Christologisch ausgedrückt: Der Mensch ist dazu bestimmt, „Christus in seiner<br />

vollendeten Gestalt darzustellen“ (Eph 4,13). Dies erinnert an die corporative identity,<br />

das Eingegliedertsein in die Identität Christi, ohne natürlich die eigene aufzugeben.<br />

In diesem Zusammenhang ist der Terminus der participatio, der Teilnahme am<br />

Wesen Christi von Bedeutung. Das Ende des zweiten Punktes gleicht dem ersten:<br />

33 Das Suscipe hat eine lange Tradition. Es ist das Gebet der Bitte um Annahme der dargebrachten<br />

Gaben von Brot und Wein im Offertorium der Eucharistiefeier: „Suscipiat Dominus sacrificium de<br />

manibus tuis, ad laudem et gloriam nominis sui, ad utilitatem quoque nostram, totiusque Ecclesian sui<br />

sanctam (Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen zum Lob und Ruhm seines Namens, zum<br />

Segen für uns und seine ganze heilige Kirche). Diese Gebet ist der Struktur der Exerzitiendynamik<br />

ähnlich: die Annahme zum Lob Gottes und zum Heil (utititas eig. Nutzen im Offertorium) der<br />

Menschen. – Weiters hat das Suscipe einen wichtigen Platz im Ritus der Mönchsprofeß, der<br />

Aufnahme in die Klostergemeinschaft, die vor dem Offertorium der Messe stattfindet. Der Ritus<br />

schließt mit dem dreimaligen Suscipe: „Suscipe me, domine, secundum eloquium tuum et vivam, et ne<br />

confundas me ab expectatione mea“ (RB 58, 21). Dieser Vers (Nimm mich auf, Herr, nach deinem<br />

Wort und ich werde leben; laß mich in meiner Hoffnung nicht scheitern) ist dem Psalm 119,116<br />

entnommen.


106<br />

Rückbesinnen auf sich selbst und in jener Art verweilen, die ich „als die bessere<br />

spüre“ (EB 235). Im zweiten Suscipe vollzieht der Mensch den „vergöttlichenden und<br />

erlösenden Eingang Gottes in alle Dinge“ mit (Köster 1999, 32).<br />

Der dritte Betrachtungspunkt (EB236) „setzt die göttliche Bewegung des Mitteilens<br />

fort und läßt den ‚Preis‘ des ‚göttlichen Einsatzes‘ deutlich wahrnehmen“ (Köster<br />

1999, 32):<br />

Erwägen, wie Gott sich anstrengt und müht um meinetwillen in allen geschaffenen<br />

Dingen auf der Welt, das heißt, Er verhält sich wie einer, der mühselige Arbeit<br />

verrichtet. So in den Himmeln, Elementen, Pflanzen, Früchten, Herden usf., indem er<br />

das Dasein gibt und erhält, Wachstum und sinnliches Leben verleiht usf. Dann<br />

zurückbesinnen auf mich selbst (EB 236).<br />

Dieser Abschnitt soll noch einmal deutlich machen, daß ich „kostbar in den Augen<br />

des Herrn“ (vgl. Ps 116,15) bin und daß er für mich keine Mühe scheut. Dies wurzelt<br />

im paulinischen für mich des Galaterbriefes (Jesus, „der mich geliebt und sich für<br />

mich hypér emé> hingegeben hat“ Gal 2,20), in der Hingabe des Herrn, der<br />

gekommen ist „zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Dies geht wieder auf das vierte<br />

Gottesknechtslied des Jesajabuches zurück: „Mein Knecht, der Gerechte, macht die<br />

vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich. ... Denn er trug die Sünden von vielen<br />

und trat für die Schuldigen ein“ (Jes 53,11.12). – In diesen drei Abschnitten könnte<br />

man auch das Wirken der drei göttlichen Personen erkennen: in EB 234 den Vater,<br />

der spricht, in EB 235 den Sohn, der in seiner Schöpfung wohnt und in EB 236 den<br />

Geist, der bis heute weiterarbeitet.<br />

Der vierte Punkt (EB 237) ist eine Betrachtung im wahrsten Sinne des Wortes:<br />

Schauen (mirár) soll der Übende,<br />

wie alles Gut und alle Gabe absteigt von oben, so wie auch meine beschränkte Kraft von<br />

der höchsten und unendlichen oben herab; und so unsere Gerechtigkeit, Güte,<br />

Frömmigkeit, Barmherzigkeit usf., wie von der Sonne absteigen die Strahlen, vom Quell<br />

die Wasser usf. (EB 237).


107<br />

In diesem Bild der absteigenden Güte Gottes versteht sich der Mensch noch einmal<br />

als radikal sich verdankende Existenz. Das abschließende vierte Suscipe wird zur<br />

geschöpflichen Antwort (der Mensch als sozusagen begrenztes ens ab alio)<br />

schlechthin. Der in dieser Haltung lebende Mensch kann sich dann frei – aller Mittel<br />

der Welt bedienen. „Die Exerzitien“ meint Köster abschließend, „sind Einübung in<br />

eine Freiheit, die den Menschen über seine Grenzen hinausträgt. ... Aus den<br />

Exerzitien ‚erwirbt‘ man sich ‚ein Verständnis und ein ganz feines Gespür für seinen<br />

eigenen, ganz besonderen Ruf und damit eine ganz eigene Ruhe und Vereinigung<br />

mit Gott, ... auf dem Weg, auf dem man zu Gott pilgern soll‘ (Jerónimo Nadal)‘“<br />

(1999, 33).<br />

4.3.2. Existenzanalytische Entsprechungen<br />

Spätestens an dieser Stelle muß angemerkt werden, daß – neben Heidegger mit<br />

seinem existenzphilosphischen Ansatz – auch der dialogische, personale Ansatz,<br />

basierend auf M. Buber (1994) die Existenzanalyse (vor allem in der<br />

Weiterentwicklung durch A. Längle) nachhaltig geprägt hat. Schon allein der Name<br />

der in diesem Kapitel eingehend besprochenen Personalen Existenzanalyse, als die<br />

wichtigste Methode der Existenzanalyse, drückt diesen Umstand aus. Sie „markiert<br />

die personale Wende in der Existenzanalyse, durch die subjektives Erleben,<br />

Emotionen, personale Prozesse vor, während und nach dem Existenzvollzug ... in<br />

den Mittelpunkt existenzanalytischer Psychotherapie rückten“ (Längle A 2000e, 31).<br />

4.3.2.1. Personale Existenzanalyse (PEA)<br />

Es wird den existenzanalytische Leser vielleicht wundern, an dieser Stelle die<br />

Darstellung der Personalen Existenzanalyse zu finden, ist sie doch eine Anleitung<br />

„für den (psychotherapeutischen) Prozeß einer autonomen, authentischen, emotional<br />

erfüllten, sinnvollen und personal verantworteten Existenz“ (Längle 2000e, 31).<br />

Während des Durcharbeitens der zweiten Exerzitienwoche, insbesondere der Regeln<br />

zur Unterscheidung der Geister und des Wahlvorganges, wurden mir immer mehr die<br />

Ähnlichkeiten zwischen der Dynamik, eine gute, authentische Wahl zu treffen und<br />

dem Prozeß der PEA bewußt. Die PEA erfaßt m. E. den gesamten Bogen des<br />

Vorganges, ähnlich dem Wahlvorgang des Ignatius. Wie dieser ist auch die PEA ein<br />

Prozeßmodell. Sie ist dazu entwickelt worden, das Ziel der Existenzanalyse, nämlich


108<br />

„zu einer authentisch empfundenen Zustimmung zur Lebensführung“ (Längle A<br />

2000f, 9) zu kommen, anzufragen „und die persönliche Haltung zu sich selber und<br />

zur Welt durchzuarbeiten“ (ebd. 10). Gegenstand dieses Durcharbeitens sind die drei<br />

existentiellen Bereiche, die in der 1. – 3. Grundmotivation ihren Ausdruck finden. Es<br />

gilt, wie bereits am Beginn dieser Arbeit ausgeführt, zu einen dreifachen Affirmation<br />

zu diesen zu kommen. „Diese grundsätzlichen Entscheidungen der Person eröffnen<br />

die existentielle Sinnhaftigkeit des Lebens (4. GM)“ (ebd. 10). „Andererseits“, führt A.<br />

Längle weiter aus, „handelt es sich um eine ‚vor-existentielle Haltung‘, in der die<br />

Sinnhaftigkeit des Lebens nur von Instanzen außerhalb der eigenen Person abhinge:<br />

von dem, was die Lebensbedingungen und andere Personen vorgeben (verlangen,<br />

erwarten, diktieren) oder von religiösen Vorgaben“ (Längle A 2000f 10). Genau<br />

gegen diese Passivierung wendet sich auch Frankl mit seiner existentiellen,<br />

kopernikanischen Wendung, die „den Menschen an seine Eigenverantwortlichkeit<br />

hinsichtlich der (Mit-)Gestaltung sinnvoller Existenz erinnert“ (Längle A 2000f, 10).<br />

Bereits an dieser Stelle finden wir m. M. n. eine entscheidende Übereinstimmung<br />

beider Wege: sowohl in den Exerzitien, als auch in der Existenzanalyse geht es um<br />

die authentische Entscheidung zum je-eigenen Leben, ohne Fremdbestimmung (im<br />

Bereich der Existenzalität, die Faktizität ist ja anzunehmen). Auch im Punkt religiöser<br />

Vorgaben treffen sich beide Ansätze – wenn auch mit Einschränkungen: Ignatius<br />

stellt den Entscheidungshorizont innerhalb der „wahren Braut Christi, die da ist<br />

Unsere Heilige Mutter, die Hierarchischen Kirche“(EB 353). Innerhalb dieser aber<br />

darf niemand mani-pulierend in den Prozeß eingreifen. 34<br />

Wenn nun bei einem<br />

Menschen die Verwirklichung des Ziels, die authentische Lebensgestaltung nicht<br />

möglich ist, bedarf es der Hilfestellung, „um zur Restrukturierung und Entfaltung der<br />

personalen Ressourcen zu kommen und der Person zu ihrer Freiheit zu verhelfen“<br />

(Längle A 2000f, 11). Die PEA wird auch als Methode „zur Mobilisierung personaler<br />

Kräfte beschrieben“ (Längle A 1999b, 20), die „die grundsätzliche Dialogfähigkeit des<br />

Menschen, das Sich-in-Austausch-Bringen mit der Welt“ (ebd.) fördern und<br />

bestehende Fixierungen lösen soll. Ziel ist der offene, dialogische Austausch mit sich<br />

und der Welt, wie bereits erörtert wurde (2.1.). Austausch erinnert an die letzten<br />

dargelegten Passagen des Exerzitienbuches, besonders an die Betrachtung Zur<br />

Erlangung der Liebe (EB 230ff), in der es wesentlich um diesen Austausch geht. Und<br />

Austausch ist wesenhaft mit Liebe verbunden: Liebe zu Sich (Selbstbezug) und<br />

34 An dieser Stelle sei wieder an EB 15, die Stellung des Exerzitienleiters erinnert.


109<br />

Liebe zum Du, zur Welt (Weltbezug; Ignatius würde sagen: zu Gott 35<br />

, der in allen<br />

Dingen wohnt, vgl. EB 235).<br />

Wie der Name besagt, setzt die PEA am Personbegriff an, der als „prozessuales<br />

Personkonzept“ (Längle A 2000e, 31) beschrieben wird. Von Frankl wird Person als<br />

das „Geistige, das Freie und sich Verantwortende im Menschen“ (zit. nach Längle A<br />

1999b, 20) verstanden, Längle bezeichnet die Person darüber hinaus auch als „das<br />

in mir Sprechende“ (ebd.). „Spreche ich zu mir, schaffe ich die innere Welt der<br />

Selbstdistanzierung. Spreche ich zum anderen, entsteht die äußere Welt der<br />

Selbsttranszendenz (Mitwelt)“ (Längle A 1993, 137). Daraus abgeleitet werden drei<br />

Eigenschaften des Menschen, die sich in der Praxis als relevant erwiesen haben: der<br />

Mensch ist ansprechbar, verstehend und antwortend. Daraus resultiert das<br />

sogenannte Dreieck der PEA: erstens ansprechbar -> Eindruck, zweitens verstehend<br />

-> Stellungnahme und drittens antwortend -> Ausdruck (vgl. dazu Längle A 1999b,<br />

21). Es erübrigt sich hier beinahe, auf die Parallele zum Exerzitienbuch hinzuweisen:<br />

1. Wort, das betrifft, berührt, bewegt – 2. Annahme (vor der ein dialogischer Prozeß<br />

steht und mit Verstehen zu tun hat; vgl. Unterscheidung der Geister) und 3. Antwort,<br />

die immer eine Ver-antwortung miteinschließt, weil sie in Freiheit getroffen ist. Eine<br />

biblische Illustration dazu wird in 4.3.3. gegeben.<br />

Basis der PEA ist die Deskription, die Beschreibung (PEA 0). Das Ziel dieses<br />

Schrittes ist die Sachlichkeit, denn der „Boden des existenzanalytische Gesprächs ist<br />

stets die Realität“ (Längle A 1993, 146). Es geht dabei um die Beziehungsaufnahme<br />

durch das Sprechen über das Faktische: Situationsbericht, Problemschilderung,<br />

Anamnese. „Der Therapeut soll sich bewußt halten, daß allein das Aussprechen oder<br />

Beschreiben eines Sachverhalts (nicht der Reflexion über den Sachverhalt) stets ein<br />

Eingestehen des Vorgefallenen vor sich selbst bedeutet“ (Längle A 1993, 147).<br />

Anders ausgedrückt könnte man sagen: Basis jeder Therapie ist das Anbinden der<br />

35 In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß der Sinn der Dreifaltigkeit, das Wesen der<br />

Dreipersönlichkeit Gottes im Austausch besteht: Gott ist in der christlichen Vorstellung keine Monade,<br />

kein erratischer Block, sondern dynamischer, personaler Austausch der Liebe vom Vater zum Sohn im<br />

Heiligen Geist. Das Wesen des Menschen besteht nun darin, an diesem Austausch der Liebe<br />

teilzunehmen (hier ist wieder der Ausdruck participatio relevat). Darum ist es nachvollziehbar, wenn<br />

Ignatius durch die Methode der Exerzitien den ins Stocken geratenen Austausch (Sünde wird als<br />

Erstarrung gesehen) wieder in Gang bringen will. Durch den personalen Kontakt mit dem in<br />

permanenten Austausch lebenden Gott soll die Erstarrung gelöst werden. Und dieser Austausch<br />

vollzieht sich im Innersten des Menschen, biblisch gesprochen in seinem Herz, im Personalissimum,<br />

(vgl. dazu Joh 14,23. „...wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen“).


110<br />

Person an „ihre Welt“ (Längle A 2000f, 23). Relevante Fragen in dieser Phase sind:<br />

Was liegt vor? Was sagt der Patient? Wie kommt es bei mir an? Hilfreich ist,<br />

Zusammenfassungen geben, nachfragen, was unverständlich ist, Widersprüche<br />

klären. Wichtig ist, zu den Fakten vorzudringen: Was ist tatsächlich geschehen? (vgl.<br />

Längle A 2000f, 82). – Basis in den Exerzitien ist ebenfalls die Realität. Die erste<br />

Phase jeder Übung besteht darin, sich der Realität zu stellen. Dies zeigt sich im<br />

Aufbau der Übungen, z.B. EB 92f: sich vor Augen zu stellen, sehen; EB 102 – 108:<br />

sich den Vorgang vergegenwärtigen, den Schauplatz zurichten, sehen, hören, das<br />

Tun betrachten; EB 140: sich vorstellen.<br />

4.3.2.1.1. Phänomenologische Analyse – Eindruck (PEA 1)<br />

In diesem Schritt geht es um die In-formation in einem tieferen Sinn (im Sinn von: in<br />

eine geänderte emotionale Form bringen, denn jede Information verändert auch im<br />

emotionalen Sinn), um das Berührt-werden, um die Beein-druckbarkeit des<br />

Menschen. Kurz ausgedrückt: der Ein-druck ist in dieser Phase von Bedeutung, weil<br />

der Mensch ein Vernehmender ist. Das entscheidende im menschlichen Leben sind<br />

nicht die Fakten, sondern ist die Wirkung die diese im Menschen auslösen. Auf diese<br />

innere Wirkung zu schauen ist Anliegen von PEA 1. Als ersten Schritt gilt es, diese<br />

spontanen, unreflektierte Gefühle zu heben und zu bergen, die im Menschen<br />

ausgelöst werden. Welche Gefühle macht das? lautet die entscheidende Frage. Die<br />

ersten unreflektierten Gefühle lösen auf Grund ihrer Lebendigkeit einen spontanen<br />

Handlungsimpuls aus. Dieser ist etwa mit der Frage zu erheben: Welche Bewegung<br />

stellt sich spontan ein? Erstes Gefühl und Impuls bilden zusammen die „primäre<br />

Emotion“ (Längle A 2000f, 24). Weil die Person lebendig und plastisch ist, entsteht<br />

durch den Ein-druck eine Gegenbewegung, um diesen wieder auszugleichen. 36<br />

So<br />

könnte man den Impuls verstehen, der im Keim zur Dynamik des Dialogs führt. – Im<br />

dritten Schritt von PEA 1 wird der sogenannte phänomenologische Gehalt dieses<br />

ersten Eindrucks gehoben. An dieser Stelle ist das zu bedenken, was im Kapitel<br />

„Phänomenologische Haltung des Exerzitienleiters“ (3.2.2.) gesagt wurde. Die<br />

Grundfrage lautet: „Was sagt mir das?“ (Längle A 2000f, 82), oder: Was ist die<br />

message daraus an mich? Diesen Gehalt zu heben ist wichtig, „weil er das ist, was<br />

36<br />

Dies erinnert an das Ödem in der Medizin, wo zum Beispiel der Ein-druck bleibt, ohne sich wieder<br />

auszugleichen – ein pathologisches Zeichen.


111<br />

die ‚Sache‘ mit der Person zu tun hat. Daraus kann sich die Person selbst erkennen“<br />

(Längle A 2000f, 24).<br />

PEA 1 besteht nun im Wahrnehmen, Bergen und Heben der unmittelbaren Gefühle<br />

samt dem dazugehörigen Impuls und der Frage: Was hat das mit mir zu tun? Es geht<br />

um das Ernstnehmen der Gefühle, die in den Bereich der zweite Grundmotivation<br />

fallen. Welchen Stellenwert die Gefühle für die Entscheidungsfindung haben,<br />

beschreibt A. Längle in einem Vortrag, den er im ORF gehalten hat. Längle drückt<br />

seinen Standpunkt in einer pointierten Art aus, der es m. M. n. Wert ist,<br />

wiedergegeben zu werden:<br />

Die Unterscheidung der Gefühle wird selten getroffen. Doch macht es einen<br />

großen Unterschied aus, ob mich ein Gefühl als Hinweisschild an das Befinden und an<br />

Vergangenes anbindet, oder ob es mir als Wahrnehmung einer gegenwärtigen Situation<br />

die Entscheidungsgrundlage bietet und die Richtung für mein weiteres Leben weist. Die<br />

Trennung der beiden Gefühlsbereiche ist daher von fundamentaler Bedeutung. Wer<br />

seine Entscheidungen von den Gefühlszuständen abhängig macht, ihnen stets die<br />

Priorität gibt und sie ungehindert auslebt, wird an einer erfüllten Existenz vorbeigehen.<br />

Er gerät auf einen ‚Egotrip‘, in welchem er sich schließlich selber genauso unerträglich<br />

wird wie den anderen. Für die Entscheidungen und die Wahl künftigen Lebens halten<br />

wir das fühlende Schauen, das ‚Gespür für das Richtige‘ für die letzte<br />

vertrauenswürdige Grundlage. Auf das Gespür sollten wir uns verlassen – oder wir<br />

leben ein fremdes Leben. Wir haben die Wahl. Doch die Konsequenzen haben uns.<br />

...Sie alle kennen das Sprichwort: ‚Wer nicht hören kann muß fühlen‘. Wir können<br />

das Sprichwort ein wenig abwandeln und das Verhältnis der beiden Gefühlsarten<br />

zueinander so ausdrücken: ‚Wer nicht spüren will, bekommt Schlimmes zu fühlen‘. Wer<br />

sich jedoch auf sein Gefühl verlassen kann, ist nie verlassen. Er hat zumindest einen<br />

Menschen bei sich selbst: sich selbst (Längle 1994c, 38).<br />

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Ausdruck Unterscheidung der<br />

Gefühle. Fließt hier beim Jesuitenschüler Längle die ignatianische Unterscheidung<br />

der Geister ein? Jedenfalls sind die Parallelen zwischen den beiden Wegen in<br />

diesem Fall so evident, daß sie keines weiteren Kommentars bedürfen.<br />

Was das Fühlen der Emotionen betrifft, ist dieses Geschehen im Exerzitienprozeß<br />

reich und äußerst differenziert beschrieben. Mir scheint, daß Ignatius Augenmerk<br />

genau auf diesen Punkt legt. In EB 2 begegnen dazu einige Ausdrücke. Es geht um


112<br />

das Verkosten, um den Geschmack, um das Fühlen (sentir), Kosten (gustar) der<br />

Dinge von innen, „denn nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge“<br />

(EB 2). Hingewiesen werden soll auf die ignatianische Betrachtungstechnik,<br />

besonders auf die jeweilige fünfte Übung, in der es um die Aktivierung der fünf Sinne<br />

geht (z. B. EB 65-70, 212-126). Im Herzstück der Exerzitien, in den Regeln zur<br />

Unterscheidung der Geister, spielen die Emotionen die entscheidende Rolle, als<br />

experimentellen Weg, den Willen Gottes konkret für das persönliche Leben zu<br />

erkennen. In diesem Punkt, meine ich, kann die Existenzanalyse vom subtilen<br />

Spüren der unterschiedlichen Regungen, wie sie Ignatius beschreibt, noch lernen.<br />

Vergleiche dazu auch den Abschnitt 4.2.2.5. – Therapeutische Haltung ist in dieser<br />

Phase vor allem die Empathie (vgl. Längle A 2000e, 32).<br />

4.3.2.1.2. Innere Stellungnahme (PEA 2)<br />

„Das gefühlsmäßige Berührtsein erzeugt eine große Nähe zum Wahrgenommenen.<br />

Es hat daher Macht und Einfluß auf die Person. Nun geht es darum, daß sich die<br />

Person aus dem Bann des Ergriffenseins wieder löst, sich ‚befreit‘, um ihrer selbst<br />

wieder mächtig zu werden“ (Längle A 1993, 152). Dieser Text drückt knapp die<br />

Relevanz von PEA 2, als organische Weiterführung von PEA 1, aus. Es geht darin<br />

um die „Pro-vokation der inneren Stellungnahme“ (Längle A, 2000f, 83) der<br />

emotionalen Bewegungen. Die Person ist angefragt, herausgerufen – e-voziert – und<br />

pro-voziert. Dieses – ignatianisch ausgedrückt – Rückbesinnen auf sich selbst (EB<br />

234 ff) ist Gegenstand von PEA 2. Das Urteil, die eigene Meinung der Person ist<br />

wichtig, sie gibt die Person wiederum frei aus dem Bann der Schutzlosigkeit des<br />

Eindrucks. Sie führt zur „Abgrenzung vom Objekt und Annahme seiner<br />

Gegebenheiten“ (Längle A 1993, 152). In der Stellungnahme bringt sich die Person<br />

mit ihrer Authentizität, „mit ihren echten, ur-sprünglichen Tiefenbewegungen ins Spiel<br />

und wird dadurch selbstgestalterisch“ (Längle A 2000f, 24). Es geht darum, den<br />

neuen ein-gedrückten Inhalt mit den bestehenden Zusammenhängen in Beziehung<br />

zu bringen, die primäre Emotion (PEA 1) zu integrieren, um zu einer integrierten<br />

Emotion (PEA 2) zu kommen. Die Grundfrage lautet: Was halte ich davon? Wurde<br />

der Mensch in PEA 1 als Ansprechbarer gesehen, so in PEA 2 als Verstehender.<br />

Kurz gefaßt besteht die Stellungnahme in drei Schritten: sie beginnt 1. mit dem<br />

Verstehen von sich selber und den anderen, führt 2. zur persönlichen Stellungnahme


113<br />

auf der Basis des Gewissens und geht 3. über in das Finden des eigenen Wollens.<br />

(vgl. Längle A 1999b, 21).<br />

Bevor ich die Schritte von PEA 2 im einzelnen darlege, scheint es mir wichtig zu sein,<br />

auf etwas Grundsätzliches hinzuweisen. PEA 2 ist in besonderer Weise Ausdruck<br />

der Geistigkeit des Menschen (Frankl würde sagen des Noetischen). War er in PEA 1<br />

geradezu gefordert, den Gegensatz zwischen Geistigem einerseits und Psychisch-<br />

Körperlichem zu überwinden, so ist in PEA 2 dieser Oppositionscharakter des<br />

Geistigen, der sich seinen Emotionen stellt, angezeigt. Anders ausgedrückt: In PEA 2<br />

ist der psychonoetische Antagonismus, der bewußt den Hiatus zwischen dem<br />

Noetischen und Psychophysischen beläßt, von therapeutischer Bedeutung. „PEA 2<br />

stellt gewissermaßen ein Herausheben aus dem sich ständig ändernden Prozeß des<br />

Geschehens dar, somit aus dem Anspruch der Situation und der Forderung eines,<br />

das Leben zu bestellenden Handelns. ... Es ist ein Rückzug auf das ‚Da‘ des Seins in<br />

seiner ‚Lichtung‘ (Heidegger), worin der Ursprung des Menschseins als personales<br />

Sein zu finden ist“ (Längle A 1999b, 25).<br />

Der Grundakt, um zum Verstehen zu kommen, ist das Sich-Herausnehmen aus der<br />

primären Emotion in der Selbstdistanzierung, um sozusagen Luft zwischen mir und<br />

dem Erlebten kommen zu lassen. Die Frage stellt sich: Was bedeutet diese innere<br />

Bewegung für den Gesamtzusammenhang meines Lebens? Verstehe ich mich?<br />

Verstehe ich, was mich bewegt und daß es mir so dabei geht? Auf der anderen Seite<br />

ist zu fragen: Verstehe ich den anderen? Was hat mit mir und was mit den anderen<br />

zu tun? Und: Was bleibt übrig, was verstehe ich nicht? (vgl. dazu Längle A 2000f,<br />

83). Wenn nun durch das Verstehen die Zusammenhänge klar sind, „weil der zu<br />

verstehende Inhalt auf die Realität bezogen wird“ (Längle 2000f, 26), kann der<br />

nächste Schritt der Stellungnahme folgen, die Anbindung, Abstimmung mit dem<br />

Gewissen, dem Personalissimum des Menschen. „Was spüre ich im tiefsten Inneren<br />

dazu, was halte ich ganz im Innersten davon?“ (Längle A 2000f, 83). Es handelt sich<br />

dabei „um eine Bezugnahme zu einem allgemeinen Wissen, das sowohl die Grenzen<br />

der Individualität als auch der Situation überschreitet. Dieses ‚ur-sprüngliche‘<br />

Wissen-Können des Menschen stammt aus einer tiefen inneren Resonanz, die über<br />

sein individuelles Dasein hinaus Bezug nimmt zum ‚ewig gültigen Gesetz‘, zu dem,<br />

was in der konkreten Situation als Wahrheit, Wert, Schönheit, Sinn ‚an sich‘


114<br />

durchschimmert“ (Längle A 1999b, 23). Dabei geht es um Evidenz, um eine<br />

unerklärbare intuitive Gewißheit, die weder Anspruch auf Allgemeingültigkeit, noch<br />

auf Absolutheit hat, jedoch in sich selbst ganz stimmig ist. (Dies erinnert an die erste<br />

Zeit der Wahl bei Ignatius, 4.3.1.3.2.). Längle spricht im Bezug auf die Gewißheit von<br />

zweierlei Sachverhalten: der eine ist die Stimmigkeit mit sich – der andere die<br />

Abstimmung mit der Gemeinschaft (1999b, 24). Letztere hängt nach Längle mit der<br />

Selbsttranszendenz zusammen. Erfahrene, erkannte Gewißheit transzendiert nach<br />

außen. Es geht um die Anbindung an die Welt, die Anbindung bzw. Konfrontation mit<br />

ihr. Längle drückt dies folgendermaßen aus: „Es ist das persönliche Wissen darum,<br />

daß andere Menschen in seiner Lage und unter seinen Bedingungen dasselbe für<br />

richtig ansehen würden und daher gleichermaßen entscheiden würden wie er. Es ist<br />

die Gewißheit, die anderen könnten ihn verstehen und würden ihn nicht ausgrenzen,<br />

nicht schuldig sprechen, sondern gut heißen“ (1999b, 24). So sehr die Kongruenz mit<br />

der Welt in der Gewissensentscheidung gut und wünschenswert wäre, kann diese oft<br />

nicht erwartet werden. Es kommt vor, daß sich der ringende Mensch für etwas<br />

entscheiden muß, das den Schuldspruch eines qualifizierten Teils der (oft näheren)<br />

Mitwelt nach sich zieht. Dies weiß ich aus eigener (leidvoller ) Erfahrung. Es erinnert<br />

unter anderem auch an die Szene des zwölfjährigen Jesus im Tempel, der die<br />

Gewißheit hatte, im Tempel bleiben zu müssen und dadurch den Tadel seiner Eltern<br />

hervorrief. M. E. ist nach der Prüfung der Stellungnahme durch die Welt, der eigene<br />

Entschluß auszuführen, auch auf die Gefahr hin, daß die Mit-Welt den Entschluß<br />

verurteilt.<br />

In diesem „Freilegen des Verstehens der ‚Tiefenperson‘ und einer inneren<br />

Stellungnahme zu sich selbst“ (Längle A 1999b, 24) liegt „viel therapeutische Potenz“<br />

(ebd.). „In dieser Tiefenschicht besteht Therapie im Öffnen des Zugangs zum<br />

Ursprung, im Finden der eigenen persönlichen Wahrheit, der eigenen tragenden,<br />

lebensspendenden Werte, der Versöhnung stiftenden Gerechtigkeit und der<br />

individuellen Entwicklung innerhalb einer sinnvollen Ganzheit, auf die man sich<br />

bezieht“ (ebd.).<br />

Nach dieser intuitiven Gewissenserkenntnis gilt es noch einmal Stellung zu nehmen.<br />

Was halte ich grundsätzlich davon? Und. Was ist meine ganz persönliche Meinung<br />

dazu? In dieser letzten, schon eher handlungsorientierten Frage kann ich noch


115<br />

einmal dem Gewissen gegenüber Stellung beziehen, denn oft ist es nicht möglich<br />

unter dem Druck der Realität die Erkenntnis hundertprozentig auszuführen. Die<br />

Handlungsorientierung mündet in den Willen. „Dadurch schafft sich die Person die<br />

Voraussetzung, ihre Freiheit leben zu können, indem sie begreift und faßt, was sie im<br />

Grunde tun möchte“ (Längle A 2000f, 27). Die Frage dazu lautet: „Was würden Sie<br />

am liebsten tun wollen? Wie möchten Sie eigentlich damit umgehen? Wollen Sie es<br />

wirklich?“ (Längle A 2000f, 83). – Die therapeutische Haltung ist in dieser Phase eine<br />

eher konfrontative.<br />

Die Bezugnahme auf das Gewissen scheint mir der innere Berührungspunkt beider<br />

Wege zu sein, obwohl Ignatius meines Wissens diesen Terminus in den Exerzitien<br />

nie gebraucht. M. E. beschreibt er aber phänomenologisch diese Abstimmung mit<br />

dem Innersten des Menschen. Relectendo en su mismo (rückbesinnen auf sich<br />

selbst, EB 234ff) scheint mir der Ausdruck zu sein, der explizit in den Bereich von<br />

PEA 2 fällt. Bemerkenswert dazu ein Satz von A. Längle, der PEA 2 folgend<br />

zusammenfaßt: In ihr „nimmt sich die Person, die als Gemeinte unvermutet in eine<br />

Relation zu dem Meinenden geraten ist, die Freiheit, sich auf sich selbst<br />

zurückzunehmen“ (2000f, 28; kursiv v. Verf).<br />

Obwohl Ignatius – am Beginn der Neuzeit – die Wendung zum Subjekt erstaunlich<br />

weit vollzogen hat, sehe ich Möglichkeiten, diese noch auszubauen. Gerade PEA 2<br />

könnte darin eine Anregung bieten, noch radikaler zu fragen: Was halte ich davon?<br />

Das Innerste der Seele ist angefragt (mit ihrem Willen) – trotz aller Skepsis einer<br />

durch „ungeordnete Neigungen“ (EB 1) vergifteten Seele. Ignatius traut ja dem<br />

innersten Gespür, jedoch sehe ich in diesem Bereich noch eine Möglichkeit der –<br />

auch methodischen – Weiterentwicklung der Exerzitien.<br />

4.3.2.1.3. Antwortende Ausführung – Ausdruck (PEA 3)<br />

Der Mensch, der klar sein Eigentliches erkannt hat und bereits im Wollen einen<br />

Handlungsimpuls spürt, erhält in PEA 3 eine methodische Hilfe, diesen in die Tat<br />

umzusetzen. Der beein-druckte Mensch will sich nun aus-drücken, er hat dem Impuls<br />

zu antworten und Ver-antwortung zu tragen. An dieser Stelle kommt die<br />

Weltbezüglichkeit (vgl. 4.2.2.1.), die Selbsttranszendenz zum Tragen. Wie schwer es<br />

ist, das Erkannte und Gewollte in die Tat umzusetzen, braucht hier nicht näher


116<br />

erläutert werden. Daher möchte die existenzanalytische Therapie sozusagen<br />

Geburtshelferin für das praktische Handeln sein. „Wem gegenüber, wie viel, wie, und<br />

wann sie sich äußern soll, damit sie die angestrebte Wirkung erreicht (Längle A<br />

2000f, 27) sind wichtige Überlegungen in dieser Phase. Die oben zitierten vier<br />

Fragen werden auch als die vier Filter bezeichnet (vgl. Längle A 1999b, 22):<br />

Schamfilter: Was, wieviel soll der Öffentlichkeit preisgegeben werden? Vernunftfilter:<br />

Wem? Modalitätsfilter: Wie, mit welchen Mitteln? und das Zeitfilter: Wann, bei<br />

welcher Gelegenheit? Dadurch soll ein blindes Ausagieren verhindert und „ein<br />

Antworten gemäß der Einschätzung der Realität“ (Längle A 2000f, 27) ermöglicht<br />

werden. Wichtig ist der Wirklichkeitsbezug, die Abstimmung auf die Realität der Welt.<br />

Dadurch wird die Tat zu einem Existenzvollzug: das Realisieren des authentisch<br />

Erkannten auf dem Boden der Faktizität. Dadurch ereignet sich Ek-sistenz: in Freiheit<br />

heraustreten aus der erstarrten Blockade.<br />

Die Fragen in dieser Phase sind praktisch und handfest: Was möchten Sie am<br />

liebsten unternehmen? Welche sind die ganz konkreten Schritte? Was wollen Sie<br />

sagen? Was nicht? Paßt das zu diesem Menschen? Was könnte geschehen, wenn<br />

Sie das sagen? Können Sie es verantworten, aushalten? usw. (vgl. Längle A 2000f,<br />

83). Auch die Methoden dazu sind praxisorientiert: durcharbeiten und durchspielen<br />

der Situationen, verhaltenstherapeutische Methoden, Rollenspiele etc. können in<br />

dieser Phase verwendet werden.<br />

Auch dieser dritte Teil könnte Eingang in den Exerzitienprozeß finden, obwohl dies –<br />

meiner Erfahrung nach – im praktischen Vollzug oft geschieht.<br />

4.3.2.2. Wille – Willensstärkungsmethode<br />

Die Behandlung des Willens ist in der Beschreibung der PEA (4.3.2.1.) etwas zu kurz<br />

gekommen. Dies wird nun nachgeholt, indem der Fokus auf den Willen und damit<br />

verbunden auf die Willensstärkungsmethode gerichtet wird.<br />

Was ist nun Wille im existenzanalytische Sinn? Er ist zunächst einmal eine „geistige<br />

Kraft im Menschen“ (Längle A, Wicki, 2000, 45). Wille entsteht „aus dem<br />

Bezogensein des Subjekts als ganzem Menschen (mit allen Strebungen) auf das<br />

Ansprechende aus der Welt und besteht im Entschluß, sich auf den gewählten Wert


117<br />

einzulassen“ (ebd.). Der Grund für den Willensakt ist aber keine geistige Leistung,<br />

bzw. Anstrengung, sondern ein Angesprochensein, Berührt- und Ergriffensein „von<br />

Werten, die als primäre u/o integrierte Emotion der Person präsent sind“ (ebd.). Der<br />

Wille wird also von außen, durch Werte induziert. Er besteht somit in der<br />

Entscheidung, in der Wahl zwischen möglichen Werten und kann definiert werden im<br />

„Entschluß, sich mit ganzen Kräften auf einen gewählten Wert einzulassen“ (ebd).<br />

Folgende Charakteristika sind für das existenzanalytische Willenskonzept bedeutsam<br />

(vgl. dazu Längle A 2000, 7): Zuerst die Freiheit, wobei der Wille Ausdruck der<br />

Freiheit ist; der Wertebezug, denn der Willensakt kann sich nur auf einen Wert<br />

beziehen; weiters die Entscheidung für einen Wert, daher setzt das Wollen auch ein<br />

Lassen voraus. Dieser Entschluß schließt die Bereitschaft mit ein, die eigene Kraft<br />

und das Engagement für die Realisierung zur Verfügung zu stellen. Das letzte<br />

Charakteristikum besteht nun in der Aktivität, dies alles auch in die Realität<br />

umzusetzen. Das Verhältnis zum Gewissen ist auch noch anzusprechen: Der Wille<br />

nimmt Bezug auf das Gewissen, das zur Aufgabe hat, „die ethische bzw. moralische<br />

Bewertung des Willensaktes vorzunehmen“ (Längle A 2000g, 7). Das Wollen als<br />

Ausdruck der Freiheit des Menschen steht im Gegensatz zum psychodynamischen<br />

Reagieren, das Ausdruck einer passiven Wunsch- und Erwartungshaltung ist.<br />

Wie kommt nun das Wollen zustande? Dieser Prozeß wird in der Existenzanalyse als<br />

„Tor zur Freiheit“ (Längle A 2000g, 7) bezeichnet. Bildlich kann man sich einen<br />

Torbogen mit drei Elementen vorstellen: Der linke Bogenteil besteht im<br />

Entscheidungsprozeß, der rechte im Handlungsprozeß; beide werden durch den<br />

Schlußstein des Entschlusses 37<br />

, im Ja zum Wert zusammengehalten. Im<br />

Entscheidungsprozeß werden die Vor und Nachteile erwogen, gewertet, gefiltert, ein<br />

erstes Scheiden vollzogen, bis sich dann eine Neigung – um im Bild des Bogens zu<br />

bleiben – einstellt. Der Entschluß stellt als Scheitelpunkt die Wende zur<br />

Handlungsphase dar. Zum Ja des Entschlusses bedarf es sozusagen eines Rucks<br />

und eines Sich-Dazustellens von seiten des Menschen. Er ist der point of no return.<br />

37 Ent-schluß erinnert mich an den Sicherheitsgurt im Flugzeug, an den Ausdruck unlock. In un-lock<br />

steckt meiner Empfindung nach das Ent-schließen: die Schließe, den Ver-schluß öffnen, um dann in<br />

Freiheit aufstehen zu können. Der Entschluß ist ein solches Öffnen der Blocklade, um das Gewollte in<br />

Freiheit realisieren zu können.


118<br />

In diesem Tor zur Freiheit sind Ähnlichkeiten mit der PEA zu erkennen, vor allem ist<br />

m. M. n. PEA 2 in dieser Darstellung deutlich zu erkennen. Dieses Modell kann zur<br />

Anwendung gebracht werden, wenn in der Emotionalität (PEA 1) keine bzw. wenige<br />

Blockierungen vorhanden sind. Bemerkenswert ist auch die Parallele zum<br />

Wahlprozeß der Exerzitien. Die Ausdrücke wie Wahl, Entscheidung, Entschluß 38<br />

kommen in beiden Wegen vor. Eine große Nähe ist zur „Dritten Zeit der Wahl“ (EB<br />

177ff) zu erkennen, in der es nicht um die Unterscheidung der Geister, sondern um<br />

einen kognitiven, diskursiven Weg der Entscheidung geht.<br />

Eine Folge des Wollens sei hier noch kurz beschrieben: Das Wollen ist auch von<br />

einem Lassen begleitet, und zwar von einem vierfachen. Ich muß zuerst zu-lassen,<br />

daß mich etwas erreicht (es ist die Haltung der Offenheit, die existentielle Haltung);<br />

zweitens ist es ein Lassen von anderen Möglichkeiten, wenn ich mich für eine<br />

entschieden habe; drittens muß ich Wirkung und Folge des Willensaktes einstellen<br />

lassen (ich kann z. B. Glück nicht erreichen wollen; ich kann die Bedingungen dafür<br />

schaffen, damit sich z. B. Glück einstellen kann). Viertens muß ich vom Wollen<br />

lassen, wenn der Preis dafür unangemessen ist (vgl. dazu Ausbildungskurs). An<br />

dieser Stelle trifft sich wieder die existentielle Grundhaltung mit der ignatianischen<br />

Haltung der Indifferenz, des Geschehen-Lassens, des Empfangens.<br />

Eine praktische Anwendungsform aus der existenzanalytische Sicht des Willens ist<br />

die Willensstärkungsmethode (WSM). Sie dient der „Entscheidungsfindung bzw.<br />

Stärkung der Entschiedenheit, der Durchhaltekraft und des Ausführungsverhaltens<br />

bei willentlich angestrebten Vorhaben“ (Längle A 2000h, 46). Sie ist indiziert bei allen<br />

Störungen des Willens, bei denen es um die Überwindung von Unangenehmen (wie<br />

Lernschwierigkeiten, Gewichtsabnahme) geht, bei Unentschiedenheiten des Wollens<br />

und fehlender Durchhaltekraft, bei kleinen Abhängigkeiten und Süchten (vgl. dazu<br />

Längle A 2000g, 8). Sollte diese Methode nicht ausreichen, ist ein tiefergreifender<br />

Zugang einer Psychotherapie induziert (vgl. PEA), die auf das Heben der primären<br />

Emotion aufbaut. Im Vergleich mit den Exerzitien könnte man die WSM der dritten<br />

Zeit der Wahl (EB 177ff), die PEA der zweiten (EB 176) zuordnen.<br />

38 Entschluß ist der Titel einer jesuitischen Zeitschrift


119<br />

Nun die methodischen Schritte im einzelnen (vgl. dazu Längle A 2000g, 8; ders.<br />

2000h, 46). Der erste Schritt besteht in der Grundarbeit auf der Sachebene. Er dient<br />

der Erhebung und Reflexion der spontanen Beweggründe, z. B. der Sucht. „Ziel ist<br />

es, die positiven Gründe für die Entscheidung herauszuschälen, zu konkretisieren<br />

und bewußt zu machen“ (Längle A 2000, 8). Auf der zweiten Ebene, der<br />

Problemebene, soll das Problembewußtsein geschaffen und bearbeitet, das<br />

Hemmende der Motivation beleuchtet werden. Die Gegengründe sollen erhoben,<br />

erkannt und diskutiert werden. Typische Fragen dazu: Was könnte eine Schwierigkeit<br />

sein z. B. das Rauchen zu lassen? Was ist der Vorteil weiter zu rauchen? Gäbe es<br />

andere Möglichkeiten mit diesem Problem umzugehen? Was spricht gegen das<br />

Aufhören? Dieser Schritt erinnert an die dritte Zeit der Wahl bei Ignatius (EB 177ff),<br />

wo auch die Gegengründe im sogenannten agere contra genau ins Auge gefaßt<br />

werden. Ebenfalls sehe ich eine Parallele in der mittelalterlichen scholastischen<br />

Methode der Disputatio, in der im Punkt sed contra die Gegengründe gegen die<br />

behauptete These genannt werden – ein wesentlicher Teil der Disputatio. Der dritte<br />

Schritt besteht in der Verinnerlichung, der Beziehungsaufnahme. Nach den ersten<br />

eher kognitiven Schritten geht es nun um die Beziehungsaufnahme zum zentralen<br />

Wert, der angestrebt wird. Es ist wichtig, diese Werte „‘schmackhaft‘ zu machen,<br />

damit sie emotional ‚begreifbar‘ werden“ (Längle A 2000h, 8). Durch meditative<br />

Versenkung, durch Nachfühlen soll die Vorstellung von den positiven Auswirkungen<br />

angefühlt werden. Dieser Schritt kann in der zweiten Grundmotivation angesiedelt<br />

werden und hat eine Ähnlichkeit mit PEA 1. Er erinnert auch stark an das<br />

ignatianische Grundwort aus EB 2, daß nur das „Verkosten der Dinge von innen“<br />

sättigt. Dieser Ausdruck ist einer der roten Fäden, der das Exerzitienbuch durchzieht.<br />

Sinnhorizont (Beziehungserweiterung und Selbstfindung) wird der vierte Schritt<br />

genannt, bei dem es um die Einbindung des konkreten Wertebezugs in das gesamte<br />

Lebenskonzept geht. „Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Ziel des<br />

Wollens und dem Lebenskonzept?“ (Längle A 2000h, 8). Um an dieser Stelle das<br />

Thema der Sinndiskussion (vgl. auch 4.1.2.) wieder aufzugreifen, könnte man etwas<br />

vereinfacht sagen: Der hier erkannte existentielle Sinn wird in Zusammenhang mit<br />

dem ontologischen Sinn der Lebensperspektive gebracht. Der fünfte Schritt besteht<br />

in der Festigung, in der Entschiedenheit, dem Vorbauen und Üben der Realisierung.<br />

Das erreichte Niveau soll den Turbulenzen kommender, nicht zu erwartender


120<br />

Probleme standhalten. In jeder Situation ist die neuerliche Entschiedenheit<br />

einzuholen. Sie ist die innere Basis für die Realisierung. In dieser Phase sollen<br />

Strategien, Methoden und Prophylaxe eingesetzt werden, Verhaltenstraining,<br />

systemische Veränderung, Einstellungs- und Traumarbeit, aber auch Medikamente<br />

und sozialpädagogische Maßnahmen haben hier ihren Platz.<br />

4.3.2.3. Sinnerfassungsmethode<br />

Die Sinnfrage hat uns am Beginn des Weges im Zusammenhang mit Prinzip und<br />

Fundament beschäftigt (4.1.2.), zur Sinnfrage kehren wir am Ende wieder zurück.<br />

Wille zum Sinn heißt V. Frankls zentrales Motivationskonzept, das besagt, „daß es<br />

dem Menschen letztlich darum geht, Sinn zu finden und zu erfüllen, d. h. durch<br />

Hingabe an Werte an der Welt Anteil zu nehmen“ (Wicki 2000, 46). Und: „Den Sinn<br />

des Daseins erfüllen wir – unser Dasein erfüllen wir mit Sinn – allemal dadurch, daß<br />

wir Werte verwirklichen“ (Frankl 1984, 202)<br />

Wie erkenne ich nun den für mich relevanten Sinn? Auch hier geht es um eine Form<br />

der Wahl. Längle hat den Sinnfindungsprozeß, den er als „Schritte zum existentiellen<br />

Sein“ (Längle A 1988, 42) bezeichnet hat, operationalisiert und in vier Schritte<br />

gegliedert (vgl. Längle A, Orgler Ch, Kundi M 2000, 13). Bemerkenswert ist, daß die<br />

Autoren – jenseits dieser Methode der Sinnfindung – die Möglichkeit von<br />

„methodisch nicht zugänglichen intuitiven Sinn-Erleuchtungen‘“ (ebd. 14) annehmen,<br />

wo der Sinn „unmittelbar und oft genug unabsichtlich und ohne aktives Zutun<br />

aufblitzt, ‚einschießt‘ oder aufdämmert“ (ebd. 14). Diese Sinnerleuchtung ist mit der<br />

ersten Zeit der Wahl in den Exerzitien (EB 175) vergleichbar.<br />

Der erste Schritt der Sinnerfassungsmethode (vgl. zu den einzelnen Schritten:<br />

Längle A, Orgler CH, Kundi M 2000, 14f) besteht im Wahrnehmen existentiell<br />

relevanter Inhalte. Dieser dient der Informationsaufnahme. In diesen faktischen<br />

Gegebenheiten sind nun die Möglichkeiten ausfindig zu machen, die die situativen<br />

Bedingungen für die Person offenlassen. Die Basis dieser Methode ist auch hier<br />

wieder die Faktizität.<br />

Im zweiten Schritt geht es um das Wertefühlen. Darin „müssen die „Möglichkeiten<br />

(als potentielle Handlungsgründe) gegeneinander abgewogen und in ihrer Ganzheit


121<br />

gewichtet werden“ (ebd. 14). Die jeweils beste und sinnvollste Möglichkeit für die sich<br />

entscheidende Person soll gefunden werden: diese kann „nicht allein berechnet und<br />

logisch erdacht werden, sondern muß wesentlich erfühlt sein“ (ebd. 14). An dieser<br />

Stelle ist wieder die zweite Zeit der Wahl (EB 176) erkennbar.<br />

Der dritte Schritt besteht im Wählen. In ihm ist die sich entscheidende Person<br />

gefordert und zwar in einer willentlichen Entscheidung, in einem existentiellen Ja zu<br />

einer der vorhandenen Möglichkeiten. In diesem affirmativen Akt wird der Wert, der<br />

die Person selber ist, dem situativen Wert dazugegeben. Damit fließt die eigene<br />

Auffassung vom Leben, das Gesamt des Lebenskonzeptes mit in die Entscheidung<br />

ein. Die Person gibt sich somit „innerlich in die Situation und wird handlungsbereit“<br />

(ebd. 14).<br />

Im vierten Schritt geht es um die Realisierung, um das Wirklich machen. Dafür sind<br />

„Mittel und Wege, Methoden und Strategien zu finden, zu aktivieren und schließlich<br />

zu versuchen“ (ebd. 14). Hier ist die Vorerfahrung des Menschen, aber auch die<br />

Erfahrung anderer wichtig. In diesem vierten Schritt können Methoden anderer<br />

Psychotherapierichtungen zur Anwendung kommen.<br />

Am Ende dieses Prozesses vollzieht sich Existenz, indem sich der Mensch auf die<br />

Situation einläßt. Er „öffnet sich wieder der Welt und geht nach einer Phase der<br />

Besinnung auf sie zu. Der Preis, der für die Sinnerfüllung eingesetzt wird, ist man<br />

selbst – der Lohn, der dadurch erhalten wird, ist erfülltes Dasein, ist Lebenserfüllung“<br />

(ebd. 15).<br />

4.3.3. Paradigma einer existentiellen Lebenshaltung: Die Verkündigung an<br />

Maria<br />

Die Verkündigung an Maria (Lk 1,26-38) stellt, wie bereits beschrieben (4.3.1.2.1.),<br />

eine wichtige Stelle im Exerzitiengeschehen dar, steht sie doch am Beginn der<br />

entscheidende zweite Woche (EB 101-109, 262), in der es um den Entschluß zum je<br />

Besseren (magis) des Lebens geht. Das Paradigma der Verkündigung ist sozusagen<br />

das Fundament des Prozesses. Am Ende der Untersuchung soll diese Perikope eine<br />

Zusammenfassung darstellen: die Verkündigung an Maria als Typus einer


122<br />

existentiellen Lebenshaltung, in der auch die wichtigsten Elemente der<br />

Existenzanalyse enthalten sind.<br />

In dieser Stelle geht es um die Ankündigung des Engels Gabriel an Maria, daß sie<br />

„durch die Kraft des Höchsten“ (1,35) ein Kind bekommen wird, das „Sohn Gottes“<br />

(1,35) genannt wird. Maria ist zuerst eine Angesprochene, Angefragte, existentiell<br />

ausgedrückt: jemand, der in einer Situ-ation steht. Sie wird von außen, existentiell<br />

verstanden von der Welt, vom Leben, in Form des Engels angefragt. Der Engel<br />

grüßt, nennt Maria „voll Begnadete“ (1,28) und sagt ihr zu: „Der Herr ist mit dir“<br />

(1,28). Die Reaktion Marias ist nicht Freude und Jubel, sondern Erschrecken,<br />

Erschütterung (das griechische Wort tarattein läßt die Erschütterung lautmalerisch<br />

erahnen). Im Kontext des AT bedeuten nämlich diese Zusagen einen Einbruch<br />

Gottes in das Leben des betroffenen Menschen (vgl. Gideon, der von Gott den<br />

Auftrag erhält, das Volk von den Unterdrückern zu befreien, Ri, 6,12-24). Das Wort<br />

des Engels ist eine Anfrage im Leben Marias, eine mögliche Kehre. Nach der<br />

Erschütterung faßt sie sich und tritt mit sich in den Dialog, griech: dialogizein (1,29).<br />

In der Einheitsübersetzung wird das Wort dialogizein mit überlegen übersetzt. Es<br />

drückt aber darüber hinaus das innere Gespräch aus, das Erwägen, das Mit-sich-zu-<br />

Rate-Gehen (vgl. auch Lk 15,17, Verlorener Sohn): Was sagt mein Gewissen dazu,<br />

was läßt mich mein Innerstes dazu fühlen? Bevor der Bote weiter seinen Anspruch<br />

entfaltet, greift er zuvor Marias Erschrecken auf: „Fürchte dich nicht Maria“ (1,30), ein<br />

Grundwort der Bibel, das sehr oft vorkommt (365 Mal soll es sein, sozusagen für<br />

jeden Tag ein Mal). Dann verweist der Engel noch einmal auf Marias Begnadung:<br />

„Denn du hast Gnade vor Gott gefunden“ (1,30). Auch diese Zusage deutet auf dem<br />

Hintergrund des AT ein Eingreifen Gottes mit einem konkreten Auftrag an (vgl. die<br />

Verkündigung der Geburt Isaaks an Abraham, Gen 18; weiters Mose am Sinai, Ex<br />

33,12-17). Das Wort, der An-spruch, der sie erreicht, ist die Ankündigung, daß sie ein<br />

Kind bekommen wird, das „Sohn des Höchsten“ (1,32) genannt wird. Nun folgt nicht<br />

die sofortige Antwort Marias, sondern sie fragt nach. Sie sucht nach guten Gründen<br />

von außen, sondiert und stellt die Frage: „Wie soll dies geschehen, da ich mit keinem<br />

Mann zusammenlebe?“ (1,34) Maria bringt die Faktizität ihrer derzeitigen Lebenslage<br />

ins Spiel: Sie ist noch nicht verheiratet. In der Antwort des Engels wird sie auf den<br />

Heiligen Geist, auf die Kraft, die Kraft des Höchsten verwiesen (1,35): „Denn bei Gott<br />

ist nichts unmöglich“ (1,37). Weiters erhält Maria auch noch einen Hinweis auf ihre


123<br />

Verwandte Elisabeth, die in einer menschlich unmöglichen Situation (ihr hohes Alter)<br />

noch ein Kind bekommen hat (1,36). Erst jetzt gibt Maria dem Wort des Engels eine<br />

Ant-wort: „Ich bin die Magd des Herrn“ (1,38). Es ist ihr personales Ja zu diesem<br />

Einbruch in ihr Leben. Sie läßt sich auf das Angebot, das sich als Wert zeigt, ein und<br />

trägt auch die Konsequenzen ihres Entschlusses. Dieser entfaltet sich in den<br />

nachfolgenden Perikopen (bis Kap. 2). Maria wird in dieser Geschichte nicht als<br />

willenloses Wesen gezeichnet, die im blinden Gehorsam mit sich geschehen läßt.<br />

Sie wird als Person beschrieben, die sich in Freiheit – mit guten Gründen – auf das<br />

Wagnis des Anspruchs einläßt.<br />

In die Dynamik dieser Geschichte läßt sich unschwer die Struktur der Personalen<br />

Existenzanalyse einschreiben: das Heben der primären Emotion (Erschrecken) durch<br />

den Engel (PEA 1), weiters der Versuch Marias das Geschehen zu verstehen, der<br />

innere Dialog und das Hineinspüren in ihr Gewissen und das Einholen objektiver<br />

Gründe von außen in ihrer Frage an den Engel (PEA 2) und schließlich in ihrem<br />

Ausdrucksverhalten: mir geschehe (PEA 3).<br />

Auch die vier Grundmotivationen sind in der Verkündigungsperikope zu erkennen: im<br />

Gruß, in der Anrede des Engels die Beziehungsebene (2. GM), im Fürchte dich nicht<br />

die Sicherung des Halts, des Raumes (1.GM), in Marias Abklärung mit ihrem<br />

Gewissen und ihrer Frage die 3. GM und in der Andeutung der Rolle ihres Sohnes<br />

durch den Engel die Sinnperspektive der 4. GM.<br />

Weiters läßt sich die Willensbildung im Tor zur Freiheit nachzeichnen: zuerst die<br />

Entscheidungsphase bis zum Durchbruch im Entschluß mit nachfolgender<br />

Handlungsphase. Auch spiegelt sich im Akt Marias die existenzanalytische Definition<br />

von Wille wider (Längle A, Wicki 2000, 45). Wille wird hier als „zentral angesehene,<br />

geistige Kraft des Menschen“ bezeichnet, „durch die er sich als Person durch das<br />

Ergreifen seiner Freiheit realisiert und zu einem Akt entschließt“ (ebd. 45).


124<br />

5. Nachwort<br />

Existenzanalyse – eine säkularisierte Form der Exerzitien? So sollte ursprünglich der<br />

Titel dieser Arbeit heißen. Nun soll dieser präsumptive Titel als Frage am Ende der<br />

Ausführungen stehen. Ich möchte sie mit ja beantworten. Der größte Unterschied<br />

besteht naturgemäß in der letzten Ausrichtung: Sind die Exerzitien auf das<br />

transzendente Du Gottes als Person hin ausgerichtet, so transzendiert die<br />

Existenzanalyse auch die Immanenz des individualistischen, anthropozentischen 39<br />

Binnenlebens, wendet sich aber der Welt, dem Leben – quasi einer nicht personalen<br />

Größe zu, obwohl sie offen ist für das personale Du Gottes im Glauben. Hier sei eine<br />

persönliche Bemerkung erlaubt: Ist es möglich, sich an etwas zu wenden, bzw. offen<br />

für etwas zu sein, das nicht Du, nicht Person, sondern nur ein Etwas, eine<br />

unpersonale Macht ist? Andererseits, wenn man von Leben spricht, impliziert das<br />

nicht schon Personales? Kann dieses Leben, zu dem ich mich wende, weniger sein<br />

(d. h. nicht Person sein) als ich selbst? Diese Fragen sollen zum Nachdenken<br />

anregen. Zugegeben, diese Gedanken sind deduktiv abgeleitete. Das Eigentliche der<br />

existenzanalytische Therapie ist aber der induktive Weg, d. h. den Klienten in seiner<br />

jeweiligen Situation mit seinem jeweiligen Vorverständnis abholen und sich mit dem<br />

Suchenden auf die Spur zu der für ihn stimmigen Lebensform zu machen. Dies ist<br />

eine weitere Übereinstimmung: Beide Formen beschreiten im Wesentlichen den<br />

induktiven Weg.<br />

Die Phänomene auf beiden Wegen sind aber verblüffend ähnlich. Es ist vor allem die<br />

existentielle Haltung, die sich durch die existenzanalytische Therapie zieht, die mit<br />

der Haltung der Indifferenz korrespondiert. Nicht der Mensch ist es, der das Leben in<br />

Frage stellt, sondern er ist ein Angefragter, dessen Wesen es ist, zu antworten auf<br />

das Wort, das ihn trifft. – Die phänomenologische Haltung des Therapeuten ist<br />

vergleichbar mit der Nabenfunktion des Exerzitienleiters, der – gleichwohl personal<br />

präsent sein muß – sich jedoch nicht in die innere Dynamik des Suchenden<br />

einmischen darf, sondern vielmehr Gott mit dem Geschöpf und das Geschöpf mit<br />

Gott wirken lassen muß (EB 15).<br />

39 vergleiche dazu die m. M. n. interessanten Aussagen von P. Sloterdijk (1999) über den<br />

Humanismusbrief Heideggers, das Zitat über die Ek-sistenz aus Heideggers Brief, „daß nicht der<br />

Mensch das Wesentliche ist, sondern das Sein als die Dimension des Ekstatischen der Ek-sistenz“<br />

(zit. nach Sloterdijk 1999, 26) und die Diskussion über das Bild vom Menschen als den „Hirten des<br />

Seins“ (ebd. 27ff)


125<br />

Die Basis der Wege besteht in der Annahme der Faktizität, der Geschöpflichkeit und<br />

der Perspektive auf das Ziel hin, das existenzanalytisch mit der ersten und vierten<br />

Grundmotivation umschrieben werden kann. Die erste große Phase der Exerzitien,<br />

die Umkehrphase mit Gewissenserforschung, Sünde- und Höllenbetrachtung kann in<br />

Selbsterfahrung, Inauthentizität und dem umfassenden Bereich der Angst in<br />

Beziehung gebracht werden. Die zweite Woche, die Phase einer guten Wahl, kann<br />

mit der Dynamik der Personalen Existenzanalyse erstaunlich gut verglichen werden,<br />

Willensstärkungs- und Sinnerfassungsmethode ergänzen den Vergleich.<br />

Was die Grundmotivationen betrifft, könnte man sagen, daß das Prinzip und<br />

Fundament vor allem der ersten und vierten entspricht, die erste Exerzitienwoche<br />

nach der ersten vor allem der zweiten (was die Sündenerfahrung betrifft), dann auch<br />

der dritten (in der Abstimmung mit dem Gewissen) entspricht. Die Regeln zur<br />

Unterscheidung der Geister betreffen zuerst die Inhalte der zweiten GM (die<br />

Erfahrung der inneren Bewegungen), in der Folge auch die der dritten. Die zweite<br />

Woche findet ihre Entsprechung in den Betrachtungen ähnlich der ersten Woche, die<br />

Wahl entspricht – von der zweiten GM ausgehend – vor allem der dritten und dann<br />

auch der vierten GM, besonders was die Entscheidungsfindung betrifft Auf die<br />

Inhalte der vierten GM (den Sinnzusammenhang) wird in jedem Abschnitt verwiesen<br />

(auf EB 1, 21 und 23).<br />

Beide Wege verstehen sich m. M. n. eher psychopädagogisch oder psychoedukativ<br />

denn psychomedizinal (vgl. Lleras 1996, 28). Der Ausdruck Psycho-therapeut drückt<br />

dies schon von der Wortwurzel her aus: therapéuein heißt ja in der Grundbedeutung<br />

bedienen, freundlich behandeln, (die Götter!) verehren, hochachten, gut sorgen,<br />

pflegen, sorgfältig behandeln und schließlich erst heilen (vgl. Gemoll 1965, 372).<br />

Dazu braucht, meine ich, nichts mehr hinzugefügt werden.<br />

Was können nun beide Meth-oden (im Sinn von Wegen) voneinander lernen? Die<br />

Existenzanalyse könnte sich von den Exerzitien, was die Übungen 40<br />

betrifft,<br />

40 Die Wichtigkeit des Übens war auch Grundtenor in den Vorträgen der Tagung „Neurobiologie der<br />

Psychotherapie“ (2.-4.7.2003, Innsbruck): Die Neurobiologie kann zeigen, was im Gehirn umgebaut,<br />

umstrukturiert, sozusagen neu verdrahtet werden muß, das Wie kann aber weder eine<br />

medikamentöse Therapie, geschweige denn die Neurochirurgie, sondern nur eine Psychotherapie im


126<br />

inspirieren lassen. Ansätze gibt es bereits (z. B. die Sesselmethode). Ein damit<br />

zusammenhängender Bereich sind die Betrachtungen. Wäre es denkbar mit<br />

existentiellen Texten, mit Geschichten zu arbeiten, die innere Bewegungen<br />

evozieren? Zur Gesamtheit des Exerzitienprozesses wäre eventuell die Entwicklung<br />

eines existenzanalytischen, psychoedukativen, selbsterfahrerischen Kurses auf der<br />

Basis der vier Grundmotivationen denkbar. Was die Exerzitienpraxis anlangt, wäre<br />

m. M . n. die existentielle Rolle der Angst – wie sie die Existenzanalyse sieht – in der<br />

ersten Woche (vor allem auch in der Höllenbetrachtung) zu erwägen und für den<br />

Prozeß fruchtbar zu machen. Was die Personale Existenzanalyse betrifft könnten m.<br />

M. n. die Exerzitien von PEA 2 und die Existenzanalyse (PEA 1) von den Exerzitien<br />

(Unterscheidubg der Geister) lernen. Näheres dazu ist im Text nachzulesen.<br />

Sinn einer Umstrukurierung des Gehirns leisten. Ob die Therapie erfolgreich war, läßt sich wieder<br />

durch z. B. eine funktionelle Magnetresonanztomographie nachweisen.


127<br />

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Existenzanalyse und Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 22-23<br />

Längle A (2000b) Grundvertrauen. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und<br />

Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 23-24


129<br />

Längle A (2000c) Biographische Methode. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und<br />

Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 7<br />

Längle A (2000d) Angst. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie. Wien:<br />

<strong>GLE</strong>, 3<br />

Längle A (2000e) Personale Existenzanalyse (PEA). In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse<br />

und Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 31f<br />

Längle A (2000f) Die „Personale Existenzanalyse“ (PEA) als therapeutisches Konzept. In: Längle A<br />

(Hrsg) Praxis der Personalen Existenzanalyse. Wien: Erweiterter Tagungsbericht 2/1993 der <strong>GLE</strong>, 9-<br />

37<br />

Längle A (2000g) Die Willensstärkungsmethode (WSM). In: Existenzanalyse 17,1,4-16<br />

Längle A (2000h) Willensstärkungsmethode. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und<br />

Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 46<br />

Längle A (2000i) Emotionstheorie, existenzanalytische. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der<br />

Existenzanalyse und Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 11<br />

Längle A (2001a) Lehrbuch der Existenzanalyse (Logotherapie). I. Teil: Grundlagen. <strong>GLE</strong>. Wien<br />

Längle A (2001b) Psychotherapie – Methode oder Spiritualität? Zum Verhältnis von Immanenz und<br />

Transzendenz am Beispiel der Existenzanalyse. In: Schmiedinger H (2001) Geist – Erfahrung –<br />

Leben. Spiritualität heute. Innsbruck: Tyrolia, 177-206<br />

Längle A (2002) Die Grundmotivationen menschlicher Existenz als Wirkstruktur existenzanalytischer<br />

Psychotherapie. In: Fundamenta Psychiatrica 2002; 16. Stuttgart: Schattauer, 1-8.<br />

Längle A, Orgler Ch, Kundi M (2000) Die Existenzskala. Manual. Göttingen: Hogrefe, 13-15<br />

Längle A u S (2000) Authentizität. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie.<br />

Wien: <strong>GLE</strong>, 7<br />

Längle A, Tutsch L (2000) Existenzanalyse. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und<br />

Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 16-18<br />

Längle A, Wicki B (2000) Wille. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie.<br />

Wien: <strong>GLE</strong>; 45<br />

Längle S (2000 a) Voraussetzungen zu erfülltem Sinnerleben. In: Existenzanalyse 17,2,28-32<br />

Längle S (2000 b) Sinn. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie. Wien:<br />

<strong>GLE</strong>, 41-42<br />

LLeras F (1996) Das frühgestörte Verhalten zur eigenen Existenz. In: Existenzanalyse 13,2, 23-29<br />

LLeras F (2000) Phänomenologische Haltung. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und<br />

Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 34-35<br />

Mader J (1991) Aurelius Augustinus. Philosophie und Christentum. St. Pölten-Wien: Niederösterreichisches<br />

Pressehaus<br />

Nindl A (2001) Einstellung zum Suizid, existentielle Motivation und Suizidalität. Diss. Salzburg<br />

Pausch J, Hessler T (1992) Mensch-werden zwischen Himmel und Erde. Das Leben des hl. Benedikt<br />

als Spiegel der Menschwerdung. Salzburg: Otto Müller<br />

Pesch R (1977) Das Markusevangelium. II. Teil. Freiburg-Basel-Wien: Herder<br />

Pschyrembel W (1994) Klinisches Wörterbuch. Berlin-New York: de Gruyter


130<br />

Pfligerdorffer G (1983) Augustinus – Grundlagen seines Verständnisses. Vortrag bei den Salzburger<br />

Hochschulwochen. Maschschr.<br />

Ruf N (1983) Das Recht der katholischen Kirche nach dem neuen Codex Iuris Canonoci für die Praxix<br />

erläutert. Freiburg-Basel-Wien: Herder<br />

Schmitz E (1977) γιγνωσκειν. In: Coenen L (Hg) Theologisches Begriffslexikon zum Neuen<br />

Testament, Bd I. Wuppertal: Theologischer Verlag . Brockhaus<br />

Schulz JH (1991) Das autogene Training. Konzentrative Selbstentspannung. Versuch einer klinischpraktischen<br />

Darstellung. Stuttgart – New York: Georg Thieme<br />

Schürmann H (1975) Jesu ureigener Tod. Freiburg: Herder<br />

Shakespeare W (o.J.) Hamlet, Prince of Denmark. In: Shakespeares Werke. Werke in sechs Bänden.<br />

Englisch-Deutsch. Sonderausgabe. Die Tempel-Klassiker. Band IV, 77-184<br />

Sloterdijk P (1999) Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über<br />

den Humanismus. Frankfurt: Suhrkamp<br />

Sonneck G (1995) Krisen und Suizidgefährdung. In: Sonneck G (Hg) Krisenintervention und<br />

Suizidverhütung. Wien: Facultas<br />

Sonneck G, (1995) Krisen im menschlichen Leben. In: Sonneck G (Hg) Krisenintervention und<br />

Suizidbewältigung. Wien: Facultas<br />

Stowasser, der kleine (1936) Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky<br />

Teresa von Avila (1982) „Ich bin ein Weib – und obendrein kein gutes“. Ein Portrait der Heiligen in<br />

ihren Texten. Freiburg: Herder<br />

Tutsch L (2000a) Selbstdistanzierung. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und<br />

Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 37-38<br />

Tutsch L (2000b) Gewissen. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie.<br />

Wien: <strong>GLE</strong>, 22<br />

Vetter H (1989) Die phänomenologische Haltung. In: Längle A (Hrsg) Selbstbild und Weltsicht.<br />

Phänomenologie und Methode der Sinnwahrnehmung. Wien: Tagungsbericht 1/1989 der <strong>GLE</strong>, 14-22<br />

Wicki B (2000) Wille zum Sinn. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie.<br />

Wien: <strong>GLE</strong>, 46f<br />

Winklhofer W (1987): Psychiatrie und Existenzanalyse der Depression. In: Längle A, Funke G (Hrsg):<br />

Mut und Schwermut. Existenzanalyse der Depression. Wien: Tagungsbericht der <strong>GLE</strong>


131<br />

BIBELSTELLEN<br />

Gen 1,3 Gott sprach -... und es wurde 35<br />

Gen 1,26 Mensch als Gottes Ebenbild 84,105<br />

Gen 1,31 Gott sah, daß es sehr gut war 36,132<br />

Gen 15 Abrahams Krise 66<br />

Gen 18 Verheißung an Abraham 122<br />

Gen 25ff Jakob und Esau 67<br />

Gen 32 Jakob am Jabbok 67<br />

Ex 20,1 Das 1. Gebot 36<br />

Ex 33,12-17 Mose am Sinai 122<br />

Dtn 30,19 Wähle das Leben 91<br />

2 Sam 11-12 David und Batseba 62<br />

Ps 16,11 Weg zum Leben 91<br />

Ps 22,2 Mein Gott, warum hast du mich verlassen? 80<br />

Ps 34,13ff Wer ist der Mensch, der das Leben liebt? 91<br />

Ps 42/43 Was bist du betrübt meine Seele? 54<br />

Ps 85,11 Gerechtigkeit und Friede küssen sich 89<br />

Ps 103 Vergiß nicht, was der Herr dir Gutes getan hat 55<br />

Ps 116,7 Denn der Herr tut dir gut 55<br />

Ps 119,116 Nimm mich auf, Herr, damit ich lebe 105<br />

Jes 11 Schalomzustand 82<br />

Jes 53,11f Er trug die Sünden von vielen 106<br />

Jer 2,2 Wüste: Ort der 1. Liebe 81<br />

Mt 5,3 Selig die Armen im Geist 91<br />

Mt 7,7 Bittet und ihr werdet empfangen 97<br />

Mt 16,25 Wer sein Leben ... verliert 93<br />

Mt 8,9-13 Berufung des Levi/Matthäus 100<br />

Mt 19,16-30 Der reiche Jüngling 98<br />

Mk 1,11 Taufe Jesu: Du bist mein geliebter Sohn 52<br />

Mk 1,12f Versuchung Jesu 81<br />

Mk 1,33.39 Predigen, Kranke heilen, Dämonen austreiben 40<br />

Mk 4,35-41 Stillung des Seesturms 68<br />

Mk 10,45 Hingegeben als Lösegeld für viele 106


132<br />

Mk 14,26-42 Todesangst am Ölberg 40,68<br />

Mk 15,34 Verlassenheitsruf Jesu am Kreuz 40,80<br />

Mk 15,37 Todesschrei Jesu am Kreuz 40,68<br />

Lk 1,26-38 Verkündigung an Maria 88f,121ff<br />

Lk 2,1-12 Geburt Jesu 88f<br />

Lk 2,41-52 12-jähriger Jesus im Tempel 90,114<br />

Lk 5,37 Neuer Wein in neue Schläuche 81<br />

Lk 9,28-36 Verklärung Jesu 84<br />

Lk 15,11-32 Verlorener Sohn 55f<br />

Lk 18,32f Leidensankündigung Jesu 98<br />

Lk 22,43ff Todesangst am Ölberg 69<br />

Joh 1,3 Alles ist durch das Wort geworden 35<br />

Joh 1,10 Welt 14<br />

Joh 1,14 Und das Wort ward Fleisch 105<br />

Joh 3,32 Die Wahrheit tun 74<br />

Joh 5,6 Willst du gesund werden? 11<br />

Joh 6,60.66 Deine Rede ist hart 40<br />

Joh 10,10 Leben in Fülle 91<br />

Joh 11,47.53 Beschluß Jesus zu töten 40<br />

Joh 14,16 Parakletos – Hl. Geist 79<br />

Apg 12,11 Der Herr hat seinen Engel gesandt 58<br />

Apg 9,4 Bekehrung des Paulus 100<br />

Röm 8,29 Christus gleichgestaltet 97<br />

1 Kor 6,16 Ein Zwang liegt auf mir 100<br />

1 Kor 2,12 Welt 14<br />

2 Kor 6,1 Mitarbeiter Gottes 92<br />

Gal 2,20 Hingegeben für mich 106<br />

Eph 4,13 Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen 105<br />

Phil 2,5-11 Christushymnus 95,97<br />

Apk 12,10 Ankläger unserer Brüder 79

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