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1<br />
Exerzitien des Ignatius und<br />
Existenzanalyse nach A. Längle –<br />
Zusammenschau zweier Wege<br />
von Rupert Dinhobl<br />
gewidmet<br />
dem Exerzitienhaus St. Altmann<br />
meinen Ausbildnern Alfried und Silvia Längle<br />
und vor allem meiner Frau<br />
Claudia<br />
eingereicht als Abschlußarbeit für die existenzanalytische Therapieausbildung<br />
im Juli 2003
2<br />
Inhalt<br />
1. Vorwort .................................................................................................................... 5<br />
2. Ziel und Aufriß der Wege......................................................................................... 8<br />
2.1. Ziel der Exerzitien und der Existenzanalyse ..................................................... 8<br />
2.2. Aufriß der Wege .............................................................................................. 14<br />
2.2.1. Das Vierwochenschema des Exerzitienbuches ........................................... 15<br />
2.2.2. Strukturmodell und Prozeßmodell der Existenzanalyse ............................... 17<br />
2.2.2.1. Strukturmodell: Die vier Grundmotivationen ............................................. 17<br />
2.2.2.1.1. Sein-Können...........................................................................................18<br />
2.2.2.1.2. Leben-Mögen ......................................................................................... 19<br />
2.2.2.1.3. Selbstsein-Dürfen .................................................................................. 20<br />
2.2.2.1.4. Handeln-Sollen ...................................................................................... 21<br />
2.2.2.2. Prozeßmodell: Die Personale Existenzanalyse (PEA) .............................. 22<br />
3. Personen und Wirkfaktoren ................................................................................ 24<br />
3.1. Grundhaltung des Exerzitanten bzw. Klienten ................................................ 24<br />
3.1.1. Grundhaltung des Exerzitanten ................................................................... 24<br />
3.1.2. Grundhaltung des Klienten .......................................................................... 25<br />
3.1.3. Zusammenschau ......................................................................................... 26<br />
3.2. Stellung des Exerzitienleiters bzw. des Therapeuten...................................... 27<br />
3.2.1. Nabenfunktion des Exerzitienleiters ............................................................. 27<br />
3.2.2. Phänomenologische Haltung des existenzanalytische Therapeuten ........... 29<br />
3.2.3. Zusammenschau ......................................................................................... 31<br />
3.3. Wirkfaktoren .................................................................................................... 32<br />
3.3.1. Wirkfaktoren der existenzanalytische Psychotherapie ................................. 32<br />
3.3.2. Wirkfaktoren in den Exerzitien ..................................................................... 33<br />
4. Phasen des Weges ............................................................................................ 35<br />
4.1. Sich auf den Weg einlassen ........................................................................... 35<br />
4.1.1 Prinzip und Fundament der Exerzitien .......................................................... 35<br />
4.1.2. Dasein-Können und die Frage nach dem Sinn ............................................ 37<br />
4.1.3. Zusammenschau ......................................................................................... 39<br />
4.2. Sich dem Abgrund stellen ............................................................................... 42<br />
4.2.1. Erste Exerzitienwoche ................................................................................. 42<br />
4.2.1.1. Prüfung des Gewissens (EB 24-44) .......................................................... 42<br />
4.2.1.2. Die täglichen fünf Übungen ....................................................................... 44
3<br />
4.2.1.3. Zusätze ..................................................................................................... 48<br />
4.2.2. Existenzanalytische Entsprechungen .......................................................... 48<br />
4.2.2.1. Existenzanalytisches Basistheorem .......................................................... 49<br />
4.2.2.2. Selbstdistanzierung, innerer Dialog, Selbsterfahrung ............................... 50<br />
4.2.2.2.1. Exkurs aus Bibel und Tradition .............................................................. 54<br />
4.2.2.3. Inauthentizität, Gewissen, Reue ............................................................... 59<br />
4.2.2.3.1. Biblisches Paradigma: Die Sünde des Königs David ............................. 62<br />
4.2.2.4. Angst ......................................................................................................... 62<br />
4.2.2.4.1. Biblische Beispiele: Abraham, Jakobs Kampf, Jesus am Ölberg ........... 66<br />
4.2.2.5. Emotion ..................................................................................................... 69<br />
4.3. Den Entschluß wagen ..................................................................................... 73<br />
4.3.1. Zweite Exerzitienwoche ............................................................................... 73<br />
4.3.1.1.Regeln zur Unterscheidung der Geister ..................................................... 74<br />
4.3.1.1.1. Regeln I ................................................................................................. 76<br />
4.3.1.1.2. Regeln II ................................................................................................ 85<br />
4.3.1.2. Erwägungen, Besinnungen und Betrachtungen der zweite Woche .......... 88<br />
4.3.1.2.1. . Der Ruf und die Betrachtungen von der Menschwerdung und der Geburt<br />
Jesu ....................................................................................................................... 88<br />
4.3.1.2.2. Besinnung über zwei Banner..................................................................90<br />
4.3.1.2.3. Besinnung über die drei Menschengruppen .......................................... 93<br />
4.3.1.2.4. Drei Weisen der Demütigung ................................................................. 95<br />
4.3.1.3. Vollzug der Erwählung .............................................................................. 98<br />
4.3.1.3.1. Das „Worüber“ der Erwählung ............................................................... 99<br />
4.3.1.3.2. Drei Zeiten der Erwählung ................................................................... 100<br />
4.3.1.3.3. Die zwei Arten der ruhigen Wahl .......................................................... 102<br />
4.3.1.4. Betrachtung zur Erlangung der Liebe ..................................................... 103<br />
4.3.2. Existenzanalytische Entsprechungen ........................................................ 107<br />
4.3.2.1. Personale Existenzanalyse (PEA) .......................................................... 107<br />
4.3.2.1.1. Phänomenologische Analyse – Eindruck (PEA 1) ............................... 110<br />
4.3.2.1.2. Innere Stellungnahme (PEA 2) ............................................................ 112<br />
4.3.2.1.3. Antwortende Ausführung – Ausdruck (PEA 3) ..................................... 115<br />
4.3.2.2. Wille – Willensstärkungsmethode ........................................................... 116<br />
4.3.2.3. Sinnerfassungsmethode ......................................................................... 120
4<br />
4.3.3. Paradigma einer existentiellen Lebenshaltung: Die Verkündigung an Maria<br />
............................................................................................................................. 121<br />
5. Nachwort ............................................................................................................. 124<br />
LITERATUR ......................................................................................................... 127<br />
BIBELSTELLEN ................................................................................................... 132
1. Vorwort<br />
5<br />
Der Grund, warum ich dieses Thema gewählt habe, ist ein sehr persönlicher. Die<br />
Haupttätigkeit während meiner 20 Jahre als Benediktiner von Göttweig war es, ein<br />
Exerzitienhaus aufzubauen und dieses dann 12 Jahre lang zu leiten. In dieser Zeit<br />
bestand meine Aufgabe vor allem darin, Gruppen, später vermehrt Einzelpersonen<br />
zu begleiten, die ihr Leben im Licht des Glaubens ausrichten wollten. Aus dieser<br />
Arbeit hat sich sehr bald ein Typus von Exerzitien entwickelt, der mir sehr zugesagt<br />
hat, nämlich Einzelexerzitien. Dafür haben sich Menschen in die Stille der<br />
klösterlichen Umgebung zurückgezogen, in dem sie ganz auf sich selbst<br />
zurückgeworfen waren. In den 5 bis 10 Tagen, die ein solcher Kurs dauert, gab es<br />
neben dem Stillschweigen – der Sinn besteht darin, bei sich zu bleiben – als<br />
Strukturelement das tägliche Gespräch von einer halben Stunde mit dem<br />
Exerzitienleiter. Darin geht es, die inneren Regungen der Seele zu besprechen,<br />
Dinge, die berühren, wahrzunehmen, neue Perspektiven, die sich eröffnen,<br />
weiterzuentwickeln. Auf der anderen Seite ist es aber auch entscheidend, sich den<br />
Schattenseiten zuzuwenden, den Dunkelheiten, Ängsten, der Trostlosigkeit. In den<br />
Gesprächen werden diese inneren Bewegungen gemeinsam im Licht des Glaubens<br />
zu deuten versucht. Ein weiteres wichtiges Element war die Betrachtung der Hl.<br />
Schrift. Ziel der Schriftbetrachtung ist es, die Stelle auf sich wirken zu lassen und zu<br />
erspüren, welche Regungen, Erkenntnisse diese in der eigenen Seele hervorruft. Die<br />
Hl. Schrift und die Stille sind sozusagen die Katalysatoren für die inneren<br />
Bewegungen, die dann Gegenstand für das Gespräch mir dem Exerzitien(beg)leiter<br />
sind. Diese Strukturelemente gehen auf das Exerzitienbuch des hl. Ignatius von<br />
Loyola (1491 – 1556) zurück, in dem versucht wird, den Exerzitanten in einem<br />
vierwöchigen Prozeß zu einem authentischen, christlichen Leben zu begleiten.<br />
Im Laufe meiner Tätigkeit merkte ich, daß viele Menschen mit kleineren, aber auch<br />
größeren psychischen Leiden zu Exerzitien kamen. Deshalb wuchs in mir der<br />
Wunsch, mir psychologisches, vor allem aber auch psychotherapeutisches Wissen<br />
anzueignen, eventuell auch eine Psychotherapieausbildung zu beginnen. Dies war<br />
damals aus verschiedenen Gründen nicht möglich. In dieser Zeit stieß ich immer<br />
wieder auf die Existenzanalyse in Form von Vorträgen von Alfried Längle, die mir<br />
Exerzitienteilnehmer brachten. Weiters erhielt ich einmal den Hinweis einer<br />
Einrichtung, mich zur Nachbetreuung eines Alkoholkranken an A. Längle zu wenden.
6<br />
Dabei spürte ich eine innere Nähe, eine Ähnlichkeit zwischen meiner bisher<br />
gemachten inneren Erfahrung und der Existenzanalyse. Nach meinem Austritt aus<br />
dem Benediktinerorden war es für mich klar und innerlich logisch, die<br />
Existenzanalyseausbildung zu beginnen. Im Laufe der Ausbildung stieß ich sehr oft<br />
auf Elemente, die mir mit Erfahrungen, die ich aus den Exerzitien hatte, sozusagen<br />
verwandt erschienen. Deshalb entstand bald der Gedanke, als Abschlußarbeit eine<br />
Zusammenschau beider Modelle, beider Wege zu versuchen 1<br />
. Fast 500 Jahre liegen<br />
zwischen diesen Entwürfen, der Bogen spannt sich vom Beginn der Neuzeit, - der<br />
Wende vom Mittelalter hin zur vertieften Entdeckung des Subjekts, die Zeit der<br />
Reformation und der Inquisition – bis zur Wende vom 20. auf das 21. Jahrhundert.<br />
Sprache, Umstände sind völlig verschieden, aber die Psyche des Menschen ist im<br />
Wesentlichen dieselbe geblieben. Darüber hinaus ist diese Arbeit auch ein Versuch,<br />
den roten Faden, die Kontinuität in meinem persönlichen Lebensverlauf zu<br />
entdecken, im „Gott Suchen“ (vgl. Benediktusregel 58,7) des Klosterlebens und im<br />
authentisch „Sinnvoll Leben“ (vgl. Längle 1994a) der Existenzanalyse.<br />
Als Methode für diese Arbeit wählte ich die abschnittsweise Darstellung des<br />
Exerzitienbuches, um im Anschluß daran die – meiner Meinung nach – innerlich<br />
verwandten Themen der Existenzananlyse zu besprechen. Ich habe weiters<br />
versucht, die wesentlichen Themen des Exerzitienbuches inklusive der zweiten<br />
Woche ohne Auslassung darzustellen, um nicht in die Gefahr des Eklektizismus zu<br />
kommen und vorschnell beide Entwürfe zu harmonisieren. Auch die sperrigen<br />
Passagen des Exerzitienbuches sollten zur Sprache kommen. Die dritte. und vierte.<br />
Exerzitienwoche habe ich nicht mehr behandelt, weil in ihnen meiner Meinung nach<br />
der innere Bezug zur Existenzanalyse fehlt. In diesen Abschnitten geht es um die<br />
bewußte Imitatio Christi, das Mitleben mit Passion und Auferstehung des Herrn. Mir<br />
ist des Weiteren bewußt, daß die einzelnen Themenkreise genauer behandelt<br />
werden könnten, vor allem auch was die Literatur betrifft. Meine Absicht aber war es,<br />
einen ersten Durchblick durch den ganzen Exerzitienprozeß zu geben, soweit er im<br />
Vergleich mit der Existenzanalyse relevant ist. Für die Feinarbeit – aus jedem<br />
Themenkreis könnte man eine Arbeit schreiben – bleibt noch viel Raum.<br />
1<br />
Eine Parallele zum Exerzitienbuch zieht auch JH Schulz – wenn auch nur punktuell – im „Autogenen<br />
Training“ (1991) 326, 337f.
7<br />
Noch einige Anmerkungen zur Arbeit. Als Text für das Exerzitienbuch wählte ich, falls<br />
nicht anders angegeben, die Übersetzung von Hans Urs v. Balthasar. Die Gründe<br />
dafür sind wieder persönliche: erstens habe ich während meiner 13 jährigen Tätigkeit<br />
als Exerzitienleiter diesen Text verwendet, zweitens hat mich Balthasar in meinem<br />
Theologieverständnis entscheidend geprägt. Darüber hinaus gibt es noch einen<br />
interessanten Zusammenhang. Balthasar hat in seiner Wiener Zeit, als er<br />
Germanistik studierte, bei R. Allers gewohnt (vgl. Krenski 1995, 14), der wiederum<br />
Lehrer von V. Frankl war. Balthasar fand seinen Weg in der Studentenzeit „weniger<br />
durch brillante Dozenten als durch Begegnung mit Inspiratoren, die ihn förderten und<br />
ihm persönlich verbunden waren .... So sprach er später von Rudolf Allers, Erich<br />
Przywara ... Paul Claudel...“ (Krenski 1995, 158f). - Im Text dieser Arbeit wird das<br />
Exerzitienbuch mit „EB“ zitiert. Die Zahl danach bezieht sich auf den jeweiligen<br />
Abschnitt. Ein zweites wichtiges ignatianisches Dokument ist die Autobiographie, die<br />
Ignatius selbst den Titel „Bericht des Pilgers“ gegeben hat. Dieser wird in der Arbeit<br />
mit „PB“ angegeben. Die Zahl gibt dann das jeweilige Kapitel an.<br />
Zwei persönliche Vorlieben fließen noch in diese Arbeit ein: Es ist einerseits der<br />
wiederholte Bezug auf die Hl. Schrift, sowohl des Alten als auch des Neuen<br />
Testaments. Die Bibel ist für mich der Grundtext jeglicher Spiritualität. Ignatius selbst<br />
sieht in der Schriftbetrachtung ein Kernstück des Exerzitienprozesses (vgl. EB 2,<br />
101-136, 262-312). Für ihn ist das Leben Jesu entscheidend. Ich persönlich glaube,<br />
daß auch das Altes Testament für den inneren Prozeß von großer Bedeutung ist. In<br />
der heutigen Exerzitienpraxis wird es vielfach verwendet. Andererseits besteht eine<br />
zweite Vorliebe im Rekurs auf die Benediktusregel, was aus meiner 20 jährigen<br />
Zugehörigkeit zum Benediktinerorden zu erklären ist. Das Dokument der<br />
Benediktusregel (Benedikt von Nursia lebte 480 – 547) gehört zum Grundbestand<br />
christlicher Spiritualität (vgl. dazu: Balthasar 1980). Zudem hat Ignatius auch einen<br />
wichtigen biographischen Bezug zum Benediktinischen: im Kloster Montserrat hatte<br />
er ein entscheidendes Bekehrungserlebnis und erhielt wichtige Impulse für die<br />
Schriftbetrachtung (vgl. dazu Kiechle 2001, 25f) .Die Benediktusregel wird im Text<br />
immer mit „RB“ (Regula Benedicti) zitiert. Die erste Zahl bezieht sich auf das Kapitel,<br />
die zweite auf den Vers.
2. Ziel und Aufriß der Wege<br />
2.1. Ziel der Exerzitien und der Existenzanalyse<br />
8<br />
Am Anfang dieser Arbeit soll das Ziel der Exerzitien und der Existenzanalyse<br />
beschrieben und eine Definition beider Wege (im Sinn von Met-hode) gegeben<br />
werden. Lassen wir zuerst Ignatius selbst zu Wort kommen, der an den Beginn des<br />
Exerzitienbuches eine Definition von Geistlichen Übungen, wie er die Exerzitien<br />
bezeichnet, gibt (EB 1).<br />
Unter geistlichen Übungen versteht man jede Art, das Gewissen zu erforschen<br />
(considerar), sich zu besinnen (meditar), zu betrachten (contemplar), mündlich und im<br />
Geiste (mental) zu beten und andere geistige Tätigkeiten, wie später<br />
erklärt wird. Denn wie Lustwandeln, Ausschreiten und Laufen körperliche Tätigkeiten<br />
sind, so nennt man geistliche Übungen jede Weise, die Seele vorzubereiten (preparar)<br />
und in Bereitstellung zu setzen (disponer) , dazu hin<br />
(para), alle ungeordneten Neigungen (affectiones) von sich zu tun, und nachdem sie<br />
abgelegt sind, (para) den göttlichen Willen zu suchen und zu finden in der Einrichtung<br />
(disposicion) des eigenen Lebens, (para) zum Heil (salud) der<br />
Seele
9<br />
Köster (1999, 34f) sieht den Schwerpunkt dieser Definition im letzten Glied des<br />
dreifach finalen Satzgefüges (dreimal para), nämlich in salud, das die Bedeutung<br />
sowohl von Gesundheit als auch von spiritueller Ganzheit (Heil) einschließt. Er deutet<br />
den oben zitierten Text (EB 1) als ganzheitliches prozeßhaftes Geschehen: Der<br />
Mensch soll sich im Prozeß der Exerzitien innerlich von dem lösen, was seiner<br />
innersten Bestimmung widerspricht, um sich vielmehr darauf auszurichten, was<br />
seiner innersten Bestimmung entspricht, um so seelisch heil und gesund zu werden<br />
(Köster 1999, 34). Zusammenfassend beschreibt Köster (1999, 35) das Ziel der<br />
Exerzitien „in der Ausrichtung des Lebens auf Gott seelisch - geistlich gesund und<br />
heil zu werden, auf jene einmalige Ganzheit hin zu wachsen, zu der jeder Mensch<br />
von Gott angelegt ist.“ Abschließend wird noch Irenäus von Lyon (+202) zitiert: “Die<br />
Ehre Gottes ist der lebendige Mensch“ (Köster 1999, 35).<br />
Bemerkenswert ist weiterhin eine Kurzdefinition der Exerzitien, die Ignatius in EB 21<br />
gibt. Er sieht den Sinn der geistlichen Übungen darin, „sich selbst zu überwinden und<br />
sein Leben zu ordnen, ohne sich durch irgendeine Neigung, die ungeordnet wäre,<br />
bestimmen zu lassen“ (EB 21). Es geht auch in dieser Beschreibung um die<br />
Entfernung, Überwindung ungeordneter 2<br />
Neigungen, m. a. W. um die Befreiung von<br />
a-personaler Fremdbestimmung. Die dadurch erreichte Selbstverfügbarkeit und<br />
Selbstbestimmung ist keine absolute, sie ist rückgebunden an den Schöpfer. Wie<br />
nun diese Überwindung geschieht, ist Gegenstand der erste Woche (4.2). In der 3.<br />
Woche wird dann das Suchen und Finden des göttlichen Willens entfaltet (4.3.).<br />
Was ist nun Existenzanalyse? Sie wird von A. Längle (vgl. dazu Längle A 2001b)<br />
beschrieben als Therapierichtung für die Behandlung seelischer Störungen wie<br />
Ängste, Depressionen, Hysterie, Persönlichkeitsstörungen, Süchte u. a. m.<br />
Begründet wurde sie in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts vom Psychiater V.<br />
E. Frankl und von A. Längle ab den 80er Jahren in der „Wiener Richtung“ (Längle A<br />
2001b 183) weiterentwickelt. In der existenzanalytische Therapie geht es darum, das<br />
Wesen des Menschen – inmitten seiner Herausforderung und Unruhe – zum Vollzug<br />
zu bringen. Es soll das aktiviert werde, was der Mensch kann und soll. Die<br />
2 Bemerkenswert der Ausdruck der Unordnung. Er begegnet wieder im englischen Ausdruck der<br />
Persönlichkeitsstörungen „personality disorder“ (Pschyrembel 1994, 1175)
10<br />
fundamentalen Fragen lauten: Wie komme ich zu einer erfüllten Existenz? Was sind<br />
die Grundbedingungen für eine erfüllte Existenz? (vgl. Längle A 2001a, 7). Der<br />
Betroffene soll durch die Therapie zu einem atmenden Austausch mit sich und der<br />
Welt kommen und damit seinen Auftrag, nämlich das zu verwirklichen, wofür er<br />
„geschaffen“ wurde, auszuführen. Darin besteht die Selbstfindung. Ziel der<br />
Existenzanalyse ist es, Menschen zu helfen, mit innerer Zustimmung zu handeln und<br />
zu leben. Darin kommt die Authentizität, die personale Echtheit zum Ausdruck. Die<br />
Freiheit der Person im ständigen Ja zum eigenen Handeln wird dadurch realisiert.<br />
Längle definiert 1990 die Existenzanalytische Psychotherapie (Längle 1990, 255) als<br />
„prozeßhafte Begleitung und Anleitung des Patienten zu einem neuen Umgang mit<br />
sich und mit der Welt." 10 Jahre später lautet die Definition in folgender Weise<br />
(Längle, Tutsch 2000, 17):<br />
Existenzanalyse kann definiert werden als eine phänomenologische, an der Person<br />
ansetzende Psychotherapie, mit dem Ziel, der Person zu einem (geistig und emotional)<br />
freien Erleben, zu authentischen Stellungnahmen und eigenverantwortlichem Umgang<br />
mit sich und ihrer Welt zu verhelfen. In einfachen Worten: die existenzanalytische<br />
Psychotherapie hat zum Ziel, den Menschen zu befähigen, mit innerer Zustimmung zum<br />
eigenen Handeln und Dasein leben zu können.<br />
Diese „innere Zustimmung“ oder das „Ja zum Leben“ (Ausbildungskurs 28.9.-<br />
2.10.1998) drückt sich in vierfacher Weise nach zwei Richtungen (zu mir und der<br />
Welt hin) aus: Es ist erstens ein Ja zum eigenen Körper und zu den Bedingungen in<br />
der Welt, zweitens ein Ja zu den eigenen Emotionen und den Werten, die mich<br />
ansprechen, drittens ein Ja zum Selbstsein, zur Authentizität der eigenen Person und<br />
den Andersheiten in den Begegnungen und viertens ein Ja zur eigenen Biographie<br />
und den situativen Anfragen, bzw. den letzten Sinnzusammenhängen.<br />
(Ausbildungskurs 28.9. – 2.10.1998) Zusammenfassend könnte man sagen, daß die<br />
Existenzanalyse in die Kategorie „,existentieller Psychotherapierichtungen´<br />
zuzuordnen ist, die dem therapeutischen Grundprinzip der Wiederherstellung der<br />
dialogischen Austauschfähigkeit mit der Welt folgen.“ (Längle, Tutsch 2000, 17).<br />
Beim ersten Durchlesen der beiden Zielsetzung fallen wenige Übereinstimmungen
11<br />
auf. In den Exerzitien geht es darum, die ungeordneten Neigungen zu entfernen und<br />
den göttlichen Willen zu suchen und zu finden. Davon ist in der<br />
Existenzanalysedefinition expressis verbis nichts zu finden. Bemerkenswert ist das<br />
Ziel des Weges im Exerzitienbuch (nach Köster) salud (Heil/Heilung). In der EA läßt<br />
sich kein Ausdruck von Gesundheit bzw. Heilung finden, der Sachverhalt wird aber<br />
personal - existentiell ausgedrückt als „neuer Umgang mit sich und der Welt“ (Längle<br />
1990, 225), bzw. „mit innerer Zustimmung zum eigenen Handeln und Dasein leben<br />
(Längle, Tutsch 2000, 17).<br />
An dieser Stelle möchte ich eine Anmerkung zum Thema Heil und Heilung machen.<br />
A. Längle zitiert in seinem Vortrag „Psychotherapie – Methode oder Spiritualität?“<br />
(2001b) bei den Salzburger Hochschulwochen 2001 Frankl, der kategorisch die<br />
beiden Termini Heil und Heilung zuweist: „Das Ziel der Psychotherapie ist<br />
seelische Heilung. Dem gegenüber ist das Ziel der priesterlichen Seelsorge das<br />
Seelenheil.“ (Frankl 1959, 704). A. Längle führt weiter aus: „Psychotherapie stellt<br />
kein Heilsversprechen dar, sondern kennt nur statistische Häufungen von<br />
Besserungen sie verheißt kein Leben nach dem Tod. Psychotherapie kann also<br />
kein Heil vermitteln, sondern nur Heilung anregen“ (Längle A 2001b, 181). Köster<br />
legt nun das entscheidende Wort salud in EB 1 nicht nur als Heil aus, wie es<br />
traditionellerweise geschieht, aus, sondern auch als Gesundheit, also ein Begriff aus<br />
der Heilkunde. Es geht nach dieser Auslegung der Exerzitien auch um seelische<br />
Heilung, um Gesundheit. Daß diese Ansicht in der großen biblisch-spirituellen<br />
Tradition eingebettet ist, mag der Hinweis auf die Stelle in Johannes 5,1-18 dienen,<br />
in der es zunächst um die Heilung eines Menschen geht, der 38 Jahre lange krank<br />
war. „Willst du gesund (hygies) werden?“ (Joh 5,6) fragt ihn Jesus. Bemerkenswert<br />
ist zunächst, daß Jesus die Zustimmung, den freien Willen des Kranken einholt.<br />
Nach seiner Heilung wird er vom Herrn noch einmal angesprochen: „Jetzt bist du<br />
gesund, sündige nicht mehr, damit dir nicht noch Schlimmeres zustößt“ (Joh 5,14).<br />
Es gibt noch etwas Tragischeres als krank zu sein, nämlich „zu sündigen“, m. a. W.:<br />
das Ziel seines Lebens zu verfehlen (vgl. dazu 4.2.2.3.). – In der Existenzanalyse<br />
geht es nach Frankl um „seelische Heilung“ (Frankl 1959, 704), um „Besserung von<br />
Symptomen“ (Längle A 2001b 181). A. Längle schreibt im Lehrbuch der<br />
Existenzanalyse über den Begriff des „Existierens“: „Im Sich-Einlassen und<br />
Engagieren ist der Mensch ‚ganz‘ er selbst, ‚ganz‘ in jenem ursprünglichen Sinn des
12<br />
Begriffes ‚heil‘... es entsteht ein emotionaler Bezug zur Welt“ (2001a, 7). Nach allem,<br />
was ich in der Ausbildung mitbekommen habe, geht es in dieser Therapierichtung um<br />
mehr als nur um die Besserung von Symptomen, es geht um den<br />
Sinnzusammenhang, um die große Perspektive des Lebens. In der<br />
existenzanalytische Sichtweise wird auch der Tod ins Leben miteinbezogen 3<br />
. Ein<br />
Ausspruch A. Längles hat sich mir in diesem Zusammenhang stark eingeprägt: „Der<br />
Tod mag sein und ich kann trotzdem leben.“ Dies hat wesentlich mit Heil zu tun,<br />
wenn durch die existenzanalytische Psychotherapie eine Lebensperspektive eröffnet<br />
wird, die das ganze Leben umschließt und die Möglichkeit eröffnet, auch über den<br />
Tod hinauszugehen. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang ein (leider!)<br />
unveröffentlicher Vortrag von A. Längle zum Thema Heil, in dem er die<br />
Tiefendimensionen ausführt, in der abschließenden Zusammenfassung auf G. Funke<br />
verweisend: „Die anthropologischen Voraussetzungen des Heilens sind daher, wie<br />
FUNKE (1982) ausführt, nicht im ‚störungsfreien und beziehungsoptimalen Ablauf<br />
der biophysischen Funktionen‘ gelegen, was im Begriff ‚Gesundheit‘ aufgeht.<br />
Menschliches Sein vollzieht sich nicht auf dieser Ebene, sondern in dem ihm zur<br />
Verwirklichung in Freiheit aufgegebenen Lebenssinn. Ob jemand Heilung erfährt<br />
entscheidet sich daran, ob und wie er seinen Lebenssinn verwirklichen kann‘“<br />
(Längle A 1982, 22).<br />
Im Workshop „Sinn als Kategorie von Heil und Heilung“ 4<br />
haben D. Trobisch und ich<br />
folgende These vertreten: Psychotherapie und Seelsorge gehen den gleichen<br />
(induktiven, d. h. vom Menschen ausgehenden) Weg. In der Psychotherapie kann die<br />
Frage nach Gott aufbrechen, in der Seelsorge bricht sie auf.<br />
Noch ein Wort zum Üben: Ignatius sieht einen entscheidenden Faktor in den<br />
Exerzitien im Üben. A. Längle spricht über die Psychotherapie von einer „Arbeit, die<br />
mitunter schmerzlich und leidvoll sein kann“ (Längle A 2001b, 181). In beiden<br />
Prozessen geht es also auch um Arbeit, um methodisches Vorgehen.<br />
3<br />
Vgl. dazu u. a. die Ausführungen zur 4. Grundmotivation (2.2.2.1.) und zur Biographischen Methode<br />
(Längle A 2000c, 7)<br />
4<br />
„Sinn als Kategorie von Heil und Heilung. Praktische Verhältnisbestimmung von Seelsorge und<br />
Psychotherapie“ auf dem Jahreskongreß 2000 der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse<br />
(„Wenn der Sinn zur Frage wird“)
13<br />
Beide Formen verstehen ihre Konzepte als Wege, Prozesse: die Existenzanalyse als<br />
„prozeßhafte Begleitung und Anleitung des Patienten“ (Längle 1990, 225), die<br />
Exerzitien als geistliche Übungen in einer Länge von 4 Wochen (EB 4), in denen sich<br />
der Mensch bereiten und disponieren soll auf den Willen Gottes hin (vgl. EB 1).<br />
Ignatius spricht in seiner Definition von Negativem, das überwunden werden muß:<br />
„alle ungeordneten Neigungen von sich zu tun“ (EB 1). Die EA drückt dies in ihrer<br />
Definition positiv aus: „zu einem freien Erleben verhelfen“ (Längle, Tutsch 2000,<br />
17). In einer anderen Definition der EA werden sehr wohl die Störungen<br />
angesprochen, in der EA „als Analyse der Bedingungen auf Existenz hin“ (Winklhofer<br />
1987, 38) beschrieben wird. Analyse der Bedingungen, die Hindernisse, die<br />
Blockaden für den Vollzug der Existenz zu orten und aufzulösen (vgl.<br />
Ausbildungskurs). Im „Suchen und Finden des göttlichen Willens“ (EB 1) könnte man<br />
eine Entsprechung zur authentischen Stellungnahme und zum eigenverantwortlichen<br />
Umgang mit sich und der Welt sehen. Diese Behauptung wird in späteren Kapiteln<br />
(bes. in 4.3.) weiter entfaltet.<br />
Eine bemerkenswerte Parallele zum „Ja zum Leben finden“ (Ausbildungskurs 28.9.-<br />
2.10.1998) zeigt sich in einer Beschreibung der Exerzitien von Lambert (2000, 32).<br />
Geistliche Übungen sind „Einladungen an den Menschen, ,Ja‘ zu sagen zu den<br />
Entscheidungen der ,Menschen-freundlichkeit Gottes‘, die in Christus erschienen ist<br />
(vgl. Tit 3,4): Ja zur schöpferischen Liebe, Ja zur erlösenden Liebe, Ja zur rufenden<br />
und sendenden Liebe, Ja zum Leben der Liebe noch im Sterben, Ja zur siegenden,<br />
auferstandenen und vollendenden Liebe“.<br />
Als weitere gemeinsame Tiefenstruktur fällt auf, daß der Mensch in beiden<br />
Konzepten ein Angesprochener, ein Angefragter ist: vom Willen Gottes in den<br />
Exerzitien, von der Welt, vom Leben in der Exitenzanalyse. Als Angesprochener ist<br />
der Mensch zur Antwort eingeladen. In der Existenzanalyse geht es um die freie,<br />
personale Antwort, um die „innere Zustimmung...zum Dasein“ (Längle, Tutsch 2000,<br />
17). Das EB drückt es im Suchen und Finden des göttlichen Willens (EB 1) aus.<br />
Diese Formulierung mutet eher starr an. Bleibt da Raum für persönliche Freiheit, für<br />
einen Umgang mit dem Anspruch, der mich erreicht? Diese Frage, ob das Suchen<br />
und Finden des Willens Gottes eine dialogische Struktur und damit Raum für Freiheit<br />
aufweist, wird in 4.3. nachgegangen.
14<br />
Beide: Gott (EB) und Welt, bzw. Leben (Existenzanalyse) sprechen den Menschen<br />
an. Gott und Welt scheinen jedoch ein kontradiktorischer Gegensatz zu sein, vor<br />
allem wenn man an die Theologie des Johannes (z.B. 1,10) oder des Paulus (z.B.<br />
1Kor 2,12) denkt. Welt im existentiellen Sinn aber bedeutet Anspruch von außen, von<br />
der Situation her, auf die es zu antworten gilt. Analog dazu wird Gott bei Ignatius als<br />
jemand beschrieben, der sozusagen von außen ruft (vgl. EB 91 ff), der aber<br />
andererseits in allen Geschöpfen wohnt, in den Elementen Dasein, in den Pflanzen<br />
wachsendes Leben, in den Tieren sinnliches Fühlen, in den Menschen geistige<br />
Einsicht verleihend“ (EB 235). Kurz gesagt: Gott ist in Allem und er spricht mich in<br />
allen Situationen an; Gott begegnet mir in der Realität, in dem, was ist, theologisch<br />
ausgedrückt in der Immanenz. Es bedarf dann der Gabe der Unterscheidung (EB<br />
314ff), ob dieser vermutete Anruf wirklich ein Anruf Gottes ist und schließlich bedarf<br />
es der Entscheidung (EB 169ff) zu antworten bzw. sich einzulassen. Dazu möchte<br />
ich die Behauptung aufstellen, daß Gott in den Exerzitien und Welt bzw. Leben in der<br />
Existenzanalyse analog zu gebrauchen sind, insofern es sich um den situativen<br />
Anspruch handelt, dem es zu antworten gilt. Der große Unterschied aber besteht<br />
darin, daß es in den Exerzitien um das persönliche Du Gottes geht, auf das ich mich<br />
einlassen soll, Welt ,bzw. Leben jedoch nicht personal sind. Kann ich es wagen, mich<br />
der Welt zu überlassen? Andererseits: „niemand hat Gott je gesehen“ (Joh 1,18)<br />
außer der Sohn - und die Gotteserfahrung führt nach dem 1. Johannesbrief über den<br />
Menschen, den Bruder (1 Joh 4,12.20) über die Welt. So schließt sich der Kreis<br />
wieder zur Aussage des Ignatius “Gott in allen Dingen“ (EB 235): Gott zeigt sich in<br />
(trotz) seiner Transzendenz als immanenter eingefleischter (inkarnierter) Gott.<br />
Letztendlich bleibt aber doch ein Unterschied im Sich-Einlassens auf ein personales<br />
Du als letzten Urgrund (Exerzitien) bzw. auf eine nicht personale Welt<br />
(Existenzanalyse) bestehen. Dies macht m. M. n. einen, vielleicht den wesentlichen<br />
Unterschied zwischen Psychotherapie und Seelsorge aus.<br />
2.2. Aufriß der Wege<br />
Nach der Beschreibung des Ziels soll bereits am Beginn der Arbeit ein kurzer Aufriß<br />
der beiden Wege zu ihren jeweiligen Zielen hin gegeben werden, um den<br />
Gesamtzusammenhang leichter verstehen zu können. Zuerst wird das<br />
Exerzitienbuch mit seinem Vierwochenschema vorgestellt. Dann folgt eine<br />
Darstellung des Strukturmodells (Längle A 2001b, 187) der Existenzanalyse, den vier
15<br />
Grundmotivationen, die auch als die „Grundbedingungen ganzheitlichen Existierens“<br />
(Längle 2000, 22) bezeichnet werden und des Prozeßmodells (Längle A 2002, 2),<br />
der Personalen Existenzanalyse<br />
2.2.1. Das Vierwochenschema des Exerzitienbuches<br />
Grundsätzlich ist zu bemerken, daß eine Exerzitienwoche nicht in erster Linie eine<br />
Zeitmaß, sondern eher eine Phase, eine Einheit bedeutet (EB 4). Bevor Ignatius in<br />
seinem Vierwochenschema den Prozeß der geistlichen Übungen entfaltet, gibt er in<br />
den „Bemerkungen“ (EB 1-20) eine Art Gebrauchsanleitung bzw. einen „Kommentar<br />
oder Ausführungsbestimmungen“ (E. Przywara, zit. nach: Haas 1966, 121) für die<br />
Durchführung der Exerzitien. Diese adnotaciones, wie sie im spanischen Text<br />
heißen, erläutern zuerst das Ziel (EB 1), geben Anweisung über die Art der<br />
Betrachtung (EB 2,3), in EB 4 eine kurze Gliederung der Vierwochenstruktur, weiters<br />
eine Anweisung über die Grundhaltung dessen, „der die Exerzitien empfängt“ (EB<br />
15) und desjenigen, der sie gibt (EB 6-17), um schließlich in den letzten<br />
Bemerkungen (EB 18-20) auf besondere Bedingungen einzugehen: Anpassung an<br />
verschiedene Altersgruppen, Bildungsgrade, Zeitverhältnisse etc.<br />
Ignatius schaltet vor den vierwöchigen Kurs der Exerzitien einen Abschnitt „Prinzip<br />
und Fundament“ (EB 23). Köster (1999, 15) nennt dieses kurze Kapitel eine<br />
„Einübung in die Geistlichen Übungen“. Weiter schreibt er: „Das Prinzip und<br />
Fundament ... will dem Übenden helfen, in Erfahrung zu bringen, ob er für diesen auf<br />
Entscheidung ausgerichteten Weg disponiert ist“ (Köster 1999, 15). Es ist „auf eine<br />
äußerste Dichte gebrachte Kurzformel des gesamten Exerzitiengeschehens. Es<br />
enthält schon die gesamte Substanz der Geistlichen Übungen als<br />
Entscheidungsprozeß“ (Köster 1999, 15). Der Text mutet wie ein nüchterner<br />
Katechismussatz an:<br />
Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und<br />
Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten. Die anderen Dinge auf Erden sind zum<br />
Menschen hin geschaffen, und um ihm bei der Verfolgung seinen Zieles zu helfen, zu<br />
dem hin er geschaffen ist. ... Darum ist es notwendig, uns allen geschaffenen Dingen<br />
gegenüber gleichmütig (indiferentes) zu machen . (EB 23)
16<br />
Nach dieser „Vision des Ganzen“ Köster (1999, 17), wird die erste Exerzitienwoche<br />
(EB 24-90) beschrieben, deren Inhalt Ignatius als „Erwägung (consideración) und<br />
Betrachtung (contemplación) der Sünden“ (EB 4) angibt. Man könnte sie auch als<br />
Reinigungs- oder Umkehrphase (via purgativa) bezeichnen: „alle ungeordneten<br />
Neigungen von sich zu tun“ (EB 1). Die erste Woche beginnt mit der „besonderen<br />
und täglichen Prüfung“ (EB 24), der Gewissenserforschung oder dem<br />
Partikularexamen und schließt mit der Generalbeichte und Kommunion ab (EB 44).<br />
In diese Woche gehört auch der 1. Teil der sogenannten „Unterscheidung der<br />
Geister: Regeln, um einigermaßen die verschiedenen Bewegungen zu erklären und<br />
zu erspüren, die in der Seele sich verursachen; die guten, um sie aufzunehmen, die<br />
schlechten, um sie zu verwerfen“ (EB 313).<br />
Die zweite Woche (EB 91-189) nimmt den größten Teil des Exerzitienbuches ein, in<br />
ihr liegt auch der Schwerpunkt des Exerzitienprozesses: im Suchen und Finden des<br />
göttlichen Willens (EB 1). Es geht um den „entscheidenden Durchbruch in die<br />
Freiheit geschöpflicher Existenz“ (Köster 1999, 83), und weiterhin: der Übende soll<br />
„experimentell zur ‚Erkenntnis des wahren Lebens‘ (EB 139) finden“ (Köster 1999,<br />
83). Der Prozeß soll schließlich zur Entscheidung (Wahl) führen, „zur Besserung und<br />
Neuformung des Lebensstandes“ (EB 189) bzw. zum Vollzug einer Standeswahl (EB<br />
135ff), falls diese ansteht. Die Methode, um zu einer Entscheidung zu kommen, führt<br />
über die Strukturbetrachtungen, die in die Meditation der Geheimnisse des Lebens<br />
Jesu von der Verkündigung bis zum Palmtag eingebettet sind. Die vier<br />
Strukurbetrachtungen könnte man mit einem Handlauf vergleichen, der dem<br />
biblischen Stoff sein „eigenes Gefälle“ (Köster 1999, 83) gibt. In der ersten<br />
Betrachtung geht es um den „Ruf des Königs“ (EB 91-100), um das<br />
Angesprochensein von Gott. Die Betrachtung der „Zwei Banner“ (EB 136-148) oder<br />
„Zwei Bereiche, Existentiale“ (Köster 1999, 110) hat die Erkenntnis von gut und böse<br />
(vgl. EB 139) und die Nachfolge Christi zum Gegenstand. In der „Besinnung über<br />
drei Menschengruppen“ (149ff) wird der Übende angeleitet zu erkennen, „das Je-<br />
Bessere zu umfangen“ (EB 149). Hier taucht ein ignatianisches Grundwort, das<br />
„magis“, das „Mehr“ (Lambert 2000, 106-108) auf, das den Exerzitienprozeß<br />
durchzieht. In der letzten Strukturbetrachtung „Über die drei Weisen der Demut“ (EB<br />
164-168) geht es um die völlige Indifferenz (ein weiteres Grundwort des EB, Lambert<br />
2000, 59-61) gegenüber allem, was die Nachfolge Jesu bringt. „Dabei ist zu
17<br />
beachten, dass diese Haltung totaler Verfügbarkeit die ‚Schlagseite‘ (Vorliebe) hat,<br />
Jesus Christus ähnlicher zu werden in wirklicher Armut, in Unrecht und Verachtung“<br />
(Köster 1999, 128). Auf dieser inneren Basis traut Ignatius dem Übenden zu, eine<br />
Wahl zum Je-Besseren, bzw. eine Standeswahl zu treffen (EB 169-189). Dazu helfen<br />
die Regeln zur Unterscheidung der Geister für die zweite Woche (EB 328-333): „zu<br />
dem Zweck, die Geister noch genauer zu unterscheiden“ (EB 328).<br />
In der dritten und vierten Woche geht es allein um die Betrachtung des gekreuzigten<br />
und auferstandenen Herrn, um das „Paschamysterium in den Exerzitien“ (Köster<br />
1999, 185). Bedeutsam ist der je-eigene Glaubensweg, „der in der schmerzlich<br />
befreienden Dialektik des Paschamysteriums zur Entfaltung und Reife kommt. Der<br />
ganze Prozeß der Geistlichen Übungen steht im Gefälle dieses Grundgeheimnisses<br />
unseres Glaubens“ (Köster 1999, 186). Wie bereits erwähnt, wird die dritten und<br />
vierten Exerzitienwoche in dieser Arbeit nicht behandelt.<br />
Nach der vierten Woche setzt Ignatius die zu Herzen gehende „Betrachtung zur<br />
Erlangung der Liebe“ (EB 230-237), die wie das „Prinzip und Fundament“ (EB 23)<br />
nicht zum Vierwochenschema gehört. Köster nennt diese Betrachtung „Brennpunkt<br />
einer Linse“ (1999, 15), der die ganze Dynamik zusammenfaßt und den Übergang in<br />
den Alltag ermöglichen will. (vgl. Köster 1999, 15). Nach der Anleitung „Drei Weisen<br />
zu beten“ (EB 238-248) fügt Ignatius Betrachtungsanweisungen über die<br />
„Geheimnisse des Lebens Christi“ (EB 261- 312) hinzu. Nach den schon erwähnten<br />
„Regeln zur Unterscheidung der Geister“ (EB 312-336) folgen die Kapitel „Im Dienst<br />
der Almosenverteilung“ (EB 338-344) und Bemerkungen, „um Skrupeln und Einflüsterungen<br />
unseres Feindes zu merken und zu erkennen“ (EB 345-351). Die<br />
schwer zu verstehenden Regeln zur „Kirchlichen Gesinnung“ (EB 352-370) schließen<br />
das Exerzitienbuch ab.<br />
2.2.2. Strukturmodell und Prozeßmodell der Existenzanalyse<br />
2.2.2.1. Strukturmodell: Die vier Grundmotivationen<br />
Die vier Grundmotivationen werden am Beginn ausführlich beschrieben, da im Laufe<br />
dieser Arbeit immer wieder auf sie Bezug genommen wird. 1993 (Längle A 2000a,<br />
22) wurde dieses Strukturmodell von A. Längle in die Existenzanalyse eingeführt.
18<br />
Man könnte sie als den Grundstock oder das Herzstück der existenzanalytischen<br />
Lehre bezeichnen. Im Unterschied zum Prozeßmodell, der Personalen<br />
Existenzanalyse, auch Wirkinstrument (Längle A 2002, 2) genannt, „steht das<br />
Konzept der personal-existentiellen Grundmotivationen als zentralem Wirkinhalt“<br />
(ebd.) dieser gegenüber. Die Grundmotivationen erweitern die Franklsche<br />
Motivationstheorie durch „die Beschreibung dreier vorangegangener und sie<br />
bedingender persönlichkeitsstrukturierender Motivationen“ (Längle A 2000a, 22) und<br />
bilden die „Grundbedingungen ganzheitlichen Existierens“ (ebd.). Vier Bereiche<br />
werden angesprochen: erstens die Welt und ihre Bedingungen und Möglichkeiten,<br />
dann das Leben in seiner ganzen Vitalität, drittens die eigene Person in ihrem Selbst-<br />
Sein und viertens die Zukunft mit der damit verbundenen Aufforderung zum Handeln<br />
und zum Sich-Einbringen in das Lebensgefüge, in dem der Mensch steht (vgl. dazu<br />
Längle A 2001b, 186). Diese vier Bereiche sind keinesfalls als statisch anzusehen,<br />
sondern stellen eine dynamische Herausforderung dar: Die Motivation zum<br />
physischen Überleben und zur geistigen Daseinsbewältigung im Dasein-Können, die<br />
Motivation zur psychischen Lebenslust und zum Werterleben im Leben-Mögen, die<br />
Motivation zur persönlichen Authentizität und zur Gerechtigkeit im Sosein-Dürfen und<br />
die Motivation zum existentiellen Sinn im Handeln-Sollen (Längle A 2001b, 187). Als<br />
Mensch bin ich von der Existenz vor eine vierfache Frage gestellt: Die Grundfrage<br />
der Existenz: „Ich bin – kann ich sein?“, die Grundfrage des Lebens: „Ich lebe – mag<br />
ich leben?“, die Grundfrage der Person: „Ich bin – darf ich so sein?“ und die<br />
Grundfrage der Existenz „Ich bin da – wofür ist das gut?“ Vier Modalverben drücken<br />
diese vier Bereiche treffend aus: können, mögen, dürfen, sollen. Wenn alle vier<br />
Verben „bei einer Handlung zutreffen, kann von echtem Wollen gesprochen werden“<br />
(Längle A 2002, 3). – Nun werden die vier Grundbedingungen der Existenz im<br />
Einzelnen beschrieben.<br />
2.2.2.1.1. Sein-Können<br />
Die erste Bedingung beruht auf dem banalen Faktum, daß ich bin, daß ich überhaupt<br />
da bin. Kann ich überhaupt sein? Wer, was trägt mich? Bin ich im Kosmos gehalten<br />
oder treibe ich wie eine Nußschale im Ozean des Seins? Kann ich dieses Dasein<br />
überhaupt bewältigen? Was brauche ich nun für dieses fundamentale Dasein? Drei<br />
Faktoren werden dafür angegeben: Halt, Raum und Schutz. „Habe ich genügend<br />
Raum, um da zu sein? – Was gibt meinem Leben Halt? – Habe ich Schutz,<br />
Angenommensein, Heimat, ein Zuhause?“ (Längle A 2001b, 191). Fehlt diese Basis,
19<br />
entsteht Unruhe, Unsicherheit, Angst. Ist Vertrauen in den letzten seinsgebenden<br />
Halt da, ist die Bedingung der Möglichkeit für Existenz gegeben. Grundvertrauen in<br />
den Seinsgrund wird diese Realität existenzanalytisch bezeichnet (vgl. Längle A<br />
2001b, 191f). Die Brisanz dieses Themas kommt etwa in der Frage zum Ausdruck:<br />
Würde alles zusammenbrechen (wie Gesundheit, Partnerschaft, Beruf), was würde<br />
mich dann noch am Leben halten? Hätte ich noch einen letzten Grund, der mich bis<br />
in den Tod hinein begleiten würde oder wäre dann nur mehr gähnende Leere? Wäre<br />
es ein Fall in das Nichts, eine Ver-nichtung? In der existenzanalytische Therapie geht<br />
es nun nicht um das Postulat eines letzten Halts, sondern um das ahnende<br />
Wahrnehmen dieser Realität.<br />
Induziert wird diese Grundgewißheit durch das Angenommensein. Die zentralen<br />
Tätigkeiten der ersten Grundmotivation sind das Annehmen der Realität. Wenn das<br />
personale Ja dazu noch nicht gegeben werden kann bleibt als erster Schritt das<br />
Aushalten des Unabänderlichen, der Faktizität. Denn die tiefste „Erfahrung von<br />
Gehaltensein erlaubt es mir, ein „Ja zur Welt“, ein „Ja zum Dasein“ und zu seinen<br />
Bedingungen zu geben – die Einwilligung und Zustimmung zu geben zu dem, was<br />
ist, so dass ich es als gegeben annehmen kann und das, was schwer ist, letztlich<br />
aus-halten kann“ (Längle A 2001b, 192). Das personale Instumentarium der ersten<br />
Grundmotivation ist das Wahrnehmen des Faktischen, die Kognition. Die personalen<br />
Fähigkeiten bestehen neben dem schon erwähnten Vertrauen in Mut und Demut,<br />
Hoffnung, Treue, Wahrheit und Glaube. Weiters wird die erste Grundmotivation dem<br />
Körper zugeordnet. Ist dieser existentielle Bereich gestört, bilden sich Angst-, Panik-,<br />
aber auch Zwangsstörungen aus. Angst ist aber ein ubiquitäres Phänomen, das sich<br />
in allen anderen existentiellen Bereichen – bisweilen verdeckt – zeigt. Ihre Wurzel<br />
hat sie aber in diesem basalen Bereich der ersten Grundmotivation.<br />
2.2.2.1.2. Leben-Mögen<br />
Hat der Mensch Raum in der Welt, stellt sich auch Leben ein. Bietet die erste<br />
Grundmotivation sozusagenden Boden und spannt den Raum auf, so erfüllt die<br />
zweite Grundmotivation diesen mit Qualität. Mag ich dieses Leben? Wie fühlt es sich<br />
an? Ist es gut? Hier geht es um die pathische Dimension, denn „Dasein wird<br />
von mir erlebt und erlitten“ (Längle A 2001b, 193). Es geht weiter um das Lebendig-<br />
Sein, um Emotion, um Freude und Trauer, um Wärme, um Farbe im Grau des<br />
Daseins. Um das Leben zu mögen, brauche ich wieder dreierlei: Nähe, Zeit und
20<br />
Beziehung. Lasse ich mich berühren vom Leben? Kann ich Nähe zu allem<br />
Geschaffenem aufnehmen, auch zu mir und – kann ich diese auch halten? Wofür<br />
nehme ich mit Zeit? Kann ich verweilen oder hetze ich von einem Ort zum anderen?<br />
Habe ich Beziehungen, in denen ich Nähe fühle, worin ich Zeit verbringe und mich<br />
verbunden weiß? Hier wendet sich der Mensch dem Leben zu und die Tiefe der<br />
Person gerät in Schwingung mit sich selber und mit der Welt. Diese Erfahrung bildet<br />
den Grundwert des Daseins, das tiefste Gefühl für die Welt des Lebens. Waren<br />
annehmen und aushalten die personalen Aktivitäten der ersten Grundmotivation, so<br />
sind diese zuwenden und trauern für die zweite. Die personalen Fähigkeiten sind auf<br />
dieser Ebene Emotion, Liebe, Verbundenheit, Lebenslust, Genuß, Freude und<br />
Trauer. Das psychische Instrumentarium besteht im Fühlen, wie etwas ist, im Mit-<br />
Fühlen, in der Emotion. Diese existentielle Ebene wird der Psyche zugeordnet. Wenn<br />
dieser Bereich gestört ist, zeigt sich dies in der Depression.<br />
2.2.2.1.3. Selbstsein-Dürfen<br />
So wichtig das emotionale Schwingen in der Tiefe der Seele, das Sich-Einlassen,<br />
das Verschmelzen mit dem Du ist, so reicht es nicht für eine erfüllte Existenz aus. Bei<br />
aller Verbundenheit empfindet sich der Mensch als anders, als verschieden.<br />
Einzigartigkeit, Individualität, Subjekthaftigkeit und Personsein sind unverrückbare<br />
Konstanten menschlicher Existenz, die er in seinen Entscheidungen zu<br />
berücksichtigen hat. Ich bin. Aber darf ich so sein? Die Auseinandersetzung mit<br />
dieser Frage führt zum Aufbau einer inneren Struktur, der Identität, Authentizität,<br />
Selbstfindung und Ethik. Im Blickwinkel der dritten Grundmotivation sind die Themen<br />
Grenze, Abgrenzung gegenüber anderen wichtig, um das je-Eigene der Person in<br />
den Blick zu bekommen. Um dies zu bewältigen, bedarf es wieder dreierlei:<br />
Beachtung, Wertschätzung und Rechtfertigung. Von wem werde ich eigentlich<br />
angesehen, be-achtet? Wofür erhalte ich Wertschätzung, wofür kann ich mich selber<br />
schätzen? Kann ich zu meinem Verhalten stehen, vor mir be-stehen? Wenn ja, finde<br />
ich mich selber, meine Authentizität, meinen Selbstrespekt Die Summe dieser<br />
Erfahrungen bilden den Selbstwert, das Personsein, den tiefsten Wert des eigenen<br />
Ich aus. Aus dieser Tiefe meines Personseins vernehme ich etwas wie eine Stimme,<br />
ein Gespür, das sich gefühlsmäßig anmeldet und mir etwas be-deutet, sagt, spüren<br />
läßt. Dieses Phänomen wird als Gewissen, das Personalissimum bezeichnet.<br />
Personsein heißt nun: sich in Empfang nehmen, bereit sein für das, was es in mir<br />
sagt. Und dieses es ist nicht fremd, es wird als zu mir gehörig, als meinig empfunden,
21<br />
obwohl es mich in meinem Bewußtsein überschreitet. Ich bin mir nun anvertraut, in<br />
die Hand gegeben, überantwortet. Der Ort dieser Begegnung (ich mit mir) ist die<br />
Intimität, die Keimschicht der Person. Hierin ist auch die Authentizität begründet. Sie<br />
ist die Haltung der Offenheit sich selbst gegenüber und das ehrliche In-Empfang-<br />
Nehmen des Eigenen. Falls dieser Bezug zu sich (Selbstbezug) fehlt, bin ich<br />
verlassen, von mir im Stich gelassen, unerträglich einsam. Existenzanalytische<br />
Therapie bedeutet das „Lernen des inneren Gesprächs; des Aufnehmens der<br />
personalen Beziehung zu sich, aus der heraus die Beziehung zur Welt auch personal<br />
werden kann“ (Längle A 2001b, 198).<br />
Die personale Aktivität auf dieser Ebene besteht im Gegenübertreten, An-sehen, Zu-<br />
Sich-Selbst-Stehen, Abgrenzen und Stellungnehmen. Die Folge davon ist<br />
Authentizität, Respekt und Würde, Muße, Trostfindung, Reue und Verzeihen. Das<br />
psychische Instrumentarium besteht im Hin-spüren und in der Position. Die dritten<br />
Grundmotivation wird dem Geist zugeordnet. Störungen in diesem existentiellen<br />
Bereich führen zu Hysterie und Narzissmus.<br />
2.2.2.1.4. Handeln-Sollen<br />
Die Vernunft des Menschen verlangt, das Dasein in einem größeren Zusammenhang<br />
eingebettet zu sehen, „worin die eigene Existenz verstehbar wird und trotz ihrer<br />
Vergänglichkeit aufgehen kann“ (Längle A 2002, 7). Die Vernunft will erkennen,<br />
worum es im Leben gehen soll. Die Voraussetzungen dafür sind wieder dreifach:<br />
Strukturzusammenhang, Tätigkeitsfeld und Zukunft. – Sehe und erlebe ich mich in<br />
einem größeren Zusammenhang, der meinem Leben Ordnung und Struktur gibt?<br />
Familie, Arbeitsplatz, Natur, Einbindung in die Gesellschaft (als zóon politikón), die<br />
Vernetzung mit dem Kosmos sind Stichworte, die in Strukturzusammenhang fallen. –<br />
Habe ich etwas, wo ich benötigt werde, wo ich produktiv sein kann? Diese Fragen<br />
betreffen das Tätigkeitsfeld, „das mit Verantwortung verbunden ist und dem<br />
Menschen Aufgaben stellt, Erlebnismöglichkeiten bietet und Einstellungen<br />
abverlangt“ (Längle A 2002, 7). Hier geht es um das Größere, in dem die Einzeltat<br />
aufgeht. Im Punkt Zukunft könnte man die Intentionalität allen Tuns<br />
zusammenfassen: Woraufhin ist mein Tun ausgerichtet, gibt es Entwicklung und<br />
Entfaltung? Auf dieser letzten Ebene ist der telos angesprochen: nicht nur das Ende,<br />
sondern auch das Ziel und der Zweck des Handelns, man könnte auch sagen, der<br />
Sinn. Diesen hat Frankl als die „Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit“
22<br />
(zit. nach Längle A 2001b, 199), Längle als „die wertvollste Möglichkeit der Situation“<br />
(ebd.) bezeichnet. In diesem existentiellen Sinn, wie ihn Längle bezeichnet (ebd.)<br />
geht es um das Hier und Jetzt, was gerade in der jeweiligen Situation das<br />
Wertvollste, Wichtigste und Dringlichste ist, das es zu verwirklichen gilt. Darüber<br />
hinaus fragt der ontologiosche Sinn nach den Zusammenhängen im Ganzen. So<br />
rührt die Zukunftsdimension am Mysterium, am Glauben, an der Spiritualität (vgl.<br />
Längle A 2001b, 200).<br />
Die personale Aktivität der vierten Grundmotivation besteht in der Über-ein-stimmung<br />
mit der Situation, im Prüfen, ob der Akt gut ist für mich und die Welt und schließlich<br />
im Handeln. – Die personalen Fähigkeiten sind Hingabe, Tat, diese Ebene berührt<br />
aber auch die Sinnfrage, die Religiosität, die Spiritualität. Das psychische<br />
Instrumentarium besteht im Erkennen des situativ Geforderten bzw. Gebotenen, in<br />
der Aktion. – Wenn Defizite vorliegen, wirken sich diese als noogene Neurosen (vgl.<br />
Frankl 1991, 13f, 86f), bei schwereren Beeinträchtigungen als paraexistentielle<br />
Persönlichkeitsstörungen (Furnica 1999) aus. Störungen auf dieser Ebene haben<br />
auch Auswirkungen auch auf alle anderen existentielle Bereiche.<br />
2.2.2.2. Prozeßmodell: Die Personale Existenzanalyse (PEA)<br />
Die Personale Existenzanalyse, das Prozeßmodell und Wirkinstrument der<br />
Existenzanalyse (Längle A 2002, 2) soll an dieser Stelle nur skizzenhaft beschrieben<br />
werden, da sie später ausführlich behandelt wird (4.3.2.1.). Sie wurde von A. Längle<br />
1988 - 1990 entwickelt und stellt die „zentrale Methode der Existenzanalyse“ (Längle<br />
A 2000e, 31) dar. Ihr liegt das prozessuale Personmodell zugrunde, das den<br />
Menschen als ansprechbar (beeindruckend), verstehend (fähig zur Stellungnahme)<br />
und antwortend (fähig zum Ausdruck) sieht. Kurz ausgedrückt kann die PEA in einem<br />
Dreiecksmodell beschrieben werden: Eindruck – Stellungnahme – Ausdruck. Die<br />
daraus abgeleitete Methode erfolgt in vier Schritten. Im ersten Schritt (PEA 0), geht<br />
es um das Erfassen der Fakten, „in der sich das Selbstverhalten des Patienten in<br />
seiner Alltäglichkeit artikuliert“ (Lleras 2000, 35). Im zweiten Schritt, der<br />
„phänomenologischen Analyse“ wird die Emotionalität freigelegt und das<br />
Selbstverstehen des Patienten in seiner Situation angesprochen (vgl. Lleras 2000,<br />
35). Hier ist der Ein-druck entscheidend, der gelungen ist, wenn sich die Person in<br />
ihrer Tiefendimension angesprochen fühlt und sich eine emotionale Bewegung
23<br />
einstellt. „Welche Gefühle macht das? Welche Bewegungen stellen sich spontan<br />
ein? Was sagt mir das (eigentlich)?" (vgl. Längle Tb 2000f, 24) sind die<br />
entscheidenden Fragen, die den phänomenologischen Gehalt des Erlebens zu<br />
heben versuchen Im dritten Schritt, der inneren Stellungnahme (PEA 2), wird das<br />
„Verstehen der eigenen Existenz aus der jeweiligen Situation entwickelt“ (Lleras<br />
2000, 35). In dieser Phase „bringt sich die Person mit ihrer Authentizität, mit ihren<br />
echten ur-sprünglichen Tiefenbewegungen ins Spiel und wird dadurch<br />
selbstgestalterisch.“ (Längle A 2000f, 24). Dieser Integrationsversuch bringt die<br />
neuen Ein-drücke in Beziehung mit den früheren Bezügen und Werten. In dieser<br />
Phase ist zuerst das Verstehen entscheidend („Verstehe ich mich? Verstehe ich den<br />
anderen?“ A. Längle 2000f, 25), weil dadurch die Einseitigkeit des situativen<br />
Werteanspruchs gelöst und der innere Betrachtungswinkel geweitet wird (vgl. Längle<br />
A 2000f, 24f). Auf der Basis des Verstehens kann es nun zu einer authentischen<br />
Bewertung durch das Gewissen kommen („Was spüre ich im Tiefsten dazu?“). Der<br />
nächste Schritt besteht darin, „zum eigenen Gewissen Stellung zu beziehen“ (Längle<br />
A 2000f, 27): „Was halte ich grundsätzlich davon? Was sage ich persönlich dazu?“<br />
(Längle A 2000f, 25). Die letzte Stellungnahme, die nun bereits handlungsorientiert<br />
ist, zeigt sich im Willen. Er ist der Ent-schluß zum Handeln (vgl. Längle A 2000f, 27).<br />
Die relevante Frage lautet: „Was würde ich am liebsten und im Grunde tun wollen?“<br />
(Längle A 2000f, 25). Im vierten Schritt (PEA 3) geht es um den Aus-druck, die<br />
Weltbezüglichkeit, die Ek-sistenz. Hierin „realisiert sich die Person durch den Willen,<br />
daß sie etwas Bestimmtes in die Welt geben will“ (Längle 2000f, 27).
3. Personen und Wirkfaktoren<br />
24<br />
3.1. Grundhaltung des Exerzitanten bzw. Klienten<br />
3.1.1. Grundhaltung des Exerzitanten<br />
In EB 5 gibt Ignatius die Grundhaltung dessen, „der die Exerzitien empfängt“ (EB 5)<br />
an. Diese 5. Bemerkung (adnotacion) wird in der ignatianischen Literatur als<br />
disposition de base, „als die fundamentale Disposition“ (Haas 1977, 159)<br />
beschrieben.<br />
Dem, der die Übungen empfängt, ist es sehr nützlich, mit großer Seele und mit<br />
Weitherzigkeit (con grande animo y liberalidad) seinem Schöpfer und Herrn gegenüber<br />
in sie einzutreten, Ihm sein ganzes Streben und seine Freiheit darbringend, damit Seine<br />
Göttliche Majestät sowohl seiner Person wie seines gesamten Besitzes gemäß Ihrem<br />
heiligsten Willen sich bediene. (EB 5)<br />
Bemerkenswert sind die beiden Ausdrücke con grande animo und liberalidad. Nach<br />
Ignatius besteht die Grundhaltung des Exerzitanten darin, eine große Seele,<br />
Großmut, ein weites Herz, einen langen Atem, Freiheit, Freigebigkeit, Großherzigkeit,<br />
die Haltung des Nicht-fixiert-Seins zu haben. Andererseits besteht sie auch darin,<br />
das eigene Streben, die Vorstellungen, Wünsche, Lebenskonzepte zuerst einmal<br />
darzubringen (ofrecer), vielleicht auch zu offerieren, anzubieten, loszulassen, um<br />
offen und verfügbar für den Anruf Gottes zu sein. Die Haltung des Empfangens,<br />
Annehmens (recibir) ist dabei wesentlich (vgl. Haas 1967, 161). Nach Köster wird die<br />
Offenheit und Verfügbarkeit „nur unter Mühen und im Durchstehen immer<br />
wiederkehrender Krisen zuteil“ (Köster 1999, 171). Weiters ist es nach Köster<br />
wichtig, mit der tiefsten Sehnsucht des eigenen Herzens in Berührung zu kommen,<br />
„mit jener Suchbewegung, die Gott ihm selbst ins Herz gelegt hat“ (Köster ebd.). Dies<br />
wird in den Exerzitien durch die Betrachtung eines biblischen Textes versucht, in<br />
dem der Exerzitant etwas entdeckt, das ihn ganzheitlich anspricht. Dieses<br />
Angesprochensein, die innere emotionale Bewegung gilt es dann zu bergen und zu<br />
bearbeiten.
25<br />
Die Grundhaltung der Offenheit und Verfügbarkeit ist Basis, „wegbereitende<br />
Disposition“ (Haas 1967, 160), aber auch reife Frucht am Ende der Exerzitien in der<br />
Betrachtung zur Erlangung der Liebe („De amore“, EB 234). Bis in Formulierungen<br />
hinein gleichen die beiden Texte einander (EB 5 und 234). Die innerste Seele von<br />
„De amore“ ist „liebende Hingabe und hingebende Liebe“ (Haas 1967, 160).<br />
Nimm Dir, Herr, und übernimm meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen<br />
Verstand und meinen ganzen Willen, mein ganzes Haben und Besitzen. Du hast es mir<br />
gegeben, zu Dir, Herr, wende ich es zurück; das Gesamte ist Dein; verfüge nach Deinem<br />
ganzen Willen, gib mir Deine Liebe und Gnade, das ist mir genug. (EB 234)<br />
Weiters kommt die Haltung des Sich-Ansprechen-Lassens, der Offenheit und<br />
Verfügbarkeit sehr deutlich am Beginn der zweiten Woche – in der es um das<br />
Suchen und Finden des göttlichen Willens geht – zum Ausdruck. In der ersten Übung<br />
wird der Exerzitant angeleitet, den Ruf des ewigen Königs zu betrachten (EB 91ff).<br />
Darin heißt es, der Exerzitant soll um die Gnade bitten, daß er „nicht taub sei auf<br />
seinen Ruf hin, sondern schnell und voll Bereitschaft (presto y diligente) zu erfüllen<br />
Seinen Heiligsten Willen.“ (EB 91)<br />
3.1.2. Grundhaltung des Klienten<br />
Die Grundhaltung des Menschen in der Sicht der Existenzanalyse besteht in der<br />
kopernikanischen Wende der Sinnfrage, wie Frankl es nannte: „Das Leben selbst ist<br />
es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen, er ist vielmehr der vom<br />
Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten – das Leben zu verantworten hat.<br />
Die Antworten aber, die der Mensch gibt, können nur Antworten auf konkrete<br />
´Lebensfragen´sein. In der Verantwortung des Daseins erfolgt ihre Beantwortung, in<br />
der Existenz selbst ´vollzieht´ der Mensch das Beantworten ihrer eigenen Fragen“<br />
(Frankl 1987, 96).<br />
Existentielle Grundhaltung bedeutet, daß der Mensch nicht als isolierte Monade lebt,<br />
sondern immer eingebunden in Raum und Zeit in einer Situ-ation steht,<br />
existenzphilosophisch ausgedrückt, daß er in der Welt ist. Und diese Welt macht<br />
etwas mit ihm, sie spricht, sie fragt ihn an. Der Mensch ist nun eingeladen, sich<br />
diesen Fragen zu stellen, sie vorerst einmal wahr und zur Kenntnis zu nehmen.
26<br />
Folgende Fragen könnten an den Kern der existentiellen Haltung führen: Laß ich<br />
Fragen des Lebens überhaupt an mich heran? Bin ich empfänglich, vom Leben<br />
berührbar? Habe ich eine Offenheit dem Leben gegenüber oder bin vielmehr ich es,<br />
der a priori das Leben bestimmen will?: Was will das Leben überhaupt von mir? Der<br />
zweite Schritt besteht dann darin, dem Leben zu antworten. Das Leben ist mir als<br />
Gabe, als Auf-gabe gegeben, die ich zu verwirklichen habe. Dies geschieht in<br />
konkreten Alltagssituationen, tagtäglich neu. Daraus erwächst der Sinn im Leben, der<br />
als „beste Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit“ (Längle S 2000 a, 29),<br />
oder als „beste Möglichkeit in der konkreten Situation“ (Längle S 2000 b, 42) definiert<br />
ist.<br />
Längle ist in der Entwicklung der 4 Grundmotivationen noch eine Schritt weiter<br />
gegangen und hat vor der Sinnfindung die Voraussetzungen beschrieben, um die<br />
jeweils wertvollste Möglichkeit, die das Leben bietet – und damit den Sinn – finden zu<br />
können. Voraussetzungen sind:<br />
1. bewußt hinzuschauen, was an Möglichkeiten, Bedingungen und faktischen<br />
Gegebenheiten vorliegen,<br />
2. fühlen, was mich als Wert besonders anzieht,<br />
3. heben und auswählen der von mir erspürten und erkannten besten Möglichkeit<br />
und<br />
4. tun, Wirklichkeit werden lassen, was ich ausgewählt habe, indem ich mich ganz<br />
hingebe.<br />
3.1.3. Zusammenschau<br />
Es ist unschwer zu sehen, daß die Grundstruktur beider Wege, was den Exerzitanten<br />
bzw. Klienten betrifft, sehr ähnlich ist. Sowohl in der Existenzanalyse, als auch in<br />
den Exerzitien geht es um das Angesprochensein des Menschen von Gott bzw. vom<br />
Leben, von der Welt. Voraussetzung dafür ist die Offenheit, die innere Freiheit. Die<br />
Grundbewegung des Lebens geht nicht vom Menschen aus, sondern er wird von<br />
außen erfaßt. Der Mensch ist eingeladen zu antworten.<br />
Wo bleibt da die Freiheit des Menschen? Diese Frage könnte sich angesichts der<br />
Definitionen Ignatius´ und Frankls stellen. Ist der Mensch bloß Vollzugsorgan<br />
dessen, was das Leben fordert? Dieser Frage wird im Laufe der Arbeit noch<br />
nachzuspüren sein. Jedenfalls soll an dieser Stelle die Grundbewegung des Lebens
27<br />
deutlich werden: Nicht der Mensch stellt vorerst Fragen an das Leben, sondern er ist<br />
vom Leben in Frage gestellt.<br />
3.2. Stellung des Exerzitienleiters bzw. des Therapeuten<br />
3.2.1. Nabenfunktion des Exerzitienleiters<br />
Zu Beginn eine persönliche Erfahrung des hl. Ignatius, die er dem Exerzitienleiter<br />
ans Herz legt: „Nach meiner Ansicht kann es keinen größeren Irrtum in den<br />
geistlichen Dingen geben, als die anderen nach sich selbst leiten zu wollen.“ (zit.<br />
nach Köster 1999, 167). Der entscheidende Text aber findet sich im Exerzitienbuch<br />
in den Anweisungen Nr. 15:<br />
Der Exerzitiengeber darf den Empfangenden nicht mehr zur Armut oder zu einem<br />
Versprechen hin bewegen als zu deren Gegenteil, noch auch mehr zu einem Stand oder<br />
einer Lebensweise als zu einer anderen. Denn wenn wir auch außerhalb der Exerzitien<br />
erlaubter- und verdienstlicherweise alle jene, deren Eignung mit Recht angenommen<br />
werden kann, dazu bewegen dürfen, Enthaltsamkeit, Jungfräulichkeit, Ordensstand und<br />
jede Art von evangelischer Vollkommenheit zu erwählen, so ist es doch innerhalb der<br />
geistlichen Übungen beim Suchen des göttlichen Willens jeweils mehr entsprechend<br />
und viel besser, daß Er selbst, der Schöpfer und Herr, sich Seiner ihm hingebenden<br />
Seele mitteile (se communicar) sie zu seiner Liebe und Seinem Lobpreis umfange<br />
(abrazar) und sie zu jenem Weg hin bereite (disponer), auf dem sie Ihm fürderhin je<br />
besser dienen (servir) kann. Dergestalt, daß der Exerzitiengeber sich weder zu der<br />
einen noch zu der anderen Seite hin wende und hinneige, sondern in der Mitte stehend<br />
wie eine Waage, unmittelbar den Schöpfer mit Seinem Geschöpf wirken lasse und das<br />
Geschöpf mit seinem Schöpfer und Herr. (EB 15)<br />
Entscheidend für diese Arbeit ist der zweite Teil des zitierten Textes. In den<br />
Exerzitien hat der Leiter ganz zurückzutreten, viel mehr ist Gott selbst es, der sich<br />
mitteilt, sich kommuniziert, in Dialog mit der Person - der sich ihm hinneigenden<br />
Seele – tritt. Gott umarmt förmlich den Menschen (in abrazar steckt bracchium: Arm),<br />
um die Seele zu disponieren, damit sie ihm künftig besser dient. Was den<br />
Exerzitienleiter betrifft, wird von ihm, die Beeinflussung betreffend, völlige Abstinenz<br />
gefordert. Anschaulich dazu ist das Bild der Waage: wie eine Nabe (vgl. dazu Köster<br />
1999, 168) in der Mitte stehend soll der Exerzitienleiter einen Freiraum schaffen, in<br />
dem Gott unmittelbar – ohne Beeinflussung – mit dem Menschen arbeiten kann. Der
28<br />
Leiter steht in der schwierigen Position, einerseits die direkte Kommunikation<br />
zwischen Gott und dem Menschen zu ermöglichen, andererseits keinen Einfluß<br />
auszuüben. Es erinnert an die Funktion des Katalysators in der Chemie.<br />
Was hat der Exerzitiengeber neben der Nabenfunktion noch zu tun? In EB 2 wird<br />
eine weitere Aufgabe beschrieben, nämlich den biblischen Betrachtungsstoff, der die<br />
inneren Bewegungen (mociones) hervorbringen soll (vgl. EB 6), in kurzen<br />
zusammenfassenden Worten darzulegen. Nach Ignatius ist es wichtiger, daß der<br />
Exerzitant die für ihn relevanten Dinge selber findet, als sie ihm vorzulegen, denn<br />
dies gewährt ihm „mehr Geschmack und geistliche Frucht“ (EB 2). Hierauf folgt der<br />
bemerkenswerte Satz: „Nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge,<br />
sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von Innen“ (EB 2). Es geht um das<br />
geistig-emotionale Erfaßtwerden von der inneren Dynamik.<br />
Wenn sich dieses innere Bewegtsein im Übenden nicht vollzieht oder wie es Ignatius<br />
in EB 6 ausdrückt: „er nicht von den verschiedenen Geistern getrieben wird, von<br />
Trost und Trostlosigkeit“ (EB 6), dann ist wieder der Exerzitienleiter in seiner aktiven<br />
Rolle gefordert: er muß viel um die Übungen fragen, ob und mit welcher Sorgfalt die<br />
Übungen gemacht wurden usw. (vgl. EB 6). In EB 7 gibt Ignatius Verhaltensweisen<br />
an, wie der Exerzitenleiter dem Exerzitanten in Zeiten der Trostlosigkeit begegnen<br />
soll: „ nicht hart und rauh, sondern mild und sanft, indem er ihm Mut und Kraft für<br />
die Zukunft einflöst, die Trugwerke des Feindes der menschlichen Natur aufdeckt<br />
und ihm Wege weist, sich auf die kommenden Tröstungen vorzubereiten“ (EB 7).<br />
Entscheidend ist dabei, den Exerzitanten in die Regeln zur Unterscheidung der<br />
Geister (vgl. EB 8) einzuführen. Die Regeln, dem Herzstück der Exerzitien, werden<br />
später behandelt (4.3.1.1.).<br />
Nie darf der Exerzitienleiter in das Innere des Übenden vordringen. Er darf nicht<br />
versuchen, „die persönlichen Gedanken und Sünden des Empfangenden<br />
auszuforschen und kennenzulernen“ (EB 17). Er wird auf seine Nabenfunktion im<br />
Bild der Waage verwiesen. Andererseits muß er sich in der inneren geistlichen<br />
Dynamik auskennen: „So kann er ihm entsprechend seinem größeren oder<br />
geringerem Vorankommen verschiedene geistliche Übungen vorlegen, die der Not<br />
einer so bewegten Seele angepaßt und zugemessen sind“ (EB 17). Die Eigenschaft
29<br />
der Discretio, der Unterscheidung – die übrigens Benedikt von Nursia „Mutter aller<br />
Tugenden“ (RB 64,19) nennt – wird in EB 18 deutlich: Der Exerzitienleiter soll die<br />
Übungen dem Alter, der Bildung oder Begabung anpassen, damit es zu keiner<br />
Überspannung der Kräfte kommt. Hierin wird das „situative Umgehen mit der<br />
jeweiligen Wirklichkeit des Übenden“ (Köster, 1999, 170) deutlich. Ein Text aus dem<br />
Brief an die Mitbrüder, die als Konzilsberater nach Trient geschickt wurden, drückt<br />
diese Haltung aus: „Ich wäre langsam im Sprechen, würde beim Zuhören zu lernen<br />
versuchen und bliebe dabei innerlich ruhig, um die Gedanken, Gefühle und<br />
Absichten der Sprecher aufzufassen und hernach um so besser zu antworten bzw.<br />
um so besser zu schweigen“ (Köster 1999, 169f).<br />
Abschließend ein Text, der die Grundlage der Beziehung zwischen Geber und<br />
Empfänger der Exerzitien, ja aller Christen beschreibt: Jeder gute Christ muß mehr<br />
bereit sein,<br />
eine Aussage des Nächsten zu retten als zu verdammen. Vermag er sie aber nicht zu<br />
retten, so forsche er nach, wie jener sie versteht, so verbessere er ihn mit Liebe, genügt<br />
dies aber nicht, so suche er alle passenden Mittel, daß jener, sie richtig verstehend,<br />
sich rette. (EB 22)<br />
Diesen Text, der von Wohlwollen, tiefem gegenseitigen Respekt, sorgfältigem<br />
Hinhören aufeinander, Authentizität und verstehender Haltung spricht, plaziert<br />
Ignatius an den Beginn des Übungsteil des Exerzitienbuches.<br />
3.2.2. Phänomenologische Haltung des existenzanalytische Therapeuten<br />
Die Nabenfunktion des Exerzitienleiters erinnert an die phänomenologische Haltung,<br />
die vom existenzanalytische Therapeuten verlangt wird (vgl. Lleras 2000, 34f). Diese<br />
Haltung, wie sie in der Existenzanalyse Anwendung findet, geht in ihrer Wurzel auf E.<br />
Husserl zurück mit seiner berühmt gewordenen Forderung „zu den Sachen selbst“<br />
(zit. nach Vetter 1989, 14) Mit Sachen sind die Phänomene gemeint, alles was sich<br />
zeigt, so die deutsche Bedeutung von Phänomen. Sie umfassen „Dinge,<br />
Mitmenschen, Lebewesen, Artefakte, bloße Erscheinungen, Symptome,...usf.“<br />
(Vetter 1989, 14). Heidegger erläutert den Begriff Phänomene mit den Worten. „Das<br />
was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen<br />
lassen“ (zit. nach Vetter 1989, 14f). Der Philosoph aus dem Schwarzwald sieht im
30<br />
Ausdruck Phänomenologie „primär einen Methodenbegriff. Er charakterisiert nicht<br />
das sachhaltige Was der Gegenstände der philosophischen Forschung, sondern das<br />
Wie dieser“ (Heidegger 1979, 27). Heidegger kommentiert das Husserl´sche zu den<br />
Sachen selbst: „Der Titel ‚Phänomenologie‘ drückt eine Maxime aus, die also<br />
formuliert werden kann: ‚zu den Sachen selbst!‘ – entgegen allen freischwebenden<br />
Konstruktionen, zufälligen Funden, entgegen der Übernahme von nur scheinbar<br />
ausgewiesenen Begriffen...“ (Heidegger 1979, 27f). Scheler drückt den Sachverhalt<br />
leichter faßlich aus: „An erster Stelle ist Phänomenologie weder der Name für eine<br />
neue Wissenschaft, noch ein Ersatzwort für Philosophie, sondern der Name für eine<br />
Einstellung geistigen Schauens, in der man etwas zu erschauen oder doch zu<br />
erleben bekommt, was ohne sie verborgen bleibt: nämlich das Reich von ‚Tatsachen‘<br />
eigentümlicher Art. Ich sage ‚Einstellung‘ – nicht Methode.“ (Scheler, zit. nach<br />
Handout, Ausbildungskurs). Und an anderer Stelle wird Scheler für unseren<br />
Zusammenhang noch deutlicher: „Die neue Haltung mag zunächst vage genug<br />
emotional als ein Sichhingeben an den Anschauungsgehalt der Dinge, als die<br />
Bewegung eines tiefen Vertrauens in die Unumstößlichkeit alles schlicht und evident<br />
‚Gegebenen‘, als mutiges Sichselbstloslassen in der Anschauung und in der<br />
liebenden Bewegung zu der Welt in ihrer Angeschautheit bezeichnet werden...“<br />
(Scheler zit. nach Handout, Ausbildungskurs). Mit der Scheler´schen Formulierung<br />
wird die Relevanz für die therapeutische Haltung deutlich erkennbar. Entscheidend<br />
dabei ist die Offenheit des Therapeuten (vgl. Lleras 2000, 34f), der den Klienten in<br />
seiner Eigenart belassen muß. Maxime muß das Phänomen sein, eben das, was<br />
sich vom Klienten her zeigt. Es geht um das „Ansichtigwerden des Patienten von ihm<br />
selbst her“ (Lleras 2000, 35). Vom Therapeuten wird einerseits gefordert, daß er sich<br />
ganz einläßt und vom Patienten treffen läßt, wodurch ein interpersonales Feld<br />
zwischen Therapeuten und Klienten entsteht. Andererseits muß er sich wieder von<br />
seiner Betroffenheit lösen, muß sein Urteil über seine vermeintlich objektive Realität<br />
aufheben (Epoché), „wodurch ein freier Raum für die Artikulation des<br />
Selbstverständnisses des Patienten entsteht“ (Lleras 2000, 35). Die relevante<br />
Realität ist die intersubjektive Realität des Patienten und des Therapeuten, aus der<br />
Wirklichkeit entsteht. Die phänomenologische Methode zielt auf das Verstehen des<br />
Patienten ab, nicht auf das Analysieren oder Deuten der Phänomene und trachtet<br />
danach, das Wesen zu schauen. Gemeint ist damit das Einzigartige,
31<br />
Unverwechselbare, das, was die Person einmalig zu dem macht, was sie ist. (vgl.<br />
Ausbildungskurs Mai 1999).<br />
Von drei „Grundstücken“ (Vetter 1989, 18) spricht Heidegger in seiner<br />
Phänomenologie, die das methodische Vorgehen bestimmen: Die Reduktion, die<br />
Destruktion und die Konstruktion. Diese Stufen können methodisch in folgende<br />
Fragen gefaßt werden: 1. Was zeigt sich spontan? 2. Ist es wirklich so? 3. Wie ist<br />
es? (vgl. dazu: Handout „Phänomenologie“, Ausbildungskurs Mai 1999). So ist die<br />
phänomenologische Haltung an dem interessiert, was sich zeigt, an den<br />
Zusammenhängen, wie sie sich zeigen, am Wesen, was sich darin zeigt und an der<br />
Existenz, was sie für uns bedeutet (vgl. Ausbildungskurs Mai 1999). Vom<br />
Therapeuten in der Praxis verlangt die phänomenologische Haltung, daß er nur von<br />
dem spricht, was sich zeigt und wie es bei ihm ankommt (interpersonales Feld).<br />
Dann hat er dieses Urteil in Frage zu stellen. Ist es wirklich so? Weiters ist sein Mut<br />
zur Subjektivität gefragt, denn die Wahrnehmung erfolgt am subjektiven Erleben:<br />
Wesentliches läßt sich nur am eigenen Wesen erfassen. Schließlich ist es<br />
entscheidend, die Eigen-arten des Therapeuten in der Haltung der Epoché zu<br />
subtrahieren, einzuklammern, weil der Wahrnehmende immer auch selbst enthalten<br />
ist (vgl. dazu Handout „Phänomenologie“ Ausbildungskurs Mai 1999).<br />
Längle hat die phänomenologische Haltung in der Personalen Existenzanalyse in<br />
eine therapeutisch anwendbare Methode gegossen (vgl. LLeras 2000, 35): In der<br />
Deskription (PEA 0) artikuliert sich das Selbstverständnis des Patienten in seiner<br />
Alltäglichkeit; durch die phänomenologische Analyse (PEA 1) wird die Emotionalität<br />
freigelegt und das Selbstverstehen artikuliert; durch die innere Stellungnahme (PEA<br />
2) entwickelt sich das Verstehen der eigenen Existenz aus der jeweiligen Situation,<br />
„womit sich die Dimension des Handelns eröffnet“ (LLeras 2000, 35) in PEA 3.<br />
3.2.3. Zusammenschau<br />
Als entscheidende Übereinstimmung zwischen Exerzitienleiter und Therapeuten<br />
erachte ich die innere Offenheit gegenüber dem Exerzitanten bzw. Klienten. Nicht<br />
der Leitende weiß, was für den Begleiteten gut ist, sondern dieser muß seinen<br />
inneren Weg selbst gehen, muß selber auf die Spur kommen, was für ihn das<br />
Richtige ist (vgl. EB 2). Der Leiter induziert in gewisser Weise den Prozeß, indem er<br />
in den Exerzitien den Betrachtungsstoff vorgibt (EB 2), bzw. sich in der Therapie als
32<br />
personales Gegenüber positioniert. Die Epoche, das Einklammern des Leiteranteils<br />
ist wesentlicher Anteil sowohl der phänomenologischen Methode als auch der<br />
Exerzitien: Der Exerzitiengeber soll den Empfänger nicht zu der einen oder anderen<br />
Seite hinlenken, sondern „in der Mitte stehend wie eine Waage unmittelbar den<br />
Schöpfer mit seinem Geschöpf wirken lassen“ (EB 15). Wie dies geschieht, wird im<br />
Abschnitt über die Wahl (4.3.1.3.) und in den Regeln zur Unterscheidung der Geister<br />
(4.3.1.1.) behandelt. Auf der anderen Seite muß der Leitende sowohl in den<br />
Exerzitien, als auch in der Therapie als Person greifbar sein. In den Exerzitien als<br />
der, der den Stoff vorlegt und aufbereitet (EB 2), im geistlichen Prozeß Erfahrung hat<br />
(EB 6) und der nachfragt, wenn sich nichts bewegt. (EB 2). Der existenzanalytische<br />
Therapeut muß als Gegenüber erfahrbar, als Du greifbar sein, damit sich das<br />
interpersonale Feld aufspannen kann, in dem sich der Prozeß entfaltet.<br />
Von inneren Bewegungen mociones spricht Ignatius als entscheidendes Wirkelement<br />
(EB 6). Vom Ansprechen, besser, vom Anfühlen und Umgehen mit den Emotionen<br />
geht es wesentlich in der existenzanalytische Therapie. Dazu später in 4.2.2.5.<br />
3.3. Wirkfaktoren<br />
3.3.1. Wirkfaktoren der existenzanalytische Psychotherapie<br />
In diesem Zusammenhang sind auch die „Wirkfaktoren der existenzanalytische<br />
Psychotherapie“ (vgl. Handout, Ausbildungskurs) zu nennen. Gemeint sind drei<br />
spezifische Schwerpunkte, in denen die persönlichkeitsspezifischen Eigenschaften<br />
des Psychotherapeuten aufgezeigt und in Beziehung zur Personalen<br />
Existenzanalyse gesetzt werden. Es handelt sich erstens um die phänomenologische<br />
Offenheit des Therapeuten, die zum subjektiven Werteerfassen und zu persönlichen<br />
Emotionen anleitet. Diese Offenheit leitet den Patienten an nachzufühlen, nicht nur<br />
was er erlebte, sondern auch weshalb er es so erlebte. Der Therapeut zeigt die<br />
Betrachtungsweise vor, wie der Patient auf die Probleme schauen soll. Hierin ist die<br />
PEA 1, das Arbeiten am Ein-druck zu erkennen. Der zweite Schritt, das Verweilen,<br />
Bei-Sein, Konfrontieren, führt zu persönlicher Stellungnahme, zum Erkennen von<br />
lebensgeschichtlichen Zusammenhängen, zum Finden von neuen Einstellungen.<br />
Durch das Mittel des Verstehens des Therapeuten gelangt der Patient zu einem<br />
Verständnis von sich selbst, m. a. W.: er bekommt sich selbst in die Hand gespielt, er
33<br />
erkennt die Beweggründe für sein Handeln und der Therapeut ermutigt ihn der<br />
inneren Spur nachzugehen, um sich besser zu verstehen. Dieser Schritt der<br />
Stellungnahme entspricht PEA 2. Im dritten Schwerpunkt, dem beziehungsstiftenden<br />
Vorgehen wird das Ausdrucksverhalten erarbeitet, wodurch sich der Patient zu<br />
äußeren und internalisierten Werten in Beziehung bringt und neue Lebensbezüge<br />
aufbaut. Es geht um den – poetisch ausgedrückt – atmenden Austausch mit der<br />
Welt, um einen möglichst breiten Dialog mit ihr. Hierin ist die PEA 3, das<br />
Ausdrucksverhalten zu erkennen.<br />
Um das Thema Wirkfaktoren in der Psychotherapie geht es auch in K. Grawes´s<br />
„Psychologischer Therapie“ (Grawe 2000), die er Wirkprinzipien nennt. Als ersten<br />
gibt er das Wirkprinzip „Intentionsrealisierung“ (vgl. Grave 2000, 87 ff) an, auch<br />
„Problembewältigung“ (ebd.) genannt, hinter dem die „Erwartungs-mal-Wert“<br />
Perspektive steckt. Wie kann man Erwartung herstellen, Volitionsprozesse fördern<br />
und dafür benötigte Teilfähigkeiten ausbilden? Wie können weiters Erwartungen<br />
verändert und Besserungserwartungen induziert werden, sind einige relevanten<br />
Fragen. Das zweite Wirkprinzip nennt Grawe „Intentionsveränderung“ (vgl. 2000 89<br />
ff), in der es um den motivationalen Klärungsprozeß geht. Im dritten Prinzip der<br />
„prozessualen Aktivierung“ (Grawe 2000, 93 ff), wird auf die unmittelbare Erfahrung<br />
und das aktuelle Erleben des Patienten größten Wert gelegt. Weiters ist die<br />
„Ressourcenaktivierung“ (Grawe 2000, 95 ff) ein wichtiger Faktor, wobei Grawe<br />
meint, daß in der Vergangenheit zu großer Wert auf die Problemperspektive gelegt<br />
wurde. Als fünftes und letztes Wirkprinzip nennt er die „Orientierung an<br />
Wirkprinzipien statt an Therapiemethoden“ (Grawe 2000, 99 ff). Daß Grawe von<br />
einem psychologischen, einem kognitiv behavioristischen Ansatz und nicht von<br />
einem personalen ausgeht, zeigt seine Terminologie. Bemerkenswert ist aber, daß<br />
Themen wie Wille (Volition genannt) unmittelbares Erleben, Motive, Intention,<br />
Ressourcen, Erwartungsveränderung (erinnert an die existenzanalytische<br />
Einstellungsänderung) wesentlich in seinem Therapiekonzept vorkommen. Es sind<br />
Themen, die auch in der Existenzanalyse von großer Relevanz sind. Die<br />
Wirkfaktoren haben wiederum eine Parallele zu den vier Grundmotivationen.<br />
3.3.2. Wirkfaktoren in den Exerzitien<br />
Wirkfaktoren in den Geistlichen Übungen sind in erster Linie personale. Es sind die<br />
schon beschriebenen Eigenschaften des Exerzitanten (siehe 3.1.1) wie die große
34<br />
Seele (grande animo) und die innere Freiheit (liberalidad), die Haltung der inneren<br />
Offenheit und der Verfügbarkeit (vgl. EB 5). Auf der Seite des Exerzitienleiters (siehe<br />
3.2.1.) ist es die Nabenfunktion, den Exerzitanten nicht auf die eine oder andere<br />
Seite seiner Überlegungen „hin zu bewegen“ (EB 15), sondern Gott wirken zu lassen<br />
und sich selbst – nicht als Person, jedoch mit allem manipulativem Streben –<br />
herauszunehmen (vgl. EB 15, 17). Auf der anderen Seite muß der Exerzitienleiter<br />
eine Katalysatorfunktion wahrnehmen, um als Mittler (man könnte auch Mediator<br />
resp. Mediatrix sagen) den Übenden mit seinem Schöpfer in lebendigen, geistig –<br />
emotionalen Kontakt zu bringen. Dies geschieht durch seine Person, seine<br />
Glaubens- und Lebenserfahrung und durch seine Anleitung zum Üben. Der letzte<br />
Punkt, nämlich das Üben, scheint mir der wichtigste Unterschied zur<br />
existenzanalytische Psychotherapie zu sein. Ignatius weist den Exerzitanten an,<br />
täglich viele Stunden die vorgeschriebenen Übungen zu machen (vgl. z.B. dazu EB<br />
2, 19, 45 – 89) und sieht darin einen (vielleicht den) entscheidenden Wirkfaktor zur<br />
Erreichung des Zieles. Darin könnte man eine stark behavioristische Färbung in den<br />
Exerzitien erkennen. Die Übungen scheinen eine Gratwanderung zwischen dem<br />
Machbaren, Lernbaren (den Übungen) und dem Ereignishaften, Geschenkhaften zu<br />
sein. Beide Pole sind entscheidend, es gilt die richtige Balance zu finden.<br />
Theologisch ausgedrückt könnte man sagen: Es geht einerseits um das Einwirken<br />
Gottes, um die Gnade im Geschenkhaften und andererseits um die Mitwirkung des<br />
Menschen im menschlich Machbaren. Die Kunst besteht darin, beide Pole<br />
gleichzeitig zu sehen, zu integrieren und dabei keinen zu verabsolutieren. Üben stellt<br />
aber auch einen Wirkfaktor in der Existenzanalyse dar, im Prozeßmodell der<br />
Personalen Existenzanalyse, im Ausdrucksverhalten (PEA 3) hat das Üben durchaus<br />
einen Platz, vor allem in der Therapie von Angst und Zwang (vgl. Ausbildungskurs).
4. Phasen des Weges<br />
4.1. Sich auf den Weg einlassen<br />
35<br />
4.1.1 Prinzip und Fundament der Exerzitien<br />
Dem Vierwochenschema der Exerzitien ist, wie bereits angedeutet, im „Prinzip und<br />
Fundament“ (EB 23) ein kurzer Abschnitt vorgeschaltet, der in der „Betrachtung zur<br />
Erlangung der Liebe“ (EB 230-237) am Ende des Buches seine Entsprechung findet.<br />
Das Prinzip am Anfang bezeichnet Köster als „Vision“, als „Perspektive“ (Köster<br />
1999, 17) des Ganzen. De amore faßt „am Ende die ganze Bewegung der vier<br />
Wochen wie im Brennpunkt einer Linse noch einmal zusammen“ (Köster 1999, 15).<br />
Im Prinzip sieht Köster ein Kriterium für den Übenden, ob er überhaupt für den<br />
Entscheidungsweg disponiert ist (vgl. Köster 1999, 15). Er bezeichnet diesen<br />
Abschnitt als eine „Testphase“ (Köster 1999, 24) der Exerzitien.<br />
Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott Unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und<br />
Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten. Die anderen Dinge auf Erden sind zum<br />
Menschen hin geschaffen, und um ihn bei der Verfolgung seines Zieles zu helfen, zu<br />
dem hin er geschaffen ist. Hieraus folgt, daß der Mensch sie so weit zu gebrauchen hat,<br />
als sie zu diesem Ziele hin helfen, und so weit zu lassen, als sie ihn daran hindern.<br />
Darum ist es notwendig, uns allen geschaffenen Dingen gegenüber gleichmütig<br />
(indiferentes) zu machen, überall dort, wo dies der Freiheit unseres Wahlvermögens<br />
eingeräumt und nicht verboten ist, dergestalt, daß wir von unserer Seite Gesundheit<br />
nicht mehr als Krankheit begehren, Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als<br />
Ehrlosigkeit, langes Leben nicht mehr als kurzes, und dementsprechend in allen<br />
übrigen Dingen, einzig das ersehnend und erwählend, was uns jeweils mehr zu diesem<br />
Ziele hin fördert, zu dem wir geschaffen sind. (EB 23)<br />
Der erste Satz des Textes klingt trocken dogmatisch. Er drückt die Grundhaltung<br />
aus, daß der Mensch ein ens ab alio, ein Seiendes von einem Anderen, nicht aus<br />
sich selbst gemacht, sondern sein Sein, seine Existenz einem andern verdankt.<br />
Dieses – man könnte sagen: existentielle – Grundaxion, das wir bereits in Kapitel<br />
„Grundhaltungen“ (3.1.) besprochen haben, zeigt sich hier wieder in fundamentaler<br />
Weise. Es ist die conditio sine qua non, von der sich alles ableitet. Das<br />
„schöpferische Wort“ (vgl. Gen 1,3; Joh 1,3) ist der Akt Gottes, das „Loben, Ehrfurcht
36<br />
erweisen und Dienen“ (vgl. EB 23) ist Ant-wort des Menschen. Ziel, Sinn des<br />
Menschen ist es, auf diese Weise „sich zu retten“ (EB 23). Bemerkenswert ist die<br />
aktive Formulierung: sie verweist auf den aktiven Beitrag des Menschen, auf seine<br />
freie Mitwirkung. Dies ist die zweite conditio sine qua non: ohne das freie, personal<br />
entschiedene Ja, ist Rettung, Heil nicht möglich.<br />
Der zweite Satz stellt eine weitere wichtige Regel auf, daß Ziel und Mittel zur<br />
Erreichung des Zieles nicht verwechselt werden dürfen. Mittel sind alle geschaffenen<br />
Dinge, die der Mensch gebrauchen oder lassen (quitarse) muß, um das Ziel zu<br />
erlangen. Hinter dieser Feststellung steht die Schriftstelle Genesis 1,26f, in der Gott<br />
den Menschen als Verwalter über die Schöpfung einsetzt, ihm seine Schöpfung<br />
verantwortlich delegiert. Freilich darf der Mensch nie vergessen, daß er sich einem<br />
anderen verdankt und ihm daher ver-ant-wortlich ist. Um diese Wirklichkeit nicht zu<br />
vergessen wurde der Sabbat eingesetzt. Obwohl Krone der Schöpfung ist der<br />
Mensch nicht letzverantwortliches Maß aller Dinge, sondern verweist auf den<br />
Urgrund des Seins, der nicht er selber ist. Das in Exodus formulierte 1. Gebot „Ich bin<br />
Jahwe dein Gott. ... Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ (Ex 20,1)<br />
drückt diese Wirklichkeit in rechtlicher Satzung aus. Alles Übel leitet sich m. M. n.<br />
biblisch von der Übertretung dieses 1. Gebotes ab: sich selbst als letzte Autorität zu<br />
sehen und das Sich-Verdanken-von-einem-Anderen zu vergessen, m. a. W:<br />
vergessen, Geschöpf zu sein und sich selbst zu Gott machen.<br />
Was daraus folgt ist die Haltung der Gleichmut (indiferencia) gegenüber allen<br />
geschaffenen Dinge. Das Bild der Waage könnte man auch in dieser Passage<br />
erkennen. Ignatius gibt nun konkrete Beispiele, auf die sich die „indiferencia“ zu<br />
beziehen hat. Der letzte Satz faßt noch einmal zusammen, um aber in der Erwählung<br />
das je beste Mittel zu finden, das die Erreichung des Zieles mehr (magis) fördert.<br />
Damit ist das „Prinzip und Fundament“ ganz in die Schöpfungstheologie eingebettet,<br />
die a priori gut ist: „Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“<br />
(Gen 1,31). Im Gewahrwerden dieses guten Fundamentes ist erst die Konfrontation<br />
mit den Abgründen der eigenen Person (erste Woche) und die Entscheidung für das<br />
je-Bessere in der Wahl (zweite Woche) möglich. Um diese Basis zu legen,
37<br />
verwenden heute Exerzitienleiter 5<br />
viel Zeit und Mühe für das Fundament, bevor sie in<br />
die weitere Dynamik einsteigen.<br />
4.1.2. Dasein-Können und die Frage nach dem Sinn<br />
An dieser Stelle scheint es mir passend zu sein, die erste und vierte.<br />
Grundmotivation zu erwähnen und die Sinnfrage 6<br />
zu diskutieren. Bemerkenswert<br />
sind die ersten Worte des Fundamentes: „Der Mensch ist geschaffen...“ EB 23). Wie<br />
oben erwähnt geht es um die Annahme des Grundaxioms, daß der Mensch<br />
geschaffen ist, sich einem anderen verdankt. Dies erinnert stark an die 1.<br />
Grundmotivation der Existenzanalyse (vgl. dazu Längle A 2000a, 22f, ders. 2001b,<br />
191, Ausbildungskurse Existenzanalyse). Hierin geht es um die Grundfrage der<br />
Existenz: Ich bin da – kann ich sein? Verstehe ich dieses mein Da-sein? Es mag ein<br />
Staunen hervorrufen, daß ich überhaupt bin. Die Frage des „Woher?“ beantwortet die<br />
Existenzanalyse als Psychotherapierichtung nicht, aber sie nimmt das Faktum des<br />
Daseins wahr. Als Tätigkeit des Menschen in dieser Phase bleibt das Akzeptieren<br />
dieses Umstandes, das Aushalten (falls es schwer ist), das zu einem Annehmen<br />
führen soll, letztlich zu einem Ja zum Dasein. Dazu braucht es Raum, Schutz und<br />
Halt und vor allem das Vertrauen, im Tiefsten gehalten, getragen zu sein. Dieses<br />
tiefste Vertrauen wird in der Existenzanalyse Grundvertrauen in den Seinsgrund (vg.<br />
Längle 2000b, 23f) genannt. Es geht um die ontologische Grunderfahrung, „dass da<br />
‚immer etwas ist‘, das Halt gibt und das größer ist als man selbst – eine Welt, eine<br />
Ordnung, ein Kosmos, ein Nichts, ein Gott“ (Längle 2001b 192). Ist dieses Vertrauen<br />
brüchig, führt es zur Verunsicherung, zur Angst. Induziert wird dieses Dasein-Können<br />
dadurch, daß sich der Mensch angenommen weiß und fühlt.<br />
Im Prinzip und Fundament geht es weiter um die „Testphase“ (Köster 1999, 24) der<br />
Exerzitien, um die Perspektive, den großen Wurf, man könnte auch sagen: um den<br />
intentionalen Aspekt, ob der Übende für den Prozeß der inneren Umkehr und der<br />
Wahl disponiert ist (vgl. Köster 1999, 15) und diesen auch will. Die 4.<br />
Grundmotivation fragt ebenfalls nach den Sinnzusammenhängen, nach dem Wohin<br />
und Wofür der Existenz (Längle A 2000a, 23). Ein Mensch, der eine Therapie<br />
beginnt, muß sich ebenfalls den grundsätzlichen Fragen stellen: Was ist das Ziel der<br />
5 Persönliche Mitteilungen vieler Exerzitienleiter an den Verfasser<br />
6 Vgl. dazu auch die Ausführungen von E.J. Bauer 2000
38<br />
Therapie? Was will ich erreichen? Welchen Sinn hat sie? Wofür tue ich das? Diese<br />
Fragen stellen sich aber auch vor jeder kleineren oder größeren Entscheidung:<br />
Warum, wofür tue oder lasse ich dieses oder jenes?<br />
Voraussetzung für die Sinnfindung ist die schon öfter erwähnte existentielle Haltung<br />
(vgl. dazu 3.1.2). Der Mensch ist eingebettet in einer Situ-ation, in einem<br />
Beziehungsrahmen, der etwas mit mir macht, der mich anfrägt. Wie gehe ich mit<br />
dieser Situation um? Es mag eine Phase des Überlegens, des Nachsinnes, des Im-<br />
Herzen-Bewegens folgen: Was bedeutet dieser Anspruch, dieser Anruf für mich? In<br />
welche Richtung soll es gehen, was ist der Sinn des Geschehens? In welchem<br />
Zusammenhang steht wovon ich angesprochen bin? Was ist die Perspektive, die<br />
sich hier eröffnet? Paßt dies in mein Lebenskonzept? Hier stellt sich die Frage: Habe<br />
ich ein Lebenskonzept und wie schaut es aus? Gibt es einen intentionalen Bogen,<br />
wofür, wozu ich lebe? Gibt es einen Sinn in meinem Leben, auf den ich mich hin<br />
bewege?<br />
Das „Prinzip und Fundament“ (EB 23) spricht von einem Sinnkonzept: „Der Mensch<br />
ist geschaffen dazu hin, Gott Unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu<br />
dienen und so seine Seele zu retten“ (EB 23). Frankl spricht in seiner Sicht vom Sinn<br />
ebenfalls von einem letzten Sinn, einem Übersinn: „Das Ganze hat keinen Sinn – es<br />
hat einen Übersinn (...) Den Übersinn zu denken ist unmöglich; so ist es notwendig,<br />
ihn zu glauben“ (Frankl 1984, 201). Längle faßt Frankls Position weiter zusammen:<br />
„Sinn – vermittelt durch Werte – steht wie ein Licht vor uns, das vom Absoluten<br />
ausgeht und sich an den Dingen der Welt bricht; erfaßbar ist dieser Sinn für den<br />
Menschen durch das ‚Sinnorgan‘ Gewissen, dem Einfallstor der Transzendenz.“<br />
(Längle 1994b, 17). Frankls Sinnbegriff setzt den Wertbegriff voraus. Denn den „Sinn<br />
des Daseins erfüllen wir – unser Dasein erfüllen wir mit dem Sinn allemal dadurch,<br />
daß wir Werte verwirklichen“ (Frankl 1984, 202). Mit dem Sinnorgan „Gewissen“ (vgl.<br />
Frankl 1987, 76) werden nun die Werte in Abstimmung mit dem ewigen allgemein<br />
gefaßten moralischen Gesetz erfaßt (Frankl 1979, 29). Alle Werte sind nun auf den<br />
letzten Wert bezogen, also relativ, von diesem Wert abzuleiten. Diese letzte Instanz<br />
weist nach Frankl „durchaus personale Struktur“ (1959, 694) auf, und er scheut sich<br />
nicht, „dieses Personalissimum so zu nennen, wie die Menschheit es nun einmal<br />
genannt hat: Gott“ (ebd.). Erst von diesem Wertemaximum erhalten die Dinge ihren
39<br />
Wert (vgl. Frankl 1984, 223). Frankl geht in der Sinnerfassung eher deduktiv vor.<br />
Längle (1994b, 15ff) schlägt zur Begriffsklärung die Unterscheidung zwischen<br />
ontologischem Sinn und existentiellem Sinn vor, die in der Folge zu einer heftigen<br />
Auseinandersetzung geführt hat. 7<br />
Im ontologischen Sinn wird danach gefragt,<br />
welchen Sinn eine Sache oder ein Umstand an sich hat, im existentiellen Sinn „nach<br />
dem persönlichen subjektiven Sinn, den eine Sache oder persönliche Umstände für<br />
die Einstellungen und für das Verhalten des einzelnen Menschen in einer<br />
bestimmten Situation haben“ (Längle 1994b, 18), oder kurz formuliert: „‘die<br />
wertvollste Möglichkeit der Situation‘. Existentieller Sinn entsteht durch die<br />
Wechselwirkung zwischen dem erlebenden, fühlenden, leidenden Ich und seiner<br />
(wertvollen oder wertlosen) Welt.“ (Längle 1994b, 17). Längle geht m. E. in der<br />
existentiellen Sinnsuche induktiv vor, vom Wertefühlen in einer konkreten Situation,<br />
aus der sich Sinn ergibt. Die Brücke zum ontologischen Sinn schlägt Längle in<br />
folgender Weise: „ durch den Vollzug des existentiellen Sinnes stößt der Mensch<br />
im Laufe seines Lebens zum ontologischen Sinn seiner Existenz vor. Ansonsten gibt<br />
der existentielle Sinn keine Auskunft darüber, ob etwas (ontologisch) Sinn hat“<br />
(Längle 1994b, 18). Was die Gottesfrage angeht (es wurde die Logotherapie oft als<br />
religiöse Therapie bezeichnet, vgl. dazu Längle 1994b, 15) meint Längle (1994b, 20),<br />
daß Gott beim Franklschen Sinnbegriff am Anfang steht. Werte und Sinn vermitteln<br />
und künden von ihm, - beim existentiellen Sinnbegriff „steht am Ende Gott offen“<br />
(ebd. 20). Gott oder das Absolute ist nicht zwingend enthalten. Dies ist der Bereich<br />
des Intimen, des ganz Persönlichen des Menschen. In dieser ganz existentiellen<br />
Haltung ist der Mensch auf das „eigenverantwortliche und persönliche Besorgen<br />
seiner Existenz“ (ebd. 20) verwiesen.<br />
4.1.3. Zusammenschau<br />
Im ersten Teil des Abschnitts Prinzip und Fundament wird dem Exerzitienprozeß eine<br />
Perspektive, ein intentionaler Bogen oder existenzanalytisch ausgedrückt: ein<br />
ontologischer Sinn vorangestellt. Im 2. Teil (als Skizze) und vor allem in den Phasen<br />
der 1. und zweite Woche geht es dann um das Finden des je eigenen Sinns in einer<br />
konkreten Situation: „Was ist das in dieser Stunde von Gott Gewollte?“. Diese<br />
7 Vgl. dazu Bulletin 1994 Nr. 3, 32ff
40<br />
Phasen, von denen noch ausdrücklich die Rede sein wird, weisen m.E. eine große<br />
Nähe zum existentiellen Sinn auf.<br />
Den ontologischen Sinn könnte man m. E. auch als Rahmen bezeichnen, in dem sich<br />
dann der konkrete existentielle Sinn ereignet. Was das Prinzip (EB 23) betrifft,<br />
scheint mir der ontologische Sinn eher formal als inhaltlich geprägt zu sein. „Gott<br />
loben und ihm dienen“ (vgl. EB 23) ist eher eine Haltung als eine inhaltliche Vorgabe,<br />
von der etwas deduziert werden könnte. Ich erkenne in dieser Haltung einen Raum<br />
oder eine Gestimmtheit, in der der Exerzitant seinen je eigenen Weg geht – und dies<br />
ohne Manipulation von außen (vgl. EB 15). Ohne ontologischen Sinn, so wie ich ihn<br />
verstehe, scheint die existentielle Sinnsuche kaum möglich zu sein. Denn ohne<br />
Perspektive (die Hoffnung mit einschließt), ohne wozu und wofür wird das Leben<br />
kaum durchzuhalten sein. So ist m. E. der ontologische Sinn nicht zwingend religiös<br />
eingefärbt, obwohl er die letzten Fragen anspricht, die an der Transzendenz rühren.<br />
Deshalb stelle ich die Hypothese auf, daß das Sinnkonzept jedes Menschen mit dem<br />
ontologischen Sinn zu tun hat, so unterschiedlich dieses auch sein mag. Das<br />
Sinnkonzept ist mit dem ontologischen Sinn identisch: Er ist das Produkt aller<br />
existentiellen Sinnfindungsprozesse. Und mit jedem neuen existentiellen Sinn<br />
modifiziert sich der ontologische Sinn. Diese Dynamik der Modifizierung des<br />
ontologischen Sinns meine ich auch im Leben Jesu zu erkennen, wie es sich aus<br />
der Überlieferung des Neuen Testament ausmachen läßt: War Jesus zuerst davon<br />
erfüllt, das Reich Gottes auf Erden aufzubauen, die Frohbotschaft zu predigen,<br />
Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben (vgl. Mk 1,33.39, etc), mußte er in der<br />
Folge immer mehr den Widerstand, auch das Scheitern seiner Mission erfahren:<br />
„Deine Rede ist unerträglich (sklerós: eig. hart), wer kann sie hören? Und viele<br />
zogen sich zurück“ (Joh 6,60.66); sie waren „entschlossen, ihn zu töten (Joh 11,53).<br />
Und schließlich führt sein Leben in die Todesangst, die Aussichtslosigkeit, in das<br />
Grauen am Ölberg (vgl. dazu Mk, 14, 33ff), um im Verlassenheitsschrei Jesu am<br />
Kreuz (Mk 15,34.37), in der Aporie, der Ausweglosigkeit zu enden. So hat sich m. E.<br />
der ontologische Sinn Jesu von einer missionarischen schöpferischen Ausrichtung zu<br />
einer das Leid, das Scheitern und den Tod annehmenden Haltung modifiziert, durch<br />
die hindurch sich Auferstehung ereignet, ohne die darunterliegende Folie des<br />
missionarischen Wirkens zu verändern. Die Grundhaltung Jesu könnte als<br />
Proexistenz (vgl. Schürmann 1975) bezeichnet werden, als Leben für die Menschen.
41<br />
Was die Exerzitien betrifft, könnte man sagen, daß das Prinzip (EB 23) zwar einen<br />
ontologischen Sinn vorgibt, der sich aber in der Haltung der Proexistenz – wie immer<br />
sie sich im authentischen Prozeß zeigen mag – ganz individuell manifestiert. Freilich<br />
darf in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, daß im letzten Kapitel<br />
des Exerzitienbuches, quasi als Anhang, in „Die kirchliche Gesinnung“ (EB 352 –<br />
370) diese Freiheit wieder eingeschränkt wird: „ in allem zu gehorchen der<br />
wahren Braut Christi, die da ist unsere Heilige Mutter, die Hierarchische Kirche.“ (EB<br />
352). Dazu ist vieles geschrieben worden: einerseits die tiefe Liebe des hl Ignatius<br />
zur Kirche, die Abgrenzung gegenüber dem Protestantismus, aber auch die überall<br />
lauernde Inquisition (vgl. dazu Köster 1999, 203-213).<br />
Einen bemerkenswerten Beitrag zum Thema „Prinzip und Fundament“ und<br />
Grundmotivationen hat der Existenzanalytiker R. Kienast beim Kongreß der <strong>GLE</strong> im<br />
Jahr 2000 „Wenn der Sinn zur Frage wird“ im Workshop „Spiritualität als Sinn und<br />
Werteverwirklichung“ geleistet. Kienast meint, wenn man das Fundament des<br />
Ignatius und die Grundmotivationen von Längle gegenüberstellt, dann wird deutlich,<br />
daß beide vom gleichen Phänomen reden, auch wenn sie dieses anders deuten. Die<br />
beiden Modelle werden wie folgt gegenübergestellt.<br />
Prinzip und Fundament<br />
• Ich bin von Gott gewollt und<br />
geschaffen<br />
• Ziel ist es so zu leben, daß es mir<br />
danach zumute ist, Gott zu loben<br />
(sich vom Leben berühren lassen)<br />
• Indifferenz: Freier Umgang mit den<br />
„Dingen, um auf dieses Ziel<br />
hinzuleben...<br />
• ...was uns MEHR zu diesem Ziel<br />
hinführt<br />
Grundmotivationen<br />
• 1. GM: Grundvertrauen; „Da sein<br />
Können“, Schutz<br />
• 2.GM: Grundwert: „Wert sein<br />
mögen“ Es ist gut zu leben<br />
• 3. GM: Selbstwert: Es ist gut wie<br />
ich bin<br />
• 4. GM: Sinn wollen (Wille zum<br />
Sinn): Ich will daß mein Leben gut<br />
ist
4.2. Sich dem Abgrund stellen<br />
4.2.1. Erste Exerzitienwoche<br />
42<br />
In der ersten Woche geht es um den Prozeß der Umkehr, der Abkehr von der Sünde,<br />
der Zuwendung auf Gott hin. Man kann die erste Woche auch als Reinigungsweg<br />
(via purgativa) bezeichnen. Schon in EB 1 wird in knapper Form auf diese<br />
Wirklichkeit hingewiesen, daß Geistliche Übungen die Seele dazu hin disponieren,<br />
„alle ungeordneten Hinneigungen von sich zu tun“, oder wie es in EB 21 heißt: „sich<br />
selbst zu überwinden“. Köster spricht dabei von einem schwierigen Unterfangen, den<br />
Umgang mit Sünde und Schuld zugänglich zu machen (vgl. Köster 1999, 61). Die<br />
erste Woche ist für die Exerzitien so entscheidend, daß der Prozeß unter Umständen<br />
danach abgebrochen werden könnte. Ignatius legt dies in EB 18 nahe, wenn die<br />
Empfänger „einfachen und ungebildeten Geistes sind, oder von Dingen der<br />
Öffentlichkeit oder von wichtigen Geschäften in Anspruch genommen sind“ (EB 19).<br />
4.2.1.1. Prüfung des Gewissens (EB 24-44)<br />
Die Gewissensprüfung teilt sich in eine besondere und eine allgemeine. Die<br />
besondere (EB 24-31), auch Partikularexamen genannt, beginnt mit der ersten<br />
Woche. Sie liest sich wie eine nüchterne Instruktion. Ignatius weist den Übenden an,<br />
sich einen Vorsatz zu fassen, eine bestimmte Sünde zu meiden und dies jeweils<br />
nach dem Mittag- und Abendessen zu erforschen, wie oft er diesen Fehler begangen<br />
habe. Die Anzahl vermerke er auf einem Blatt und vergleiche jeweils Tage und<br />
Wochen miteinander (EB 27-31), nicht ohne vorher die Gnade Gottes erbeten zu<br />
haben (EB 25). Weiters soll er sich bei jedem Fehler an die Brust schlagen. Dies<br />
zeigt Ignatius´ praxisorientiertes, fast verhaltenstherapeutisches Vorgehen in diesem<br />
Abschnitt. Es drückt eine nüchterne Hinwendung zur Realität aus.<br />
Die allgemeine Prüfung des Gewissens (EB 32-44) bezeichnet Lambert als den<br />
„Blick aufs Ganze“ (1996, 220) und nennt die tägliche Gewissenserforschung<br />
„geistliches Schwarzbrot“ (Lambert 2000b, 217). Es geht dabei um das „reflectendo<br />
en si mismo“ (EB 235), das „auf sich selbst zurückbesinnen und einigen Nutzen aus<br />
dieser Sicht“ (Köster 1999, 45) zu ziehen.
43<br />
Ignatius wußte, wovon er sprach, wenn es um Sünde geht. Ein kurzer Blick auf seine<br />
Biographie macht dies deutlich. Eine Kugel ins Bein stoppte sein nicht gerade<br />
erbauliches Leben. Ein deutliches Zeugnis dafür ist, daß den ersten Biographen<br />
auferlegt wurde, nicht alles von seiner Biographie zu schreiben: Aggressivität,<br />
maßloser Ehrgeiz und ein „sehr freier Umgang mit Frauen“ (Lambert 2000b, 214) in<br />
dieser Zeit, sind Ignatius, wie er selbst sagt, nicht fern. Die Zeit nach der<br />
Verwundung auf dem Krankenlager wirft ihn im wahrsten Sinne des Wortes auf sich<br />
selbst zurück und leitet den Prozeß der Umkehr nolens volens ein.<br />
Die allgemeine Prüfung (EB 32 – 44) gibt Anleitung, das Gewissen nach den Sünden<br />
der Gedanken, Worte und Werke zu erforschen. Ignatius geht es darum, das Leben<br />
differenziert wahrzunehmen, wobei er zwischen Regungen und Gedanken<br />
unterscheidet, die von der Person selbst stammen und jenen, die von außen<br />
kommen. Es mischt sich Eigenes, das dem eigenen Willen und der eigenen Freiheit<br />
entspringt mit Fremdem, das vom guten oder schlechten Geist kommt (vgl. EB 32).<br />
In EB 43 zeigt Ignatius, wie bei der allgemeinen Gewissenserforschung vorgegangen<br />
werden soll. Bemerkenswert ist der erste Punkt, der darin besteht, Gott für die<br />
empfangenen Wohltaten Dank zu sagen (EB 43). Sie lenkt den Blick auf das Positive<br />
und leitet zunächst an, das wahrzunehmen, „was eigentlich trägt, lockt, weiterführt im<br />
Leben“ (Lambert 2000b, 221). Dann soll der Übende um die Gnade bitten, die Sünde<br />
zu erkennen und von sich zu werfen. Üben heißt nach Ignatius nicht nur eine<br />
Methode anwenden, sondern sie ist auch Gabe, Geschenk. Auf dieser Basis soll der<br />
Exerzitant den Tag durchgehen, Stunde für Stunde. Mit der Bitte um Verzeihung und<br />
dem Vorsatz der Besserung schließt die allgemeine Gewissenserforschung ab. Am<br />
Ende der erste Woche rät Ignatius zur Generalbeichte, „um ein Gespür für den<br />
Gesamtzusammenhang des Lebens zu entwickeln“ (Lambert 2000, 221). Der<br />
Tagesrückblick oder das „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“ (Lambert 2000b,<br />
212) als einer der wichtigsten Übungen will den Tag geistlich entziffern, um die<br />
‚Ordnung des Lebens‘ im täglichen Leben fortzusetzen“ Köster 1999, 47). Diese<br />
Übung durchzieht den gesamten Exerzitienprozeß.
4.2.1.2. Die täglichen fünf Übungen<br />
44<br />
Es sind fünf Übungen, Besinnungen (meditaciones) 8<br />
, die den Übenden mit der<br />
Realität der Sünde konfrontieren wollen. In der ersten Übung geht es um die Sünde<br />
der Engel, der Sünde Adams und der Todsünden, in der zweiten Übung um die<br />
persönlichen Sünden. Die dritten und vierten Übung sind Wiederholungen,<br />
Vertiefungen, die mit der Betrachtung der Hölle schließen.<br />
Die erste Übung (EB 45 – 54) führt Ignatius breiter aus, indem er detaillierte<br />
methodische Anweisungen gibt, die auch für alle späteren gelten. Es sollen alle drei<br />
Fähigkeiten (Seelenkräfte) eingesetzt werden, nämlich Gedächtnis, Verstand und<br />
Wille, wobei unter Wille in der mittelalterlichen Psychologie die Gefühle mitgemeint<br />
sind (vgl. Lambert 2000, 162) 9<br />
.<br />
Jede Übung beginnt mit dem Vorbereitungsgebet, das eine bewußte Einstellung auf<br />
das Ziel hervorrufen, aber auch das Bewußtsein wachhalten soll, empfangendes<br />
Geschöpf zu sein. Die erste Einstellung einer meditacion besteht in der „Zurichtung<br />
des Schauplatzes (composición viendo el lugar)“ (EB 47). Der Gegenstand der<br />
Betrachtung soll plastisch, sinnenhaft, wie auf einer Bühne vor-gestellt werden.<br />
Ignatius weist an, „mit der Schau der Einbildung den leiblichen Ort sehen, an dem<br />
sich die zu betrachtende Sache befindet“ (EB 47). Für die Übungen der erste Woche,<br />
in der es um die Betrachtung der Sünde, also etwas Abstraktes, geht, soll der<br />
Übende mit der „Schau der Einbildung sehen und betrachten, wie die Seele<br />
eingekerkert ist in diesem Leibe und der ganze Mensch in diesem Erdental wie<br />
verbannt unter unvernünftige Tiere“ (EB 47) lebt. Diese Formulierung mag abstoßend<br />
und befremdend klingen, hat aber den Sinn, die Seele in Bewegung zu bringen (vgl.<br />
EB 6), damit der Übende „mit seinem Kernschatten in Berührung kommt, um seine<br />
Kernverletzungen kennenzulernen“ (Köster 1999, 64). Köster versucht die Stelle<br />
tiefenpsychologisch zu erklären. Es gehe darum, aus dem unbewußten Ausagieren<br />
der Kernverletzungen herauszukommen, vom Opfer zum Täter zu werden, der „für<br />
seine unbewußte Täterrolle die Verantwortung übernimmt“ (Köster 1999, 64). So<br />
kann „seine größte Schwäche für ihn und andere zum Segen werden“ (Köster 1999,<br />
64). Die Haltung des Empfangens spiegelt die zweite Einstellung wieder, nämlich<br />
8 Vgl. dazu Lambert 2000b, 162ff<br />
9 Zur mittelalterlichen Psychologie siehe Lambert 2000b, 162
45<br />
Gott zu bitten und zu wünschen, was „ich will und wünsche (lo que quiero y deseo)“<br />
(EB 48, zit. nach Köster 1999, 65). Die innere Bewegung darf nicht selbst gemacht<br />
werden, sondern muß von Gott angeregt sein. Für die erste Woche bedeutet dies<br />
„Beschämung und Verwirrung über mich selbst zu erbitten“ (EB 48).<br />
Nach den methodischen Vorbemerkungen werden die Betrachtungen beschrieben:<br />
In der ersten geht es um die Sünde der Engel (EB 50): Gott ist nicht Zentrum,<br />
sondern das Geschöpf. Weiters soll die Sünde Adams und Evas (EB 51) betrachtet<br />
werden: Der Mensch ist nicht indifferent zum Geschaffenen, Mittel und Ziel zum Heil<br />
werden vertauscht. Schließlich ist die Sünde des „jeweils Einzelnen, der wegen einer<br />
Todsünde in die Hölle kam“ (EB 52) Gegenstand der Betrachtung. Der Schuß der<br />
Betrachtung mündet in die „unendliche Güte Gottes“ EB 52), die im abschließenden<br />
Zwiegespäch (EB 53) mit dem am Kreuz hängenden Herrn gehalten wird,<br />
„anschaulich (imaginando)“ (EB 54) wie Ignatius ausdrücklich anweist: „wie Er denn<br />
als Schöpfer dazu kam, sich zum Menschen zu machen und vom ewigen Leben zum<br />
zeitlichen Tod niederzusteigen und so für unsere Sünden zu sterben“ (EB 54).<br />
Ignatius weist an, dies anschaulich (imaginando EB 54) mit richtigen Worten zu tun,<br />
„wie ein Freund mit einem Freunde spricht oder ein Knecht zu seinem Herrn, bald um<br />
Gnade bittend, bald wegen eines begangenen Fehlers anklagend, bald seine<br />
Anliegen mitteilend und dafür Rat erbittend“ (EB 54).<br />
Es geht Ignatius bei der meditacion bzw. contemplacion wesentlich um den gezielten<br />
Einsatz aller Seelenkräfte (potencias del alma) (EB 50-53), später auch mit dem<br />
Einsatz aller Sinne (EB 66-70). Bei der Engelsünde heißt es, sich diese „ins<br />
Gedächtnis rufen; und dann über das Gleiche mit dem Verstande nachzudenken<br />
(discurriendo): und hierauf mit dem Willen, indem ich (willentlich) verlange, dieses<br />
Ganze ins Gedächtnis und Verständnis zu rufen, um je mehr mich zu beschämen<br />
und zu verwirren mit dem Willen entsprechend die Affekte zu bewegen“ (EB 50,<br />
zit. nach Haas 1977, 34). Entscheidend sind die Phasen: erstens sich in Erinnerung<br />
rufen, zweitens mit dem Verstand durchgehen und drittens mit dem Willen zu<br />
affizieren, im konkreten Fall Beschämung und Verwirrung zu wollen bzw. zuzulassen.<br />
Köster versucht die „symbolisch-intentionale Struktur“ (Köster 1999, 70) dieser ersten<br />
Übung zu erfassen: In EB 50-52 geht es um die „symbolische Repräsentation der
46<br />
Sünde als mir vorgegebene Wirklichkeit“ (Köster 1999, 71) durch Engel, Stammeltern<br />
und jeden verdammten Menschen (man könnte sagen: das, was ich erbe, im Sinn<br />
einer Erbschuld). Ergebnis ist die Sünde der Verweigerung, die zum Verlust der<br />
Gottesnähe führt (vgl. Köster 1999, 71). Dies übertrage ich nun „auf meine von der<br />
Unheilsgeschichte infizierte und real mitbestimmte Situation (EB 53 – 54), d.h. ich<br />
gehe mit der ganzen Wahrheit meines Lebens in die heilende und erlösende<br />
Gegenwart dessen, der sich ohne Rücksicht und Vorsicht (auch) für mich<br />
entschieden hat“ (Köster 1999, 71). Der Rahmen des Bildes bildet der Gekreuzigte<br />
„in dem Gottes unendliche Güte ein Antlitz und eine Gestalt bekommen hat“ (Köster<br />
1999, 71). Ziel ist es, mit diesem Gekreuzigten in einen personalen Austausch, in<br />
einen Dialog zu kommen, „wie ein Freund mit einem Freunde spricht“ (EB 54).<br />
In der zweiten Übung soll nun der Exerzitant die Realität seines von Schuld<br />
eingefärbten Lebens anschauen. Das Leben soll abschnittsweise durchgegangen<br />
werden, um sich die Sünden in Erinnerung zu rufen (EB 56) und sich als sündiges<br />
Geschöpf im Kosmos zu positionieren: Gott – Engel – Menschen und alle Kreaturen<br />
(vgl. EB 58).<br />
Diese vorgestellte Realität ist nun mit Affekt, mit innerer Bewegung zu füllen. In EB<br />
55 heißt es: Gott „um einen großen und durchdringenden Schmerz und um Tränen<br />
über meine Sünden“ bitten, oder in EB 60 die Anweisung: „staunender Ausruf mit<br />
stets steigendem Affekt beim nachdenklichen Durchgehen durch alle Geschöpfe, wie<br />
sie mich am Leben gelassen haben“ (EB 60, zit. nach Haas 1977, 37). Die Übung<br />
schließt mit einem Gespräch der Barmherzigkeit, als Antwort auf die Güte Gottes:<br />
„Überlegen und Danksagen Unserem Herrn, daß Er mir bis jetzt das Leben<br />
geschenkt hat, und sich Besserung für die Zukunft vornehmen mit seiner Gnade.<br />
Vater Unser.“ (EB 61)<br />
Die dritte und vierte Übung, die vor dem Mittagessen und zur Vesperzeit gehalten<br />
werden, sind Wiederholungen der ersten und zweiten Übung. Bei der dritten Übung<br />
heißt es in EB 62: „jene Punkte anmerkend und bei ihnen verweilend, bei welchen<br />
ich größere Trostlosigkeit spürte oder größeres Fühlen im Hl. Geiste“. Die<br />
Betrachtungspunkte sollen auf jene fokussiert werden, die eine innere Bewegung<br />
ausgelöst haben. Dadurch entdeckt der Übende „nach und nach die Spur, auf der<br />
Gott ihn weiterführen will“ (Köster 1999, 76). Ein dreifaches Gespräch (mit Maria,
47<br />
dem Sohn Gottes und Gott Vater) soll eine innere Erkenntnis „interno conoscimento“<br />
(EB 63) von Sünden und fühlbaren Abscheu vor ihnen hervorrufen, weiters ein<br />
Spüren von der Unordnung des Lebens, um sich zu bessern und schließlich eine<br />
Erkenntnis von der Welt, um sich von eitlen Dingen zu entfernen (vgl. EB 63). In der<br />
vierten Übung (EB 64) wird dann die dritte verdichtend („resumiendo“) (Köster 1999,<br />
78) wiederholt und die Aufmerksamkeit auf die „cosas contemplandas“ (Köster 1999,<br />
71) – die zu betrachtenden Dinge – mit aufmerksamer Hingabe gerichtet, um das<br />
Bewußtgewordene noch tiefer emotional zu verankern.<br />
Die fünfte Übung, die vor dem Abendessen gehalten werden soll, ist die Besinnung<br />
über die Hölle. (EB 65-71). „Sie bereitet sowohl denen, die Exerzitien geben, als<br />
auch denen, die Exerzitien machen, oft die größten Schwierigkeiten (Köster 1999,<br />
78f). Bei dieser Betrachtung geht es darum, daß es „eine letzte Konsequenz<br />
endgültiger Verweigerung“ (Köster 1999, 79) gibt, die „zur realen Möglichkeit des<br />
Übenden werden kann“ (Köster 1999, 79). Nach der ersten Einstellung –<br />
„imaginando“ (Zurichtung) (EB 65) – soll der Übende bitten, daß die Höllenrealität<br />
ganz nahe an ihn herankomme („interno sentimiento“, EB 65, zit. nach Köster 1999,<br />
79), um – wenn schon nicht aus Liebe zum Herrn – wenigstens aus Furcht vor der<br />
Hölle nicht in die Sünde zu fallen 10<br />
(vgl. EB 65). Die Angst hat an dieser Stelle eine<br />
wichtige Funktion. Sie „soll hier dem Übenden seine Freiheit bewußt machen. Am<br />
‚Ort‘ seiner Angst entdeckt er seine innere Bestimmung und Gefährdung“ (Köster<br />
1999, 79). Die fünfte Übung umfaßt fünf Punkte. Diese sind insofern bemerkenswert,<br />
als Ignatius den Übenden anweist, die Höllenrealität mit allen fünf Sinnen<br />
wahrzunehmen, entsprechend der Anweisung von EB 2 („sentir y gustar<br />
internamente“). „Nur was mir wirklich nahe kommt, kann ich mit meinen Sinnen<br />
erfassen, so daß es in mir ein inneres Fühlen (‚interno sentimiento‘) hinterläßt“<br />
(Köster 1999, 80). Die destruktiven Kräfte der Sünde sollen im Exerzitanten<br />
emotional verankert werden. Auch die fünften Übung mündet in ein Gespräch mit<br />
dem Herrn, als dankbare Antwort, bis jetzt am Leben erhalten worden zu sein und so<br />
viel Zuneigung und Barmherzigkeit („piedad y misericordia“, EB 71) erhalten zu<br />
haben. Dieses Berührtsein von der Zuwendung des Herrn soll die Basis für die<br />
10 Derselbe Gedanke, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, findet sich in der Benediktusregel, am<br />
Ende des 7. Kapitels „Über die Demut“ am Gipfel des inneren Weges. Dort gelangt der Mönch „zu<br />
jener Gottesliebe, die alle Furcht vertreibt. Aus dieser Liebe wird er alles...einhalten, nicht mehr aus<br />
Furcht vor der Hölle (‚timore gehennae‘), sondern aus Liebe zu Christus (‚amore Christi‘)“ (RB 7, 67ff).
48<br />
zweite Woche sein: das Sich-Öffnen für seinen Ruf (EB 91) und die Nachfolge (EB<br />
104).<br />
4.2.1.3. Zusätze<br />
In den Zusätzen – am Ende der erste Woche plaziert – gibt Ignatius Anweisungen,<br />
„die Übungen jeweils besser zu machen und um jeweils besser das zu finden, was<br />
man sucht“ (EB 73). Es geht um die Fokussierung der Gedanken und Stimmungen,<br />
aber auch um den bewußten Gebrauch des Körpers und der Begleitumstände.<br />
Schon beim Schlafengehen soll der Übende überlegen, wann und zu welchem Ziel er<br />
aufstehen werde (vgl. EB 73). Dann darf er beim Erwachen nicht jedem Gedanken<br />
Raum geben, sondern soll „sich sogleich dem zuwenden, was in der 1. Übung um<br />
Mitternacht betrachtet wurde (EB 74), und jene körperliche Haltung mit dem jeweils<br />
größten Effekt (z.B. stehen, knien, sitzen ... EB 76) wählen. Bemerkenswert ist auch<br />
der Zusatz, der zum Bleiben, zum Verweilen einlädt. Wenn „ich finde, was ich<br />
begehre, werde ich, ohne ängstliche Sorge weitergehen zu müssen, ruhig verweilen,<br />
bis ich mir genug getan habe“ (EB 76). Weiters soll jede Übung im Nachhinein<br />
reflektiert werden (EB 77). In der erste Woche soll der Übende nicht an Dinge<br />
denken wollen, die Fröhlichkeit hervorrufen und nicht lachen (EB 78, 80), das<br />
Zimmer verdunkeln und vom schlechten Wetter Gebrauch machen, um das zu<br />
finden, was er sucht (vgl. EB 79). Der 10. Zusatz betrifft Bußübungen, Nahrung (EB<br />
83), Schlaf (EB 84) und die „Züchtigung des Fleisches betreffend“ (EB 85f). Es soll<br />
ein ganzheitliches – um dieses so viel strapazierte Wort zu verwenden – Erfahren<br />
der geistlichen Realität sein. Ignatius gibt in EB 87 noch weitere Erklärungen über<br />
den Sinn der Buße. Neben der Genugtuung für die Sünden und als Mittel zu<br />
erlangen, was der Übende begehrt, ist es ein „Mittel um sich selbst zu überwinden,<br />
damit die Sinnlichkeit der Vernunft gehorche“ (EB 87).<br />
4.2.2. Existenzanalytische Entsprechungen<br />
Auf den ersten Blick scheint es zu den Themen Gewissenserforschung, Sünde, Hölle<br />
keine existenzanalytische Entsprechung zu geben. Beim genaueren Hinsehen und<br />
Verinnerlichen dieser Themen beginnen existenzanalytische Topoi mit erstaunlicher<br />
innerer Entsprechung aufzuleuchten.
49<br />
4.2.3. Existenzanalytisches Basistheorem<br />
An dieser Stelle scheint es mir wichtig zu sein, eine grundsätzliche Struktur zu<br />
erwähnen, um die existenzanalytische Sicht vom Menschen tiefer zu verstehen,<br />
nämlich das existenzanalytische Basistheorem (Längle 2001b, 28ff), in dem es um<br />
die dialogische Beziehung zu sich und der Welt geht. Denn der Mensch steht nach<br />
dieser Sicht in einem ständigen Dialog mit sich und der Welt. Existenzanalytische<br />
Therapie setzt genau an diesem Punkt an: falls dieser zweifache atmende Austausch<br />
blockiert ist, versucht die Therapie diesen Dialog wieder in Gang zu bringen (vgl.<br />
dazu 2.1.). Graphisch läßt sich dieser Sachverhalt folgendermaßen darstellen<br />
(Längle 2001a, 28, modifiziert):<br />
Die erste Graphik zeigt die Doppelbezüglichkeit zur Innen- bzw. zur Außenwelt:<br />
Beide Welten stehen im dialogischen Austausch miteinander, in dem es zu<br />
Stellungnahmen der Person kommt: Stellungnahme sowohl zu mir (der Innenwelt),<br />
als auch zum anderen (der Außenwelt). In der Schnittfläche beider Welten zeigt sich<br />
dann die Person.<br />
Die zweite Graphik streicht nun die beiden Pole der Person heraus: den Intimitätspol<br />
als das Innerste der Person und das Selbst, den Weltpol, als die „welthafte Identität<br />
der Person“ (Längle 2001a, 28). Man könnte den linken Teil der Graphik auch mit<br />
Selbstbezug, den rechten Teil mit Weltbezug umschreiben. Um die Verbindung mit<br />
den Exerzitien herzustellen, sehe ich in der Dynamik der erste Woche eher den
50<br />
Intimitätspol, den Selbstbezug gegeben, in der zweite Woche den Weltpol, den<br />
Weltbezug, obwohl der jeweils andere Pol immer mitgesehen werden muß.<br />
4.2.2.2. Selbstdistanzierung, innerer Dialog, Selbsterfahrung<br />
Die erste Woche der Exerziten könnte man mit dem Spruch, der über dem Orakel<br />
von Delphi stand ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ (erkenne dich selbst!) umschreiben.<br />
Selbsterkenntnis setzt ein Gewahrwerden der inneren Bewegungen und Vorgänge<br />
voraus, ein Zuwenden zu sich selbst, wie es im Intimitätspol (4.2.2.1.) ausgedrückt<br />
ist. Um mich aber mir zuwenden zu können, muß ich mich zuerst von mir<br />
distanzieren. Damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Punkt der<br />
existenzanalytische Lehre angelangt: der Selbstdistanzierung. Sie ist die „Fähigkeit<br />
der Person, von sich Abstand nehmen zu können“ (Tutsch, 2000a, 37). Der Mensch<br />
erfährt sich darin als jemand, der sich selbst gegeben und nicht ausgeliefert ist. Sie<br />
eröffnet die Möglichkeit, „etwas aus sich zu machen“ (ebd. 37). Voraussetzung für<br />
die Selbstdistanzierung ist die Freiheit. In ihr hat der Mensch die Fähigkeit, zu sich in<br />
Abstand zu treten, um sich zu sich selbst verhalten zu können. Denn er kann mit<br />
nichts umgehen, wenn er nicht mit sich selbst umgehen kann. Selbstdistanzierung ist<br />
der erste Schritt zur inneren Welt und eröffnet einen Raum der inneren Freiheit. (vgl.<br />
dazu Ausbildungskurs).<br />
Bereits Viktor Frankl, der Begründer der existenzanalytische Anthropologie, hat vor<br />
allem Wert auf die Distanznahme zum „Psychophysikum“ (Tutsch 2000a, 38) gelegt.<br />
Gemeint ist damit die Distanznahme des Geistigen (Freien) zum Leib-Seelischen.<br />
Frankl verwendet die Selbstdistanzierung unter anderem in der Therapie von<br />
Erwartungsängsten (Frankl 1991, 207f) oder von Zwangsneurosen (ebd. 215). Bei<br />
ihm ist aber „der Aspekt der Bezugnahme zu sich als Intensivierung der<br />
Selbsterfahrung vernachlässigt“ (Tutsch 2000a, 38).<br />
In der existenzanalytische Ausbildung (vgl. Ausbildungskurs) werden ganz praktische<br />
Formen der Selbstdistanzierung besprochen (s. Handout) wie Training, sich<br />
überwinden, Askese (was auch mit Übung, Training übersetzt werden kann), sowohl<br />
in körperlicher Form (z.B. fasten, kalt duschen), als auch in geistig-psychischer<br />
Weise (z.B. sich vornehmen, etwas Unangenehmes zu tun), Pausen einlegen, um<br />
Distanz zu gewinnen und sich zurücknehmen, sich selbst kommentieren, einer dritten
51<br />
Person erzählen. (Dazu könnte man aus der Literatur Homers Odyssee anführen, in<br />
der Odysseus seine Taten und Abenteuer immer wieder erzählt. Man könnte dies<br />
einerseits als Stilmittel betrachten, andererseits ist es m. E. auch eine Methode, um<br />
das Erlebte zu verarbeiten). Als weitere Akte der Selbstdistanzierung werden Humor,<br />
Gebet, Kunst, Trauer, Schlaf und letztlich der Tod beschrieben. Hier vollzieht sich<br />
Selbstdistanzierung in endgültiger Weise. Wenn man nun das hier Gesagte mit dem<br />
Exerzitienbuch vergleicht, ist eine Nähe zur Passage über die Buße zu erkennen<br />
(vgl. EB 87). In den Exerzitien ist die Selbstdistanzierung ein Mittel, die Sünde zu<br />
überwinden, in der Existenzanalyse, um zu einem atmenden Austausch zu kommen.<br />
Im Zusammenhang mit der Selbstdistanzierung ist mir der Sinn des Ausdrucks<br />
aufopfern (z. B. von Schmerzen, von Verlust) tiefer bewußt geworden. Aufopfern wird<br />
von manchen kirchlichen Kreisen überstrapaziert (alles annehmen, was kommt in<br />
Sinn einer Opferseele), von anderen wieder nur belächelt und entwertet. Ich sehe im<br />
Aufopfern zuerst einen Akt der Selbstdistanzierung, in dem ich mich vom Symptom z.<br />
B. des Schmerzes distanziere und einen Freiraum zwischen mir und dem Symptom<br />
schaffe. Ich habe nun die Möglichkeit mit dem Schmerz umzugehen, mich zu<br />
verhalten. In der christlichen Sichtweise kommt dann noch der Aspekt des Für hinzu,<br />
daß nämlich dieser Akt des Aufopferns einen Wert für andere Menschen hat, dieser<br />
Akt sozusagen der ganzen Menschheit zugute kommt. Mit Aufopfern verwandte<br />
Termini sind: loslassen, hingeben, anbieten, darbringen, offerieren. Diese haben den<br />
Schwerpunkt entweder mehr auf der Seite der Selbstdistanzierung oder auf der Seite<br />
der Pro-existenz (vgl. dazu Schürmann 1975), des Lebens für andere.<br />
Eine notwendige Ergänzung zur Selbstdistanzierung ist die Selbstannahme (Tutsch<br />
2000a, 38), „dem Bewußtsein und Gefühl des sich selbst gegeben und anvertraut<br />
Seins“ (Tutsch 2000a, 38). Ansonsten „besteht die Gefahr der Selbstverleugnung“<br />
(ebd.). Die Selbstannahme schließt auch ein vierfaches Ja ein: ein Ja zu meinem<br />
Dasein, zu meinem Leben, zu mir, so wie ich bin und ein Ja zu meinen Bezügen, in<br />
denen ich stehe (vgl. Ausbildungskurs). Bemerkenswert ist in diesem<br />
Zusammenhang, daß der Theologe Romano Guardini (+1968) meines Wissens nach<br />
als erster die Selbstannahme explizit in die Theologie, die geistliche Literatur<br />
eingebracht hat. 11<br />
Im Exerzitienprozeß hat dieser Topos einen wichtigen Platz. Viele<br />
11 Guardini R (2001)
52<br />
Exerzitienleiter unserer Zeit stellen die Selbstannahme an den Beginn, in die Phase<br />
des Prinzips und Fundament (siehe auch dort).<br />
An dieser Stelle noch eine kurze biblische Anmerkung zur Selbstannahme. Ich sehe<br />
in der Perikope von der Taufe Jesu, am Beginn seiner öffentlichen Tätigkeit, eine<br />
vom Vater induzierte Selbstannahme Jesu, die sich in der Stimme bei der Taufe am<br />
Jordan zeigt: „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Gefallen gefunden<br />
habe“ (Mk 1,11 parr). Der Vater steht hinter dem Sohn, läßt diesem seine Liebe, sein<br />
Wohlwollen spüren, damit der Sohn in seiner Sendung seinen authentischen Weg<br />
gehen kann – trotz enormer Widerstände bis hin zur Kreuzigung. In mein geliebter<br />
Sohn zeigt sich für mich der Grundwert: es ist gut, daß du bist; in Gefallen gefunden<br />
eher der Selbstwert: so wie du bist, ist es o.k.<br />
Eine für unseren Zusammenhang entscheidende Form der Selbstdistanzierung ist<br />
das Innere Gespräch (vgl. Handout, Ausbildungskurs), das auch „zentraler Wirkfaktor<br />
existenzanalytischer Psychotherapie“ (Handout) genannt wird. Das innere Gespräch<br />
greift die Selbstdistanzierung und die Selbstannahme auf, realisiert die<br />
Persondefinition als das In-mir-Sprechende und gründet den Selbstwert, nämlich das<br />
Ja zu meinem Sosein: sich selbst ernst nehmen und zu sich stehen (vgl. Handout).<br />
Eine Nähe zum inneren Gespräch weist das Kolloquium, das Zwiegespräch der<br />
Exerzitien auf, das am Ende jeder Übung gehalten werden soll (z.B. EB 53, 61, 71).<br />
Es handelt sich hier zwar nicht um ein Selbstgespräch, sondern um ein<br />
Zwiegespräch mit Jesus, Gott Vater, Maria, trotzdem weist es den Charakter eines<br />
inneren Gesprächs auf, da der Gesprächspartner quasi internalisiert ist.<br />
Die therapeutische Funktion besteht darin, daß durch das innere Gespräch versucht<br />
werden soll, den blockierten inneren Austausch mit sich selber nachzuholen. Durch<br />
das Schaffen eines inneren Gegenübers wird das innere Gespräch ermöglicht und<br />
damit die Begegnungsfähigkeit nach außen erweitert. Anders ausgedrückt: der<br />
blockierte Selbstbezug soll wieder in Gang gebracht werden, damit der Weltbezug<br />
wieder möglich wird. Man könnte das innere Gespräch auch als angewandtes<br />
existentielles Basistheorem (vgl. 4.2.2.1.) bezeichnen. Methode dafür ist die schon<br />
öfter erwähnte Personale Existenzanalyse: Zuerst sich erklären, was man tut, es<br />
begründen und mit sich darüber reden (PEA 0), dann das Erleben einholen (PEA 1)
53<br />
(Wie geht es mir damit?), Stellungnahme (PEA 2) treffen (Was halte ich davon?), und<br />
sich innerlich an jemanden richten und formulieren versuchen: Was will ich diesem<br />
Menschen sagen? (PEA 3). Dabei geht es zentral um die Wiederherstellung der<br />
Dialogfähigkeit: in der Existenzanalyse mit sich und der Welt, in den Exerzitien mit<br />
Gott. Dieser Dialog mit Gott hat den Austausch mit sich und den Menschen zur<br />
Folge, weil nach Ignatius Gott „in allen Dingen“ (vgl. EB 235) wohnt.<br />
Schließlich scheint es mir noch wichtig zu sein, auf das Thema Selbsterfahrung zu<br />
kommen, denn m. M. n. ist dies bei Ignatius besonders in der erste Woche und in der<br />
Abschlußbetrachtung „Zur Erlangung der Liebe“ (EB 230 ff) von Bedeutung. Dort<br />
kommt der Ausdruck reflectendo en si mismo viermal vor (EB 234, 235, 236, 237).<br />
Wörtlich könnte man übersetzen: zurückbiegen, zurückbesinnen auf sich selbst. In<br />
der Existenzanalyse hat diese Thema zur Spaltung geführt, für Viktor Frankl war es<br />
der Grund, sich von der Gesellschaft der Logotherapie und Existenzanalyse<br />
zurückzuziehen, als A. Längle diese in das Ausbildungscurriculum eingeführt hat<br />
(vgl. dazu Längle 1992, 3-7). Frankl nannte die Selbsterfahrung „absolut<br />
antilogotherapeutisch“ (Längle 1992, 3), denn „ganz Mensch ist der Mensch<br />
eigentlich nur dort, wo er ganz aufgeht in einer Sache, ganz hingegeben ist an eine<br />
Person. Und ganz selbst wird er, wo er sich selbst übersieht und vergißt“ (Frankl<br />
1984, 47). Er sieht darin die Gefahr eine „Hyperreflexion“ (Frankl 1982, 232), daß der<br />
Mensch nicht mehr seine Aufmerksamkeit auf die Welt des Sinns richtet, sondern mit<br />
sich in reflektiver Weise beschäftigt ist. Denn die wesensmäßige Bestimmung des<br />
Menschen sieht Frankl in der Selbsttranszendenz (vgl. Frankl 1959, 676). Ohne<br />
diese These in Frage zu stelle, setzt Längle seinen Entwurf einer existenanalytischen<br />
Selbsterfahrung entgegen: „Selbsterfahrung muß kein Verzicht auf Selbst-<br />
Distanzierung und Selbst-Transzendenz sein. Eine existentiell orientierte<br />
Selbsterfahrung setzt beide anthropologischen Grundfunktionen voraus – mehr noch:<br />
sie setzt sie auch ein! Da, wo es in der Selbsterfahrung (im Einzelgespräch oder in<br />
der Gruppe) um das Beleuchten des Umgangs mit sich selber geht, bewirkt dies ja<br />
gerade eine kritisch-wohlwollende, verstehende Distanznahme zu sich selbst und<br />
somit eine Ablöse von einem unkritisch-unbeurteilten, eventuell sogar dissonanten<br />
Verhalten und Selbsterleben, zu dem noch nicht Stellung bezogen wurde. Und dort,<br />
wo es in der Selbsterfahrung um den Umgang mit anderen geht, geht es um das<br />
kritische Beleuchten der personal-existentiellen Fähigkeit auf andere einzugehen, sie
54<br />
in ihren Beweggründen zu verstehen, offen zu sein etc. Darin wird Selbst-<br />
Transzendenz realisiert:“ (Längle 1992, 5). Bei der Selbsterfahrung geht es nicht um<br />
eine „psychische Nabelschau“ (Frankl, zit. nach Längle 1992, 4), sondern will eine<br />
Anleitung sein „zum besseren Sehen, Verstehen, Beurteilen und tieferen Erfahren<br />
der eigenen Existenz, um selbst ‚Experte‘ existentieller Lebensweise zu werden“<br />
(Längle 1992, 5). Damit wird auch der Gefahr vorgebeugt, von der Erfahrung anderer<br />
abhängig zu werden. Dies hat m. M. n. auch Ignatius klar erkannt, weshalb er dem<br />
Exerzitienleiter einschärft, den Exerzitanten „nicht zu der einen noch zu der anderen<br />
Seite“ (EB 15) hinbewegen, sondern „unmittelbar den Schöpfer mit dem Geschöpf“<br />
(ebd.) und umgekehrt wirken lassen soll. Sowohl in den Exerzitien als auch in der<br />
Existenzanalyse geht es um authentische innere Erfahrung.<br />
4.2.2.2.1. Exkurs aus Bibel und Tradition<br />
Wenn man Texte aus der Hl. Schrift und der geistlichen Tradition mit<br />
existenzanalytische Augen liest, kann man in diesen ähnliche Züge erkennen. Ein m.<br />
E. sprechendes Beispiel für die Selbstdistanzierung, inneres Gespräch, auch<br />
Selbsterfahrung findet sich im Psalm 42/43, der von den Exegeten als „Gebetslied“<br />
(Kraus 1978, 473) oder auch als „individuelles Klagelied“ (ebd.) bezeichnet wird. In<br />
diesem Klagegebet „lechzt“ (Ps 42,2) und dürstet (Ps 42,3) die Seele – eig. der<br />
„Atem“, das „Schnauben“ oder auch als „Selbst“ gedeutet (Kraus 1978, 474) – nach<br />
Jahwe, dem „Gott meines Lebens“ (Ps 42,3) oder wie es die Einheitsübersetzung<br />
sagt „dem lebendigen Gott“. Der Beter befindet sich in einer prekären Situation:<br />
Tränen sind seine Speise bei Tag und Nacht (Ps 42,4), er fühlt sich „aufgelöst“ (Ps<br />
42,7), von den Fluten weggespült (Ps 42,8), von Gott verlassen (Ps 42,10) von den<br />
Feinden bedrängt (Ps 42,10). Seine Gebeine sind zerschlagen (Ps 42,11), verspottet<br />
ist er von seinen Widersachern (Ps 42,11) im Rechtsstreit von List und Tücke<br />
umgeben (Ps 43,1). Diese Klagen werden mit einem dreimaligen Refrain<br />
durchzogen, einer „Herzensberuhigungsformel“ (Kraus 1978, 475), eines<br />
Selbstzuspruchs des Beters an seine verschmachtende Seele. Nach einem<br />
Klageabschnitt kommt es jeweils zur Selbstdistanzierung: Der Beter tritt aus seiner<br />
Klage heraus und wendet sich seiner Seele zu, indem er sie ermutigt: „Meine Seele,<br />
warum bist du betrübt und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm<br />
noch danken, meinem Gott und Retter, auf den ich schaue“ (Ps 42,6.12; 43,5). Nach<br />
der Selbstdistanzierung nimmt der Beter seine schmerzliche Situation wahr und ernst
55<br />
(er transzendiert sie nicht sofort), läßt sich ein, wendet sich ihr zu, begegnet ihr mit<br />
Verstehen und Wohlwollen (vgl. dazu den existenzanalytische Trauerprozeß,<br />
Handout), bleibt aber nicht dabei stehen. Er spricht seiner Seele gut zu und lenkt ihre<br />
Aufmerksamkeit zum helfenden Gott (Ps 42,6), nicht ohne sich an die Geborgenheit<br />
und Freude früherer Tage zu erinnern (Ps 42,5). Die Erinnerung im Zuspruch an die<br />
Seele spielt auch im Psalm 103 eine große Rolle: „Lobe den Herrn meine Seele und<br />
vergiß nicht, was er dir Gutes getan“ (Ps 103,2). Denn Gott hat schon die Schuld<br />
vergeben und alle Gebrechen geheilt (Ps 103,4), das Leben von Krankheit erlöst (Ps<br />
103,5). Höhepunkt ist die Erinnerung an Gottes Wesen, das gekennzeichnet ist<br />
durch Barmherzigkeit, Gnade, Langmut und Reichtum an Erbarmen (Ps 103,8).<br />
Ebenso die Selbstberuhigungsformel in Ps 116,7: „Komm wieder zur Ruhe, mein<br />
Herz. Denn der Herr hat dir Gutes getan“, oder wie man auch übersetzen könnte:<br />
Denn der Herr tut dir gut!<br />
Eine bemerkenswerte Form der Selbstdistanzierung, des ansatzweisen inneren<br />
Gesprächs und der Selbsterfahrung findet sich auch im Neuen Testament im<br />
Gleichnis vom verlorenen Sohn oder barmherzigen Vater, wie es auch genannt wird<br />
(Lk 15, 11-32). Der Sohn hat sein ganzes Erbe durchgebracht, dann als Schweinehirt<br />
(man bedenke für einen Juden!) gearbeitet und nicht einmal das Futter der Schweine<br />
bekommen. An diesem Tiefpunkt angelangt heißt es im Text (Lk 15,17): „Er ging in<br />
sich und sprach“ (eigentlich zu sich). Wörtlich steht im Text: kommend zu sich sprach<br />
er (eis heautón de elthon efe). Die Selbstdistanzierung wurde von außen, durch<br />
seinen erbärmlichen Zustand hervorgerufen, diese hat ihm eine klare Sicht der<br />
Realität vermittelt (daß es selbst den geringsten Tagelöhnern seines Vater besser<br />
geht als ihm, vgl. Lk 15,17), hat ihn in Beziehung zu sich gebracht, wodurch er<br />
schließlich in Dialog mit sich gekommen ist. Diese Art der Selbsterfahrung hat ihn<br />
bewogen, zum Vater aufzubrechen (Lk 15,18). Wichtig ist in diesem Zusammenhang<br />
die Grundbedingung seiner Rückkehr: die Erfahrung des barmherzigen Vaters (Lk<br />
15,20), der ihn schon von weitem kommen sieht, ihm entgegen läuft und Mitleid mit<br />
ihm hat (ebd.). Eine Erfahrung der Güte des Vaters hatte der Sohn bereits bei<br />
seinem Weggang, als er das Erbe widerspruchslos ausgehändigt bekam. Diese in<br />
gewisser Weise bedingungslose Annahme des Vaters induziert den Prozeß der Umund<br />
Rückkehr, letztlich auch die Selbstannahme des Sohnes. Eine andere
56<br />
Möglichkeit wäre die Verzweiflung, im äußersten Fall das Wegwerfen des eigenen<br />
Lebens gewesen.<br />
Aurelius Augustinus (354-430), Bischof von Hippo, kann meines Erachtens einen<br />
wichtigen Beitrag zu unserem Thema leisten. 12<br />
Der große lateinische Kirchenlehrer<br />
sieht Selbstbezug und Selbsterkenntnis als fundamental an. Mader (1991, 172f) führt<br />
dies in seiner Arbeit über Augustinus in folgender Weise aus: „Der menschliche Geist<br />
‚ist‘ nur, wenn er sich auf seinen Ursprung rückbezieht. Er hat sein Sein und Leben<br />
nur in dieser Rückwendung. Seine Endlichkeit beruht darin, daß er grundsätzlich<br />
nicht aus sich selbst ist; daß er erst ist, wenn er sich selbst zurück zu seinem<br />
Ursprung wendet, woher er das hat, wodurch er sich und alles Andere erkennen und<br />
wollen kann. Zweifellos gehört zu dieser Rückwendung auch eine Abwendung vom<br />
‚Außen‘ und eine Zuwendung zum ‚Innen‘. Die bloße Verinnerlichung als<br />
Negation des Äußeren erbringt noch keine positive Selbstbeziehung. Erst das<br />
Überschreiten des Ich, des Selbst in der Rückwendung zum Ursprung läßt dieses zur<br />
Person werden. Augustinus spricht immer wieder von Selbstidentität und<br />
Selbsttranszendenz – schon in ‚De vera religione‘ heißt es ausdrücklich: ‚Geh´ in dich<br />
hinein und überschreite dich!‘“ (Mader 1991, 172f). Bemerkenswert ist hier der<br />
Zusammenhang zwischen Selbst- und Fremdbezug. Fremdbezug ohne Selbstbezug<br />
ist nicht authentisch, Selbstbezug ohne über sich hinauszugehen, sprich<br />
Selbsttranszendenz kommt nicht zum Leben, bleibt steril. Dies sind<br />
Zusammenhänge, die auch die Existenzanalyse lehrt. – Dieses Wort Augustins, das<br />
bereits aus „De vera religione“ zitiert wurde, hat mich während meines<br />
Theologiestudiums geprägt: „Noli foras ire, in te ipsum redi, in interiore homine<br />
habitat veritas Deus intimior intimo meo“. „Geh´ nicht aus dir heraus“,<br />
sinngemäß übersetzt, „kehr´ in dich selbst zurück, im inneren Menschen wohnt die<br />
Wahrheit, Gott ist dir näher als du dir nahe bist“ (De vera religione 39,78; zit<br />
nach Pfligersdorffer 1983, 12). Gotteserkenntnis, Gotteserfahrung und damit jede<br />
echte Erfahrung, innere Erkenntnis ist nicht außengeleitet (obwohl meist von außen<br />
durch ein Wort, ein Ereignis induziert), sondern vollzieht sich letztlich im Innersten,<br />
biblisch gesprochen im Herzen, oder anders ausgedrückt: im Personkern, dem<br />
Personalissimum des Menschen. Ohne Selbstbezug ist keine Erkenntnis möglich,<br />
auf diese These könnte man die augustinischen Gedanken reduzieren. Daß<br />
12 Vgl. dazu die Stichworte wie Selbstbezug, Selbsterfahrung, Selbsterkenntnis in: Mader 1991, 444.
57<br />
Gotteserkenntnis – und Erkenntnis überhaupt – keine nur und in erster Linie rationale<br />
Angelegenheit ist, zeigt der folgende Text aus den „Confessiones“, den<br />
biographischen Bekenntnissen des hl. Augustinus. Hier wird deutlich, daß<br />
Gotteserkenntnis mit Fühlen (und das mit allen Sinnen) zu tun hat, wenn auch auf<br />
einer sublimen Weise. Leider ist die Übersetzung etwas pathetisch, das lateinische<br />
Original ist weit nüchterner und klarer.<br />
Ich liebe Dich Herr – ohne Wank und Zweifel, meiner Liebe voll und fest bewußt. Mein Herz hast<br />
Du mit Deinem Wort getroffen, und ich war Dein. Was aber liebe ich, da ich Dich liebe?<br />
Nicht die Schönheit eines Körpers noch den Rhythmus der bewegten Zeit; nicht den Glanz des<br />
Lichtes,...,nicht die süßen Melodien...nicht der Blumen, Salben, Spezereien Wohlgeruch...nicht<br />
Leibesglieder, die köstlich sind der fleischlichen Umarmung: nichts von alledem liebe ich,<br />
wenn ich liebe meinen Gott. Und dennoch liebe ich ein Licht, und einen Klang und einen Duft<br />
und eine Speise und eine Umarmung, wenn ich liebe meinen Gott: Licht und Klang und Duft<br />
und Speise und Umarmung meinem inneren Menschen. Dort erstrahlt meiner Seele, was kein<br />
Raum erfaßt, dort schmiegt sich an, was kein Überdruß auseinanderlöst. Das ist es, was<br />
ich liebe, wenn ich liebe meinen Gott. (Augustinus 1980, 497ff)<br />
Erkenntnis hat mit Liebe wesenhaft zu tun. Dies drückt der Text sehr sinnenfällig aus.<br />
Der Zusammenhang zwischen Liebe und Erkennen kommt bereits im Hebräischen<br />
deutlich zum Ausdruck. „Erkennen“ hat auch die Bedeutung von Entdecken von<br />
Mann und Frau in ihrer geschlechtlichen Unterschiedenheit mit dem daraus<br />
resultierenden geschlechtlichen Verkehren (vgl. dazu Schmitz 1977, 245). So findet<br />
sich der Ausdruck „Erkennen“ z. B. in Gen 4,1: Adam erkannte Eva; sie wurde<br />
schwanger. Im Neuen Testament ist dieser Zusammenhang im Wort Marias an den<br />
Engel erkennbar: „da ich keinen Mann erkenne“ (Lk 1,34).<br />
Selbsterkenntnis findet sich auch in der Benediktusregel. Der Vater des<br />
abendländischen Mönchtums weist die Brüder an, sie sollen immer im Herzen<br />
erwägen („animo suo semper revolvere“ RB 7,12), sich von jeglicher Art Sünden<br />
freizuhalten (RB 7,12). Und in Vers 18 heißt es weiter: „Der Mönch soll immer seine<br />
schlechten Gedanken gewissenhaft überprüfen und sich vor seiner Schlechtigkeit in<br />
Acht nehmen (observare)“. In der Benediktusregel hat Selbsterkenntnis, wie auch im<br />
Exerzitienbuch eine stark moralische Färbung.
58<br />
Ein meiner Meinung nach entscheidendes Wort sagt Jahrzehnte später Papst Gregor<br />
der Große (+604) in seiner Lebensbeschreibung des hl. Benedikt. Er beschreibt<br />
Benedikt als einen Menschen, der „habitavit secum“ 13<br />
(Gregor d. Gr. 1995, 114), der<br />
bei sich selbst oder mit bzw. in sich selbst wohnte, lebte. Dieses rätselhafte Wort<br />
spricht Gregor über Benedikt nach dessen Scheitern in Vicovaro, wohin er von den<br />
dortigen Mönchen als Vorsteher gerufen worden war. In dieser Gemeinschaft aber<br />
wurde er bald wegen seiner Strenge abgelehnt, ja es wurde sogar der Versuch<br />
unternommen, ihn zu vergiften. Danach „kehrte er an die Stätte seiner geliebten<br />
Einsamkeit zurück. Allein unter den Augen Gottes wohnte er in sich selbst“<br />
(Gregor 1995, 115). Im anschließenden Dialog mit seinem Gesprächspartner Petrus<br />
(die Lebensbeschreibung ist in Dialogform abgefaßt) erklärt Gregor dieses für Petrus<br />
unverständliche Wort: „Sooft wir nämlich durch die Unruhe der Gedanken zu sehr<br />
aus uns herausgeführt werden, sind wir zwar noch wir selbst, aber nicht mehr in uns<br />
selbst; denn wir verlieren uns selbst aus dem Blick und schweifen anderswo umher.“<br />
(Gregor 1995, 117). Weiter unten heißt es: „Der heilige Mann wohnte in sich selbst,<br />
weil er stets wachsam auf sich achtete, sich immer unter den Augen des Schöpfers<br />
sah, sich allezeit prüfte und das Auge des Geistes nicht außerhalb seiner selbst<br />
umherschweifen ließ“ (Gregor 1995, 117). Bemerkenswert ist auch der Hinweis auf<br />
den „Verlorenen Sohn“ (Lk 15), der in der Sichtweise Gregors unter sich war (Gregor<br />
1995, 119): „Können wir sagen, daß jener junge Mann in sich war, der die<br />
Schweine hütete? ‘Er kehrte in sich selbst zurück ‘ Wenn er aber in sich<br />
gewesen wäre, woher ist er dann zu sich zurückgekehrt?“ (Gregor, 1995, 117).<br />
Neben der eben beschriebenen Möglichkeit unter sich zu sein, gibt es noch die dritte<br />
Variante „über sich“ (Gregor 1995, 119) zu sein, nämlich im Geist der Verzückung,<br />
man könnte sagen in der Ekstase. Gregor wählt das Beispiel des Apostels Petrus,<br />
der von einem Engel aus dem Kerker befreit wurde (Apg 12,11). Der Normalzustand<br />
aber besteht darin, in sich selbst zu wohnen und über seine Gedanken zu wachen<br />
(vgl. Gregor 1995, 119) und sich nicht so leicht, um es alltagssprachlich zu sagen<br />
aus der Fassung bringen zu lassen. In sich selbst sein könnte man deuten, heißt:<br />
einen atmenden Austausch mit sich und der Welt zu haben und aus dieser Position<br />
heraus authentisch und personal, sozusagen frei handeln zu können. Ist dies nicht<br />
möglich (wie bei Benedikt in Vicovaro), bedeutet dies wieder in sich selbst<br />
zurückzukehren bis der Mensch fähig ist, sich authentisch zu entscheiden. Es geht<br />
13 Vgl. dazu auch Pausch 1992, 79ff
59<br />
um einen Prozeß des inneren Wachstums. Dafür hat das habitare secum eine<br />
entscheidende Funktion. Es ist sozusagen die Basis, auf der die innere Entwicklung<br />
aufbaut.<br />
Mit diesem Exkurs sollte gezeigt werden, daß Themen wie Selbstbezug, inneres<br />
Gespräch, Selbsterfahrung die biblisch christliche Tradition durchziehen und daß sie<br />
in vielfacher Hinsicht mit den Ansichten der Existenzanalyse kongruent sind.<br />
4.2.2.3. Inauthentizität, Gewissen, Reue<br />
Die existenzanalytischen Entsprechungen scheinen sich immer schwieriger zu<br />
gestalten. Haben sich in der Gewissenserforschung und der Sündenerkenntnis<br />
Ähnlichkeiten mit der Selbstdistanzierung, dem Inneren Gespräch und der<br />
Selbsterfahrung gezeigt, so kommen wir nun zur Frage, ob sich auch eine<br />
existenzanalytische Entsprechung zum Thema Sünde finden läßt. Eine klassische<br />
Definition von Sünde, (die auf Augustinus zurückgehen soll) lautet recurvatio (resp.<br />
incurvartio) in seipsum, Rückwendung, Zurückkrümmung in sich selbst. Auf den<br />
ersten Blick scheint dies ein Gegensatz zum im vorigen Kapitel (4.2.2.2.1.) zitierten<br />
Augustinischen noli foras ire (vgl. De vera religione 39, 78) zu sein. Doch in der hier<br />
angeführten Sündendefinition drückt sich die schon erwähnte berechtigte Sorge aus,<br />
daß Selbstbezug ohne Weltbezug, Selbstdistanzierung ohne Selbsttranszendenz ein<br />
steriles, unfruchtbares Kreisen um sich selbst bleibt. Das Wort der Rückkrümmung in<br />
sich selbst ist der Gedankenwelt Frankls sehr ähnlich, der die Metapher vom Auge,<br />
das sich im gesunden Zustand nicht sieht, verwendet: ein Auge, das sich sieht, ist<br />
krank. (vgl. dazu Frankl 1959, 676). Ein Mensch, der auf sich zurückgekrümmt ist,<br />
geht an seiner Bestimmung, an seiner menschlichen Wesenheit vorbei, oder<br />
theologisch ausgedrückt: Er lebt in Sünde. So könnte man die recurvatio in seipsum<br />
als einen pervertierten Selbstbezug bezeichnen.<br />
Eine andere Deutung von Sünde kommt vom griechischen Wort hamartánein, das in<br />
der Grundbedeutung das Ziel verfehlen (vgl. Gemoll 1965, 39) heißt, z. B. wenn ein<br />
Bogenschütze nicht trifft. M. a. W.: Sünde bedeutet, das Eigentliche des Lebens<br />
verfehlen, das Wofür des Lebens nicht in den Blick zu bekommen, die große<br />
Sinnperspektive zu verlieren oder an seinem eigentlichen Leben vorbeizuleben – um<br />
mit Christian Furnica zu sprechen, paraexistentiell zu leben (vgl. Furnica 1998, 13ff).
60<br />
Das eigentliche Leben könnte man in existenzanalytischer Sprache ausgedrückt<br />
authentisches Leben bezeichnen. Umgekehrt könnte man sagen: Sünde entspricht in<br />
gewisser Weise der Inauthentizität, dem nicht authentischen Leben. Damit sind<br />
Themen der dritte Grundmotivation angesprochen (vgl. 2.2.2.1.3.): Darf ich so sein,<br />
wie ich bin? Woher nehme ich die Gewißheit, so sein zu dürfen, wie ich bin? Es geht<br />
um die Fragen des Zu-sich-Stehens, des Selbstwerts, des Gewissens, der<br />
Authentizität.<br />
Was ist nun Authentizität? (vgl. dazu Längle A u S 2000, 7) Von der griechischen<br />
Wortwurzel her bedeutet authéntes (Gemoll 1965, 139): von eigener Hand<br />
ausgeführt, selbst vollendend, Urheber zu sein. In der Existenzanalyse geht es nun<br />
darum, einen Maßstab zu finden, „wonach ich mich selbst beurteile und mich selbst<br />
erkenne“ (Längle A 1999 Handout: Keimpunkt der Authentizität). Darin liegt die<br />
Erfahrung, daß ich so mit mir in die Zukunft gehen mag, daß die Richtung stimmt und<br />
daß dies von verläßlichen Anderen so eingeschätzt wird. Es ist das tiefe innere<br />
Gefühl der Richtigkeit, mehr noch der Stimmigkeit, das sich einstellt, wenn ich mich<br />
mit mir in Abstimmung bringe. Dies setzt die Anerkennung einer Tiefenperson als<br />
Urgrund des Ich voraus. Diese Tiefenperson ist das innerste, nie zu fassende Wesen<br />
des Menschen, das immer wieder aufbricht und mir sozusagen voraus ist. Aus dieser<br />
Tiefenperson – aus der Intimität mit sich selbst – meldet sich das Gewissen und so<br />
wird Authentizität als innere Stimmigkeit erlebt. In der durch die Freiheit ermöglichte<br />
Lebensgestaltung geht es darum, selbst zu sein, ohne sich fremdbestimmen zu<br />
lassen oder sich aufzugeben. Ob ich nun richtig liege erkenne ich daran, wenn die<br />
Zweifel aufhören, sich Friede und ein tiefes Gefühl so stimmt´s einstellt. Authentizität<br />
ist ein „Gefühl der Zentrierung in sich und des Ausgerichtetseins auf eine Zukunft, in<br />
der die Vergangenheit aufgehoben ist“ (Längle A 1999 Handout: Keimpunkt der<br />
Authentizität). Authentizität wird auch als das ursprüngliche Ich beschrieben, das<br />
Echte, das Gespür der Übereinstimmung mit sich selbst. Dies ist der authentische<br />
Maßstab der Selbstbeurteilung (vgl. Längle A Handout: Keimpunkt der Authentizität).<br />
„Darin kommt die (zeitliche) Einmaligkeit und (wesensmäßige) Einzigartikeit der<br />
Person zum Ausdruck, die sie in allen existentiellen Belangen (Entscheidungen,<br />
Handlungen, Verantwortung, Sinn) unvertretbar und unverzichtbar macht“ (Längle A<br />
u S 2000, 7). Mit Authentizität hängt ein weiterer wichtiger Begriff zusammen,<br />
nämlich der des Gewissens (vgl. dazu Tutsch 2000b, 22). Er wurde bereits in diesem
61<br />
Kapitel erwähnt. In der Existenzanalyse wird Gewissen definiert als „Gespür für die<br />
Hierarchie der Werte in einer Situation im Hinblick auf das, was die Person<br />
insgesamt für gut und richtig hält“ (Tutsch 2000b, 22). Erlebnismäßig zeigt sich das<br />
Gewissen „als das Spüren dessen, ‚was zu tun das Richtige (Stimmige) ist‘“ (ebd.).<br />
Die Existenzanalyse kennt zwei moralische Instanzen: das anerzogene Über-Ich<br />
(öffentliches Ich) und das Gewissen als „angeborenes, intimes ‚Sinnorgan‘ (Frankl).<br />
Das Gewissen unterscheidet sich vom Gehorsam fordernden Über-Ich durch<br />
wohlwollendes Anbieten der ureigensten Lebensmöglichkeiten“ (Tutsch 2000, 22).<br />
Der Akt, wie der Mensch zur Authentizität in Abstimmung mit seinem Gewissen<br />
kommt, wird in der Existenzanalyse mit Spüren bezeichnet (vgl. dazu dritte.<br />
Grundmotivation, 2.2.2.1.3.)<br />
Sünde könnte man nun als Inauthentizität bezeichnen, als Fremdbestimmung, als ein<br />
Leben, das nicht auf das Gewissen abgestimmt ist. Ignatius würde sagen, es ist ein<br />
Leben, das „von ungeordneten Neigungen bestimmt“ (EB 1) ist. Die Existenzanalyse<br />
zeigt einen Weg aus der Selbstentfremdung, der Inauthentizität auf, nämlich in der<br />
Reue (vgl. Längle A Handout: Reue – Bereuen. Personale Verarbeitung der<br />
Selbstentfremdung. Inauthentizität). Der erste Schritt besteht im Bedauern des<br />
Schadens, im bewußten Eingeständnis des Fehlers, der sich im Akt des Schämens<br />
vor sich und den anderen zeigt. Als zweiter Schritt folgt das Bereuen, als inneres<br />
Gespräch über das eigenen Handeln. Bereuen ist somit ein innerer Prozeß, in dem<br />
zuerst das Gespür für das Richtige aufgenommen und die Spannung zwischen dem<br />
Eigentlichen und dem, was ich getan habe, empfunden wird. Die Spannung führt in<br />
der Änderungsabsicht zur Motivation ich will es ändern, wenn notwendig, auch den<br />
Schaden wiedergutzumachen. Im zweiten Schritt liegt der Traueranteil der Reue, der<br />
im Emotionalen (vgl. dazu zweite. Grundmotivation in 2.2.2.1.2.) verankert ist.<br />
Dadurch erhält die Änderungsabsicht ihr Gewicht. Der innere Prozeß schließt im<br />
Sich-Verzeihen ab: es ist die innere Versöhnung mit sich und das Loslassen des<br />
Alten. Ging es im zweiten Schritt um den Selbstbezug, den Dialog nach Innen, so<br />
öffnet der dritten Schritt den Dialog nach außen, den Weltbezug in der Begegnung,<br />
im Gespräch. Nun hat sich der, der sich selbst entfremdet hat, der Schuldige, die<br />
Freiheit, sich selbst, seine Wunde zu zeigen. Er kann zu sich, zu dem, was er getan<br />
hat, stehen und die Reaktion der Welt aushalten bzw. annehmen. Zusammenfassend<br />
könnte man den Prozeß der Reue folgendermaßen beschreiben: Ich stelle mich zu
62<br />
meiner Erkenntnis und fasse mein Gefühl dazu, laß es in mir wirken und nehme<br />
Distanz zur eigenen Tat, hebe mich heraus und bringe mich in Dialog mit meiner<br />
Ursprünglichkeit. Dieser Akt der Selbstfindung öffnet mich wieder für andere. –<br />
Hilfreich in der Verarbeitung von Verletzungen ist der von außen, von der Welt<br />
entgegengebrachte Trost. Damit eröffnet sich wieder eine Sinnperspektive (vgl. dazu<br />
Längle A: Handout: Reue – Bereuen)<br />
4.2.2.3.1. Biblisches Paradigma: Die Sünde des Königs David<br />
Als alttestamentliches Beispiel für induzierte Selbsterkenntnis und Reue könnte man<br />
König David anführen, der das Verbrechen (vgl. dazu CIC can. 1090 §1; Ruf 1983,<br />
264) des qualifizierten Gattenmordes (2 Sam 11-12) begangen hat. Der König<br />
verliebt sich in Batseba, die Frau eines seiner Krieger, als er sie beim Baden sieht.<br />
Der König läßt ihn in der Schlacht an vorderster Front aufstellen. Er wird getötet und<br />
David nimmt Batseba zu seiner Frau. Der Prophet Natan versucht nun den König<br />
durch eine Geschichte zur Einsicht zu bringen, in der ein reicher Mann einem Armen<br />
dessen einziges Lamm wegnimmt. Hier wendet der Prophet eine Art Perspektiven-<br />
Shifting 14<br />
(vgl. dazu Kolbe 2000,17) an. Natan hat seine Geschichte noch nicht<br />
beendet, fällt ihm David ins Wort und verlangt den Tod für diesen Mann. Darauf das<br />
entwaffnende Wort des Propheten: „Du selbst bist dieser Mann“ (2 Sam 12,7). David<br />
kommt zur Selbsterkenntnis, zum Eingeständnis seiner Schuld: „Ich habe gegen den<br />
Herrn gesündigt“ (2 Sam 12,13) und bereut (2 Sam 12,16ff). Die Schuld wird ihm<br />
vergeben (2 Sam 12,13), die Lebenslinie des Königs aber weist ab diesem Zeitpunkt<br />
große Einbrüche auf (vgl. dazu 2 Sam ab 13). Bemerkenswertes Detail am Rand:<br />
eines der gemeinsamen Kinder Davids und Batsebas, der König Salomo, wird trotz<br />
der Vorgeschichte Träger der Verheißung (2 Sam 12,24). Damit wird deutlich, daß es<br />
biblisch einen Weg aus der Sünde zurück zum Heil, zur Integrität, den Weg der Reue<br />
gibt.<br />
4.2.2.4. Angst<br />
Konnten für Sünde in Inauthentizität und für Bekehrung in Reue existenzanalytische<br />
Entsprechungen gefunden werden, stellt sich nun die Frage, ob es auch für das
63<br />
Thema Hölle (4.2.1.2.) ein existenzanalytisches Analogon gibt. Die Höllenbetrach-<br />
tung des Exerzitienbuches gehört zu den schwierigsten Passagen, die sowohl<br />
denen, die Exerzitien geben wie denen, die Exerzitien machen, oft größte<br />
Schwierigkeiten bereitet (vgl. Köster 1999, 78f). Die Hölle stellt die Möglichkeit dar,<br />
daß es „eine letzte Konsequenz endgültiger Verweigerung“ (Köster 1999, 79) gibt. M<br />
E. hat Hölle existentiell mit dem großen Themenkreis der Angst 15<br />
(vgl. dazu Längle A<br />
1996 4ff) zu tun, die existenzanalytisch gesehen die Kehrseite der 1.<br />
Grundmotivation (vgl. dazu 2.2.2.1.1.), des Grundvertrauens darstellt. Angst ist nicht<br />
irgendein Thema, es ist ein, wenn nicht das Grundthema existenzanalytischer<br />
Psychotherapie (vgl. Längle A, Ausbildungskurs). Daß Hölle und Angst in innerem<br />
Zusammenhang stehen, zeigt sich nicht zuletzt im Ausdruck Höllenangst. Der<br />
Zugang zu diesem schwierigen Thema scheint aber in den Exerzitien und in der<br />
Existenzanalyse ein entgegengesetzter zu sein. Kommen im Normalfall Menschen<br />
mit Angststörungen in die Psychotherapie mit dem Ziel, von diesen geheilt zu<br />
werden, so wird in den Exerzitien die Angst durch die Höllenbetrachtung erst<br />
hervorgerufen. Man könnte in den Exerzitien von einer evozierten oder induzierten<br />
Angst sprechen, mit dem Ziel, die Möglichkeit des letzten Scheiterns in den<br />
Blickpunkt zu bekommen, um dann das Leben auf das eigentliche Ziel hin<br />
auszurichten. Aufs Erste betrachtet könnte man zusammenfassen: in der<br />
Existenzanalyse geht es darum, von der Angst befreit zu werden, in den Exerzitien<br />
dagegen vom paraexistentiellen Leben (vgl. Furnica 1999) zu einem Leben, das von<br />
den ungeordneten Neigungen befreit, den göttlich Willen zum Heil der Seele sucht<br />
(vgl. EB 2). Dieser Gegensatz läßt sich aber bei tieferer Betrachtung nicht<br />
aufrechterhalten. Denn in der Existenzanalyse wird Angst nie als nur etwas<br />
Negatives gesehen, im Gegenteil: sie ist die „‘via regia‘ in die Tiefe des Daseins“<br />
(Längle A 1996, 12), der Königsweg zum Seinsgrund. Heidegger nennt Angst die<br />
„Grundbefindlichkeit ... als eine ausgezeichnete Erschlossenheit des Daseins“.<br />
(1979, 184ff). Das Dasein ist in der Tat aus zwei Gründen angsterregend: erstens,<br />
weil es keine absolute Sicherheit in der Existenz gibt – Unberechenbares ist immer<br />
14 Diese existenzanalytische Methode wird angewandt, wenn eine Betroffenheit aufgrund eines<br />
Erlebnisses oder einer Erfahrung hätte vorliegen müssen. Dies kann möglich werden, wenn die<br />
Perspektive des Betreffenden verändert wird (vgl. Kolbe 2000,17)<br />
15 Während ich diese Zeilen schreibe wird gerade der <strong>International</strong>e Kongreß der Gesellschaft für<br />
Logotherapie und Existenzanalyse (28. –30.3.2003 in Hamburg) mit dem Thema „Angst – Phänomene<br />
existentieller Verunsicherung und ihre Behandlung“ vorbereitet. Die Referate lassen eine vertiefte<br />
Sicht auf die Angstproblematik erwarten.
64<br />
möglich – und zweitens, weil die menschliche Existenz eine begrenzte Seinsform<br />
zum Tod darstellt. Leben ist Sein zum Tod. Ein Ausspruch eines Theologieprofessors<br />
aus meiner Studienzeit illustriert diese Grundbefindlichkeit: Malum metaphysicum est<br />
limitatio entis (das metaphysische, man könnte sagen, das grundsätzliche Übel ist<br />
die Begrenztheit des Seienden). Die Begrenztheit, die Endlichkeit des Lebens<br />
bewußt anzunehmen und positiv mit ihr zu leben, stellt eine große Aufgabe dar. Sie<br />
ist vielleicht die größte Herausforderung menschlicher Existenz. Die Angst provoziert<br />
mich mit dieser Tatsache auseinanderzusetzen. Nach Heidegger (vgl. dazu 1979,<br />
184ff) zeigt die Angst die Welt in ihrer Unheimlichkeit, weil die alltägliche Vertrautheit<br />
wie eine Täuschung in sich zusammenbricht. In ihr wird der Mensch vor den<br />
Abgrund, den Zusammenbruch, das Scheitern, vor das Nichts gestellt, das zur Welt<br />
gehört und das Dasein von überall her bedroht. In der Unheimlichkeit der Angst<br />
erfährt sich der Mensch isoliert, vereinzelt und auf sich zurückgeworfen. Die Gefahr<br />
eines oberflächlichen (nicht eigentlichen Lebens) besteht darin, sich in ein<br />
Verfallensein in die Welt zu flüchten, in eine beruhigte Vertrautheit bei innerweltlich<br />
Seiendem. Heidegger nennt dies Verfallensein in eine uneigentliche, verfremdete<br />
Existenz (vgl. 1979, 191). Existenzanalytisch könnte man sagen: die Angst macht<br />
den Menschen aufmerksam, wenn er „von etwas Relativem eine Absolutheit“ fordert<br />
(Längle A 1990/1997 Handout: Existenzanalyse der Angst, 6), m. a. W. wenn er den<br />
absoluten Halt, den letzten Seinsgrund von etwas Kontingentem (Zufälligem, was in<br />
der Welt vorzufinden ist) erwartet. Damit sind Werte wie Garantien für Besitz,<br />
Beziehungen, aber auch Forderungen wie absolut richtig handeln und den Sinn des<br />
eigenen Lebens zweifelsfrei erkennen zu müssen gemeint (vgl. Längle A 1990/1997<br />
Handout, 6). Wenn aber die Angst nicht geleugnet und sich ihr gestellt wird, hilft sie<br />
dem Menschen „das ganz Eigene und Eigentliche als Möglichkeit seines Seins<br />
offenbar zu machen“ (Längle A 1996, 5). Frankl sieht die Angst letztlich in der<br />
Endlichkeit des Daseins begründet. Dadurch ist der Mensch darauf angewiesen,<br />
jeden Tag seines Daseins sinnvoll zu gestalten. Hätte er unendlich Zeit, könnte er<br />
sich unendlich lange Zeit lassen und müßte nicht den Sinn des Augenblicks suchen<br />
(vgl. Längle 1996, 5). Die heutige Existenzanalyse sieht den sich ängstigenden<br />
Menschen als einen Menschen auf der Suche nach Halt, der von der Ver-nichtung<br />
bedroht ist. Auf der anderen Seite macht die Angst den Menschen wach, gesammelt,<br />
fokussiert, sie ist Ausdruck der Ernsthaftigkeit des Daseinswillens und einer<br />
persönlichen Lebensgestaltung. Pathologisch wird die Angst aber, wenn der Halt –
65<br />
wie schon erwähnt – eine Garantie für eine absolute Sicherheit bieten soll (vgl.<br />
Längle A 1996, 6).<br />
Existenzanalytisch werden zwei Formen der Angst beschrieben: die Grundangst und<br />
die Erwartungsangst (Längle A 1996, 6). Die Grundangst entsteht durch die<br />
Erschütterung haltgebender Strukturen, wenn das Nichts ins Dasein hereinbricht,<br />
wenn die Brüchigkeit, Begrenztheit der Welt erfahren und die potentielle Nichtigkeit<br />
der Existenz deutlich wird. „Die Grundangst ist eine Begegnung mit dem ‚Nichts‘, das<br />
durch die hohlen Augen von Vergangenheit und Tod ins Dasein hereinstarren kann“<br />
(Längle A 1996, 7). Die Erwartungsangst wird beschrieben als ängstliche Einstellung<br />
bzw. als Haltung zur Angst. Sie liegt sozusagen eine Ebene über der Grundangst, als<br />
sekundäre Reaktion auf die Angst. Der Mensch ist der Angst nicht mehr gewachsen,<br />
die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Welt ist erschüttert. An ihre Stelle<br />
treten Schutzhaltungen (Copingreaktionen), es kommt zur Ausbildung von<br />
angstabwehrenden Haltungen (Längle A 1996, 7). Die frei flotierende Angst soll<br />
durch Vermeiden, Flucht, Bekämpfen, Totstellreflex, durch starre Rituale oder<br />
magische Beschwörungen gebannt werden.<br />
Wenn wir nun wieder auf die Höllenbetrachtung der Exerzitien zurückkommen, stellt<br />
sich die Frage, ob es sich dort um eine Grund- oder um eine Erwartungsangst<br />
handelt. M. E. will Ignatius mit dieser Übung die falschen Sicherheiten aufbrechen<br />
(das Verfallensein an die Welt, um mit Heidegger zu sprechen), den Menschen mit<br />
der letzten Brüchigkeit des Seins, mit der Ver-nichtung konfrontieren, um ihn auf die<br />
Spur des eigentlichen Lebens (in existentieller Sprache ausgedrückt) hin zu<br />
bewegen. M. E. handelt es sich hier in erster Linie um eine induzierte Grundangst.<br />
Sekundär kann man auch von einer induzierten Erwartungsangst sprechen, um das<br />
Leben im Hinblick auf die Angst vor der Hölle, den timor gehennae (RB 7,67), wie es<br />
in der Benediktusregel heißt, zu bessern. An dieser Stelle zeigen sich sowohl der<br />
existentielle Pol in der Grundangst, als auch der moralische Pol in der<br />
Erwartungsangst. M. E. ist bei Ignatius der existentielle Pol der entscheidende,<br />
obwohl auch die moralische Färbung nicht zu übersehen ist. – Am Beginn dieses<br />
Kapitels habe ich die Behauptung aufgestellt, daß es sich bei Ignatius um eine<br />
evozierte bzw. induzierte Angst handelt. Aber auch in der existenzanalytische<br />
Therapie der Erwartungsangst wird mit Angstinduktion im Sinn der
66<br />
Angstkonfrontation gearbeitet. Die Erwartungsangst braucht eine Konfrontation mit<br />
den angstmachenden Realitäten und die Erschütterung der klammernden Haltungen,<br />
die den Zugang zum Sein blockieren und die Haltung der Gelassenheit verhindern<br />
(vgl. Längle A 1996, 9). Konkret wird in dieser Methode – Tor des Todes genannt –<br />
konsequent nachgefragt, bis zur letzten, tiefsten Angst vorgedrungen wird, die im<br />
Normalfall die Todesangst, die Vernichtungsangst darstellt. Sich dieser Angst zu<br />
stellen, in gewisser Weise zu sterben und aus diesem Zustand das Leben neu zu<br />
gestalten (Ignatius würde ordnen sagen, vgl. EB 21) ist Frucht des Durchgangs durch<br />
das Tor des Todes (vgl. dazu Längle A 2000d, 3; ders. 1996/99 Handout: Therapie<br />
der Angst).<br />
Als Abschluß dieses Kapitels ein Zitat von A. Längle, das den Sinn der Angst wie<br />
folgt zusammenfaßt:<br />
So sehen wir den tieferen Sinn der Angst einerseits darin, all das zu finden, was dem<br />
Menschen Halt geben kann für dieses Leben auf dieser Welt; andererseits aber darin zu<br />
lernen, alles das lassen zu können, was aus der Welt stammt, und die Begrenztheit der<br />
Existenz zu akzeptieren. Nur wer letztlich das Leben lassen kann, kann sich in das<br />
Leben einlassen. So können wir beginnen, ‚endlich‘ zu leben (Längle A 1996, 12).<br />
4.2.2.4.1. Biblische Beispiele: Abraham, Jakobs Kampf, Jesus am Ölberg<br />
Eine bemerkenswerte Begegnung mit der Angst hat Abraham in Gen 15. Abraham –<br />
alt und kinderlos – empfängt die Verheißung, Nachkommen wie Sterne am Himmel<br />
zu bekommen. In dieser Stelle geht es um das Vertrauen, den Glauben an die<br />
Führung Gottes. Zur Besiegelung dieser Verheißung an Abraham wird er von Gott<br />
angewiesen, ein Brandopfer darzubringen. Während er dies tut, „stießen Raubvögel<br />
auf die Fleischstücke herab, doch Abraham verscheuchte sie“ (Gen,15,11). Die<br />
Vögel sind ein Symbol der hereinbrechenden Angst. – Bei Sonnenuntergang, heißt<br />
es weiter, „fiel auf Abraham ein tiefer Schlaf; große, unheimliche Angst überfiel ihn“<br />
(Gen,15,12). In diese Erschütterung hinein spricht Gott sein Wort der Verheißung<br />
des Bundes mit Abraham. Man könnte sagen: die Angst öffnet die Tiefenschichten<br />
des Menschen und macht ihn in dieser Lebensveränderungskrise bereit für<br />
(manchmal fundamental) neue Lebensphasen. Voraussetzung dafür aber ist die<br />
positive Bewältigung dieses Einbruchs und das Erkennen der Krise als Chance.
67<br />
Nebenbei bemerkt: das chinesische Schriftzeichen für Krise ist aus Gefahr und<br />
Chance 16<br />
zusammengesetzt (vgl. dazu Sonneck 1995, 28). Das Phänomen der Krise<br />
schließt beide Momente ein.<br />
Ein weiteres alttestamentliches Beispiel einer Angstkonfrontation findet sich in<br />
Jakobs Kampf mit einem Mann am Jabbok (Gen 32,23-33). Jakob, der Sohn Isaaks<br />
und Rebekkas, der jüngere Zwillingsbruder Esaus (Gen 25,19-26), zeigt sich als<br />
schlauer, durchtriebener, aber auch als von Angst getriebener und flüchtender<br />
Mensch. Jakob hat ein besonderes Naheverhältnis zu seiner Mutter, die ihm durch<br />
einen Trick (das berühmte Linsengericht) das Erstgeburtsrecht verschafft (Gen 27,1-<br />
40). Seither ist er auf der Flucht vor seinem Bruder, weil er Angst hat, von ihm getötet<br />
zu werden (Gen 27,41ff). Nach Jahren führen die Wege beider Brüder wieder<br />
zusammen, ein Treffen wird unvermeidlich (Gen 32). Jakob hat große Angst (Gen<br />
31,8), deshalb versucht er es zuerst mit Beschwichtigung, indem er Esau immer<br />
wieder große Geschenke schickt (Gen 32,1-13). Doch dann erfährt Jakob eine<br />
Angstkonfrontation der eigenen Art. Am Vorabend des zu erwartenden<br />
Zusammentreffens, nachdem er seine Frauen und Herden über den Fluß gebracht<br />
hat, bleibt er allein (vereinzelt) ohne Schutz und äußeren Halt, ganz auf sich<br />
geworfen. Da überfällt ihn ein unbekannter Mann und sie ringen die ganze Nacht<br />
miteinander. Die Nacht gilt als Zeit des Unheimlichen und der Ungeborgenheit.<br />
Gegen Morgengrauen fragt Jakob nach dem Namen des Unbekannten. „Was fragst<br />
du mich nach meinem Namen?“ (Gen 32, 30). Da wußte Jakob, daß er es nicht mit<br />
einem gewöhnlichen Menschen zu tun hat. Wer ist nun dieser Mann? Ein Engel, ein<br />
Dämon, oder Gott selbst? In der jüdischen Auslegung sollen alle drei Varianten von<br />
verschiedenen Auslegern für möglich gehalten werden. Man könnte den Mann<br />
weiters auch als Jakobs Schatten, als seine personifizierte Angst deuten. Am Ende<br />
des Kampfes verläßt Jakob den Jabbok als Verwandelter mit einem neuen Namen,<br />
sozusagen mit neuer Identität: „Nicht mehr Jakob 17<br />
wird man dich nennen, sondern<br />
Israel ; denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und hast<br />
gewonnen“ (Gen 32,29). Er geht aber auch als Verwundeter, Gezeichneter, als<br />
Hinkender (Gen, 32,32) und dadurch Erfahrener von diesem Kampfplatz. Nach<br />
16<br />
Krise als Gefahr und als Chance könnte man als eines der Leitmotive bezeichnen, die die Arbeit in<br />
der Kriseninterventionsstation der Christian-Doppler-Klinik in Salzburg (Leiter R. Fartacek)<br />
kennzeichnen.<br />
17<br />
Was so viel wie Fersenhalter oder trivial ausgedrückt Haxlsteller heißt
68<br />
dieser Konfrontation mit seinem Kernschatten wird Jakob fähig, Vater des<br />
Zwölfstämmevolkes Israel zu werden. Aber: Jakob wird trotz seiner Verwandlung<br />
kein anderer Mensch, er bleibt ängstlich und vorsichtig. Nach dem Kampf in der<br />
Nacht kommt es zur Begegnung mit Esau, das Treffen gestaltet sich problemlos.<br />
Vielmehr ist Esau über die große Angst seines Bruders sehr überrascht (Gen 33,1-<br />
20). Man könnte in dieser Perikope eine Therapie der Erwartungsangst sehen.<br />
Im Neuen Testament finden sich viele Beispiele von Angstkonfrontationen, z. B. in<br />
Mk 4,35-41, der Stillung des Seesturms, als Jesus seinen Jüngern sagt: „Warum<br />
habt ihr solche Angst? Habt ihr keinen Glauben?“ (Mk,4,40) Nebenbei bemerkt: Das<br />
Wort Glaube heißt im Griechischen pístis und bedeutet Glaube und Vertrauen, auch<br />
Zuverlässigkeit (vgl. Gemoll 1965, 607). Auch hier ist die Beziehung zwischen Angst<br />
und Vertrauen, wie sie existenzanalytisch in der 1. Grundmotivation gesehen wird<br />
(vgl. dazu 2.2.2.1.1.), zu erkennen.<br />
Jesus, der seinen Jüngern das Vertrauen sozusagen als Gegengift gegen die Angst<br />
zeigt, wir selbst von der Angst in ihrer schwersten Form, der Agonie (vgl. Lk 22,43),<br />
der Todesangst in Getsemani (Mk 14,26-42) heimgesucht. Nach dem Abendmahl,<br />
als der Verrat des Judas evident geworden war, geht Jesus mit seinen Jüngern<br />
hinaus auf den Ölberg. Dort setzt er sich ab, um allein zu beten. Sein Beten erinnert<br />
an Jakobs Kampf am Jabbok. Lukas spricht ausdrücklich von Kampf (14,36). Allein –<br />
die Jünger schlafen – vereinzelt, auf die Erde geworfen (Mk 14,35), sozusagen auf<br />
sich selbst geworfen, betet er. In diesem Gebet ist schon etwas von seinem Gebet<br />
am Kreuz, dem Todesschrei (Mk 15,37) zu spüren, wo er sich selbst von seinem<br />
Vater verlassen erfährt (Mk 15,34). Drei Verben beschreiben bei Markus die<br />
Todesangst Jesu: ekthambeisthai, ademonein (Mk 14,33) und perilypos esti he<br />
psyche mu eis thanatu (Mk 14,34). Ersteres hat die Bedeutung von Entsezten „und<br />
kennzeichnet den Schauder bei der Erfahrung des Heiligen, hier ... im drohenden<br />
Tod“ (Pesch 1977, 389). Das zweite Verb drückt das in Angst oder Verlegenheit sein<br />
aus (vgl. Gemoll 1965, 10), es hat auch die Bedeutung von Grauen und Zagen,<br />
Kummer, Unruhe und „Furcht und Schrecken“ (Pesch 1977, 389). Der dritte<br />
Ausdruck spricht von einer Umhüllung (peri-) von Traurigkeit (lype) der Seele bis in<br />
den Tod. Dieses peri- wird auch als Bild des Umschlossenseins, des aussichtslosen<br />
dunklen Tunnels der Verzweilfung gedeutet. E. Ringel soll darin die Versuchung Jesu
69<br />
zum Suizid gesehen haben 18<br />
. Einengung ist ja eines der Symptome des<br />
Präsuizidalen Syndroms nach Ringel (vgl. dazu Sonneck 1995, 155f; Nindl 2001, 55).<br />
Die Schwere der Angst wird bei Lukas in dem Bild, daß Jesu Schweiß wie<br />
Blutstropfen (thromboi! haimatos) auf die Erde niederfallen (Lk 22,44), ausgedrückt.<br />
In seiner Agonie kommt ihm nach Lukas ein Engel zu Hilfe und stärkt Ihn (vgl. Lk<br />
22,43). Als Jesus von seinem Gebet resp. Kampf aufgestanden war (das griechische<br />
Wort läßt auch die Auferstehung mitschwingen) und seine Jünger schlafend findet,<br />
hat er als Wort an sie : „Wachet und betet“ (Mk 14,28), bei Lukas „Steht auf und<br />
betet“ (Lk 22,46). Darin zeigt sich m. M. n. die Aufforderung, sich bewußt der Angst<br />
zu stellen und sie durchzustehen bzw. durchzukämpfen.<br />
4.2.2.5. Emotion<br />
Dem existenzanalytisch geschulten Leser wird sicher aufgefallen sein, daß es<br />
Ignatius in den Exerzitien nicht nur um verstandesmäßige, rationale Übungen geht,<br />
sondern daß es ihm auf die Sinnenhaftigkeit ankommt, auf das emotionale Erleben<br />
Damit befinden wir uns existenzanalytisch gesehen auf der Ebene der 2.<br />
Grundmotivation, in der es vor allem um das Er-leben geht (vgl. 2.2.2.1.2.).<br />
An dieser Stelle möchte ich an die Aufgaben des Exerzitienleiters erinnern, der die<br />
Betrachtungen nicht vollständig auslegen, sondern vielmehr den Übenden anleiten<br />
soll, selbst in den Stoff einzudringen, selbständig die Geschichte zu überdenken, um<br />
dann selbst auf den Geschmack zu kommen und die geistliche Frucht genießen zu<br />
können (vgl. EB 2). „Denn nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge,<br />
sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von innen“ (EB 2). Die spanischen<br />
Ausdrücke für Fühlen (sentir) und Kosten 19<br />
(gustar) sprechen von selbst. Auf dem<br />
geistlichen Weg sind die Sinne, ist das Fühlen wesentlich beteiligt, es ist eine<br />
conditio sine qua non im Prozeß der inneren Erkenntnis. Was die Sinnenhaftigkeit<br />
betrifft sei auch an die in 4.2.2.3.1. erwähnte Augustinusstelle verwiesen, in der er<br />
die Gottesbeziehung sinnenhaft beschreibt.<br />
Weiters geht es im Exerzitienprozeß um „geistliche Bewegungen“ (EB 6) wie Trost<br />
und Trostlosigkeit: der Exerzitant ist von verschiedenen Geistern getrieben“ (EB 6).<br />
18 Nach einer persönlichen Mitteilung von Bischof A. Stöger<br />
19 Kosten erinnert an einen Psalmvers (34,9). „Kostet und seht, wie gut der Herr ist“
70<br />
Für Bewegungen steht im spanischen Text mociones, es geht also um E-motionen,<br />
um Gefühle, die die Thymopsyche, also den affektiven Bereich der Seele betreffen.<br />
Wie bereits erwähnt fällt die Emotion in der mittelalterlichen Psychologie in den<br />
Bereich des Willens; dieser Bereich ist für den inneren Prozeß von großer<br />
Bedeutung. Interessanterweise begegnet der Ausdruck affectarse (er wird mit sich<br />
stimmen übersetzt) in EB 16, worin es darum geht, sich zum Gegenteil von dem was<br />
ich anstrebe, hin zu stimmen (affizieren), um sicher zu sein, daß ich das, was ich<br />
anstrebe, keine ungeordnete Neigung ist. Man könnte die Formel aufstellen: Ohne<br />
innere Bewegung kein Exerzitienprozeß.<br />
Daß die Emotionen in der neueren Entwicklung der Existenzanalyse, der „personalen<br />
Wende“ (Längle A 2000i, 11) eine bedeutsame Rolle spielen, dürfte aus dem bisher<br />
dargelegten erkennbar sein. Die zweite Grundmotivation (2.2.2.1.2.) und die PEA 1<br />
(2.2.2.2., 4.3.2.1.) handeln davon. Die Grundthese der existenzanalytische<br />
Emotionstheorie besagt, „daß jedes Gefühl eine Reaktion auf die Wahrnehmung<br />
eines Objektes ist, die durch ein physisches, psychisches oder geistiges Berührtsein<br />
entsteht, wodurch die Vitalität (beim Fühlen) und/oder die Geistigkeit (beim Gespür)<br />
des Menschen in Bewegung gerät, was vom Ich als (Gefühls)-Kraft erlebbar und<br />
Grundlage von Werterfassen (Emotionstheorie) und Beziehung ist“ (Längle A 2000i,<br />
11). Zeit ist der wichtige Faktor für die Entstehung von Gefühlen. Die PEA beschreibt<br />
–als prozessuales Emotionsmodell – die zeitliche Abfolge der Gefühle: Die „‘primäre<br />
Emotion‘ (PE) besteht aus Affekt, Impuls und phänomenalem Gehalt der<br />
Gefühlswahrnehmung, die Verarbeitung der PE führt zur ‚integrierten Emotion‘ (IE),<br />
die das genuine, ‚stimmige‘, authentische Gespür darstellt, das als Ausdruck des<br />
Gewissens zu werten ist und ein Verstehen und Urteilen und schließlich ein<br />
Entscheiden und Entschließen beinhaltet“ (Längle A, 2000i, 11). Bemerkenswert<br />
dazu ist auch der Artikel von A. Längle „Kann ich mich auf mein Gefühl verlassen“<br />
(1994c), auf den später (4.3.2.1.1.) noch einmal eingegangen wird.<br />
Der Affekt spielt weiters bei der Betrachtung eine große Rolle. Nach der „Zurichtung<br />
des Schauplatzes“ (EB 47), die man mit einer Imagination vergleichen könnte, weist<br />
Ignatius den Übenden an, zu erbitten was er begehrt: nämlich Freude bei tröstlichen<br />
Stoffen (wie z. B. die Auferstehung), Beschämung und Verwirrung z. B. bei der<br />
Sündenbetrachtung (EB 48). Diese emotionale Bewegung ist nicht machbar, der
71<br />
Mensch kann aber zweierlei dafür tun: erstens sich bereiten (disponer) und zweitens<br />
um diese Gabe bitten. In EB 52 werden im Zusammenhang mit der<br />
Sündenbetrachtung alle drei seelischen Bereiche mit ihrer Anwendung beschrieben:<br />
zuerst ins Gedächtnis rufen, dann mit dem Verstand überlegen und drittens „mit dem<br />
Willen schließen“ (EB 52). Im dritten Bereich ist die Emotion mitgemeint. Wenn man<br />
den Zusammenhang von Wille und Emotion nicht bedenkt, könnte man Ignatius als<br />
Voluntaristen, bei dem es in erster Linie auf den Willensakt ankommt, mißverstehen.<br />
Bei der Betrachtung ist entscheidend, bei jenen Punkten zu verweilen, „bei welchen<br />
ich größere Tröstung oder Trostlosigkeit spürte oder größeres Fühlen im Heiligen<br />
Geiste“ (EB 62). Die entscheidenden Punkte der Betrachtung sind also jene, die mit<br />
einer emotionalen Bewegung einhergehen. Das Ziel der Sündenbetrachtung ist<br />
zuerst das Spüren des inneren Durchdrungenseins von der Sünde und der Abscheu<br />
vor ihr, zweitens das Fühlen der Unordnung und drittens das Entfernen der eitlen<br />
(vana bedeutet eig. leer) Dinge (EB 63). Wenn man EB 62 und 63 zusammen<br />
betrachtet, könnte man die Phasen der Personalen Existenzanalyse (vgl. 2.2.2.2.)<br />
erkennen: Im Gedächtnis und Verstand zeigt sich PEA 0 (das Sich-Erinnern und<br />
verstandesmäßige Überlegen), im Fühlen und Spüren das Heben der primären<br />
Emotion, des Eindrucks (PEA 1), wobei in diesem Prozeß schon die Entscheidung<br />
gegen die Spünde miteingeschlossen ist und damit Elemente der Stellungnahme<br />
(PEA 2) vorkommen. Schließlich ist im Entfernen der eitlen Dinge das<br />
Ausdrucksverhalten (PEA 3) zu erkennen.<br />
Die Sinnenhaftigkeit und die emotionale Affizierbarkeit ist am stärksten in der<br />
Höllenbetrachtung zu sehen: „das innere Fühlen der Strafe zu erbitten, die die<br />
Verdammten erleiden, um nicht in Sünden zu fallen“ (EB 65). In EB 66-70 sind<br />
dann alle fünf Sinne angesprochen, die von den Höllenqualen erfaßt werden sollen.<br />
In EB 87 werden noch Bußübungen angeführt, damit der Bitte um innere Bewegung<br />
Nachdruck verliehen wird.<br />
Wenn es in der existenzanalytische Therapie zuerst um das Heben ins Erleben geht,<br />
so schlägt Ignatius einen ähnlichen Weg ein, wenn er in den mociones eine conditio<br />
sine qua non des geistlichen Prozesses sieht (vgl. EB 6), die er im m. E. Herzstück<br />
der Exerzitien, in den „Regeln zur Unterscheidung der Geister“ (EB 313-336) oder
72<br />
„Regeln zur geistlichen Unterscheidung“ (Köster 1999, 132), wie sie auch genannt<br />
werden, beschreibt.
4.3. Den Entschluß wagen<br />
73<br />
Nachdem im 1. Teil des 4. Kapitels sozusagen die Basis für den Weg gelegt wurde<br />
(kann und will ich mich überhaupt auf den Weg einlassen?), im zweiten Teil das<br />
bisherige Leben in Gewissenserforschung und Selbsterkenntnis am Prüfstand stand<br />
(war das Leben, das ich bisher gelebt habe, ein authentisches, stimmiges Leben,<br />
oder bedarf es der Veränderung, der Um-kehr?), so geht es im dritten Teil um die<br />
Entscheidung für die Zukunft: Wie soll ich mein Leben weiterhin gestalten, in welcher<br />
Form Weichen für die Zukunft stellen, oder tiefgreifende (Lebens-) Entscheidungen<br />
treffen? Wird in der ersten Woche gefragt: Wo habe ich mein Ziel verfehlt?, stellt sich<br />
in der zweiten Woche die Frage: Für welches Ziel, das mir entspricht, entscheide ich<br />
mich? Welche Wahl (z. B. des Lebensstandes) treffe ich? Im nun folgenden Teil<br />
werden die Inhalte der zweiten Exerzitienwoche beschrieben, in einem weiteren<br />
Abschnitt – wie bereits zuvor – die existenzanalytische Entsprechungen.<br />
4.3.1. Zweite Exerzitienwoche<br />
Diese Phase wird von Köster als das „Kernstück der Ignatianischen Exerzitien“<br />
Köster 1999, 83) bezeichnet. Es geht darin um die Vergegenwärtigung der<br />
Geheimnisse des Lebens Jesu auf das Kreuz hin, das den entscheidenden<br />
Durchbruch in die Freiheit des Existenz bedeutet. Die zweite Woche ist eine<br />
Anleitung, „experimentell“ (Köster 1999, 83) zur „Erkenntnis des wahren Lebens“ (EB<br />
139) zu kommen. Es geht um einen experimentellen, man könnte auch sagen<br />
empirischen Vorgang. Dies mag in einem geistig-spirituellen Prozeß fremd klingen,<br />
ich hoffe aber, daß aus dem bisher Dargelegten beim Leser eine Ahnung dafür<br />
vorausgesetzt werden kann. Die zweite Exerzitienwoche könnte man auch als<br />
Entfaltung von EB 1, der Zieldefinition der Exerzitien sehen, nämlich „den göttlichen<br />
Willen zu suchen und zu finden in der Einrichtung (disposición) des eigenen Lebens<br />
zum Heil der Seele“. Bevor nun die zweite Woche im einzelnen beschrieben wird,<br />
möchte ich das m. E. Herzstück der Exerzitien, die „Regeln zur Unterscheidung der<br />
Geister“ (EB 313ff) oder „Regeln zur geistlichen Unterscheidung“ (Köster 1999, 132)<br />
darlegen, die erste und zweite Exerzitienwoche miteinander verbinden.
74<br />
4.3.1.1. Regeln zur Unterscheidung der Geister<br />
Die mociones, die Regungen und Bewegungen der Seele, wurden bereits als<br />
conditio sine qua non für den Exerzitienprozeß erwähnt (vgl. 4.2.2.5.), Köster teilt<br />
ihnen eine „Hauptrolle“ (1999, 132) zu. Diese Gefühle, Stimmungen, Träume etc.<br />
sind für den geistliche Weg entscheidend und sorgfältig wahrzunehmen. In den<br />
„Regeln zur geistlichen Unterscheidung“ (Köster 1999, 132) geht es nun darum,<br />
diese mociones zu unterscheiden 20<br />
, was nützt und was schadet auf dem inneren<br />
Weg, oder anders ausgedrückt: welche inneren Regungen kommen von Gott, vom<br />
guten Engel oder vom Engel des Lichts, von Luzifer, der oft im Anschein des Lichtes,<br />
des Guten verkleidet (vgl. EB 332), auftritt.<br />
Köster meint, daß die Regeln „kaum etwas Neues gegenüber der Tradition“ (1999.<br />
133, vgl. auch Heilig 1994, 2) bieten. Das Neue ist aber ihre Verbindung mit der<br />
„Wahl“ (ebd.). Köster drückt dies zusammenfassend aus:<br />
Er provoziert gewissermaßen die unterschiedlichen Regungen und<br />
Stimmungen im Menschen, Trost- und Trostlosigkeit, vor allem durch das vertiefende<br />
Hineinführen in die ‚Geheimnisse des Lebens Jesu‘, um experimentell herauszufinden,<br />
welches der Wille Gottes für den Übenden sei, welchen Weg er vor Gott gehen soll. Er<br />
begnügt sich nicht damit, diesen Willen aus allgemeinen Prinzipien abzuleiten, sondern<br />
er fragt danach, welche Entscheidung für eine konkrete Person unter ganz bestimmten,<br />
einmaligen Umständen ansteht. Die geistliche Unterscheidung ist also eine Weise, die<br />
Wahrheit zu tun (Joh 3,32), d.h. sich der Realität zu stellen, wie sie das Leben<br />
einfordert. Gott spricht zu uns vor allem durch die Herausforderung des Lebens. Das<br />
bedeutet auch, dass ich mich ggf. in einer konkreten Situation sachkundig machen<br />
muß, weil sonst der Klärungs- und Entscheidungsprozeß im ‚luftleeren Raum‘ verläuft.<br />
So kommt es darauf an, die Welt, d.h. die äußeren Ereignisse und ihre Auswirkungen<br />
auf mein Leben im Licht des Glaubens zu lernen und darauf zu vertrauen, ‘Gott in allen<br />
Dingen zu finden‘“ (Köster 1999 133).<br />
20 Die Kunst des Unterscheidens ist bereits in der Benediktusregel als wesentliches geistliches<br />
Instrument zu finden: Dort weist Benedikt den Abt im 64. Kapitel (einer nicht der Vorlage, der<br />
Magisterregel, entnommenen Stelle) an, in seine Aufträgen und Befehlen umsichtig und überlegt zu<br />
handeln und: „Immer wisse er zu unterscheiden und Maß zu halten (discernat et temperet), eingedenk<br />
der weisen Mäßigung (discretionem !)des hl. Jakob“ (RB 64,17f). Soweit die Übersetzung der<br />
Steidleausgabe (1975). Die Kommissionsausgaabe (1992) übersetzt discretio mit „maßvoller<br />
Unterscheidung“ (RB 64,18), die in Vers 19 , als „Mutter der Tugenden“ bezeichnet wird. Sprachlich<br />
interessant: die Wurzel krin- (griech.) -> krisis und cern (lat.) -> dis-cretio ist die Gleiche (Vgl. dazu<br />
Stowasser 1936, 103)
75<br />
Damit wird unmißverständlich klar, was Köster mit „experimentell“ (1999, 132f) meint:<br />
der Exerzitienvorgang ist kein deduktiver Prozeß, sondern vielmehr ein induktiver.<br />
Dies weist eine Ähnlichkeit mit dem auf, was A. Längle in die Sinndiskussion<br />
(existentieller Sinn, vgl. 4.1.2.) eingebracht hat.<br />
Wie ist nun Ignatius zu seinen Regeln gekommen? Primär durch seine eigene<br />
Erfahrung 21<br />
. Zwei Abschnitte seines Lebens seien in diesem Zusammenhang<br />
erwähnt. Zuerst seine Verwundung bei Pamplona (BP 1). Dort wurden seine beiden<br />
Beine durch einen Kanonenschuß schwer verletzt, trotz guter ärztlicher Versorgung<br />
war er dem Tod nahe (BP 3). Auf dem Weg der Genesung mußte er lange das<br />
Krankenlager hüten, wo er sich die Zeit mit dem Lesen von Ritterromanen vertrieb.<br />
Als er diese ausgelesen hatte, nahm er sich das Leben Christi und eine Sammlung<br />
von Heiligenleben vor (BP 3). Beim Nachdenken über diese Stoffe machte er bald<br />
die Erfahrung einer Unterscheidung: wenn er sich mit weltlichen Gedanken<br />
beschäftigte, hatte er zwar großen Gefallen daran, aber bald darauf fühlte er sich<br />
ausgetrocknet und mißgestimmt. Nach dem Lesen der geistlichen Schriften erfüllte<br />
ihn nicht nur Trost, sondern er blieb zufrieden und froh auch in der Zeit danach. Nicht<br />
sofort, aber „allmählich kam er dazu, darin die Verschiedenheit der Geister zu<br />
erkennen, die dabei tätig waren, nämlich einmal der Geist des Teufels und das<br />
andere Mal der Geist Gottes. Dies war die erste Überlegung, die er über die Dinge<br />
Gottes anstellte. Und als er später die Exerzitien verfaßte, begann er von hier aus<br />
Klarheit über die Lehre von der Verschiedenheit der Geister zu gewinnen“ (BP 8).<br />
Eine zweite Begebenheit (vgl. dazu Lambert 2000a, 99) sei noch erwähnt. Diese<br />
ereignete sich, als Ignatius bereits versuchte, Gott in großem Verlangen „zu dienen<br />
auf alle Weise, so gut er es nur verstand“ (BP 14). Es war zu einer Zeit, in der noch<br />
innerlich „blind“ (BP 14) war, „noch keinen Blick für innere Werte“ (ebd.) hatte er und<br />
noch nicht verstand, „was Demut, Liebe und Geduld eigentlich seien“ (ebd.). Und: „er<br />
kannte jenes Gespür für den Willen Gottes noch nicht, das diese Tugenden zu<br />
lenken und ins rechte Maß zu bringen hat“ (ebd.).So ritt er eines Tages auf seinem<br />
Maultier, als ihn ein Maure einholte. Im Gespräch stellte sich heraus, daß er nicht an<br />
die immerwährende Jungfrauschaft Mariens glaubte (BP 15). Nach dem Gespräch,<br />
als der Maure wieder fortgeritten war, kam ihm der Gedanke und die innere<br />
21 Vgl. dazu weitere Ausführungen in: Heilig 1994, 4ff
76<br />
Erregung, seiner Pflicht nicht Genüge getan zu haben, weil er den Mauren derartige<br />
Dinge über Maria aussprechen ließ. Es ergriff ihn das Verlangen, dem Mauren einige<br />
Dolchstiche zu versetzen. Doch dann kam ihm an einer Weggabelung der Gedanke,<br />
dem Esel die Entscheidung zu überlassen – da „fügte es unser Herr“ (BP 16), daß<br />
der Esel nicht dem Mauren nachging. Auf diesem Weg gelangte er zum<br />
Benediktinerkloster Montserrat, wo er seinen Bekehrungsweg fortsetzte (BP 17f).<br />
Metaphorisch gesprochen könnte man sagen: Der Esel (als Bild für die emotionalen<br />
Schichten der Seele) spürt oft richtiger als der (bisweilen ideologisch besetzte) Geist.<br />
Ignatius versucht dann beide Dimensionen, die Geistige und die Emotionale für den<br />
Entscheidungsprozeß zu nutzen. In ähnlicher Weise geschieht dies auch in der<br />
Methode der Personalen Existenzanalyse.<br />
4.3.1.1.1. Regeln I<br />
Der erste Teil der Regeln „eignet sich mehr für die erste Woche“ (EB 313). Die<br />
einleitende Überschrift lautet: „Regeln, um einigermaßen die verschiedenen<br />
Bewegungen zu erklären und zu erspüren, die in der Seele sich verursachen; die<br />
Guten, um sie aufzunehmen, die schlechten, um sie zu verwerfen“ (EB 313). Köster<br />
(1999, 135) geht in seiner Erklärung dieses kurzen Textes vor allem auf die Verben<br />
ein: „Die Regeln wollen helfen, zu erspüren (sentir), wahrzunehmen, was in mir<br />
vorgeht; einen Zugang zu finden zu den ‚verschiedenen Bewegungen‘ in mir, ohne<br />
sie zu werten“. Wir befinden uns hier auf der Wahrnehmungs- bzw.<br />
Erfahrungsebene. Im oben zitierten Balthasartext ist das Verb erspüren an die zweite<br />
Stelle gesetzt. Das erste Verb im oben angegeben Text lautet erklären, Köster gibt<br />
den spanischen Ausdruck conocer mit „erkennen“ und „verstehen, was in mir<br />
vorgeht“ (1999, 136) wieder. Dabei ist die gedankliche Ebene angesprochen: Der<br />
Exerzitant soll überlegen und erkennen, woher die mociones kommen, in welche<br />
Richtung sie tendieren und was sie verursachen; m. a. W.: wie sie sich in der Seele<br />
auswirken. Die Unterscheidung zwischen Erfahrungsebene (mit den Bewegungen<br />
von Trost und Trostlosigkeit) und gedanklicher Ebene (Gedanken aus Trost und<br />
Trostlosigkeit) sind wichtig. Als weitere zwei Schritte (die nicht im Text stehen)<br />
schlägt Köster das Artikulieren vor („die inneren Regungen ins Wort bringen“ 1999,<br />
136) und zu urteilen (werten). Schließlich gilt es zu entscheiden, was zu tun ist: die<br />
guten Regungen aufzunehmen (recibir) und die schlechten zu verwerfen (lancar).<br />
Lambert bringt diese Dynamik in einen Dreischritt: „spüren – erkennen – Stellung<br />
nehmen“ (2000a, 103). Darin lassen sich Anklänge an die Personale
77<br />
Existenzanalyse erkennen: Eindruck – Stellungnahme – Ausdruck (vgl. dazu<br />
2.2.2.2.). In seiner pointierten Sprache nennt Lambert die Regeln „Kultivierung der<br />
geistlichen Geschmacksnerven“ (Lambert 2000a, 103). Es gehe um „Geschmack<br />
und Nachgeschmack“ (ebd.) der geistlichen Erfahrung. – Köster sieht das<br />
Entscheidende der Regeln darin, „mehr und mehr spürig“ (1999, 136) zu werden für<br />
die feinsten Regungen im Inneren, wahrzunehmen, welche Impulse bewegen und<br />
was sie auslösen. Dadurch „findet er allmählich die Spur, auf der er den Willen<br />
Gottes für sich entdecken kann“ (Köster 1999, 137).<br />
Die ersten beiden Regeln (EB 314, 315) geben eine grundsätzliche Orientierung der<br />
geistlichen Dynamik.<br />
DIE ERSTE REGEL. Denen, die von Todsünde zu Todsünde gehen, pflegt der böse<br />
Feind gemeinhin augenscheinliche Lust vorzustellen, indem er Bilder sinnlicher<br />
Ergötzungen und Lüste hervorruft, um sie jeweils mehr in ihren Lastern und Sünden zu<br />
bewahren und zunehmen zu lassen. Der gute Geist verfährt bei solchen in<br />
entgegengesetzter Weise; er stachelt sie auf und gibt ihnen Gewissensbisse im innern<br />
Instinkt der Vernunft. (EB 314)<br />
DIE ZWEITE. Bei denen, die entschieden voranmachen in der Reinigung von ihren<br />
Sünden und im Dienste Gottes Unseres Herrn vom Guten zum je Besseren<br />
umhergehen, hat eine Weise statt, die der ersten Regel entgegengesetzt ist. Denn nun<br />
ist es dem bösen Geiste eigen, zu beißen, traurig zu stimmen und Hindernisse zu legen,<br />
indem er mit falschen Gründen beunruhigt, damit man nicht weiter vorrücke. Und dem<br />
guten Geist ist es eigen, Mut und Kraft, Tröstungen, Tränen, Einsprechungen und Ruhe<br />
zu geben, indem er alle Hindernisse leicht macht und weghebt, damit man im Tun des<br />
Guten weiter voranschreite. (EB 315)<br />
Am Beginn des Weges ist sorgfältig zu prüfen, in welche Richtung der Exerzitant<br />
geht. Es ist zu schauen, ob er vom „Guten zum je Besseren“ oder „vom Schlechten<br />
ins je Schlechtere“ (EB 335) unterwegs ist. Mit „sinnlichen Ergötzungen und Lüsten“<br />
(EB 314) sind alle „ungeordneten Neigungen“ (EB 2) gemeint. Die Bewegungen der<br />
verschiedenen Geister resultieren aus der Richtung, in die jemand unterwegs ist.<br />
Lambert drückt dies folgendermaßen aus: „Die Frage nach der Grundausrichtung ist<br />
so bedeutsam (vgl. EB 314): Konkret gesagt: Wer viel Alkohol trinkt, wird von<br />
Mittrinkern kräftig ermutigt; wenn er aber ‚Nein, danke‘ sagt, wird er als<br />
Muttersöhnchen verlacht – umgekehrt wird er dann von den ‚Nüchternen‘ bestärkt.“
78<br />
(2000a, 104). Kurz zusammengefaßt könnte man die Dynamik auf die Formel<br />
bringen: Wer sich auf einem guten Weg befindet, wird bei Negativeinflüssen negativ,<br />
bei Positiveinflüssen positiv bewegt. Umgekehrt gilt: Wer sich auf einem schlechten<br />
Weg befindet, wird bei Negativeinfüssen positiv und bei Positiveinflüssen negativ<br />
bewegt 22<br />
. Es gilt herauszufinden, auf welcher Grundausrichtung, auf welchem<br />
„Existenzial“ (Köster 1999, 139) sich der Mensch befindet. – Bemerkenswert ist die<br />
bildreiche, sinnenhafte Sprache des Ignatius: Die Geister stacheln auf, geben<br />
Gewissensbisse (EB 314), stimmen traurig, geben Hindernisse, beruhigen, sprechen<br />
Mut, Tröstungen zu, geben Tränen (EB 314): Ebenso auch in EB 335: der gute Engel<br />
„berührt die Seele, sanft, leicht und lind wie ein Tropfen Wassers, der in einen<br />
Schwamm eindringt. Der böse dagegen berührt sie spitz und scharf und mit Gedröhn<br />
und Unruhe, wie wenn ein Tropfen Wasser auf einen Stein fällt“ (EB 335, kursiv v.<br />
Verf.). Und noch ein Hinweis auf die beiden Grundrichtungen: ist diese der aktuellen<br />
Bewegung entgegengesetzt, „so treten sie mit Geräusch und Sensationen und<br />
Fühlbarkeit ein; ist sie aber gleich, so tritt der Geist schweigend ein wie in sein<br />
eigenes Haus bei offener Tür“ (EB 335, kursiv v. Verf.)<br />
Die weiteren beiden Regeln (EB 316, 317) beschreiben den geistlichen Trost und die<br />
Trostlosigkeit.<br />
DIE DRITTE. Vom geistlichen Trost. Ich rede von Trost, wenn in der Seele eine innere<br />
Bewegung sich verursacht, bei welcher die Seele in Liebe zu ihrem Schöpfer und Herrn<br />
zu entbrennen beginnt und demzufolge kein geschaffenes Ding auf dem Antlitz der<br />
Erde mehr in sich zu lieben vermag, es sei denn im Schöpfer aller. Desgleichen: wenn<br />
einer Tränen vergießt, die ihn zur Liebe seines Herrn bewegen, sei es aus Schmerz über<br />
seine Sünden oder über das Leiden Christi Unseres Herrn oder über andere unmittelbar<br />
auf Seinen Dienst und Lobpreis hingeordnete Dinge. Und endlich nenne ich Trost jede<br />
Zunahme von Hoffnung, Glaube und Liebe, und jede innere Freudigkeit, die ihn zu den<br />
himmlischen Dingen ruft und zieht und zum eigenen Heil seiner Seele, indem sie ihn<br />
besänftigt und befriedet in seinem Schöpfer und Herrn. (EB 316)<br />
22 Eine existenanalytische Unterscheidung könnte in diesem Zusammenhang hilfreich sein, die<br />
Unterscheidung zwischen gut und angenehm. Gut gehört in den Bereich der Noodynamik (sie ist mit<br />
dem Gewissen abgestimmt), angenehm in den der Psychodynamik. Wenn sich der Mensch im<br />
positiven Existenzial befindet, wird er den guten Geist m. M. n. als gut empfinden (mit den<br />
Begleitgefühlen von Friede, Freiheit und Freude), wenn er im negativen Existenzial steht, wird er den<br />
negativen Geist als angenehm empfinden, weil die zuerst beschriebenen Begleitgefühle nicht bleiben<br />
(vgl. dazu Ignatius nach seiner Verwundung in diesem Kapitel)
79<br />
Trost hat bei Ignatius eine intentionale Dynamik: Er verursacht im Menschen eine<br />
innere Bewegung der Liebe zu Gott hin (vgl. EB 21). Verursacher des Trostes ist der<br />
„Gute Geist“ (EB 315), der Tränen hervorrufen kann, die wiederum emotional<br />
(existenzanalytisch die zweite Grundmotivation betreffend, Quellpunkt des Lebens,<br />
vgl. 2.2.2.1.2.) tiefer zu Gott hin ziehen. Trost bedeutet dann die Zunahme der drei<br />
göttlichen Tugenden (Hoffnung, Glaube und Liebe – in dieser Reihenfolge!), dann<br />
jede innere Freudigkeit, die wieder auf die himmlischen Dinge und das Heil der Seele<br />
(vgl. auch EB 1) hinführt. Diese Freude besänftigt und befriedet in Gott. – Hier könnte<br />
leicht der Eindruck eines Dualismus entstehen, auf der einen Seite das böse<br />
Geschaffene, Irdische, und auf der anderen Seite das gute Himmlische. An dieser<br />
Stelle muß wieder auf die den Exerzitienprozeß abschließende Betrachtung zur<br />
Erlangung der Liebe (EB 230 – 237) hingewiesen werden, wo Gott als in allen<br />
Dingen wohnend (EB 236f) beschrieben wird, als in-karnierter, fleisch-gewordener<br />
Gott, der durch seine Menschwerdung den ganzen Kosmos vergöttlicht hat.<br />
Trost 23<br />
kann nun als Gefühl der inneren Rührung (der Be-rührung durch den guten<br />
Geist) beschrieben werden, der Vermehrung der Freude, des Friedens und der<br />
Besänftigung. Trost ist aber nicht nur ein gutes Gefühl, sondern weist – wie schon<br />
erwähnt – eine intentionale Bewegung auf Gott hin auf. Das Gefühl ist dann<br />
sozusagen ein Begleitgefühl (Vgl. Köster 1999, 140). (Begleitgefühle werden auch in<br />
der Existenzanalyse beschrieben, vgl. die Begleitgefühle zur Authentizität, s.<br />
Handout). Die Erfahrung des Trostes ist weiter die Voraussetzung für die<br />
Entscheidung zum Guten hin. Er ist die innere emotionale Motivation für die Wahl<br />
zum je Besseren. Der Trost zieht sozusagen auf Gott hin.<br />
Die Trostlosigkeit wird nun als Gegenteil von Trost beschrieben (EB 317).<br />
DIE VIERTE: Von der geistlichen Trostlosigkeit. Ich nenne Trostlosigkeit alles, was zur<br />
dritten Regel im Gegensatz steht, als da ist: Verfinsterung der Seele, Verwirrung in ihr,<br />
23 Im lateinischen Wort für Trost consolatio steckt das Wort sol (Sonne) drinnen: sich von der Sonne<br />
bescheinen lassen (nach Kienast 2000). – Bemerkenswert auch die Bezeichnung der 3. Göttlichen<br />
Person, des Heiligen Geistes, als Consolator (z. B: in der Pfingstsequenz: Consolator optime, dulcis<br />
hospes animae, Gotteslob 1975, 304).- Interessant auch die Bedeutungsvielfalt des griechischen<br />
Ausdrucks für den Heiligen Geist, Parakletos: er ist der Fürbitter (das Verb parakalein heißt bitten;<br />
man bedenke das neugriechische Wort parakaló für bitte!), der Beistand, als Verteidiger, als<br />
Rechtsanwalt, der für seinen Klienten eintritt (biblisch: der Beistand, den der Vater im Namen Jesu<br />
senden wird; vgl. Joh 14,16, der die Gläubigen gegen den Ankläger , vgl. Apk 12,10,<br />
verteidigt), der Helfer und schließlich der Tröster.
80<br />
Hinneigung zu den niedrigen und erdhaften Dingen, Unruhe verschiedener<br />
Getriebenheiten und Anfechtungen, die zum Mangel an Glauben, an Hoffnung, an Liebe<br />
bewegen, wobei sich die Seele ganz träg, lau, traurig findet und wie getrennt von ihrem<br />
Schöpfer und Herrn. Denn wie der Trost das Gegenteil von Trostlosigkeit ist, so sind<br />
auch die Gedanken, die der Trostlosigkeit entspringen, entgegengesetzt den Gedanken,<br />
die aus dem Trost entstehen. (EB 317)<br />
Ignatius kommt zuerst auf den emotionalen Teil der Seele, die Thymopsyche zu<br />
sprechen: Verfinsterung, Verwirrung, Hinwendung zu niedrigen Dingen, die Seele<br />
fühlt sich träge, lau und traurig. Existenzanalytisch zeigt sich hier die Schattenseite<br />
der zweite Grundmotivation, die in der Depression ihre Ausformung findet:<br />
Befindlichkeits- und Affektstörungen (Losigkeitssymptome, depressive Verstimmung,<br />
auch Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung) Antriebsstörung, eingeschränkte<br />
Affizierbarkeit von positiven Gefühlen, und Biorhythmusstörungen (vgl. dazu<br />
Fleischhacker, Hinterhuber 1997, 45). Weiters ist das Gefühl der Trennung von Gott<br />
(meist auch mit dem Gefühl des Getrenntseins von den Menschen verbunden)<br />
besonders schmerzlich 24<br />
(vgl. dazu Haas 1977, 170f). Neben dem emotionalen<br />
Bereich der Thymopsyche ist auch der kognitive der Noopsyche betroffen: aus der<br />
Trostlosigkeit entspringen Gedanken der Trostlosigkeit, der Verzweiflung.<br />
Die Erfahrung der Trostlosigkeit 25<br />
ist nach Ignatius kein Indiz für einen negativen<br />
Exerzitienprozeß (das wäre der Fall, würden keine mociones auftreten; vgl. dazu EB<br />
6). Beides, Trost und Trostlosigkeit wertet er als geistliches Geschehen, als eine<br />
Erfahrung, die im Glauben wurzelt (vgl. Köster 1999, 141). Wenn, wie bereits<br />
erwähnt, die Trostlosigkeit aus der positiven Grundrichtung herrührt, ist sie „ein<br />
24<br />
Dazu sei wieder die Ölbergszene Jesu (vgl. 4.2.2.4.1.) und sein Verlassenheitsschrei am Kreuz<br />
erwähnt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mk 15,34, Ps 22,2)<br />
25<br />
Bemerkenswert sind auch die Ausführungen eines spanischen Zeitgenossen des hl. Ignatius, des<br />
hl. Johannes vom Kreuz (1551 – 1591) zu diesem Thema. Er sieht die Trostlosigkeit als Mittel zur<br />
Reinigung der Seele (durch die „dunkle Nacht“ hindurch), um für die Vereinigung mit Gott (union de<br />
Dios) bereit zu werden: Die Seele muß „erst geistig leer und arm werden, abgelöst von jeder Stütze,<br />
Tröstung und jeder natürlichen Auffassung göttlicher und menschlicher Dinge. Einmal derart von allem<br />
entblößt, ist sie wahrhaft arm im Geist und hat den alten Menschen ausgezogen; sie kann dann das<br />
durch die dunkle Nacht verschaffte selige Leben gewinnen: den Stand der Vereinigung mit Gott“<br />
(Johannes v. Kreuz 1983, 100). Weiters: „Sehr schmerzhaft ist diese Reinigung der Seele aufgrund<br />
der vielen Ängste, Einbildungen und Kämpfe, die sie in sich verspürt. Der Anblick und das Gespür<br />
ihres eigenen Jammers läßt sie befürchten, sie sei verloren und ihr Glück sei für immer dahin“ (ebd.<br />
101f).Die seelische Trostlosigkeit ruft nach Johannes das Zusammentreffen von der göttlicher Liebe<br />
mit der ungereinigten Seele hervor. Er verwendet die Metapher vom nassen Holzscheid, das zuerst<br />
durch das Feuer getrocknet werden muß. Dieser Vorgang ist sozusagen unangenehm für das Holz<br />
(es rußt und verbreitet üblen Geruch etc.). Nach der Trocknung aber kann sich das Feuer mit dem<br />
Holz vereinigen, es verzehrt sich, gibt Wärme und Licht. (vgl. ebd. 104f)
81<br />
notwendiges Geschehen“ (Köster 1999, 141), sie reinigt von „ungeordneten<br />
Neigungen“ (EB 1), Köster spricht in diesem Zusammenhang von Narzismus (vgl.<br />
1999, 141). Trostlosigkeit gehört aber auch „zur Struktur der psychischen und<br />
geistlichen Entwicklung“ (ebd.). Es geht dabei um krisenhafte Zustände (vgl. dazu<br />
Sonneck 1995, 28ff): daß nämlich die bisher entwickelte Struktur aufgebrochen und<br />
Platz für eine neue gemacht wird. Dies vollzieht sich meist durch einen Bruch<br />
hindurch, mit dem auch die oben erwähnten Gefühle einhergehen. Von Krise als<br />
Gefahr oder Chance wurde bereits früher gesprochen (4.2.2.4.1.). In dieser Phase<br />
werden Exerzitien wirklich als Krise im wahrsten Sinne des Wortes (von krísis als<br />
Scheidung und Ent-scheidung; vgl. dazu Gemoll 1965, 453) erlebt. Biblisch<br />
ausgedrückt könnte man sagen: Neuer Wein paßt nicht in alte Schläuche (vgl. Lk 5,<br />
37).<br />
In diesem Abschnitt ist der Exerzitienleiter angewiesen, „nicht rauh und hart, sondern<br />
mild und sanft vorzugehen, indem er ihm Mut und Kraft für die Zukunft einflößt, die<br />
Trugwerke des Feindes der menschlichen Natur aufdeckt und ihm Wege weist ...“<br />
(EB 7) mit dem Exerzitanten umzugehen. An dieser Stelle wird auch die wichtige<br />
Funktion des Exerzitienleiters deutlich, der sich in den inneren Bereichen auskennen<br />
muß, um die Regeln situativ anwenden zu können.<br />
Entscheidend für den Exerzitienprozeß sind die inneren Bewegungen, daß der<br />
Übende von verschiedenen Geistern getrieben wird (vgl. EB 6). Die letztere<br />
Formulierung erinnert an die biblische Stelle Mk 1,12f: „Danach < Taufe Jesu> trieb<br />
der Geist Jesus in die Wüste. Dort blieb Jesus 40 Tage lang und wurde vom Satan in<br />
Versuchung geführt. Er lebte mit den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm“.<br />
Diese kurze Markusperikope scheint mir ein Paradigma für Trost und Trostlosigkeit<br />
zu sein. Jesu wird vom Geist (pneuma) in die Wüste geführt, einem ambivalenten<br />
Ort. Einerseits ist die Wüste der Ort der ersten Liebe (vgl. Jer 2,2), der Erwählung,<br />
der Rettung (vgl. Exodus), der unmittelbaren Gotteserfahrung, auch der inneren<br />
Wandlung, der Ort, an dem Gott seinem Volk zu Herzen spricht, andererseits aber<br />
auch der wüste, leere Ort (eremos topos) des Ausgesetztseins, des Mangels, wo<br />
alles Uneigentliche abfällt, der Ort der Dämonen und der Versuchung. So wird Jesus<br />
nach der Taufe (wo ihm der Vater seinen Rücken stärkt und Jesu Selbstwert<br />
induziert) in die Wüste geführt, wo sich der zweite Schritt seiner Vorbereitung für
82<br />
seine Sendung vollzieht. In der Wüste, könnte man pointiert ausdrücken, machte<br />
Jesus seine Exerzitien: Dort wird er vom Satan (Mk 1,12) in Versuchung geführt<br />
(entspricht der Trostlosigkeit, EB 315), auf der anderen Seite dienen ihm die Engel<br />
(Mk 1,13), was auf Trost hindeutet. Und schließlich steht noch der Satz im Text: „Er<br />
war mit den wilden Tieren“ (Mk 1,13). Dies könnte einerseits an den Kampf mit den<br />
Dämonen denken lassen, andererseits aber auch an das Bild von Jes 11, an das<br />
friedliche Zusammenleben mit den wilden Tieren, als Bild des endgültigen Friedens,<br />
des Schalomzustandes. Alle diese Facetten spiegeln die Wüste wieder, den Ort von<br />
Trost und Trostlosigkeit, um für den Einzug in das gelobte Land bereit zu machen, m.<br />
a. W. für das eigentliche Leben.<br />
Nach diesem biblischen Exkurs wieder zurück zum Exerzitientext. Die folgenden vier<br />
Regeln (EB 318 – 321) geben Anweisungen für das Verhalten in Trostlosigkeit. EB<br />
318 spricht davon, zur Zeit der Trostlosigkeit nie eine Entscheidung zu treffen,<br />
sondern fest in der Entscheidung zu stehen, die in der Zeit des Trostes getroffen<br />
wurde. Denn wie der gute Geist jeweils mehr im Trost berät, so in der Trostlosigkeit<br />
der böse „auf dessen Ratschläge hin wir nie finden können, um das Rechte zu<br />
treffen“ (EB 318). In EB 319 spricht Ignatius von der Entscheidung gegen die<br />
Trostlosigkeit. Als Mittel gibt er mehr an Gebet, Betrachtung, sich viel prüfen<br />
(Gewissens-erforschung) und Buße an. Es geht darum, sich vom Gefühl und von den<br />
Gedanken zu distanzieren, indem man die oben genannten Mittel ergreift.<br />
Diese Regel erinnert an den von Frankl überlieferten Satz: „Man braucht sich nicht<br />
alles gefallen lassen, auch nicht von sich selbst“ (Ausbildungskurs). Man kann in der<br />
Regel EB 319 die Selbstdistanzierung, die Selbsterkenntnis, die existentielle Haltung<br />
des sich bewußt Verhaltenkönnens erkennen (ein Rest personaler Freiheit und damit<br />
Verantwortung bleibt selbst in starker Trostlosigkeit).<br />
EB 320 beschreibt den Sinn der Trostlosigkeit in der „Probe seiner natürlichen<br />
Fähigkeiten“, um den verschiedenen Anfechtungen zu widerstehen. EB 321 spricht<br />
davon, in Geduld auszuharren, „die den ihn überkommenden Quälereien<br />
entgegenwirkt“ (ebd.). Und der Übende soll daran denken, daß er bald wieder<br />
getröstet sein wird; an die Anwendung der Mittel gegen die Trostlosigkeit wird noch<br />
einmal erinnert.
83<br />
Haas beschreibt noch einen bemerkenswerten Aspekt, was den Zusammenhang<br />
zwischen Exerzitienleiter und Trostlosigkeit betrifft. In der Trostlosigkeit empfindet<br />
sich der Übende von Gott und den Menschen (oft auch vom Exerzitienleiter)<br />
verlassen, er spürt niemanden mehr. Es kann nun sein, daß der Exertzitant „seine<br />
eigenen, jetzt plötzlich auftauchenden Schwierigkeiten sowohl auf Gott wie auf den<br />
Exerzitiengeber projiziert und diese nun zum ‚Sündenbock‘ seiner eigenen<br />
seelischen Verwirrung macht und sich deshalb auch in der daraus resultierenden<br />
Trostlosigkeit von ihnen trennen will. Hier muß die Hilfe des Exerzitiengebers<br />
einsetzen, indem er erstens durch mildes und sanftmütiges Verhalten mehr denn je<br />
Vertrauen und Liebe gegenüber dem Übenden walten läßt; indem er zweitens die<br />
trügerische Situation dem Übenden klarzulegen und damit weitgehend aufzulösen<br />
versucht; indem er drittens die Gründe aufdeckt, warum wir in Trostlosigkeit<br />
geraten“ (Haas 1977, 171). Aus eigener Erfahrung sowohl im persönlichen Leben als<br />
auch in der Begleitung von Exerzitanten erscheint mir aber die Geduld, der lange<br />
Atem entscheidend zu sein. Denn Trostlosigkeit – wenn sie nicht durch<br />
Nachlässigkeit hervorgerufen wird – ist nicht durch Aktivität zu vertreiben, sie<br />
vergeht. Wichtig ist m. E. die Einstellung zur Trostlosigkeit, die wesentlich im<br />
Geschehen-lassen, im Aushalten liegt. Der Faktor Zeit ist hier entscheidend. Darin<br />
treffen sich m. E. die Begleitung durch die Trostlosigkeit und die<br />
Depressionstherapie. Die Einstellungsänderung (vgl. Ausbildungskurs) ist in der<br />
existenzanalytische Therapie wichtig, von ihr spricht auch Köster im<br />
Exerzitiengeschehen (1999, 144).<br />
Ignatius versucht in EB 322 detailliert den Ursachen von Trostlosigkeit auf die Spur<br />
zu kommen. Sie kann von Lauheit und Nachlässigkeit kommen, zweitens von Gott<br />
selbst, um den Übenden zu erproben, wie weit er ohne den Lohn des Trostes im<br />
Dienst Gottes sich hingibt. Drittens kann Gott zur Erkenntnis führen, „inwendig zu<br />
erleben, daß es nicht unsere Sache ist, große Hingabe, intensive Liebe, Tränen oder<br />
irgendeinen anderen geistlichen Trost zu verschaffen“ (EB 322), sondern daß es<br />
ganz die Sache Gottes ist. Das Gefühl von Trost kann nicht erzeugt werden, es stellt<br />
sich ein.
84<br />
EB 313 und 324 geben Anweisungen für den Zustand des Trostes. EB 323 spricht<br />
davon, sich in den Zustand der Trostlosigkeit zu versetzen, um, wie Köster schreibt,<br />
„den nötigen ‚Bodenkontakt‘ nicht zu verlieren, solange er geistlichen Trost erfährt“<br />
(1999, 145). Wie die Versetzung in den Zustand der Trostlosigkeit aussieht wird in<br />
EB 324 angegeben: sich demütigen und erniedrigen, „indem er bedenkt wie wenig er<br />
Wert ist zur Zeit der Trostlosigkeit ohne diese besondere Gnade der Tröstung“ (EB<br />
324). Andererseits soll er bedenken, wieviel er in der Trostlosigkeit durch die Gnade<br />
vermag „indem er die Kräfte bei seinem Schöpfer sich holt“ (EB 324). Damit soll auf<br />
das Geschenkhafte des Trostes hingewiesen werden, zu dessen Erreichen der<br />
Mensch aufgerufen ist, seinen Beitrag zu leisten. Der Grund dafür liegt in der Würde,<br />
der relativen Autonomie des Menschen (vgl. Gen 1,26). Die Mitwirkung des<br />
Menschen zu seinem Heil, die sich letztlich im Akt des Glaubens, im Zutrauen, daß<br />
Gott es vollbringt, zeigt, ist conditio sine qua non. Davon war bereits öfter die Rede.<br />
Als biblisches Beispiel in der Unterscheidung von Trost und Trostlosigkeit könnte<br />
man die Verklärung Jesu (Lk 9,28-36) anführen, in der die Jünger während der Meta-<br />
morphosis (der griech. Ausdruck von Verklärung) Jesu von großem Trost erfüllt<br />
waren: Petrus: „Es ist gut hier zu sein. Wir wollen drei Hütten bauen“ (Lk 9,33). Dann<br />
aber, als eine Wolke ihren Schatten auf sie warf, waren sie irritiert und bekamen<br />
Angst (vgl. Lk 9,35). Jesus läßt seinen Jüngern die Herrlichkeit verkosten<br />
(sozusagen ein Aperitif für die Auferstehung, den Himmel), damit sie leichter die<br />
Schattenseiten von Leid und Kreuz bestehen können (vgl. dazu die Ölbergperikope<br />
4.2.2.4.1.)<br />
In den letzten drei Regeln (EB 325-327) verwendet Ignatius starke Bilder, um die<br />
Schliche des bösen Geistes, den er dreimal „Feind der menschlichen Natur“ (EB 325,<br />
326, 327) bezeichnet: das Bild des Weibes (EB 325), des eitlen Verliebten (EB 326)<br />
und des Häuptlings (EB 327). Köster spricht von „unbewußten Reaktionsmustern“<br />
(1999, 145), die durch „Testbilder“ (ebd.) aufgespürt werden sollen, „um dem<br />
Übenden zu veranschaulichen, inwieweit er zu sich selber stehen kann angesichts<br />
von Widerstand, von eigener Abgründigkeit und im Bewußtsein seiner ‚schwächsten<br />
Stelle‘“ (ebd.). Das tertium comparationis des ersten Bildes des Weibes (EB 325) –
85<br />
ist die Schwachheit 26<br />
. Der Feind – obwohl er übermächtig erscheint – flüchtet, sobald<br />
man ihm stark entgegentritt und ihm die Stirn bietet. Im Bild des eitlen Verliebten (EB<br />
326) wünscht der Feind nicht entdeckt zu werden: er flüstert der Seele Angst ein, die<br />
inneren, oft unangenehmen, schambesetzten, bisweilen auch pervertierten<br />
Regungen auszusprechen. Schließlich geht es im Bild des Häuptlings (EB 327) um<br />
die schwächste Stelle: der Feind umschleicht den Menschen und schlägt genau dort<br />
zu. In diesen Bildern geht es um Selbstwahrnehmung, um Selbsterkenntnis.<br />
Wenn diese Metaphern (vor allem die erste!) für unsere Ohren abstoßend bis skurril<br />
klingen mögen, so zeigt ihr Inhalt wichtige Punkte in der spirituellen Dynamik auf. In<br />
der Exerzitienpraxis haben sie sich meiner Erfahrung nach oft als sehr hilfreich für<br />
die Übenden erwiesen, wenn sie situativ eingesetzt wurden.<br />
4.3.1.1.2. Regeln II<br />
Geht es in den Regeln I in erster Linie um das Phänomen der Trostlosigkeit, steht in<br />
der zweiten Woche der Trost im Vordergrund. Nach Köster setzt die Dynamik der<br />
Regeln II einen „emotional ausgeglichenen Menschen voraus“ (1999, 146). In der<br />
zweiten Woche geht es darum, im Wahlprozeß Sicherheit oder besser Gewißheit zu<br />
bekommen, daß ich mich auf meine Erfahrungen von Trost verlassen und auf dieser<br />
Basis einen Entschluß fassen kann.<br />
Die erste Regel (EB 329) weist klar die Urheber von Trost und Trostlosigkeit zu: Gott<br />
und seinen Engeln ist es in ihren Anregungen eigen, „wahre geistliche Freude und<br />
Trost zu geben und alle Trauer und Verwirrung, die der Feind herbeiführt, zu<br />
entfernen, dessen Art es ist, gegen solche geistliche Fröhlichkeit und Tröstung<br />
anzukämpfen, indem er Scheingründe, Spitzfindigkeiten und anhaltende<br />
Täuschungen beizieht“ (EB 329). Ignatius gibt Scheingründe und Spitzfindigkeiten<br />
an, die besonders bei ängstlichen und skrupulösen Menschen einen negativen<br />
Einfluß ausüben. Ignatius hat dies in seinem Bekehrungsprozeß in Manresa selbst<br />
erfahren (vgl. BP.19ff). Menschen, die eine Bekehrung erlebt haben, neigen dazu,<br />
alles besonders gut und dazu noch mehr als gut machen zu wollen. Dies führt dann<br />
zum Zuviel des Guten, das sich wieder ins Negative kehrt (vgl. BP 19ff). Schon der<br />
26<br />
Dies erinnert an Shakespears Hamlet „Fraility, thy name is woman!“ (I,2), Schwachheit, dein Name<br />
ist Weib.
86<br />
Wüstenvater Abbas Poimen sagt: „Alles Übermaß ist von den Dämonen“ (zit. nach<br />
Köster 1999, 149). Meiner Erfahrung nach zieht das Gute, das Schlechte schiebt,<br />
treibt, drängt. Wenn es dem negativen Geist nicht gelingt, den Menschen durch<br />
Trägheit von seinem Weg abzubringen, versucht er es durch vermehrten Antrieb,<br />
was noch gefährlicher ist.<br />
Die zweite Regel (EB 330) spricht von einer völlig evidenten Form des Trostes, bei<br />
der es keinen Zweifel gibt: „Einzig Gott unser Herr kann ohne vorausgehenden<br />
Grund der Seele Trost geben ohne vorausgehendes Fühlen oder Erkennen<br />
irgendeines Gegenstandes, der ihr vermittels der Akte ihres Verstandes und Willens<br />
eine solche Tröstung herbeiführen würde“ (EB 330). Diese Regel hat dann für die<br />
Wahl (EB 175) eine besondere Bedeutung.<br />
In den Regeln drei bis sieben (EB 331-335) geht es um den zweifelhaften Trost: Wie<br />
kann ich in diesem Fall dennoch Gewißheit bekommen? Wenn EB 330 von einem<br />
grundlosen Trost gehandelt hat, spricht EB 331 davon, daß mittels eines Grundes<br />
sowohl der gute, als auch der böse Engel zu trösten vermag – jedoch zum<br />
entgegengesetzten Ziel hin. EB 332 erläutert diesen Gedanken noch genauer: „Die<br />
Art des bösen Engels, der sich in die Gestalt eines Engels des Lichtes verwandelt ist<br />
es, mit der frommen Seele einzutreten und mit sich selbst auszutreten“. Dies<br />
bedeutet: Der Feind kommt zuerst mit guten und heiligen Gedanken, der gerechten<br />
Seele angepaßt und beginnt allmählich, fast unmerklich, diese zu seinen negativen<br />
Zielen hinzubewegen, „indem er die Seele in seine verdeckten Betrügereien und<br />
verkehrten Absichten hineinzieht“ (EB 332).<br />
EB 333 faßt nun zusammen, indem auf den Verlauf der Gedanken hingewiesen wird.<br />
Sind Anfang, Mitte und Ende gut, dann ist alles gut, frei nach dem Sprichwort: Ende<br />
gut, alles gut. Dies ist das Zeichen des guten Engels. „Wenn aber einer im Verlauf<br />
seiner Gedanken bei einer schlechten Sache endet oder wenn es die Seele<br />
schwächt oder verwirrt, indem es ihr Frieden, die Stille und Ruhe, die sie vorher<br />
hatte, wegnimmt, so ist dies ein klares Zeichen, daß es vom bösen Geiste<br />
herstammt, dem Feind unseres Fortschritts und ewigen Heils“ (EB 333). Die sechste<br />
Regel (EB 334) greift den Verlauf noch einmal auf und beschreibt das böse Ende als<br />
den „Schlangenschwanz“, der „gespürt und erkannt wird“ (EB 334). Damit sind die
87<br />
negativen Begleitgefühle und Gedanken gemeint. Wenn dies geschieht ist es<br />
nützlich, sofort den Verlauf der guten Gedanken zu betrachten, diese vom Anfang zu<br />
verfolgen bis hin zur Abzweigung zu den schlechten Gedanken. Ignatius weist an<br />
dies zu tun, um durch diese Erfahrung „sich künftig von seinen <br />
gewohnten Betrügereien hüten zu können“ (EB 334).<br />
Die siebte Regel (EB 335) beschreibt in Bildern die Wirkweisen des guten bzw.<br />
bösen Engels: „Bei denen, die vom Guten zum je Besseren voranschreiten, berührt<br />
der gute Engel die Seele sanft, leicht und lind wie ein Tropfen Wassers, der in einen<br />
Schwamm eindringt. Der böse dagegen berührt sie spitz und scharf und mit Gedröhn<br />
und Unruhe, wie wenn der Tropfen Wassers auf einen Stein fällt:“ (EB 334). Wie<br />
bereits in EB 314, 315 beschrieben, kommt es auf die Grundrichtung an, auf der sich<br />
der Mensch befindet, was die Reaktion betrifft, die im Menschen ausgelöst wird.<br />
„Denn ist sie entgegengesetzt, so treten sie mit Geräusch und Sensation und<br />
Fühlbarkeit ein; ist sie gleich, so tritt der Geist schweigend ein wie in sein eigenes<br />
Haus bei offener Tür“ (EB 335). Dieses letzte Bild mutet – bei dem sonst so<br />
nüchternen Ignatius – beinahe poetisch an.<br />
Die achte Regel greift noch einmal die zweite auf, die Tröstung ohne Grund (EB<br />
330). Diese sich aktuell vollziehende Tröstung (actual consolación) ist von der Zeit<br />
nach dieser Tröstung mit ihren abgeleiteten Folgerungen, Vorsätzen und Ansichten<br />
zu unterscheiden. Letztere dürfen nicht als direkt von Gott kommend angesehen<br />
werden, sondern müssen sehr genau untersucht werden, „bevor man ihnen volles<br />
Zutrauen schenkt oder sie in die Tat umsetzt“ (EB 336). Diese Weisung erscheint mir<br />
deshalb so wichtig, weil bei ihrer Nichtbeachtung Fanatismus, totalitärem<br />
Sendungsbewußtsein Tür und Tor geöffnet ist.<br />
Abschließend sei noch einmal darauf verwiesen, daß es dem Übenden wenig hilft,<br />
ihn mit den Regeln alleine zu lassen, sondern „vielmehr sollte der Exerzitienbegleiter<br />
mit den Regeln zur geistlichen Unterscheidung so vertraut sein, daß er sie im Prozeß<br />
der geistlichen Übungen situativ einbringen kann“ (Köster 1999, 150).
88<br />
4.3.1.2. Erwägungen, Besinnungen und Betrachtungen der zweite Woche<br />
Die Übungen der zweiten Woche bestehen aus Erwägungen (consideraciónes), die<br />
eher die diskursiven, kognitiven Fähigkeiten, also die Noopsyche, aktivieren, die<br />
Betrachtungen (contemplaciónes) – sie betreffen mehr den affektiven Bereich, die<br />
Thymopsyche – und die Besinnungen (medidaciónes), die zwischen beiden Formen<br />
stehen. Die consideraciónes sind eher den Strukturbetrachtungen (eins und vier)<br />
zugeordnet, die den contemplaciónes, den Betrachtungen des Lebens Jesu, „ihr<br />
eigenes Gefälle“ (Köster 1999, 83) geben.<br />
4.3.1.2.1. Der Ruf und die Betrachtungen von der Menschwerdung und der<br />
Geburt Jesu<br />
Die erste Strukturbetrachtung (EB 91 – 100) ist mit dem Satz überschrieben: „DER<br />
RUF des irdischen Königs dient dazu das Leben des Ewigen Königs zu betrachten“<br />
(EB 91). Es geht um die schon beschriebene existentielle Haltung des Exerzitanten,<br />
der sich von außen, von Gott, gerufen weiß. Sich bewußt auf diesen Ruf Gottes<br />
einzustellen, sich dafür zu disponieren, ist Sinn dieser Übung. Ignatius wählt die<br />
Metapher vom irdischen König, der für einen Krieg zur Unterwerfung der<br />
Ungläubigen Soldaten rekrutiert (EB 93). Der König wird als sehr freigiebig und<br />
menschenfreundlich (tan liberal y tan humano) beschrieben, dem schwer die<br />
Bereitschaft zur Gefolgschaft abgeschlagen werden kann (EB 94). Dieses Beispiel<br />
wird auf Christus übertragen (EB 95ff). Bei dieser Übung geht es noch um keine<br />
Entscheidung, sondern um die ruhige Überlegung, welche Möglichkeit der Reaktion<br />
es auf den Ruf geben könnte: Menschen, die dem „gesunden Hausverstand folgen<br />
und wiederum andere, die einer tieferen Motivation nachkommen“ (Köster 1999, 87).<br />
Nach der Umkehrphase braucht der Übende offenbar Zeit, um zu spüren, „wohin<br />
sein ‚Wünschen und Sehnen‘ (EB 98) geht“ (Köster 1999, 87). Und noch einmal<br />
braucht es Zeit, „bis das ‚Wünschen und Sehnen‘ (e-motio) und das gründliche<br />
Überlegen (ratio), das Erwägen und abwägen der ‚Kosten‘, wenn überhaupt, zu einer<br />
Übereinstimmung finden“ (Köster 1999, 87). Existenzanalytisch gesehen, befinden<br />
wir uns hier im Bereich der zweiten Grundmotivation. EB 98 stellt für die Exerzitien<br />
eine wichtige personale Wende dar: Die Tiefe der Gefolgschaft durch den Ruf des<br />
Königs besteht nicht in der Faszination des apostolisches Ziels – die Unterwerfung<br />
der Ungläubigen (EB 93), vgl. das Ritterideal, verkörpert in der Biographie des
89<br />
Ignatius – sondern in der „tiefen Beziehung mit Christus“ (Köster 1999, 89). Nur darin<br />
kann das „Harte und Mühevolle, das Undankbare und Skandalöse Armut und<br />
Scheitern als Weg zum Leben erfahren und verstanden werden“ (ebd.). Im<br />
Gebet (EB 98) bringt der Übende sein Angebot dar – er legt sozusagen sein Offert -,<br />
um in den Dienst des Königs aufgenommen zu werden. Darin ist wieder die Haltung<br />
der Indifferenz spürbar.<br />
Nach der ersten Strukturbetrachtung – besser Strukturerwägung – folgen die<br />
Betrachtungen über die Menschwerdung und die Geburt Jesu. Diese<br />
contemplaciónes holen den „Übenden aus der vielleicht noch distanzierten Rolle des<br />
Beobachters heraus, um ihn an die Schwelle zum Geheimnis der Erlösung zu<br />
führen“ (Köster 1999, 98). Nach dem Vorbereitungsgebet wird er in die Bildwelt der<br />
Übung (EB 102) eingeführt: Er soll sich die gesamte Fläche der Welt<br />
vergegenwärtigen, wie die Menschen in ihr ins Verderben laufen und wie die drei<br />
göttlichen Personen beschließen, die Welt durch die Menschwerdung der zweiten<br />
göttlichen Person in Maria zu retten. Danach folgt die gewohnte Zurichtung des<br />
Schauplatzes (EB 103), in der das Vergegenwärtigte bildhaft vorgestellt wird. In der<br />
dritten Einstellung (bitten, worum ich begehre EB 104), soll der Übende „bitten um<br />
die innere Erkenntnis des Herrn, der sich für mich zum Menschen gemacht hat, dazu<br />
hin, daß ich jeweils mehr Ihn liebe und Ihm nachfolge“ (EB 104). In der weiteren<br />
Vertiefung werden nun die Sinne angesprochen: Sehen, und wahrnehmen die<br />
Personen auf der Erde, wie sie gekleidet sind etc., andererseits auch die göttlichen<br />
Personen in ihrem Tun, schließlich den Kontaktpunkt zwischen Himmel und Erde im<br />
Gruß 27<br />
des Engels an Maria sehen, dann „sich besinnen, um aus solchem Anblick<br />
einen Nutzen zu ziehen“ (EB 106). Dieselben Punkte im Hinblick auf das Hören (EB<br />
107) und das Tun der Personen (EB 108) durchgehen. Den Abschluß der<br />
Betrachtung bildet die Aussprache, der Austausch mit den drei göttlichen Personen<br />
und mit Maria (EB 109). Im Nachdenken (reflectir) soll der Übende wahrnehmen,<br />
„was er in sich verspürt“ (EB 109). Die je persönliche Reaktion im Menschen ist für<br />
den persönlichen Weg des Exerzitanten entscheidend. Was hervorgerufen wird, ist<br />
Sache zwischen Gott und der Seele (vgl. EB 15):<br />
27 Dies erinnert an den Kuß zwischen Himmel und Erde, ausgedrückt im adventlichen Psalm 85:<br />
„Gerechtigkeit und Friede küssen sich“ (Ps 85,11)
90<br />
Während die Betrachtung von der Menschwerdung eine kosmische Dimension<br />
aufweist, spricht jene von der Geburt die Verhältnisse der kleinen Leute in Nazareth<br />
an (vgl. Köster 1999, 107). Die Struktur der Betrachtung ist die der vorhergehenden<br />
ähnlich. Es fällt auf, daß Ignatius den Übenden anweist, quasi als mit-handelnde<br />
Person in das Geschehen einzusteigen (EB 114): „als Dienerlein, das sie anstaunt<br />
und betrachtet und in ihren Nöten bedient“ (EB 114). Der letzte Punkt mag am<br />
meisten berühren. Er führt zum Übenden zurück, der erwägen soll, „daß der Herr in<br />
der größten Armut geboren wurde, und am Ende mit soviel Mühen, von Hunger und<br />
Durst, von Hitze und Kälte, von Schmähungen und Anwürfen am Kreuz sterbe, und<br />
alles das für mich“ (EB 116). Dieses existentielle Moment ist wieder für die<br />
Exerzitiendynamik entscheidend. Die Vertiefung des bereits Erspürten und<br />
Erkannten besteht in den Wiederholungen, die in der Betrachtung unter „Anwendung<br />
der fünf Sinne“ (EB 121 – 126) ihre tiefste emotionale Verankerung finden soll. Die<br />
Struktur dieser Betrachtung ist der Höllenbetrachtung der ersten Woche ähnlich. Die<br />
ersten beiden Betrachtungen führt Ignatius sehr detailliert aus, sie sind<br />
paradigmatisch für alle weiteren Betrachtungen des Lebens Jesu.<br />
Weiterer Stoff bietet die Betrachtung über die Darstellung Jesu im Tempel, die Flucht<br />
nach Ägypten (EB 132), das Leben in Nazareth und die Auffindung im Tempel (EB<br />
134). Im Anschluß an die letzte Betrachtung – als Jesus einerseits in seiner Initiation<br />
der Bar Mizwa Feier im Tempel (man könnte sie mit der christlichen Firmung<br />
vergleichen) seine Rolle in der Familie gefunden hat, andererseits aber auch durch<br />
sein Zurückbleiben im Tempel in die Dynamik seiner Sendung hinein ausgebrochen<br />
ist – nach dieser Betrachtung regt Ignatius an, sich prinzipiell mit seiner Standeswahl<br />
auseinanderzusetzen (EB 135). Denn in „jedem Stand oder Leben, das der Herr uns<br />
schenkt, um es zu erwählen“ (EB 135), ist der Stand der Vollkommenheit zu<br />
erreichen.<br />
4.3.1.2.2. Besinnung über zwei Banner<br />
Die zweite sogenannte Strukturbetrachtung nennt Ignatius medidación, Besinnung.<br />
In ihr geht es um die zwei entgegengesetzten Bereiche, Existenziale, die bereits aus<br />
den Regeln zur Unterscheidung der Geister (4.3.1.1.1.) bekannt sind. Das eine<br />
Banner ist das Banner „Christi, des höchsten Befehlshabers und Unseres Herrn, das<br />
andere Luzifers, des Todfeindes unserer menschlichen Natur“ (EB 136). Der Mensch
91<br />
soll sozusagen eine „‘Witterung‘, eine Sensibilisierung dafür entwickeln, wo<br />
menschliches Leben zur Entfaltung kommt und wo es sich selbst immer fremder wird<br />
– bis zum Verlust seiner Identität“ (Köster 1999, 110). Der Übende soll sich die<br />
beiden Herrschaftsgebiete von Babylon und Jerusalem (EB 138) vorstellen.<br />
Jerusalem ist der „Inbegriff von Heimat, wo Gott und Mensch und die Menschen<br />
untereinander zu endgültiger, erfüllter Gemeinschaft zusammenfinden“ (Köster 111).<br />
Im Gegensatz steht dazu Babylon (vgl. Gen 11), das einen „den Menschen<br />
verachtenden Weltstaat, den Ort gottloser Selbstbehauptung, den ‚Raum‘ seelischgeistiger<br />
Verblendung und Verwirrung“ (Köster 1999, 111) symbolisiert. Ziel ist es,<br />
den Exerzitanten „zur Erkenntnis des wahren Lebens“ 28<br />
(EB 139) zu führen.<br />
Ignatius beschreibt die verschiedenen Strategien beider Heerführer. Der böse Feind<br />
wirft „Netze und Ketten“ (EB 142) aus, die durch Begierde nach Reichtum in<br />
Versuchung führen sollen, um „leichter zu eitler Ehre der Welt und von da zu<br />
ausgewachsenem Hochmut“ (EB 142) zu gelangen. In dieser Weise geschieht<br />
Versuchung, wie sie paradigmatisch in der Versuchung Jesu (vgl. Lk 4, 1-12)<br />
dargestellt ist. Entsprechend als Gegensatz hat man sich „vorzustellen den höchsten<br />
und wahren Befehlshaber, der da ist Jesus Christus, Unser Herr“ (EB 143). Christus<br />
schlägt sein Lager an einem unscheinbaren, anmutigen Ort auf (EB 144), sendet<br />
seine Jünger mit seiner Lehre in die ganze Welt aus (EB 145) und hält eine Rede an<br />
diese seine Freunde (EB 146). Die Grundhaltung ist die „höchste Armut im Geist“<br />
(EB 146;. vgl. Bergpredigt Mt 5,3). Mit dieser Grundforderung beginnt Jesus sein<br />
öffentliches Wirken im Matthäusevangelium, nämlich Bettler (ptochoì) im Geist zu<br />
sein. Damit ist im Grund wieder die Indifferenz und die existentielle Haltung<br />
angesprochen. – Der Dynamik der Versuchung (Reichtum -> Ehre -> Hochmut) wird<br />
28 Biblisch betrachtet, hat der Terminus Leben einen entscheidenden Stellenwert, man denke unter<br />
anderem an das Buch Deuteronomium (z. B. „Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine<br />
Nachkommen“ 30,19 ) und vor allem an das Johannesevangelium, wo Leben fast in jedem Kapitel<br />
vorkommt (z. B. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ 10,10). Die<br />
Exerzitien möchten ein Weg zum Leben sein. Dies erinnert an den Psalmvers 16,11 „Du zeigst mir<br />
den Pfad zum Leben“. Dieser Vers, „Du zeigst mir, Herr, den Weg zum (bzw. des) Leben (Lebens)“ –<br />
je nachdem, ob man den Genetiv als subjectivus oder als objektivus übersetzt – hat seine<br />
Wirkungsgeschichte auch in der Benediktusregel, Prolog 14 - 20. Darin ruft (vgl. EB 91) der Herr der<br />
Volksmenge zu, in der er seine Arbeiter sucht (im Unterschied zur ignatianischen Weise, in der der<br />
Herr Soldaten sucht): „Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht? Wenn du das hörst und antwortest: ‚Ich‘, dann sagt Gott zu dir. Willst du das wahre und ewige<br />
Leben haben, ... meide das Böse und tu das Gute, suche den Frieden und jage ihm nach! <br />
... Seht doch, in seiner Güte zeigt uns der Herr den Weg zum Leben“ RB Prol. 14-20. Dieser letzte<br />
Satz ist das oben erwähnte Zitat aus Psalm 16, der das Prozeßhafte, den Weg zum (bzw. des) Leben
92<br />
die Haltung der Demut 29 gegen den Hochmut entgegengesetzt (EB 146). Dieser Weg<br />
soll den Menschen „von allen falschen Sicherungen des Haben-Wollens, Gelten-<br />
Wollens und Sich-behaupten-Wollens befreien“ (Köster 1999, 114). Ziel ist die<br />
Haltung der humilidad, der Demut (EB 146). In der Demut geht es letztlich darum,<br />
„dass der mir von meinem Schöpfer eingestiftete Lebenssinn ... von mir entdeckt und<br />
als Schatz gehoben wird ... Demut meint also, etwas mir von Gott Vor-gegebenes<br />
zum Zug kommen zu lassen – trotz aller noch so liebgewonnenen und manchmal<br />
wohlfeilen Lebenskonzepte“ (Köster 1999, 115). Um zu dieser Indifferenz 30<br />
zu<br />
kommen, ist es wichtig, sich mehr den widerständigen Dingen wie Armut,<br />
Schmähung, Geringschätzung zuzuwenden, um dann in der Wahl für das von Gott<br />
Gegebene bereit zu sein. Dieser Text erinnert stark an das Prinzip und Fundament<br />
(EB 23): „uns allen Dingen gegenüber gleichmütig (indiferentes) zu machen <br />
dergestalt, daß wir von unserer Seite Gesundheit nicht mehr als Krankheit begehren,<br />
Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit ...“. In der zweiten<br />
Woche begegnet auch die Konfrontation mit Leid und Kreuz in der Leben-Jesu-<br />
(bzw. Lebens) beschreibt. Bemerkenswert ist der positive Grundtenor dieses Textes, in dem die<br />
Erlangung des Lebens Sinn bzw. Ziel des Weges ist..<br />
29<br />
Demut ist auch eine Kategorie in der existenzanalytische Lehre. Sie ist im Bereich der ersten<br />
Grundmotivation angesiedelt. Längle umschreibt Demut mit Verneigung vor dem Sein, sich den<br />
Gegebenheiten beugen, ein Ja zur Realität: Ich beuge meinen Kopf und empfange (vgl.<br />
Ausbildungskurs).<br />
<br />
Demut hängt existenzanalytisch mit Hoffnung, Treue, Wahrheit, Glaube zusammen, vor allem aber mit<br />
Vertrauen und Mut. Mir ist während der Ausbildung eine bildhafte Definition eingefallen, die diese<br />
letzten drei Tugenden zusammenfaßt: Vertrauen ist die Brücke über den Abgrund der Unsicherheit,<br />
auf der Mut gepaart mit Demut darüber gehen.<br />
30<br />
An dieser Stelle soll auf das bekannte Gebet von Teresa von Avila (1515 – 1582), einer<br />
Zeitgenossin des Ignatius, hingewiesen werde, das die Indifferenz, gepaart mit großem Vertrauen<br />
ausdrückt: „Nada te turbe nada te espante todo se pasa dios no se muda la paciencia todo lo alcanza<br />
quien a dios tiene nada le falta solo dios basta.“ (Teresa von Avila 1982, 131). Man könnte diesen<br />
Text in folgender Weise übertragen: Nichts soll dich durcheinander bringen (in den Turbo bringen),<br />
nichts dich erschrecken. alles vergeht, Gott ändert sich nicht. Geduld erreicht alles. Wer sich an Gott<br />
hält, fehlt nichts. Gott allein. Basta.
93<br />
Betrachtung. Die Exerzitien wollen zu Nachfolge und Nachahmung Christi („Imitatio<br />
Christi“, vgl. EB 109) führen.<br />
Die Meditation mündet in ein Gespräch, das zuerst mit „Maria, Unserer Herrin“ (EB<br />
147) gehalten wird. Der Grund, warum zuerst mit Maria, könnte darin bestehen, weil<br />
sie als Paradigma eines demütigen – in der existentiellen Haltung lebenden –<br />
Menschen bezeichnet werden kann (vgl. 4.3.3.); der Mensch wird sozusagen von<br />
dort abgeholt, wo er als Geschöpf steht. Maria soll nun von ihrem Sohn für den<br />
Übenden die Gnade erlangen, „unter sein Banner angenommen zu werden, zuerst in<br />
der größten Armut im Geist, und falls Seine Göttliche Majestät daran Gefallen fände<br />
und mich erwählen und annehmen wollte, nicht minder zu äußerer Armut; zweitens<br />
im Erleiden von Schimpf und Unrecht, um Ihm darin jeweils mehr nachzufolgen“ (EB<br />
147). Dieses Gespräch rührt bereits an der Wahl, ergreift aber nicht den Weg, den<br />
sich der Übende vorstellt, sondern erwartet und erbittet ihn. Im Erwarten zeigt sich<br />
die Indifferenz, im Erbitten der Wille des Exerzitanten, der aber wieder in die Haltung<br />
der Indifferenz, des Annehmens mündet. Adressaten des Gebetes sind nach Maria<br />
der Sohn und der Vater. Babylon könnte man mit Haben oder Festhalten<br />
kennzeichnen („Wer sein Leben retten will, wird es verlieren“ Mt 16,25)<br />
– Jerusalem mit Empfangen, Sein bzw. Sein-Lassen („Wer sein Leben um<br />
meinetwillen verliert wird es gewinnen“ Mt 16,25). Als Bild für<br />
Babylon könnte man die zupackende Faust, als Bild für Jerusalem die geöffnete,<br />
empfangende Hand nehmen.<br />
4.3.1.2.3. Besinnung über die drei Menschengruppen<br />
In diesem Abschnitt (EB 149 –155) handelt es sich – wie auch bei der vorigen – um<br />
eine medidación, in der „jener ‚offene Komparativ‘ besonders häufig genannt wird,<br />
der die geistlichen Übungen von Anfang bis Ende durchzieht“ (Köster 1999, 120). Die<br />
Überschrift lautet: „Die Besinnung über drei Menschgruppen wird gehalten dazu hin,<br />
das Je-Bessere zu umfangen“ (EB 149). Es geht in dieser Übung vornehmlich um<br />
das ignatianische magis (mehr), das nach Köster den Übenden nicht unter Druck<br />
setzen will: „Es geht vielmehr um die Entwicklung eines feinen Gespürs und um die<br />
Disposition ‚in unserem Leben die guten Werke zu tun, die Gott uns im Voraus<br />
bereitet hat‘ (Eph 2,10)“ (Köster 1999, 120). Das magis wehrt jeder Statik und öffnet<br />
den Raum für die Dynamik des Prozesses. Lambert beschreibt dies in seiner
94<br />
bekannt pointierten Sprache: „Dies ist der Sinn des ignatianischen ‚mehr‘: Die Liebe<br />
ist kein stehendes Gewässer, kein Tümpel, keine Zysterne, die leergepumpt wird. Die<br />
Liebe läuft nicht aus, sondern sie läuft über. Liebe ist Quellwasser, das sich aus den<br />
unerschöpflichen Grundwassern von Himmel und Erde nährt“ (Lambert 2000a, 107).<br />
Das magis kommt in dieser Besinnung noch drei weitere Male vor (EB 151,152,155).<br />
Gegenstand der Meditation ist das Beispiel von drei Menschengruppen, die einen<br />
großen Geldbetrag rechtmäßig erworben haben. Alle drei Menschengruppen „suchen<br />
ihr Heil und den Frieden in Gott ... zu finden, indem sie ablassen vom Hemmschuh,<br />
... der in der Anhänglichkeit an das erworbene Gut besteht“ (EB 150).<br />
Die erste Gruppe möchte von den Anhänglichkeiten lassen, wendet aber keine Mittel<br />
zur Erreichung dieses Ziels an (EB 153). Die zweite Gruppe will ebenfalls davon<br />
lassen, aber so, „daß sie im Besitz der erworbenen Sache bleibt ..., daß Gott dorthin<br />
kommen soll, wohin sie selbst will“ (EB 154). Die dritte Gruppe will von der<br />
Anhänglichkeit in jener Weise lassen, „daß eben so wenig eine Neigung sie<br />
bestimmt, die erworbene Sache zu behalten oder sie nicht zu behalten“ (EB 155). An<br />
dieser Stell erscheint das magis: Die dritte Gruppe will das Geld<br />
vielmehr einzig wollen oder nicht wollen, je nachdem Gott Unser Herr es in ihren Willen<br />
legt und es dem Einzelnen besser erscheint zum Dienst und zum Lobpreis Seiner<br />
Göttlichen Majestät. Und inzwischen will sie ihre Sorgfalt daran wenden, alles der<br />
Neigung nach zu verlassen, indem sie ihre Kraft daran setzt, weder diese noch<br />
irgendeine andere Sache zu wollen, außer wenn einzig der Dienst Unseres Herrn sie<br />
bewegt, so daß die Sehnsucht, jeweils besser Gott unserem Herrn dienen zu können,<br />
sie zur Annahme oder zum Lassen der Sache bestimmt (EB 155).<br />
Es erscheint mir wichtig zu betonen, daß es in dieser Stelle auf den Willen des<br />
Einzelnen ankommt, der wiederum von Gott bewegt wird. Gegen den eigenen Willen<br />
darf nichts geschehen. In den Exerzitien geht es darum, die Bedingungen für die<br />
Entfaltung des authentischen Willens freizulegen. Gott ist es, der bewegt und die<br />
Sehnsucht hervorruft. Mittel bzw. Methoden, um zur wirklichen Indifferenz zu<br />
gelangen, werden (wie bereits in der Bannerbetrachtung) in den drei Aussprachen<br />
angegeben: nämlich zu bitten, „auch wenn es gegen das Fleisch wäre, der Herr<br />
möge einen zu äußerer Armut erwählen, und (zu sagen), man wünsche es und bitte<br />
darum und erflehe es, wofern es nur zum Dienst und Lobpreis Seiner Göttlichen<br />
Güte gereiche“ (EB 157). Köster faßt zusammen, daß der Übende an dieser Stelle
95<br />
noch „nicht indifferent (gleichmütig) genug ist. Entscheidend bleibt, dass bei dieser<br />
Disposition nichts erzwungen werden kann. Die Suchbewegung des Übenden, wie er<br />
Jesus mit ungeteiltem Herzen dienen kann, geht weiter“ (1999, 124). Die<br />
dazugehörigen Leben-Jesu-Betrachtungen reichen von der Taufe Jesu im Jordan<br />
(EB 158) bis zum Palmtag (EB 161).<br />
4.3.1.2.4. Drei Weisen der Demütigung<br />
Diese Überlegung (consideración) – EB 164 – 168 – wird der Wahl vorgeschaltet,<br />
„um sich zur wahren Lehre Christi hinzustimmen (affectarse)“ (EB 164). Es geht<br />
dabei um ein affektives, emotionales Berührt-Werden (vgl. zweite Grundmotivation;<br />
2.2.2.1.2.) vom armen und geschmähten Christus: Dies ist eine Weiterführung der<br />
Bannerbetrachtung (EB 136 – 148), in der Armut und Verspottung als Mittel gegen<br />
Reichtum und Ehre angeführt werden. Paulus faßt diese Grundhaltung des Christen<br />
im knapp gefaßten (bereits auf vorpaulinische Wurzeln zurückgehenden)<br />
Christushymnus des Philipperbriefes zusammen: „Seid untereinander so gesinnt, wie<br />
es dem Leben in Christus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest,<br />
wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den<br />
Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war<br />
gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. – Darum hat Gott ihn über alle erhöht<br />
und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel,<br />
auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder<br />
Mund bekennt: ‚Jesus Christus ist der Herr‘ – zur Ehre Gottes, des Vaters“(Phil 2,5-<br />
11). Drei Ausdrücke sind im ersten Teil für unseren Zusammenhang von Bedeutung.<br />
Erstens: Er hielt nicht daran fest Gott gleich zu sein (Phil,2,6) heißt eigentlich, er hielt<br />
es nicht für ein zu Raubendes, für ein Beutestück, das man unbedingt festhalten<br />
muß, Gott gleich zu sein. Hier kommt die Indifferenz, das Loslassen stark zum<br />
Ausdruck. Zweitens: Er entäußerte sich, heißt eigentlich, er entleerte sich (ekénosen<br />
heauón) von seiner Gottesgestalt (morfé theú) und nahm Sklavengestalt an. Drittens:<br />
Er erniedrigte sich (etapeínosen heautón). In diesem Ausdruck steckt Demut<br />
(tapeinosýne) und heißt eigentlich er demütigte sich, was uns wieder zu unserer<br />
Demutserwägung führt. Wichtig ist es auch, das Auge auf den zweiten Teil des<br />
Hymnus zu lenken: auf die vom Vater vollzogene Erhöhung. In diesem Hymnus ist<br />
die Paschadynamik von Erniedrigung (Leiden, Tod) und Erhöhung (Auferstehung) zu
96<br />
erkennen, die dann explizit Gegenstand der dritten und vierten Exerzitienwoche (EB<br />
190 –229) ist.<br />
Die „Drei Weisen der Demut“, wie sie Köster (1999, 124) nennt, wollen einen letzten<br />
check-up vor der Wahl geben: Wie steht es mit meiner augenblicklichen Disposition?<br />
Man könnte diese Übung auch als die drei inneren Einstellungen oder als die drei<br />
Formen der Entschiedenheit Gott gegenüber bezeichnen.<br />
DIE ERSTE WEISE der Demütigung ist notwendig zum ewigen Heil. Ich muß mich<br />
nämlich so weit herabsetzen und so weit erniedrigen, als es mir möglich ist, dazu hin,<br />
in allem dem Gesetz Gottes unseres Herrn zu gehorchen, derart, daß ich – auch wenn<br />
man mich zum Herrn aller geschaffenen Dinge in dieser Welt machte, oder wenn es<br />
mein eigenes zeitliches Leben gälte – nicht auf den Gedanken käme, ein Gebot zu<br />
übertreten (EB 165).<br />
Diese erste Form der Einstellung zu Gott könnte man als eine statische, basale<br />
bezeichnen, die noch nicht für die Wahl reicht. „Die innere Freiheit für dem<br />
persönlichen Ruf ist noch nicht gegeben“ (Köster 1999, 126).<br />
DIE ZWEITE ist vollkommenere Demütigung als die erste: wenn ich mich nämlich an<br />
dem finde, daß ich nicht mehr wünsche und ersehne Reichtum als Armut zu besitzen,<br />
Ehre als Unehre zu suchen, langes Leben als kurzes zu begehren, wo es für den Dienst<br />
Gottes Unseres Herrn gleich bleibt, und daß ich dabei nicht um alles Geschaffene noch<br />
um den Verlust meines eigenen Lebens auf den Gedanken käme, eine läßliche Sünde<br />
zu begehen (EB 166).<br />
In dieser zweiten Weise versucht der Mensch mit Entschiedenheit sein Leben von<br />
Gott her zu gestalten. Es ist den Gedanken des Prinzips und Fundamentes (EB 23)<br />
ähnlich. Auf dieser zweiten Ebene befindet sich der Übende in der Haltung der<br />
Indifferenz, die Voraussetzung für die Wahl ist. Dazu ein Text des Jesuiten K.<br />
Rahner: „Dabei bleibt immer zu sagen, daß diese absolute, aktive Indifferenz <br />
etwas ist, das wir nie vollkommen haben, sondern worauf wir uns im besten Fall<br />
hinbewegen . Wie spät merken wir erst, wie sehr wir an etwas hängen, mit ihm<br />
uns schon restlos identifiziert haben“ (zit. nach Köster 1999, 127). Diese zweite<br />
Weise erscheint mir auch der existentiellen Haltung, wie sie die Existenzanalyse<br />
beschreibt, ähnlich zu sein.
97<br />
DIE DRITTE ist ganz vollkommene Demütigung: wenn ich nämlich die erste und zweite<br />
Weise einschließend, um Christus Unserem Herrn je mehr nachzufolgen und ihm<br />
der Tat nach ähnlicher zu werden, je mehr mit dem armen Christus Armut wünsche und<br />
erwähle als Reichtum, je mehr mit dem schmacherfüllten Christus Schmach als<br />
Ehrenerweise, und je mehr danach verlange, als ein Tor oder Narr angesehen zu<br />
werden um Christi Willen, der zuerst als ein solcher angesehen wurde, denn für weise<br />
und klug in der Welt (EB 167).<br />
Diese dritte Weise stellt den mystischen Kern des Exerzitiengeschehens dar, nämlich<br />
das Mitleben mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn (vgl. dazu den die<br />
Ausführungen zum Philipperhymnus in diesem Kapitel). Hier geht es um die<br />
Schicksalsgemeinschaft mit Christus, um das paulinische „Christus gleichgestaltet<br />
werden“ (Röm 8,29), um die Imitatio Christi. Aber noch einmal muß hier angemerkt<br />
werden: Niemand darf sich diese Lebensform eigenmächtig wählen, sie ist Gabe.<br />
Wenn der Exerzitant Sehnsucht danach hat, ist das Mittel der Wahl das Erbitten 31<br />
(vgl. EB 168). Der Übende muß aber dennoch in der Haltung der Indifferenz bleben,<br />
die Erwählung ist Sache des Herrn. An dieser Stelle muß meiner Erfahrung nach der<br />
Exerzitienleiter besonderen Augenmerk auf die 15. Bemerkung (EB 15) legen, die ihn<br />
selbst betrifft. Er muß sich hüten, manipulierend in den Prozeß einzugreifen, vielmehr<br />
„in der Mitte stehend wie eine Waage, unmittelbar den Schöpfer mit seinem<br />
Geschöpf“(EB 15) wirken lassen. Darin besteht meines Erachtens die größte Kunst<br />
des Exerzitienleiters, aber auch die Gefahr des (seelischen, bisweilen auch des<br />
körperlichen) Mißbrauchs.<br />
31 An dieser Stelle ein kurzes Wort zur Phrase „Bitten um was ich begehre“ (z.B. EB 139), die das<br />
ganze Exerzitienbuch als immer wiederkehrenden Bestandteil jeder Besinnung und Betrachtung<br />
durchzieht. Bitten ist ein Ausdruck, der in der Existenzanalyse naturgemäß nicht vor kommt, weil das<br />
personale transzendente Du als Adressat der Bitte fehlt. Wie später noch gezeigt werden soll, geht es<br />
in der Existenzanalyse um den Prozeß vom diffusen Wünschen zum personalen Wollen. Das Bitten<br />
scheint mir in diesem Themenkomplex angesiedelt zu sein, greift es eine diffuse Sehnsucht, ein<br />
Begehren und Wünschen auf, der Mensch erfährt sich zu schwach, dies in die Tat umzusetzen und<br />
schickt diesen Wunsch an Gott mit dem Auftrag resp. der Bitte, diesen zu realisieren. Die Realisation<br />
schaut aber normalerweise so aus, daß Gott den Bittenden affektiv und gedanklich in die<br />
entsprechende Richtung bewegt und ihn befähigt, dieses Ansinnen in die Tat umzusetzen. Die<br />
Annahme und Mitwirkung des Menschen wird vorausgesetzt, besser gesagt (durch die Gnade Gottes)<br />
ermöglicht. Den englischen Ausdruck enable im Sinn von ermöglichen finde ich in diesem<br />
Zusammenhang treffend: Gott befähigt und ermöglicht. Das Bitten stellt somit einen wichtigen<br />
personalen Akt dar, um aus der inneren Blockierung herauszukommen, der aber die Entscheidung<br />
und die Tat des Menschen nicht ersetzt. Bitten ist auch im Zusammenhang mit der Grunddynamik der<br />
Liebe, des Austausches, zu sehen: im Empfangen und Schenken. Biblisches Grundwort für dieses<br />
Tun ist unter anderem in der Bergpredigt zu finden: „Bittet, dann wird euch gegeben“ (Mt 7,7). - Es<br />
stellt sich hier die Frage nach einem möglichen existenzanalytischen Äquvalent. Könnte ein Analogon<br />
aus existenzanalytischer Sicht entwickelt werden?
98<br />
Als biblisches Beispiel könnte man an dieser Stelle das Gleichnis vom „Reichen<br />
Jüngling“ (Mt 19,16-30) anführen, das die erste und zweite Weise der Demut<br />
illustriert. Ein junger Mann kommt zu Jesus und fragt, was er tun muß, um das Leben<br />
zu gewinnen. Halte die Gebote, ist die Antwort Jesu (vgl. die erste Weise der Demut).<br />
Das genügt dem jungen Mann aber nicht und er fragt weiter: Was fehlt mir noch? Da<br />
antwortet Jesus: Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib<br />
das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann<br />
komm und folge mir nach (vgl. die zweite Weise der Demut). Dann ging der Mann<br />
weg, denn er hatte ein großes Vermögen. Jesus warnt daraufhin seine Jünger vor<br />
der Gefahr des Reichtums mit den bekannten Worten: Eher geht ein Kamel durch ein<br />
Nadelöhr als ein Reicher in das Himmelreich (Mt 19,24). Darauf die erschreckte<br />
Frage der Jünger: Wer kann da noch gerettet werden? Für Menschen ist das<br />
unmöglich, nicht aber für Gott, für Gott ist alles möglich (Mt 19,26). Petrus stellt<br />
darauf die Frage nach dem Lohn, dafür, daß die Jünger alles verlassen haben. Die<br />
verblüffende Antwort Jesu: Sie bekommen das Hundertfache und in der kommenden<br />
Welt das ewige Leben (Mt 19,28f). In der Lukasfassung folgt dann die Ankündigung<br />
von Leiden und Auferstehung Jesu: „Er wird ... verspottet, mißhandelt und<br />
angespuckt werde, und man wird ihn geißeln und töten. Aber am dritten Tag wird er<br />
auferstehen (Lk 18,32f). Hierin zeigt sich die dritte Weise der Demut. So könnte man<br />
diese Perikope als Folie hinter der Demutsbesinnung erkennen.<br />
4.3.1.3. Vollzug der Erwählung<br />
Der Weg bis zur Wahl, der Erwählung war lang, vielleicht mag er auch umständlich<br />
und kompliziert erschienen sein. Ignatius legt aber auf dieses Vorspiel zur Wahl<br />
großen Wert. Es geht ihm um eine gründliche Disponierung für die Wahl. Der<br />
Übende soll dahin gelangen, „was ihn mehr zu diesem Ziel hinführt, auf das er hin<br />
geschaffen ist“ (EB 23), wie es das Prinzip und Fundament beschreibt. Roger<br />
Schutz, Prior von Taize, drückt dies folgend aus: „Dem Evangelium nach heißt ‚manselber-sein‘<br />
so lange zu graben, bis man auf die unersetzliche Gabe stößt, die in<br />
jedem Menschen verborgen ist. Durch diese einzigartige Gabe hindurch verwirklicht<br />
sich der Mensch in Gott“ (zit. nach Köster 1999, 151). Wie schwierig der Akt der<br />
Wahl ist, beschreibt das offizielle jesuitische Direktorium von 1599: „Unter allen<br />
Übungen gibt es keine schwierigere oder eine, die größere Sorgfalt und geistliche
99<br />
Unterscheidung erfordert, als die der Wahl, weil diese Zeit so verschiedenen<br />
Regungen der Seele und oft auch Irrtümern ausgesetzt ist. Denn der Mensch kann<br />
vom Bösen nicht nur besiegt, sondern oft auch durch ein gutes und richtiges<br />
Vorstellungsbild getäuscht werden.“ (Köster 1999, 152f)<br />
Am Beginn zum Vollzug der Wahl läßt Ignatius den Blick des Übenden noch einmal<br />
überprüfen, das Auge der Ausrichtung (intención) muß klar (simple) sein und ruft<br />
noch einmal das Ziel der Exerzitiendynamik ins Bewußtsein:<br />
Bei jeder guten Wahl muß, soweit sie von uns abhängt, das Auge unserer Ausrichtung<br />
(intención) einfach sein, indem es einzig allein das anschaut, wozu ich geschaffen bin,<br />
nämlich hin zum Lobpreis Gottes Unseres Herrn und zum Heil meiner Seele. Was immer<br />
ich also erwähle muß so beschaffen sein, daß es mir zum Ziel hin helfe, zu dem hin ich<br />
geschaffen bin. Und ich soll nicht das Ziel zum Mittel hin ordnen, sondern das Mittel<br />
zum Ziel. So kommt es vor, daß viele zuerst die Wahl treffen zu heiraten, was ein Mittel<br />
ist, und dann an zweiter Stelle Gott Unserem Herrn in diesem Ehestand zu dienen,<br />
welcher Dienst Gottes doch das Ziel ist. Sie streben also nicht geraden Weges zu<br />
Gott, sondern sie wollen, daß Gott geraden Weges ihren ungeordneten Neigungen<br />
entgegenkomme So darf nichts mich bewegen, dergleichen Mittel zu wählen oder<br />
sie liegen zu lassen, als einzig der Dienst und Lobpreis Gottes Unseres Herrn und das<br />
ewige Heil meiner Seele (EB 169).<br />
4.3.1.3.1. Das „Worüber“ der Erwählung<br />
In den folgenden vier Punkten wird der Gegenstand der Erwählung in den Blick<br />
genommen: Erstens muß der Gegenstand „indifferent und gut“ (EB 170) sein:<br />
zweitens wird auf die Unterscheidung zwischen unwandelbare (z.B. Ehe oder<br />
Priestertum) und wandelbare (z.B. Annahme einer Pfründe) Wert gelegt (EB 171).<br />
Der dritte Punkt beschreibt, daß eine unwandelbare Erwählung nicht rückgängig<br />
gemacht werden kann. Erkennt der Übende, daß er früher eine solche Wahl in<br />
ungeordneter Weise getroffen hat, bereue er, trachte aber danach „innerhalb seiner<br />
Erwählung ein gutes Leben zu führen“ 32<br />
(EB 172). Eine solche schiefe Wahl ist aber<br />
keine göttliche Berufung (selbst wenn das Priestertum gewählt wurde), denn jede<br />
Berufung von Gott ist „immer lauter und durchsichtig (limpia)“ (EB 172). Der vierte<br />
Punkt (EB 173) regt den Übenden, der eine veränderliche Wahl in guter Weise<br />
32 Hier unterscheidet sich die existenzanalytische Sicht, in der es a priori keine unveränderliche Wahl<br />
gibt, gleichwohl mit der Änderung einer Wahl sehr sorgsam umgegangen wird.
100<br />
getroffen hat, an, diese nicht anzuzweifeln, sondern diese zu vervollkommnen. Darin<br />
klingt wieder das ignatianische magis an. In der Bemerkung (EB 174) wird angeregt,<br />
eine veränderliche Wahl, die schief war, neu zu treffen.<br />
4.3.1.3.2. Drei Zeiten der Erwählung<br />
Drei Zeiten gibt Ignatius für eine „gesunde und gute Wahl“ (EB 175) an. Die erste<br />
Zeit ist die der Gottunmittelbarkeit (EB 175),<br />
wenn Gott Unser Herr den Willen so bewegt und an sich zieht, daß eine ihm ergebene<br />
Seele, ohne zu zweifeln oder auch nur zweifeln zu können, dem folgt, was gezeigt wird,<br />
wie Sankt Paulus und Sankt Matthäus taten, als sie Christus Unserem Herrn<br />
nachfolgten (EB 175).<br />
Mit der Zeit der Gottunmittelbarkeit sind plötzliche Einbrüche der göttlichen Gnade<br />
und Liebe gemeint, die dann habituell werden und dem Leben eine ganz neue<br />
Richtung geben. Es ist ein Evidenzgeschehen, das man auch Disclosure-Erlebnis<br />
(Erschließungserlebnis) nennen kann. Der Geist, die Emotion, der Körper, die ganze<br />
Existenz wird von dieser neuen Wirklichkeit durchdrungen und entflammt, so daß es<br />
keinen Zweifel mehr gibt. „Ein Zwang liegt auf mir“ so drückt es Paulus aus (1 Kor<br />
9,16). Zwang bedeutet hier nicht Druck von außen, Fremdbestimmung, sondern ein<br />
inneres Erfülltsein, in dem es nur mehr einen Weg gibt, der zieht. Ignatius beschreibt<br />
als Beispiele die Berufung des Apostels Matthäus (Levi) – als er am Zoll sitzend von<br />
Jesus berufen wurde, Mt 8,9-13 – und des Apostels Paulus, als es ihn vor Damaskus<br />
zu Boden warf (vgl. Apg 9,4). Ein ergreifendes Zeugnis aus der Kirchengeschichte<br />
stammt von Blaise Pascal von seiner Bekehrung: „Das Jahr der Gnade 1954.<br />
Montag, 23. November ...von ungefähr zehn und einhalb Uhr am Abend bis ungefähr<br />
eine halbe Stunde nach Mitternacht, Feuer. ‚Gott Abrahams, Isaaks, Gott Jakobs‘,<br />
nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewißheit. Gewißheit. Empfindung. Freude.<br />
Friede. Gott Jesu Christi. Vergessen der Welt und aller Dinge, ausgenommen<br />
Gott. Er wird nur auf den Wegen gefunden, die im Evangelium gelehrt sind.<br />
Größe der menschlichen Seele. Freude, Freude, Freude, Tränen der Freude.<br />
Ich habe mich von dir getrennt. Möge ich nie von ihm getrennt sein. <br />
Ewig in der Freude für einen Tag der Plage auf Erden“ (zit. nach Köster 1999, 155f).<br />
Die Gottunmittelbarkeit trägt ekstatische Züge, wie sie bereits beim Über sich Sein
101<br />
der Benediktusvita (vgl. Gregor 1995, 119) bekannt sind. In jüngster Zeit sind die<br />
Beispiele von Paul Claudel, der sich an seinem 18. Geburtstag in Notre Dame<br />
bekehrt haben soll, ebenso von André Frossard, der seine plötzliche Umwandlung in<br />
dem Buch „Gott existiert – ich bin ihm begegnet“ (2002) dargelegt hat. Auch der<br />
Verfasser dieser Zeilen ist Zeuge dieses plötzlichen Eingreifens Gottes in seinem<br />
Leben.<br />
Die zweite Zeit der Wahl liegt vor, „wenn Klarheit und Einsicht genug empfangen<br />
wird, von der Erfahrung in Tröstung und Trostlosigkeit her und aus der Erfahrung der<br />
Unterscheidung der Geister“ (EB 176). In diesem Fall herrscht die klassische<br />
Exerzitiensituation vor. Der Übende wird in der Seele tief bewegt, und es gilt durch<br />
die Unterscheidung der Geister den authentischen Weg herauszufinden. In dieser<br />
zweiten Zeit gelten alle Weisungen, Regeln und Anregungen, die zur Unterscheidung<br />
der Geister, zur Grundhaltung des Exerzitanten, zur Aufgabe des Exerzitienleiters<br />
und zur Vorbereitung die Wahl gesagt wurden. Großer Wert ist auf die klare<br />
Erkenntnis des Geistes und auf die damit verbundenen Begleitgefühle wie Stille,<br />
Friede, Freude, Freiheit und Trost zu legen. Meiner Erfahrung nach stellen sich<br />
Erkenntnis und Gefühle fraktioniert ein: Zuerst ein Strahl der Erkenntnis mit einem<br />
(angefochtenen) Begleitgefühl; beides setzt sich (bei Echtheit) immer mehr durch<br />
und durchdringt (oft nach langen Kämpfen) die gesamte Existenz. In diesem Fall<br />
geht es um „experimentelle Gotteserkenntnis“ (Köster 1999, 159). Der Exerzitienleiter<br />
hat die Funktion des Betrachters, besser des Refenzpunktes von außen. Es ist<br />
wichtig, daß sich der Übende der Überprüfung des Leiters aussetzt, der die<br />
Entscheidung noch einmal auf ihre Echtheit – umgangssprachlich gesagt – abklopft.<br />
Existenzanalytisch erinnert dies an den Realitätsbezug, an die Bezogenheit auf die<br />
Welt, die Rolle des Exerzitienleiters an die phänomenologische Haltung.<br />
Die dritte Zeit nennt Ignatius „ruhig“ (EB 177), wenn er nicht von den Geistern hin-<br />
und herbewegt wird. Er macht von den natürlichen Fähigkeiten des diskursiven<br />
Denkens, des Überlegens in Freiheit und Ruhe Gebrauch. In dieser dritten Zeit gibt<br />
es zwei Arten, die Wahl vorzunehmen.
102<br />
4.3.1.3.3. Die zwei Arten der ruhigen Wahl<br />
„DIE ERSTE ART eine gute und gesunde Erwählung zu treffen“ (EB 178) beginnt<br />
damit, „sich die Sache vorzulegen, über die ich Erwählung zu halten wünsche“ (EB<br />
178). In dieser dritten Zeit muß es sich ausschließlich um eine wandelbare<br />
Erwählung handeln. Nach dieser ersten Klärung ist es – wie in jeder Wahlsituation –<br />
wichtig, sich das Ziel (im Sinn des Prinzips und Fundamentes, EB 23) vor Augen zu<br />
halten. Neu ist, daß dieser Text mit dem Bild der Waage verknüpft wird, das bereits<br />
aus der Anweisung für den Exerzitienleiter (EB 15) bekannt ist. Nun soll sich der<br />
Übende im Gleichgewicht der Waage befinden, „um dem folgen zu können, von dem<br />
ich spüre, daß es mehr zur Ehre und zum Lobpreis Gottes ... und zur Rettung meiner<br />
Seele dient“ (EB 179). Dabei ist zu bemerken, daß nur zwei Gegenstände<br />
gegeneinander abgewogen werden können. – Im dritten Punkt weist Ignatius an,<br />
Gott zu bitten, „er wolle meinen Willen bewegen und mir das in die Seele legen, was<br />
ich in der vorgelegten Sache tun soll in dem ich gut und getreu mit meinem<br />
Verstand überlege “ (EB 180). Bitten, daß Gott den Willen bewegt – hier ist mit<br />
dem Willen auch die Emotion angesprochen, gekoppelt mit dem Verstand, dem<br />
diskursiven Denken. – Im vierten Punkt (EB 181) wird das diskursive Überlegen<br />
weitergeführt, dann allerdings unter geänderten Vorzeichen. Agere contra könnte<br />
man diese Phase nennen: jeweils die Nachteile der einen und der anderen Seite<br />
betrachten. Nun wird wieder das Bild der Waage verwendet (EB 182): „zusehen<br />
wohin sich die Vernunft jeweils mehr hinneigt“. Nicht die emotionale Regung ist in<br />
dieser Methode der Entscheidung relevant, sondern die vernunfthafte Regung. – Im<br />
sechsten Punkt soll sich der Übende nach getroffener Wahl ins Gebet begeben „und<br />
ihm diese Wahl darbringen, damit seine göttliche Majestät sie annehme“ (EB 183).<br />
Am Ende der Wahl steht die Darbringung, sozusagen das Offertorium (die Wahl<br />
darbringen ). Es geht dabei um ein letztes Loslassen, um die letzte Freiheit,<br />
die Indifferenz. Dem Wahlvorgang liegt ein dialogischer Austausch von Empfangen<br />
(Annehmen) und Geben zugrunde: Gott gibt, der Mensch empfängt, nimmt an – und<br />
gibt Gott zurück.<br />
DIE ZWEITE ART eine gute und gesunde Erwählung zu treffen, beruht in der ersten<br />
Regel auf dem Spüren jener Liebe,
103<br />
die mich bewegt hat, eine bestimmte Sache zu wählen, von oben herabsteige aus der<br />
Liebe Gottes, dergestalt, daß der Wählende zuerst in sich spürt, wie die größere Liebe<br />
für die Sache, die er erwählt, einzig seinen Schöpfer und Herrn zum Grund hat (EB 184).<br />
Die zweite Regel regt die Imagination an (EB 185): sich einen unbekannten<br />
Menschen vorstellen, dem man alle Vollkommenheit wünscht. Dann erwägen, was er<br />
tun und erwählen soll zur Ehre Gottes und zur größeren Vollendung seiner Seele.<br />
Und selbst genauso handeln. Man könnte darin eine Art Persektiven-shifting (Kolbe<br />
2000) erkennen.<br />
Im dritten Punkt wird die Entscheidung imaginativ in die Todesstunde (EB 186), im<br />
vierten Punkt an den Tag des Gerichtes (EB 187) verlegt: Wie würde ich mich in<br />
dieser ultima ratio entscheiden? Die letzten beiden Formen erinnern an die<br />
existenzanalytische Angsttherapie, wo sich nach dem Durchgehen durch das Tor des<br />
Todes eine neue Lebensperspektive, eine authentische Wahl des Lebensweges<br />
auftut (vgl. Handout, Angsttherapie). – Den Abschluß der zweiten Art bildet wieder<br />
das Offertorium, die Darbringung der Wahl (EB 189). – Bemerkenswert ist, daß in der<br />
ersten Art eher die Vernunft der Wegweiser für die Entscheidung ist, in der zweiten<br />
Art eher das Gespür und das existentielle Sich-Aussetzen den letzten Dingen.<br />
Der abschließende Abschnitt zur Wahl (EB 169) legt noch einmal die Nützlichkeit der<br />
Erwägung zum Je-Besseren innerhalb einer schon getroffenen, unveränderlichen<br />
Wahl vor. Dabei geht es um die Modifizierung des Lebensstils zum Je-Besseren hin.<br />
Das Wahlkapitel endet mit dem Satz: „Denn es bedenke ein jeder, daß er in allen<br />
Dingen des Geistes soweit gefördert werden wird, als er herausspringt aus seiner<br />
Eigenliebe, seinem Eigenwillen und seinem Eigennutz“ (EB 169). Damit spricht<br />
Ignatius noch einmal – wie in einem Refrain – die Haltung der Umkehr („alle<br />
ungeordneten Neigungen von sich zu tun“ EB 1) und der uneingeschränkten (aber<br />
experimentell verifizierten!) Verfügbarkeit gegenüber dem Willen Gottes (Indifferenz)<br />
an. Auch hier ist wieder mutatis mutandis die existentielle Haltung zu erkennen.<br />
4.3.1.4. Betrachtung zur Erlangung der Liebe<br />
Diese Übung, die jenseits des Exerzitienprozesses – im Anschluß an die vierte<br />
Woche – steht, „fasst am Ende noch einmal wie in einem Brennpunkt die ganze
104<br />
Dynamik (Bewegung) des Exerzitiengeschehens zusammen und will zugleich den<br />
Übergang schaffen zum Alltag, in den der Übende wieder hinausgeht“ (Köster 1999,<br />
25). Sie ist das Pendant zum Prinzip und Fundament, der „Testphase“ (Köster 1999,<br />
24) der Exerzitien. Mir ist die Inkonsequenz in der Gliederung, De amore in der<br />
Besprechung der zweiten Woche zu behandeln, bewußt. Sie erscheint mir aber als<br />
eine organische Weiterführung des zuletzt Gesagten und eine Abrundung, eine<br />
Synthese des gesamten Prozesses.<br />
Auf zwei Dinge ist bei dieser Betrachtung im Vorfeld zu achten: erstens, „daß die<br />
Liebe mehr in die Werke gelegt werden muß als in die Worte“ (EB 230). Der zweite<br />
Punkt besteht in einer Beschreibung des Wesens der Liebe, die im Austausch<br />
besteht:<br />
Die Liebe besteht in der Mitteilung von beiden Teilen her; das will heißen, daß der<br />
Liebende dem Geliebten gibt und mitteilt, was er hat, oder von dem, was er hat oder<br />
kann, und, und als Gegenstück dazu der Geliebte dem Liebenden, derart, daß wenn der<br />
eine Wissen oder Ehren oder Reichtümer besitzt, er es dem gibt, der es nicht hat, und<br />
so teilt immer einer dem anderen mit (EB 231).<br />
Die Vorbereitung der Betrachtung geschieht wie gewohnt: zuerst (EB 232) die<br />
Zurichtung (auf „des Schauplatzes“ wird verzichtet), sehen, wie ich vor Gott und<br />
seinen Heiligen stehe, die für mich eintreten (EB 232). Dieses dreimalige für mich<br />
(por mi) durchzieht den Text (EB 232, 234, 236). Der zweite Punkt besteht im Bitten<br />
um die innere Erkenntnis der von Gott geschenkten Wohltaten, um Ihn besser lieben<br />
und Ihm besser dienen zu können (EB 233).<br />
Die Betrachtung beginnt mit der Vergegenwärtigung („mit großer Hingabe“ con<br />
mucho afecto, EB 234) der empfangenen Wohltaten im Bereich der Schöpfung,<br />
Erlösung und persönlicher Gaben. Dann erwägen „wie Großes Gott Unser Herr für<br />
mich getan und wieviel Er mir von dem gegeben hat, was Er besitzt, und folgerichtig,<br />
wie sehr derselbe Herr danach verlangt, Sich selbst mir zu geben, soweit Er es nur<br />
vermag gemäß Seiner göttlichen Herablassung“ (EB 234). Nun folgt die<br />
Rückbesinnung auf sich selbst (reflectendo en si mismo) und die Betrachtung der<br />
Gegenbewegung von mir zu Gott: „Was ich von meiner Seite schuldigerweise<br />
darbieten und geben muß nämlich alles was ich habe, und mich selber damit,
105<br />
so wie einer, der mit großer Hingabe darbietet“ (EB 234). Nach dieser betrachtenden<br />
Einstellung folgt das vielleicht berühmteste Gebet des Exerzitienbuches, das<br />
sogenannte Suscipe 33<br />
, die Bitte um Annahme, Aufnahme der Hingabe des<br />
Menschen:<br />
Nimm Dir, Herr, und übernimm meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen<br />
Verstand und meinen ganzen Willen, mein ganzes Haben und Besitzen. Du hast es mir<br />
gegeben, zu Dir, Herr, wende ich es zurück; das Gesamte ist Dein; verfüge nach deinem<br />
ganzen Willen, gib mir Deine Liebe und Gnade, das ist mir genug (EB 234).<br />
In dieser personalen Ant-wort reagiert der Mensch auf das persönliche Wort Gottes<br />
an ihn, das Wort Gottes, das konkret, das fleischgeworden ist.<br />
Im zweiten Betrachtungspunkt (EB 235) soll der Übende erwägen, wie Gott in seinen<br />
Geschöpfen wohnt: in Pflanzen, Tieren, selbst in den Elementen und so auch in mir.<br />
Diese Passage erinnert an das Johannesevangelium: „Das Wort ist Fleisch<br />
geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Statt unter uns kann man auch in<br />
uns übersetzen, worauf die Lehrer der Ostkirche Wert legen. Ignatius führt dieses in<br />
mir noch weiter aus: „Wie Er mir Dasein gibt, mich durchseelt, mir Sinne erweckt und<br />
geistige Einsicht verleiht, wie Er dergleichen einen Tempel aus mir macht, da ich zu<br />
einem Gleichnis und Bild seiner Göttlichen Majestät geschaffen bin“ (EB 235). Dieser<br />
Gedanke nimmt die Schöpfungstheologie auf: der Mensch als Ebenbild Gottes (vgl.<br />
Gen 1,26), der den Menschen zu seinem Partner erwählt hat (vgl. Köster 1999, 32).<br />
Christologisch ausgedrückt: Der Mensch ist dazu bestimmt, „Christus in seiner<br />
vollendeten Gestalt darzustellen“ (Eph 4,13). Dies erinnert an die corporative identity,<br />
das Eingegliedertsein in die Identität Christi, ohne natürlich die eigene aufzugeben.<br />
In diesem Zusammenhang ist der Terminus der participatio, der Teilnahme am<br />
Wesen Christi von Bedeutung. Das Ende des zweiten Punktes gleicht dem ersten:<br />
33 Das Suscipe hat eine lange Tradition. Es ist das Gebet der Bitte um Annahme der dargebrachten<br />
Gaben von Brot und Wein im Offertorium der Eucharistiefeier: „Suscipiat Dominus sacrificium de<br />
manibus tuis, ad laudem et gloriam nominis sui, ad utilitatem quoque nostram, totiusque Ecclesian sui<br />
sanctam (Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen zum Lob und Ruhm seines Namens, zum<br />
Segen für uns und seine ganze heilige Kirche). Diese Gebet ist der Struktur der Exerzitiendynamik<br />
ähnlich: die Annahme zum Lob Gottes und zum Heil (utititas eig. Nutzen im Offertorium) der<br />
Menschen. – Weiters hat das Suscipe einen wichtigen Platz im Ritus der Mönchsprofeß, der<br />
Aufnahme in die Klostergemeinschaft, die vor dem Offertorium der Messe stattfindet. Der Ritus<br />
schließt mit dem dreimaligen Suscipe: „Suscipe me, domine, secundum eloquium tuum et vivam, et ne<br />
confundas me ab expectatione mea“ (RB 58, 21). Dieser Vers (Nimm mich auf, Herr, nach deinem<br />
Wort und ich werde leben; laß mich in meiner Hoffnung nicht scheitern) ist dem Psalm 119,116<br />
entnommen.
106<br />
Rückbesinnen auf sich selbst und in jener Art verweilen, die ich „als die bessere<br />
spüre“ (EB 235). Im zweiten Suscipe vollzieht der Mensch den „vergöttlichenden und<br />
erlösenden Eingang Gottes in alle Dinge“ mit (Köster 1999, 32).<br />
Der dritte Betrachtungspunkt (EB236) „setzt die göttliche Bewegung des Mitteilens<br />
fort und läßt den ‚Preis‘ des ‚göttlichen Einsatzes‘ deutlich wahrnehmen“ (Köster<br />
1999, 32):<br />
Erwägen, wie Gott sich anstrengt und müht um meinetwillen in allen geschaffenen<br />
Dingen auf der Welt, das heißt, Er verhält sich wie einer, der mühselige Arbeit<br />
verrichtet. So in den Himmeln, Elementen, Pflanzen, Früchten, Herden usf., indem er<br />
das Dasein gibt und erhält, Wachstum und sinnliches Leben verleiht usf. Dann<br />
zurückbesinnen auf mich selbst (EB 236).<br />
Dieser Abschnitt soll noch einmal deutlich machen, daß ich „kostbar in den Augen<br />
des Herrn“ (vgl. Ps 116,15) bin und daß er für mich keine Mühe scheut. Dies wurzelt<br />
im paulinischen für mich des Galaterbriefes (Jesus, „der mich geliebt und sich für<br />
mich hypér emé> hingegeben hat“ Gal 2,20), in der Hingabe des Herrn, der<br />
gekommen ist „zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Dies geht wieder auf das vierte<br />
Gottesknechtslied des Jesajabuches zurück: „Mein Knecht, der Gerechte, macht die<br />
vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich. ... Denn er trug die Sünden von vielen<br />
und trat für die Schuldigen ein“ (Jes 53,11.12). – In diesen drei Abschnitten könnte<br />
man auch das Wirken der drei göttlichen Personen erkennen: in EB 234 den Vater,<br />
der spricht, in EB 235 den Sohn, der in seiner Schöpfung wohnt und in EB 236 den<br />
Geist, der bis heute weiterarbeitet.<br />
Der vierte Punkt (EB 237) ist eine Betrachtung im wahrsten Sinne des Wortes:<br />
Schauen (mirár) soll der Übende,<br />
wie alles Gut und alle Gabe absteigt von oben, so wie auch meine beschränkte Kraft von<br />
der höchsten und unendlichen oben herab; und so unsere Gerechtigkeit, Güte,<br />
Frömmigkeit, Barmherzigkeit usf., wie von der Sonne absteigen die Strahlen, vom Quell<br />
die Wasser usf. (EB 237).
107<br />
In diesem Bild der absteigenden Güte Gottes versteht sich der Mensch noch einmal<br />
als radikal sich verdankende Existenz. Das abschließende vierte Suscipe wird zur<br />
geschöpflichen Antwort (der Mensch als sozusagen begrenztes ens ab alio)<br />
schlechthin. Der in dieser Haltung lebende Mensch kann sich dann frei – aller Mittel<br />
der Welt bedienen. „Die Exerzitien“ meint Köster abschließend, „sind Einübung in<br />
eine Freiheit, die den Menschen über seine Grenzen hinausträgt. ... Aus den<br />
Exerzitien ‚erwirbt‘ man sich ‚ein Verständnis und ein ganz feines Gespür für seinen<br />
eigenen, ganz besonderen Ruf und damit eine ganz eigene Ruhe und Vereinigung<br />
mit Gott, ... auf dem Weg, auf dem man zu Gott pilgern soll‘ (Jerónimo Nadal)‘“<br />
(1999, 33).<br />
4.3.2. Existenzanalytische Entsprechungen<br />
Spätestens an dieser Stelle muß angemerkt werden, daß – neben Heidegger mit<br />
seinem existenzphilosphischen Ansatz – auch der dialogische, personale Ansatz,<br />
basierend auf M. Buber (1994) die Existenzanalyse (vor allem in der<br />
Weiterentwicklung durch A. Längle) nachhaltig geprägt hat. Schon allein der Name<br />
der in diesem Kapitel eingehend besprochenen Personalen Existenzanalyse, als die<br />
wichtigste Methode der Existenzanalyse, drückt diesen Umstand aus. Sie „markiert<br />
die personale Wende in der Existenzanalyse, durch die subjektives Erleben,<br />
Emotionen, personale Prozesse vor, während und nach dem Existenzvollzug ... in<br />
den Mittelpunkt existenzanalytischer Psychotherapie rückten“ (Längle A 2000e, 31).<br />
4.3.2.1. Personale Existenzanalyse (PEA)<br />
Es wird den existenzanalytische Leser vielleicht wundern, an dieser Stelle die<br />
Darstellung der Personalen Existenzanalyse zu finden, ist sie doch eine Anleitung<br />
„für den (psychotherapeutischen) Prozeß einer autonomen, authentischen, emotional<br />
erfüllten, sinnvollen und personal verantworteten Existenz“ (Längle 2000e, 31).<br />
Während des Durcharbeitens der zweiten Exerzitienwoche, insbesondere der Regeln<br />
zur Unterscheidung der Geister und des Wahlvorganges, wurden mir immer mehr die<br />
Ähnlichkeiten zwischen der Dynamik, eine gute, authentische Wahl zu treffen und<br />
dem Prozeß der PEA bewußt. Die PEA erfaßt m. E. den gesamten Bogen des<br />
Vorganges, ähnlich dem Wahlvorgang des Ignatius. Wie dieser ist auch die PEA ein<br />
Prozeßmodell. Sie ist dazu entwickelt worden, das Ziel der Existenzanalyse, nämlich
108<br />
„zu einer authentisch empfundenen Zustimmung zur Lebensführung“ (Längle A<br />
2000f, 9) zu kommen, anzufragen „und die persönliche Haltung zu sich selber und<br />
zur Welt durchzuarbeiten“ (ebd. 10). Gegenstand dieses Durcharbeitens sind die drei<br />
existentiellen Bereiche, die in der 1. – 3. Grundmotivation ihren Ausdruck finden. Es<br />
gilt, wie bereits am Beginn dieser Arbeit ausgeführt, zu einen dreifachen Affirmation<br />
zu diesen zu kommen. „Diese grundsätzlichen Entscheidungen der Person eröffnen<br />
die existentielle Sinnhaftigkeit des Lebens (4. GM)“ (ebd. 10). „Andererseits“, führt A.<br />
Längle weiter aus, „handelt es sich um eine ‚vor-existentielle Haltung‘, in der die<br />
Sinnhaftigkeit des Lebens nur von Instanzen außerhalb der eigenen Person abhinge:<br />
von dem, was die Lebensbedingungen und andere Personen vorgeben (verlangen,<br />
erwarten, diktieren) oder von religiösen Vorgaben“ (Längle A 2000f 10). Genau<br />
gegen diese Passivierung wendet sich auch Frankl mit seiner existentiellen,<br />
kopernikanischen Wendung, die „den Menschen an seine Eigenverantwortlichkeit<br />
hinsichtlich der (Mit-)Gestaltung sinnvoller Existenz erinnert“ (Längle A 2000f, 10).<br />
Bereits an dieser Stelle finden wir m. M. n. eine entscheidende Übereinstimmung<br />
beider Wege: sowohl in den Exerzitien, als auch in der Existenzanalyse geht es um<br />
die authentische Entscheidung zum je-eigenen Leben, ohne Fremdbestimmung (im<br />
Bereich der Existenzalität, die Faktizität ist ja anzunehmen). Auch im Punkt religiöser<br />
Vorgaben treffen sich beide Ansätze – wenn auch mit Einschränkungen: Ignatius<br />
stellt den Entscheidungshorizont innerhalb der „wahren Braut Christi, die da ist<br />
Unsere Heilige Mutter, die Hierarchischen Kirche“(EB 353). Innerhalb dieser aber<br />
darf niemand mani-pulierend in den Prozeß eingreifen. 34<br />
Wenn nun bei einem<br />
Menschen die Verwirklichung des Ziels, die authentische Lebensgestaltung nicht<br />
möglich ist, bedarf es der Hilfestellung, „um zur Restrukturierung und Entfaltung der<br />
personalen Ressourcen zu kommen und der Person zu ihrer Freiheit zu verhelfen“<br />
(Längle A 2000f, 11). Die PEA wird auch als Methode „zur Mobilisierung personaler<br />
Kräfte beschrieben“ (Längle A 1999b, 20), die „die grundsätzliche Dialogfähigkeit des<br />
Menschen, das Sich-in-Austausch-Bringen mit der Welt“ (ebd.) fördern und<br />
bestehende Fixierungen lösen soll. Ziel ist der offene, dialogische Austausch mit sich<br />
und der Welt, wie bereits erörtert wurde (2.1.). Austausch erinnert an die letzten<br />
dargelegten Passagen des Exerzitienbuches, besonders an die Betrachtung Zur<br />
Erlangung der Liebe (EB 230ff), in der es wesentlich um diesen Austausch geht. Und<br />
Austausch ist wesenhaft mit Liebe verbunden: Liebe zu Sich (Selbstbezug) und<br />
34 An dieser Stelle sei wieder an EB 15, die Stellung des Exerzitienleiters erinnert.
109<br />
Liebe zum Du, zur Welt (Weltbezug; Ignatius würde sagen: zu Gott 35<br />
, der in allen<br />
Dingen wohnt, vgl. EB 235).<br />
Wie der Name besagt, setzt die PEA am Personbegriff an, der als „prozessuales<br />
Personkonzept“ (Längle A 2000e, 31) beschrieben wird. Von Frankl wird Person als<br />
das „Geistige, das Freie und sich Verantwortende im Menschen“ (zit. nach Längle A<br />
1999b, 20) verstanden, Längle bezeichnet die Person darüber hinaus auch als „das<br />
in mir Sprechende“ (ebd.). „Spreche ich zu mir, schaffe ich die innere Welt der<br />
Selbstdistanzierung. Spreche ich zum anderen, entsteht die äußere Welt der<br />
Selbsttranszendenz (Mitwelt)“ (Längle A 1993, 137). Daraus abgeleitet werden drei<br />
Eigenschaften des Menschen, die sich in der Praxis als relevant erwiesen haben: der<br />
Mensch ist ansprechbar, verstehend und antwortend. Daraus resultiert das<br />
sogenannte Dreieck der PEA: erstens ansprechbar -> Eindruck, zweitens verstehend<br />
-> Stellungnahme und drittens antwortend -> Ausdruck (vgl. dazu Längle A 1999b,<br />
21). Es erübrigt sich hier beinahe, auf die Parallele zum Exerzitienbuch hinzuweisen:<br />
1. Wort, das betrifft, berührt, bewegt – 2. Annahme (vor der ein dialogischer Prozeß<br />
steht und mit Verstehen zu tun hat; vgl. Unterscheidung der Geister) und 3. Antwort,<br />
die immer eine Ver-antwortung miteinschließt, weil sie in Freiheit getroffen ist. Eine<br />
biblische Illustration dazu wird in 4.3.3. gegeben.<br />
Basis der PEA ist die Deskription, die Beschreibung (PEA 0). Das Ziel dieses<br />
Schrittes ist die Sachlichkeit, denn der „Boden des existenzanalytische Gesprächs ist<br />
stets die Realität“ (Längle A 1993, 146). Es geht dabei um die Beziehungsaufnahme<br />
durch das Sprechen über das Faktische: Situationsbericht, Problemschilderung,<br />
Anamnese. „Der Therapeut soll sich bewußt halten, daß allein das Aussprechen oder<br />
Beschreiben eines Sachverhalts (nicht der Reflexion über den Sachverhalt) stets ein<br />
Eingestehen des Vorgefallenen vor sich selbst bedeutet“ (Längle A 1993, 147).<br />
Anders ausgedrückt könnte man sagen: Basis jeder Therapie ist das Anbinden der<br />
35 In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß der Sinn der Dreifaltigkeit, das Wesen der<br />
Dreipersönlichkeit Gottes im Austausch besteht: Gott ist in der christlichen Vorstellung keine Monade,<br />
kein erratischer Block, sondern dynamischer, personaler Austausch der Liebe vom Vater zum Sohn im<br />
Heiligen Geist. Das Wesen des Menschen besteht nun darin, an diesem Austausch der Liebe<br />
teilzunehmen (hier ist wieder der Ausdruck participatio relevat). Darum ist es nachvollziehbar, wenn<br />
Ignatius durch die Methode der Exerzitien den ins Stocken geratenen Austausch (Sünde wird als<br />
Erstarrung gesehen) wieder in Gang bringen will. Durch den personalen Kontakt mit dem in<br />
permanenten Austausch lebenden Gott soll die Erstarrung gelöst werden. Und dieser Austausch<br />
vollzieht sich im Innersten des Menschen, biblisch gesprochen in seinem Herz, im Personalissimum,<br />
(vgl. dazu Joh 14,23. „...wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen“).
110<br />
Person an „ihre Welt“ (Längle A 2000f, 23). Relevante Fragen in dieser Phase sind:<br />
Was liegt vor? Was sagt der Patient? Wie kommt es bei mir an? Hilfreich ist,<br />
Zusammenfassungen geben, nachfragen, was unverständlich ist, Widersprüche<br />
klären. Wichtig ist, zu den Fakten vorzudringen: Was ist tatsächlich geschehen? (vgl.<br />
Längle A 2000f, 82). – Basis in den Exerzitien ist ebenfalls die Realität. Die erste<br />
Phase jeder Übung besteht darin, sich der Realität zu stellen. Dies zeigt sich im<br />
Aufbau der Übungen, z.B. EB 92f: sich vor Augen zu stellen, sehen; EB 102 – 108:<br />
sich den Vorgang vergegenwärtigen, den Schauplatz zurichten, sehen, hören, das<br />
Tun betrachten; EB 140: sich vorstellen.<br />
4.3.2.1.1. Phänomenologische Analyse – Eindruck (PEA 1)<br />
In diesem Schritt geht es um die In-formation in einem tieferen Sinn (im Sinn von: in<br />
eine geänderte emotionale Form bringen, denn jede Information verändert auch im<br />
emotionalen Sinn), um das Berührt-werden, um die Beein-druckbarkeit des<br />
Menschen. Kurz ausgedrückt: der Ein-druck ist in dieser Phase von Bedeutung, weil<br />
der Mensch ein Vernehmender ist. Das entscheidende im menschlichen Leben sind<br />
nicht die Fakten, sondern ist die Wirkung die diese im Menschen auslösen. Auf diese<br />
innere Wirkung zu schauen ist Anliegen von PEA 1. Als ersten Schritt gilt es, diese<br />
spontanen, unreflektierte Gefühle zu heben und zu bergen, die im Menschen<br />
ausgelöst werden. Welche Gefühle macht das? lautet die entscheidende Frage. Die<br />
ersten unreflektierten Gefühle lösen auf Grund ihrer Lebendigkeit einen spontanen<br />
Handlungsimpuls aus. Dieser ist etwa mit der Frage zu erheben: Welche Bewegung<br />
stellt sich spontan ein? Erstes Gefühl und Impuls bilden zusammen die „primäre<br />
Emotion“ (Längle A 2000f, 24). Weil die Person lebendig und plastisch ist, entsteht<br />
durch den Ein-druck eine Gegenbewegung, um diesen wieder auszugleichen. 36<br />
So<br />
könnte man den Impuls verstehen, der im Keim zur Dynamik des Dialogs führt. – Im<br />
dritten Schritt von PEA 1 wird der sogenannte phänomenologische Gehalt dieses<br />
ersten Eindrucks gehoben. An dieser Stelle ist das zu bedenken, was im Kapitel<br />
„Phänomenologische Haltung des Exerzitienleiters“ (3.2.2.) gesagt wurde. Die<br />
Grundfrage lautet: „Was sagt mir das?“ (Längle A 2000f, 82), oder: Was ist die<br />
message daraus an mich? Diesen Gehalt zu heben ist wichtig, „weil er das ist, was<br />
36<br />
Dies erinnert an das Ödem in der Medizin, wo zum Beispiel der Ein-druck bleibt, ohne sich wieder<br />
auszugleichen – ein pathologisches Zeichen.
111<br />
die ‚Sache‘ mit der Person zu tun hat. Daraus kann sich die Person selbst erkennen“<br />
(Längle A 2000f, 24).<br />
PEA 1 besteht nun im Wahrnehmen, Bergen und Heben der unmittelbaren Gefühle<br />
samt dem dazugehörigen Impuls und der Frage: Was hat das mit mir zu tun? Es geht<br />
um das Ernstnehmen der Gefühle, die in den Bereich der zweite Grundmotivation<br />
fallen. Welchen Stellenwert die Gefühle für die Entscheidungsfindung haben,<br />
beschreibt A. Längle in einem Vortrag, den er im ORF gehalten hat. Längle drückt<br />
seinen Standpunkt in einer pointierten Art aus, der es m. M. n. Wert ist,<br />
wiedergegeben zu werden:<br />
Die Unterscheidung der Gefühle wird selten getroffen. Doch macht es einen<br />
großen Unterschied aus, ob mich ein Gefühl als Hinweisschild an das Befinden und an<br />
Vergangenes anbindet, oder ob es mir als Wahrnehmung einer gegenwärtigen Situation<br />
die Entscheidungsgrundlage bietet und die Richtung für mein weiteres Leben weist. Die<br />
Trennung der beiden Gefühlsbereiche ist daher von fundamentaler Bedeutung. Wer<br />
seine Entscheidungen von den Gefühlszuständen abhängig macht, ihnen stets die<br />
Priorität gibt und sie ungehindert auslebt, wird an einer erfüllten Existenz vorbeigehen.<br />
Er gerät auf einen ‚Egotrip‘, in welchem er sich schließlich selber genauso unerträglich<br />
wird wie den anderen. Für die Entscheidungen und die Wahl künftigen Lebens halten<br />
wir das fühlende Schauen, das ‚Gespür für das Richtige‘ für die letzte<br />
vertrauenswürdige Grundlage. Auf das Gespür sollten wir uns verlassen – oder wir<br />
leben ein fremdes Leben. Wir haben die Wahl. Doch die Konsequenzen haben uns.<br />
...Sie alle kennen das Sprichwort: ‚Wer nicht hören kann muß fühlen‘. Wir können<br />
das Sprichwort ein wenig abwandeln und das Verhältnis der beiden Gefühlsarten<br />
zueinander so ausdrücken: ‚Wer nicht spüren will, bekommt Schlimmes zu fühlen‘. Wer<br />
sich jedoch auf sein Gefühl verlassen kann, ist nie verlassen. Er hat zumindest einen<br />
Menschen bei sich selbst: sich selbst (Längle 1994c, 38).<br />
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Ausdruck Unterscheidung der<br />
Gefühle. Fließt hier beim Jesuitenschüler Längle die ignatianische Unterscheidung<br />
der Geister ein? Jedenfalls sind die Parallelen zwischen den beiden Wegen in<br />
diesem Fall so evident, daß sie keines weiteren Kommentars bedürfen.<br />
Was das Fühlen der Emotionen betrifft, ist dieses Geschehen im Exerzitienprozeß<br />
reich und äußerst differenziert beschrieben. Mir scheint, daß Ignatius Augenmerk<br />
genau auf diesen Punkt legt. In EB 2 begegnen dazu einige Ausdrücke. Es geht um
112<br />
das Verkosten, um den Geschmack, um das Fühlen (sentir), Kosten (gustar) der<br />
Dinge von innen, „denn nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge“<br />
(EB 2). Hingewiesen werden soll auf die ignatianische Betrachtungstechnik,<br />
besonders auf die jeweilige fünfte Übung, in der es um die Aktivierung der fünf Sinne<br />
geht (z. B. EB 65-70, 212-126). Im Herzstück der Exerzitien, in den Regeln zur<br />
Unterscheidung der Geister, spielen die Emotionen die entscheidende Rolle, als<br />
experimentellen Weg, den Willen Gottes konkret für das persönliche Leben zu<br />
erkennen. In diesem Punkt, meine ich, kann die Existenzanalyse vom subtilen<br />
Spüren der unterschiedlichen Regungen, wie sie Ignatius beschreibt, noch lernen.<br />
Vergleiche dazu auch den Abschnitt 4.2.2.5. – Therapeutische Haltung ist in dieser<br />
Phase vor allem die Empathie (vgl. Längle A 2000e, 32).<br />
4.3.2.1.2. Innere Stellungnahme (PEA 2)<br />
„Das gefühlsmäßige Berührtsein erzeugt eine große Nähe zum Wahrgenommenen.<br />
Es hat daher Macht und Einfluß auf die Person. Nun geht es darum, daß sich die<br />
Person aus dem Bann des Ergriffenseins wieder löst, sich ‚befreit‘, um ihrer selbst<br />
wieder mächtig zu werden“ (Längle A 1993, 152). Dieser Text drückt knapp die<br />
Relevanz von PEA 2, als organische Weiterführung von PEA 1, aus. Es geht darin<br />
um die „Pro-vokation der inneren Stellungnahme“ (Längle A, 2000f, 83) der<br />
emotionalen Bewegungen. Die Person ist angefragt, herausgerufen – e-voziert – und<br />
pro-voziert. Dieses – ignatianisch ausgedrückt – Rückbesinnen auf sich selbst (EB<br />
234 ff) ist Gegenstand von PEA 2. Das Urteil, die eigene Meinung der Person ist<br />
wichtig, sie gibt die Person wiederum frei aus dem Bann der Schutzlosigkeit des<br />
Eindrucks. Sie führt zur „Abgrenzung vom Objekt und Annahme seiner<br />
Gegebenheiten“ (Längle A 1993, 152). In der Stellungnahme bringt sich die Person<br />
mit ihrer Authentizität, „mit ihren echten, ur-sprünglichen Tiefenbewegungen ins Spiel<br />
und wird dadurch selbstgestalterisch“ (Längle A 2000f, 24). Es geht darum, den<br />
neuen ein-gedrückten Inhalt mit den bestehenden Zusammenhängen in Beziehung<br />
zu bringen, die primäre Emotion (PEA 1) zu integrieren, um zu einer integrierten<br />
Emotion (PEA 2) zu kommen. Die Grundfrage lautet: Was halte ich davon? Wurde<br />
der Mensch in PEA 1 als Ansprechbarer gesehen, so in PEA 2 als Verstehender.<br />
Kurz gefaßt besteht die Stellungnahme in drei Schritten: sie beginnt 1. mit dem<br />
Verstehen von sich selber und den anderen, führt 2. zur persönlichen Stellungnahme
113<br />
auf der Basis des Gewissens und geht 3. über in das Finden des eigenen Wollens.<br />
(vgl. Längle A 1999b, 21).<br />
Bevor ich die Schritte von PEA 2 im einzelnen darlege, scheint es mir wichtig zu sein,<br />
auf etwas Grundsätzliches hinzuweisen. PEA 2 ist in besonderer Weise Ausdruck<br />
der Geistigkeit des Menschen (Frankl würde sagen des Noetischen). War er in PEA 1<br />
geradezu gefordert, den Gegensatz zwischen Geistigem einerseits und Psychisch-<br />
Körperlichem zu überwinden, so ist in PEA 2 dieser Oppositionscharakter des<br />
Geistigen, der sich seinen Emotionen stellt, angezeigt. Anders ausgedrückt: In PEA 2<br />
ist der psychonoetische Antagonismus, der bewußt den Hiatus zwischen dem<br />
Noetischen und Psychophysischen beläßt, von therapeutischer Bedeutung. „PEA 2<br />
stellt gewissermaßen ein Herausheben aus dem sich ständig ändernden Prozeß des<br />
Geschehens dar, somit aus dem Anspruch der Situation und der Forderung eines,<br />
das Leben zu bestellenden Handelns. ... Es ist ein Rückzug auf das ‚Da‘ des Seins in<br />
seiner ‚Lichtung‘ (Heidegger), worin der Ursprung des Menschseins als personales<br />
Sein zu finden ist“ (Längle A 1999b, 25).<br />
Der Grundakt, um zum Verstehen zu kommen, ist das Sich-Herausnehmen aus der<br />
primären Emotion in der Selbstdistanzierung, um sozusagen Luft zwischen mir und<br />
dem Erlebten kommen zu lassen. Die Frage stellt sich: Was bedeutet diese innere<br />
Bewegung für den Gesamtzusammenhang meines Lebens? Verstehe ich mich?<br />
Verstehe ich, was mich bewegt und daß es mir so dabei geht? Auf der anderen Seite<br />
ist zu fragen: Verstehe ich den anderen? Was hat mit mir und was mit den anderen<br />
zu tun? Und: Was bleibt übrig, was verstehe ich nicht? (vgl. dazu Längle A 2000f,<br />
83). Wenn nun durch das Verstehen die Zusammenhänge klar sind, „weil der zu<br />
verstehende Inhalt auf die Realität bezogen wird“ (Längle 2000f, 26), kann der<br />
nächste Schritt der Stellungnahme folgen, die Anbindung, Abstimmung mit dem<br />
Gewissen, dem Personalissimum des Menschen. „Was spüre ich im tiefsten Inneren<br />
dazu, was halte ich ganz im Innersten davon?“ (Längle A 2000f, 83). Es handelt sich<br />
dabei „um eine Bezugnahme zu einem allgemeinen Wissen, das sowohl die Grenzen<br />
der Individualität als auch der Situation überschreitet. Dieses ‚ur-sprüngliche‘<br />
Wissen-Können des Menschen stammt aus einer tiefen inneren Resonanz, die über<br />
sein individuelles Dasein hinaus Bezug nimmt zum ‚ewig gültigen Gesetz‘, zu dem,<br />
was in der konkreten Situation als Wahrheit, Wert, Schönheit, Sinn ‚an sich‘
114<br />
durchschimmert“ (Längle A 1999b, 23). Dabei geht es um Evidenz, um eine<br />
unerklärbare intuitive Gewißheit, die weder Anspruch auf Allgemeingültigkeit, noch<br />
auf Absolutheit hat, jedoch in sich selbst ganz stimmig ist. (Dies erinnert an die erste<br />
Zeit der Wahl bei Ignatius, 4.3.1.3.2.). Längle spricht im Bezug auf die Gewißheit von<br />
zweierlei Sachverhalten: der eine ist die Stimmigkeit mit sich – der andere die<br />
Abstimmung mit der Gemeinschaft (1999b, 24). Letztere hängt nach Längle mit der<br />
Selbsttranszendenz zusammen. Erfahrene, erkannte Gewißheit transzendiert nach<br />
außen. Es geht um die Anbindung an die Welt, die Anbindung bzw. Konfrontation mit<br />
ihr. Längle drückt dies folgendermaßen aus: „Es ist das persönliche Wissen darum,<br />
daß andere Menschen in seiner Lage und unter seinen Bedingungen dasselbe für<br />
richtig ansehen würden und daher gleichermaßen entscheiden würden wie er. Es ist<br />
die Gewißheit, die anderen könnten ihn verstehen und würden ihn nicht ausgrenzen,<br />
nicht schuldig sprechen, sondern gut heißen“ (1999b, 24). So sehr die Kongruenz mit<br />
der Welt in der Gewissensentscheidung gut und wünschenswert wäre, kann diese oft<br />
nicht erwartet werden. Es kommt vor, daß sich der ringende Mensch für etwas<br />
entscheiden muß, das den Schuldspruch eines qualifizierten Teils der (oft näheren)<br />
Mitwelt nach sich zieht. Dies weiß ich aus eigener (leidvoller ) Erfahrung. Es erinnert<br />
unter anderem auch an die Szene des zwölfjährigen Jesus im Tempel, der die<br />
Gewißheit hatte, im Tempel bleiben zu müssen und dadurch den Tadel seiner Eltern<br />
hervorrief. M. E. ist nach der Prüfung der Stellungnahme durch die Welt, der eigene<br />
Entschluß auszuführen, auch auf die Gefahr hin, daß die Mit-Welt den Entschluß<br />
verurteilt.<br />
In diesem „Freilegen des Verstehens der ‚Tiefenperson‘ und einer inneren<br />
Stellungnahme zu sich selbst“ (Längle A 1999b, 24) liegt „viel therapeutische Potenz“<br />
(ebd.). „In dieser Tiefenschicht besteht Therapie im Öffnen des Zugangs zum<br />
Ursprung, im Finden der eigenen persönlichen Wahrheit, der eigenen tragenden,<br />
lebensspendenden Werte, der Versöhnung stiftenden Gerechtigkeit und der<br />
individuellen Entwicklung innerhalb einer sinnvollen Ganzheit, auf die man sich<br />
bezieht“ (ebd.).<br />
Nach dieser intuitiven Gewissenserkenntnis gilt es noch einmal Stellung zu nehmen.<br />
Was halte ich grundsätzlich davon? Und. Was ist meine ganz persönliche Meinung<br />
dazu? In dieser letzten, schon eher handlungsorientierten Frage kann ich noch
115<br />
einmal dem Gewissen gegenüber Stellung beziehen, denn oft ist es nicht möglich<br />
unter dem Druck der Realität die Erkenntnis hundertprozentig auszuführen. Die<br />
Handlungsorientierung mündet in den Willen. „Dadurch schafft sich die Person die<br />
Voraussetzung, ihre Freiheit leben zu können, indem sie begreift und faßt, was sie im<br />
Grunde tun möchte“ (Längle A 2000f, 27). Die Frage dazu lautet: „Was würden Sie<br />
am liebsten tun wollen? Wie möchten Sie eigentlich damit umgehen? Wollen Sie es<br />
wirklich?“ (Längle A 2000f, 83). – Die therapeutische Haltung ist in dieser Phase eine<br />
eher konfrontative.<br />
Die Bezugnahme auf das Gewissen scheint mir der innere Berührungspunkt beider<br />
Wege zu sein, obwohl Ignatius meines Wissens diesen Terminus in den Exerzitien<br />
nie gebraucht. M. E. beschreibt er aber phänomenologisch diese Abstimmung mit<br />
dem Innersten des Menschen. Relectendo en su mismo (rückbesinnen auf sich<br />
selbst, EB 234ff) scheint mir der Ausdruck zu sein, der explizit in den Bereich von<br />
PEA 2 fällt. Bemerkenswert dazu ein Satz von A. Längle, der PEA 2 folgend<br />
zusammenfaßt: In ihr „nimmt sich die Person, die als Gemeinte unvermutet in eine<br />
Relation zu dem Meinenden geraten ist, die Freiheit, sich auf sich selbst<br />
zurückzunehmen“ (2000f, 28; kursiv v. Verf).<br />
Obwohl Ignatius – am Beginn der Neuzeit – die Wendung zum Subjekt erstaunlich<br />
weit vollzogen hat, sehe ich Möglichkeiten, diese noch auszubauen. Gerade PEA 2<br />
könnte darin eine Anregung bieten, noch radikaler zu fragen: Was halte ich davon?<br />
Das Innerste der Seele ist angefragt (mit ihrem Willen) – trotz aller Skepsis einer<br />
durch „ungeordnete Neigungen“ (EB 1) vergifteten Seele. Ignatius traut ja dem<br />
innersten Gespür, jedoch sehe ich in diesem Bereich noch eine Möglichkeit der –<br />
auch methodischen – Weiterentwicklung der Exerzitien.<br />
4.3.2.1.3. Antwortende Ausführung – Ausdruck (PEA 3)<br />
Der Mensch, der klar sein Eigentliches erkannt hat und bereits im Wollen einen<br />
Handlungsimpuls spürt, erhält in PEA 3 eine methodische Hilfe, diesen in die Tat<br />
umzusetzen. Der beein-druckte Mensch will sich nun aus-drücken, er hat dem Impuls<br />
zu antworten und Ver-antwortung zu tragen. An dieser Stelle kommt die<br />
Weltbezüglichkeit (vgl. 4.2.2.1.), die Selbsttranszendenz zum Tragen. Wie schwer es<br />
ist, das Erkannte und Gewollte in die Tat umzusetzen, braucht hier nicht näher
116<br />
erläutert werden. Daher möchte die existenzanalytische Therapie sozusagen<br />
Geburtshelferin für das praktische Handeln sein. „Wem gegenüber, wie viel, wie, und<br />
wann sie sich äußern soll, damit sie die angestrebte Wirkung erreicht (Längle A<br />
2000f, 27) sind wichtige Überlegungen in dieser Phase. Die oben zitierten vier<br />
Fragen werden auch als die vier Filter bezeichnet (vgl. Längle A 1999b, 22):<br />
Schamfilter: Was, wieviel soll der Öffentlichkeit preisgegeben werden? Vernunftfilter:<br />
Wem? Modalitätsfilter: Wie, mit welchen Mitteln? und das Zeitfilter: Wann, bei<br />
welcher Gelegenheit? Dadurch soll ein blindes Ausagieren verhindert und „ein<br />
Antworten gemäß der Einschätzung der Realität“ (Längle A 2000f, 27) ermöglicht<br />
werden. Wichtig ist der Wirklichkeitsbezug, die Abstimmung auf die Realität der Welt.<br />
Dadurch wird die Tat zu einem Existenzvollzug: das Realisieren des authentisch<br />
Erkannten auf dem Boden der Faktizität. Dadurch ereignet sich Ek-sistenz: in Freiheit<br />
heraustreten aus der erstarrten Blockade.<br />
Die Fragen in dieser Phase sind praktisch und handfest: Was möchten Sie am<br />
liebsten unternehmen? Welche sind die ganz konkreten Schritte? Was wollen Sie<br />
sagen? Was nicht? Paßt das zu diesem Menschen? Was könnte geschehen, wenn<br />
Sie das sagen? Können Sie es verantworten, aushalten? usw. (vgl. Längle A 2000f,<br />
83). Auch die Methoden dazu sind praxisorientiert: durcharbeiten und durchspielen<br />
der Situationen, verhaltenstherapeutische Methoden, Rollenspiele etc. können in<br />
dieser Phase verwendet werden.<br />
Auch dieser dritte Teil könnte Eingang in den Exerzitienprozeß finden, obwohl dies –<br />
meiner Erfahrung nach – im praktischen Vollzug oft geschieht.<br />
4.3.2.2. Wille – Willensstärkungsmethode<br />
Die Behandlung des Willens ist in der Beschreibung der PEA (4.3.2.1.) etwas zu kurz<br />
gekommen. Dies wird nun nachgeholt, indem der Fokus auf den Willen und damit<br />
verbunden auf die Willensstärkungsmethode gerichtet wird.<br />
Was ist nun Wille im existenzanalytische Sinn? Er ist zunächst einmal eine „geistige<br />
Kraft im Menschen“ (Längle A, Wicki, 2000, 45). Wille entsteht „aus dem<br />
Bezogensein des Subjekts als ganzem Menschen (mit allen Strebungen) auf das<br />
Ansprechende aus der Welt und besteht im Entschluß, sich auf den gewählten Wert
117<br />
einzulassen“ (ebd.). Der Grund für den Willensakt ist aber keine geistige Leistung,<br />
bzw. Anstrengung, sondern ein Angesprochensein, Berührt- und Ergriffensein „von<br />
Werten, die als primäre u/o integrierte Emotion der Person präsent sind“ (ebd.). Der<br />
Wille wird also von außen, durch Werte induziert. Er besteht somit in der<br />
Entscheidung, in der Wahl zwischen möglichen Werten und kann definiert werden im<br />
„Entschluß, sich mit ganzen Kräften auf einen gewählten Wert einzulassen“ (ebd).<br />
Folgende Charakteristika sind für das existenzanalytische Willenskonzept bedeutsam<br />
(vgl. dazu Längle A 2000, 7): Zuerst die Freiheit, wobei der Wille Ausdruck der<br />
Freiheit ist; der Wertebezug, denn der Willensakt kann sich nur auf einen Wert<br />
beziehen; weiters die Entscheidung für einen Wert, daher setzt das Wollen auch ein<br />
Lassen voraus. Dieser Entschluß schließt die Bereitschaft mit ein, die eigene Kraft<br />
und das Engagement für die Realisierung zur Verfügung zu stellen. Das letzte<br />
Charakteristikum besteht nun in der Aktivität, dies alles auch in die Realität<br />
umzusetzen. Das Verhältnis zum Gewissen ist auch noch anzusprechen: Der Wille<br />
nimmt Bezug auf das Gewissen, das zur Aufgabe hat, „die ethische bzw. moralische<br />
Bewertung des Willensaktes vorzunehmen“ (Längle A 2000g, 7). Das Wollen als<br />
Ausdruck der Freiheit des Menschen steht im Gegensatz zum psychodynamischen<br />
Reagieren, das Ausdruck einer passiven Wunsch- und Erwartungshaltung ist.<br />
Wie kommt nun das Wollen zustande? Dieser Prozeß wird in der Existenzanalyse als<br />
„Tor zur Freiheit“ (Längle A 2000g, 7) bezeichnet. Bildlich kann man sich einen<br />
Torbogen mit drei Elementen vorstellen: Der linke Bogenteil besteht im<br />
Entscheidungsprozeß, der rechte im Handlungsprozeß; beide werden durch den<br />
Schlußstein des Entschlusses 37<br />
, im Ja zum Wert zusammengehalten. Im<br />
Entscheidungsprozeß werden die Vor und Nachteile erwogen, gewertet, gefiltert, ein<br />
erstes Scheiden vollzogen, bis sich dann eine Neigung – um im Bild des Bogens zu<br />
bleiben – einstellt. Der Entschluß stellt als Scheitelpunkt die Wende zur<br />
Handlungsphase dar. Zum Ja des Entschlusses bedarf es sozusagen eines Rucks<br />
und eines Sich-Dazustellens von seiten des Menschen. Er ist der point of no return.<br />
37 Ent-schluß erinnert mich an den Sicherheitsgurt im Flugzeug, an den Ausdruck unlock. In un-lock<br />
steckt meiner Empfindung nach das Ent-schließen: die Schließe, den Ver-schluß öffnen, um dann in<br />
Freiheit aufstehen zu können. Der Entschluß ist ein solches Öffnen der Blocklade, um das Gewollte in<br />
Freiheit realisieren zu können.
118<br />
In diesem Tor zur Freiheit sind Ähnlichkeiten mit der PEA zu erkennen, vor allem ist<br />
m. M. n. PEA 2 in dieser Darstellung deutlich zu erkennen. Dieses Modell kann zur<br />
Anwendung gebracht werden, wenn in der Emotionalität (PEA 1) keine bzw. wenige<br />
Blockierungen vorhanden sind. Bemerkenswert ist auch die Parallele zum<br />
Wahlprozeß der Exerzitien. Die Ausdrücke wie Wahl, Entscheidung, Entschluß 38<br />
kommen in beiden Wegen vor. Eine große Nähe ist zur „Dritten Zeit der Wahl“ (EB<br />
177ff) zu erkennen, in der es nicht um die Unterscheidung der Geister, sondern um<br />
einen kognitiven, diskursiven Weg der Entscheidung geht.<br />
Eine Folge des Wollens sei hier noch kurz beschrieben: Das Wollen ist auch von<br />
einem Lassen begleitet, und zwar von einem vierfachen. Ich muß zuerst zu-lassen,<br />
daß mich etwas erreicht (es ist die Haltung der Offenheit, die existentielle Haltung);<br />
zweitens ist es ein Lassen von anderen Möglichkeiten, wenn ich mich für eine<br />
entschieden habe; drittens muß ich Wirkung und Folge des Willensaktes einstellen<br />
lassen (ich kann z. B. Glück nicht erreichen wollen; ich kann die Bedingungen dafür<br />
schaffen, damit sich z. B. Glück einstellen kann). Viertens muß ich vom Wollen<br />
lassen, wenn der Preis dafür unangemessen ist (vgl. dazu Ausbildungskurs). An<br />
dieser Stelle trifft sich wieder die existentielle Grundhaltung mit der ignatianischen<br />
Haltung der Indifferenz, des Geschehen-Lassens, des Empfangens.<br />
Eine praktische Anwendungsform aus der existenzanalytische Sicht des Willens ist<br />
die Willensstärkungsmethode (WSM). Sie dient der „Entscheidungsfindung bzw.<br />
Stärkung der Entschiedenheit, der Durchhaltekraft und des Ausführungsverhaltens<br />
bei willentlich angestrebten Vorhaben“ (Längle A 2000h, 46). Sie ist indiziert bei allen<br />
Störungen des Willens, bei denen es um die Überwindung von Unangenehmen (wie<br />
Lernschwierigkeiten, Gewichtsabnahme) geht, bei Unentschiedenheiten des Wollens<br />
und fehlender Durchhaltekraft, bei kleinen Abhängigkeiten und Süchten (vgl. dazu<br />
Längle A 2000g, 8). Sollte diese Methode nicht ausreichen, ist ein tiefergreifender<br />
Zugang einer Psychotherapie induziert (vgl. PEA), die auf das Heben der primären<br />
Emotion aufbaut. Im Vergleich mit den Exerzitien könnte man die WSM der dritten<br />
Zeit der Wahl (EB 177ff), die PEA der zweiten (EB 176) zuordnen.<br />
38 Entschluß ist der Titel einer jesuitischen Zeitschrift
119<br />
Nun die methodischen Schritte im einzelnen (vgl. dazu Längle A 2000g, 8; ders.<br />
2000h, 46). Der erste Schritt besteht in der Grundarbeit auf der Sachebene. Er dient<br />
der Erhebung und Reflexion der spontanen Beweggründe, z. B. der Sucht. „Ziel ist<br />
es, die positiven Gründe für die Entscheidung herauszuschälen, zu konkretisieren<br />
und bewußt zu machen“ (Längle A 2000, 8). Auf der zweiten Ebene, der<br />
Problemebene, soll das Problembewußtsein geschaffen und bearbeitet, das<br />
Hemmende der Motivation beleuchtet werden. Die Gegengründe sollen erhoben,<br />
erkannt und diskutiert werden. Typische Fragen dazu: Was könnte eine Schwierigkeit<br />
sein z. B. das Rauchen zu lassen? Was ist der Vorteil weiter zu rauchen? Gäbe es<br />
andere Möglichkeiten mit diesem Problem umzugehen? Was spricht gegen das<br />
Aufhören? Dieser Schritt erinnert an die dritte Zeit der Wahl bei Ignatius (EB 177ff),<br />
wo auch die Gegengründe im sogenannten agere contra genau ins Auge gefaßt<br />
werden. Ebenfalls sehe ich eine Parallele in der mittelalterlichen scholastischen<br />
Methode der Disputatio, in der im Punkt sed contra die Gegengründe gegen die<br />
behauptete These genannt werden – ein wesentlicher Teil der Disputatio. Der dritte<br />
Schritt besteht in der Verinnerlichung, der Beziehungsaufnahme. Nach den ersten<br />
eher kognitiven Schritten geht es nun um die Beziehungsaufnahme zum zentralen<br />
Wert, der angestrebt wird. Es ist wichtig, diese Werte „‘schmackhaft‘ zu machen,<br />
damit sie emotional ‚begreifbar‘ werden“ (Längle A 2000h, 8). Durch meditative<br />
Versenkung, durch Nachfühlen soll die Vorstellung von den positiven Auswirkungen<br />
angefühlt werden. Dieser Schritt kann in der zweiten Grundmotivation angesiedelt<br />
werden und hat eine Ähnlichkeit mit PEA 1. Er erinnert auch stark an das<br />
ignatianische Grundwort aus EB 2, daß nur das „Verkosten der Dinge von innen“<br />
sättigt. Dieser Ausdruck ist einer der roten Fäden, der das Exerzitienbuch durchzieht.<br />
Sinnhorizont (Beziehungserweiterung und Selbstfindung) wird der vierte Schritt<br />
genannt, bei dem es um die Einbindung des konkreten Wertebezugs in das gesamte<br />
Lebenskonzept geht. „Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Ziel des<br />
Wollens und dem Lebenskonzept?“ (Längle A 2000h, 8). Um an dieser Stelle das<br />
Thema der Sinndiskussion (vgl. auch 4.1.2.) wieder aufzugreifen, könnte man etwas<br />
vereinfacht sagen: Der hier erkannte existentielle Sinn wird in Zusammenhang mit<br />
dem ontologischen Sinn der Lebensperspektive gebracht. Der fünfte Schritt besteht<br />
in der Festigung, in der Entschiedenheit, dem Vorbauen und Üben der Realisierung.<br />
Das erreichte Niveau soll den Turbulenzen kommender, nicht zu erwartender
120<br />
Probleme standhalten. In jeder Situation ist die neuerliche Entschiedenheit<br />
einzuholen. Sie ist die innere Basis für die Realisierung. In dieser Phase sollen<br />
Strategien, Methoden und Prophylaxe eingesetzt werden, Verhaltenstraining,<br />
systemische Veränderung, Einstellungs- und Traumarbeit, aber auch Medikamente<br />
und sozialpädagogische Maßnahmen haben hier ihren Platz.<br />
4.3.2.3. Sinnerfassungsmethode<br />
Die Sinnfrage hat uns am Beginn des Weges im Zusammenhang mit Prinzip und<br />
Fundament beschäftigt (4.1.2.), zur Sinnfrage kehren wir am Ende wieder zurück.<br />
Wille zum Sinn heißt V. Frankls zentrales Motivationskonzept, das besagt, „daß es<br />
dem Menschen letztlich darum geht, Sinn zu finden und zu erfüllen, d. h. durch<br />
Hingabe an Werte an der Welt Anteil zu nehmen“ (Wicki 2000, 46). Und: „Den Sinn<br />
des Daseins erfüllen wir – unser Dasein erfüllen wir mit Sinn – allemal dadurch, daß<br />
wir Werte verwirklichen“ (Frankl 1984, 202)<br />
Wie erkenne ich nun den für mich relevanten Sinn? Auch hier geht es um eine Form<br />
der Wahl. Längle hat den Sinnfindungsprozeß, den er als „Schritte zum existentiellen<br />
Sein“ (Längle A 1988, 42) bezeichnet hat, operationalisiert und in vier Schritte<br />
gegliedert (vgl. Längle A, Orgler Ch, Kundi M 2000, 13). Bemerkenswert ist, daß die<br />
Autoren – jenseits dieser Methode der Sinnfindung – die Möglichkeit von<br />
„methodisch nicht zugänglichen intuitiven Sinn-Erleuchtungen‘“ (ebd. 14) annehmen,<br />
wo der Sinn „unmittelbar und oft genug unabsichtlich und ohne aktives Zutun<br />
aufblitzt, ‚einschießt‘ oder aufdämmert“ (ebd. 14). Diese Sinnerleuchtung ist mit der<br />
ersten Zeit der Wahl in den Exerzitien (EB 175) vergleichbar.<br />
Der erste Schritt der Sinnerfassungsmethode (vgl. zu den einzelnen Schritten:<br />
Längle A, Orgler CH, Kundi M 2000, 14f) besteht im Wahrnehmen existentiell<br />
relevanter Inhalte. Dieser dient der Informationsaufnahme. In diesen faktischen<br />
Gegebenheiten sind nun die Möglichkeiten ausfindig zu machen, die die situativen<br />
Bedingungen für die Person offenlassen. Die Basis dieser Methode ist auch hier<br />
wieder die Faktizität.<br />
Im zweiten Schritt geht es um das Wertefühlen. Darin „müssen die „Möglichkeiten<br />
(als potentielle Handlungsgründe) gegeneinander abgewogen und in ihrer Ganzheit
121<br />
gewichtet werden“ (ebd. 14). Die jeweils beste und sinnvollste Möglichkeit für die sich<br />
entscheidende Person soll gefunden werden: diese kann „nicht allein berechnet und<br />
logisch erdacht werden, sondern muß wesentlich erfühlt sein“ (ebd. 14). An dieser<br />
Stelle ist wieder die zweite Zeit der Wahl (EB 176) erkennbar.<br />
Der dritte Schritt besteht im Wählen. In ihm ist die sich entscheidende Person<br />
gefordert und zwar in einer willentlichen Entscheidung, in einem existentiellen Ja zu<br />
einer der vorhandenen Möglichkeiten. In diesem affirmativen Akt wird der Wert, der<br />
die Person selber ist, dem situativen Wert dazugegeben. Damit fließt die eigene<br />
Auffassung vom Leben, das Gesamt des Lebenskonzeptes mit in die Entscheidung<br />
ein. Die Person gibt sich somit „innerlich in die Situation und wird handlungsbereit“<br />
(ebd. 14).<br />
Im vierten Schritt geht es um die Realisierung, um das Wirklich machen. Dafür sind<br />
„Mittel und Wege, Methoden und Strategien zu finden, zu aktivieren und schließlich<br />
zu versuchen“ (ebd. 14). Hier ist die Vorerfahrung des Menschen, aber auch die<br />
Erfahrung anderer wichtig. In diesem vierten Schritt können Methoden anderer<br />
Psychotherapierichtungen zur Anwendung kommen.<br />
Am Ende dieses Prozesses vollzieht sich Existenz, indem sich der Mensch auf die<br />
Situation einläßt. Er „öffnet sich wieder der Welt und geht nach einer Phase der<br />
Besinnung auf sie zu. Der Preis, der für die Sinnerfüllung eingesetzt wird, ist man<br />
selbst – der Lohn, der dadurch erhalten wird, ist erfülltes Dasein, ist Lebenserfüllung“<br />
(ebd. 15).<br />
4.3.3. Paradigma einer existentiellen Lebenshaltung: Die Verkündigung an<br />
Maria<br />
Die Verkündigung an Maria (Lk 1,26-38) stellt, wie bereits beschrieben (4.3.1.2.1.),<br />
eine wichtige Stelle im Exerzitiengeschehen dar, steht sie doch am Beginn der<br />
entscheidende zweite Woche (EB 101-109, 262), in der es um den Entschluß zum je<br />
Besseren (magis) des Lebens geht. Das Paradigma der Verkündigung ist sozusagen<br />
das Fundament des Prozesses. Am Ende der Untersuchung soll diese Perikope eine<br />
Zusammenfassung darstellen: die Verkündigung an Maria als Typus einer
122<br />
existentiellen Lebenshaltung, in der auch die wichtigsten Elemente der<br />
Existenzanalyse enthalten sind.<br />
In dieser Stelle geht es um die Ankündigung des Engels Gabriel an Maria, daß sie<br />
„durch die Kraft des Höchsten“ (1,35) ein Kind bekommen wird, das „Sohn Gottes“<br />
(1,35) genannt wird. Maria ist zuerst eine Angesprochene, Angefragte, existentiell<br />
ausgedrückt: jemand, der in einer Situ-ation steht. Sie wird von außen, existentiell<br />
verstanden von der Welt, vom Leben, in Form des Engels angefragt. Der Engel<br />
grüßt, nennt Maria „voll Begnadete“ (1,28) und sagt ihr zu: „Der Herr ist mit dir“<br />
(1,28). Die Reaktion Marias ist nicht Freude und Jubel, sondern Erschrecken,<br />
Erschütterung (das griechische Wort tarattein läßt die Erschütterung lautmalerisch<br />
erahnen). Im Kontext des AT bedeuten nämlich diese Zusagen einen Einbruch<br />
Gottes in das Leben des betroffenen Menschen (vgl. Gideon, der von Gott den<br />
Auftrag erhält, das Volk von den Unterdrückern zu befreien, Ri, 6,12-24). Das Wort<br />
des Engels ist eine Anfrage im Leben Marias, eine mögliche Kehre. Nach der<br />
Erschütterung faßt sie sich und tritt mit sich in den Dialog, griech: dialogizein (1,29).<br />
In der Einheitsübersetzung wird das Wort dialogizein mit überlegen übersetzt. Es<br />
drückt aber darüber hinaus das innere Gespräch aus, das Erwägen, das Mit-sich-zu-<br />
Rate-Gehen (vgl. auch Lk 15,17, Verlorener Sohn): Was sagt mein Gewissen dazu,<br />
was läßt mich mein Innerstes dazu fühlen? Bevor der Bote weiter seinen Anspruch<br />
entfaltet, greift er zuvor Marias Erschrecken auf: „Fürchte dich nicht Maria“ (1,30), ein<br />
Grundwort der Bibel, das sehr oft vorkommt (365 Mal soll es sein, sozusagen für<br />
jeden Tag ein Mal). Dann verweist der Engel noch einmal auf Marias Begnadung:<br />
„Denn du hast Gnade vor Gott gefunden“ (1,30). Auch diese Zusage deutet auf dem<br />
Hintergrund des AT ein Eingreifen Gottes mit einem konkreten Auftrag an (vgl. die<br />
Verkündigung der Geburt Isaaks an Abraham, Gen 18; weiters Mose am Sinai, Ex<br />
33,12-17). Das Wort, der An-spruch, der sie erreicht, ist die Ankündigung, daß sie ein<br />
Kind bekommen wird, das „Sohn des Höchsten“ (1,32) genannt wird. Nun folgt nicht<br />
die sofortige Antwort Marias, sondern sie fragt nach. Sie sucht nach guten Gründen<br />
von außen, sondiert und stellt die Frage: „Wie soll dies geschehen, da ich mit keinem<br />
Mann zusammenlebe?“ (1,34) Maria bringt die Faktizität ihrer derzeitigen Lebenslage<br />
ins Spiel: Sie ist noch nicht verheiratet. In der Antwort des Engels wird sie auf den<br />
Heiligen Geist, auf die Kraft, die Kraft des Höchsten verwiesen (1,35): „Denn bei Gott<br />
ist nichts unmöglich“ (1,37). Weiters erhält Maria auch noch einen Hinweis auf ihre
123<br />
Verwandte Elisabeth, die in einer menschlich unmöglichen Situation (ihr hohes Alter)<br />
noch ein Kind bekommen hat (1,36). Erst jetzt gibt Maria dem Wort des Engels eine<br />
Ant-wort: „Ich bin die Magd des Herrn“ (1,38). Es ist ihr personales Ja zu diesem<br />
Einbruch in ihr Leben. Sie läßt sich auf das Angebot, das sich als Wert zeigt, ein und<br />
trägt auch die Konsequenzen ihres Entschlusses. Dieser entfaltet sich in den<br />
nachfolgenden Perikopen (bis Kap. 2). Maria wird in dieser Geschichte nicht als<br />
willenloses Wesen gezeichnet, die im blinden Gehorsam mit sich geschehen läßt.<br />
Sie wird als Person beschrieben, die sich in Freiheit – mit guten Gründen – auf das<br />
Wagnis des Anspruchs einläßt.<br />
In die Dynamik dieser Geschichte läßt sich unschwer die Struktur der Personalen<br />
Existenzanalyse einschreiben: das Heben der primären Emotion (Erschrecken) durch<br />
den Engel (PEA 1), weiters der Versuch Marias das Geschehen zu verstehen, der<br />
innere Dialog und das Hineinspüren in ihr Gewissen und das Einholen objektiver<br />
Gründe von außen in ihrer Frage an den Engel (PEA 2) und schließlich in ihrem<br />
Ausdrucksverhalten: mir geschehe (PEA 3).<br />
Auch die vier Grundmotivationen sind in der Verkündigungsperikope zu erkennen: im<br />
Gruß, in der Anrede des Engels die Beziehungsebene (2. GM), im Fürchte dich nicht<br />
die Sicherung des Halts, des Raumes (1.GM), in Marias Abklärung mit ihrem<br />
Gewissen und ihrer Frage die 3. GM und in der Andeutung der Rolle ihres Sohnes<br />
durch den Engel die Sinnperspektive der 4. GM.<br />
Weiters läßt sich die Willensbildung im Tor zur Freiheit nachzeichnen: zuerst die<br />
Entscheidungsphase bis zum Durchbruch im Entschluß mit nachfolgender<br />
Handlungsphase. Auch spiegelt sich im Akt Marias die existenzanalytische Definition<br />
von Wille wider (Längle A, Wicki 2000, 45). Wille wird hier als „zentral angesehene,<br />
geistige Kraft des Menschen“ bezeichnet, „durch die er sich als Person durch das<br />
Ergreifen seiner Freiheit realisiert und zu einem Akt entschließt“ (ebd. 45).
124<br />
5. Nachwort<br />
Existenzanalyse – eine säkularisierte Form der Exerzitien? So sollte ursprünglich der<br />
Titel dieser Arbeit heißen. Nun soll dieser präsumptive Titel als Frage am Ende der<br />
Ausführungen stehen. Ich möchte sie mit ja beantworten. Der größte Unterschied<br />
besteht naturgemäß in der letzten Ausrichtung: Sind die Exerzitien auf das<br />
transzendente Du Gottes als Person hin ausgerichtet, so transzendiert die<br />
Existenzanalyse auch die Immanenz des individualistischen, anthropozentischen 39<br />
Binnenlebens, wendet sich aber der Welt, dem Leben – quasi einer nicht personalen<br />
Größe zu, obwohl sie offen ist für das personale Du Gottes im Glauben. Hier sei eine<br />
persönliche Bemerkung erlaubt: Ist es möglich, sich an etwas zu wenden, bzw. offen<br />
für etwas zu sein, das nicht Du, nicht Person, sondern nur ein Etwas, eine<br />
unpersonale Macht ist? Andererseits, wenn man von Leben spricht, impliziert das<br />
nicht schon Personales? Kann dieses Leben, zu dem ich mich wende, weniger sein<br />
(d. h. nicht Person sein) als ich selbst? Diese Fragen sollen zum Nachdenken<br />
anregen. Zugegeben, diese Gedanken sind deduktiv abgeleitete. Das Eigentliche der<br />
existenzanalytische Therapie ist aber der induktive Weg, d. h. den Klienten in seiner<br />
jeweiligen Situation mit seinem jeweiligen Vorverständnis abholen und sich mit dem<br />
Suchenden auf die Spur zu der für ihn stimmigen Lebensform zu machen. Dies ist<br />
eine weitere Übereinstimmung: Beide Formen beschreiten im Wesentlichen den<br />
induktiven Weg.<br />
Die Phänomene auf beiden Wegen sind aber verblüffend ähnlich. Es ist vor allem die<br />
existentielle Haltung, die sich durch die existenzanalytische Therapie zieht, die mit<br />
der Haltung der Indifferenz korrespondiert. Nicht der Mensch ist es, der das Leben in<br />
Frage stellt, sondern er ist ein Angefragter, dessen Wesen es ist, zu antworten auf<br />
das Wort, das ihn trifft. – Die phänomenologische Haltung des Therapeuten ist<br />
vergleichbar mit der Nabenfunktion des Exerzitienleiters, der – gleichwohl personal<br />
präsent sein muß – sich jedoch nicht in die innere Dynamik des Suchenden<br />
einmischen darf, sondern vielmehr Gott mit dem Geschöpf und das Geschöpf mit<br />
Gott wirken lassen muß (EB 15).<br />
39 vergleiche dazu die m. M. n. interessanten Aussagen von P. Sloterdijk (1999) über den<br />
Humanismusbrief Heideggers, das Zitat über die Ek-sistenz aus Heideggers Brief, „daß nicht der<br />
Mensch das Wesentliche ist, sondern das Sein als die Dimension des Ekstatischen der Ek-sistenz“<br />
(zit. nach Sloterdijk 1999, 26) und die Diskussion über das Bild vom Menschen als den „Hirten des<br />
Seins“ (ebd. 27ff)
125<br />
Die Basis der Wege besteht in der Annahme der Faktizität, der Geschöpflichkeit und<br />
der Perspektive auf das Ziel hin, das existenzanalytisch mit der ersten und vierten<br />
Grundmotivation umschrieben werden kann. Die erste große Phase der Exerzitien,<br />
die Umkehrphase mit Gewissenserforschung, Sünde- und Höllenbetrachtung kann in<br />
Selbsterfahrung, Inauthentizität und dem umfassenden Bereich der Angst in<br />
Beziehung gebracht werden. Die zweite Woche, die Phase einer guten Wahl, kann<br />
mit der Dynamik der Personalen Existenzanalyse erstaunlich gut verglichen werden,<br />
Willensstärkungs- und Sinnerfassungsmethode ergänzen den Vergleich.<br />
Was die Grundmotivationen betrifft, könnte man sagen, daß das Prinzip und<br />
Fundament vor allem der ersten und vierten entspricht, die erste Exerzitienwoche<br />
nach der ersten vor allem der zweiten (was die Sündenerfahrung betrifft), dann auch<br />
der dritten (in der Abstimmung mit dem Gewissen) entspricht. Die Regeln zur<br />
Unterscheidung der Geister betreffen zuerst die Inhalte der zweiten GM (die<br />
Erfahrung der inneren Bewegungen), in der Folge auch die der dritten. Die zweite<br />
Woche findet ihre Entsprechung in den Betrachtungen ähnlich der ersten Woche, die<br />
Wahl entspricht – von der zweiten GM ausgehend – vor allem der dritten und dann<br />
auch der vierten GM, besonders was die Entscheidungsfindung betrifft Auf die<br />
Inhalte der vierten GM (den Sinnzusammenhang) wird in jedem Abschnitt verwiesen<br />
(auf EB 1, 21 und 23).<br />
Beide Wege verstehen sich m. M. n. eher psychopädagogisch oder psychoedukativ<br />
denn psychomedizinal (vgl. Lleras 1996, 28). Der Ausdruck Psycho-therapeut drückt<br />
dies schon von der Wortwurzel her aus: therapéuein heißt ja in der Grundbedeutung<br />
bedienen, freundlich behandeln, (die Götter!) verehren, hochachten, gut sorgen,<br />
pflegen, sorgfältig behandeln und schließlich erst heilen (vgl. Gemoll 1965, 372).<br />
Dazu braucht, meine ich, nichts mehr hinzugefügt werden.<br />
Was können nun beide Meth-oden (im Sinn von Wegen) voneinander lernen? Die<br />
Existenzanalyse könnte sich von den Exerzitien, was die Übungen 40<br />
betrifft,<br />
40 Die Wichtigkeit des Übens war auch Grundtenor in den Vorträgen der Tagung „Neurobiologie der<br />
Psychotherapie“ (2.-4.7.2003, Innsbruck): Die Neurobiologie kann zeigen, was im Gehirn umgebaut,<br />
umstrukturiert, sozusagen neu verdrahtet werden muß, das Wie kann aber weder eine<br />
medikamentöse Therapie, geschweige denn die Neurochirurgie, sondern nur eine Psychotherapie im
126<br />
inspirieren lassen. Ansätze gibt es bereits (z. B. die Sesselmethode). Ein damit<br />
zusammenhängender Bereich sind die Betrachtungen. Wäre es denkbar mit<br />
existentiellen Texten, mit Geschichten zu arbeiten, die innere Bewegungen<br />
evozieren? Zur Gesamtheit des Exerzitienprozesses wäre eventuell die Entwicklung<br />
eines existenzanalytischen, psychoedukativen, selbsterfahrerischen Kurses auf der<br />
Basis der vier Grundmotivationen denkbar. Was die Exerzitienpraxis anlangt, wäre<br />
m. M . n. die existentielle Rolle der Angst – wie sie die Existenzanalyse sieht – in der<br />
ersten Woche (vor allem auch in der Höllenbetrachtung) zu erwägen und für den<br />
Prozeß fruchtbar zu machen. Was die Personale Existenzanalyse betrifft könnten m.<br />
M. n. die Exerzitien von PEA 2 und die Existenzanalyse (PEA 1) von den Exerzitien<br />
(Unterscheidubg der Geister) lernen. Näheres dazu ist im Text nachzulesen.<br />
Sinn einer Umstrukurierung des Gehirns leisten. Ob die Therapie erfolgreich war, läßt sich wieder<br />
durch z. B. eine funktionelle Magnetresonanztomographie nachweisen.
127<br />
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Längle A (2000c) Biographische Methode. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und<br />
Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 7<br />
Längle A (2000d) Angst. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie. Wien:<br />
<strong>GLE</strong>, 3<br />
Längle A (2000e) Personale Existenzanalyse (PEA). In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse<br />
und Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 31f<br />
Längle A (2000f) Die „Personale Existenzanalyse“ (PEA) als therapeutisches Konzept. In: Längle A<br />
(Hrsg) Praxis der Personalen Existenzanalyse. Wien: Erweiterter Tagungsbericht 2/1993 der <strong>GLE</strong>, 9-<br />
37<br />
Längle A (2000g) Die Willensstärkungsmethode (WSM). In: Existenzanalyse 17,1,4-16<br />
Längle A (2000h) Willensstärkungsmethode. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und<br />
Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 46<br />
Längle A (2000i) Emotionstheorie, existenzanalytische. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der<br />
Existenzanalyse und Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 11<br />
Längle A (2001a) Lehrbuch der Existenzanalyse (Logotherapie). I. Teil: Grundlagen. <strong>GLE</strong>. Wien<br />
Längle A (2001b) Psychotherapie – Methode oder Spiritualität? Zum Verhältnis von Immanenz und<br />
Transzendenz am Beispiel der Existenzanalyse. In: Schmiedinger H (2001) Geist – Erfahrung –<br />
Leben. Spiritualität heute. Innsbruck: Tyrolia, 177-206<br />
Längle A (2002) Die Grundmotivationen menschlicher Existenz als Wirkstruktur existenzanalytischer<br />
Psychotherapie. In: Fundamenta Psychiatrica 2002; 16. Stuttgart: Schattauer, 1-8.<br />
Längle A, Orgler Ch, Kundi M (2000) Die Existenzskala. Manual. Göttingen: Hogrefe, 13-15<br />
Längle A u S (2000) Authentizität. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie.<br />
Wien: <strong>GLE</strong>, 7<br />
Längle A, Tutsch L (2000) Existenzanalyse. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und<br />
Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 16-18<br />
Längle A, Wicki B (2000) Wille. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie.<br />
Wien: <strong>GLE</strong>; 45<br />
Längle S (2000 a) Voraussetzungen zu erfülltem Sinnerleben. In: Existenzanalyse 17,2,28-32<br />
Längle S (2000 b) Sinn. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie. Wien:<br />
<strong>GLE</strong>, 41-42<br />
LLeras F (1996) Das frühgestörte Verhalten zur eigenen Existenz. In: Existenzanalyse 13,2, 23-29<br />
LLeras F (2000) Phänomenologische Haltung. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und<br />
Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 34-35<br />
Mader J (1991) Aurelius Augustinus. Philosophie und Christentum. St. Pölten-Wien: Niederösterreichisches<br />
Pressehaus<br />
Nindl A (2001) Einstellung zum Suizid, existentielle Motivation und Suizidalität. Diss. Salzburg<br />
Pausch J, Hessler T (1992) Mensch-werden zwischen Himmel und Erde. Das Leben des hl. Benedikt<br />
als Spiegel der Menschwerdung. Salzburg: Otto Müller<br />
Pesch R (1977) Das Markusevangelium. II. Teil. Freiburg-Basel-Wien: Herder<br />
Pschyrembel W (1994) Klinisches Wörterbuch. Berlin-New York: de Gruyter
130<br />
Pfligerdorffer G (1983) Augustinus – Grundlagen seines Verständnisses. Vortrag bei den Salzburger<br />
Hochschulwochen. Maschschr.<br />
Ruf N (1983) Das Recht der katholischen Kirche nach dem neuen Codex Iuris Canonoci für die Praxix<br />
erläutert. Freiburg-Basel-Wien: Herder<br />
Schmitz E (1977) γιγνωσκειν. In: Coenen L (Hg) Theologisches Begriffslexikon zum Neuen<br />
Testament, Bd I. Wuppertal: Theologischer Verlag . Brockhaus<br />
Schulz JH (1991) Das autogene Training. Konzentrative Selbstentspannung. Versuch einer klinischpraktischen<br />
Darstellung. Stuttgart – New York: Georg Thieme<br />
Schürmann H (1975) Jesu ureigener Tod. Freiburg: Herder<br />
Shakespeare W (o.J.) Hamlet, Prince of Denmark. In: Shakespeares Werke. Werke in sechs Bänden.<br />
Englisch-Deutsch. Sonderausgabe. Die Tempel-Klassiker. Band IV, 77-184<br />
Sloterdijk P (1999) Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über<br />
den Humanismus. Frankfurt: Suhrkamp<br />
Sonneck G (1995) Krisen und Suizidgefährdung. In: Sonneck G (Hg) Krisenintervention und<br />
Suizidverhütung. Wien: Facultas<br />
Sonneck G, (1995) Krisen im menschlichen Leben. In: Sonneck G (Hg) Krisenintervention und<br />
Suizidbewältigung. Wien: Facultas<br />
Stowasser, der kleine (1936) Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky<br />
Teresa von Avila (1982) „Ich bin ein Weib – und obendrein kein gutes“. Ein Portrait der Heiligen in<br />
ihren Texten. Freiburg: Herder<br />
Tutsch L (2000a) Selbstdistanzierung. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und<br />
Logotherapie. Wien: <strong>GLE</strong>, 37-38<br />
Tutsch L (2000b) Gewissen. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie.<br />
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Vetter H (1989) Die phänomenologische Haltung. In: Längle A (Hrsg) Selbstbild und Weltsicht.<br />
Phänomenologie und Methode der Sinnwahrnehmung. Wien: Tagungsbericht 1/1989 der <strong>GLE</strong>, 14-22<br />
Wicki B (2000) Wille zum Sinn. In: Längle A (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie.<br />
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Winklhofer W (1987): Psychiatrie und Existenzanalyse der Depression. In: Längle A, Funke G (Hrsg):<br />
Mut und Schwermut. Existenzanalyse der Depression. Wien: Tagungsbericht der <strong>GLE</strong>
131<br />
BIBELSTELLEN<br />
Gen 1,3 Gott sprach -... und es wurde 35<br />
Gen 1,26 Mensch als Gottes Ebenbild 84,105<br />
Gen 1,31 Gott sah, daß es sehr gut war 36,132<br />
Gen 15 Abrahams Krise 66<br />
Gen 18 Verheißung an Abraham 122<br />
Gen 25ff Jakob und Esau 67<br />
Gen 32 Jakob am Jabbok 67<br />
Ex 20,1 Das 1. Gebot 36<br />
Ex 33,12-17 Mose am Sinai 122<br />
Dtn 30,19 Wähle das Leben 91<br />
2 Sam 11-12 David und Batseba 62<br />
Ps 16,11 Weg zum Leben 91<br />
Ps 22,2 Mein Gott, warum hast du mich verlassen? 80<br />
Ps 34,13ff Wer ist der Mensch, der das Leben liebt? 91<br />
Ps 42/43 Was bist du betrübt meine Seele? 54<br />
Ps 85,11 Gerechtigkeit und Friede küssen sich 89<br />
Ps 103 Vergiß nicht, was der Herr dir Gutes getan hat 55<br />
Ps 116,7 Denn der Herr tut dir gut 55<br />
Ps 119,116 Nimm mich auf, Herr, damit ich lebe 105<br />
Jes 11 Schalomzustand 82<br />
Jes 53,11f Er trug die Sünden von vielen 106<br />
Jer 2,2 Wüste: Ort der 1. Liebe 81<br />
Mt 5,3 Selig die Armen im Geist 91<br />
Mt 7,7 Bittet und ihr werdet empfangen 97<br />
Mt 16,25 Wer sein Leben ... verliert 93<br />
Mt 8,9-13 Berufung des Levi/Matthäus 100<br />
Mt 19,16-30 Der reiche Jüngling 98<br />
Mk 1,11 Taufe Jesu: Du bist mein geliebter Sohn 52<br />
Mk 1,12f Versuchung Jesu 81<br />
Mk 1,33.39 Predigen, Kranke heilen, Dämonen austreiben 40<br />
Mk 4,35-41 Stillung des Seesturms 68<br />
Mk 10,45 Hingegeben als Lösegeld für viele 106
132<br />
Mk 14,26-42 Todesangst am Ölberg 40,68<br />
Mk 15,34 Verlassenheitsruf Jesu am Kreuz 40,80<br />
Mk 15,37 Todesschrei Jesu am Kreuz 40,68<br />
Lk 1,26-38 Verkündigung an Maria 88f,121ff<br />
Lk 2,1-12 Geburt Jesu 88f<br />
Lk 2,41-52 12-jähriger Jesus im Tempel 90,114<br />
Lk 5,37 Neuer Wein in neue Schläuche 81<br />
Lk 9,28-36 Verklärung Jesu 84<br />
Lk 15,11-32 Verlorener Sohn 55f<br />
Lk 18,32f Leidensankündigung Jesu 98<br />
Lk 22,43ff Todesangst am Ölberg 69<br />
Joh 1,3 Alles ist durch das Wort geworden 35<br />
Joh 1,10 Welt 14<br />
Joh 1,14 Und das Wort ward Fleisch 105<br />
Joh 3,32 Die Wahrheit tun 74<br />
Joh 5,6 Willst du gesund werden? 11<br />
Joh 6,60.66 Deine Rede ist hart 40<br />
Joh 10,10 Leben in Fülle 91<br />
Joh 11,47.53 Beschluß Jesus zu töten 40<br />
Joh 14,16 Parakletos – Hl. Geist 79<br />
Apg 12,11 Der Herr hat seinen Engel gesandt 58<br />
Apg 9,4 Bekehrung des Paulus 100<br />
Röm 8,29 Christus gleichgestaltet 97<br />
1 Kor 6,16 Ein Zwang liegt auf mir 100<br />
1 Kor 2,12 Welt 14<br />
2 Kor 6,1 Mitarbeiter Gottes 92<br />
Gal 2,20 Hingegeben für mich 106<br />
Eph 4,13 Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen 105<br />
Phil 2,5-11 Christushymnus 95,97<br />
Apk 12,10 Ankläger unserer Brüder 79