Bild und Text - Fachhefte grafische Industrie
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Sehen lernen<br />
<strong>Bild</strong> <strong>und</strong> <strong>Text</strong>: Dissonanz oder Harmonie<br />
Ralf Turtschi, Adliswil<br />
Jeder hat schon von Kurt Tucholskys Titel<br />
über acht Fotografien mit einem Kurzkommentar<br />
gehört: «<strong>Bild</strong>er sagen mehr als<br />
tausend Worte» (Zeitschrift «Uhu», Nov.<br />
1926). Damit wird heute oft das <strong>Bild</strong> gegen<br />
den <strong>Text</strong> ausgespielt, um auszudrücken, das<br />
<strong>Bild</strong> sei wertvoller als tausend Worte. Das ist<br />
etwa so absurd, wie wenn man <strong>Text</strong>e mit<br />
Tönen vergleichen würde: Ein Ton sagt mehr<br />
als tausend Worte. Der Sinn des Titels war<br />
damals anders gemeint. Oft ist es schwierig,<br />
einen komplexen Sachverhalt so zu beschreiben,<br />
dass die Leser den Inhalt auch<br />
verstehen. Tucholsky fand, dass acht <strong>Bild</strong>er<br />
mit einem Kurzkommentar den Inhalt besser<br />
auszudrücken vermögen, als dies mit<br />
blossem <strong>Text</strong> möglich gewesen wäre.<br />
Die Zeiten, in denen Informationen<br />
hauptsächlich über <strong>Text</strong> vermittelt werden,<br />
sind heute den Büchern <strong>und</strong> wissenschaftlichen<br />
Schriften vorenthalten; in den Zeitungen<br />
steigt der <strong>Bild</strong>anteil unaufhörlich; im<br />
Medium Fernsehen bildet das bewegte <strong>und</strong><br />
vertonte <strong>Bild</strong> die Informationsquelle. In Magazinen,<br />
Flyern, Plakaten, also in gedruckten<br />
Medien, ist eine Parität zwischen <strong>Bild</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Text</strong> zu finden. Websites, Smartphones<br />
<strong>und</strong> Tablets schöpfen ihre Multimediafähigkeit<br />
erst zögerlich aus: stehende <strong>Bild</strong>er <strong>und</strong><br />
<strong>Text</strong>e herrschen noch immer vor. Movies<br />
sind eher die Ausnahme, die HD-Unterstützung<br />
aller Kameras <strong>und</strong> Abspielgeräte beginnt<br />
erst zu knospen. Es ist eben leichter,<br />
ein <strong>Bild</strong> zu schiessen <strong>und</strong> es irgendwo mit<br />
<strong>Text</strong>en versehen hochzuladen, als eine Sequenz<br />
zu filmen, sich davor gesprochene<br />
<strong>Text</strong>e zu überlegen, den Clip zu schneiden,<br />
zu vertonen <strong>und</strong> technisch so herzustellen,<br />
dass er abspielfähig ist.<br />
Wenngleich ich davon überzeugt bin,<br />
dass uns die «Demokratisierung» der Filme<br />
eben noch bevorsteht, genauso wie uns die<br />
«Demokratisierung» erst der <strong>Text</strong>e, später<br />
der <strong>Bild</strong>er mit der Desktop-Publishing-Revolution<br />
überrollte.<br />
Die semiprofessionellen Tools der <strong>Bild</strong>verarbeitung<br />
sind auf dem Markt, ich erwähne<br />
hier als Beispiel die App «Adobe<br />
Photoshop Touch» oder «Adobe Photoshop<br />
Express», mit denen <strong>Bild</strong>er von Laien auf<br />
dem Tablet in erstaunlicher Vielfalt bearbeitet<br />
werden können. Die <strong>grafische</strong> Branche<br />
wäre gut beraten, sich zu überlegen, in wieweit<br />
<strong>Bild</strong>verarbeitung im Sinn der Reprotechnik<br />
zu den Kernkompetenzen gehört,<br />
oder ob diese Arbeit zukünftig von Laien<br />
mit gescheiten Scripts wahrgenommen wer-<br />
In den Medien stehen <strong>Bild</strong>er in den wenigsten Fällen allein. <strong>Text</strong>e erklären das <strong>Bild</strong> <strong>und</strong><br />
bilden eine Sehanleitung, die in der letzten Ausgabe besprochen wurde. Heute gehts um<br />
die gestalterische Beziehung von <strong>Bild</strong> <strong>und</strong> <strong>Text</strong>.<br />
den wird. Dazu gehören die Weichen zur<br />
Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Fortbildung richtig gestellt. Ich<br />
bin sicher, dass sich die Tablets bei einem<br />
breiten Publikum durchsetzen werden. Zu<br />
cool sind die Anwendungen, zu einfach die<br />
Bedienung, zu mobil das Ganze. Die Qualitätsmerkmale<br />
der heutigen Kameras <strong>und</strong><br />
Tablets übertreffen bei weitem jene vor<br />
zehn Jahren – mit anderen Worten, heute<br />
kann ein Laie das technisch weit bessere <strong>Bild</strong><br />
erzeugen, als dies vor zehn Jahren die Profis<br />
konnten. Fotos sehen auf den Tablets extraklasse<br />
aus, ein gedrucktes CMYK-<strong>Bild</strong> ist ein<br />
Armutszeugnis dagegen! Das iPad 3 besitzt<br />
264 ppi Auflösung, eine Pixelstruktur ist<br />
von Auge nicht mehr auszumachen. Schriften<br />
lassen sich nun ebensogut lesen wie auf<br />
dem Papier. Das iPad 3 übertrifft in den<br />
wichtigsten Bereichen Print um Meilen: Es<br />
ist multimediafähig, es ist brillanter in der<br />
<strong>Bild</strong>- <strong>und</strong> <strong>Text</strong>darstellung, es kann Informa-<br />
tionen speichern <strong>und</strong> mobil abrufbar behalten,<br />
es ist ressourcenschonender, internetfähig,<br />
farbig von Hause auf – es gibt weit<br />
weniger Gründe, weiterhin aufs Papier als<br />
reinen Informationsträger zu setzen. Können<br />
Haptik, Geruch <strong>und</strong> das Knistern beim<br />
Blättern als Gr<strong>und</strong> genügen?<br />
Zurück zum Thema. <strong>Bild</strong>er <strong>und</strong> <strong>Text</strong>e sind<br />
die «alten» Informationsträger, die sowohl<br />
auf dem Tablet als auch im Printmedium in<br />
den nächsten Jahren verarbeitet werden<br />
müssen. Bewegtbild <strong>und</strong> Ton werden auf<br />
den Tablets <strong>und</strong> im Internet vermehrt hinzukommen.<br />
Was kommt zuerst, <strong>Text</strong> oder <strong>Bild</strong>?<br />
Wo bisher <strong>Text</strong>e das Sagen hatten, wurden<br />
die <strong>Bild</strong>er den <strong>Text</strong>en mitgegeben. Journalisten<br />
werden üblicherweise nach Buchstabenzahl<br />
oder Zeilen bezahlt, der Archetyp<br />
eines Journlisten ist ein <strong>Text</strong>mensch, der<br />
Die perspektifische Wirkung der plakativen Fotografie rechts steht im Gegensatz zur zentrierten Anordnung<br />
links. Die Seite rechts scheint senkrecht abzustehen.<br />
Schriftsalat als typo<strong>grafische</strong>r Schmuck muss nicht gelesen, sondern gesehen werden. Wer will, kann daraus<br />
<strong>Text</strong>fragmente entdecken.<br />
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Sehen lernen <strong>Bild</strong> <strong>und</strong> <strong>Text</strong>: Dissonanz oder Harmonie<br />
Die Symbiose von <strong>Text</strong> <strong>und</strong> <strong>Bild</strong> im Raum, inszeniert im Kaufhaus Jelmoli, Zürich. Ausgeschnittene <strong>und</strong> aufgehängte 3D-Buchstaben, Zeichnungen <strong>und</strong> Schaufenster-<br />
puppen lassen den Typofreak staunen, was möglich ist.<br />
schreibt oder besser beschreibt. Das <strong>Bild</strong> übt<br />
heute noch die schmückende oder reisserische<br />
Rolle aus. Das <strong>Bild</strong> findet sich in der<br />
unterstützenden Rolle zum <strong>Text</strong>. Es ist heute<br />
noch im seriösen Journalismus das zusätzliche<br />
Zitat für Authentizität. Nur selten existieren<br />
ganze <strong>Bild</strong>erstrecken, mit knapp gehaltenen<br />
<strong>Text</strong>en. Der Boulevard machts oft<br />
genau umgekehrt, hier werden die <strong>Bild</strong>er<br />
aufgezogen, der <strong>Text</strong> «fliesst» um die <strong>Bild</strong>er<br />
herum, er wird brutal heruntergekürzt <strong>und</strong><br />
so verknappt, dass eine differenzierte Auseinandersetzung<br />
mit dem Thema nicht mehr<br />
möglich ist. Der Boulevard gibt bestmöglichen<br />
Unterricht, wie <strong>Text</strong>e <strong>und</strong> <strong>Bild</strong>er zusammenwirken.<br />
Aus kommunikativer Sicht<br />
hervorragend gemacht, wie die dicken Lettern<br />
die <strong>Bild</strong>er unterstützen. Keine <strong>Bild</strong>er<br />
mit Panoramablick, jedes <strong>Bild</strong> wird aufs Minimum<br />
geschnitten. Blut, Schweiss <strong>und</strong> Tränen<br />
brauchen kumpelhafte Nähe, anders<br />
funktionierts nicht.<br />
<strong>Text</strong> <strong>und</strong> <strong>Bild</strong> in Symbiose<br />
Die Legende ist die allgemein übliche Art,<br />
das <strong>Bild</strong> mit <strong>Text</strong> zu erläutern, den Lesern zu<br />
helfen, das <strong>Bild</strong> zu deuten. Deswegen gilt<br />
die Regel: Kein <strong>Bild</strong> ohne Legende. Im ange-<br />
Diese Metzgerei arbeitet mit Kunst am Eingang. Die gemalte Schrift <strong>und</strong> die Neonröhren scheinen mit dem<br />
aggressiven Rot etwas anderes auszudrücken, als man als Konsument erwarten würde. Abstossend oder<br />
anziehend?<br />
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Sehen lernen <strong>Bild</strong> <strong>und</strong> <strong>Text</strong>: Dissonanz oder Harmonie<br />
Der mittels Fläche leserlich gestaltete <strong>Text</strong> wird durch die Versalien wieder<br />
zunichte gemacht. Grossbuchstaben erfreuen sich vor allem auf Autoplakaten<br />
zurzeit grosser Beliebtheit. In Mengen nicht zu lesen.<br />
Bei fein abgestuften Schriften kann besser auf die Leserlichkeit des <strong>Text</strong>es<br />
auf <strong>Bild</strong>ern eingegangen werden. Bei unruhigen Hintergründen hilft nur die<br />
transparente oder farbige Abdeckung des Gr<strong>und</strong>es.<br />
sprochenen Boulevard übernimmt oft der<br />
Titel die Funktion der <strong>Bild</strong>deutung. Es ist<br />
unbestritten so, dass der Titel ein enges Verhältnis<br />
zum <strong>Bild</strong> aufweist. Die beiden Geschwister<br />
werden zusammen interpretiert.<br />
Während das <strong>Bild</strong> in der Interpretation aber<br />
offen formuliert, tut der <strong>Text</strong> genau das Gegenteil:<br />
er ist präzisierend <strong>und</strong> legt den Lesern<br />
die vermeintliche <strong>Bild</strong>deutung des<br />
Journalisten nahe. <strong>Bild</strong>er können nicht differenzieren,<br />
sie sind zwar mehrdeutig, aber<br />
offen. Damit wird eine potenzielle Gefahr<br />
sichtbar, tendenziös <strong>und</strong> plakativ verkürzt<br />
zu berichten.<br />
Es gibt eine politische Partei in der<br />
Schweiz, die bedient sich der lustvollen Verkürzung<br />
auf der Ebene der Angst, während<br />
die baffen politischen Gegner die differenzierte<br />
Betrachtung bevorzugen, die in der<br />
Bevölkerung nicht gleich brachial <strong>und</strong> stimmenfängerisch<br />
wirkt. Nur mit <strong>Text</strong> lässt sich<br />
die Gefühlslage nicht ansprechen, <strong>Text</strong>e<br />
sind intellektuell, es bedarf einer gewissen<br />
Anstrengung, sie zu dekodieren. <strong>Text</strong>e sind<br />
nur über die Sozialisierung in der Schule,<br />
über das Erwachsenwerden zu knacken. <strong>Bild</strong>er<br />
funktionieren auch bei funktionellen<br />
Analphabeten. Aus diesem Gr<strong>und</strong> werden<br />
<strong>Bild</strong>er oder Clips immer stärker <strong>und</strong> schneller<br />
wirken als reiner <strong>Text</strong>.<br />
<strong>Text</strong> im <strong>Bild</strong> gestalten<br />
Nun sind <strong>Text</strong>e im Zusammenhang mit der<br />
besprochenen «Vermählung» so zu gestalten,<br />
dass sie ihre Funktion erfüllen. Zum<br />
einen ist hier die Gestaltungskraft von Titelschriften<br />
(Mediamarkt, Denner) an sich zu<br />
erwähnen, auf der anderen Seite gilt es,<br />
Gr<strong>und</strong>texte, die gelesen werden sollen, auch<br />
lesefähig zu erhalten. Vor allem dann, wenn<br />
die <strong>Text</strong>e auf die <strong>Bild</strong>er zu liegen kommen.<br />
Dabei gibt es <strong>Bild</strong>er, die sich, weil zu unruhig,<br />
einfach nicht als <strong>Text</strong>hintergr<strong>und</strong> eignen.<br />
Wer keine Wahl hat, der kann sich mit<br />
bestimmten typo<strong>grafische</strong>n Tricks behelfen,<br />
zum Beispiel die Schrift statt Regular halt<br />
Medium zu gestalten. Weisser <strong>Text</strong> auf einem<br />
farbigen <strong>Bild</strong> birgt immer das Risiko<br />
des schlechten Passers im Druck, so dass die<br />
Light vielleicht zur Thin verkommt. Beim<br />
schwarzen <strong>Text</strong> im <strong>Bild</strong> passiert das nie.<br />
Eine andere Möglichkeit besteht darin,<br />
den Hintergr<strong>und</strong> aufzuhellen oder abzudunkeln,<br />
die <strong>Text</strong>e mit Balken zu unterlegen<br />
oder eine Kontur oder Schatten zu gestalten.<br />
All diese Kniffe sind in InDesign bei <strong>Text</strong>-<br />
W<strong>und</strong>erbare, wenn auch nicht neuartige Inszenierung eines Brillengeschäftes. Man<br />
kann auch mit Typografie ein «<strong>Bild</strong>» erzeugen.<br />
Bemalung im Parkhaus Hohe Promenade, Zürich. Die <strong>Text</strong>e an den Wänden haben<br />
keinerlei Bezug zu den abgebildeten Theaterszenen. Man versucht ihn trotzdem<br />
herauszulesen. Die «Verheiratung» will nicht recht gelingen.<br />
korrekturen mutationsfähig. Wer das <strong>Bild</strong> in<br />
Photoshop verändert, z. B. abdunkelt, muss<br />
bei Korrekturen komplizierter reagieren.<br />
Die Leserlichkeit hat beim <strong>Text</strong> immer<br />
Priorität. <strong>Text</strong>, der zum reinen Schmuckelement<br />
verkommt, ist nicht mehr <strong>Text</strong>, sondern<br />
typo<strong>grafische</strong>r Schmuck ohne Informationsgehalt.<br />
Der farbige Gr<strong>und</strong>, ob mit <strong>Bild</strong><br />
oder Fläche gestaltet, setzt die Leserlichkeit<br />
immer herab, denn Schwarz auf weissem<br />
Gr<strong>und</strong> ist am besten leserlich. Die grassierende<br />
Unsitte, Gr<strong>und</strong>text in irgend einer<br />
Form aufzurastern, ist eine optische Hürde<br />
für Leser, entsprungen dem selbstverliebten<br />
Ausdruckswillen der Gestalter, den <strong>Text</strong> «gut<br />
aussehen zu lassen». Eine 9 Punkt Frutiger<br />
Light 50% schwarz aufzurastern, ist ein Unding,<br />
bei einer 36 Punkt Frutiger Bold ist das<br />
kein Problem.<br />
Wenn also <strong>Text</strong> aufs <strong>Bild</strong> zu liegen kommt,<br />
dann muss der <strong>Text</strong> sorgfältig aufbereitet<br />
werden, mit etwas mehr Laufweite versehen,<br />
in einen kräftigeren Schnitt, oft etwas<br />
grösser gesetzt als der Gr<strong>und</strong>text. Dafür<br />
muss aber die Schrift in den entsprechenden<br />
Stärkenunterschieden vorliegen. Mit Monotype<br />
Garamond Regular <strong>und</strong> Bold ist da kein<br />
Staat zu machen.<br />
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