28.08.2013 Aufrufe

Das Leben, der Tod und der ganze Rest - SF-Fan.de

Das Leben, der Tod und der ganze Rest - SF-Fan.de

Das Leben, der Tod und der ganze Rest - SF-Fan.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

dressler/fo 184/rezi/nordiek<br />

William Gibson<br />

Mustererkennung<br />

Es dürfte wohl keinen <strong>SF</strong>-Leser geben, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>de</strong>n Namen William Gibson noch nicht gehört<br />

o<strong><strong>de</strong>r</strong> gelesen hat. Mit „Newromancer“<br />

(1984) schuf er ein neues Subgenre <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>SF</strong><br />

<strong>und</strong> wur<strong>de</strong> über Nacht weltweit bekannt. Viel<br />

ist in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten über ihn <strong>und</strong><br />

sein Werk geschrieben wor<strong>de</strong>n, auch<br />

hierzulan<strong>de</strong>. All seine Romane sind ins Deutsche<br />

übersetzt wor<strong>de</strong>n <strong>und</strong> wur<strong>de</strong>n beim<br />

Münchener Heyne-Verlag in Taschenbuchformat<br />

veröffentlicht. Mit <strong>de</strong>m Klett-Cotta Verlag,<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> vor allem durch die Herausgabe von<br />

<strong>Fan</strong>tasy-Romanen bekannt ist, hat nun ein<br />

weiterer die Veröffentlichung von Gibsons<br />

Werke übernommen.<br />

Die Ausstattung entspricht <strong>de</strong>m Stellenwert<br />

<strong>de</strong>s Autors innerhalb <strong>de</strong>s <strong>SF</strong>-Genres. Bei<br />

weitem nicht alle Autoren von Gibsons schriftstellerischer<br />

Qualität wer<strong>de</strong>n hierzulan<strong>de</strong> in<br />

Hardcover mit Schutzumschlag <strong>und</strong> Lesebändchen<br />

verlegt.<br />

Nach einer vierjährigen Pause bil<strong>de</strong>t<br />

„Mustererkennung“ <strong>de</strong>n Auftakt einer weiteren,<br />

lose zusammenhängen<strong>de</strong>n Trilogie, <strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />

weitere Romane ebenso ihren Weg zu<br />

uns fin<strong>de</strong>n dürften.<br />

Die Handlung <strong>de</strong>s Romans ist in <strong><strong>de</strong>r</strong> Gegenwart<br />

angesie<strong>de</strong>lt <strong>und</strong> wird ausschließlich<br />

aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Sicht von Cayce Pollard geschil<strong><strong>de</strong>r</strong>t,<br />

die ein Kind <strong><strong>de</strong>r</strong> grenzenlosen Kommunikation<br />

ist. Als Freelancerin arbeitet sie für diverse<br />

Firmen <strong><strong>de</strong>r</strong> Werbebranche. Sie verfügt über<br />

ein außergewöhnliches Talent, was von diesen<br />

sehr nachgefragt wird. Cayce Pollard ist<br />

in <strong><strong>de</strong>r</strong> Lage, aufgr<strong>und</strong> ihrer Fähigkeiten festzustellen,<br />

ob ein neues Werbelogo/eine neue<br />

Werbestrategie bei <strong><strong>de</strong>r</strong> jeweiligen Zielgruppe<br />

ankommt o<strong><strong>de</strong>r</strong> nicht. Ein Blick allein auf ein<br />

neues Logo o<strong><strong>de</strong>r</strong> Designstudien reicht, um<br />

dies zweifelsfrei festzustellen. Geirrt hat sie<br />

sich bislang nie.<br />

Da ihre Auftraggeber weltweit agieren,<br />

kommt sie viel in <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt herum. Den Kontakt<br />

zu ihren jeweiligen Auftraggebern <strong>und</strong><br />

zu ihren Fre<strong>und</strong>en/Verwandten hält sie mittels<br />

Handy <strong>und</strong> Internet. Gibson geht scheinbar<br />

davon aus, dass seine Leser ebenso agieren<br />

<strong>und</strong> mit <strong>de</strong>n von ihm verwen<strong>de</strong>ten Fachausdrücken<br />

o<strong><strong>de</strong>r</strong> Wortspielen umgehen können.<br />

Erklärungen bietet er ihnen nicht <strong>und</strong><br />

die eine o<strong><strong>de</strong>r</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Anspielung mag unerkannt<br />

bleiben. Der Roman ist dadurch<br />

je<strong>de</strong>nfalls voll auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Höhe <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>s<br />

technisch Machbaren. William Gibson, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

seine ersten Romane noch auf einer Schreibmaschine<br />

verfasste <strong>und</strong> zu Beginn seiner<br />

Karriere mit einem PC sehr wenig anzufangen<br />

wusste (was damals aufgr<strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Romaninhalte umso erstaunlicher war) hat<br />

kräftig dazugelernt. Nichts wirkt aufgesetzt<br />

o<strong><strong>de</strong>r</strong> an <strong>de</strong>n Haaren herbeigezogen. Selbst<br />

wenn <strong><strong>de</strong>r</strong> Leser nicht über solch eine techni-<br />

sche Ausrüstung verfügt, wirkt nichts erdacht.<br />

Cayce Pollard, die sich privat viel in diversen<br />

Chaträumen tummelt <strong>und</strong> für die das<br />

Internet ihr zweites Zuhause darstellt, wird<br />

von ihrem letzten Auftraggeber mit einem<br />

beson<strong><strong>de</strong>r</strong>en Auftrag betraut. Sie soll <strong>de</strong>n o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

die Macher einer beson<strong><strong>de</strong>r</strong>en Sorte von Vi<strong>de</strong>o-Clips<br />

fin<strong>de</strong>n, die seit Monaten nach <strong>und</strong><br />

nach im Internet auftauchen <strong>und</strong> auf <strong>de</strong>n<br />

Betrachter eine fast magische Wirkung haben.<br />

Auch Cayce ist von <strong>de</strong>n Clips fasziniert<br />

<strong>und</strong> rätselt seit Monaten, wie viele an<strong><strong>de</strong>r</strong>e<br />

auch, wer diese Vi<strong>de</strong>o-Clips produziert hat.<br />

Selbst als Medien wie Fernsehen <strong>und</strong> Tageszeitungen<br />

auf diese Clips <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Hype um<br />

sie aufmerksam wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> darüber berichten,<br />

offenbart sich niemand.<br />

Cayce soll nun das Geheimnis für ihren<br />

Auftraggeber lüften, <strong><strong>de</strong>r</strong> wegen <strong><strong>de</strong>r</strong> Aufmerksamkeit<br />

ein Vermarktungspotential sieht. Mehr<br />

aus eigener Neugier nimmt sie diesen Auftrag<br />

an <strong>und</strong> schafft es tatsächlich mit Hilfe<br />

einiger Internetbekanntschaften alle offenen<br />

Fragen zu klären.<br />

Wie in einem Krimi üblich gerät hangelt<br />

sie sich Schritt für Schritt <strong><strong>de</strong>r</strong> Lösung entgegen<br />

<strong>und</strong> gerät manches Mal selbst in Bedrängnis.<br />

Zu<strong>de</strong>m ist für sie oftmals nicht klar, wer Fre<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> wer Feind ist. Auch ihren eigenen Standpunkt<br />

über<strong>de</strong>nkt sie ständig, <strong>de</strong>nn ihr Auftraggeber<br />

han<strong>de</strong>lt aus eigennützigen Motiven,<br />

die ihren entgegenstehen.<br />

William Gibson bietet seinen Lesern einen<br />

durchaus rasant verfassten Roman, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

aber bei weitem nicht mehr das Tempo hat<br />

wie seine ersten Werke. Sein Schreibstil ist<br />

ruhiger <strong>und</strong> zugleich reifer gewor<strong>de</strong>n, ohne<br />

dabei langweilig zu sein. William Gibson ist<br />

als Autor erwachsen gewor<strong>de</strong>n, wodurch <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Roman ein<strong>de</strong>utig gewonnen hat.<br />

Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist, dass<br />

die Auflösung nicht erst zum En<strong>de</strong> hin erfolgt,<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n schon ca. 100 Seiten vorher.<br />

Ein En<strong>de</strong> übrigens, welches durchdacht ist.<br />

Den restlichen Raum nutzt Gibson, um alle<br />

bis dahin noch offenen Fragen zu klären <strong>und</strong><br />

so einen r<strong>und</strong>en Abschluss zu erreichen. Den<br />

Spannungsbogen kann er bis zum Schluss<br />

<strong>de</strong>shalb nicht mehr ganz halten.<br />

Etwas aufgesetzt wirken die Passagen, wo<br />

die Geschehnisse <strong>de</strong>s 11. Septembers verarbeitet<br />

wer<strong>de</strong>n. Cayces Vater zählt zu <strong>de</strong>n<br />

Opfern <strong>de</strong>s Anschlags <strong>und</strong> gilt seit<strong>de</strong>m als<br />

vermisst. Diese Passage beeinflusst die Handlung<br />

zwar in einem zentralen Punkt, wäre aber<br />

nicht zwingend notwendig gewesen. Zu Recht<br />

mag sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Leser fragen, warum William<br />

Gibson diesen Anschlag zwei Jahre später<br />

noch in seinem Roman verarbeiten muss.<br />

Zeitgeist hin o<strong><strong>de</strong>r</strong> her - nicht alles sollte man<br />

als Autor in seine Werke einbauen. Vielleicht<br />

verstehen wir die Amerikaner als europäische<br />

Leser in diesem Punkt nicht richtig, genauso<br />

mögen diese <strong>de</strong>n hiesigen Autoren vorwerfen,<br />

dass ständig <strong><strong>de</strong>r</strong> Zweite Weltkrieg in ihren<br />

Romanen mit eingebaut wird.<br />

William Gibson hat mit „Mustererkennung“<br />

einen gut lesbaren Roman verfasst, <strong><strong>de</strong>r</strong> we<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>de</strong>m Krimi-Genre ein<strong>de</strong>utig zuzurechnen<br />

ist <strong>und</strong> noch weniger <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>SF</strong>. So mag <strong><strong>de</strong>r</strong> eine<br />

o<strong><strong>de</strong>r</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>e <strong>SF</strong>-Leser nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Lektüre enttäuscht<br />

<strong>de</strong>n Roman aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Hand legen, da<br />

er die für ihn wichtigen Versatzstücke <strong>de</strong>s <strong>SF</strong>-<br />

Genres nicht vorgef<strong>und</strong>en hat. Krimi-<strong>Fan</strong>s<br />

dürften <strong>de</strong>n Roman wohl nur durch Zufall in<br />

die Hän<strong>de</strong> bekommen, da er nicht als solcher<br />

beworben wird <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Autor <strong>de</strong>m <strong>SF</strong>-<br />

Genre zugerechnet wird.<br />

Dennoch lohnt sich die Lektüre <strong>de</strong>s Romans,<br />

<strong>de</strong>nn William Gibson hat ein in sich<br />

stimmiges, vom Schriftstellerischen her sehr<br />

reifes Werk verfasst.<br />

anno<br />

William Gibson<br />

Mustererkennung<br />

Hardcover; Klett-Cotta Verlag; Originaltitel:<br />

Pattern Recognition; Übersetzung:<br />

Cornelia Holtfe<strong><strong>de</strong>r</strong> von <strong><strong>de</strong>r</strong> Tann <strong>und</strong><br />

Christa Schuenke; USA: 2003; BRD: August<br />

2004; 460 Seiten<br />

Horror-News-Redaktion:<br />

Horror-News-Redaktion:<br />

Andreas Nordiek, Ernst-Limmer-Str.<br />

11, 26131 Ol<strong>de</strong>nburg<br />

andreas.nordiek@nwn.<strong>de</strong><br />

➥<br />

18 FO 184 ·10/04

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!