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Gesamtskript Arbeitsrecht - Hochschule für Verwaltung und ...

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Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig <strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen Ludwigsburg<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong><br />

Skript<br />

mit • Übersichten<br />

• Beispielen<br />

• Übungsfällen<br />

Stand: 08-2011


<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche Skript <strong>Arbeitsrecht</strong> Stand 08-2011<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Ludwigsburg<br />

2<br />

Inhalt<br />

I. Einführung ........................................................................................................... 3<br />

1. Das Arbeitsverhältnis 3<br />

1.1 Begriff des Arbeitsverhältnisses................................................................ 3<br />

1.2 Arbeitnehmer <strong>und</strong> Arbeitgeber .................................................................. 5<br />

2. Die rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen des Arbeitsverhältnisses 6<br />

2.1 Internationales Recht ................................................................................ 6<br />

2.2 Nationales Recht ...................................................................................... 7<br />

II. Das Arbeitsschutzrecht ........................................................................................ 8<br />

III. Das Individualarbeitsrecht ................................................................................ 9<br />

1. Die Vertragsanbahnung 10<br />

2. Die Begründung des Arbeitsverhältnisses 10<br />

3. Mängel des Arbeitsvertrages 12<br />

4. Die Pflichten des Arbeitnehmers 15<br />

5. Die Pflichten des Arbeitgebers 20<br />

5.1 Entrichtung der Vergütung ...................................................................... 20<br />

5.2 Arbeitsausfälle ........................................................................................ 24<br />

5.3 Schutz- <strong>und</strong> Fürsorgepflichten ................................................................ 27<br />

5.4 Pflichtverletzungen des Arbeitgebers ..................................................... 27<br />

6. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses 29<br />

6.1 Die ordentliche Kündigung ...................................................................... 30<br />

6.2 Die außerordentliche Kündigung ............................................................ 30<br />

6.3 Das Kündigungsschutzgesetz ................................................................ 31<br />

6.4 Die Änderungskündigung ....................................................................... 34<br />

6.5 Kündigungsschutz <strong>für</strong> bestimmte Arbeitnehmergruppen ........................ 35<br />

6.6 Abmahnung ............................................................................................ 36<br />

6.7 Sonstige Beendigungsgründe ................................................................. 37<br />

6.8 Pflichten anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ............... 39<br />

7. Besondere Arbeitsverhältnisse 40<br />

7.1 Das Teilzeitarbeitsverhältnis ................................................................... 40<br />

7.2 Das befristete Arbeitsverhältnis .............................................................. 40<br />

7.3 Das Probearbeitsverhältnis ..................................................................... 41<br />

IV. Das kollektive <strong>Arbeitsrecht</strong> ............................................................................. 42<br />

1. Tarifvertragsrecht 42<br />

2. Streik <strong>und</strong> Aussperrung 43<br />

3. Das Recht der Mitbestimmung 45<br />

V. Das Arbeitsgerichtsverfahren ............................................................................ 46<br />

VI. <strong>Arbeitsrecht</strong> in der Kirche ............................................................................... 47<br />

VII. Beispielsfälle .................................................................................................. 48<br />

1. Fehlbestand 48<br />

2. Vorstellungstermin 49<br />

3. Langschläfer 50<br />

4. Operation 51<br />

5. Untreue 53<br />

VIII. Übungsfälle zum Selbststudium ..................................................................... 54<br />

IX. Literaturhinweise ............................................................................................ 60


<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche Skript <strong>Arbeitsrecht</strong> Stand 08-2011<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Ludwigsburg<br />

3<br />

I. Einführung<br />

Das <strong>Arbeitsrecht</strong> befasst sich mit einem Teilbereich des Rechts, das die Erbringung<br />

der abhängigen menschlichen Arbeit durch den Arbeitnehmer im Rahmen eines privatrechtlichen<br />

Vertrages mit dem Arbeitgeber zum Gegenstand hat. Im <strong>Arbeitsrecht</strong><br />

haben sich vier verschiedene Regelungsbereiche entwickelt:<br />

a) Das Arbeitsschutzrecht legt dem Arbeitgeber Pflichten zum Schutz des Arbeitnehmers<br />

auf, die von Seiten des Staates kontrolliert <strong>und</strong> sanktioniert werden.<br />

b) Das Individualarbeitsrecht befasst sich mit dem Abschluss, dem Inhalt <strong>und</strong> der<br />

Beendigung des einzelnen Arbeitsvertrages.<br />

c) Das kollektive <strong>Arbeitsrecht</strong> befasst sich mit den Zusammenschlüssen von Arbeitnehmern<br />

<strong>und</strong> Arbeitgebern zur einheitlichen Gestaltung von Arbeitsverhältnissen<br />

auf betrieblicher <strong>und</strong> überbetrieblicher Ebene, zum Ausgleich des wirtschaftlichen<br />

Machtgefälles zwischen der Arbeitnehmer- <strong>und</strong> der Arbeitgeberseite.<br />

d) Das Arbeitsverfahrensrecht hat das Verfahren vor den Arbeitsgerichten in arbeitsrechtlichen<br />

Streitigkeiten zum Gegenstand.<br />

Diese Regelungsbereiche liegen der Gliederung der nachfolgenden Darstellung des<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>s zugr<strong>und</strong>e.<br />

1. Das Arbeitsverhältnis<br />

Das <strong>Arbeitsrecht</strong> gilt <strong>für</strong> Arbeitsverhältnisse, die Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber<br />

<strong>und</strong> Arbeitnehmer. Diese <strong>für</strong> den das <strong>Arbeitsrecht</strong> zentralen Begriffe sind gesetzlich<br />

nicht exakt definiert, was häufig zu Unsicherheiten <strong>und</strong> Streitigkeiten führt.<br />

1.1 Begriff des Arbeitsverhältnisses<br />

Es gibt keine allgemeingültige Definition des Arbeitsverhältnisses. Verschiedentlich<br />

werden Merkmale des Arbeitsverhältnisses <strong>und</strong> des Arbeitnehmerbegriffes in Einzelvorschriften<br />

<strong>für</strong> deren Geltungsbereich festgelegt wie §§ 1 EFZG, 2 BUrlG, 18<br />

ArbZG, 7 Abs. 4 SGB IV, 5 Abs. 2 BetrVG. Diesen lässt sich als Gemeinsamkeit entnehmen:<br />

Ein Arbeitsverhältnis liegt vor, wenn eine Person aufgr<strong>und</strong> eines privatrechtlichen<br />

Vertrages im Dienst eines anderen zur Arbeit verpflichtet ist <strong>und</strong> unselbständige<br />

Dienste gegen Entgelt leistet<br />

a. Privatrechtlicher Vertrag:


Nicht hierunter fallen Personen, die aufgr<strong>und</strong> eines öffentlich-rechtlichen Verhältnisses<br />

Arbeit leisten wie Strafgefangene, Beamte, Richter, Soldaten.<br />

Soweit Familienangehörige kraft Gesetzes zur Arbeit verpflichtet sind wie Kinder<br />

nach § 1619 BGB, Ehegatten nach § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB liegt kein Vertrag vor.<br />

Die Leistung wird aufgr<strong>und</strong> Gesetzes erbracht. Zwischen diesen Personen kann jedoch<br />

obendrein ein Arbeitsvertrag abgeschlossen werden. Das Arbeitsentgelt kann dann<br />

als Betriebsausgaben steuerlich abgesetzt werden. Es sind Einkommenssteuer <strong>und</strong> Sozialversicherungsbeiträge<br />

zu zahlen.<br />

b. Dienstvertrag:<br />

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Dies ist ein gegenseitiger Vertrag nach § 611 BGB, bei dem die eine Seite zur Leistung<br />

der versprochenen Dienste <strong>und</strong> die andere Seite zur Gewährung der vereinbarten<br />

Vergütung verpflichtet sind. Der Arbeitsvertrag unterscheidet sich vom<br />

- Auftrag nach § 662 BGB, der auf eine unentgeltliche Geschäftsbesorgung gerichtet<br />

ist,<br />

- vom Werkvertrag nach § 631 BGB, bei dem der Unternehmer ein Werk, einen<br />

bestimmten Erfolg verspricht,<br />

- vom Gesellschaftsvertrag nach §§ 705 ff. BGB, bei dem der Gesellschafter<br />

nicht <strong>für</strong> einen Anderen, sondern zur Förderung eines gemeinschaftlichen<br />

Zweckes tätig wird. Es fehlt beim Gesellschaftsvertrag an der persönlichen<br />

Abhängigkeit des Gesellschafters. Im Einzelfall kann neben dem Gesellschaftsvertrag<br />

ein Arbeitsvertrag begründet werden.<br />

Beruht die Dienstleistung vorwiegend auf karitativen oder religiösen Beweggründen so wird sie nicht<br />

aufgr<strong>und</strong> eines Arbeitsvertrages zur Erwerbssicherung sondern aufgr<strong>und</strong> der Mitgliedschaft in der<br />

Vereinigung erbracht, vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG.<br />

Wird jemand vorwiegend aus medizinischen oder erzieherischen Gründen beschäftigt, arbeitet er nicht<br />

aufgr<strong>und</strong> eines Arbeitsvertrages sondern aufgr<strong>und</strong> eines Behandlungsvertrages, vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 4<br />

BetrVG..<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich ist ein Au-Pair-Verhältnis nicht als Arbeitsverhältnis ausgestaltet, sondern soll dem Au-<br />

Pair erlauben Sprache <strong>und</strong> Kultur des Gastlandes zu erlernen. Sollte der Vertrag jedoch detaillierte<br />

Regelungen zur Mithilfe im Haushalt, Kinderbetreuung, Dienstzeiten, Freizeit <strong>und</strong> Urlaub enthalten,<br />

kann ein Arbeitsverhältnis vorliegen. 1<br />

c. Unselbständige Dienste:<br />

Hinsichtlich der Unselbständigkeit, der persönlichen Abhängigkeit unterscheidet sich<br />

der Arbeitsvertrag vom selbständigen Dienstvertrag. Der selbständige Dienstvertrag<br />

wird von selbständigen Gewerbetreibenden <strong>und</strong> freiberuflich Tätigen abgeschlossen.<br />

Die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers wird durch die Einbindung in die<br />

betriebliche Organisation des Arbeitgebers begründet. Indikatoren der Arbeitnehmereigenschaft<br />

sind<br />

- das Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsart <strong>und</strong><br />

Arbeitsort, wie § 84 Abs. 1 S. 2 HGB erhellt<br />

1 ArbG Bamberg vom 27.10.2003, Az.: 1 Ca 1162/03


- umfassende Kontrolle<br />

- umfassende Berichtspflichten<br />

- fehlendes Unternehmerrisiko<br />

- fehlende Gewinnbeteiligung<br />

- Verbot Preise zu gestalten<br />

- Verbot eigene K<strong>und</strong>en zu werben<br />

- Verbot eigene Mitarbeiter zur Verrichtung heranzuziehen.<br />

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Problematisch ist die Abgrenzung in den Fällen der neuen Selbständigkeit, die eine<br />

Scheinselbständigkeit sein kann. Es geht oftmals um Tätigkeiten, die nur scheinbar<br />

selbständig ausgeübt werden, während es sich in Wirklichkeit um Arbeitnehmertätigkeiten<br />

handelt. Arbeitnehmer werden in Kaufhäusern zu Regaleinrichtern, die Restaurant-<br />

Bedienung wird selbständiger Verkäufer <strong>und</strong> das Zimmermädchen zur Etagenservicebetreiberin. Ein<br />

Lkw-Fahrer mietet von seinem bisherigen Arbeitgeber den von ihm gefahrenen Lkw <strong>und</strong> führt nun als<br />

Selbständiger Frachtaufträge des ehemaligen Arbeitgebers aus.<br />

Ein Weinhersteller verpachtet selbständigen Weinhändlern fertig eingerichtete Ladenlokale. In den<br />

Verträgen verpflichten sich die Weinhändler, Richtlinien über das Warenvertriebssystem, die Preisgestaltung,<br />

Buchführung bis hin zu bestimmten Ladenöffnungszeiten einzuhalten. 2 Diese Personen sind<br />

formal als Selbständige tätig. Sie übernehmen nicht selten auch ein echtes unternehmerisches Risiko.<br />

Dem steht aber wegen der engen Vorgaben des Vertragspartners kein nennenswerter eigener Gestaltungsspielraum<br />

gegenüber, der ein Auftreten am Markt <strong>und</strong> damit eine echte Gewinnchance zuließe.<br />

Die unternehmerische Organisationsgewalt verbleibt vielmehr bei dem Vertragspartner.<br />

Ein Kurierdienstfahrer, der in der Arbeitszeitgestaltung frei ist, keine Kernzeiten oder Dienstbereitschaft<br />

einzuhalten hat <strong>und</strong> nach Belieben Urlaub nehmen kann, ist ein freier Mitarbeiter, selbst wenn<br />

ein Wettbewerbsverbot besteht <strong>und</strong> nur Aufträge eines Unternehmers ausgeführt werden. Dies wurde<br />

<strong>für</strong> einen Fall entschieden, in dem der Kurierdienstfahrer mit den K<strong>und</strong>en selbst abrechnete nach einer<br />

Preisliste des die Aufträge vermittelnden Unternehmers <strong>und</strong> da<strong>für</strong> dem Unternehmer eine monatliche<br />

Pauschalvergütung entrichtete. Gegen die Arbeitnehmereigenschaft sprach weiter, dass der Kurierdienstfahrer<br />

eigene Mitarbeiter einsetzte. 3<br />

Die Scheinselbständigkeit schränkt nicht nur den <strong>Arbeitsrecht</strong>sschutz ein sondern<br />

bewirkt auch Einnahmeausfälle in der Sozialversicherung. Der Gesetzgeber hat in §<br />

7 Abs. 4 SGB IV <strong>und</strong> § 2 Nr. 9 SGB VI die Kriterien der versicherungspflichtigen Beschäftigung<br />

verschärft. Diese Neuregelung gilt unmittelbar nur <strong>für</strong> das Sozialrecht.<br />

Sie enthält obendrein gewisse Indizien <strong>für</strong> die Frage ob eine Person Arbeitnehmer ist<br />

oder selbständig ist im arbeitsrechtlichen Sinne.<br />

1.2 Arbeitnehmer <strong>und</strong> Arbeitgeber<br />

Arbeitgeber ist, wer mindestens einen Arbeitnehmer beschäftigt. Der Arbeitnehmer<br />

muss nicht vollbeschäftigt sein. Arbeitnehmer ist, wer zur Arbeitsleistung aufgr<strong>und</strong><br />

eines Arbeitsvertrages verpflichtet ist.<br />

Jeder Arbeitnehmer ist entweder Angestellter oder Arbeiter. Die Unterscheidung ist<br />

<strong>für</strong> das Sozialversicherungsrecht bedeutsam. Der Angestellte ist bei der B<strong>und</strong>esversicherungsanstalt<br />

<strong>für</strong> Angestellte in Berlin, der Arbeiter bei einer Landesversiche-<br />

2 BAG NJW 1991 S. 520<br />

3 BAG NJW 2002 S. 2125 f


ungsanstalt versichert. In Anlehnung an § 133 Abs. 2 SGB VI gilt als Angestellter,<br />

wer überwiegend geistige, als Arbeiter, wer überwiegend körperliche Arbeit leistet.<br />

a. Berufsausbildungsverhältnis:<br />

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Der Ausbildungsvertrag dient vornehmlich einem Ausbildungszweck nach §1BBiG<br />

<strong>und</strong> ist damit kein echter Arbeitsvertrag. Für das Berufsausbildungsverhältnis gelten<br />

die <strong>für</strong> den Arbeitsvertrag bestimmten Vorschriften entsprechend, soweit sich aus<br />

dem Sinn des Ausbildungsvertrages nichts anderes ergibt.<br />

b. Arbeitnehmerähnliche Personen:<br />

Es gibt Dienstverhältnisse, bei denen die beschäftigte Person nicht in die Organisation<br />

des Dienstherrn eingeordnet ist <strong>und</strong> das Weisungsverhältnis nur gering ausgeprägt<br />

ist. Dennoch befindet sich die beschäftigte Person wegen ihrer wirtschaftlichen<br />

Abhängigkeit in einer ähnlichen Lage wie ein Arbeitnehmer. Diese Personen sind in<br />

bestimmten Bereichen ähnlich schutzbedürftig wie Arbeitnehmer. Sie werden als arbeitnehmerähnliche<br />

Personen bezeichnet. Sie sind Arbeitnehmer im Sinne des §§ 2,<br />

12 BUrlG, im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Auf sie finden die Vorschriften des<br />

TVG entsprechende Anwendung nach § 12 a TVG. Hierzu zählen:<br />

§§ 2 ff. HAG Heimarbeiter; dies ist, wer in selbst gewählter Wohnung oder Betriebsstätte<br />

allein im Auftrag von Gewerbetreibenden arbeitet <strong>und</strong> die Verwertung der Arbeitsergebnisse<br />

den Gewerbetreibenden überlässt.<br />

§§ 84 Abs. 1 HGB, 5 Abs. 3 ArbGG der Einfirmenhandelsvertreter.<br />

2. Die rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen des Arbeitsverhältnisses<br />

Es gibt im <strong>Arbeitsrecht</strong> keine umfassende Kodifikation <strong>und</strong> Rechtsgr<strong>und</strong>lage. Das<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong> ist in einer Vielzahl höchst verschiedener Gesetze geregelt. Daneben<br />

spielen Regelungen des kollektiven <strong>Arbeitsrecht</strong>s wie Tarifverträge, Betriebs- <strong>und</strong><br />

Personalvereinbarungen sowie die individuelle Ausgestaltung des einzelnen Arbeitsvertrages<br />

eine Rolle.<br />

2.1 Internationales Recht<br />

Die Übereinkommen der internationalen Arbeitsorganisation IAO sind völkerrechtliche Vereinbarungen.<br />

Sie entfalten eine innerstaatliche Bindungswirkung, wenn sie vom Mitgliedsstaat im Gesetzgebungsverfahren<br />

ratifiziert worden sind.<br />

Die Europäische Menschenrechtskonvention <strong>und</strong> die Europäische Sozialcharta, die der Europarat in<br />

Straßburg verabschiedet hat, sind völkerrechtliche Vereinbarungen <strong>und</strong> haben Gesetzesrang in<br />

Deutschland.<br />

Dem Recht der Europäischen Union kommt arbeitsrechtlich immer größere Bedeutung<br />

zu. Das EU-Recht stellt eine eigenständige Rechtsordnung mit Vorrang vor nationalem<br />

Recht dar, soweit es sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigungen<br />

hält. Das Recht der Europäischen Union besteht einmal aus


- Vertrag über die Europäische Union (EUV) <strong>und</strong><br />

- Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)<br />

- Verordnungen<br />

- Richtlinien,<br />

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EUV <strong>und</strong> AEUV sowie Verordnungen gelten unmittelbar in den Mitgliedsstaaten. Bislang<br />

gibt es nur wenige Verordnungen auf dem Gebiet des <strong>Arbeitsrecht</strong>s wie die VO<br />

1408/71 über die soziale Sicherheit der Wanderarbeiter in der Gemeinschaft.<br />

Das Europäische <strong>Arbeitsrecht</strong> basiert im Wesentlichen auf Richtlinien. Richtlinien<br />

wirken anders als Verordnungen nicht unmittelbar in den Mitgliedsstaaten. Sie verpflichten<br />

die Mitgliedsstaaten zur Umsetzung in nationales Recht. Es gilt der Gr<strong>und</strong>satz,<br />

dass sich das nationale Recht an die Vorgaben des Europäischen Rechts zu<br />

halten hat <strong>und</strong> diesem Anwendungsvorrang zukommt.<br />

2.2 Nationales Recht<br />

Für die Rechte <strong>und</strong> Pflichten von Arbeitnehmern <strong>und</strong> Arbeitgebern erscheint zunächst<br />

der geschlossene Arbeitsvertrag als maßgebend nach dem Gr<strong>und</strong>satz der<br />

Privatautonomie, auch Vertragsfreiheit genannt. Den Parteien steht es jedoch nicht<br />

völlig frei, was sie als Inhalt des Vertrages vereinbaren. Den arbeitsrechtlichen Vereinbarungen<br />

können gesetzliche <strong>und</strong> kollektivvertragliche Regeln vorgehen.<br />

a. Verfassung:<br />

Die im Gr<strong>und</strong>gesetz enthaltene Wertordnung wirkt auf alle Bereiche des nationalen<br />

Rechts <strong>und</strong> damit auch auf das <strong>Arbeitsrecht</strong> ein. Die arbeitsrechtlichen Normen müssen<br />

in Einklang mit der Verfassung stehen. Art. 6 GG verbietet Ehe <strong>und</strong> Familie zu beeinträchtigen.<br />

Deshalb ist eine Klausel im Arbeitsvertrag, nach der das Arbeitsverhältnis mit der Eheschließung<br />

endet – Zölibatsklausel - nach § 138 Abs. 1 BGB, Art. 6 Abs. 1 GG nichtig.<br />

b. B<strong>und</strong>esrecht <strong>und</strong> Landesrecht:<br />

Auf das Arbeitsverhältnis können Gesetze einwirken. Es gilt nach Art. 31 GG der<br />

Vorrang des B<strong>und</strong>esrechts vor dem Landesrecht. Landesrechtliche Bestimmungen<br />

müssen in Einklang mit dem höherrangigen B<strong>und</strong>esrecht stehen. Die Mehrzahl der arbeitsrechtlichen<br />

Bestimmungen findet sich in B<strong>und</strong>esgesetzen wie BUrlG, MuSchG. Zu den arbeitsrechtlichen<br />

Bestimmungen im Landesrecht zählen die Personalvertretungsgesetze.<br />

c. Tarifvertrag:<br />

Nach § 4 Abs. 1 S. 1 TVG gelten die Normen des Tarifvertrages unmittelbar <strong>und</strong><br />

zwingend zwischen den beiderseits Tarifgeb<strong>und</strong>enen. Sind einzelvertragliche Abmachungen<br />

in einem Arbeitsvertrag <strong>für</strong> den Arbeitnehmer günstiger als der Tarifvertrag, ist dies nach dem<br />

Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG unschädlich.<br />

aa. Tarifgeb<strong>und</strong>en sind beim Verbandstarifvertrag, der zwischen einem Arbeitgeberverband<br />

<strong>und</strong> einer Gewerkschaft geschlossen wurde, die Mitglieder der beiden Tarifvertragsparteien.<br />

Ist ein Arbeitgeber Mitglied des Arbeitgeberverbandes, der den Ta-


ifvertrag abgeschlossen hat, schuldet er die tariflichen Leistungen nur den Arbeitnehmern<br />

seines Betriebes, die Mitglied der Gewerkschaft sind, die den Tarifvertrag<br />

abgeschlossen hat. Anderen Arbeitnehmern, die nicht Mitglied der Gewerkschaft<br />

sind, schuldet er keine tariflichen Leistungen. Mancher Arbeitgeber gewährt seinen Arbeitnehmern<br />

die tariflichen Leistungen jedoch auf freiwilliger Basis, damit sich die Arbeitnehmer nicht<br />

veranlasst sehen, der Gewerkschaft beizutreten.<br />

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bb. Der Tarifvertrag hat keine unmittelbare Wirkung <strong>für</strong> Arbeitnehmer, die nicht Mitglied<br />

der am Tarifvertrag beteiligten Gewerkschaft sind oder deren Arbeitgeber nicht<br />

Mitglied des Arbeitgeberverbandes ist, der den Tarifvertrag abgeschlossen hat. Die<br />

Geltung des Tarifvertrags kann zwischen Nicht-Tarifgeb<strong>und</strong>enen freiwillig vertraglich<br />

vereinbart werden nach §§ 145 ff. BGB. Der Tarifvertrag kommt dann über die Einbeziehung<br />

in den Arbeitsvertrag - mittelbar - zur Anwendung.<br />

cc. Ein Tarifvertrag kann schließlich durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung des<br />

B<strong>und</strong>esministers <strong>für</strong> Arbeit auf Nicht-Tarifgeb<strong>und</strong>ene erstreckt werden nach § 5 TVG.<br />

d. Betriebsvereinbarung <strong>und</strong> Dienstvereinbarung:<br />

Betriebsvereinbarungen gelten nach § 77 BetrVG ebenso wie Dienstvereinbarungen<br />

nach § 73 LPVG zwingend <strong>für</strong> alle Arbeitsverhältnisse im Betrieb. Sie werden zwischen<br />

dem Arbeitgeber <strong>und</strong> dem Betriebs- bzw. Personalrat abgeschlossen. Sie gelten<br />

nur <strong>für</strong> die Arbeitnehmer des jeweiligen Betriebes <strong>und</strong> ohne Rücksicht auf eine<br />

Gewerkschaftszugehörigkeit. Es gilt der Vorrang des Tarifvertrages vor Betriebs- <strong>und</strong><br />

Dienstvereinbarungen.<br />

II. Das Arbeitsschutzrecht<br />

Das Arbeitsschutzrecht begründet öffentlich-rechtliche Pflichten des Arbeitgebers im<br />

Interesse des Arbeitnehmers. Diese Pflichten werden von den zuständigen Behörden<br />

mit Mitteln des öffentlichen Rechts wie <strong>Verwaltung</strong>sakt, öffentlich-rechtlicher Vertrag<br />

nebst Bußgeld <strong>und</strong> Strafsanktionen durchgesetzt. Daneben kann der Arbeitnehmer<br />

im Rahmen des zivilrechtlichen Vertrages deren Einhaltung vom Arbeitgeber fordern<br />

<strong>und</strong> bei Zuwiderhandlungen ggf. Schadensersatz verlangen.<br />

Die Schutzvorschriften lassen sich nach ihrem Schutzzweck unterscheiden in:<br />

- Allgemeine Schutzvorschriften schützen jedermann wie das ArbZG.<br />

- Besondere Schutzvorschriften dienen dem Schutz besonderer Personengruppen<br />

wie die Arbeitszeitregelungen <strong>für</strong> Jugendliche nach dem JArbSchG <strong>und</strong> das SGB IX <strong>für</strong><br />

schwerbehinderte Arbeitnehmer.<br />

- Technischer Gefahrenschutz schützt vor bestimmten Gefahren der erbrachten<br />

Arbeit <strong>und</strong> des Arbeitsumfeldes <strong>und</strong> dient zur Erhaltung der Ges<strong>und</strong>heit wie<br />

GefahrstoffVO, RöntgenVO.<br />

- Soziale Schutzvorschriften wie das KSchG, MuSchG <strong>und</strong> das SGB IX als<br />

Schutzgesetz <strong>für</strong> Schwerbehinderte enthalten weitergehende Kündigungsschutzvorschriften<br />

zugunsten des geschützten Personenkreises.


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Die Einhaltung der technischen Schutzvorschriften wird regelmäßig von den Gewerbeaufsichtsämtern<br />

kontrolliert. Daneben gibt es Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften<br />

nach § 15 SGB VII. Es handelt sich um zwingende öffentlich-rechtliche<br />

Normen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die zuständigen Behörden können mittels<br />

<strong>Verwaltung</strong>sakt Maßnahmen zur Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften<br />

anordnen <strong>und</strong> deren Durchsetzung mit Mitteln des <strong>Verwaltung</strong>szwanges erzwingen.<br />

Daneben kommt die Verhängung von Bußgeldern in Betracht. Dem Arbeitnehmer kann<br />

ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB zur Seite stehen. Er darf bis zur Erfüllung der Schutzvorschrift<br />

seine Arbeitsleistung zurückhalten. Das Entgelt ist ihm fort zu entrichten. Bei Schädigungen<br />

kann er nach §§ 611, 280 ff., 823 ff. BGB vorgehen.<br />

III. Das Individualarbeitsrecht<br />

Der Arbeitsvertrag ist andeutungsweise in §§ 611 ff. BGB geregelt. Deshalb gelten<br />

<strong>für</strong> ihn die Regelungen des Allgemeinen Teils des BGB, des Schuldrechts <strong>und</strong> die<br />

Regelungen über den gegenseitigen Vertrag, soweit keine Sonderregelungen eingreifen.<br />

Für den Arbeitsvertrag gilt gr<strong>und</strong>sätzlich die Vertragsfreiheit, auch Privatautonomie<br />

genannt, aus Art. 2 GG. Wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer<br />

<strong>und</strong> des Sozialstaatsprinzips aus Art. 20 GG wird die Vertragsfreiheit<br />

vom Staat durch verschiedene Gesetze eingeschränkt.<br />

Vertragsfreiheit bedeutet einmal Abschlussfreiheit. Jeder ist frei in der Entscheidung,<br />

ob <strong>und</strong> mit wem er einen Vertrag schließt. Dies kann dazu führen, dass bestimmte<br />

Personengruppen nur schwerlich einen Arbeitsplatz finden.<br />

Das SGB IX verfolgt in § 71 das Ziel, den Arbeitgeber zur Beschäftigung von<br />

Schwerbehinderten anzuhalten. Jedoch lässt sich hieraus kein Einstellungsanspruch<br />

herleiten sondern es besteht nur die Pflicht zur Leistung einer Ausgleichsabgabe<br />

nach § 77 SGB IX, wenn die vorgeschriebene Zahl Schwerbehinderter nicht beschäftigt<br />

wird.<br />

Vertragsfreiheit bedeutet obendrein Freiheit der inhaltlichen Gestaltung des Vertrages,<br />

die sogenannte Inhaltsfreiheit. Gerade bei einem Überangebot an Arbeitskräften<br />

könnte dies zu unzuträglichen Vertragsgestaltungen führen. Dies soll durch eine<br />

Reihe zwingender gesetzlicher Bestimmungen verhindert werden, wie<br />

- Entgeltschutz nach § 3 EFZG<br />

- Ges<strong>und</strong>heitsschutz nach § 3 ArbZG<br />

- Kündigungsschutz nach § 1 KSchG.<br />

Einseitige Ergebnisse zum Nachteil des schwächeren Arbeitnehmers werden vermieden,<br />

wenn beim Vertragsschluss ein Tarifvertrag Geltung beansprucht.. Hier führt<br />

das Prinzip der Vertragsfreiheit eher zu gerechten Ergebnissen, da annähernd gleich<br />

starke Parteien den Tarifvertrag schließen <strong>und</strong> diesen notfalls durch Arbeitskampf<br />

erzwingen können.<br />

Die Vertragsfreiheit der Parteien des Arbeitsvertrages wird durch den Tarifvertrag insoweit nicht eingeschränkt,<br />

als die einzelvertragliche Abmachung <strong>für</strong> den Arbeitnehmer günstiger sein darf als die<br />

tarifliche Regelung nach § 4 Abs. 3 TVG, das Günstigkeitsprinzip.


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Verträge gibt es auch auf betrieblicher <strong>und</strong> behördlicher Ebene. So kann der Betriebsrat<br />

nach § 77 BetrVG oder der Personalrat nach § 73 LPVG eine Betriebs- oder<br />

Dienstvereinbarung abschließen.<br />

1. Die Vertragsanbahnung<br />

Stellenausschreibungen müssen das Diskriminierungsverbot des § 7 i.V.m. § 1 AGG<br />

beachten. Niemand darf aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts,<br />

der Religion oder der Weltanschauung, wegen einer Behinderung, des<br />

Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden. Ausnahmen gelten nach § 8<br />

Abs. 1 AGG, wenn dies wegen der Art der Beschäftigung erforderlich ist. § 9 AGG<br />

räumt Religionsgemeinschaften <strong>und</strong> deren Einrichtungen ein, auf Religion <strong>und</strong> Weltanschauung<br />

abzustellen.<br />

Mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen entsteht unter den Beteiligten ein vertragsähnliches<br />

Vertrauensverhältnis nach § 311 Abs. 2, das nach § 241 Abs. 2 zur<br />

gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet. Die schuldhafte Verletzung der Pflicht<br />

zur Rücksichtnahme führt zu einer Haftung auf Schadensersatz nach § 280. Informiert<br />

der Arbeitgeber den Bewerber nicht über eine bevorstehende Insolvenz oder behauptet er wahrheitswidrig,<br />

der Betriebs- oder Personalrat habe der Einstellung schon zugestimmt obwohl dieser nicht<br />

informiert wurde <strong>und</strong> deshalb der Einstellung widerspricht, kann dies zu einem Schaden des Bewerbers<br />

führen, der im Vertrauen auf die Zusage seine bisherige Stelle aufgibt.<br />

Besonderheiten ergeben sich, wenn jemand unter Verletzung des Diskriminierungsverbots<br />

aus § 1 AGG nicht eingestellt wird. Es besteht kein Einstellungsanspruch des<br />

übergangenen Bewerbers. Jedoch kann ein Schadensersatzanspruch nach § 15<br />

AGG folgen.<br />

Der Bewerber hat gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Ersatz seiner Vorstellungskosten<br />

analog § 670 BGB, wenn er zum Vorstellungsgespräch aufgefordert<br />

wurde. Gleichwohl steht es dem Arbeitgeber im Rahmen der Privatautonomie frei,<br />

die Kostenerstattung ausdrücklich bei der Ausschreibung oder der Einladung zum<br />

Vorstellungsgespräch auszuschließen.<br />

Persönlichkeitstests wie graphologische Gutachten dürfen nur mit Zustimmung des Bewerbers durchgeführt<br />

werden.<br />

Die Einstellung kann von einer ärztlichen Untersuchung abhängig gemacht werden. Personalfragebögen<br />

können mit Zustimmung des Betriebs- bzw. Personalrats nach §§ 84 BetrVG, 79 Abs. 3 Nr. 4<br />

LPVG verwendet werden.<br />

Die Bewerbungsunterlagen des Bewerbers bleiben sein Eigentum. Er kann Rückgabe<br />

seines Eigentums nach § 985 BGB verlangen. Es handelt sich hierbei um eine<br />

Holschuld nach § 269 Abs. 1 BGB. Rücksendung der Unterlagen kann nur verlangt<br />

werden, wenn dies vereinbart wurde. Zu den Bewerbungsunterlagen zählen neben Schul- <strong>und</strong><br />

Arbeitszeugnissen, ein polizeiliches Führungszeugnis nach §§ 28 ff. BZRG.<br />

2. Die Begründung des Arbeitsverhältnisses


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11<br />

Für den Abschluss des Arbeitsvertrages gilt der Gr<strong>und</strong>satz der Vertragsfreiheit aus<br />

Art. 2 Abs. 1 GG. Der Arbeitsvertrag kommt durch Angebot <strong>und</strong> Annahme nach §§<br />

145 ff. BGB zustande. Eine Stellenausschreibung ist noch kein Angebot, sondern nur eine Aufforderung<br />

an die Allgemeinheit, ein Angebot zu machen – invitatio ad offerendum.<br />

Die Vertragsfreiheit wird durch Abschlussgebote <strong>und</strong> -verbote eingeschränkt.<br />

a. Gesetzliche Abschlussgebote:<br />

Die §§ 71 ff. SGB IX verpflichten den Arbeitgeber, eine bestimmte Zahl von Schwerbehinderten<br />

zu beschäftigen. Diese Pflicht besteht nur dem Staat gegenüber. Der<br />

einzelne Arbeitnehmer kann hieraus keinen Einstellungsanspruch herleiten. Als<br />

Druckmittel zum Abschluss von Arbeitsverträgen mit Schwerbehinderten sieht das Gesetz eine Ausgleichsabgabe<br />

vor.<br />

Auch aus § 7 AGG lässt sich kein Einstellungsanspruch herleiten. Diskriminierendes<br />

Verhalten kann allenfalls zu einem Anspruch auf Geldentschädigung führen.<br />

b. Abschlussverbote:<br />

Es gibt Beschäftigungsverbote <strong>für</strong> Kinder <strong>und</strong> Jugendliche nach dem JArbSchG. Aus<br />

arbeitsmarktpolitischen Gründen bedürfen verschiedene ausländische Arbeitnehmer<br />

vor Aufnahme der Beschäftigung einer Arbeitserlaubnis.<br />

c. Form:<br />

Arbeitsverträge sind gr<strong>und</strong>sätzlich formfrei. Verstöße gegen tarifvertragliche Formgebote<br />

wie § 2 Abs. 1 TVöD lassen die Wirksamkeit des Arbeitsvertrages unberührt.<br />

Sie sollen dem Arbeitnehmer nur die Beweisführung über den Inhalt des abgeschlossenen<br />

Arbeitsvertrages erleichtern.<br />

Zwar hat der Arbeitgeber nach § 2 Abs. 1 NachwG spätestens 1 Monat nach dem vereinbarten Beginn<br />

des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, zu unterzeichnen<br />

<strong>und</strong> dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Eine Formvorschrift <strong>für</strong> den Abschluss des Arbeitsvertrages<br />

enthält das NachwG jedoch nicht. Es enthält nur einen Anspruch auf Fixierung des bereits<br />

abgeschlossenen Vertrages. Dasselbe gilt nach § 11BBiG <strong>für</strong> Ausbildungsverträge.<br />

Nach § 14 Abs. 4 TzBfG bedarf die Befristung eines Arbeitsvertrages der Schriftform. Ist diese Schriftform<br />

nicht eingehalten, ist die Befristung nicht wirksam vereinbart. Jedoch ist der Arbeitsvertrag wirksam<br />

ohne diese Befristung abgeschlossen <strong>und</strong> es gilt – wie im Regelfall – ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.<br />

d. Geschäftsfähigkeit:<br />

Der Arbeitsvertrag setzt zwei gültige Willenserklärungen, Angebot <strong>und</strong> Annahme,<br />

nach §§ 145 ff. BGB voraus. Daran fehlt es, wenn eine Vertragspartei nach §§ 104 ff.<br />

BGB geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig ist. Für den minderjährigen<br />

Arbeitnehmer ist § 113 BGB wichtig. Haben ihn seine gesetzlichen Vertreter, regelmäßig<br />

die Eltern nach § 1629 BGB, zur Eingehung des Arbeitsvertrages ermächtigt,<br />

gilt er als unbeschränkt geschäftsfähig <strong>für</strong> den Abschluss, die Aufhebung <strong>und</strong> die<br />

Erfüllung des Arbeitsvertrages. § 113 BGB gilt nur <strong>für</strong> den Arbeitsvertrag, nicht hingegen <strong>für</strong> den<br />

Ausbildungsvertrag. Der Auszubildende kann sein Ausbildungsverhältnis nicht aufgr<strong>und</strong> des § 113<br />

BGB selbst wirksam kündigen. Er bedarf hierzu der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter.


e. Stellvertretung:<br />

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Der Abschluss eines Arbeitsvertrages kann durch einen Stellvertreter erfolgen, wenn<br />

dieser Vertretungsmacht nach § 164 Abs. 1 BGB hat. Meister, Sachabteilungs- <strong>und</strong> Referatsleiter<br />

haben eine solche Vertretungsmacht in Personalangelegenheiten regelmäßig nicht.<br />

f. Beteiligung des Betriebs- <strong>und</strong> Personalrats:<br />

Der Arbeitgeber hat vor Abschluss eines Arbeitsvertrages nach §§ 99 Abs. 1 BetrVG,<br />

76 Abs. 1 Nr. 1 LPVG die Zustimmung des Betriebs- bzw. Personalrats einzuholen.<br />

Diese kann durch das Arbeitsgericht ersetzt werden. Eine ohne Zustimmung erfolgte<br />

Einstellung ist nicht unwirksam. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer jedoch nicht<br />

in den Betrieb eingliedern.<br />

g. Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung:<br />

Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung gemäß § 81 Abs. 1 SGB IX<br />

über Bewerbungen schwerbehinderter Menschen <strong>und</strong> über Vermittlungsvorschläge<br />

des Arbeitsamtes zur Einstellung Schwerbehinderter zu unterrichten.<br />

3. Mängel des Arbeitsvertrages<br />

Entgegen § 139 BGB gilt beim Arbeitsvertrag die Regel, dass die Unwirksamkeit einer<br />

Vertragsklausel nicht zur Gesamtunwirksamkeit des Vertrages führt. Es ist nur<br />

die betroffene Vertragsklausel unwirksam, nicht hingegen der gesamte Vertrag. Unterläuft<br />

bei Abschluss des Arbeitsvertrages ein Fehler, kann dieser deshalb nur ausnahmsweise zur<br />

Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses führen. Der Geldfälscher G beschäftigt den Drucker D aufgr<strong>und</strong><br />

eines Arbeitsvertrages, damit dieser <strong>für</strong> ihn Blüten herstellt. Der Arbeitsvertrag ist nach §§134 BGB,<br />

146 StGB nichtig.<br />

Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung i.S. von Lohnwucher nach § 138<br />

BGB liegt vor, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche<br />

<strong>und</strong> Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht. Anstelle der unwirksamen Vereinbarung<br />

tritt der Anspruch aus § 612 Abs. 2 BGB auf übliche Vergütung. 4<br />

a. Nichtigkeitsgründe:<br />

Die Nichtigkeit des Arbeitsvertrages kann sich ergeben aus<br />

- §§ 104 ff. BGB Geschäftsunfähigkeit eines Vertragspartners oder fehlende<br />

Zustimmung der gesetzlichen Vertreter bei beschränkter Geschäftsfähigkeit<br />

- § 134 BGB Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot<br />

- § 138 BGB Sittenwidrigkeit des Vertrags.<br />

Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB kann jede Rechtsnorm sein. Auch Tarifverträge<br />

<strong>und</strong> Betriebsvereinbarungen fallen darunter.<br />

4 BAG JA 2010 S. 830


. Anfechtbarkeit:<br />

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Der Arbeitsvertrag kann wegen Irrtums bei Vertragsabschluss nach §§ 119, 123 BGB<br />

angefochten werden.<br />

aa. Zu einer Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB berechtigt der Irrtum über eine verkehrswesentliche<br />

Eigenschaft des Vertragspartners. Hierzu zählen dessen Vorbildung, berufliche<br />

Fähigkeiten. Erheblich sind nur Eigenschaften, die in unmittelbarer Beziehung zum Inhalt des<br />

Arbeitsvertrages stehen. Die Schwangerschaft ist keine verkehrswesentliche Eigenschaft im Sinne<br />

des § 119 Abs. 2 BGB, da sie kein Dauerzustand ist. Vor allem würde eine Anfechtung dem Sinn des<br />

Mutterschutzes widersprechen. Selbst bei Bestehen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes<br />

rechtfertigt die Schwangerschaft nicht die Anfechtung, da das Beschäftigungsverbot nur vorübergehender<br />

Natur ist. Mangels Dauerhaftigkeit fallen kürzere Erkrankungen nicht darunter. Vorstrafen<br />

sind zwar keine Eigenschaften, sie lassen jedoch Rückschlüsse auf Eigenschaften zu. Nach erfolgter<br />

Streichung aus dem B<strong>und</strong>eszentralregister müssen Vorstrafen nicht mehr offenbart werden.<br />

Bewirbt sich ein Arbeitnehmer mit einem gefälschten Zeugnis um eine Stelle <strong>und</strong><br />

wird er auf der Gr<strong>und</strong>lage dieses Zeugnisses eingestellt, so kann der Arbeitgeber<br />

das Arbeitsverhältnis aufgr<strong>und</strong> arglistiger Täuschung anfechten. Das gilt auch, wenn<br />

er erst 8 ½ Jahre später von der Täuschung erfährt <strong>und</strong> die Leistungen des Arbeitnehmers<br />

beanstandungsfrei waren. 5<br />

bb. Vor der Einstellung eines Arbeitnehmers wird diesem in der Regel eine Reihe<br />

von Fragen gestellt. Der Vertrag kann nach § 123 BGB wegen arglistiger<br />

Täuschung angefochten werden, wenn der Arbeitnehmer beim Einstellungsgespräch<br />

unvollständige oder falsche Antworten gibt. Der Arbeitnehmer muss nur vollständig<br />

<strong>und</strong> wahrheitsgemäß auf zulässige Fragen antworten. Der Arbeitnehmer muss nur<br />

Fragen beantworten, die in einem Sachzusammenhang mit dem Arbeitsplatz <strong>und</strong> der<br />

Arbeitsleistung stehen. Auf unzulässige Fragen muss der Arbeitnehmer nicht antworten.<br />

Der Schutz der Arbeitnehmerinteressen wird dadurch gestärkt, dass Personalfragebögen der<br />

erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebs- <strong>und</strong> Personalrats unterliegen nach §§ 94 Abs. 1 BetrVG,<br />

79 Abs. 3 Nr. 4 LPVG.<br />

Ausnahmsweise muss der Arbeitnehmer von sich aus gewisse <strong>für</strong> das Arbeitsverhältnis<br />

wichtige Umstände offenbaren, selbst wenn er hiernach nicht gefragt wurde.<br />

Fehlender Führerschein eines Bewerbers <strong>für</strong> eine LKW-Fahrerstelle.<br />

Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB setzt eine widerrechtliche<br />

Täuschungshandlung voraus. Stellt der Arbeitgeber vor der Einstellung<br />

eine unzulässige Frage, steht dem Arbeitnehmer nicht nur ein Recht auf Verweigerung<br />

der Antwort sondern ein Recht zur Lüge zu. Er muss die unzulässige Frage<br />

nicht wahrheitsgemäß beantworten <strong>und</strong> darf sogar die Unwahrheit sagen. Ansonsten<br />

liefe er Gefahr, infolge der unzulässigen Frage <strong>und</strong> der Ablehnung der Beantwortung,<br />

dem Ausweichen auf die Frage, die Stelle garantiert nicht zu bekommen. Zu den unzulässigen<br />

Fragen gehört die Frage nach der Schwangerschaft. Diese Frage verstößt gegen den<br />

Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz aus Art. 3 GG, da sie nur Frauen gestellt werden kann. Würde die<br />

Schwangere auf die Frage hin antworten, dass sie die Frage nicht zu beantworten brauche, würde sie<br />

Gefahr laufen, dass der Arbeitgeber ihr die Arbeitsstelle erst recht nicht geben wird. Die ausweichen-<br />

5 LAG Baden-Württemberg v. 13.10.2006, 5 Sa 25/06


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de Antwort würde ihm Anlass zu Misstrauen geben. Deshalb darf sie trotz bestehender Schwangerschaft<br />

antworten, sie sei nicht schwanger.<br />

Unzulässig sind weiterhin die Fragen nach einer Gewerkschafts- oder Konfessionszugehörigkeit wegen<br />

Art. 9 Abs. 3 GG <strong>und</strong> Art. 4 GG. Eine Ausnahme von der Unzulässigkeit ist anerkannt, wenn der<br />

Arbeitgeber zu einer Gewerkschaft oder Kirche gehört. In diesen Fällen hat er ein berechtigtes Interesse<br />

an der Loyalität seines zukünftigen Mitarbeiters.<br />

c. Nichtigkeitsfolgen:<br />

Das Vorliegen eines Nichtigkeitsgr<strong>und</strong>es bewirkt die automatische Nichtigkeit des<br />

Arbeitsvertrages von Anfang an. Ist ein Vertrag nichtig, können aus diesem weder<br />

Rechte noch Pflichten hergeleitet werden. Die Anfechtung führt gemäß § 142 BGB<br />

zur rückwirkenden Nichtigkeit – rückwirkend auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.<br />

Der Vertrag gilt als nicht bestehend. Diese Rechtsfolge ist angemessen,<br />

wenn die Anfechtung noch vor Antritt des Arbeitsverhältnisses erfolgt.<br />

Wird das Arbeitsverhältnis erst nach Antritt der Arbeit angefochten, weil erst jetzt<br />

der Irrtum bewusst wird, wäre das Arbeitsverhältnis nach der Regel des § 142 BGB<br />

ebenfalls von Anfang an nichtig. Die empfangenen Leistungen müssten dann nach<br />

den Regeln des § 812 BGB über die ungerechtfertigte Bereicherung rückabgewickelt<br />

werden. Diese Rückabwicklung kann zu erheblichen Schwierigkeiten <strong>und</strong> unbilligen<br />

Ergebnissen <strong>für</strong> den Arbeitnehmer führen. Der Arbeitgeber kann behaupten, dass die<br />

erbrachte Arbeitsleistung faktisch wertlos, unbrauchbar war <strong>und</strong> zu keiner Bereicherung<br />

geführt hat. Deshalb herrscht in Lehre <strong>und</strong> Rechtsprechung Einigkeit darüber,<br />

dass entgegen dem Wortlaut des § 142 BGB nach Antritt der Arbeit die Anfechtung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nur Wirkung <strong>für</strong> die Zukunft hat. 6 Die in der Vergangenheit erbrachten<br />

Leistungen gelten aufgr<strong>und</strong> eines faktischen Arbeitsverhältnisses als wirksam erbracht.<br />

Dasselbe gilt, wenn ein geschäftsunfähiger Arbeitnehmer einen Vertrag abgeschlossen hat <strong>und</strong> die<br />

Arbeit aufgenommen hat. Da die Nichtigkeit des Vertrages wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit zum<br />

Schutz des Geschäftsunfähigen dienen soll, kann der Arbeitgeber sich nicht auf die Nichtigkeit des<br />

Arbeitsvertrages <strong>für</strong> die Vergangenheit berufen, während der der Arbeitnehmer die Arbeit erbracht hat.<br />

Trotz Nichtigkeit nach §§ 105, 142 BGB wird das Arbeitsverhältnis in den dargestellten<br />

Fällen <strong>für</strong> die Vergangenheit als wirksam betrachtet, sog. faktisches Arbeitsverhältnis.<br />

Die Nichtigkeit hat nur <strong>für</strong> die Zukunft Wirkung. Die Beteiligten können<br />

sich durch einseitige Erklärung vom Vertrag lösen.<br />

d. Klauselkontrolle:<br />

Die Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen <strong>und</strong> Verbraucherverträge<br />

finden auf Arbeitsverträge nach § 310 Abs. 4 BGB keine unbeschränkte sondern nur<br />

angemessene Anwendung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses.<br />

Jedoch finden die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2<br />

<strong>und</strong> Abs. 3 BGB keine Anwendung. Hier kommt das NachwG als Sonderregelung zur<br />

Anwendung. Der Verstoß gegen Klauselverbote aus §§ 307- 309 BGB führt gemäß §<br />

306 BGB nur zur Unwirksamkeit der betreffenden Klausel. Der Vertrag als solcher<br />

6 Rechtsfortbildung im Wege der teleologische Reduktion.


wird davon nicht berührt. Anstelle der unwirksamen Klausel tritt die gesetzliche Regelung.<br />

e. Geltung von Tarifverträgen:<br />

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Der Inhalt von Arbeitsverträgen kann durch Tarifverträge geregelt werden. Tarifverträge<br />

können in folgenden Fällen zur Anwendung kommen.<br />

aa. Tarifbindung besteht nach § 3 TVG, wenn sowohl der Arbeitgeber wie auch der<br />

Arbeitnehmer Mitglied der Verbände sind, die den Tarifvertrag abgeschlossen haben.<br />

bb. Wird ein Tarifvertrag nach § 5 TVG vom B<strong>und</strong>esminister <strong>für</strong> Arbeit <strong>für</strong> allgemeinverbindlich<br />

erklärt, gilt er auch <strong>für</strong> nicht tarifgeb<strong>und</strong>ene Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer.<br />

cc. Im Arbeitsvertrag kann nach §§ 145 ff. BGB die Geltung des Tarifvertrages einvernehmlich<br />

<strong>für</strong> anwendbar erklärt werden.<br />

Kommt ein Tarifvertrag unter diesen Voraussetzungen zur Anwendung darf von seinen<br />

Bestimmungen nicht durch Individualvertrag oder Betriebsvereinbarung abgewichen<br />

werden außer nach § 4 Abs. 3 TVG, wenn der Tarifvertrag dies gestattet oder<br />

die Abweichung sich zugunsten des Arbeitnehmers auswirkt.<br />

Für den öffentlichen Dienst wurde von den Koalitionspartnern der Tarifvertrag öffentlicher<br />

Dienst (TVöD) geschaffen. Der TVöD hat einerseits zum Ziel, die Rechtsstellung<br />

der Angestellten der Rechtsstellung der Beamten anzugleichen, soweit dies erforderlich<br />

ist, weshalb einige Regelungen im TVöD Parallelen zum Beamtenrecht haben wie die<br />

Regelung von Nebentätigkeiten nach § 3 Abs. 3 TVöD, <strong>und</strong> andererseits <strong>für</strong> eine notwendige<br />

Flexibilisierung zu sorgen.<br />

Da nur wenige der Arbeitgeber <strong>und</strong> der Arbeitnehmer Mitglieder der Verbände sind, die den TVöD<br />

abgeschlossen haben, kommt dieser in den wenigsten Fällen über § 3 TVG zur Anwendung. Häufig<br />

wird er auf freiwilliger Basis über §§ 145 ff. BGB in den Arbeitsvertrag einbezogen.<br />

4. Die Pflichten des Arbeitnehmers<br />

Der Arbeitnehmer hat die Arbeit gr<strong>und</strong>sätzlich in eigener Person nach § 613 BGB zu<br />

leisten. Er darf keine Ersatzkraft schicken. Stirbt der Arbeitnehmer, so geht die Verpflichtung<br />

zur Arbeitsleistung nicht nach §§ 1922, 1967 BGB auf die Erben über.<br />

Stirbt der Arbeitgeber, treten seine Erben nach §§ 1922, 1967 BGB in das Arbeitsverhältnis<br />

ein. Das Arbeitsverhältnis besteht fort.<br />

Nach § 613 BGB ist der Anspruch des Arbeitgebers auf die Arbeitsleistung im Zweifel<br />

nicht übertragbar. Der Arbeitgeber kann also seinen Arbeitnehmer nicht an einen anderen<br />

Arbeitgeber abgeben. Es können im Arbeitsvertrag hiervon abweichende Vereinbarungen<br />

getroffen werden. Arbeitnehmerüberlassung, Zeitarbeitsfirmen.<br />

a. Art der Arbeitsleistung:


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16<br />

Die Art der Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer zu erbringen hat, ergibt sich aus<br />

dem Arbeitsvertrag <strong>und</strong> den sonstigen rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen. Im Arbeitsvertrag<br />

werden meistens nur Art <strong>und</strong> Umfang der Arbeit vereinbart. Die Einzelheiten der vom<br />

Arbeitnehmer zu erbringenden Leistungen ergeben sich regelmäßig nicht aus dem<br />

Arbeitsvertrag. Zur Konkretisierung der jeweiligen Pflichten des Arbeitnehmers hat<br />

der Arbeitgeber deshalb ein Direktionsrecht hinsichtlich der Ausführung der Arbeit<br />

nach § 315 BGB. Das Weisungsrecht muss sich im Rahmen der Gesetze <strong>und</strong> des<br />

Arbeitsvertrages halten. Die Grenzen der gesetzlichen Arbeitszeitregelungen nach dem ArbZG<br />

dürfen nicht überschritten werden. Von der Halbtagskraft darf ohne deren Einverständnis keine Vollzeittätigkeit<br />

verlangt werden. Im Einzelfall kann das Weisungsrecht durch Gr<strong>und</strong>rechte des Arbeitnehmers<br />

begrenzt sein.<br />

Vielfach ist das Weisungsrecht des Arbeitgebers durch ein Mitbestimmungsrecht des<br />

Betriebsrats nach § 87 BetrVG oder des Personalrats nach § 79 LPVG eingeschränkt.<br />

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht<br />

bei der Festlegung von Beginn <strong>und</strong> Ende der täglichen Arbeitszeit. Eine weitere<br />

Einschränkung kann sich daraus ergeben, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer<br />

über einen langen Zeitraum nur mit bestimmten Aufgaben betraut hat. Hier konkretisiert<br />

sich die Arbeitspflicht auf diesen Aufgabenbereich.<br />

Änderungen kann der Arbeitgeber nur durch eine Änderungskündigung herbeiführen.<br />

Überschreitet der Arbeitgeber sein Weisungsrecht, darf der Arbeitnehmer die zugewiesene<br />

Arbeit verweigern. In Notfällen können ausnahmsweise andere als die vereinbarten<br />

Arbeiten vom Arbeitnehmer nach § 242 BGB gefordert werden.<br />

b. Ort der Arbeit:<br />

Für den Leistungsort gilt gr<strong>und</strong>sätzlich § 269 BGB. Regelmäßig ist die Arbeit im Betrieb<br />

des Arbeitgebers zu erbringen. Es ist eine Holschuld des Arbeitnehmers. Bei<br />

einer Betriebsverlegung muss der Arbeitnehmer an der neuen Betriebsstätte arbeiten,<br />

soweit ihm dies zumutbar ist, wobei z.B. der Arbeitsweg zu berücksichtigen ist.<br />

Ist dem Arbeitnehmer eine Weiterarbeit nicht zuzumuten, so behält er gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

ohne Weiterarbeit seinen vertraglichen Lohnanspruch. Die Betriebsverlegung gibt<br />

dem Arbeitgeber regelmäßig einen Gr<strong>und</strong> zur Änderungskündigung. Gleichwohl sind<br />

viele Arbeitnehmer zur einvernehmlichen Änderung des Arbeitsvertrages <strong>und</strong> Vereinbarung<br />

eines neuen Arbeitsortes bereit, um das Arbeitsverhältnis nicht zu verlieren.<br />

Dies kann nach §§ 111, 112 BetrVG sozialplanpflichtig sein. § 4 Abs. 1 TVöD sieht weitergehende<br />

Versetzungsmöglichkeiten vor.<br />

c. Arbeitszeit:<br />

Arbeitszeit ist nach § 2 Abs. 1 ArbZG die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit<br />

ohne Ruhepause. Die gesetzlichen Regeln dienen dem Schutz des Arbeitnehmers.<br />

Sie sind öffentlich-rechtliche Normen, enthalten Straf- <strong>und</strong> Bußgeldvorschriften <strong>für</strong><br />

den Arbeitgeber <strong>und</strong> wirken über § 134 BGB auf die getroffenen Vereinbarungen ein.<br />

Zu beachten sind das ArbZG, §§ 7, 8 MuSchG, 8 ff. JArbSchG u.a..Tarifverträge<br />

können gemäß § 7 ArbZG die regelmäßige gesetzliche Höchstgrenze der täglichen<br />

Arbeitszeit erweitern.


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In Betriebsvereinbarungen wird häufig die Lage der Arbeitszeit auf betrieblicher Ebene<br />

geregelt gemäß §§ 87 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BetrVG, 79 Abs. 1 Nr. 1 LPVG. Kernzeitenregelung,<br />

Gleitzeitreglung.<br />

Das ArbZG enthält keine Regelungen bezüglich der Vergütung der<br />

Mehrarbeit - Überschreitung der gesetzlichen täglichen Arbeitszeit - <strong>und</strong><br />

Überst<strong>und</strong>en - Überschreitung der einzel- oder tarifvertraglichen Arbeitszeit.<br />

Die Vergütung zusätzlicher Arbeit kann Gegenstand freier Übereinkünfte im Arbeits-<br />

oder Tarifvertrag sein. Da Mehrarbeit <strong>und</strong> Überst<strong>und</strong>en ebenso wie die normale Arbeitsleistung<br />

nur gegen Entgelt zu erwarten sind, ergibt sich ein Vergütungsanspruch<br />

trotz fehlender Regelung gr<strong>und</strong>sätzlich aus § 612 BGB. Ob darüber hinaus noch ein<br />

besonderer Zuschlag zu zahlen ist, richtet sich nach der Betriebs- oder Branchenüblichkeit.<br />

Kurzarbeit ist die vorübergehende Herabsetzung der vereinbarten Arbeitszeit. Wird<br />

sie vom Arbeitgeber einseitig angeordnet, so führt das nicht zu einer entsprechenden<br />

Lohnkürzung. Der Arbeitgeber gerät nach § 615 BGB lediglich in Annahmeverzug.<br />

Um nicht den vollen Lohn zahlen zu müssen, werden Kurzarbeitsklauseln vereinbart.<br />

Kurzarbeitsklauseln werden oft in Tarifverträgen aufgenommen. Sie können auch<br />

durch eine Betriebsvereinbarung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG vereinbart werden<br />

oder im Einzelarbeitsvertrag. Die Zahlung von Kurzarbeitergeld aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung<br />

ist in §§ 169 ff. SGB III geregelt.<br />

d. Sonstige Pflichten:<br />

Den Arbeitnehmer trifft die Pflicht, den Weisungen des Arbeitgebers nachzukommen.<br />

Er hat dem Direktionsrecht des Arbeitgebers Folge zu leisten. Das Direktionsrecht<br />

ermöglicht es dem Arbeitgeber, die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebene<br />

Leistungspflicht im Einzelnen nach Zeit, Ort <strong>und</strong> Art zu bestimmen nach § 315<br />

BGB. Die in § 315 BGB geforderte Billigkeit bei Ausübung des Weisungsrechts kann mit den verfassungsrechtlich<br />

geschützten Positionen des Arbeitnehmers kollidieren wie beim Kopftuchstreit mit Art.<br />

4 GG. Ein Ausgleich mit dem Recht des Unternehmers aus Art. 12 GG ist im Rahmen praktischer<br />

Konkordanz zu suchen. 7<br />

Der Arbeitnehmer hat die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange des Arbeitgebers<br />

nach § 241 Abs. 2 BGB. Hierzu kann eine<br />

- Überwachungs- <strong>und</strong> Anzeigepflicht von drohenden Schäden<br />

- Pflicht, keine falschen Angaben zu machen wie falsche Entschuldigung bei<br />

Dienstversäumnis<br />

- Pflicht, sich nicht bestechen zu lassen<br />

- Pflicht zur Kleidung entsprechend dem Charakter des Betriebs <strong>und</strong> der K<strong>und</strong>schaft<br />

8<br />

zählen.<br />

Den Arbeitnehmer trifft eine Verschwiegenheitspflicht. Diese erstreckt sich auf alle<br />

Betriebs- <strong>und</strong> Geschäftsgeheimnisse. Diese Tatsachen sollen nach dem Willen des<br />

7 BAG NJW 2003 S. 1685, 1686 f.<br />

8 BAG NJW 2003 S. 1685, 1686


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Arbeitgebers im Rahmen seines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten<br />

werden. Der Verrat eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses ist nach § 17 UWG strafbar.<br />

Der Arbeitnehmer kann zum Schadensersatz verpflichtet werden. Die Verschwiegenheitspflicht<br />

kann durch gesetzliche Vorschriften oder durch Weisungen des Arbeitgebers<br />

begründet werden, wie es §§ 203 StGB, 3 Abs. 1 TVöD vorsehen. Hierbei geht es<br />

weniger um technische <strong>und</strong> wirtschaftliche Betriebsgeheimnisse sondern um persönliche<br />

<strong>und</strong> soziale Daten, die von Ratsuchenden <strong>und</strong> Antragstellern offenbart werden.<br />

Aufgr<strong>und</strong> einer Verschwiegenheits- <strong>und</strong> Interessenwahrungspflicht ist der Arbeitnehmer gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

gehalten, von Anzeigen gegen den Arbeitgeber abzusehen. Er hat sich zunächst innerbetrieblich um<br />

Abhilfe zu bemühen, ggf. den Betriebs- oder Personalrat einzuschalten, den Vorgesetzten oder Arbeitgeber<br />

selbst zu unterrichten. Führen diese Maßnahmen nicht zum Erfolg, darf sich der Arbeitnehmer<br />

an die außerbetrieblichen zuständigen Stellen wenden.<br />

Nur ausnahmsweise ist der Arbeitnehmer befugt, unmittelbar die zuständigen Behörden zu informieren,<br />

so wenn eine Abhilfe nicht möglich ist, nicht zu erwarten ist oder unzumutbar ist. Nach dem<br />

Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit muss der Arbeitnehmer versuchen, den unschädlichsten Weg zur<br />

Aufdeckung <strong>und</strong> Abschaffung der Missstände zu suchen. Der Arbeitnehmer ist in der Regel nicht berechtigt,<br />

Presse, R<strong>und</strong>funk oder Fernsehen einzuschalten.<br />

Analog § 667 BGB hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber herauszugeben, was er<br />

anlässlich der Arbeitsleistung erlangt hat. Hierzu zählen Schmiergelder <strong>und</strong> Bonusmeilen aus<br />

einem Vielfliegerprogramm, soweit der Arbeitgeber die Flüge bezahlt hat. 9<br />

Gesetzlich ist ein Wettbewerbsverbot <strong>für</strong> Handlungsgehilfen nach §§ 60 ff. HGB geregelt,<br />

wonach der Arbeitnehmer keine Konkurrenztätigkeit ausüben darf. Oft werden<br />

in anderen Bereichen entsprechende Vereinbarungen über Wettbewerbsverbote getroffen.<br />

Nach § 3 Abs. 3 TVöD sind Nebentätigkeiten anzeigepflichtig, selbst wenn es<br />

sich um keine Konkurrenztätigkeit handelt.<br />

Im öffentlichen Dienst ist vom Arbeitnehmer der Dienstweg bei Anträgen, Anfragen<br />

<strong>und</strong> Beschwerden einzuhalten.<br />

e. Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers:<br />

Kommt der Arbeitnehmer seinen vertraglichen Pflichten nicht nach, kann der Arbeitgeber<br />

vor dem Arbeitsgericht auf Erfüllung klagen <strong>und</strong> ein Urteil erstreiten, das den<br />

Arbeitnehmer zum Handeln verurteilt. Aus einem Urteil auf Arbeitsleistung ist nach §<br />

888 Abs. 3 ZPO die Zwangsvollstreckung nicht möglich. Auf Antrag des Arbeitgebers<br />

kann das Gericht nach freiem Ermessen den Arbeitnehmer zur Entschädigungspflicht<br />

verurteilen, wenn er die Handlung nicht innerhalb einer bestimmten Frist vornimmt, §<br />

61 Abs. 2 S. 1 ArbGG. Der Arbeitgeber kann nach § 320 BGB die Lohnzahlung ganz<br />

oder teilweise verweigern, bis der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbringt.<br />

Bei einer Schlechtleistung des Arbeitnehmers entfällt § 320 BGB, weil der Arbeitnehmer<br />

die Leistung – zwar schlecht aber trotzdem– erbracht hat. Der Arbeitgeber<br />

darf das Arbeitsentgelt nicht zurückbehalten. Der Arbeitgeber ist nicht befugt, die<br />

Vergütung entsprechend zu kürzen. Im Dienstvertragsrecht gibt es anders als bei<br />

9 BAG in JA 2007 S. 464 f


Kauf, Miete <strong>und</strong> Werkvertrag kein Minderungsrecht. Bei Schlechtleistung ist eine<br />

Lohnminderung nur zulässig, wenn dies vertraglich explizit vorgesehen wurde.<br />

f. Haftungsbeschränkung:<br />

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19<br />

Bei schuldhafter Nichtleistung oder Schlechtleistung erwächst dem Arbeitgeber ein<br />

Schadensersatzanspruch aus §§ 280 ff., 823 ff. BGB oder ein Regressanspruch aus<br />

§§ 426, 840 BGB, wenn ein Dritter geschädigt wurde. Das Gesetz sieht nach § 276<br />

BGB als Verschuldensmaßstab Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit vor. Hiernach müsste der<br />

Arbeitnehmer bei leichtester Fahrlässigkeit dem Arbeitgeber den Schaden voll ersetzen,<br />

selbst wenn dessen Höhe die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers weit übersteigt.<br />

Aus dem Betriebsrisikogedanken wurde eine Haftungsbeschränkung <strong>für</strong><br />

den Arbeitnehmer hergeleitet. Sie setzt voraus, dass der Arbeitnehmer den Schaden<br />

durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht hat. Die Tätigkeit, die zum Schaden<br />

geführt hat, muss dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber übertragen worden sein oder<br />

im Interesse <strong>für</strong> den Arbeitgeber <strong>für</strong> den Betrieb ausgeführt worden sein. Der Arbeitnehmer<br />

haftet dann<br />

- bei Vorsatz voll<br />

- bei grober Fahrlässigkeit gr<strong>und</strong>sätzlich voll<br />

- bei mittlerer Fahrlässigkeit anteilig<br />

- bei leichter Fahrlässigkeit nicht.<br />

§ 3 Abs. 6 <strong>und</strong> Abs. 7 TVöD sehen weitergehende Haftungsbeschränkungen vor.<br />

Bei Vorsatz haftet der Arbeitnehmer voll. Eine vorsätzliche Pflichtverletzung führt nur<br />

dann zur vollen Haftung des Arbeitnehmers, wenn auch der Schaden vom Vorsatz<br />

erfasst ist. 10 Bei grob fahrlässigem Verhalten kann jedoch im Einzelfall die Haftung<br />

des Arbeitnehmers nach § 254 beschränkt sein, wenn der Arbeitgeber durch eigenes<br />

Verhalten das Schadensrisiko erhöht hat oder der Ersatz des vollen Schadens den<br />

Arbeitnehmer unangemessen wirtschaftlich ruinieren würde. Eine Aufteilung scheidet<br />

jedoch aus, wenn der Arbeitnehmer mit gröbster Fahrlässigkeit gehandelt hat.<br />

Anteilige Haftung bei mittlerer Fahrlässigkeit bedeutet in der Regel eine Haftung zu<br />

50 %. Hierzu können sich Abweichungen ergeben im Rahmen einer Abwägung der<br />

Gesamtumstände wie Grad des Verschuldens, gefahrgeneigte Tätigkeit, Schadenshöhe, ein vom<br />

Arbeitgeber einkalkuliertes Risiko, die Höhe des Arbeitsentgelts <strong>und</strong> die Frage, ob im Arbeitsentgelt<br />

eine Risikoprämie enthalten ist. Die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb <strong>und</strong> persönliche Umstände<br />

sind ebenfalls zu berücksichtigen wie Dauer der Betriebszugehörigkeit, bisheriges Verhalten, Lebensalter<br />

<strong>und</strong> Familienverhältnisse. 11 Beim Arbeitgeber ist zu berücksichtigen, ob er dem Arbeitnehmer<br />

einen besonderen Risikozuschlag zahlt oder das Schadensrisiko versichert hat.<br />

Für Arbeitnehmer kann eine Mankohaftung entstehen, wenn sie im Rahmen ihrer<br />

Arbeit Warenlager, Kassenbestände, Gerätschaften zu verwalten haben. Für Fehlbestände<br />

in diesem Bereich gelten die beschriebenen Haftungsgr<strong>und</strong>sätze. Kann der<br />

Arbeitnehmer Gegenstände, die er zu verwahren hat, nicht herausgeben, so kommt es <strong>für</strong> die Frage<br />

der Beweislast darauf an, ob der Arbeitnehmer Alleinbesitzer war. Nur wenn der Arbeitnehmer Alleinbesitz<br />

hatte, trifft ihn die Beweislast über den Verbleib der Gegenstände. Kommt ein Diebstahl durch<br />

Dritte in Betracht, ist zu prüfen, in welchem Grad der Arbeitnehmer seine Sorgfaltspflicht verletzt hat.<br />

10 BAG JuS 2003 S. 510<br />

11 BAG AP Br. 106 zu § 611 BGB


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20<br />

Es ist hierbei die vom Arbeitgeber zu verantwortende Betriebsorganisation zu berücksichtigen. Eine<br />

vertragliche Vereinbarung über eine weitergehende Mankohaftung des Arbeitnehmers ist nur wirksam,<br />

wenn der Arbeitnehmer eine angemessene Gegenleistung hier<strong>für</strong> erhält.<br />

g. Betriebsbußen:<br />

Zur Ahndung von Verstößen gegen die betriebliche Ordnung werden in manchen<br />

Betrieben in Abstimmung mit Betriebs- <strong>und</strong> Personalrat Betriebsbußen verhängt<br />

nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Die Rechtsprechung bejaht die Zulässigkeit von Betriebsbußen<br />

als Ausfluss der autonomen Gewalt der Betriebspartner.<br />

h. Kündigung:<br />

Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers können die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

<strong>für</strong> den Arbeitgeber unzumutbar machen. Es kommen Abmahnung <strong>und</strong> Kündigung<br />

in Betracht nach §§ 620 BGB, 1 Abs. 2 KSchG oder gar § 626 BGB.<br />

5. Die Pflichten des Arbeitgebers<br />

Der Arbeitsvertrag verpflichtet den Arbeitgeber in erster Linie zur Lohnzahlung. Daneben<br />

kommen weitere Pflichten wie Schutzpflichten in Betracht.<br />

5.1 Entrichtung der Vergütung<br />

Der Arbeitgeber ist verpflichtet dem Arbeitnehmer Geldlohn zu zahlen. Daneben wird<br />

zum Teil Naturallohn entrichtet. Naturallohn ist Sachlohn wie Wohnung, Kleidung, Kost, Brennmaterial,<br />

Deputate, Dienstwagen, Jahreswagen. Vergünstigungen dieser Art werden steuerrechtlich<br />

<strong>und</strong> sozialversicherungsrechtlich nach speziellen Vorschriften zum Arbeitsentgelt hinzu gerechnet.<br />

Die Vergütung des Arbeitnehmers kann sich<br />

- als Zeitlohn nach der Dauer der geleisteten Arbeit oder<br />

- als Akkordlohn nach ihrem Ergebnis<br />

richten.<br />

Als Gr<strong>und</strong>lohn bezeichnet man das normale Arbeitsentgelt im Unterschied zu den<br />

Zuschlägen, die neben dem Gr<strong>und</strong>lohn als besondere Vergütung aus verschiedenen<br />

Anlässen wie Wegegeld, Schmutzzulage gewährt werden. Diese Aufteilung<br />

schließt es aber nicht aus, dass auch der Gr<strong>und</strong>lohn z.B. nach Lebens- <strong>und</strong> Dienstalter,<br />

Familienstand, Kinderzahl gestaffelt ist.<br />

Als Lohnzuschläge kommen vor allem Prämien, Gratifikationen, Provisionen <strong>und</strong> Zulagen<br />

in Betracht. Bei den Lohnzuschlägen handelt es sich nicht um unentgeltliche<br />

Zuwendungen sondern um Lohnbestandteile, die dem Lohnschutz bei Pfändung unterliegen.<br />

Gratifikationen sind Sonderzuwendungen aus bestimmtem Anlass, wie das<br />

Weihnachts- <strong>und</strong> Urlaubsgeld. Sie werden als Anerkennung <strong>für</strong> geleistete Dienste<br />

<strong>und</strong> oft mit der Absicht gewährt, den Arbeitnehmer weiterhin an den Betrieb zu binden.<br />

Neben diesen Zwecken kann eine zusätzliche Vergütung der im Bezugszeitraum<br />

geleisteten Arbeit gewollt sein.


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21<br />

Ohne Stichtags- <strong>und</strong> Rückzahlungsklausel ist im Zweifel eine 13. Monatsvergütung<br />

gewollt, mit der die im Kalenderjahr geleistete Arbeit zusätzlich vergütet werden soll.<br />

Scheidet ein Arbeitnehmer im laufenden Kalenderjahr aus, steht ihm ein seiner Beschäftigungszeit<br />

entsprechender anteiliger Anspruch zu.<br />

Ist die Gratifikation rückzahlbar gestellt, <strong>für</strong> den Fall, dass der Arbeitnehmer zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt im Folgejahr selbst kündigt oder aufgr<strong>und</strong> seines Verhaltens<br />

die Kündigung durch den Arbeitgeber veranlasst, soll die Gratifikation einen Anreiz<br />

<strong>für</strong> zukünftige Betriebstreue bieten. Solche Klauseln sind unwirksam, wenn sie den<br />

Arbeitnehmer übermäßig lange an den Betrieb binden. Bei Gratifikationen zwischen<br />

€ 100,-- <strong>und</strong> einem Monatsverdienst kann die Rückzahlung vereinbart werden bis<br />

zum Ablauf des ersten Quartals des Folgejahres. Bei Gratifikationen von mehr als<br />

einem <strong>und</strong> weniger als zwei Monatsverdiensten kann die Rückzahlung bei Ausscheiden<br />

des Arbeitnehmers im ersten Halbjahr des Folgejahres vereinbart werden.<br />

Ob der Arbeitgeber eine Jahressonderzahlung <strong>für</strong> Zeiten ohne Arbeitsleistung im Bezugszeitraum<br />

anteilig kürzen darf, hängt in erster Linie davon ab, ob eine Kürzungsmöglichkeit vereinbart wurde.<br />

Fehlt eine Kürzungsregelung, ist nach der Art der Sonderzahlung zu unterscheiden: Hat die Zahlung<br />

ausschließlich Entgeltcharakter, ist der Arbeitgeber berechtigt, sie anteilig um Zeiten zu kürzen, <strong>für</strong> die<br />

kein Lohnanspruch besteht z.B. nach Ablauf des 6wöchigen Vergütungsfortzahlungszeitraums bei<br />

Krankheit, bei Erziehungsurlaub oder unbezahltem Sonderurlaub. Soll mit der Gratifikation nur die<br />

Betriebstreue honoriert werden, kommt es allein auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum<br />

an.<br />

aa. Zahlungsmodalitäten:<br />

Vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer auszuzahlen ist der Nettolohn. Der Nettolohn<br />

wird ermittelt, indem vom Bruttolohn die Lohn- <strong>und</strong> Kirchensteuer, die Sozialversicherungsbeiträge<br />

<strong>und</strong> sonstige Abzüge wie Gehaltsabtretungen oder Gehaltspfändungen<br />

abgezogen <strong>und</strong> abgeführt werden.<br />

Die Zahlungszeit <strong>und</strong> Zahlungsweise richtet sich in erster Linie nach den kollektiv-<br />

oder einzelvertraglichen Vereinbarungen gemäß §§ 271 Abs. 1 BGB, 87 Abs. 1 Nr. 4,<br />

Abs. 2 BetrVG, 79 Abs. 1 Nr. 2 LPVG. Fehlt eine solche Vereinbarung, ist der Lohn<br />

nach §§ 614, 270 BGB am Monatsende zu leisten.<br />

bb. Besonderheiten nach TVöD:<br />

Die Vergütung eines TVöD-Arbeitnehmers bestimmt sich nach der Entgeltgruppe,<br />

der seine Tätigkeit zuzuordnen. Gemäß § 15 TVöD wurden 15 Entgeltgruppen geschaffen.<br />

Die Eingruppierung richtet sich nach den im Einzelfall erfüllten Tätigkeitsmerkmalen<br />

der Entgeltordnung. Je höherwertiger die Merkmale einer Entgeltgruppe<br />

sind, umso höher ist das tarifvertraglich geschuldete Entgelt. Die Entgeltgruppen<br />

umfassen mit Ausnahme von E 1 jeweils 6 Entgeltstufen. Es ist vorgesehen,<br />

dass sie nach einer Beschäftigungsdauer von 1 Jahr in die jeweils nächste Entgeltstufe<br />

gelangen. Bei überdurchschnittlichen Leistungen kann gemäß § 17 TVöD<br />

der Aufstieg rascher erfolgen <strong>und</strong> umgekehrt bei unterdurchschnittlichen Leistungen<br />

kann sich der Aufstieg in die nächsthöhere Entgeltstufe verzögern.<br />

Hinzu kann nach § 18 TVöD eine leistungs- <strong>und</strong> erfolgsorientierte Bezahlung treten.<br />

Der Vergütungsanspruch steigt um eine persönliche Zulage, wenn dem Arbeitneh-


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22<br />

mer Tätigkeiten einer höheren Vergütungsgruppe <strong>für</strong> geraume Zeit zugewiesen werden<br />

nach § 14 Abs. 2 TVöD.<br />

Der Vergütungsanspruch des TVöD-Arbeitnehmers steigt obendrein bei Erhöhungen<br />

des Tariflohns. Der Vorteil gegenüber nicht-tarifgeb<strong>und</strong>enen Arbeitnehmern liegt darin,<br />

dass diese Erhöhungen des Entgelts automatisch eintreten, sogenannter Tarifautomatismus.<br />

Nicht-tarifgeb<strong>und</strong>ene Arbeitnehmer müssen eine Lohnerhöhung mit<br />

ihrem Arbeitgeber aushandeln, sollte dieser nicht aus freien Stücken eine Lohnerhöhung<br />

gewähren. Der nicht-tarifgeb<strong>und</strong>ene Arbeitgeber kann eine Lohnerhöhung ablehnen.<br />

cc. Betriebsübung:<br />

Hat der Arbeitgeber freiwillige Leistungen ohne Vorbehalt mehrfach erbracht, erwächst<br />

hieraus ein Rechtsanspruch der Arbeitnehmer auf Fortentrichtung der Leistungen<br />

<strong>für</strong> die Zukunft. Die betriebliche Übung wird aus einer stillschweigenden Vereinbarung<br />

bzw. der Zurechnung eines Vertrauenstatbestandes hergeleitet. Die betriebliche<br />

Übung führte in zahlreichen Fällen zur Begründung eines Rechtsanspruchs<br />

auf ein zusätzliches Urlaubs- oder Weihnachtsgeld nach vorbehaltloser dreifacher<br />

Gewährung in der Vergangenheit.<br />

Wird ein eindeutiger Vorbehalt der Freiwilligkeit seitens des Arbeitgebers angebracht, kann er jedes<br />

Jahr aufs Neue entscheiden, ob, in welcher Höhe <strong>und</strong> an welche Arbeitnehmer er die freiwillige Leistung<br />

erbringen will. Es fehlt dann an einer versprochenen Leistung nach § 308 Nr. 4 BGB. Steht eine<br />

freiwillige Leistung unter Widerrufsvorbehalt, dann kommt § 308 Nr. 4 BGB zur Anwendung. 12<br />

dd. Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz:<br />

Aus Art. 3 GG wird der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz<br />

hergeleitet. Der Arbeitgeber darf bei kollektiven Maßnahmen einzelne<br />

Arbeitnehmer nicht willkürlich benachteiligen. Dies verbietet es ihm jedoch nicht, im<br />

Rahmen der Vertragsfreiheit einzelne Arbeitnehmer zu bevorzugen. Die Vertragsfreiheit<br />

hat im <strong>Arbeitsrecht</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich Vorrang vor der Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer.<br />

Der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz verbietet es,<br />

einzelne Arbeitnehmer willkürlich von der ansonsten einheitlich gewährten Erhöhung<br />

des Arbeitsentgeltes oder der Gewährung freiwilliger Sozialleistungen wie Weihnachtsgeld,<br />

Urlaubsgeld auszunehmen. Gewährt der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern<br />

eine Gehaltserhöhung, darf er nicht einen Arbeitnehmer ohne sachlichen<br />

Gr<strong>und</strong> von dieser allgemeinen Maßnahme ausnehmen.<br />

§ 81 Abs. 2 SGB IX verbietet die Benachteiligung schwerbehinderter Menschen wegen<br />

ihrer Behinderung.<br />

§§ 4 TzBfG, 75 Abs. 1 BetrVG, 67 Abs. 1 LPVG enthalten eine gesetzliche Pflicht zur<br />

Gleichbehandlung von Männern <strong>und</strong> Frauen <strong>und</strong> § 7 AGG verbietet darüber hinaus<br />

die Diskriminierung wegen Rasse, ethnischer Herkunft, Religion, Weltanschauung,<br />

Behinderung, Alter <strong>und</strong> sexueller Identität.<br />

12 BAG NJW 2009, 2703


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23<br />

a) Darunter fällt einmal die unmittelbare Diskriminierung, wenn eine Vorschrift an das<br />

Geschlecht anknüpft.<br />

b) Aus § 3 Abs. 2 AGG ergibt sich weitergehend das Verbot mittelbarer Diskriminierung<br />

wegen des Geschlechts. Im Unterschied zur unmittelbaren Geschlechtsdiskriminierung<br />

knüpft die Ungleichbehandlung bei der mittelbaren Diskriminierung nicht<br />

an das Merkmal Geschlecht sondern an geschlechtsneutrale Kriterien an. Führt die<br />

benachteiligende Regelung im Ergebnis gleichwohl dazu, dass ganz überwiegend<br />

entweder Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen von ihr betroffen sind, kann eine<br />

mittelbare Diskriminierung vorliegen. Die Rechtsprechung nimmt eine einseitige Benachteiligung<br />

an, wenn eine Regelung mindestens 90 % Frauen oder Männer betrifft. Das kommt fast nur im<br />

Bereich der Teilzeitbeschäftigung vor.<br />

ee. Lohnsicherung:<br />

Die Gläubiger des Arbeitnehmers können aufgr<strong>und</strong> eines Vollstreckungstitels in die<br />

Gehaltsforderung des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber vollstrecken. Sie müssen<br />

beim zuständigen Gericht einen Antrag auf Pfändung <strong>und</strong> Überweisung des Gehalts<br />

zur Einziehung stellen nach §§ 829, 835 ZPO. Jedoch ist die Pfändung von Arbeitseinkommen<br />

nach §§ 850 a bis k ZPO nur beschränkt zulässig, damit dem Arbeitnehmer<br />

ein Existenzminimum verbleibt. Soweit die Gehaltsforderung nicht der<br />

Pfändung unterworfen ist, kann sie auch nicht an einen Anderen abgetreten werden<br />

nach § 400 BGB. Soweit die Gehaltsforderung der Pfändung nicht unterworfen ist,<br />

besteht <strong>für</strong> den Arbeitgeber ein Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB. Der Arbeitgeber<br />

kann nur innerhalb der Pfändungsgrenzen mit einer Gegenforderung gegen die<br />

Gehaltsforderung des Arbeitnehmers aufrechnen.<br />

Gerät der Arbeitgeber in Insolvenz, werden offene Arbeitnehmerforderungen, die bei der Öffnung des<br />

Insolvenzverfahrens schon entstanden sind, Insolvenzforderungen nach §§ 38, 87, 147 ff. InsO. Für<br />

Entgeltansprüche aus den letzten 3 Monaten vor der Verfahrenseröffnung erhält der Arbeitnehmer ein<br />

Insolvenzgeld in Höhe der Nettobezüge nach §§ 183 ff. SGB III. Entgeltansprüche, die nach Verfahrensöffnung<br />

entstehen, werden Masseverbindlichkeiten nach §§ 103 Abs. 1, 55 Abs. 1 <strong>und</strong> 113 Abs. 1<br />

InsO. Dasselbe gilt <strong>für</strong> Sozialplanansprüche nach § 123 Abs. 2 S. 1 InsO.<br />

ff. Betriebsübergang:<br />

Geht ein Betrieb oder Betriebsteil aufgr<strong>und</strong> eines Rechtsgeschäfts auf einen neuen Inhaber über, tritt<br />

dieser nach § 613 a BGB in die bei Betriebsübergang bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Outsourcing.<br />

gg. Verjährung <strong>und</strong> Ausschlussfristen:<br />

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verjähren in der regelmäßigen Verjährungsfrist<br />

des § 195 BGB in drei Jahren. Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt gemäß §<br />

199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist<br />

<strong>und</strong> der Arbeitnehmer hiervon Kenntnis erlangt hat. Die 3-jährige Verjährungsfrist<br />

kann nach § 204 BGB durch gerichtliche Rechtsverfolgung gehemmt werden. Liegt<br />

ein titulierter Anspruch wie ein Urteil vor, kann gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB 30<br />

Jahre lang hieraus vorgegangen werden.


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24<br />

Neben der Verjährung können tarifvertragliche Ausschlussfristen zu beachten sein.<br />

Nach § 36 TVöD verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb<br />

von 6 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.<br />

Ausschlussfrist <strong>und</strong> Verjährungsfrist laufen nebeneinander her. Wurde ein Anspruch<br />

unter Wahrung der Ausschlussfrist schriftlich geltend gemacht, besteht der Anspruch<br />

fort <strong>und</strong> kann weiterhin der Verjährung unterfallen. Wurde die Ausschlussfrist versäumt,<br />

geht der Anspruch unter. Auf die Verjährung kommt es dann nicht mehr an.<br />

5.2 Arbeitsausfälle<br />

Verletzt der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis,<br />

so kann das die bereits geschilderten Folgen wie Schadensersatzansprüche<br />

oder Kündigung auslösen.<br />

Es kann zur Nichtleistung der vereinbarten Arbeit kommen. In diesen Fällen stellt<br />

sich die Frage, ob der Arbeitnehmer endgültig von seiner Arbeitspflicht frei wird <strong>und</strong><br />

ob er trotz Nichtarbeit seinen Lohnanspruch behält.<br />

a. Geringfügige nachholbare Versäumnisse:<br />

Bei geringfügigen Arbeitsversäumnissen durch den Arbeitnehmer besteht der Anspruch<br />

des Arbeitgebers auf Erbringung der Arbeitsleistung aus § 611 BGB fort. Bis<br />

zur Nachholung der Arbeit kann der Arbeitgeber das Entgelt nach § 320 BGB zurück<br />

behalten. Liegt ein Verschulden des Arbeitnehmers vor, treten daneben die Regeln<br />

über den Schuldnerverzug <strong>und</strong> der Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers aus<br />

§§ 286, 280 BGB.<br />

Ist der Arbeitgeber in Annahmeverzug gekommen, hat er nach §§ 615, 293 BGB das<br />

Entgelt zu entrichten ohne Nachholung der Arbeitsleistung verlangen zu können.<br />

b. Keine Arbeit kein Geld:<br />

In der Regel ist die Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung jedoch eine Fixschuld,<br />

die nicht beliebig nachholbar ist. Wird die Arbeitsleistung nicht erbracht, tritt Unmöglichkeit<br />

nach §§ 275, 280, 283, 326 BGB ein. Dem § 326 BGB wird der allgemeine<br />

Gr<strong>und</strong>satz keine Arbeit kein Geld entnommen. Erbringt der Arbeitnehmer seine Arbeit<br />

nicht, erhält er kein Entgelt. Von diesem Gr<strong>und</strong>satz gibt es eine Vielzahl von<br />

Ausnahmen.<br />

aa. Vorübergehende Verhinderung des Arbeitnehmers:<br />

Nach § 616 Abs. 1 BGB behält der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch, wenn<br />

er durch einen in seiner Person liegenden Gr<strong>und</strong> ohne sein Verschulden <strong>für</strong> eine<br />

verhältnismäßig unerhebliche Zeit an der Arbeitsleistung verhindert ist. Objektive Hinderungsgründe,<br />

die jedermann treffen, wie Glatteis, witterungsbedingte Fahrverbote gehören nicht hierher.<br />

Persönliche Hinderungsgründe sind Heirat, gerichtliche Vorladungen, Todesfall. Weitergehende<br />

Regelungen enthält § 29 TVöD.


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25<br />

Zu den subjektiven Leistungshindernissen zählt die Erfüllung einer vorrangigen religiösen<br />

Verpflichtung wie das muslimische Morgengebet, ein Pflichtgebet, das unter<br />

dem Schutz der freien Religionsausübung nach Art. 4 GG steht. Eine solche<br />

3minütige Arbeitspause stellt eine verhältnismäßig geringe Arbeitsverhinderung dar.<br />

Kommt es durch die Gebetspausen zu betrieblichen Störungen, geht der Schutz des<br />

Arbeitgebers aus Art. 2, 12, 14 GG vor. 13<br />

bb. Krankheit:<br />

Nach § 3 EFZG behält der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt <strong>für</strong> die<br />

Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen. Die Arbeitsunfähigkeit muss<br />

durch Krankheit verursacht worden sein. Ob eine Krankheit im medizinischen Sinne<br />

zugleich die Arbeitsunfähigkeit verursacht, hängt von der Art der Erkrankung <strong>und</strong> der<br />

geschuldeten Arbeitsleistung ab. Die Heiserkeit des Sängers wirkt sich anders aus als die Heiserkeit<br />

des Lagerarbeiters. Eine Pflicht zur Erbringung von Teilleistungen besteht nicht.<br />

Der Arbeitgeber ist nicht befugt, dem Arbeitnehmer eine andere als die vertraglich<br />

vereinbarte Arbeit, Schonarbeit, zuzuweisen. Dies ist nur im Wege der Änderungsvereinbarung<br />

oder Änderungskündigung möglich.<br />

Die Krankheit darf vom Arbeitnehmer nicht verschuldet sein. Ein Verschulden ist anzunehmen,<br />

wenn der Arbeitnehmer grob gegen das von einem verständigen Menschen<br />

im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Bei krankhafter Alkoholabhängigkeit<br />

kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer sie selbst<br />

verschuldet hat.<br />

Der Arbeitnehmer hat die Arbeitsunfähigkeit <strong>und</strong> deren Dauer unverzüglich mitzuteilen.<br />

Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als 3 Kalendertage, hat der Arbeitnehmer<br />

eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, diese Bescheinigung<br />

schon früher zu verlangen. § 5 Abs. 1 S. 5 EFZG enthält die Regelung, dass die<br />

ärztliche Bescheinigung bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern einen Vermerk des Arztes darüber<br />

enthalten muss, wonach eine Bescheinigung gleichfalls an die Krankenkasse übersandt wird. Diese<br />

kann bei Zweifeln über die Erkrankung eine gutachtliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes<br />

nach §§ 275 SGB V einholen.<br />

Die Bescheinigung begründet keine gesetzliche Vermutung <strong>für</strong> das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit,<br />

ihre Beweiskraft beschränkt sich darauf, dass die in ihr enthaltenen Feststellungen vom ausstellenden<br />

Arzt getroffen worden sind. Wird diese vom Arbeitgeber durch die Darlegung geeigneter Tatsachen<br />

erschüttert, muss der Arbeitnehmer den Beweis auf andere Weise führen.<br />

Verletzt der Arbeitnehmer schuldhaft die Anzeige- oder Nachweispflicht, ist der Arbeitgeber<br />

zur Abmahnung <strong>und</strong> im Wiederholungsfall zur verhaltensbedingten Kündigung<br />

berechtigt.<br />

Hat ein Dritter die Arbeitsverhinderung verursacht <strong>und</strong> stehen deshalb dem Arbeitnehmer<br />

Schadensersatzansprüche gegen den Dritten zu, so geht dieser Schadensersatzanspruch<br />

im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 6 EFZG auf<br />

den Arbeitgeber über, soweit der Arbeitgeber das Entgelt fortentrichtet hat.<br />

13 LAG Hamm NJW 2002 S. 1970 ff


cc. Betriebs- <strong>und</strong> Wirtschaftsrisiko:<br />

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26<br />

Nach der Sphärentheorie trägt der Arbeitgeber gr<strong>und</strong>sätzlich das Risiko, wenn der<br />

Betrieb aus Gründen der Auftrags- oder Materialknappheit, eines Energieengpasses<br />

oder wegen einer behördlichen Verfügung den Arbeitnehmer nicht beschäftigen<br />

kann. Dem Arbeitgeber steht der erzielte Gewinn zu. Deshalb ist es nach § 615 S. 3<br />

BGB gerechtfertigt, ihn <strong>für</strong> die Gefahren einstehen zu lassen, die in den Bereich der<br />

Betriebsführung <strong>und</strong> Unternehmensverantwortung fallen. Der Arbeitnehmer verliert nur<br />

ausnahmsweise seinen Lohnanspruch, so wenn die Arbeitsverhinderung durch Ereignisse oder Handlungen<br />

verursacht wird, die auf Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitnehmerseite zurückzuführen sind.<br />

Die Pflicht zur Weiterzahlung des Arbeitsentgelts nach § 615 BGB kann ganz oder<br />

teilweise entfallen, wenn die betriebliche oder wirtschaftliche Störung ein solches<br />

Ausmaß erreicht hat, dass die Existenz des Betriebs <strong>und</strong> damit des Arbeitsverhältnisses<br />

bedroht ist. Bei Existenzgefährdung hat der Arbeitnehmer Einkommenseinbußen<br />

wegen eines Betriebs- <strong>und</strong> Wirtschaftsrisikos hinzunehmen.<br />

dd. Mutterschutz:<br />

Nach §§ 3, 6 MuSchG darf die Schwangere in den letzten 6 Wochen vor der Entbindung<br />

nur mit ihrem ausdrücklichen Einverständnis <strong>und</strong> in den ersten 8 Wochen nach<br />

der Entbindung gar nicht beschäftigt werden. Sie behält ihren vollen Lohnanspruch<br />

gegen den Arbeitgeber.<br />

ee. Urlaub:<br />

Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer im Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.<br />

Die Dauer beträgt mindestens 24 Werktage. Tarif- <strong>und</strong> Arbeitsverträge<br />

sehen häufig längere Urlaubszeiten vor wie §§ 26 f. TVöD. Schwerbehinderte <strong>und</strong><br />

Jugendliche haben Anspruch auf zusätzlichen Urlaub nach §§ 125 SGB IX, 19 JArbSchG. Der Urlaubszeitpunkt<br />

wird vom Arbeitgeber festgelegt. Er hat die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu<br />

berücksichtigen.<br />

Erteilt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf dessen Wunsch Sonderurlaub, so ist er nicht zur Lohnzahlung<br />

verpflichtet, wie § 28 TvöD hervorhebt.<br />

ff. Bildungsurlaub:<br />

Ein Anspruch auf bezahlten Bildungsurlaub kann sich aus landesrechtlichen Regelungen<br />

<strong>und</strong> Tarifverträgen ergeben.<br />

gg. Gesetzliche Feiertage:<br />

An Sonn- <strong>und</strong> Feiertagen wird regelmäßig nicht gearbeitet. Welche Tage Feiertage<br />

sind richtet sich nach Landesrecht. B<strong>und</strong>esrechtlich ist nur der 3. Oktober als gesetzlicher<br />

Feiertag festgelegt. An gesetzlichen Feiertagen, die auf einen Werktag fallen,<br />

besteht ein Anspruch auf Feiertagsvergütung nach § 2 EFZG. Arbeitnehmern, die an<br />

Sonn- oder Feiertagen arbeiten, wird meistens ein kollektiv- oder einzelvertraglich<br />

vereinbarter Feiertagszuschlag oder ein arbeitsfreier Werktag gewährt. Fällt ein gesetzlicher<br />

Feiertag in den Erholungsurlaub, so wird er nach § 3 Abs. 2 BUrlG nicht<br />

als Urlaubstag gerechnet. Diese Feiertage sind als Brückentage in der Arbeitnehmerschaft recht<br />

beliebt.


5.3 Schutz- <strong>und</strong> Fürsorgepflichten<br />

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Ludwigsburg<br />

27<br />

Der Arbeitnehmer bringt seine Person in großem zeitlichem Umfang in den räumlichen<br />

Bereich des Arbeitgebers ein. Aufgr<strong>und</strong> dieser umfassenden Inanspruchnahme<br />

<strong>und</strong> der besonderen Nähe erwachsen besondere Schutz- <strong>und</strong> Fürsorgepflichten.<br />

Eine Reihe dieser Pflichten sind gesetzlich geregelt wie<br />

- §§ 618, 619 BGB Pflicht zur Schaffung sicherer Arbeitsplätze;<br />

- §§ 81 f. BetrVG Pflicht zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über seine Stellung<br />

im Betrieb <strong>und</strong> Pflicht zur Anhörung des Arbeitnehmers <strong>und</strong> Erörterung<br />

dessen Angelegenheiten<br />

- §§ 83 BetrVG, 3 Abs. 5 TVöD Gewährung der Einsicht in Personalakten;<br />

- §§ 12, 3 Abs. 4 AGG Verpflichtung des Arbeitgebers zur Unterbindung sexueller<br />

Belästigungen;<br />

Aus Art. 2 Abs. 1 GG erwächst eine Beschäftigungspflicht; der Arbeitgeber hat den<br />

Arbeitnehmer nicht nur zu bezahlen, sondern auch zu beschäftigen.<br />

Im Arbeitsvertrag kann von vornherein Teilzeitarbeit vereinbart werden. Nach § 8 TzBfG kann ein Arbeitnehmer<br />

die Verringerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verlangen. Dieser Anspruch<br />

besteht, wenn das Arbeitsverhältnis länger als 6 Monate bestand, der Betrieb mehr als 15 Arbeitnehmer<br />

beschäftigt <strong>und</strong> keine betrieblichen Gründe dem entgegenstehen.<br />

5.4 Pflichtverletzungen des Arbeitgebers<br />

a. Erfüllung:<br />

Der Arbeitnehmer kann gegen den Arbeitgeber auf Erfüllung der Vertragspflichten<br />

klagen: Lohnzahlungsklage, Klage auf Beschäftigung <strong>und</strong> Vollstreckung durch Beugemittel<br />

nach § 888 Abs. 1 ZPO.<br />

b. Zurückbehaltungsrecht:<br />

Erbringt der Arbeitgeber die geschuldete Vergütung nicht, steht dem Arbeitnehmer<br />

die Einrede des nichterfüllten Vertrages nach § 320 BGB zu. Er darf seine Arbeitsleistung<br />

zurück behalten. Der Arbeitnehmer behält <strong>für</strong> den Zeitraum, da er sich zu<br />

Recht auf diese Einrede beruft, seinen Vergütungsanspruch nach §§ 615, 298 BGB.<br />

c. Schadensersatzanspruch:<br />

Der Schadensersatzanspruch kann sich aus § 611 i.V.m. §§ 280 ff., 311 Abs. 2 oder<br />

§§ 823 ff. BGB ergeben. Diese Ansprüche setzen Verschulden in der Form von Vorsatz<br />

oder Fahrlässigkeit nach § 276 BGB voraus.<br />

Gegenüber einem Bewerber besteht eine Aufklärungspflicht aus § 242 BGB über einen möglichen<br />

Stellenabbau, wenn die Planung eine hinreichende Reife <strong>und</strong> Konkretheit aufweist, was voraussetzt,<br />

dass sich der Arbeitgeber im Gr<strong>und</strong>satz dazu entschlossen hat, bestimmte Stellen zu streichen. Der<br />

Stellenabbau muss hinreichend bestimmt <strong>und</strong> in Einzelheiten bereits absehbar sein, seine bloße Möglichkeit<br />

reicht nicht aus. Allein das Bestehen einer schlechten wirtschaftlichen Lage, in der aber noch


keine konkrete Planung vorliegt, einen Arbeitsplatz zu streichen, begründet noch keine Auskunftspflicht.<br />

14<br />

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28<br />

Ausnahmsweise ist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer analog § 670 BGB ohne Verschulden<br />

zum Ersatz verpflichtet. Dieser Ausgleichsanspruch setzt voraus, dass der<br />

Arbeitnehmer in Ausführung der ihm übertragenen Arbeit einen Schaden erleidet, der<br />

auf einer mit der Tätigkeit verb<strong>und</strong>enen typischen Gefahrenlage beruht. Stellen sich<br />

Schäden des Arbeitnehmers als Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos dar<br />

oder erhält der Arbeitnehmer einen Vergütungszuschlag <strong>für</strong> diese Risiken, hat er keinen<br />

Ersatzanspruch. Sozialarbeiter A benutzt seinen Privatwagen <strong>für</strong> Dienstfahrten. Während er<br />

einen Klienten besucht, wird sein geparktes Auto von einem unbekannten Verkehrsteilnehmer beschädigt.<br />

Hätte A nicht seinen Privatwagen sondern einen Dienstwagen benutzt, wäre das Eigentum<br />

des Arbeitgebers beschädigt worden, diesem wäre der Schaden entstanden. Es ist angemessen, dass<br />

der Arbeitgeber ihm diesen Schaden erstattet.<br />

d. Arbeitsunfall <strong>und</strong> Unfallversicherung:<br />

Hat ein Arbeitnehmer in Folge eines Arbeitsunfalls einen Personenschaden erlitten,<br />

greift nach § 1 SGB VII die gesetzliche Unfallversicherung ein. Es besteht ein Anspruch<br />

gegen die Berufsgenossenschaft. Der Arbeitgeber trägt allein die Beiträge zur<br />

Berufsgenossenschaft. Deshalb kann der Personenschaden eines Arbeitnehmers<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht gegen den Arbeitgeber selbst oder eine andere im Betrieb beschäftigte<br />

Person geltend gemacht werden. Durch die Beitragszahlung wurden diese<br />

im Gr<strong>und</strong>satz von der eigenen Schadensersatzpflicht freigekauft. Davon gibt es zwei<br />

Ausnahmen:<br />

aa. Der Schädiger haftet bei vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalls nach §§ 104 f.<br />

SGB VII dem geschädigten Arbeitnehmer unmittelbar.<br />

bb. Wird der Arbeitnehmer bei einem Wegeunfall von <strong>und</strong> zur Arbeit verletzt, kann er<br />

nach § 104 Abs. 3 SGB VII privatrechtliche Schadensersatzansprüche <strong>und</strong> Schmerzensgeldansprüche<br />

gegen den schädigenden Arbeitgeber oder Arbeitskollegen geltend<br />

machen. Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber oder andere im<br />

Betrieb tätige Personen scheiden jedoch aus, wenn es sich um einen innerbetrieblichen<br />

Weg handelt.<br />

Soweit der Haftungsausschluss eingreift, gibt es keinen Anspruch wegen des erlittenen<br />

Personenschadens gegen den Arbeitgeber oder Arbeitskollegen. Auch ein<br />

Schmerzensgeldanspruch nach § 253 BGB entfällt obgleich aus der gesetzlichen<br />

Unfallversicherung nie Schmerzensgeld bezahlt wird. Die gesetzliche Unfallversicherung<br />

hat den Vorteil <strong>für</strong> den Arbeitnehmer, dass sie Schadensfälle erfasst, in denen<br />

keine dritte Person den Unfall verschuldet hat. Sie erfasst obendrein Schadensereignisse,<br />

die der Arbeitnehmer selbst herbeigeführt hat.<br />

Schadensersatzansprüche gegen außenstehende Dritte werden vom gesetzlichen<br />

Unfallversicherungsrecht nicht ausgeschlossen.<br />

14 BAG NJW 2005 S. 3595


Die gesetzliche Unfallversicherung erfasst keine Sachschäden. Sachschäden sind<br />

dem geschädigten Arbeitnehmer nach den allgemeinen Haftungsregeln wie § 611<br />

BGB i.V.m. §§ 280 ff. <strong>und</strong> §§ 823 ff. BGB, 7, 18 StVG, 3 PflVG zu ersetzen.<br />

e. Kündigung:<br />

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Pflichtverletzungen des Arbeitgebers können eine fristlose Kündigung nach § 626<br />

BGB begründen, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

nicht zumutbar ist. Ansonsten kommt nur die ordentliche Kündigung nach §§ 620 ff.<br />

BGB in Betracht.<br />

6. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

Es gibt eine Vielzahl von Gründen, die zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses<br />

führen können.<br />

aa. Das Arbeitsverhältnis kann nach § 623 BGB einvernehmlich durch schriftlichen<br />

Aufhebungsvertrag beendet werden. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages am Arbeitsplatz<br />

kann nicht als Haustürgeschäft nach § 312 BGB widerrufen werden. § 312 BGB soll den Arbeitnehmer<br />

vor Überrumpelungen durch Vertragsverhandlungen in einer atypischen Umgebung schützen.<br />

Für den Abschluss eines Aufhebungsvertrages am Arbeitsplatz handelt es sich um keine atypische<br />

Umgebung. 15<br />

bb. Es kann durch eine Befristung nach §§ 620, 158 BGB, 14 TzBfG enden.<br />

cc. Besonders einschneidend <strong>für</strong> den Arbeitnehmer ist die Kündigung durch den Arbeitgeber,<br />

die deshalb ausführlich dargestellt wird.<br />

Die Kündigung ist die empfangsbedürftige Willenserklärung eines Vertragspartners,<br />

durch die der Wille zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ausdruck gebracht<br />

wird. Die Kündigung ist nach § 623 BGB formbedürftig. Ein Verstoß führt zur Nichtigkeit.<br />

Dies gilt <strong>für</strong> die ordentliche <strong>und</strong> außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers<br />

wie die Kündigung des Arbeitgebers.<br />

Die Kündigung kann durch einen Stellvertreter erfolgen nach § 164 BGB. Die Kündigung<br />

durch einen Stellvertreter ist nach § 174 BGB unwirksam, wenn dieser bei<br />

Kündigung keine Vollmachtsurk<strong>und</strong>e vorlegt <strong>und</strong> der Arbeitnehmer die Kündigung<br />

aus diesem Gr<strong>und</strong>e unverzüglich zurückweist. § 174 BGB greift nicht ein, wenn die<br />

Kündigung durch eine Person erfolgt, mit deren Stellung im Betrieb das Recht zur<br />

Kündigung regelmäßig verb<strong>und</strong>en ist wie bei einem Personalleiter.<br />

Die Kündigung wird erst dann wirksam, wenn sie dem Vertragspartner zugeht nach §<br />

130 BGB. Die Kündigung erfolgt durch Übergabe des Schreibens an den anwesenden<br />

Empfänger. Bei Übersendung wird sie wirksam, wenn sie in den Machtbereich<br />

des Empfängers gelangt <strong>und</strong> mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme unter normalen<br />

Umständen gerechnet werden kann. Ist der Empfänger ortsabwesend, hindert dies gr<strong>und</strong>sätz-<br />

15 BAG Urteil vom 27.11.2003, 2 ABR 177/03


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lich nicht den Zugang <strong>und</strong> das Wirksamwerden der Kündigung. Bei Versendung der Kündigung muss<br />

bedacht werden, dass der Absender den Zugang beweisen muss, wenn dieser bestritten wird.<br />

Nach § 102 BetrVG <strong>und</strong> § 77 LPVG ist der Betriebs- bzw. Personalrat vor jeder Kündigung<br />

durch den Arbeitgeber zu hören. Die Zustimmung zur Kündigung ist grds.<br />

nicht erforderlich. Wird die Anhörung versäumt, ist die Kündigung unwirksam. Bei<br />

Schwerbehinderten <strong>und</strong> Gleichgestellten kann die Anhörung des Betriebs- bzw. Personalrats schon<br />

vor Abschluss des Verfahrens vor dem Integrationsamt erfolgen. Eine erneute Anhörung ist nicht erforderlich,<br />

wenn die Entscheidung des Integrationsamtes erst später ergeht <strong>und</strong> sich der Kündigungssachverhalt<br />

mittlerweile verändert hat. Dies gilt selbst in Fällen, in denen die Zustimmung des Integrationsamtes<br />

erst nach mehrjährigem <strong>Verwaltung</strong>sverfahren erteilt wird.<br />

6.1 Die ordentliche Kündigung<br />

Bei der ordentlichen Kündigung ist eine Kündigungsfrist einzuhalten. Unter der<br />

Kündigungsfrist ist die Zeitspanne zu verstehen, die mindestens zwischen dem Zugang<br />

der Kündigungserklärung <strong>und</strong> dem Zeitpunkt der in Aussicht genommenen Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses liegen muss.<br />

Die gesetzlichen Kündigungsfristen sind in § 622 BGB geregelt. Daneben sind Kündigungsfristen<br />

in Einzelverträgen <strong>und</strong> Tarifverträgen nur in bestimmten Grenzen zulässig<br />

wie § 34 Abs. 1 TVöD. Eine mit falscher Frist erklärte ordentliche Kündigung ist<br />

wirksam. Sie wirkt als Kündigung zum nächst zulässigen Termin.<br />

Bei befristeten Arbeitsverhältnissen ist die ordentliche Kündigung ausgeschlossen, soweit sie nicht<br />

durch eine vertragliche Vereinbarung oder Tarifvertrag ausdrücklich zugelassen wird nach §§ 620<br />

Abs. 2 BGB, 15 Abs. 3 TzBfG.<br />

Der Arbeitnehmer hat die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung im Wege der<br />

Feststellungsklage vor dem Arbeitsgericht klären zu lassen.<br />

6.2 Die außerordentliche Kündigung<br />

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann jede Vertragspartei aus wichtigem Gr<strong>und</strong> ohne Einhaltung<br />

einer Kündigungsfrist kündigen, wenn Tatsachen vorliegen, auf Gr<strong>und</strong> deren<br />

dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles <strong>und</strong> unter<br />

Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Als wichtiger<br />

Gr<strong>und</strong> kommen nur schwerwiegende Verletzungen vertraglicher Pflichten in Betracht.<br />

Allein der Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Pflichtverletzung kann zur<br />

fristlosen Kündigung berechtigen, wenn durch den Verdacht das Vertrauen gestört ist. Voraussetzung<br />

ist, dass der Arbeitgeber alles Erforderliche zur Aufklärung des Verdachts getan hat. Stellt sich später<br />

heraus, dass der Verdacht unbegründet war, so ist das während des Kündigungsrechtsstreits zugunsten<br />

des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Nach Beendigung des Rechtsstreits kann sich ein Wiedereinstellungsanspruch<br />

des gekündigten Arbeitnehmers ergeben.<br />

Vermögensdelikte zu Lasten des Arbeitgebers können einen wichtigen Gr<strong>und</strong> zur<br />

fristlosen Kündigung darstellen. Bei einer Abwägung des Beendigungsinteresses des Arbeitgebers<br />

mit dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers kann sich zugunsten des Arbeitnehmers auswirken,<br />

dass er 30 Jahre lang unbeanstandet im Betrieb tätig war <strong>und</strong> sein Verhalten ohne negative


Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers blieb, weil dieser die entwendeten<br />

Gegenstände ohnehin als Müll entsorgt hätte. 16<br />

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31<br />

Aus dem Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass eine außerordentliche Kündigung<br />

erst zulässig ist, wenn mildere Mittel wie Versetzung, Abmahnung nach §<br />

314 Abs. 2 BGB oder Weiterbeschäftigung zu veränderten Bedingungen nicht zur<br />

Verfügung stehen oder nicht zumutbar sind. Bei gravierenden Fehlleistungen des<br />

Arbeitnehmers wie Diebstahl kann eine Abmahnung entbehrlich sein. Deren Hinweisfunktion<br />

geht ins Leere, weil der Arbeitnehmer selbst um die Unzumutbarkeit seines<br />

Fehlverhaltens weiß.<br />

Bei der fristlosen Kündigung ist eine Ausschlussfrist von zwei Wochen nach § 626<br />

Abs. 2 BGB einzuhalten, die sog. Kündigungserklärungsfrist. Es handelt sich um<br />

den Zeitraum zwischen Kenntnis vom Kündigungsgr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ausspruch der Kündigung<br />

im Gegensatz zur Kündigungsfrist bei der ordentlichen Kündigung, die erst<br />

nach Ausspruch der Kündigung läuft. Die Kündigungserklärungsfrist ist vor Ausspruch<br />

der Kündigung zu wahren.<br />

Die Ausschlussfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte<br />

oder eine Person, deren Kenntnis ihm analog § 166 BGB zuzurechnen ist, Kenntnis<br />

von den <strong>für</strong> die Kündigung maßgebenden Tatsachen erhält. Die Kündigung muss<br />

innerhalb der Frist zugehen. Verstreicht die Ausschlussfrist ungenutzt, geht das<br />

Recht zur fristlosen Kündigung unter. Eine ordentliche Kündigung kommt noch in Betracht.<br />

Während der Ausschlussfrist ist die Anhörung des Betriebs- <strong>und</strong> Personalrats vorzunehmen.<br />

Vor der außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten ist binnen 2 Wochen<br />

nach Kenntnis der <strong>für</strong> die Kündigung maßgebenden Tatsachen die Zustimmung des<br />

Integrationsamtes nach §§ 91, 85 SGB IX zu beantragen. Nach Erteilung der Zustimmung<br />

muss die Kündigung unverzüglich erklärt werden. Entsprechend ist bei der<br />

Kündigung einer Schwangeren nach § 9 MuSchG vorzugehen.<br />

Eine unberechtigte außerordentliche Kündigung kann unter den Voraussetzungen<br />

des § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung zum nächstzulässigen Termin umgedeutet<br />

werden. Voraussetzung ist, dass die ordentliche Kündigung dem mutmaßlichen<br />

Willen des Kündigenden entsprach <strong>und</strong> dieser Wille dem Gekündigten erkennbar<br />

war. Die Anhörung des Betriebs- <strong>und</strong> Personalrats muss auch die ordentliche<br />

Kündigung umfassen.<br />

In der Praxis wird bei der fristlosen Kündigung vorsorglich der Passus angebracht, dass diese hilfsweise<br />

auch als ordentliche Kündigung gelten solle. Betriebs- <strong>und</strong> Personalrat werden zu beiden angehört.<br />

6.3 Das Kündigungsschutzgesetz<br />

16 Entscheidung des BAG vom 16.12.2004, 2 ABR 7/04


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Das Kündigungsschutzgesetz gilt grds. nur <strong>für</strong> Betriebe <strong>und</strong> <strong>Verwaltung</strong>en nach § 23<br />

Abs. 1 KSchG, die in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigen. Für die bereits<br />

vor dem 01.01.2004 beschäftigten Arbeitnehmer bleibt es bei der Schwelle von 5 Arbeitnehmern. Der<br />

Arbeitnehmer muss nach § 1 Abs. 1 KSchG beim Zugang der Kündigungserklärung<br />

länger als 6 Monate im selben Betrieb oder Unternehmen beschäftigt sein. Vorher<br />

soll es dem Arbeitgeber möglich sein, den Arbeitnehmer zu erproben <strong>und</strong> sich unter<br />

erleichterten Voraussetzungen von ihm wieder zu trennen.<br />

Die Regelungen nach dem KSchG treten ergänzend neben die normalen Vorschriften<br />

über eine Kündigung wie §§ 102 BetrVG, 77 LPVG, 623 BGB u.a..<br />

a. Soziale Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung:<br />

Die ordentliche Kündigung erfordert eine soziale Rechtfertigung. § 1 Abs. 2 KSchG<br />

nennt drei Gründe, die eine Kündigung sozial rechtfertigen können:<br />

aa. Gründe in der Person des Arbeitnehmers wie mangelnde körperliche oder geistige<br />

Eignung; Wegfall der Arbeitserlaubnis <strong>für</strong> einen ausländischen Arbeitnehmer. Es<br />

ist stets zu prüfen, ob die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung besteht. An<br />

die Wirksamkeit einer Kündigung wegen Erkrankung des Arbeitnehmers sind besonders<br />

strenge Anforderungen zu stellen. Es haben sich in der Rechtsprechung drei<br />

Fallgruppen der krankheitsbedingten Kündigung herausgebildet:<br />

- Kündigung wegen langandauernder Krankheit;<br />

- Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen;<br />

- Kündigung wegen krankheitsbedingter Minderung der Leistungsfähigkeit.<br />

bb. Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers sind vor allem Vertragsverletzungen<br />

wie Schlechtleistung, Bummelei, Unpünktlichkeiten, Verletzung der Anzeige- oder<br />

Nachweispflichten im Krankheitsfall. Bei einer ordentlichen verhaltensbedingten<br />

Kündigung muss im Regelfall - zumindest - eine Abmahnung vorausgegangen sein<br />

analog § 314 BGB. Das folgt aus dem Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit. Mit der<br />

Abmahnung soll der Arbeitnehmer darauf hingewiesen werden, dass sein Fehlverhalten<br />

<strong>für</strong> die Zukunft nicht mehr hingenommen wird. Ein eingerissener Schlendrian soll<br />

abgestellt werden. Einer Abmahnung bedarf es nicht bei Fehlleistungen, bei denen<br />

es <strong>für</strong> den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar war, dass diese nicht hingenommen<br />

werden können. Schlägerei mit Arbeitskollegen, Diebstähle, Betriebssabotage.<br />

cc. Dringende betriebliche Gründe können sich aus einer Rationalisierung oder einer<br />

Einschränkung der Produktion, Absatzschwierigkeiten, Auftragsrückgang ergeben.<br />

Beruht die Kündigung auf einer Organisationsentscheidung des Arbeitgebers,<br />

ist diese Organisationsentscheidung nicht auf ihre wirtschaftliche Erforderlichkeit<br />

<strong>und</strong> Notwendigkeit zu hinterfragen. Nur die Kündigung muss im Interesse des Betriebs <strong>und</strong> der<br />

durch die Organisationsentscheidung bewirkten Änderungen der Betriebs- <strong>und</strong> Arbeitsorganisation<br />

dringend erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn weniger einschneidende Maßnahmen wie Abbau von<br />

Überst<strong>und</strong>en, Einführung von Kurzarbeit <strong>für</strong> den Betrieb tragbar sind. Es darf keine Möglichkeit einer<br />

anderweitigen Beschäftigung im Betrieb oder im Unternehmen bestehen. Es ist eine sachgerechte<br />

Sozialauswahl zu treffen. Dabei sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten<br />

<strong>und</strong> die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. In die Sozialauswahl<br />

sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung wegen ihrer Kenntnisse,<br />

Fähigkeiten, Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten<br />

betrieblichen Interesse liegen. Auswahlrichtlinien können auch in Tarifverträgen, Betriebs- <strong>und</strong> Perso-


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nalvereinbarungen festgelegt werden. Bei einem Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie nach § 95<br />

BetrVG <strong>und</strong> einem deswegen erfolgten Widerspruch des Betriebsrats ist die Kündigung unwirksam,<br />

selbst wenn sie <strong>für</strong> sich betrachtet sozial gerechtfertigt wäre.<br />

Der Arbeitnehmer erwirbt nach § 1 a KSchG einen Abfindungsanspruch in Höhe eines halben Monatsgehaltes<br />

<strong>für</strong> jedes Jahr der Beschäftigung, wenn der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher<br />

Erfordernisse gekündigt hat, <strong>und</strong> der Arbeitnehmer keine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit<br />

der Kündigung innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG erhoben hat. Der Arbeitgeber muss den<br />

Arbeitnehmer im Kündigungsschreiben auf die Kündigung wegen betrieblicher Erfordernisse <strong>und</strong> das<br />

Entstehen des Abfindungsanspruchs durch Verstreichenlassen der Klagefrist hingewiesen haben. Die<br />

Abfindung löst keine Sperrzeit <strong>für</strong> das Arbeitslosengeld aus, weil die Lösung des Arbeitsverhältnisses<br />

ohne aktives Zutun des Arbeitnehmers erfolgte. 17<br />

b. Geltendmachung der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung:<br />

Die Unwirksamkeit der Kündigung muss der Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage<br />

gegen den Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht geltend machen. Die<br />

Klage muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung in Schriftform<br />

erhoben werden nach § 4 KSchG. Wird diese Frist versäumt, gilt die Kündigung als<br />

von Anfang an wirksam, selbst wenn die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt war<br />

oder an einem anderen Rechtsverstoß leidet. Eine Ausnahme ist <strong>für</strong> den Unwirksamkeitsgr<strong>und</strong><br />

der Schriftform nach § 623 BGB zu machen, da Voraussetzung <strong>für</strong> den<br />

Fristenlauf der Zugang der schriftlichen Kündigung ist. Mit Fristablauf tritt eine Heilung<br />

der Unwirksamkeit ein. Eine verspätete Klage ist auf Antrag des Arbeitnehmers nachträglich<br />

zuzulassen, wenn dieser nach § 5 Abs. 1 KSchG trotz aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden<br />

Sorgfalt an der rechtzeitigen Einlegung der Klage verhindert war. Sieht ein Arbeitnehmer von<br />

der Erhebung der Kündigungsschutzklage ab, um Verhandlungen mit dem Arbeitgeber nicht zu belasten,<br />

geschieht dies auf eigenes Risiko. Die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber führen nicht zur Unterbrechung<br />

der Klagefrist. 18<br />

Die einheitliche Klagefrist des § 4 KSchG gilt auch <strong>für</strong> Kleinbetriebe, wie die Ausnahmeregelung<br />

des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG belegt. Diese einheitliche Klagefrist gilt<br />

auch innerhalb der ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses, da nur so eine vollständige<br />

Vereinheitlichung erzielt werden kann. 19<br />

Hat der Betriebs- bzw. Personalrat nach §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 77 Abs. 2 LPVG der<br />

Kündigung widersprochen, besteht ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers<br />

bis zur Entscheidung des Kündigungsrechtsstreites.<br />

Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, so<br />

kann es auf Antrag des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung des<br />

Arbeitsverhältnisses trotzdem das Arbeitsverhältnis auflösen gegen Zahlung einer Abfindung nach §<br />

10 KSchG.<br />

c. Geltendmachung der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung:<br />

Die Kündigung aus wichtigem Gr<strong>und</strong>es gemäß § 626 BGB kann nur innerhalb der 3-<br />

Wochenfrist des §§ 13 Abs. 1, 4, 7 KSchG geltend gemacht werden. Nach § 23 Abs.<br />

17 BSG NZA 2003 S. 314<br />

18 LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.08.2003, 4 Ta 1023/03<br />

19 BAG NJW 2007 S. 2716


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1 S. 2 KSchG gilt die Heilungsvorschrift auch <strong>für</strong> die außerordentliche Kündigung in<br />

Kleinbetrieben.<br />

d. Kündigungsschutz außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes:<br />

Eine ordentliche Kündigung verstößt gegen §§ 242, 138 BGB, wenn sie aus Gründen,<br />

die nicht von § 1 KSchG erfasst werden, Treu <strong>und</strong> Glauben verletzt. Eine treuwidrige<br />

Kündigung kann vorliegen bei widersprüchlichem Verhalten des Arbeitgebers,<br />

Ausspruch der Kündigung in verletzender Form <strong>und</strong> die Kündigung zur Unzeit.<br />

Eine Kündigung zur Unzeit kann gegeben sein, wenn der Erklärende absichtlich oder aufgr<strong>und</strong> einer<br />

auf Missachtung der persönlichen Belange des Empfängers beruhenden Gedankenlosigkeit einen<br />

Zugangszeitpunkt wählt, der den Empfänger besonders beeinträchtigt. Der bloße zeitliche Zusammenhang<br />

mit einer Fehlgeburt der Arbeitnehmerin oder vor der Beerdigung des Lebensgefährten ist<br />

wie der Zugang am 24.12. nicht als ausreichend angesehen worden. Unwirksam war eine Kündigung,<br />

die dem Arbeitnehmer nach einem schweren Arbeitsunfall am gleichen Tag im Krankenhaus unmittelbar<br />

vor einer auf dem Unfall beruhenden Operation ausgehändigt wurde. 20<br />

Die materiellen Bestimmungen des KSchG gelten außerhalb des Geltungsbereichs<br />

des KSchG in Kleinbetrieben weder analog noch über die Generalklauseln der §§<br />

242, 138 BGB. Gleichwohl leitet das BVerfG aus Art. 12 GG einen allgemeinen Kündigungsschutz<br />

her: 21<br />

- Es muss auch bei der ordentlichen Kündigung ein sachlicher Gr<strong>und</strong> vorliegen.<br />

Ein willkürlicher Gr<strong>und</strong> genügt nicht.<br />

- Kommen mehrere Arbeitnehmer <strong>für</strong> die Kündigung in Betracht, muss der Arbeitgeber<br />

ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme anwenden.<br />

- Bei langjährig Beschäftigten muss ein verdientes Vertrauen berücksichtigt<br />

werden.<br />

Die einheitliche Klagefrist des § 4 KSchG gilt nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nunmehr<br />

auch in Kleinbetrieben.<br />

6.4 Die Änderungskündigung<br />

Eine Änderungskündigung kommt immer in Betracht, wenn dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung<br />

des Arbeitnehmers zwar nicht mehr zu den ursprünglichen, wohl<br />

aber zu veränderten Bedingungen möglich <strong>und</strong> zumutbar ist. Sie ist ein Gebot der<br />

Verhältnismäßigkeit.<br />

Hat der Arbeitgeber eine Änderungskündigung ausgesprochen, kann der Arbeitnehmer<br />

zwischen verschiedenen Vorgehensweisen wählen,<br />

- ob er das Änderungsangebot annimmt, dann wird der Arbeitsvertrag einvernehmlich<br />

geändert <strong>und</strong> zu den geänderten Bedingungen fortgesetzt;<br />

20 BAG NJW 2001 S. 2994 f m.w.N.<br />

21 BVerfGE NZA 1998 S. 469


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- oder ob er die Änderung ablehnt; er hat im Geltungsbereich des KSchG innerhalb<br />

der 3-Wochenfrist die Kündigungsschutzklage zu erheben; verliert er den<br />

Rechtsstreit oder erhebt er keine Kündigungsschutzklage, ist durch die Kündigung<br />

das Arbeitsverhältnis aufgelöst<br />

- nach § 2 KSchG kann er das Angebot des Arbeitgebers unter dem Vorbehalt<br />

annehmen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt<br />

ist. Der Arbeitnehmer hat innerhalb der 3-Wochenfrist Feststellungsklage dahin<br />

zu erheben, ob die Änderung sozial ungerechtfertigt ist. Verliert der Arbeitnehmer<br />

den Prozess, wird sein Vorbehalt wirksam, es gelten die neuen Arbeitsbedingungen.<br />

Gewinnt er, so gilt die Änderungskündigung als von Anfang<br />

an unwirksam; das Arbeitsverhältnis besteht zu den ursprünglichen Bedingungen<br />

fort. In beiden Fällen behält der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz.<br />

6.5 Kündigungsschutz <strong>für</strong> bestimmte Arbeitnehmergruppen<br />

a. Besonders geschützter Personenkreis:<br />

Nach § 9 Abs. 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während der<br />

Schwangerschaft oder bis zum Ablauf von 4 Monaten nach der Niederkunft unzulässig,<br />

wenn dem Arbeitgeber die Schwangerschaft bekannt war oder ihm innerhalb einer<br />

Frist von 2 Wochen nach Ausspruch der Kündigung mitgeteilt wird. Die zuständige<br />

Behörde kann ausnahmsweise die Kündigung <strong>für</strong> zulässig erklären. Die Vorschrift<br />

gilt nur bei Kündigungen, nicht bei einer Anfechtung. Ein entsprechender Kündigungsschutz besteht<br />

während der Erziehungszeit.<br />

Gegenüber einem Schwerbehinderten, dessen Arbeitsverhältnis länger als 6 Monate<br />

besteht, kann eine Kündigung gr<strong>und</strong>sätzlich nur mit vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes<br />

ausgesprochen werden nach §§ 85, 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX. Werden<br />

diese <strong>für</strong> die Kündigung erforderlichen Zustimmungen seitens der Behörden verweigert, hat der Arbeitgeber<br />

die Möglichkeit, die Verweigerung der Zustimmung im Wege eines Rechtsstreits anzugehen<br />

<strong>und</strong> die Zustimmung zu erstreiten.<br />

b. Kündigungsschutz <strong>für</strong> betriebs- <strong>und</strong> personalvertretungsrechtliche Funktionsträger:<br />

Eine ordentliche Kündigung der Mitglieder des Betriebs- oder Personalrats <strong>und</strong> der<br />

Jugend- <strong>und</strong> Ausbildungsvertretung ist während der Amtszeit <strong>und</strong> innerhalb eines<br />

Jahres nach Beendigung der Amtszeit nach § 15 Abs. 1 <strong>und</strong> Abs. 2 KSchG unzulässig.<br />

Kündigungsschutz genießen Mitglieder des Wahlvorstands <strong>und</strong> Wahlbewerber<br />

nach § 15 Abs. 3 KSchG.<br />

Eine außerordentliche Kündigung ist möglich. Sie bedarf zu ihrer Wirksamkeit der<br />

Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG. Verweigert der Betriebsrat<br />

seine Zustimmung, so kann sie auf Antrag des Arbeitgebers vom Arbeitsgericht gegebenenfalls<br />

ersetzt werden.<br />

c. Vereinbarte Unkündbarkeit:<br />

In einigen Bereichen ist es üblich, <strong>für</strong> langzeittätige Arbeitnehmer die ordentliche<br />

Kündigung vertraglich auszuschließen. Das kann durch Tarifvertrag wie § 34 Abs. 2


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TVöD, Betriebsvereinbarung oder einzelvertraglich vereinbart werden. § 34 Abs. 2<br />

TVöD schließt die ordentliche Kündigung nach einer Beschäftigungsdauer von mindestens<br />

15 Jahren <strong>und</strong> frühestens nach Vollendung des 40. Lebensjahres aus. Dies<br />

lässt eine Kündigung aus wichtigem Gr<strong>und</strong> nach § 626 BGB unberührt, soweit deren<br />

Voraussetzungen gegeben sind.<br />

6.6 Abmahnung<br />

Sowohl bei der außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung wie bei der ordentlichen<br />

verhaltensbedingten Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz bedarf<br />

es regelmäßig vor Ausspruch der Kündigung der Abmahnung analog § 314<br />

BGB. Diese folgt aus dem Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit, wonach die Kündigung<br />

erst ausgesprochen werden soll, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen<br />

oder nicht zumutbar sind. Wie viele Abmahnungen einer Kündigung vorausgegangen<br />

sein müssen, richtet sich nach dem Einzelfall. Entscheidend sind insbesondere<br />

die Schwere der Verstöße <strong>und</strong> die dazwischen liegende beanstandungsfreie<br />

Zeit.<br />

Eine Abmahnung liegt vor, wenn der Arbeitgeber ein<br />

- bestimmtes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers beanstandet, Hinweisfunktion<br />

- ihn zu einem zukünftigen vertragsgemäßen Verhalten auffordert, Ermahnungsfunktion<br />

<strong>und</strong><br />

- ihm <strong>für</strong> den Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen androht, Warnfunktion<br />

Dem Arbeitnehmer muss Gelegenheit zur Stellungnahme zur erfolgten Abmahnung<br />

gegeben werden. Die Abmahnung ist zur Personalakte zu nehmen. Ihr kommt auch<br />

Dokumentationsfunktion zu. Auf Antrag des Arbeitnehmers ist der Personalrat nach § 80 Abs. 1<br />

Nr. 8 c LPVG zu beteiligen. Der Arbeitnehmer kann vor dem Arbeitsgericht Klage auf Entfernung einer<br />

ungerechtfertigten Abmahnung aus der Personalakte erheben.<br />

Lässt sich der Arbeitnehmer nach Erhalt der Abmahnung nichts mehr zu Schulden<br />

kommen, verliert die Abmahnung im Laufe der Jahre ihre Wirkung <strong>und</strong> ist aus der<br />

Personalakte zu entfernen. Die Dauer ist abhängig von dem der Abmahnung zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />

Vorwurf. Der Arbeitnehmer kann die Entfernung einklagen. Selbst wenn die Abmahnung sich trotz<br />

Zeitablauf noch in der Personalakte befindet, kann sie nicht mehr als Voraussetzung einer verhaltensbedingten<br />

Kündigung herangezogen werden.<br />

Aus der Hinweis- <strong>und</strong> Warnfunktion folgt, dass der abgemahnte <strong>und</strong> der zum Anlass<br />

<strong>für</strong> die Kündigung genommene Verstoß gleichartig sein müssen. Nur der einschlägig<br />

abgemahnte Arbeitnehmer weiß, dass er mit einer Kündigung rechnen muss, wenn<br />

er erneut in ähnlicher Weise gegen den Arbeitsvertrag verstößt. Es braucht keine<br />

Identität der Pflichtverletzung vorliegen. Es genügt, wenn diese wertungsmäßig auf<br />

einer Ebene liegen. Pflichtverletzungen hinsichtlich der Einhaltung der Arbeitszeit wie Zuspätkommen,<br />

vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes, unberechtigte Pausen, unentschuldigtes Fehlen<br />

liegen auf einer Ebene. Keine wertungsmäßige Entsprechung besteht zwischen Zuspätkommen <strong>und</strong><br />

Verstoß gegen das Rauchverbot.


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37<br />

Die Abmahnung erfolgt durch eine schriftliche oder mündliche Erklärung gegenüber<br />

dem Vertragspartner. Die Erteilung einer Abmahnung dient dazu, dem Arbeitnehmer<br />

einen von diesem aus der Sicht des Arbeitgebers begangenen Vertragsverstoß deutlich<br />

zu machen. Zum Ausspruch der Abmahnung ist außer dem Arbeitgeber jeder<br />

Mitarbeiter berechtigt, der aufgr<strong>und</strong> seiner Aufgabe befugt ist, Weisungen hinsichtlich<br />

der Art <strong>und</strong> Weise der Arbeitsleistung zu erteilen.<br />

Einer vorherigen Abmahnung bedarf es ausnahmsweise nicht, wenn von vornherein<br />

feststeht, dass der mit ihr verfolgte Zweck nicht erreicht werden kann. Der Arbeitnehmer<br />

ist nicht in der Lage oder erklärtermaßen nicht willens, sein Verhalten zu ändern.<br />

Das Vertrauensverhältnis ist durch eine schwere Pflichtverletzung derart gestört,<br />

dass es nicht wieder hergestellt werden kann. Schwere Beleidigung, Handgreiflichkeit;<br />

die Abmahnung ist entbehrlich, weil der Arbeitnehmer von vornherein mit einer Kündigung rechnen<br />

muss. Eine Abmahnung ist nicht erforderlich, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers erkennen lässt,<br />

dass er ein unkalkulierbares Risiko <strong>für</strong> die erforderliche Betriebssicherheit darstellt. Gerade beim Vorliegen<br />

von Gründen <strong>für</strong> eine fristlose Kündigung ist oftmals eine Abmahnung entbehrlich.<br />

6.7 Sonstige Beendigungsgründe<br />

a. Aufhebungsvertrag:<br />

Die Parteien können jederzeit vertraglich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

vereinbaren nach § 311 Abs. 1 BGB. Der Aufhebungsvertrag bedarf nach § 623 BGB<br />

der Schriftform. Betriebs- <strong>und</strong> Personalrat müssen nicht beteiligt werden.<br />

b. Befristetes Arbeitsverhältnis:<br />

Nach dem im <strong>Arbeitsrecht</strong> geltenden Gr<strong>und</strong>satz der Vertragsfreiheit können Arbeitsverträge<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auch befristet abgeschlossen werden nach § 620 Abs. 1<br />

BGB. 22 Ein befristetes Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf<br />

allein durch Zeitablauf oder durch Eintritt des Ereignisses, bis zu welchem es abgeschlossen<br />

wurde. Zeit- oder zweckbefristete Arbeitsverträge sind zulässig.<br />

Kündigungsschutzvorschriften wie<br />

- § 77 LPV / § 102 BetrVG Beteiligung<br />

- § 9 MuSchG Zustimmungserfordernis<br />

- §§ 85 ff. SGB IX Zustimmungserfordernis des Integrationsamtes<br />

- § 1 KSchG soziale Rechtfertigung der Kündigung<br />

kommen nicht zur Anwendung. Diese gelten nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur <strong>für</strong><br />

die Kündigung <strong>und</strong> nicht <strong>für</strong> die Befristung.<br />

Da mit einer Befristung die Kündigungsschutzvorschriften umgangen werden, ist diese<br />

nicht ohne weiteres zulässig:<br />

22 Stuttgarter Zeitung vom 9. 9. 2000: Die Zahl der befristeten Stellen hat sich in Baden-Württemberg<br />

von 1994 bis 1999 um 40 % erhöht. Vor allem im Dienstleistungssektor werden Arbeitsverhältnisse<br />

befristet.1994 arbeiteten 16 % aller Erwerbstätigen in Teilzeit.1999 waren es 26 %.


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38<br />

a) Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ist ohne Vorliegen eines<br />

sachlichen Gr<strong>und</strong>es bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig nach § 14 Abs. 2 TzBfG<br />

<strong>und</strong> in den ersten vier Jahren nach Gründung des Unternehmens sogar bis vier Jahre<br />

nach § 14 Abs. 2a TzBfG.<br />

b) Die Befristung ist darüber hinaus zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Gr<strong>und</strong><br />

gerechtfertigt ist. Sachliche Gründe können sein: Vorübergehender Bedarf, Vertretung<br />

eines Arbeitnehmers, Eigenart der Arbeitsleistung oder eine Konkurrentenklage<br />

um eine bestimmte Stelle. 23 Es ist gestattet an eine zulässige Befristung ohne Sachgr<strong>und</strong><br />

eine Befristung mit Sachgr<strong>und</strong> anzuschließen oder an eine Befristung mit<br />

Sachgr<strong>und</strong> eine weitere Befristung mit Sachgr<strong>und</strong> anzuschließen, wobei die Anforderungen<br />

an den Sachgr<strong>und</strong> zunehmen.<br />

Ist die Befristung unzulässig, tritt an die Stelle des befristeten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis,<br />

auf das die Kündigungsschutzbestimmungen anzuwenden sind. Die<br />

Unwirksamkeit einer Befristung braucht vom Arbeitnehmer nicht innerhalb der 3wöchigen<br />

Klagefrist des § 4 KSchG gerichtlich geltend gemacht werden. Bei längerem<br />

Zuwarten kann das Klagerecht jedoch verwirkt sein.<br />

Während eines befristeten Arbeitsverhältnisses ist nach § 15 Abs. 3 TzBfG eine ordentliche<br />

Kündigung ausgeschlossen. Die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung<br />

kann durch vertragliche Sonderregelung vorgesehen werden.<br />

c. Altersgrenzen:<br />

Eine gesetzliche Altersgrenze <strong>für</strong> Arbeitsverhältnisse existiert nicht. Allerdings enthalten<br />

viele Tarifverträge aber auch Einzelverträge die Regelung, dass das Arbeitsverhältnis<br />

mit dem Erreichen des Alters der Regelaltersrente des Arbeitnehmers endet<br />

wie § 33 Abs. 1 TVöD.<br />

d. Keine Beendigungsgründe:<br />

aa. Stirbt der Arbeitgeber, führt das regelmäßig nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.<br />

Vielmehr treten die Erben des Arbeitgebers im Wege der Gesamtrechtsnachfolge<br />

nach §§ 1922, 1967 BGB in die Rechte <strong>und</strong> Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis<br />

ein.<br />

bb. Der rechtsgeschäftliche Betriebsübergang ist kein Beendigungsgr<strong>und</strong>. Geht ein<br />

Betrieb oder Betriebsteil aufgr<strong>und</strong> eines Rechtsgeschäfts auf einen neuen Inhaber<br />

über, tritt dieser im Wege der Einzelrechtsnachfolge nach § 613 a BGB in die bei Betriebsübergang<br />

bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Voraussetzung <strong>für</strong> den Übergang ist,<br />

dass der Arbeitnehmer nicht innerhalb von 3 Wochen dem Übergang widerspricht.<br />

cc. Die Einstellung oder Auflösung eines Betriebes stellt keinen automatisch wirkenden<br />

Beendigungsgr<strong>und</strong> dar. Sie kann den Arbeitgeber berechtigen, das Arbeitsverhältnis<br />

betriebsbedingt zu kündigen. Die Insolvenz des Arbeitgebers löst ein besonderes Kündigungsrecht<br />

des Insolvenzverwalters aus nach § 113 InsO.<br />

23 BAG NJW 2005 S. 3595, 3597 f


6.8 Pflichten anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

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39<br />

Anlässlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses entstehen eine Reihe besonderer<br />

Pflichten zur sachgerechten Abwicklung, die insbesondere den Pflichten zur<br />

gegenseitigen Förderung <strong>und</strong> Rücksichtnahme entspringen.<br />

a. Gewährung von Freizeit zur Stellensuche:<br />

Nach § 629 BGB hat der Arbeitgeber bei bevorstehender Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen angemessene Zeit zur Suche<br />

eines neuen Arbeitsverhältnisses zu gewähren. Für die Zeit der Beurlaubung steht<br />

dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Zahlung der Vergütung zu, § 616 BGB.<br />

b. Zeugniserteilung:<br />

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitgeber jedem Arbeitnehmer<br />

auf dessen Verlangen ein schriftliches Zeugnis auszustellen wie es §§ 630 BGB, 35<br />

TVöD regeln.<br />

Das einfache Zeugnis enthält nur Angaben über die Art <strong>und</strong> Dauer der Tätigkeit,<br />

nicht über den Gr<strong>und</strong> der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.<br />

Das qualifizierte Zeugnis erstreckt sich auch auf die Führung <strong>und</strong> die Leistungen<br />

des Arbeitnehmers. Das Zeugnis soll dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers<br />

dienen. Das setzt eine wohlwollende Beurteilung durch den Arbeitgeber voraus.<br />

Geringfügige Fehlleistungen sind nicht aufzunehmen. Auf der anderen Seite muss<br />

das Zeugnis der Wahrheit entsprechen. Es darf weder unrichtige oder unbewiesene<br />

Tatsachen enthalten noch <strong>für</strong> die Beurteilung wesentliche Umstände verschweigen.<br />

Ist das Zeugnis unrichtig, kann der Arbeitnehmer auf Berichtigung klagen. Erteilt der<br />

Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wider besseres Wissen ein zu günstiges Zeugnis, dann läuft er Gefahr<br />

von einem späteren Arbeitgeber auf Schadensersatz aus § 826 BGB in Anspruch genommen zu werden,<br />

wenn diesem hieraus ein Schaden entsteht. So wenn der Arbeitnehmer wegen Unterschlagungen<br />

entlassen wurde, was im Arbeitszeugnis nicht zum Ausdruck gebracht wurde <strong>und</strong> beim neuen<br />

ahnungslosen Arbeitgeber erneut Unterschlagungen begeht.<br />

c. Auskunftserteilung:<br />

Der Arbeitnehmer kann ein Interesse daran haben, dass sein bisheriger Arbeitgeber<br />

über das Zeugnis hinaus einem anderen Arbeitgeber, bei dem er sich beworben hat,<br />

Auskunft erteilt.<br />

d. Verschwiegenheitspflicht:<br />

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer zur Verschwiegenheit<br />

über Geschäfts- <strong>und</strong> Betriebsgeheimnisse verpflichtet, wie es z.B. § 3 Abs. 1<br />

TVöD bestimmt. Er darf rechtmäßig erworbenes Wissen nicht zu unlauterem Wettbewerb oder zu<br />

vorsätzlicher Schadenszufügung verwenden nach §§ 1 UWG, 826 BGB.<br />

e. Wettbewerbsverbot:


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40<br />

Die Parteien können <strong>für</strong> die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

Wettbewerbsverbote vereinbaren. Geregelt ist das nachträgliche Wettbewerbsverbot<br />

in §§ 74 ff. HGB <strong>für</strong> Handlungsgehilfen. Diese Regelung wird von der Rechtsprechung<br />

auf andere Arbeitsverhältnisse entsprechend angewandt.<br />

Die Vereinbarung bedarf der Schriftform. Die Abrede ist nur verbindlich, wenn der<br />

Arbeitgeber sich verpflichtet, <strong>für</strong> die Dauer des Verbots eine Entschädigung zu zahlen.<br />

Diese muss <strong>für</strong> jedes Jahr des Verbots mindestens die Hälfte der bisherigen Bezüge<br />

betragen.<br />

7. Besondere Arbeitsverhältnisse<br />

Es gibt eine Reihe von arbeitsvertraglichen Gestaltungen, die Besonderheiten aufweisen<br />

wie das<br />

- Teilzeitarbeitsverhältnis,<br />

- Befristete Arbeitsverhältnis,<br />

- Probearbeitsverhältnis.<br />

Deren Besonderheiten sollen im Folgenden erläutert werden.<br />

7.1 Das Teilzeitarbeitsverhältnis<br />

Nach dem Gr<strong>und</strong>satz der Vertragsfreiheit steht es Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer frei,<br />

bei Abschluss des Arbeitsvertrages eine Arbeitszeit zu vereinbaren, die hinter der<br />

gesetzlichen oder tarifvertraglich üblichen Arbeitszeit zurückbleibt nach § 2 TzBfG.<br />

Ohne Vorliegen eines sachlichen Gr<strong>und</strong>es dürfen nach § 4 TzBfG teilzeitbeschäftigte<br />

Arbeitnehmer nicht gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern benachteiligt<br />

werden. Dieses Diskriminierungsverbot erfasst vor allem den Entgeltbereich.<br />

In Betrieben mit in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmern kann ein Arbeitnehmer frühestens<br />

sechs Monate nach Aufnahme der Arbeit verlangen, dass seine vertraglich<br />

vereinbarte Arbeitszeit reduziert wird gemäß § 8 Abs. 7 TzBfG. Es handelt sich um<br />

eine Durchbrechung des Gr<strong>und</strong>satzes Vertrag ist Vertrag. Dem Verlangen des Arbeitnehmers<br />

ist zu entsprechen, soweit betriebliche Gründe dem nicht entgegenstehen.<br />

Kosten, Raum, Organisation, Arbeitsablauf.<br />

§ 11 Abs. 1 TVöD sieht vor, dass Arbeitnehmern auf deren Wunsch Teilzeitarbeit zu gewährt werden<br />

soll, wenn diese ein Kind unter 18 Jahren oder pflegebedürftigen Angehörige betreuen. Sie erhalten<br />

nach § 24 TVöD das anteilige Tabellenentgelt.<br />

Besondere Formen der Teilzeitarbeit sind die Arbeit auf Abruf, § 12 TzBfG, <strong>und</strong> die Arbeitsplatzteilung,<br />

§ 13 TzBfG.<br />

7.2 Das befristete Arbeitsverhältnis<br />

Nach § 620 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis befristet abgeschlossen werden.<br />

Es gibt die kalendermäßige Befristung <strong>und</strong> die Zweckbefristung, auch auflösende<br />

Bedingung genannt.


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41<br />

Es endet mit Fristablauf oder Zweckerreichung - <strong>und</strong> Auslauffrist nach § 15 Abs. 2<br />

TzBfG -, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Da eine Kündigung nicht erforderlich<br />

ist, kommen §§ 1 ff. KSchG, 9 MuSchG, 85 SGB IX, 77 LPVG, 102 BetrVG nicht zur<br />

Anwendung. Diese Vorschriften knüpfen nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut an eine<br />

Kündigung an.<br />

Mit der Befristung eines Arbeitsverhältnisses können folglich eine Vielzahl von<br />

Schutzvorschriften im Kündigungsfall umgangen werden. Deshalb kann nur unter<br />

besonderen Voraussetzungen eine Befristung wirksam abgeschlossen werden:<br />

a. Zulässig ist eine Befristung bis maximal 2 Jahre nach § 14 Abs. 2 TzBfG. Hierzu<br />

zählen auch dreimalig verlängerte befristete Arbeitsverhältnisse bis zur Gesamtdauer<br />

von 2 Jahren. In den ersten vier Jahren nach Unternehmensgründung ist eine<br />

4jährige Befristung zulässig nach § 14 Abs. 2a TzBfG.<br />

b. Ansonsten ist eine weitergehende Befristung nur zulässig, wenn ein sachlicher<br />

Gr<strong>und</strong> diese rechtfertigt gemäß § 14 Abs. 1 TzBfG. Das Gesetz nennt eine Reihe<br />

von sachlichen Gründen wie ein vorübergehender betrieblicher Bedarf Arbeitsspitzen,<br />

Saisonbedarf oder einen Vertretungsfall. Bei den im Gesetz genannten Gründen handelt es<br />

sich um Regelbeispiele. Daneben können weitere vom Gesetz nicht erwähnte,<br />

gleichwertige Gründe treten. In Sondergesetzen finden sich noch weitergehende Befristungsmöglichkeiten.<br />

Eine wirksame Befristung setzt neben § 14 TzBfG voraus, dass die Befristung nach<br />

§§ 14 Abs. 4 TzBfG, 623 BGB schriftlich vereinbart wird. Ansonsten ist die Befristung<br />

unwirksam <strong>und</strong> das Arbeitsverhältnis ist als unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande<br />

gekommen. Das gilt auch <strong>für</strong> eine Zweckbefristung. Da die Vertragsdauer bei der Zweckbefristung<br />

allein vom Vertragszweck abhängt, muss der Vertragszweck schriftlich vereinbart sein, während beim<br />

befristeten Arbeitsverhältnis der Sachgr<strong>und</strong> <strong>für</strong> die Befristung nicht dem Schriftformerfordernis unterfällt.<br />

24<br />

§ 30 TVöD schränkt die Befristungsmöglichkeiten des TzBfG ein. Das befristete Arbeitsverhältnis<br />

ist nach Maßgabe des § 30 Abs. 4 <strong>und</strong> Abs. 5 TVöD ordentlich kündbar.<br />

7.3 Das Probearbeitsverhältnis<br />

Zur Erprobung eines Arbeitnehmers kommen <strong>für</strong> den Arbeitgeber zwei Gestaltungsformen<br />

in Betracht.<br />

a. Es können die ersten Monate eines neu abgeschlossenen Arbeitsvertrages als<br />

Probezeit vereinbart werden. Während einer Probezeit von nicht mehr als 6 Monaten<br />

kann nach § 622 Abs. 3 BGB mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.<br />

Diese kurze Frist kann vollständig ausgenutzt werden zur Kündigung. Es kann noch<br />

am letzten Tag der Probezeit die Kündigung wirksam erfolgen.<br />

24 BAG NJW 2006 S. 1084 ff


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42<br />

Im Geltungsbereich des TVöD gilt nach § 2 Abs. 4 S. 1 TVöD gr<strong>und</strong>sätzlich eine<br />

Probezeit von 6 Monaten. Die Kündigungsfrist während der ersten 6 Monate beläuft<br />

sich auf 2 Wochen zum Monatsende nach § 34 Abs. 1 S. 1 TVöD.<br />

Trotz Vereinbarung einer Probezeit muss<br />

- vor Kündigung einer Schwangeren nach § 9 MuSchG die Zustimmung der zuständigen<br />

Behörde eingeholt werden.<br />

- vor Kündigung die Anhörung nach §§ 102 BetrVG, 77 LPVG erfolgen,<br />

- die Kündigung nach § 623 BGB schriftlich erfolgen.<br />

Unabhängig davon, ob eine Probezeit vorgesehen ist oder nicht, hat ein neu abgeschlossenes<br />

Arbeitsverhältnis während den ersten 6 Monaten einen geringen Bestandsschutz:<br />

- Das Arbeitsverhältnis kann nach § 1 Abs. 1 KSchG ohne soziale Rechtfertigung<br />

gekündigt werden.<br />

- Einem Schwerbehinderten kann ohne Zustimmung des Integrationsamtes<br />

nach § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX gekündigt werden.<br />

b. Es kann alternativ ein befristetes Arbeitsverhältnis nach § 14 TzBfG zum Zwecke<br />

der Erprobung abgeschlossen werden. Das Arbeitsverhältnis endet mit der zur Erprobung<br />

vorgesehenen Frist. Es steht dem Arbeitgeber frei, daran ein unbefristetes<br />

Arbeitsverhältnis anzuschließen. Diese Gestaltungsform ist seltener. Die Befristung muss<br />

schriftlich erfolgen.<br />

IV. Das kollektive <strong>Arbeitsrecht</strong><br />

Arbeitnehmer <strong>und</strong> Arbeitgeber können sich zu Interessenverbänden zusammenschließen.<br />

Diese werden als Koalitionen bezeichnet. Sie wirken an der Gestaltung<br />

der Arbeitsbedingungen mit. Sie haben das Recht, Tarifverträge zu schließen <strong>und</strong><br />

Arbeitskämpfe zu führen. Dies wird als kollektive Koalitionsfreiheit bezeichnet. Art.<br />

9 Abs. 3 GG schützt die Koalitionen in ihrem Bestand <strong>und</strong> in ihrer Betätigungsfreiheit.<br />

Es handelt sich hierbei um ein Schutzgesetz nach § 823 Abs. 1 BGB.<br />

Daneben gibt es die individuelle Koalitionsfreiheit. Diese umfasst das Recht des<br />

einzelnen Arbeitgebers <strong>und</strong> Arbeitnehmers Koalitionen zu gründen, einer Koalition<br />

beizutreten oder aber einer solchen fernzubleiben oder aus dieser auszutreten.<br />

Das kollektive <strong>Arbeitsrecht</strong> gliedert sich in die nachfolgend erörterten Bereiche<br />

- Tarifvertragsrecht<br />

- Arbeitskampfrecht<br />

- Mitbestimmungsrecht.<br />

1. Tarifvertragsrecht<br />

Koalitionen können Tarifverträge abschließen. Für Tarifverträge gilt das TVG.


a. Normativer Teil des Tarifvertrages:<br />

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43<br />

Die Normen des Tarifvertrages gelten unmittelbar nach § 4 Abs. 1 TVG <strong>für</strong> die Mitglieder<br />

der Tarifvertragsparteien, also die Mitglieder der am Tarifvertrag beteiligten<br />

Gewerkschaften <strong>und</strong> Arbeitgeberverbände. Diese unmittelbare Wirkung erfasst<br />

nicht Arbeitnehmer, die nicht Mitglied der Gewerkschaft sind, selbst wenn ihr Arbeitgeber<br />

Mitglied des Arbeitgeberverbandes ist oder Partei eines Firmentarifvertrages.<br />

Um den Zulauf zu den Gewerkschaften nicht noch zu fördern, gewähren viele Arbeitgeber diesen Mitarbeitern<br />

freiwillig die tariflichen Leistungen oder vereinbaren sogar im Arbeitsvertrag die Geltung des<br />

Tarifvertrages. Nach dem Sinn des Tarifrechts, die Arbeitnehmer zu schützen, bleiben Abmachungen<br />

unberührt, die <strong>für</strong> den Arbeitnehmer günstiger als der Tarifvertrag sind. Ist der Tarifvertrag abgelaufen,<br />

gelten seine Rechtsnormen weiter bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt<br />

werden nach § 4 Abs. 5 TVG.<br />

Die Bindung an den Tarifvertrag endet nicht schon mit dem Austritt des Arbeitgebers<br />

aus dem Verband. Die Tarifgeb<strong>und</strong>enheit endet erst mit dem Ende des Tarifvertrages<br />

nach § 3 Abs. 3 TVG.<br />

Bei tariflichen Normen über betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen genügt die Tarifgeb<strong>und</strong>enheit<br />

des Arbeitgebers. Diese Normen gelten <strong>für</strong> den Betrieb nach § 3 Abs. 2 TVG <strong>und</strong> damit<br />

auch <strong>für</strong> nichtorganisierte Arbeitnehmer.<br />

Durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung des B<strong>und</strong>esministers <strong>für</strong> Arbeit können die Normen des<br />

Tarifvertrages in seinem Geltungsbereich auch die nicht-tarifgeb<strong>und</strong>enen Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer<br />

nach § 5 Abs. 4 TVG binden.<br />

Der Tarifvertrag kann im Übrigen im Rahmen der Vertragsfreiheit nach §§ 145 ff BGB<br />

durch übereinstimmende Willenserklärung des Arbeitgebers <strong>und</strong> Arbeitnehmers dem<br />

Arbeitsvertrag zugr<strong>und</strong>e gelegt werden. In diesem Fall müssen weder der Arbeitgeber<br />

noch der Arbeitnehmer Mitglied der tarifvertragsschließenden Parteien sein.<br />

b. Schuldrechtlicher Teil des Tarifvertrages:<br />

Der Tarifvertrag enthält nicht nur Normen <strong>für</strong> den Arbeitsvertrag. Er enthält wie jeder<br />

schuldrechtliche Vertrag auch Rechte <strong>und</strong> Pflichten der Tarifvertragsparteien.<br />

a. Friedenspflicht: Darunter versteht man die Pflicht der Tarifvertragsparteien, während<br />

der Laufzeit des Tarifvertrages von Kampfmaßnahmen keinen Gebrauch zu<br />

machen. Streikmaßnahmen haben zu unterbleiben.<br />

b. Durchführungspflicht: Jede Partei hat auf ihre Mitglieder einzuwirken, dass diese<br />

sich tarifmäßig verhalten.<br />

2. Streik <strong>und</strong> Aussperrung<br />

Art. 9 Abs. 3 GG schützt neben dem Abschluss von Tarifverträgen auch die zwangsweise<br />

Durchsetzung mittels Arbeitskampf. Arbeitskampf ist die Ausübung von Druck<br />

durch kollektive Maßnahmen wie Streik der Arbeitnehmerseite <strong>und</strong> Aussperrung der<br />

Arbeitgeberseite. Streik <strong>und</strong> Aussperrung haben im Gesetz keine Regelung gef<strong>und</strong>en.<br />

Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen wurden <strong>und</strong> werden von der Rechtspre-


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44<br />

chung entwickelt. Während rechtmäßiger Arbeitskampfmaßnahmen ruhen die Rechte<br />

<strong>und</strong> Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, insbesondere die Pflicht zur Arbeitsleistung<br />

<strong>und</strong> zur Entgeltleistung. Nach Beendigung des Arbeitskampfes lebt das alte Arbeitsverhältnis<br />

wieder auf. Zum längsten Streik in der Geschichte der B<strong>und</strong>esrepublik wurde 1956/57<br />

in Schleswig Holstein <strong>für</strong> die Dauer von 16 Wochen aufgerufen. Die Arbeitnehmer streikten <strong>für</strong> Lohnfortzahlung<br />

im Krankheitsfall. 1984 wurde 7 Wochen lang <strong>für</strong> die Verkürzung der Arbeitszeit auf 35<br />

St<strong>und</strong>en/Woche im Südwesten gestreikt. Bestreikte Unternehmen erhalten vom Arbeitgeberverband<br />

Unterstützung, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. Andere im Verband organisierte Unternehmen<br />

dürfen keine Marktsegmente wegnehmen. Es werden Lieferhilfeabkommen garantiert.<br />

a. Streik<br />

Der Streik ist nirgends gesetzlich geregelt. Die Rechtsprechung hat folgende Kriterien<br />

<strong>für</strong> das Vorliegen eines rechtmäßigen Streikes entwickelt:<br />

- gemeinsame planmäßige Arbeitsniederlegung<br />

- gewerkschaftliche Organisation (Sicherungsfunktion)<br />

- zur Durchsetzung tarifvertraglich regelbarer Ziele über<br />

- Inhalt, Abschluss, Beendigung von Arbeitsverhältnissen oder<br />

betriebliche <strong>und</strong> betriebsverfassungsrechtliche Fragen<br />

nicht:<br />

politische Streiks<br />

Regelung individualrechtlicher Fragen<br />

Sympathiestreiks, die sich nicht gegen den Tarifpartner richten<br />

- Beachtung der Friedenspflicht<br />

- Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satzes:<br />

Erst nach Scheitern der Verhandlungen <strong>und</strong> Schlichtung (außer<br />

Warnstreiks)<br />

Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen der Daseinsvorsorge<br />

Beim Warnstreik legen die Arbeitnehmer die Arbeit nach Ablauf eines Tarifvertrages aber schon vor<br />

Scheitern der neuen Tarifverhandlungen nieder. Der Warnstreik soll den Abschluss des Tarifvertrages<br />

beschleunigen.<br />

Ein politischer Streik ist kein rechtmäßiger Streik, da er nicht der Erreichung tarifmäßiger Ziele dient.<br />

Die Arbeitsniederlegung verschiedener Arbeitnehmer ohne gewerkschaftliche Führung ist kein Streik.<br />

Nur Gewerkschaften nicht hingegen einzelne Arbeitnehmer können Tarifverträge abschließen. Die<br />

gewerkschaftliche Führung sichert den ordnungsgemäßen Rahmen des Arbeitskampfes.<br />

Solch ein rechtswidriger Streik kann die fristlose Kündigung des Arbeitgebers wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung<br />

zur Folge haben oder zu Schadensersatzansprüchen führen aus §§ 611 iVm. §§<br />

280 ff., 823 ff. BGB. Die Arbeitsniederlegung ist nicht durch die Koalitionsfreiheit gedeckt.<br />

Der Streik verstößt objektiv gegen die Arbeitsvertragspflicht aus § 611 BGB <strong>und</strong> stellt<br />

einen Eingriff in den eingerichteten <strong>und</strong> ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs.<br />

1 BGB dar. Der rechtmäßige Streik ist jedoch durch das Gr<strong>und</strong>recht der Koalitionsfreiheit<br />

aus Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt <strong>und</strong> damit nicht rechtswidrig. Deshalb kommen<br />

Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen rechtmäßig streikende Arbeitnehmer<br />

nicht in Betracht.<br />

Die rechtmäßig streikenden Arbeitnehmer erbringen keine Arbeitsleistung, weshalb<br />

sie gemäß § 326 BGB nach dem Gr<strong>und</strong>satz keine Arbeit kein Lohn keinen Anspruch<br />

auf Entgeltzahlung haben. Gewerkschaftlich organisierte Streikende können Gelder aus der<br />

Streikkasse ihrer Gewerkschaft erhalten, die die Lohnhöhe regelmäßig bei weitem nicht erreichen.


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45<br />

Kann der Arbeitgeber wegen des Streiks arbeitswillige Arbeitnehmer nicht beschäftigen,<br />

erhalten diese nach § 326 BGB keine Entgeltzahlung. Da ihnen der Vorteil eines<br />

Tarifvertragsabschlusses <strong>und</strong> damit des Streikes langfristig zugute kommen kann,<br />

wird dieses Ergebnis als sachgerecht erachtet. Während eines Streiks erhalten die Arbeitnehmer<br />

nach § 146 SGB III kein Arbeitslosengeld nach dem Gr<strong>und</strong>satz der Neutralitätspflicht des<br />

Staates. Ansonsten könnte durch die staatlichen Leistungen die Arbeitskampfbereitschaft der Arbeitnehmer<br />

noch gesteigert werden.<br />

b. Aussperrung:<br />

Die Aussperrung ist die planmäßige Verweigerung der Beschäftigung <strong>und</strong> Entgeltzahlung<br />

seitens des Arbeitgebers zum Zwecke des Abschlusses eines Tarifvertrages.<br />

Es gibt die Angriffs- <strong>und</strong> die Abwehraussperrung. Die Abwehraussperrung ist<br />

die Reaktion auf einen Streik. Die Angriffsaussperrung, mit der ein Arbeitskampf von der Arbeitgeberseite<br />

eingeleitet wird, wird in der Praxis nicht angewandt.<br />

Aussperrung ist die planmäßige Verweigerung der Beschäftigung <strong>und</strong> Lohnzahlung<br />

durch einen oder mehrere Arbeitgeber, die es in zwei Formen gibt:<br />

- Angriffsaussperrung zur Eröffnung des Arbeitskampfes,<br />

- Abwehraussperrung als Reaktion auf einen Streik,<br />

deren Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen sind:<br />

- Beachtung der Friedenspflicht<br />

- Verfolgung eines tarifvertraglich regelbaren Zieles<br />

- Keine gezielte Aussperrung von Gewerkschaftsmitgliedern<br />

- Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.<br />

Bei der Aussperrung ist nach einem abgestuften Kampfmittelsystem vorzugehen.<br />

Die Aussperrung beginnt mit der suspendierenden Aussperrung, die das Ruhen der Rechte <strong>und</strong><br />

Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis bewirkt. Danach kann die lösende Aussperrung folgen. Diese<br />

beendet die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer. Sie ist gegenüber Arbeitnehmern mit<br />

besonderem Kündigungsschutz nicht möglich. Nach Beendigung des Arbeitskampfes besteht ein<br />

Anspruch auf Wiedereinstellung nach billigem Ermessen. Wegen der weitreichenden Wirkungen ist<br />

diese nur bei hoher Kampfintensität oder bei Wegfall von Arbeitsplätzen zulässig.<br />

3. Das Recht der Mitbestimmung<br />

Die Betriebs- <strong>und</strong> Personalverfassung ist die gr<strong>und</strong>legende Ordnung der Zusammenarbeit<br />

von Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmern.<br />

Für <strong>Verwaltung</strong>en <strong>und</strong> Betriebe eines Trägers des öffentlichen Rechts gelten nach §<br />

130 BetrVG die Personalvertretungsgesetze des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> der Länder. Haben juristische<br />

Personen des öffentlichen Rechts Gesellschaften in Privatrechtsform wie<br />

GmbH <strong>und</strong> AG gegründet, gelten <strong>für</strong> diese das BetrVG wie <strong>für</strong> alle Betriebe in privatrechtlicher<br />

Hand.<br />

Die Beteiligungsrechte des Betriebs- <strong>und</strong> Personalrats sind abgestuft geregelt:<br />

- Informationsrechte


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46<br />

- Mitspracherechte durch Anhörung, Beratung, Vorschlagsrecht<br />

- Mitbestimmungsrechte: Kommt es zu keiner Einigung, hat die fragliche Maßnahme<br />

zu unterbleiben; die Einigungsstelle kann angerufen werden, deren<br />

Spruch die Einigung ersetzt nach § 87 Abs. 2 BetrVG.<br />

Verbietet eine Bank den Mitarbeitern im K<strong>und</strong>enbereich, Speisen <strong>und</strong> Getränke am Arbeitsplatz zu<br />

sich zu nehmen, bedarf es der Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Ein<br />

solches Verbot bezieht sich nicht auf die Erfüllung von Dienstpflichten, sondern in erster Linie auf das<br />

allgemeine Verhalten von Mitarbeitern. 25 Erging ein Verbot ohne Wahrung des Mitbestimmungsrechts,<br />

muss es nicht befolgt werden.<br />

Nach § 118 BetrVG findet das BetrVG keine Anwendung auf Unternehmen, die unmittelbar<br />

<strong>und</strong> überwiegend<br />

- einen politischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen,<br />

- wissenschaftlichen oder künstlerischen Zweck verfolgen oder<br />

- Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen <strong>und</strong><br />

- soweit die Eigenart des Unternehmens dem entgegensteht.<br />

Ähnliche Einschränkungen sieht § 81 LPVG vor.<br />

So beschränkt sich bei diesen Tendenzbetrieben die Beteiligung des Betriebsrates<br />

bei künstlerischen Mitarbeitern auf eine bloße Anhörung nach § 102 BetrVG ohne<br />

Widerspruchsrecht <strong>und</strong> Weiterbeschäftigungsanspruch, soweit die Kündigung ihren<br />

Gr<strong>und</strong> im künstlerischen Bereich hat. 26 Die Beteiligungsrechte bleiben unbeschränkt<br />

bestehen bei Kündigungen wegen Leistungsmängeln ohne unmittelbaren Bezug zum<br />

Tendenzzweck oder aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten.<br />

Die außerordentliche Kündigung von Betriebsratsmitgliedern als Tendenzträger aus<br />

tendenzbedingten Gründen unterliegt nur dem Anhörungsgebot des § 102 Abs. 1<br />

BetrVG <strong>und</strong> nicht der Zustimmung nach § 103 BetrVG. 27<br />

Diese Ausnahmen von der Mitbestimmung tragen dem verfassungsrechtlichen Rang<br />

der Art. 5, 140 GG Rechnung.<br />

V. Das Arbeitsgerichtsverfahren<br />

Die Gerichtsbarkeit in Arbeitssachen wird durch die Arbeitsgerichte, die Landesarbeitsgerichte<br />

<strong>und</strong> das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht mit Sitz in Erfurt ausgeübt.<br />

Vor den Arbeitsgerichten können die Parteien den Rechtsstreit selbst führen oder<br />

sich vertreten lassen nach § 11 ArbGG. Auch die Vertretung durch einen Verbandsvertreter<br />

kommt in Betracht. Vor den Landesarbeitsgerichten müssen sich die Parteien<br />

durch einen Rechtsanwalt oder Verbandsvertreter vertreten lassen. Vor dem<br />

B<strong>und</strong>esarbeitsgericht ist die Vertretung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben.<br />

25 VG Mainz vom 20.01.2004, 5 K 819/03<br />

26 BAG NJW 1976 S. 727<br />

27 Str.


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47<br />

Die mündliche Verhandlung in Arbeitsvertragsstreitigkeiten beginnt mit einer Güteverhandlung<br />

nach § 54 ArbGG. Diese soll in Kündigungsverfahren binnen 2 Wochen<br />

nach Klageerhebung stattfinden. Die mündliche Verhandlung ist zwingend vorgeschrieben.<br />

Das Urteil soll gr<strong>und</strong>sätzlich noch im Verhandlungstermin verkündet<br />

werden.<br />

Die Gerichtskosten sind niedriger als in vergleichbaren Verfahren. Der obsiegenden<br />

Partei sind die erstinstanzlichen außergerichtlichen Kosten von der unterliegenden<br />

Partei nicht zu ersetzen nach § 12 a Abs. 1 ArbGG. Diese Regelung soll das Kostenrisiko<br />

des Klägers verringern. Ansonsten vermag die Angst vor dem Kostenrisiko manchen Arbeitnehmer<br />

von der Erhebung der Klage abzuhalten.<br />

Nach § 64 ArbGG ist die Berufung in vermögensrechtlichen Streitigkeiten grds. nur zulässig, wenn der<br />

Wert der Beschwerde € 600,-- übersteigt oder wenn die Berufung im Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen<br />

wurde.<br />

VI. <strong>Arbeitsrecht</strong> in der Kirche<br />

Der Staat hat sein Verhältnis zu den Kirchen durch Rezeption der Kirchenartikel 136 bis 141<br />

WRV ( Weimarer Reichsverfassung ) mittels Artikel 140 GG festgelegt. Es heißt in Art. 137<br />

Abs. 3 WRV: Jede Religionsgesellschaft ordnet <strong>und</strong> verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig<br />

innerhalb der Schranken des <strong>für</strong> alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne<br />

Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde. In Art. 137 Abs. 5 WRV heißt es:<br />

Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts soweit sie solche<br />

bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu<br />

gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung <strong>und</strong> die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der<br />

Dauer bieten... . Die Weimarer Kirchenartikel sind durch Art. 140 GG vollgültiges Verfassungsrecht<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland geworden.<br />

Mit der Garantie des Selbstbestimmungsrechts erkennt der Staat die Kirchen als Institutionen<br />

mit dem Recht der Selbstbestimmung an, die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat<br />

sind <strong>und</strong> ihre Gewalt nicht von ihm herleiten. Deshalb kann er der Kirche nicht vorschreiben,<br />

wie <strong>und</strong> in welcher Form sie ihren Auftrag wahrnimmt.<br />

a) Hieraus leitet sich die Eigenständigkeit der kirchlichen Dienstverfassung her. Für den Bereich der<br />

katholischen Kirche findet deshalb staatskirchenrechtlich Anerkennung, dass die Kirche eine hierarchische<br />

Struktur hat <strong>und</strong> die Unterscheidung zwischen Klerikern <strong>und</strong> Laien unumstößlich ist.<br />

b) Zu den Kompetenzen, die mit der Körperschaftsqualität verb<strong>und</strong>en sind, gehört vor allem die<br />

Dienstherrenfähigkeit. Die Kirchen können ihr Amtsrecht entsprechend dem staatlichen Beamtenrecht<br />

regeln. Dabei bestimmen die Kirchen selbst, wie die entsprechende kirchliche Regelung aussehen<br />

soll. Sie müssen nur die verfassungsrechtlich garantierten Gr<strong>und</strong>sätze des Berufsbeamtentums respektieren.<br />

Diese öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse treten neben die kirchlichen Regelungen der<br />

Beschäftigungsverhältnisse.<br />

c) Ist den Kirchen das Recht gewährleistet, ihr Ämterwesen eigenständig zu regeln, verleiht ihnen dies<br />

die Befugnis, besondere Gestaltungsformen <strong>für</strong> die zivilrechtlichen Arbeitsverhältnisse im Dienste<br />

der Kirche zu entwickeln. Dies umfasst vor allem die Befugnis, ihnen einen religiös geprägten Inhalt zu


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48<br />

geben <strong>und</strong> dem Arbeitsvertrag das besondere Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft aller ihrer<br />

Mitarbeiter zugr<strong>und</strong>e zu legen. 28<br />

Eine kirchliche Einrichtung kann erwarten, dass jeder Mitarbeiter das kirchliche Selbstverständnis der<br />

Einrichtung anerkennt <strong>und</strong> es sich in seinem dienstlichen Handeln zu Eigen macht. Bei Begründung<br />

<strong>und</strong> Gestaltung eines Arbeitsverhältnisses wird das Leitbild einer Dienstgemeinschaft, die den spezifisch<br />

religiösen Charakter des kirchlichen Dienstes respektiert <strong>und</strong> diesem zu dienen bestimmt ist, mit<br />

den Mitteln des Vertragsrechts verwirklicht. 29 Daneben können sich die Kirchen gleichwohl des allgemeinen<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>s bedienen.<br />

d) Den Kirchen kommt das Recht zu, aufgr<strong>und</strong> des ihnen verfassungsrechtlich gewährleisteten<br />

Selbstbestimmungsrechts Dienstordnungen zu erlassen, in denen sie die Aufgaben, Einstellungsvoraussetzungen<br />

<strong>und</strong> Pflichten <strong>für</strong> einzelne kirchliche Berufe regeln. Die Deutsche Bischofskonferenz hat<br />

auf ihrer Herbstvollversammlung am 22. September 1993 in Fulda <strong>für</strong> die katholische Kirche die<br />

Gr<strong>und</strong>ordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse verabschiedet. Sie<br />

ist das Recht der in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland gelegenen Teilkirchen, in denen <strong>und</strong> aus denen<br />

die eine <strong>und</strong> einzige katholische Kirche besteht. Hierunter fallen nicht Mitglieder, die aufgr<strong>und</strong> eines<br />

Klerikerdienstverhältnisses oder ihrer Ordenszugehörigkeit tätig sind. Wer als Mitglied eines Ordens<br />

der katholischen Kirche oder als evangelische Diakonisse in kirchlichen Einrichtungen beschäftigt<br />

wird, ist nicht deren Arbeitnehmer. Die Dienste werden ausschließlich vom religiösen Bekenntnis geprägt.<br />

Die Herausnahme aus dem <strong>Arbeitsrecht</strong> wird durch das Gr<strong>und</strong>recht der Glaubensfreiheit in Art.<br />

4 GG gefordert. Wird ein Ordensangehöriger aufgr<strong>und</strong> eines Gestellungsvertrages in einer weltlichen<br />

Einrichtung beschäftigt, ist er gleichwohl nicht Arbeitnehmer sondern behält seine besondere Stellung<br />

als Ordensangehöriger.<br />

Nach Art. 137 Abs. 3 WRV gelten <strong>für</strong> kirchliche Arbeitsverhältnisse die allgemeinen Gesetze. Das<br />

allgemeine Gesetz ist ein Gesetz, das trotz gr<strong>und</strong>sätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom<br />

Standpunkt der Gesamtnation als sachlich notwendige Schranke der kirchlichen Freiheit anerkannt<br />

werden muss. Bei rein inneren kirchlichen Angelegenheiten kann ein staatliches Gesetz <strong>für</strong> die Kirche<br />

keine Schranke bilden.<br />

Die arbeitsrechtliche Regelungsautonomie beschränkt sich nicht auf die verfasste Kirche, die amtskirchliche<br />

Organisation, sondern sie erstreckt sich auf alle Einrichtungen, die einer Kirche als Kirche<br />

zugeordnet sind wie deren karitativen <strong>und</strong> erzieherischen Einrichtungen. Dies wird in §§ 118 BetrVG,<br />

107 a LPVG anerkannt. Unter den Geltungsbereich der arbeitsrechtlichen Regelungsautonomie fallen<br />

privatrechtlich verselbständigte Einrichtungen, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem<br />

Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche wahrzunehmen<br />

<strong>und</strong> zu erfüllen. Das Selbstbestimmungsrecht bezieht sich deshalb auf die kirchlich getragene<br />

Krankenpflege <strong>und</strong> die Organisation des kirchlichen Krankenhauses. Gleiches gilt <strong>für</strong> eine kirchliche<br />

Schule, auch wenn ihr Rechtsträger ein Verein nach Bürgerlichem Recht ist. Öffentlichkeitsarbeit mit<br />

publizistischen Mitteln ist ebenfalls Teil der kirchlichen Mission.<br />

1. Fehlbestand<br />

VII. Beispielsfälle<br />

Kassiererin K war bei der Stadt L in der Kantine beschäftigt. Im Arbeitsvertrag hieß<br />

es u.a.: „Neben den gesetzlichen Gründen ist die Stadt zur fristlosen Kündigung be-<br />

28 BVerfGE 70 S. 138, 165<br />

29 Die Kirchen haben nach §§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1 SGB IV, 5 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI Autonomie zur<br />

Regelung der sozialen Sicherung. Treffen sie keine eigene Regelung, so gilt die gesetzliche Sozialversicherung.


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49<br />

rechtigt, wenn Fehlbestände am Geld- oder Warenbestand oder am Inventar festgestellt<br />

werden...“. Bei routinemäßig angesetzten Inventuren wurden Warenfehlbestände<br />

festgestellt <strong>und</strong> K mit dieser Begründung fristlos entlassen. K verweist darauf, dass<br />

noch andere Arbeitnehmer im Geschäft tätig sind <strong>und</strong> behauptet, sie habe den Fehlbestand<br />

nicht verursacht. L vertritt die Auffassung, eines Nachweises bedürfe es wegen<br />

der vereinbarten Kündigungsklausel nicht.<br />

Ist die Kündigung wirksam?<br />

Lösung:<br />

Die fristlose Kündigung ist nur wirksam, wenn die Kündigungsvereinbarung selbst<br />

zulässig ist. Dies ist nicht der Fall. Die Parteien eines Arbeitsvertrages können das<br />

Recht zur außerordentlichen Kündigung vertraglich nicht über das gesetzliche Maß<br />

des § 626 Abs. 1 BGB erweitern. Diese Vorschrift ist zwingendes Recht. Durch eine<br />

solche Vereinbarung würden die Vorschriften über die <strong>für</strong> die ordentliche Kündigung<br />

eines Arbeitsverhältnisses geltenden zwingenden gesetzlichen Mindestkündigungsfristen<br />

umgangen werden. Deshalb kann eine Vereinbarung, wonach der Arbeitgeber<br />

berechtigt sein soll einer Verkäuferin, die zusammen mit mehreren anderen in einer<br />

Verkaufsstelle beschäftigt ist, dann fristlos zu kündigen, wenn Fehlbestände festgestellt<br />

werden, bei der Prüfung des wichtigen Gr<strong>und</strong>es nur dann berücksichtigt werden,<br />

wenn wenigstens feststeht, dass die Fehlbestände von der Verkäuferin (mit-<br />

)verursacht worden sind. 30<br />

2. Vorstellungstermin<br />

Dem Ingenieur A aus Stuttgart wird fristgemäß gekündigt zum 31.12. des Jahres, da<br />

er den ihm gestellten Aufgaben nicht gewachsen ist. Er gibt verschiedene Stellenanzeigen<br />

in Fachzeitschriften auf. Im November wird er von der Firma F mit Sitz in<br />

Hamburg zu einem Vorstellungsgespräch am Dienstag um 09.00 Uhr eingeladen. A<br />

bittet seinen bisherigen Arbeitgeber G um Freistellung <strong>für</strong> 2 Tage.<br />

Frage 1: Kann G fristlos kündigen, wenn A trotz Ablehnung der Freistellung eigenmächtig<br />

frei nimmt, was er vorher angekündigt hat?<br />

Frage 2: Bekommt A von F seine Reisekosten ersetzt.<br />

Lösung:<br />

1. Die fristlose Kündigung ist nach § 626 BGB nur dann wirksam, wenn ein wichtiger<br />

Gr<strong>und</strong> vorliegt, somit die Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses unzumutbar<br />

ist. Eigenmächtiger Urlaubsantritt ist nach ständiger Rechtsprechung eine beharrliche<br />

Arbeitsverweigerung, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Dies<br />

gilt jedoch nicht <strong>für</strong> den vorliegenden Fall. Beim Urlaub zum Zwecke der Stellensuche<br />

besteht nach § 629 BGB die Pflicht des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer auf<br />

30 BAG AP Nr. 67 zu § 626 BGB


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50<br />

Verlangen angemessene Zeit zum Aufsuchen eines anderen Dienstverhältnisses zu<br />

gewähren. Allerdings muss auch hier der Arbeitnehmer sich den Urlaub „gewähren<br />

lassen“, darf ihn also nicht eigenmächtig nehmen. A hatte jedoch vergeblich um Urlaubsgewährung<br />

nachgesucht <strong>und</strong> die Wahrnehmung des Termins angekündigt. In<br />

diesem Sachverhalt liegt nach der Rechtsprechung keine beharrliche Arbeitsverweigerung,<br />

die zu einer fristlosen Kündigung berechtigen würde. Die Abwesenheit hält<br />

sich auch in der „Angemessenheitsgrenze“ des § 629 BGB, wenn man bedenkt, dass<br />

schon aufgr<strong>und</strong> der räumlichen Entfernung je 1 Tag zur Hin- bzw. Rückfahrt erforderlich<br />

ist. Auf jeden Fall war das Verhalten des A nicht geeignet, die Fortsetzung des<br />

demnächst ohnehin auslaufenden, weil gekündigten Arbeitsverhältnisses als unzumutbar<br />

erscheinen zu lassen.<br />

2. A hat Anspruch auf Ersatz der Vorstellungskosten, da er die Reise nach Hamburg<br />

auf Aufforderung der dortigen Firma zum Zwecke der Vorstellung unternommen hatte<br />

analog § 670 BGB. Anders wäre es, wenn der Arbeitnehmer nur eine “unverbindliche<br />

Rücksprache“ gewünscht hätte oder die Firma von vornherein die Kostenerstattung<br />

ausgeschlossen hätte.<br />

3. Langschläfer<br />

Herr Anton (A) hat zum zweiten Mal in Folge montags verschlafen <strong>und</strong> kommt 3<br />

St<strong>und</strong>en zu spät zur Arbeit. Daraufhin erklärt ihm sein Arbeitgeber, Herr Grau (G),<br />

schriftlich die fristlose Kündigung. Den Betriebsrat hat er nicht angehört. Er ist der<br />

Ansicht, dass es bei einer fristlosen Kündigung dieser Anhörung nicht bedarf. Auf die<br />

Kündigungsschutzklage des A hin entscheidet das Gericht, dass die fristlose Kündigung<br />

unwirksam ist. Daraufhin nimmt A die Tätigkeit bei G wieder auf.<br />

A verlangt Nachzahlung des Gehalts. Zwischen Ausspruch der Kündigung <strong>und</strong> der<br />

Entscheidung des Gerichts ist er seiner Arbeit nicht nachgekommen <strong>und</strong> hat kein<br />

Gehalt bekommen. G meint, wer nicht arbeite, bekomme auch kein Geld.<br />

Lösung:<br />

Der Anspruch des A könnte aus §§ 611, 615 BGB folgen. Das Arbeitsverhältnis mit G<br />

hat nach der fristlosen Kündigung fortbestanden, weil diese Kündigung wegen Verstoßes<br />

gegen § 102 Abs. 1 BetrVG mangels Anhörung des Betriebsrats unwirksam<br />

war. Nach § 615 BGB hat G die vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der<br />

Annahme der Dienste des A in Verzug gekommen ist. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs<br />

richten sich nach §§ 293 ff. BGB. Nach §§ 294, 295 BGB muss der<br />

Schuldner gr<strong>und</strong>sätzlich die geschuldete Leistung anbieten. Der Sachverhalt enthält<br />

keinen Hinweis darauf, dass A nach Ausspruch der fristlosen Kündigung dem G angeboten<br />

hat, weiter zu arbeiten. Jedoch ist nach § 296 BGB ein Angebot des Arbeitnehmers<br />

überflüssig, wenn vom Arbeitgeber eine Mitwirkungshandlung erforderlich<br />

ist <strong>und</strong> der Arbeitgeber diese Handlung nicht rechtzeitig vornimmt. Die Mitwirkungshandlung<br />

des Arbeitgebers besteht darin, dem Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz zur<br />

Verfügung zu stellen. Mit der fristlosen Kündigung gab der Arbeitgeber G unmissverständlich<br />

zu erkennen, dass er die Arbeitsleistung <strong>für</strong> die Zukunft ablehnt. Er hat damit<br />

zu verstehen gegeben, dass er den Arbeitnehmer G nicht weiter beschäftigen


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51<br />

wolle <strong>und</strong> ihm keinen Arbeitsplatz mehr zur Verfügung stellt. In diesen Fällen muss er<br />

den Arbeitnehmer zur Arbeit auffordern, wenn er trotz fristloser Kündigung nicht in<br />

Annahmeverzug geraten will.<br />

Eine Ausnahme von diesen Gr<strong>und</strong>sätzen besteht nur, wenn dem Arbeitgeber die Annahme<br />

der Arbeitsleistung nach Treu <strong>und</strong> Glauben nicht zuzumuten ist. Solch eine<br />

Unzumutbarkeit liegt nur bei einem besonders groben Vertragsverstoß vor, der zur<br />

Gefährdung von Rechtsgütern des Arbeitgebers <strong>und</strong> anderer Arbeitnehmer geführt<br />

hat oder führen kann <strong>und</strong> deren Schutz den Interessen des Arbeitnehmers vorrangig<br />

ist. Ein solcher Fall liegt bei bloßer wiederholter Verspätung nicht vor.<br />

G ist nach § 615 BGB in Annahmeverzug geraten <strong>und</strong> hat <strong>für</strong> die Dauer des Annahmeverzugs<br />

dem A das Entgelt fort zu entrichten.<br />

4. Operation<br />

Oberarzt O ist bei den Städtischen Kliniken S beschäftigt. Bei einer Operation unterläuft<br />

ihm ein Fehler. Er vergisst eine Operationsklemme im Bauchraum eines Patienten.<br />

Bei diesem Patienten treten erhebliche Komplikationen auf <strong>und</strong> eine erneute<br />

Operation ist erforderlich. S muss an den Patienten Schadensersatz <strong>und</strong> Schmerzensgeld<br />

bezahlen.<br />

Dem O war vor geraumer Zeit bereits derselbe Fehler unterlaufen gewesen. Deshalb<br />

war er vom vorgesetzten Chefarzt dringlich ermahnt worden, eine höhere Sorgfalt<br />

walten zu lassen.<br />

Prüfen Sie, welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen ergriffen werden können <strong>und</strong><br />

wieweit der Landespersonalrat zu beteiligen ist.<br />

Lösung:<br />

I. Regress:<br />

a. Ein Regressanspruch könnte sich aus §§ 611, 280 Abs. 1 BGB ergeben. O hat im<br />

Rahmen der Erfüllung seines Dienstvertrages einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht<br />

begangen. Ihm ist ein Kunstfehler unterlaufen. Nach den Regeln über die Haftungserleichterung<br />

<strong>für</strong> Arbeitnehmer haftet O nur bei Vorsatz <strong>und</strong> grober Fahrlässigkeit<br />

in vollem Umfang <strong>und</strong> bei mittlerer Fahrlässigkeit anteilig. Bei leichter Fahrlässigkeit<br />

scheidet eine Haftung aus. Hier kommt eine Haftung wegen grober Fahrlässigkeit<br />

in Betracht. Auch wenn bei einem objektiven Sorgfaltsverstoß eine gewisse<br />

Vermutung <strong>für</strong> eine subjektive Sorgfaltswidrigkeit besteht, muss der Arbeitgeber nach<br />

§ 619 a BGB Umstände darlegen, aus denen die grobe Fahrlässigkeit sich ergibt. Ihn<br />

trifft die Beweislast hinsichtlich der groben Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers. In Anbetracht<br />

der Erkennbarkeit einer Operationsklemme, der Möglichkeit, das Fehlen einer<br />

Operationsklemme durch Nachzählen festzustellen <strong>und</strong> des Umstandes, dass O<br />

zuvor schon eindringlich auf seine Sorgfaltspflichten hingewiesen wurde, kann im<br />

vorliegenden Fall eine grobe Fahrlässigkeit bejaht werden.


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52<br />

Die Stadt S hat einen Schadensersatzanspruch gegen O wegen der von ihr dem Patienten<br />

nach §§ 611, 280 Abs.1, 831, 253 BGB erbrachten Schadensersatz- <strong>und</strong><br />

Schmerzensgeldleistungen. Der Sachverhalt enthält keinen Hinweis darauf, dass die Höhe des<br />

Anspruchs im Verhältnis zum Einkommen des A unverhältnismäßig ist.<br />

Der Personalrat ist nach § 79 Abs. 3 Nr. 3 LPVG zu beteiligen, soweit es um Ersatzansprüche<br />

gegen den beschäftigten Arzt A geht.<br />

b. S könnte gegen O einen Rückgriffsanspruch aus §§ 840, 421, 426 Abs. 1 BGB<br />

haben. Zwischen S <strong>und</strong> O müsste Gesamtschuldnerschaft vorliegen.<br />

S haftet dem Patienten aus §§ 611, 280 Abs. 1, 276, 831, 253 BGB. O haftet dem<br />

Patienten aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB, 253 BGB.<br />

Nach § 840 BGB haften sie als Gesamtschuldner.<br />

Zwischen den Gesamtschuldnern besteht nach §§ 421, 426 Abs. 1 BGB ein Ausgleichsanspruch.<br />

Im Zweifel haftet jeder Gesamtschuldner zur Hälfte, soweit keine<br />

anderweitige Haftungsverteilung angemessen ist. Nach den Gr<strong>und</strong>sätzen der Arbeitnehmerhaftung<br />

hat der Arbeitnehmer bei grober Fahrlässigkeit – wie oben festgestellt<br />

– alleine <strong>für</strong> die Schadensfolgen aufzukommen.<br />

c. Ein weiterer Ausgleichsanspruch ergibt sich nach §§ 421, 426 Abs. 2 BGB aus<br />

übergegangenem Recht.<br />

d. Ein deliktischer Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB entfällt. O hat die Stadt S nicht<br />

an ihren geschützten Rechtsgütern verletzt.<br />

II. Kündigung<br />

a. Eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB entfällt. Es ermangelt an einem<br />

wichtigen Gr<strong>und</strong>, der die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf einer<br />

ordentlichen Kündigung unzumutbar macht. A kann weiterhin unter Aufsicht oder besonderer<br />

Kontrolle beschäftigt werden.<br />

b. Eine ordentliche Kündigung nach §§ 620 BGB, 1 KSchG ist mangels Abmahnung<br />

ausgeschlossen. Eine ordentliche Kündigung setzt analog § 314 BGB voraus, dass<br />

dem Arbeitnehmer eindringlich sein Fehlverhalten vor Augen geführt wird <strong>und</strong> ihm<br />

deutlich gemacht wird, dass eine Wiederholung arbeitsrechtliche Konsequenzen haben<br />

kann. Im vorliegenden Fall wurde A nur auf die erforderliche Sorgfalt hingewiesen<br />

<strong>und</strong> ermahnt, dies in der Zukunft einzuhalten, nicht jedoch wurden ihm arbeitsrechtliche<br />

Konsequenzen deutlich gemacht. Die Ermahnung seines Vorgesetzten<br />

erfüllt nicht die Voraussetzungen einer Abmahnung. Deshalb ist eine verhaltensbedingte<br />

Kündigung nicht möglich.<br />

Sowohl <strong>für</strong> die außerordentliche wie <strong>für</strong> die ordentliche Kündigung wäre nach § 77<br />

LPVG der Personalrat vor Ausspruch der Kündigung zu beteiligen gewesen.<br />

III. Abmahnung


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53<br />

Dem O kann eine Abmahnung analog § 314 BGB erteilt werden. Der Personalrat ist<br />

nach § 80 Abs. 1 Nr. 8 c LPVG vor Erteilung der schriftlichen Abmahnung auf Antrag<br />

des betroffenen A zu beteiligen.<br />

5. Untreue<br />

Bei der Stadt S ist die 42jährige Frau Alster (A) seit ihrem 25. Lebensjahr beschäftigt.<br />

Sie ist TVöD - Angestellte. Während ihrer Ferienabwesenheit entdeckt ihr Vorgesetzter,<br />

dass sie in den zurückliegenden Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit Gebührenzahlungen<br />

in Höhe von € 12.000,-- unterschlagen hat. Am Tag ihrer Urlaubsrückkehr<br />

am Montag, dem 13. Juni bestellt der Oberbürgermeister sie sogleich zu einer Rücksprache<br />

ein. A gesteht die Tat. Am Montag, dem 27. Juni lässt der Oberbürgermeister<br />

O der A eine schriftliche außerordentliche Kündigung zum 30. Juni aushändigen,<br />

nachdem der Personalrat angehört wurde <strong>und</strong> sich mit der Kündigung einverstanden<br />

erklärt hat. Zwei Tage später, am 29. Juni, unterrichtet er den zuständigen <strong>Verwaltung</strong>sausschuss.<br />

A ist der Ansicht, die Kündigung sei verspätet erfolgt. Sie habe im Übrigen erst nach<br />

Anhörung des <strong>Verwaltung</strong>sausschusses erfolgen dürfen.<br />

Ist die Kündigung wirksam erfolgt?<br />

Lösung:<br />

Die außerordentliche Kündigung ist gemäß § 623 BGB von einer Schriftform abhängig.<br />

Diese wurde eingehalten. Die Kündigung ist der A am 27. Juni zugegangen.<br />

Die außerordentliche Kündigung setzt einen wichtigen Gr<strong>und</strong> voraus. Die Fortsetzung<br />

des Arbeitsverhältnisses muss unzumutbar sein. Die Veruntreuung eines Betrages<br />

von € 12.000,-- ist ein besonders schwerwiegender strafrechtlich relevanter<br />

Vertrauensbruch. Solch ein Vertrauensbruch führt zur Unzumutbarkeit der Fortsetzung<br />

des Arbeitsverhältnisses. Strafbare Vermögensdelikte werden gr<strong>und</strong>sätzlich als<br />

fristloser Kündigungsgr<strong>und</strong> anerkannt. Eine vorangehende Abmahnung ist in diesen<br />

Fällen unmöglich <strong>und</strong> überflüssig.<br />

Der A wurde die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Sie hat die Tat eingestanden.<br />

Damit liegt ein wichtiger Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> eine außerordentliche Kündigung nach §<br />

626 BGB vor. § 34 Abs. 2 TVöD steht der fristlosen Kündigung nicht entgegen. Zwar<br />

zählt die A nach § 34 Abs. 2 TVöD zu den sog. unkündbaren Angestellten, da sie seit<br />

mehr als 15 Jahren bei der Stadt S beschäftigt ist <strong>und</strong> das 40. Lebensjahr überschritten<br />

hat. Die Unkündbarkeit schließt zwar die ordentliche Kündigung aus, nicht hingegen<br />

die außerordentliche Kündigung.<br />

Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die Kündigung nur innerhalb von 2 Wochen nach<br />

Kenntnis vom Kündigungsgr<strong>und</strong> erfolgen. Diese Kündigungserklärungsfrist beginnt<br />

ab dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Kündigungsberechtigte von den <strong>für</strong> die Kündigung<br />

maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Die kündigungsberechtigte<br />

Stadt S hat sich nach § 166 BGB analog die Kenntnis des Vorgesetzten der A zurechnen<br />

zu lassen. Da dieser nur mit hoher Wahrscheinlichkeit die Veruntreuung


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Ludwigsburg<br />

54<br />

vermutete, war nach der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht die Anhörung der A geboten.<br />

Diese ist zum frühestmöglichen Zeitpunkt am Montag, dem 13. Juni erfolgt.<br />

Es stellt sich die Frage, ob die Kündigung am Montag dem 27. Juni noch rechtzeitig<br />

innerhalb der 2-Wochenfrist erfolgt ist. Für die Fristberechnung gelten §§ 188 Abs. 2,<br />

187 Abs. 1 BGB. Für den Fristbeginn ist die Kenntnisnahme von dem zur Kündigung<br />

berechtigenden Ereignis nach § 187 Abs. 1 BGB maßgebend. Dies war Montag 13.<br />

Juni. Die 2-Wochenfrist endet nach § 188 Abs. 2. Bei Fristen, die an Ereignisse anknüpfen<br />

gilt § 188 Abs. 2, 1. Alt. BGB. Hiernach endigt die Frist mit Ablauf desjenigen<br />

Tages, welcher durch seine Benennung dem Tag entspricht, in den das Ereignis fiel.<br />

Das Ereignis der Kenntnisnahme fiel auf Montag den 13. Juni <strong>und</strong> endigt damit am<br />

Montag 2 Wochen später, dem 27. Juni. Der Zugang der Kündigung am 27. Juni ist<br />

noch fristgemäß.<br />

Die erforderliche Anhörung des Personalrats nach § 77 Abs. 3 S. 1 LPVG vor Ausspruch<br />

der Kündigung ist erfolgt.<br />

Der Oberbürgermeister O ist nach § 42 GemO vertretungsberechtigtes Organ der<br />

Gemeinde <strong>und</strong> konnte die Kündigungserklärung nach § 164 BGB mit Wirkung <strong>für</strong> die<br />

Stadt abgeben. Die erforderliche Schriftform nach § 623 BGB wurde eingehalten. §<br />

54 Abs. 1 GemO kommt nicht zur Anwendung. Eine Kündigung ist keine Verpflichtungserklärung<br />

der Gemeinde. Eine Mitwirkung des Gemeinderats ist <strong>für</strong> die Kündigung<br />

unbeachtlich.<br />

Die Stadt S konnte das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist am<br />

27. Juni mit sofortiger Wirkung beenden. Es steht ihr frei eine weniger einschneidende<br />

Maßnahme zu ergreifen <strong>und</strong> das Arbeitsverhältnis erst zum 30. Juni zu kündigen.<br />

Solche soziale Auslauffristen sind bei fristloser Kündigung zulässig.<br />

1. Lizenzfußballspieler<br />

VIII. Übungsfälle zum Selbststudium<br />

Herr Andreas (A) war aufgr<strong>und</strong> eines schriftlichen Vertrags beim B-Fußballclub e.V.<br />

als Lizenzfußballspieler der 2. Liga Süd beschäftigt. Neben dieser Lizenzspielertätigkeit<br />

übte A noch halbtags den Beruf eines Bankkaufmanns aus. Vom 02.01. bis<br />

14.02. des Jahres war A laut verschiedener Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erkrankt.<br />

Er nahm weder am Training noch an Spielen teil. Während dieser Zeit stellte<br />

B die Zahlungen an A ein.<br />

A verlangt Fortzahlung des vertragsgemäßen Entgelts.<br />

2. Verlagsarbeit<br />

Die Sozialpädagogin Frau Dreier (D) ist als freie Mitarbeiterin im Lektorat eines Jugendbuch-<br />

<strong>und</strong> Jugendzeitschriftenverlags beschäftigt. Ihr obliegt die Durchsicht von


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Manuskripten auf sprachliche <strong>und</strong> inhaltliche Angemessenheit in Hinblick auf den<br />

besonderen Leserkreis. Für die Arbeit an Zeitschriftenmanuskripten muss sie sich<br />

dienstags, mittwochs <strong>und</strong> donnerstags <strong>für</strong> jeweils 5 – 7 St<strong>und</strong>en einfinden. Diese Arbeiten<br />

erledigt sie im Lektoratsbüro des Verlages. Die Arbeit an Buchmanuskripten<br />

wird D nach Bedarf zugeteilt. Diese kann sie überwiegend zu Hause erledigen. Es<br />

wird ihr lediglich ein Termin <strong>für</strong> die Abgabe des durchgesehenen Manuskripts gesetzt.<br />

Die geleistete Arbeitszeit wird nach einem von D auszufüllenden Arbeitszeiterhebungsbogen,<br />

der vom Lektoratsleiter gegen zu zeichnen ist, abgerechnet. D arbeitet<br />

zumeist zwischen 25 – 28 St<strong>und</strong>en in der Woche <strong>für</strong> den Verlag.<br />

In der verbleibenden Zeit ist sie gelegentlich noch als Dozentin bei einem Träger der<br />

Erwachsenenbildung tätig.<br />

Ist D Arbeitnehmerin oder freie Mitarbeiterin i.S. einer Selbständigen?<br />

3. Vorstrafen<br />

Die Ladenkette L-GmbH sucht Kassierer <strong>und</strong> Kassiererinnen. Herr Vogel (V) stellt<br />

sich beim Personalchef Herrn Paul (P) vor. Die Frage nach Vorstrafen verneint er,<br />

obwohl er 11 Monate zuvor wegen Unterschlagung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt<br />

worden war. Nach 6 Monaten erfährt P von der Vorstrafe.<br />

P will das Arbeitsverhältnis auf jeden Fall lösen. Da er mit den Leistungen des V ohnehin<br />

nicht zufrieden war, will er das ausbezahlte Gehalt zurückfordern. Zumindest<br />

das Gehalt von 2 Wochen will er zurückfordern, während deren V in Urlaub war.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

4. Rückwirkung<br />

Die Sozialarbeiterin Frau Anden (A) arbeitete aufgr<strong>und</strong> eines befristeten Arbeitsvertrages<br />

vom 01.01. bis 31.07. beim Verein <strong>für</strong> soziale Jugendarbeit e.V. . Das Bruttogehalt<br />

wurde arbeitsvertraglich auf € 2.000,-- festgesetzt. Durch Beschluss des Vorstands<br />

vom 20.09. wurden die Löhne <strong>und</strong> Gehälter der Mitarbeiter rückwirkend ab<br />

01.05. um 4 % erhöht entsprechend den Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst zum<br />

01.03. des Jahres.<br />

Auch A verlangt den erhöhten Lohn vom 01.05. bis 31.07. Der Verein verweigert die<br />

Zahlung, weil A zwischenzeitlich ausgeschieden sei.<br />

5. Fahrgeld<br />

Herr Angermann (A) wird bei der Stadt G als Sozialarbeiter angestellt. Im Anstellungsvertrag<br />

wird auf die Geltung des TVöD verwiesen, ohne dass A eine Ausfertigung<br />

des TVöD erhält. Der Anstellungsvertrag wird versehentlich nur vom Oberbürgermeister<br />

<strong>und</strong> nicht von A unterschrieben. A behauptet später, der Oberbürgermeister<br />

habe ihm die Erstattung der Fahrtkosten vom Wohnsitz zum Arbeitsplatz zugesagt.<br />

Diese Regelung sei <strong>für</strong> ihn von großer Bedeutung gewesen, was er dem Oberbürgermeister<br />

auch deutlich gesagt habe. Der Oberbürgermeister kann sich an einen


solchen Gesprächsinhalt überhaupt nicht mehr erinnern. Er vertritt die Ansicht, den<br />

Vertrag solle man dann eben vergessen.<br />

Ist der Vertrag wirksam? Mit welchem Inhalt?<br />

6. Schwerbehinderter<br />

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Herr Anton (A) wird seit 3 Jahren bei der Gemeinde G im Bauhof beschäftigt. Er ist<br />

Schwerbehinderter mit einem Behinderungsgrad von 60 % wegen eines Bandscheibenleidens.<br />

Bei der Einstellung verneinte er wahrheitswidrig die Frage nach einer die Arbeitsverrichtung<br />

betreffenden Schwerbehinderung. Die von A verrichtete Tätigkeit wird zu 90<br />

% im Stehen ausgeführt <strong>und</strong> ist eine körperlich schwere Arbeit. Auf Anraten seines<br />

Hausarztes teilte er am 09.04. seinem Vorgesetzten mit, dass er Schwerbehinderter<br />

sei. Er bat um Zuweisung einer anderen Tätigkeit. Bürgermeister (B) focht mit<br />

Schreiben vom 13.04. den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an.<br />

A hält die Anfechtung <strong>für</strong> unwirksam:<br />

Er habe sich bei Vertragsabschluss in der Lage gefühlt, die Tätigkeit auszuüben. Er<br />

habe nicht arglistig gehandelt. Die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft sei<br />

unzulässig. Der Personalrat sei nicht angehört worden. Nach 3 Jahren sei die Anfechtung<br />

treuwidrig, da er trotz Behinderung seine Pflichten bislang erfüllt habe.<br />

Ist die Anfechtung wirksam? Welche Rechtswirkungen hat die Anfechtung eines Arbeitsvertrages?<br />

7. Zeugnis<br />

Herr Schreiber (S) ist bei der Stadt Albstadt (A) als Sozialarbeiter angestellt. Im<br />

schriftlichen Arbeitsvertrag, den er mit dem Ersten Bürgermeister abgeschlossen hat,<br />

wurde vereinbart, dass der Tarifvertrag <strong>für</strong> den öffentlichen Dienst (TVöD) <strong>für</strong> das<br />

Arbeitsverhältnis gilt. Da S mittlerweile eine neue Arbeitsstelle gef<strong>und</strong>en hat, kündigt<br />

er das Arbeitsverhältnis bei A fristgemäß zum Jahresende. Bei einem Gespräch mit<br />

dem Personalamtsleiter (P) am 26.11. verlangt er:<br />

Die Ausstellung eines Zeugnisses über Art <strong>und</strong> Dauer des Arbeitsverhältnisses <strong>und</strong><br />

über die erbrachten Leistungen. Angaben über seine Führung sollen nicht aufgenommen<br />

werden, da es damit nicht zum Besten steht. Er wünscht obendrein eine<br />

Aufstellung der Fortbildungsveranstaltungen, an denen er teilgenommen hat.<br />

Die Erstattung von € 50,-- Telefonkosten. Diese hatte er im März während seines<br />

Urlaubs in der Schweiz aufwenden müssen. Sein Vorgesetzter hatte in seinem Urlaubshotel<br />

angerufen <strong>und</strong> um Rückruf gebeten zur Aufklärung einer dringenden Angelegenheit<br />

des Amtes. S legt einen Rechnungsbeleg vor.<br />

Muss P den Wünschen des S entsprechen?


8. Befristeter Arbeitsvertrag<br />

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Der kaufmännische Angestellte Herr Bernhard (B) wird von der Großen Kreisstadt G<br />

als Mutterschaftsvertretung <strong>für</strong> die Dauer von 2 Jahren angestellt. Nach Ablauf der 2<br />

Jahre wird das Arbeitsverhältnis um weitere 8 Monate verlängert zur Abdeckung unvorhersehbarer<br />

Personalengpässe. Zwei Wochen nach Aufnahme des 2. befristeten<br />

Arbeitsverhältnisses erhält B ein unbefristetes Arbeitsverhältnis von einem anderen<br />

Arbeitgeber in Aussicht gestellt. Diese Gelegenheit will sich B nicht entgehen lassen.<br />

Er kündigt schriftlich das Arbeitsverhältnis bei G. Der <strong>für</strong> das Personalwesen zuständige<br />

Beigeordnete P weist die Kündigung zurück. Befristete Arbeitsverhältnisse seien<br />

nicht kündbar. In der bevorstehenden Urlaubszeit könne auf die Arbeitskraft des B<br />

nicht verzichtet werden. B sei fest eingeplant.<br />

B weist darauf hin, dass der Leiter des Sozialamtes - wo er zur Zeit beschäftigt ist -<br />

ihm zugesagt habe, sein Arbeitsverhältnis werde sicherlich vorzeitig beendet. Arbeitnehmer<br />

mit befristeten Arbeitsverträgen würden regelmäßig vorzeitig freigegeben,<br />

wenn sie eine Festanstellung gef<strong>und</strong>en hätten. Die Festanstellung sei sogar ein<br />

wichtiger Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> die Aufhebung des Arbeitsvertrages.<br />

Ist die Kündigung des B wirksam?<br />

9. Probearbeitsverhältnis<br />

Die Stadt S sucht Schreibkräfte. Frau Friedrich (F) bewirbt sich. Auf die Frage, ob sie<br />

schwanger sei, antwortet sie wider besseren Wissens mit nein. Sie erhält einen Arbeitsvertrag<br />

nach TVöD, in dem eine Probearbeitszeit von 6 Monaten vereinbart wird.<br />

Nach 2 Monaten offenbart sie die Schwangerschaft. Der Personalamtsleiter will das<br />

Arbeitsverhältnis lösen. Er ist der Ansicht, während der Probezeit sei ein Solches<br />

problemlos möglich.<br />

10. Bestechung<br />

Der 50jährige Herr Albrecht (A) ist beim Landratsamt Lichtenau seit mehr als 20 Jahren<br />

als Sachbearbeiter beschäftigt. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages wurde die<br />

Geltung des TVöD vereinbart. A bearbeitet Einbürgerungsanträge. Es kommt heraus,<br />

dass er seit Jahren gegen Zahlung hoher Schmiergelder aussichtslose Anträge positiv<br />

beschieden hat.<br />

Die Kündigung soll ausgesprochen werden. Was ist zu beachten?<br />

11. Streik<br />

Herr Maier (M) ist Industriemeister <strong>und</strong> leitet seit Jahren die Produktendkontrolle der<br />

Metallwarenfabrik Alber-GmbH (A). Die A wird von einem gewerkschaftlich organisierten<br />

Streik in der Metallindustrie betroffen. Die Produktion der A kommt fast zum


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Erliegen, weshalb es auch in der Warenkontrolle keine Arbeit mehr gibt. Der Personalchef<br />

Paul (P) fordert den arbeitswilligen M auf, bis zur Beendigung des Streiks,<br />

die Arbeit am Band in der Produktion aufzunehmen. M ist hierzu nicht bereit.<br />

Darauf spricht P die fristlose Kündigung wegen Arbeitsverweigerung aus.<br />

M hält die Kündigung <strong>für</strong> unwirksam <strong>und</strong> verlangt auch während des Arbeitsmangels<br />

in der Produktendkontrolle sein Arbeitsentgelt.<br />

12. Arbeitsüberlastung<br />

Herr Huber (H) ist als Sachbearbeiter im Liegenschaftsamt der Stadt Karlsruhe tätig.<br />

In seinem Arbeitsvertrag ist die Geltung des TVöD vereinbart. Wegen Arbeitsüberlastung<br />

hat er von Februar – April des Jahres die vorgeschriebenen Kontrollgänge<br />

durch die der Stadt gehörende Reihenhausanlage Flurgasse 11 – 15 nicht durchgeführt.<br />

Auf die wiederholte Mängelanzeige eines losen Bodenbelages im Gebäude<br />

Flurgasse 13, die der Mieter am 27.04. <strong>und</strong> 30.05. vorgebracht hat, unternimmt er<br />

nichts. Zwei Wochen später rutscht der Mieter des Gebäudes Flurgasse 13 auf dem<br />

gelockerten Bodenbelag aus <strong>und</strong> verletzt sich. Die Stadt wird deshalb auf € 2.800,--<br />

Schadensersatz in Anspruch genommen.<br />

Drei Monate vor diesem Vorfall war Herr Huber vom Leiter des Personalamts, Herrn<br />

Krug, in einem Gespräch zugesagt worden, auf den nächsten Fortbildungslehrgang<br />

entsandt zu werden. Die Teilnahme ist Voraussetzung <strong>für</strong> eine Höhergruppierung.<br />

Die Zusage wurde schriftlich bestätigt. Allerdings hat der vom Bürgermeister schriftlich<br />

bevollmächtigte Herr Krug (K) das Schreiben nicht unterzeichnet. Aufgr<strong>und</strong> der<br />

Versäumnisse in der Reihenhausanlage möchte Herr Krug von der Entsendung absehen.<br />

Bereits vor 6 Jahren hatte Herr Huber eine Abmahnung wegen verschiedener<br />

Versäumnisse erhalten.<br />

Frage 1: Hat Herr Huber einen Anspruch auf Entsendung?<br />

Frage 2: Welche arbeitsrechtliche Maßnahme kommt gegen Herrn Huber in<br />

Betracht? Formulieren Sie ein entsprechendes Schreiben.<br />

Frage 3: Hat die Stadt einen Regressanspruch gegen Herrn Huber wegen des<br />

bezahlten Schadensersatzes an den verletzten Bewohner?<br />

13. Schneefall<br />

Am 23.12. fiel in Baden-Württemberg pausenlos Schnee. Der öffentliche <strong>und</strong> private<br />

Personennahverkehr kommt bis zum späten Nachmittag vollständig zum Erliegen.<br />

Frau Feuerstein aus Marbach bei Ludwigsburg kann nicht zur Arbeit nach Stuttgart<br />

fahren. Frau Feuerstein arbeitet in der Stadtbücherei Stuttgart. Ihr Arbeitsverhältnis<br />

unterfällt keinem Tarifvertrag.<br />

Hat sie Anspruch auf Entgeltzahlung, obwohl sie ihre Arbeitsleistung am 23.12. nicht<br />

erbracht hat?


14. Arbeitswilliger<br />

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Die Weberei Wilhelm (W) produziert Stoffe, die vom Freizeitbekleidungshersteller<br />

Hansen (H) zu Hemden verarbeitet werden. Während eines Schwerpunktstreiks der<br />

Textilgewerkschaft legen Mitarbeiter der W <strong>und</strong> der H die Arbeit nieder. Der arbeitswillige<br />

Arbeiter Anzug (A) der W will seine Arbeit fortsetzen. W lehnt die Beschäftigung<br />

ab mit dem Hinweis, während des Streiks seien keine Bestellungen von H eingegangen.<br />

Eine Beschäftigung des A sei auch wegen des streikbedingten Produktionsstillstandes<br />

ausgeschlossen.<br />

Kann A Lohn verlangen?<br />

15. Auszubildender<br />

Der 17jährige A steht bei den Stadtwerken T GmbH seit 2 Jahren in einem Berufsausbildungsverhältnis.<br />

Am Montag, dem 01.03. gerät er in den dringenden Verdacht<br />

wiederholter Gelddiebstähle, die er in einem Gespräch am selben Tag eingesteht.<br />

Am 10.03. erhält er nach Anhörung des Betriebsrats die fristlose Kündigung ausgehändigt<br />

unter Angabe der Gründe.<br />

Vorsorglich wird die Kündigung auch per Einschreiben mit Rückschein an seinen Vater<br />

versandt. Der Briefträger kann ihn am 15.03. nicht antreffen <strong>und</strong> hinterlässt eine<br />

Benachrichtigungskarte. Der Vater holt am Dienstag, dem 16.03. das Schreiben ab.<br />

Ist die Kündigung wirksam?<br />

Hinweis:<br />

§ 22 Abs. 2 BBiG lautet: Nach der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis<br />

nur gekündigt werden …<br />

Aus einem wichtigen Gr<strong>und</strong> ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist…<br />

§ 22 Abs. 4 BBiG bestimmt: Eine Kündigung aus wichtigem Gr<strong>und</strong> ist unwirksam,<br />

wenn die ihr zugr<strong>und</strong>eliegenden Tatsachen dem zur Kündigung Berechtigten länger<br />

als 2 Wochen bekannt sind….<br />

16. Kasino<br />

Die A-GmbH betreibt das Kasino der Stadt S, in dem die Mitarbeiter der Stadt S<br />

Mahlzeiten einnehmen <strong>und</strong> Nahrungsmittel kaufen können. Bei der A-GmbH besteht<br />

kein Betriebsrat. Am 04.09. ertappt der Alleingeschäftsführer Herr Gans (G) der A-<br />

GmbH den Herrn Carl (C) – einen Mitarbeiter der A-GmbH – beim Verzehr unbezahlter<br />

Waren, obwohl eine allgemeine Arbeitsanweisung besteht, dass Waren vor Verzehr<br />

zu bezahlen sind. Er händigt auf der Stelle die fristlose Kündigung aus.<br />

C ist der Ansicht, ohne Beteiligung des Personalrats der S sei eine Kündigung unwirksam.<br />

Er weist die Kündigung zurück, da G keine Vollmacht vorgelegt. Er erhebt<br />

am 04.10. die Kündigungsschutzklage. C ist erst seit 4 Monaten bei der A-GmbH beschäftigt.


17. Nachtfahrt<br />

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Herr Schnell (S) ist Fahrer bei der D-Molkerei. Er fährt nachts. Am 15.10. 2002<br />

kommt er bei Regenwetter in einer Linkskurve von der Fahrbahn ab. Am LKW der D<br />

entstand ein Sachschaden von € 8.000,--. Hat D einen Schadensersatzanspruch gegen<br />

Schnell?<br />

Von Januar bis August 2003 behält die D jeweils € 1.000.- vom Gehalt des Herrn<br />

Schnell ein. Im Dezember 2005 klagt Schnell auf rückständigen Lohn in Höhe von €<br />

4.000.-, weil er den Einbehalt der D <strong>für</strong> überhöht hält. Die D macht Verjährung geltend.<br />

Wie wird das Arbeitsgericht entscheiden?<br />

18. Rutschgefahr<br />

Herr Albrecht (A) ist als Bürobote bei der Gemeinde G beschäftigt. Mit dem Fahrrad<br />

transportiert er Päckchen zum Postamt. Auf dem regennassen Kopfsteinpflaster einer<br />

abschüssigen Straße kommt er ins Rutschen <strong>und</strong> fährt den Fußgänger Herrn<br />

Friedrich (F) an. F erleidet einen Schaden von insgesamt € 500,-- an Kleidung <strong>und</strong><br />

Gepäck. Er verlangt von A <strong>und</strong> G Ersatz.<br />

Frage 1: Welche Ansprüche hat F gegen A <strong>und</strong> G?<br />

Frage 2: G begleicht den Schadensersatzanspruch des F.<br />

Hat G einen Rückgriffsanspruch gegen A?<br />

Frage 3: A begleicht den Schadensersatzanspruch des F.<br />

Hat A einen Rückgriffsanspruch gegen G?<br />

IX. Literaturhinweise<br />

Ein Skript will den Studierenden eine leicht lesbare, verständliche Einführung in ein<br />

Rechtsgebiet geben. Es soll lediglich einen Überblick geben. Deshalb werden in einem<br />

Skript auf die die Vertiefung von Problemen <strong>und</strong> die Wiedergabe von zahllosen<br />

Ausnahmevorschriften im Interesse der Verständlichkeit verzichtet. Zur weiteren Vertiefung<br />

<strong>und</strong> Wiederholung wird auf die Heranziehung von Fachbüchern, Lehrbüchern<br />

<strong>und</strong> Kommentaren verwiesen. Kommentare <strong>und</strong> Fachbücher eignen sich insbesondere<br />

zur Vertiefung von speziellen Fragestellungen wie Kündigung oder Befristung<br />

von Arbeitsverhältnissen. Solche Werke finden Sie in großer Auswahl in der Bibliothek<br />

(Regalstandort: V). Daneben gibt es zur Prüfungsvorbereitung Fallsammlungen<br />

mit Musterlösungen. Arbeiten Sie immer mit aktuellen Auflagen, da im <strong>Arbeitsrecht</strong><br />

Gesetze <strong>und</strong> auch die Rechtsprechung sich ständig ändern.<br />

Genannt seien<br />

Dieterich, Thomas: Erfurter Kommentar zum <strong>Arbeitsrecht</strong><br />

Gruber, Joachim: Standardfälle <strong>Arbeitsrecht</strong><br />

Marschollek, Günter: <strong>Arbeitsrecht</strong>


Michalski, Lutz: Fälle zum <strong>Arbeitsrecht</strong><br />

Müller, Bernd: <strong>Arbeitsrecht</strong> im öffentlichen Dienstag<br />

Schade/Beckmann/Pfaff: Fälle zum <strong>Arbeitsrecht</strong><br />

Wedde, Peter: <strong>Arbeitsrecht</strong><br />

Wörlen, Rainer: <strong>Arbeitsrecht</strong> (bei Studierenden sehr beliebt)<br />

Um aktuelle Gerichtsentscheidungen aufzufinden, lohnt sich der Blick in Online-<br />

Sammlungen wie juris oder beck-Online.<br />

<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche Skript <strong>Arbeitsrecht</strong> Stand 08-2011<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

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