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BGB Allgemeiner Teil Skript - Hochschule für Verwaltung und ...

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Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig <strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen Ludwigsburg<br />

<strong>BGB</strong><br />

<strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong><br />

<strong>Skript</strong><br />

mit • Übersichten<br />

• Beispielen<br />

• Fällen<br />

Stand: Febr. 2011


Inhaltsverzeichnis<br />

<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen<br />

Ludwigsburg<br />

2<br />

I. Allgemeines ......................................................................................................... 3<br />

II. Rechtsfähigkeit .................................................................................................... 3<br />

1. Natürliche Personen ........................................................................................ 4<br />

2. Juristische Personen ........................................................................................ 4<br />

III. Rechtsgeschäftslehre ...................................................................................... 5<br />

1. Arten rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse ................................................ 6<br />

1.1 Unterteilung nach der Art des Zustandekommens .................................... 6<br />

1.2 Unterteilung nach den Verpflichtungen aus Verträgen ............................. 7<br />

1.3 Verpflichtungs- <strong>und</strong> Verfügungsgeschäfte ................................................ 8<br />

2. Das Rechtsgeschäft ......................................................................................... 9<br />

2.1 Willensbildung........................................................................................... 9<br />

2.2 Die Erklärung .......................................................................................... 10<br />

2.3 Rechtsbindungswille <strong>und</strong> Rechtserfolg ................................................... 11<br />

3. Abgabe <strong>und</strong> Zugang ...................................................................................... 15<br />

3.1 Abgabe ................................................................................................... 15<br />

3.2 Zugang ................................................................................................... 15<br />

4. Die Anfechtung .............................................................................................. 18<br />

5. Geschäftsfähigkeit ......................................................................................... 21<br />

6. Formzwang .................................................................................................... 27<br />

7. Gesetzes- <strong>und</strong> sittenwidriges Rechtsgeschäft ............................................... 28<br />

7.1 Gesetzeswidrige Rechtsgeschäfte .......................................................... 28<br />

7.2 Sittenwidrige Rechtsgeschäfte................................................................ 29<br />

IV. Vertrag ........................................................................................................... 30<br />

V. Allgemeine Geschäftsbedingungen ................................................................... 33<br />

VI. Stellvertretung ................................................................................................ 37<br />

1. Vertretungsmacht........................................................................................... 40<br />

2. Umfang der Vertretungsmacht ....................................................................... 42<br />

3. Vertreter ohne Vertretungsmacht ................................................................... 44<br />

4. Vertretung der Gemeinden im Privatrechtsverkehr ........................................ 45<br />

4.1 Vertretungsmacht des Bürgermeisters ................................................... 46<br />

4.2 Stellvertreter des Bürgermeisters ........................................................... 47<br />

4.3 Beigeordnete .......................................................................................... 47<br />

4.4 Beauftragung .......................................................................................... 47<br />

4.5 Rechtsgeschäftlich Bevollmächtigte ....................................................... 48<br />

VII. Fristen <strong>und</strong> Termine ....................................................................................... 48<br />

1. Berechnung von Fristen <strong>und</strong> Terminen .......................................................... 48<br />

2. Die Verjährung ............................................................................................... 49<br />

2.1 Die Verjährungsfrist ................................................................................ 50<br />

2.2 Der Beginn der Verjährung ..................................................................... 51<br />

2.3 Hemmung ............................................................................................... 53<br />

2.4 Neubeginn .............................................................................................. 55<br />

3. Die Verwirkung .............................................................................................. 55<br />

VIII. Anhang: Übungsfälle zum Selbststudium ...................................................... 57<br />

IX. Literaturhinweise ............................................................................................ 64<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen<br />

Ludwigsburg<br />

3<br />

I. Allgemeines<br />

Der Allgemeine <strong>Teil</strong> des <strong>BGB</strong> steht am Anfang des <strong>BGB</strong>. Der Gesetzgeber hat das<br />

<strong>BGB</strong> in fünf Bücher eingeteilt:<br />

1. Buch <strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong><br />

2. Buch Recht der Schuldverhältnisse<br />

3. Buch Sachenrecht<br />

4. Buch Familienrecht<br />

5. Buch Erbrecht.<br />

Der Allgemeine <strong>Teil</strong> des <strong>BGB</strong> enthält all diejenigen Regeln, die in den folgenden<br />

Büchern des <strong>BGB</strong> gleichermaßen gelten. Diese <strong>für</strong> alle Bücher geltenden<br />

Gemeinsamkeiten wurden vor die Klammer gezogen. § 1 regelt die Rechtsfähigkeit des<br />

Menschen. Diese Bestimmung ist bedeutsam da<strong>für</strong>, wer nach § 433 kaufen, nach § 929 Eigentum<br />

erwerben kann, wer nach § 1602 einen Unterhaltsanspruch haben oder nach § 1922 erben kann.<br />

Der Gesetzgeber wollte vermeiden, dass manche Gr<strong>und</strong>prinzipien ständig wiederholt<br />

werden müssen. Das Ausklammerungsprinzip dient der Verschlankung des <strong>BGB</strong>.<br />

Die im Allgemeinen <strong>Teil</strong> des <strong>BGB</strong> enthaltenen Regelungen gelten <strong>für</strong> alle anderen<br />

Bücher gleichermaßen. Manche dieser Regeln gelten sogar über das <strong>BGB</strong> hinaus <strong>für</strong> andere<br />

Gesetzbücher des Privatrechts wie das Handelsgesetzbuch (HGB) oder das<br />

Versicherungsvertragsgesetz (VVG).<br />

Diese Regel wird durchbrochen, soweit in den anderen Büchern Sondervorschriften,<br />

von den allgemeinen Regeln abweichende Regelungen enthalten sind. Es gilt dann<br />

der Gr<strong>und</strong>satz, dass die spezielle Regel, auch lex specialis genannt, der allgemeinen<br />

Regel vorgeht. Solch eine Sonderregel ist z.B. § 1923 Abs. 2, wonach das noch nicht geborene<br />

aber bereits erzeugte Kind erben kann. Diese Sonderregel durchbricht den Gr<strong>und</strong>satz des § 1,<br />

wonach die Rechtsfähigkeit mit der Geburt <strong>und</strong> nicht schon vorher beginnt. Nach § 844 Abs. 2 S. 2<br />

erwächst dem noch nicht geborenen Kind ein Schadensersatzanspruch beim Tod eines<br />

unterhaltspflichtigen Elternteils, soweit der Tod durch eine unerlaubte Handlung herbeigeführt wurde.<br />

Sonderregeln durchbrechen allgemeine Regeln<br />

II. Rechtsfähigkeit<br />

Nach der Konzeption des Privatrechts können Träger von Rechten <strong>und</strong> Pflichten<br />

- natürliche Personen <strong>und</strong><br />

- juristische Personen<br />

sein.<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


1. Natürliche Personen<br />

§ 1 bestimmt, dass die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Geburt beginnt. Sie<br />

endet nach § 1922 mit dem Tod des Menschen.<br />

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Ludwigsburg<br />

4<br />

Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Träger von Rechten <strong>und</strong> Pflichten zu sein. Diese<br />

Fähigkeit steht jedem Menschen unabhängig vom Alter <strong>und</strong> Geisteszustand zu. Wird<br />

das 2jährige Kind bei einem Unfall verletzt, kann es aus §§ 823 ff Schadensersatzansprüche haben.<br />

Diese stehen dem Kind als Geschädigten zu. Bei der Geltendmachung wird das Kind von den Eltern<br />

nach 1629 vertreten. Das Kind kann nach § 1922 Abs. 1 erben. Bei der <strong>Verwaltung</strong> der Erbmasse wird<br />

es von den Eltern vertreten.<br />

Die Rechtsfähigkeit ist von der Geschäftsfähigkeit <strong>und</strong> der Deliktsfähigkeit zu<br />

unterscheiden:<br />

Die Geschäftsfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit, selbst Rechtsgeschäfte vornehmen<br />

zu können. Sie ist in §§ 104 ff. geregelt. Das Kleinkind ist zwar rechtsfähig aber noch nicht<br />

geschäftsfähig. Zum Abschluss von Rechtsgeschäften müssen die Eltern nach § 1629 <strong>für</strong> das Kind<br />

tätig werden.<br />

Die Deliktsfähigkeit betrifft die Fähigkeit nach §§ 827 ff. <strong>für</strong> eine schadensstiftende<br />

Handlung zur Verantwortung gezogen zu werden. Zum Schutze des Kindes beginnt<br />

die Deliktsfähigkeit frühestens mit dem 7. Lebensjahr nach § 828 Abs. 3.<br />

2. Juristische Personen<br />

Am Rechtsverkehr nehmen nicht nur einzelne Personen teil, sondern auch<br />

Zusammenschlüsse von Menschen. Juristische Personen sind die von der<br />

Rechtsordnung als selbständige Rechtsträger anerkannten Zusammenschlüsse<br />

mehrerer natürlicher oder juristischer Personen. Juristische Personen werden<br />

zumeist von natürlichen Personen gegründet <strong>und</strong> verwaltet. Diese natürlichen<br />

Personen treten jedoch in den Hintergr<strong>und</strong>. Die juristische Person kann nach<br />

Ausscheiden dieser Personen fortbestehen. Sie bietet damit eine langfristige Gewähr<br />

<strong>für</strong> den Bestand von Rechtsbeziehungen. Daneben gibt es noch Zusammenschlüsse von<br />

Personen ohne eigene Rechtsträgerschaft wie die Gemeinschaftspraxis zweier Ärzte. Diese<br />

Zusammenschlüsse stehen <strong>und</strong> fallen leichterdings mit den beteiligten Personen.<br />

Das <strong>BGB</strong> regelt als juristische Personen nach §§ 21 ff., 55 ff. den eingetragenen<br />

Verein. Mit der Eintragung ins Vereinsregister erlangt der Verein Rechtsfähigkeit. Der<br />

eingetragene Verein besteht aus einer Mehrzahl von Personen, die sich zur<br />

Erreichung eines gemeinsamen Zwecks, der in der Satzung niedergelegt ist,<br />

zusammengeschlossen haben. Der Verein ist eine selbständige<br />

Rechtspersönlichkeit. Zwar kann der Verein nicht selber handeln <strong>und</strong> entscheiden.<br />

Da<strong>für</strong> werden Organe bestellt.<br />

Diese Organe handeln im Namen des Vereins. Die hieraus erwachsenden Rechte<br />

<strong>und</strong> Pflichten treffen allein den Verein <strong>und</strong> nicht die Organe selbst. Für die im Namen<br />

des Vereins abgeschlossenen Rechtsgeschäfte haftet der Verein. Es haften nicht die<br />

Organe. Der Verein kann eigenes Vermögen haben, mit dem er <strong>für</strong> Verbindlichkeiten<br />

haftet. Dieses Vermögen ist verschieden vom Vermögen der Mitglieder <strong>und</strong> Organe.<br />

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1<br />

Systematische Auslegung<br />

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Ludwigsburg<br />

5<br />

Die Gläubiger der Mitglieder <strong>und</strong> Organe können keine Befriedigung ihrer Ansprüche<br />

aus dem Vereinsvermögen beanspruchen. Der Vereinsvorstand erwirbt im Namen des<br />

Vereins einen PC, der bei der Mitgliederverwaltung eingesetzt werden soll. Für den Kaufpreis haftet<br />

nach §§ 433 Abs. 2, 164 allein der Verein mit seinem Vermögen. Der Verein erwirbt das Eigentum<br />

nach §§ 929, 164.<br />

Juristische Personen des Privatrechts sind neben dem eingetragenen Verein noch<br />

die GmbH, die AG <strong>und</strong> die Genossenschaft. Diese sind in eigenen Gesetzen<br />

geregelt. Im <strong>BGB</strong> ist in §§ 80 ff noch die Stiftung des Privatrechts geregelt.<br />

Zu den juristischen Personen zählen weiter die juristischen Personen des<br />

öffentlichen Rechts nach § 89 wie Kommunen als Körperschaften des öffentlichen<br />

Rechts. Ihre Errichtung <strong>und</strong> Verfassung ist außerhalb des <strong>BGB</strong> in besonderen<br />

Gesetzen geregelt GemO, LKreisO.<br />

Keine juristischen Personen sind die OHG <strong>und</strong> die KG. Diese Gesellschaften des Handelsrechts sind<br />

Sonderformen der <strong>BGB</strong>-Gesellschaft nach § 705. Es handelt sich um Zusammenschlüsse von<br />

Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks. In manchen Beziehungen sind sie jedoch den<br />

juristischen Personen angenähert. So können sie nach §§ 124 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB unter ihrem<br />

Firmennamen Rechte erwerben <strong>und</strong> Verbindlichkeiten einklagen. Deshalb werden sie auch als<br />

teilrechtsfähig bezeichnet. Nach § 128 HGB haften jedoch die OHG-Gesellschafter <strong>und</strong> nach §§ 161<br />

Abs. 1, 128 HGB der Komplementär der KG mit ihrem Vermögen <strong>für</strong> die Gesellschaftsschulden.<br />

III. Rechtsgeschäftslehre<br />

Die Rechtsgeschäftslehre bildet den Kern des Allgemeinen <strong>Teil</strong>s des <strong>BGB</strong>. Der dritte<br />

Abschnitt des Allgemeinen <strong>Teil</strong>s des <strong>BGB</strong>, die §§ 104 bis 185, trägt die Überschrift<br />

Rechtsgeschäfte. Der Begriff ist im <strong>BGB</strong> nicht ausdrücklich geregelt. Bei Durchsicht<br />

der §§ 104 ff. wird klar, dass es bei der Rechtsgeschäftslehre um die Frage geht,<br />

unter welchen Voraussetzungen die Willenserklärungen eines Rechtssubjektes einen<br />

Rechtserfolg herbeizuführen vermag.<br />

Deshalb wird der Begriff des Rechtsgeschäfts dahin ausgelegt, dass es sich um eine<br />

oder mehrere Willenserklärungen handelt, gerichtet auf einen Rechtserfolg. 1<br />

Das Rechtsgeschäft besteht aus einer oder mehrerer<br />

Willenserklärungen gerichtet auf einen rechtlichen Erfolg<br />

So beinhaltet das Angebot des Kaufwilligen zum Abschluss eines Kaufvertrages nach §§ 433, 145<br />

den Willen, das Eigentum an der Sache zu erwerben gegen Zahlung des Kaufpreises. Dieses<br />

Angebot ist eine Willenserklärung. Nimmt der Verkaufswillige dieses Angebot an <strong>und</strong> gibt damit<br />

seinerseits wiederum eine Willenserklärung ab, kommt ein Vertrag durch die beiden<br />

Willenserklärungen nach § 145 zustande.<br />

Im Rechtsgeschäft verwirklicht sich der verfassungsrechtlich geschützte Gr<strong>und</strong>satz<br />

der Privatautonomie aus Art. 2 GG, auch Vertragsfreiheit genannt. Die Begründung<br />

<strong>und</strong> Aufhebung von Rechten ist alleine abhängig vom Willen der Rechtsträger.<br />

<strong>Skript</strong><br />

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Stand 02-2011


Das Rechtsgeschäft durchzieht das gesamte <strong>BGB</strong>. Sobald es auf den Willen zur<br />

Herbeiführung eines rechtliches Erfolges ankommt, gelten die Regeln über das<br />

Rechtsgeschäft wie<br />

- im Schuldrecht § 433 Kaufvertrag<br />

- im Sachenrecht § 929 Einigung zur Eigentumsübertragung<br />

- im Eherecht § 1408 Ehevertrag<br />

- im Erbrecht § 2274 Erbvertrag<br />

Die Rechtsgeschäftslehre des <strong>BGB</strong> gilt weit über das <strong>BGB</strong> hinaus auch auf anderen<br />

Rechtsgebieten, in denen der Eintritt eines Rechtserfolges von der freien<br />

Willenserklärung eines Beteiligten abhängt, so im<br />

- HGB bei Handelsgeschäften<br />

- im VVG bei Versicherungsverträgen<br />

- im VwVfG entsprechend beim Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge.<br />

Keine Rechtsgeschäfte sind Gefälligkeitserklärungen, die erkennbar ohne<br />

Rechtsbindungswillen abgegeben werden. Bei Gefälligkeitserklärungen handelt es<br />

sich um Willenserklärungen, die nicht mit dem Willen abgegeben werden eine<br />

rechtliche Bindung herbeizuführen, bei denen der Erklärende sich gerade nicht zur<br />

Herbeiführung eines Erfolgs verpflichten will. Der Erklärende hält es sich offen, dem<br />

Erklärten Folge zu leisten, so es ihm gefällt oder davon wieder abzurücken. Er will<br />

sich nicht binden <strong>und</strong> andere erlangen hieraus keinen rechtlich durchsetzbaren<br />

Anspruch. Wer zu einer Geburtstagsfeier eingeladen ist, hat keinen Rechtsanspruch darauf, dass<br />

die Feier stattfindet <strong>und</strong> nicht wieder abgesagt wird. Nimmt der Autofahrer einen Anhalter mit, will er<br />

sich im Gegensatz zu einem verbindlichen Beförderungsvertrag nicht verpflichten, den Anhalter zu<br />

einem bestimmten Zielort zu bringen. Gleichwohl haftet der Autofahrer aus Gesetz – nicht aus<br />

Rechtsgeschäft – nach §§ 823 ff, 7, 15 StVG, sollte es zu einem Unfall kommen. Diese gesetzliche<br />

Haftung des Autofahrers tritt ein, ohne dass sie eine Willenserklärung des Autofahrers voraussetzt.<br />

Zu Gefälligkeitserklärungen gehören insbesondere alltägliche Erklärungen <strong>und</strong><br />

Gesten unter Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Verwandten, denen keine besondere wirtschaftliche<br />

Bedeutung beigemessen wird <strong>und</strong> denen kein besonderes rechtliches Risiko<br />

zukommt.<br />

1. Arten rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse<br />

Bevor auf das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts eingegangen wird, soll<br />

zuerst ein Überblick über die verschiedenen Arten von Rechtsgeschäften gegeben<br />

werden. Rechtsgeschäfte können unterschieden werden nach<br />

- der Art ihres Zustandekommens oder<br />

- den sich aus einem Rechtsgeschäft ergebenden Verpflichtungen oder<br />

- den sich aus dem Rechtsgeschäft ergebenden Wirkungen.<br />

1.1 Unterteilung nach der Art des Zustandekommens<br />

Nach der Art des Zustandekommens kann unterschieden werden zwischen<br />

- streng einseitigen Rechtsgeschäften<br />

- einseitigen empfangsbedürftigen Rechtsgeschäften <strong>und</strong><br />

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- mehrseitigen Rechtsgeschäften.<br />

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a. Zur Wirksamkeit der streng einseitigen Rechtsgeschäfte bedarf es nur der Abgabe<br />

der Willenserklärung. Diese muss nicht zugehen <strong>und</strong> von niemand erwidert werden.<br />

Hierzu zählen<br />

- nach § 1937 das Testament,<br />

- nach § 657 die Auslobung, die Aussetzung einer Belohnung im Wege öffentlicher<br />

Bekanntmachung<br />

- nach § 959 die Dereliktion, die Aufgabe des Eigentums an einer Sache.<br />

Das privatschriftliche Testament nach §§ 2064, 2247 Abs. 1 wird mit seiner Errichtung wirksam. Es<br />

wird wirksam, auch wenn der Erbe nichts davon erfährt, weil das Testament nie aufgef<strong>und</strong>en wird.<br />

b. Neben diesen im Alltag nicht sehr häufigen streng einseitigen Rechtsgeschäften,<br />

kennt unsere Rechtsordnung die einseitigen empfangsbedürftigen<br />

Willenserklärungen. Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind der Regelfall, soll<br />

doch der Betreffende wissen, um was es geht. Zu den einseitigen<br />

empfangsbedürftigen Willenserklärungen zählen<br />

- nach § 626 die Kündigung<br />

- nach § 349 die Rücktrittserklärung sowie<br />

- nach § 388 die Aufrechnungserklärung.<br />

Allen einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung ist gemeinsam, dass sie<br />

ohne Mitwirkung des Adressaten zur Wirksamkeit gelangen. Dieser muss mit ihnen<br />

nicht einverstanden sein. Wegen dieser unmittelbar gestaltenden Wirkung sind sie<br />

bedingungsfeindlich. Im Interesse der Rechtssicherheit muss der Adressat wissen, was rechtens ist.<br />

Eine Ausnahme besteht nur <strong>für</strong> Bedingungen, die in der Hand des Adressaten liegen. Der Arbeitgeber<br />

kündigt das Arbeitsverhältnis <strong>und</strong> bietet ihm gleichzeitig einen neuen Arbeitsvertrag zu geänderten<br />

Bedingungen an. Die Kündigung steht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer die geänderten<br />

Arbeitsbedingungen nicht akzeptiert.<br />

c. Die mehrseitigen Rechtsgeschäfte setzen Willenserklärungen mehrerer Personen<br />

voraus.<br />

Beschlüsse kommen durch mehrere gleichgerichtete Willenserklärungen nach dem<br />

Mehrheitsprinzip zustande. Diese sind bei Vereinen <strong>und</strong> Gesellschaften anzutreffen.<br />

Die Mitglieder des Sportvereins fassen bei der Mitgliederversammlung den Beschluss, ein neues<br />

Vereinsbüro anzumieten.<br />

Hingegen kommt es bei Verträgen auf zwei entgegengesetzte, aber sich deckende<br />

Willenserklärungen an. Beim Kaufvertrag erklärt der Käufer Ich will diese Sache kaufen. Der<br />

Verkäufer erklärt Ich will diese Sache verkaufen.<br />

1.2 Unterteilung nach den Verpflichtungen aus Verträgen<br />

Aus Verträgen können sich nur <strong>für</strong> eine Seite Pflichten ergeben. Hier spricht man von<br />

einseitig verpflichtenden Verträgen wie bei Schenkung oder Bürgschaft.<br />

Viel häufiger sind im Rechtsalltag zweiseitig verpflichtende Verträge, bei denen sich<br />

<strong>für</strong> beide Seiten Pflichten ergeben.<br />

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Zu den zweiseitig verpflichtenden Verträgen zählen die gegenseitigen Verträge. Jede<br />

Seite geht eine Vertragspflicht ein, gerade in Hinblick darauf, dass auch die andere<br />

Seite eine Pflicht eingeht. Für diese gelten die Regelungen der §§ 320 ff, die speziell<br />

<strong>für</strong> gegenseitige Verträge zur Anwendung kommen. Der Käufer verpflichtet sich zur<br />

Kaufpreiszahlung nach § 433 Abs. 2 nur <strong>und</strong> gerade weil er im Gegenzug die Kaufsache erhalten soll.<br />

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich zur Erbringung seiner Arbeitsleistung nach § 611, weil er da<strong>für</strong> ein<br />

Entgelt bekommen soll.<br />

Von den gegenseitigen Verträgen sind die unvollkommen zweiseitigen Verträge zu<br />

unterscheiden. Bei diesen steht der Leistungspflicht der einen Seite keine<br />

Gegenleistungspflicht der anderen Seite gegenüber. Trotzdem können sich<br />

Gegenansprüche ergeben.<br />

Wer sich zur Erbringung eines Auftrags nach § 662 verpflichtet, weiß, dass es sich um einen<br />

unentgeltlichen Vertrag handelt. Er weiß, dass er <strong>für</strong> seine Leistung keine Gegenleistung bekommt.<br />

Entstehen ihm aus der Erbringung des Auftrags jedoch Unkosten, hat er nach § 670 einen Anspruch<br />

auf Ersatz dieser Aufwendungen. Wer eine Sache verleiht, bekommt vom Entleiher keine<br />

Gegenleistung. Der Verleiher hat jedoch einen Anspruch auf Rückgewähr der verliehenen Sache,<br />

wobei es sich um keine Gegenleistung aus dem Vermögen des Entleihers handelt.<br />

1.3 Verpflichtungs- <strong>und</strong> Verfügungsgeschäfte<br />

Wer einen Kauf- oder einen Schenkungsvertrag abschließt, verpflichtet sich hieraus<br />

zur Leistungserbringung. Der Verkäufer verpflichtet sich nach § 433 Abs. 1 S. 1 zur<br />

Übereignung der gekauften Sache. Es handelt sich um ein Verpflichtungsgeschäft,<br />

das den Eigentumsübergang selbst noch nicht bewirkt.<br />

Der Eigentumsübergang wird erst durch ein zweites, vom Verpflichtungsgeschäft zu<br />

trennendes Verfügungsgeschäft bewirkt. Der Verkäufer bewirkt das<br />

Verfügungsgeschäft nach § 929 bei beweglichen Sachen. Er übergibt dem Käufer<br />

den Kaufgegenstand <strong>und</strong> beide müssen sich dabei einig sein, dass das Eigentum<br />

übergehen soll. Der Begriff der Einigung über den Eigentumsübergang umschreibt<br />

dabei ein mehrseitiges Rechtsgeschäft, einen Vertrag über den Eigentumsübergang.<br />

Erst durch das Verfügungsgeschäft geht das Eigentum über, niemals alleine durch<br />

das Verpflichtungsgeschäft. Bei diesem Verfügungsgeschäft handelt es sich um ein<br />

vom Verpflichtungsgeschäft verschiedenes Rechtsgeschäft.<br />

Diese Trennung zwischen Verpflichtungs- <strong>und</strong> Verfügungsgeschäft ist uns bei den<br />

alltäglichen Ladengeschäften nicht bewusst, bei denen Verpflichtungs- <strong>und</strong><br />

Verfügungsgeschäft zeitlich <strong>und</strong> räumlich zusammenfallen. Es wird jedoch bei<br />

gestreckten Erwerbsvorgängen deutlich, bei denen zuerst das<br />

Verpflichtungsgeschäft vorgenommen wird <strong>und</strong> erst zeitlich später das<br />

Verfügungsgeschäft. Kauf eine Fernsehers im Kaufhaus, der erst nach zwei Wochen geliefert<br />

wird.<br />

Auf den Kaufvertrag als Verpflichtungsgeschäft sollen mindestens zwei<br />

Verfügungsgeschäfte folgen: Zum einen die Übereignung der Kaufsache, zum<br />

anderen die Übereignung des Kaufpreises nach § 929. Ob der Käufer tatsächlich die Ware<br />

<strong>und</strong> der Verkäufer das Geld bekommt <strong>und</strong> damit die Ansprüche aus dem Kaufvertrag erfüllt werden,<br />

ist wieder eine andere Sache.<br />

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9<br />

Obwohl das Verpflichtungsgeschäft auf Erfüllung durch das Verfügungsgeschäft<br />

gerichtet ist, werden beide als getrennte, rechtlich voneinander unabhängige<br />

Geschäfte betrachtet. Es gilt das Abstraktionsprinzip zwischen Verpflichtungs- <strong>und</strong><br />

Verfügungsgeschäft. Das eine Rechtsgeschäft ist in seinem Bestand rechtlich<br />

unabhängig vom Bestand des anderen Geschäfts. Eine Folge dieses<br />

Abstraktionsprinzips ist, dass bei einem fehlerhaften <strong>und</strong> deshalb nichtigen<br />

Verpflichtungsgeschäft das Verfügungsgeschäft, dem derselbe Fehler nicht anhaftet,<br />

trotzdem wirksam sein kann.<br />

Bei Abschluss des Kaufvertrages über eine Nobellimousine mit vielen Sonderwünschen leidet der<br />

Käufer K unerkannt an einer Psychose. Er ist deshalb geschäftsunfähig <strong>und</strong> seine Willenserklärung ist<br />

nach § 105 Abs. 1 nichtig. Als das Fahrzeug nach mehreren Monaten zur Auslieferung kommt, ist<br />

seine Psychose abgeklungen. Er ist wieder geschäftsfähig. Er kann deshalb wirksam an der<br />

Übereignung des Fahrzeugs nach § 929 mitwirken <strong>und</strong> wird hiernach Eigentümer des Fahrzeugs. Den<br />

Kaufpreis nach § 433 Abs. 2 muss er jedoch nicht begleichen, da er bei Abschluss des Kaufvertrages<br />

geschäftsunfähig war <strong>und</strong> deshalb der Kaufvertrag nichtig ist. Eine Heilung des nichtigen<br />

Kaufvertrages kennt das Gesetz in diesen Fällen nicht. Der Kaufvertrag müsste von den Parteien<br />

erneut abgeschlossen werden. Solange kein Kaufvertrag besteht, besteht nach § 433 Abs. 2 kein<br />

Kaufpreisanspruch. Er muss nicht zahlen. Der Verkäufer V hat nur die Möglichkeit, nach § 812<br />

Rückübereignung des ohne Rechtsgr<strong>und</strong> – ohne Kaufvertrag – übereigneten Fahrzeugs von K zu<br />

verlangen. Bis diese Rückübereignung nach § 929 durchgeführt ist, bleibt der Käufer K Eigentümer<br />

des Fahrzeugs. Er kann sein Eigentum wirksam auf einen Dritten D übertragen. Der Dritte D erwirbt<br />

nach § 929 wirksam Eigentum am Fahrzeug. Er erwirbt das Eigentum vom Eigentümer K. Die Folge<br />

ist, dass der Verkäufer V nicht mehr vom Käufer K Herausgabe des Fahrzeugs verlangen kann, da<br />

der Käufer K das Fahrzeug nicht mehr hat. Der Verkäufer V hat nur noch einen Anspruch auf<br />

Wertersatz nach § 818 gegen den Käufer K.<br />

Hinter dieser komplizierten rechtlichen Regelung steht die Absicht, die Leichtigkeit<br />

<strong>und</strong> Schnelligkeit des Rechtsverkehrs zu gewährleisten. Der Dritterwerber soll sich<br />

keine Gedanken darüber machen müssen, ob der Erwerbsvorgang des<br />

Veräußernden einwandfrei war.<br />

2. Das Rechtsgeschäft<br />

Ausgangspunkt eines jeden Rechtsgeschäfts ist eine Willenserklärung gerichtet auf<br />

einen rechtlichen Erfolg. Die rechtsgeschäftliche Willenserklärung setzt sich aus<br />

- dem subjektiven Element des Willens <strong>und</strong><br />

- dem objektiven Element der Erklärung <strong>und</strong><br />

- der Ausrichtung auf einen Rechtserfolg<br />

zusammen. Im folgenden sollen diese Gr<strong>und</strong>elemente der rechtsgeschäftlichen<br />

Willenserklärung erläutert werden.<br />

2.1 Willensbildung<br />

Die Willensbildung zu einer Willenserklärung, der Wille, vollzieht sich in drei<br />

Schritten.<br />

1. Der Erklärende muss einen Handlungswillen haben überhaupt eine Erklärung<br />

abzugeben. Dieser Handlungswille fehlt bei Personen, die im Schlaf oder während<br />

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einer Bewusstlosigkeit sprechen. Fehlt der Handlungswille liegt keine rechtlich<br />

erhebliche Erklärung vor. Der Erklärende wird nicht geb<strong>und</strong>en.<br />

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10<br />

2. Der Erklärende muss einen Erklärungswillen haben. Er muss das Bewusstsein<br />

haben etwas rechtlich Bindendes zu erklären <strong>und</strong> nicht nur eine unverbindliche, rein<br />

gesellige Erklärung abzugeben. Wer eine Warenbestellung unterzeichnet in der Vorstellung, es<br />

handle sich um eine Weihnachtskarte, bei dem liegt ein Handlungswille vor, denn er will<br />

unterschreiben. Es fehlt hingegen der rechtsgeschäftliche Erklärungswille. Die Willenserklärung ist<br />

gleichwohl wirksam abgegeben. Er wird aus Gründen der Rechtssicherheit an den objektiven Gehalt<br />

seiner Willenserklärung geb<strong>und</strong>en, soweit das Versehen <strong>für</strong> ihn erkennbar <strong>und</strong> vermeidbar war. Er<br />

kann im Nachhinein die bindende Willenserklärung nach §§ 119 ff., 142 anfechten. Er muss dann dem<br />

Geschäftspartner Schadensersatz nach § 122 leisten.<br />

3. Der Erklärende muss den Geschäftswillen haben, gerade dieses erklärte<br />

Rechtsgeschäft zu wollen. Wer einen Kaufvertrag in der Vorstellung unterzeichnet, es handle<br />

sich um einen Mietvertrag, hat den Handlungswillen, eine Erklärung abzugeben <strong>und</strong> er hat den<br />

rechtsgeschäftlichen Erklärungswillen, etwas rechtlich Relevantes zu erklären. Es fehlt jedoch der<br />

Geschäftswille gerade das Rechtsgeschäft Kaufvertrag abzuschließen. Dieser Mangel des<br />

Geschäftswillens ist <strong>für</strong> das wirksame Zustandekommen des Rechtsgeschäfts im Interesse eines<br />

funktionierenden Rechts- <strong>und</strong> Geschäftsverkehrs unerheblich. Es wird noch zu zeigen sein, dass nach<br />

dem objektiven Empfängerhorizont regelmäßig das objektiv erklärte Rechtsgeschäft, hier der<br />

Kaufvertrag, zustande kommt. Das nicht gewollte aber wirksame Rechtsgeschäft Kaufvertrag kann<br />

dann nach §§ 119, 142 angefochten werden. Nach § 122 können dem Geschäftspartner<br />

Schadensersatzansprüche aus § 122 erwachsen.<br />

Auch wenn sich die Willenserklärung in drei Schritten vom Handlungs-, über den<br />

Erklärungs-, zum Geschäftswillen vollzieht, ist nur das Fehlen des Handlungswillens<br />

<strong>für</strong> das wirksame Zustandekommen des Rechtsgeschäfts erheblich. Das Fehlen des<br />

Erklärungs- oder Geschäftswillens lässt das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts<br />

unberührt. Es kommt wirksam zustande. Damit trägt das Gesetz der<br />

Rechtssicherheit, der Schnelligkeit <strong>und</strong> Sicherheit des Rechtsverkehrs Rechnung zu<br />

Lasten des Erklärenden, in dessen Risikobereich sich der Irrtum vollzieht. Die irrig<br />

abgegebene Willenserklärung kann unter den Voraussetzungen des §§ 119 ff im<br />

Nachhinein durch Anfechtung wieder beseitigt werden. Diese Anfechtung ist jedoch<br />

mit dem Risiko behaftet, dass der Anfechtende zu Schadensersatz nach § 122<br />

verpflichtet ist.<br />

2.2 Die Erklärung<br />

Eine Willenserklärung wird erst mit ihrer Abgabe rechtlich relevant. Vor der Abgabe<br />

der Willenserklärung bleibt es bei dem Gr<strong>und</strong>satz Fürs Denken kann man keinen<br />

henken.<br />

Willenserklärungen können mündlich, schriftlich oder schlüssig, auch konkludent<br />

genannt, abgegeben werden. Schweigen hat regelmäßig keinen Erklärungswert <strong>und</strong><br />

ist deshalb rechtlich unbedeutsam. Das Schweigen ist gr<strong>und</strong>sätzlich ein rechtliches<br />

nullum. Dem Schweigen kommt nur ausnahmsweise eine Bedeutung zu:<br />

a. Kraft Gesetzes als normiertes Schweigen, wenn das Gesetz einem Schweigen<br />

einen bestimmten Erklärungswert zuweist unabhängig davon, ob diese Erklärung<br />

überhaupt gewollt war wie in §§ 108 Abs. 2, 177 Abs. 2. Zwar gibt der Schweigende<br />

tatsächlich keine Erklärung ab. Zur Behebung einer Rechtsunsicherheit knüpft das<br />

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Gesetz an sein Schweigen einen fingierten Erklärungswert. Eine Anfechtung der fingierten<br />

Erklärung nach §§ 119 ff., 142 scheidet aus, da die Anfechtung den Zustand der Rechtsunsicherheit<br />

wieder aufleben ließe.<br />

b. Kraft Abrede als beredtes Schweigen, wenn dem Kaufinteressenten eine<br />

Überlegungsfrist eingeräumt wurde <strong>und</strong> abgesprochen wurde, dass der Kaufvertrag<br />

zu Stande kommen soll, wenn er nicht innerhalb von 5 Tagen widerspricht. Wird nicht<br />

rechtzeitig widersprochen, gilt das Schweigen kraft Vereinbarung als Annahme.<br />

Klauseln über beredtes Schweigen finden sich in den Statuten der Buchclubs.<br />

2.3 Rechtsbindungswille <strong>und</strong> Rechtserfolg<br />

Das Rechtsgeschäft wird definiert als eine oder mehrere Willenserklärungen<br />

gerichtet auf einen rechtlichen Erfolg. Soll kein rechtlicher Erfolg herbeigeführt<br />

werden, fehlt es dem Erklärenden am Rechtsbindungswillen. Deshalb sind<br />

Gefälligkeitserklärungen rechtlich unverbindlich.<br />

Für den Rechtsverkehr ist es entscheidend, ob der Erklärungsempfänger das Fehlen<br />

des Rechtsbindungswillen erkennen <strong>und</strong> sich danach richten kann. Ist der fehlende<br />

Rechtsbindungswille im Rechtsverkehr nicht erkennbar, kann dies <strong>für</strong> den<br />

Erklärungsempfänger zu nachteiligen Dispositionen führen. Es stellt sich die Frage,<br />

wer die Nachteile dieser Diskrepanz zu tragen hat.<br />

Der Rechtsbindungswille kann aber auch fehlerhaft gebildet werden. Der Erklärende<br />

will zwar eine rechtlich verbindliche Erklärung abgeben. Dieser Erklärung wird jedoch<br />

vom Erklärungsempfänger eine andere Bedeutung beigemessen, als es der<br />

Erklärende will. Hier besteht ein Rechtsbindungswille. Er ist jedoch auf einen<br />

anderen Rechtserfolg gerichtet, als der Adressat der Erklärung darunter versteht <strong>und</strong><br />

zu gewähren bereit ist. Es stellt sich die Frage, ob der vom Erklärenden oder der<br />

vom Erklärungsempfänger gewollte Rechtserfolg rechtlich entscheidend ist.<br />

Im Folgenden ist abzuklären, welche rechtliche Behandlung der<br />

- fehlende Rechtsbindungswille<br />

- der zwar vorhandene aber fehlerhaft gebildete Rechtsbindungswille<br />

erfahren soll.<br />

2.3.1 Der bewusst fehlende Rechtsbindungswille<br />

Das Gesetz hat in §§ 116 -118 detailliert die Fälle geregelt, in denen es dem<br />

Erklärenden bewusst am Rechtsbindungswillen fehlt. Es unterscheidet in diesen<br />

Fällen danach, ob der fehlende Rechtsbindungswille dem Erklärungsempfänger<br />

erkennbar ist oder nicht.<br />

a. Der erkennbar fehlende Rechtsbindungswille<br />

aa. Ohne Rechtswirkungen sind nach § 117 im Einverständnis mit dem<br />

Geschäftspartner zum Schein abgegebene Willenserklärungen, das<br />

Scheingeschäft. Hierzu zählen der mit einem Fre<strong>und</strong> abgeschlossene Scheinarbeitsvertrag, um<br />

von einer Bank ein Darlehen zu bekommen. Es ist kein Arbeitsvertrag zustande gekommen, weil<br />

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insofern ein Scheingeschäft vorliegt. Der getäuschten Bank können Schadensersatzansprüche aus §<br />

823 Abs. 2 iVm. § 263 StGB <strong>und</strong> § 826 gegen den Darlehensnehmer <strong>und</strong> den Fre<strong>und</strong> erwachsen.<br />

bb. Ohne Rechtsbindung ist nach § 116 S. 2 die bewusst abgegebene<br />

Willenserklärung über etwas nicht Gewolltes, wenn der Erklärungsempfänger um den<br />

fehlenden Willen weiß, der erkannte Vorbehalt.<br />

cc. Ohne Rechtsbindung ist nach § 118 die Scherzerklärung, die in der Erwartung<br />

abgegeben wird, der Empfänger werde die mangelnde Ernstlichkeit erkennen. Es<br />

kommt hierbei nicht darauf an, ob der Erklärungsempfänger dies auch wirklich<br />

erkennt.<br />

Die Übergänge zwischen diesen Regelungen sind fließend. Die Regelungsbereiche<br />

lassen sich nicht streng voneinander trennen. Ihnen ist gemeinsam, dass der<br />

Erklärende bewusst entgegen seinem wirklichen Willen, gerade keine Rechtsbindung<br />

einzugehen, eine anders lautende Willenserklärung abgibt. Da der<br />

Erklärungsempfänger hierum weiß oder dies ohne weiteres erkennen kann, ist er<br />

nicht schützenswert. Die Willenserklärung zeitigt keine Rechtsbindung.<br />

Hat im Falle des § 118 der Erklärungsempfänger die mangelnde Ernstlichkeit<br />

trotzdem nicht erkannt, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Willenserklärung. Der<br />

Erklärungsempfänger erhält nach § 122 zum Ausgleich einen Schadensersatzanspruch.<br />

b. Der nicht erkennbar fehlende Rechtsbindungswille<br />

Anders stellt sich die Situation dar, wenn jemand eine Erklärung bewusst abgibt,<br />

obwohl er das Erklärte nicht will, diese Diskrepanz jedoch dem Erklärungsempfänger<br />

nicht erkennbar ist. In diesen Fällen erscheint der Erklärende weniger schutzwürdig<br />

als der Erklärungsempfänger.<br />

Von der Notwendigkeit, den Erklärungsempfänger schützen zu müssen, geht § 116<br />

S. 1 aus. Eine Willenserklärung ist wirksam, die der Erklärende mit dem geheimen<br />

Vorbehalt abgibt, sie nicht zu wollen. Zum Schutz des Erklärungsempfängers, der<br />

um diesen geheimen Vorbehalt nicht wissen kann, ist die Willenserklärung wirksam.<br />

Es genügt die Sicht des Erklärungsempfängers, diese Willenserklärung sei auf einen<br />

Rechtserfolg gerichtet. Im Fall des § 116 S. 1 liegt eine Diskrepanz zwischen<br />

subjektivem Willen <strong>und</strong> objektiver Erklärung des Erklärenden vor.<br />

2.3.2 Die unbewusst fehlerhafte Erklärung<br />

Im Alltag viel häufiger sind die Fälle, in denen<br />

- der Erklärende eine rechtlich unverbindliche Erklärung abgeben will, die jedoch<br />

vom Empfänger als rechtsverbindlich aufgefasst wird, wobei dem Erklärenden<br />

diese Diskrepanz nicht bewusst ist. Der Geschäftsmann unterschreibt einen Kaufvertrag<br />

in der Annahme, es handle sich um eine Weihnachtsgrußkarte. Es fehlt der Erklärungswille.<br />

- ein Rechtsbindungswille vorliegt bei dessen Bildung <strong>und</strong> Äußerung jedoch ein<br />

Fehler unterlaufen ist. Die Geschäftsfrau unterschreibt einen Kaufvertrag in der Annahme,<br />

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13<br />

es handle sich um einen Mietvertrag. Die Geschäftsfrau bestellt 10 Paletten Kopierpapier in<br />

der irrigen Annahme, Paletten seien Pakete. Es fehlt der Geschäftswille.<br />

Es sind dies die Fälle der unbewussten Diskrepanz zwischen subjektivem Willen <strong>und</strong><br />

objektiver Erklärung. Diese Fälle sind uns schon bei der Darstellung der<br />

Willensbildung begegnet. Es handelte sich um die Fälle, dass der Erklärungs- oder<br />

Geschäftswille nicht richtig gebildet wurde. Dort wurde ausgeführt, dass trotz<br />

fehlerhafter Willensbildung diese Willenserklärung wirksam ist. Nun geht es um die<br />

Frage, wie diese Willenserklärungen im Rechtsverkehr zu verstehen sind <strong>und</strong> wie sie<br />

behandelt werden. Es geht letztlich um die Frage, ob die Sicht des Erklärenden oder<br />

des Erklärungsempfängers entscheidend ist.<br />

Diese Fälle einer dem Erklärenden gerade nicht bewussten Diskrepanz zwischen dem von ihm<br />

Erklärten <strong>und</strong> dem vom Erklärungsempfänger verstandenen Mitteilung sind im Alltag häufiger als die<br />

Fälle einer bewussten Diskrepanz, die in §§ 116 ff ausführlich geregelt sind.<br />

Für eine Reihe typischer Missverständnisse hat der Gesetzgeber spezielle<br />

Auslegungsregeln geschaffen wie §§ 189, 192: Unter Anfang des Monats wird der<br />

1., unter Mitte des Monats der 15., unter Ende des Monats der letzte Tag des Monats<br />

verstanden.<br />

Daneben finden sich in §§ 133, 157 allgemeine Auslegungsregeln. Sie kommen<br />

zur Anwendung, wenn keine speziellen Auslegungsregeln eingreifen.<br />

Nach § 133 ist bei der Auslegung von Willenserklärungen <strong>und</strong> Verträgen der<br />

wirkliche Wille zu erforschen <strong>und</strong> nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks<br />

zu haften. Dieser subjektive Ansatz stellt auf den wahren Willen des Erklärenden ab.<br />

Nach § 157 sind Willenserklärungen <strong>und</strong> Verträge so auszulegen, wie Treu <strong>und</strong><br />

Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dieser objektive Ansatz<br />

stellt auf das Verständnis des Rechtsverkehrs <strong>und</strong> damit Dritter ab.<br />

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Auslegungsregeln Gegensätzliches<br />

auszudrücken:<br />

- § 133 subjektive Sicht<br />

- § 157 objektive Sicht.<br />

Tatsächlich regeln diese Vorschriften jedoch verschiedene Situationen.<br />

Nach § 133 entscheidet der subjektive Wille bei<br />

a. nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen ohne schützenswerten<br />

Empfängerkreis wie dem Testament nach § 1937. Niemand hat einen Anspruch darauf, in<br />

einem Testament bedacht zu werden. Es entscheidet allein der Wille des Erblassers.<br />

b. empfangsbedürftigen Willenserklärungen, wenn der Erklärende etwas anderes<br />

sagt, als er tatsächlich will <strong>und</strong> der Empfänger unter der Falschbezeichnung das<br />

Richtige versteht oder erkennt, was der Erklärende tatsächlich will. Der Gast will im<br />

französischen Lokal einen Weinbrand bestellen. Er glaubt, dieser heiße Chateaubriand. Er bestellt<br />

einen Chateaubriand <strong>und</strong> zeigt auf das Weinbrandglas auf dem Nachbartisch. Der höfliche Kellner<br />

erkennt den Irrtum <strong>und</strong> bringt stillschweigend das gewollte Getränk <strong>und</strong> nicht das fälschlicherweise<br />

genannte Fleischgericht.<br />

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14<br />

c. der gemeinsamen Falschbezeichnung, wenn Erklärender <strong>und</strong><br />

Erklärungsempfänger gemeinsam den falschen Ausdruck <strong>für</strong> eine Sache verwenden<br />

aber dasselbe wollen, so gilt das Gewollte <strong>und</strong> nicht das Erklärte. Im notariellen<br />

Gr<strong>und</strong>stückskaufvertrag einigen sich Käufer <strong>und</strong> Verkäufer über die Eigentumsübertragung des<br />

Flurstücks 112. Beide meinen aber das Flurstück 111. Es ist trotz der Falschbezeichnung <strong>und</strong><br />

Falschbeurk<strong>und</strong>ung das gewollte Flurstück 111 verkauft.<br />

Ansonsten erfolgt die Auslegung nach § 157 nach dem objektiven<br />

Empfängerhorizont eines verständigen <strong>und</strong> neutralen Beobachters unter<br />

Berücksichtigung der Verkehrssitte. Dieser neutrale Beobachter versteht unter Palette eine<br />

Palette <strong>und</strong> keine Pakete. Bestellt ein Gast in einem Kölner Lokal ein Alt, dann weiß der mit den<br />

örtlichen Gepflogenheiten vertraute Beobachter, dass es sich um ein Altbier handelt <strong>und</strong> nicht um<br />

etwas Altes.<br />

Die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont kann dazu führen, dass der<br />

abgegebenen Willenserklärung eine andere Bedeutung beigemessen wird als der<br />

Erklärende wollte. Er muss die nach dem objektiven Empfängerhorizont verstandene<br />

Willenserklärung gegen sich gelten lassen. Es tritt der erklärte <strong>und</strong> nicht der gewollte<br />

Rechtserfolg ein. Dem Erklärenden bleibt unter den Voraussetzungen der §§ 119 ff<br />

die Möglichkeit der Anfechtung.<br />

Fall: Grüne Orchidee<br />

Herr Volkmann (V) bietet ein 12teiliges Speiseservice Grüne Orchidee in einer<br />

Kleinanzeige <strong>für</strong> 2.000 € an. In der Kleinanzeige nennt er Namen, Anschrift <strong>und</strong><br />

Telefonnummer. Schon am folgenden Tage erscheint Herr Kaufmann (K) bei V <strong>und</strong><br />

schaut sich das Service, ein begehrtes Sammlerobjekt, an. K erklärt nach<br />

Besichtigung, dass er das Service <strong>für</strong> den genannten Preis kaufen wolle. Er werde<br />

am nächsten Tag wiederkehren, das Service bezahlen <strong>und</strong> mitnehmen. V ist mit<br />

diesem Vorschlag einverstanden. Einige St<strong>und</strong>en später erscheint Herr Zweigle (Z)<br />

bei V <strong>und</strong> erklärt, dass er das Service auf jeden Fall erwerben wolle.<br />

V erklärt hierauf, dass er das Service bereits veräußert habe <strong>und</strong> deshalb nicht dem<br />

Z verkaufen könne. Z ist darüber sehr empört. Er verlangt Lieferung des Service<br />

gegen Bezahlung von 2.000 €, die er bereits mit sich führt <strong>und</strong> dem V anbietet.<br />

Frage: Hat Z einen Anspruch auf Lieferung des Service gegen Zahlung von 2.000 €?<br />

Lösung:<br />

Ein Anspruch des Z könnte sich aus einem Kaufvertrag nach § 433 Abs. 1 S. 1<br />

gegen V ergeben. Zwischen V <strong>und</strong> Z müsste ein Kaufvertrag nach §§ 145 ff. wirksam<br />

abgeschlossen worden sein. Der Kaufvertrag könnte durch ein Angebot des V in der<br />

Kleinanzeige <strong>und</strong> die von Z erklärte Annahme zustande gekommen sein. Das<br />

Kleininserat müsste eine wirksam abgegebene Willenserklärung des V darstellen.<br />

Die Kleinanzeige stellt eine Erklärung nach außen dar. Diese Erklärung müsste mit<br />

Rechtsbindungswillen abgegeben worden sein <strong>und</strong> dürfte nicht nur eine<br />

unverbindliche Aufforderung an mögliche Käufer darstellen. Ob ein<br />

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15<br />

Rechtsbindungswillen vorliegt oder nur eine unverbindliche Erklärung abgegeben<br />

wurde, ist mittels Auslegung nach §§ 133, 157 festzustellen. Nach dem objektiven<br />

Empfängerhorizont ist davon auszugehen, dass sich V mit dem Inserat noch nicht<br />

binden wollte. Anderenfalls wäre der inserierende V jedem, der seinen Kaufwillen<br />

durch ein bloßes ja, ich nehme das Angebot an äußert, zur Lieferung verpflichtet. Er<br />

wäre einem jeden, der seinen Kaufwillen äußert, zur Lieferung verpflichtet, obwohl er<br />

nur ein einziges Service hat. Damit würde er sich Schadensersatzansprüchen nach<br />

§§ 311a Abs. 2, 283, 280 Abs. 1 der Kaufwilligen aussetzen, die das Service nicht<br />

geliefert bekommen könnten. Diese Bindung wollte V mit dem Inserat noch nicht<br />

eingehen. Es sollte ihm noch frei stehen, welchem Käufer er das Service veräußern<br />

wollte. Diese Interessenlage ist einem objektiven Leser des Inserats erkennbar.<br />

Deshalb stellt das Inserat noch kein Angebot des V nach § 145 dar, sondern nur eine<br />

unverbindliche Aufforderung an mögliche Interessenten - invitatio ad offerendum -,<br />

mit ihm in Kaufvertragsverhandlungen einzutreten.<br />

Ein Kaufvertrag zwischen Z <strong>und</strong> V ist nicht zu Stande gekommen. Deshalb hat Z<br />

keinen Lieferanspruch.<br />

3. Abgabe <strong>und</strong> Zugang<br />

Damit eine Willenserklärung Rechtswirkung erlangen kann, bedarf es der Abgabe<br />

<strong>und</strong> bei empfangsbedürftigen Willenserklärung obendrein des Zugangs der<br />

Willenserklärung an ihren Adressaten. Die meisten Willenserklärungen sind<br />

empfangsbedürftige Willenserklärungen, damit der Adressat der Willenserklärung<br />

sich mit dieser befassen kann, sich nach dieser richten kann.<br />

3.1 Abgabe<br />

Abgabe ist die willentliche Entäußerung, womit die Willenserklärung bewusst in den<br />

Rechtsverkehr abgegeben wird. Wer nur Sprachübungen im stillen Kämmerlein <strong>für</strong><br />

eine spätere Willenserklärung macht, gibt diese noch nicht ab.<br />

Verlässt eine schriftlich vorbereitete Willensbek<strong>und</strong>ung den Bereich des Erklärenden,<br />

ohne dass dieser dies wollte, ist diese abhanden gekommene Willenserklärung<br />

unwirksam. Dies kommt vor, wenn der Ehepartner einen vorbereiteten Brief mit einer<br />

Warenbestellung des anderen Ehegatten zur Post gibt, den dieser noch gar nicht absenden wollte,<br />

weil er sich über die Bestellung noch nicht schlüssig war. Die Willenserklärung ist nicht<br />

wirksam abgegeben. Ein Vertrag ist nicht zustande gekommen. Gleichwohl kann der<br />

Empfänger nicht um die Unwirksamkeit der abhanden gekommenen<br />

Willenserklärung wissen <strong>und</strong> trifft deshalb vergebliche Dispositionen. Der Empfänger<br />

hat Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens analog § 122.<br />

3.2 Zugang<br />

Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen wie Testamente werden bereits mit<br />

Abgabe wirksam, selbst wenn kein Dritter hiervon jemals Kenntnis nimmt.<br />

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16<br />

Empfangsbedürftige Willenserklärungen werden hingegen erst mit Zugang wirksam.<br />

Das hebt § 130 bei Willenserklärung unter Abwesenden hervor. Sie können nach §<br />

130 Abs. 2 bis zum Zugang noch widerrufen werden. Selbst wenn der Erklärende<br />

nach Abgabe verstirbt oder seine Geschäftsfähigkeit verliert, werden sie mit Zugang<br />

wirksam. Die abgegebene Willenserklärung führt insofern ein Eigenleben. Der<br />

Zugang erfolgt:<br />

a. bei mündlichen Willenserklärungen, wenn der Empfänger sie vernimmt. Kein<br />

Zugang an Gehörlose oder bei ohrenbetäubendem Lärm,<br />

b. bei schriftlichen Willenserklärungen, wenn sie in den<br />

- Machtbereich des Empfängers gelangen <strong>und</strong><br />

- nach den Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs die Möglichkeit zur<br />

Kenntnisnahme besteht wie Briefkasten, Postfach, Türschlitz; nicht jedoch wenn<br />

der Brief im Mülleimer des Empfängers versteckt wird; beim E-Mail sobald es auf dem<br />

Server zwischengespeichert wird; beim Fax, sobald der Ausdruck erfolgt oder das Fax<br />

zumindest gespeichert wurde <strong>und</strong> in verkehrsüblicher Weise abgerufen werden<br />

kann. 2<br />

Die Entgegennahme kann auch durch einen Empfangsvertreter oder einen<br />

Empfangsboten des Empfängers erfolgen:<br />

- Zum Empfangsvertreter wird eine Person nach § 164 Abs. 3, wenn ihr eine<br />

Empfangsvollmacht vom Vertretenen erteilt wird. Mit dem Zugang an den<br />

Empfangsvertreter gilt der Zugang an die vertretene Person als erfolgt.<br />

- Empfangsboten sind die im Geschäftsbetrieb oder Haushalt nach der<br />

Verkehrssitte <strong>und</strong> Verkehrsanschauung zur Entgegennahme befugten<br />

Personen wie Sekretär, Ehegatte, Eltern <strong>und</strong> ältere Kinder, die die notwendige<br />

Reife erwarten lassen, das Schriftstück dem Empfänger auszuhändigen. Hier<br />

erfolgt der Zugang, sobald üblicherweise mit der Weitergabe zu rechnen ist.<br />

Soweit es an den Voraussetzungen <strong>für</strong> den Empfangsboten fehlt wie bei jüngeren Kindern,<br />

können diese Personen nur als Erklärungsboten des Absenders auftreten, der das Risiko der<br />

Weiterleitung der Erklärung trägt. Der Zugang erfolgt erst mit tatsächlicher Weiterleitung.<br />

c. Manche Willenserklärungen sind termingeb<strong>und</strong>en. Eine Kündigung muss zu einem<br />

bestimmten Termin erfolgen. Für den Rücktritt ist ein Termin bestimmt. Für die Annahme<br />

eines Angebots ist ein Termin bestimmt. Hier kommt es regelmäßig auf den<br />

Zeitpunkt des Zugangs der Willenserklärung beim Empfänger an.<br />

Unter Abwesenden ist entscheidend, wann der Empfänger nach den<br />

Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hat. Beim<br />

Einwurf in einen Briefkasten kommt es darauf an, wann üblicherweise die Leerung<br />

erfolgt. In diesem Zeitpunkt gilt die Willenserklärung als zugegangen, selbst wenn<br />

der Empfänger an diesem Tag gerade nicht den Briefkasten leert. Sollte der<br />

Empfänger jedoch zu einem früheren Zeitpunkt tatsächlich Kenntnis nehmen, ist<br />

dieser Zeitpunkt maßgebend. Wird ein Schreiben am Freitagabend um 22 Uhr in den<br />

Geschäftsbriefkasten gesteckt, ist davon auszugehen, dass es erst am kommenden Montag zum<br />

Zeitpunkt der Geschäftsöffnung <strong>und</strong> Briefkastenleerung zugeht. Wird jedoch der Geschäftsinhaber am<br />

Freitagabend noch zufällig angetroffen <strong>und</strong> ihm der Brief übergeben, ist ihm der Brief zu diesem<br />

Zeitpunkt zugegangen.<br />

2 K. Schreiber, Abgabe <strong>und</strong> Zugang von Willenserklärungen, Jura 2002 S. 249, 251<br />

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1901 ff.<br />

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17<br />

Wird ein Brief am Nachmittag des 31.12., einem Mittwoch, in den Briefkasten eines Bürobetriebes<br />

geworfen, in dem branchenüblich Silvester Nachmittag nicht mehr gearbeitet wird, so geht er erst am<br />

nächsten Werktag zu. Dies geilt selbst dann, wenn der Briefkopf des Bürobetriebes den Hinweis<br />

enthält Sprechzeiten an Werktagen außer freitags von 14 bis 17 Uhr. 3<br />

d. Der Zugang der Willenserklärung setzt voraus, dass diese in den Machtbereich<br />

des Empfängers gelangt. Dies kann durch Zugangshindernisse vereitelt werden. Hier<br />

gilt, dass<br />

- der Zugang als nicht erfolgt gilt, wenn der Empfänger den Zugang<br />

berechtigterweise verhindert Empfänger soll <strong>für</strong> den nicht ausreichend frankierten Brief<br />

Nachporto bezahlen <strong>und</strong> weist den Brief zurück<br />

- der Zugang fingiert wird, wenn der Empfänger das Zugangshindernis bewusst<br />

verursacht Der Briefkasten wird abgehängt, damit keine Post abgegeben werden kann.<br />

- bei fahrlässig verursachtem Zugangshindernis seitens des Empfängers kommt<br />

die Zugangsfiktion nicht zur Anwendung. Wiederholt der Absender alsbald<br />

erfolgreich den Zugangsversuch, gilt die Willenserklärung als mit dem ersten<br />

Versuch – <strong>und</strong> nicht erst mit dem zweiten Versuch - als zugegangen.<br />

Unterlässt er einen erneuten Zugangsversuch, ist kein Zugang erfolgt.<br />

Wegen bestehender, bei den meisten Nutzern jedoch nicht vorhandener Manipulationsmöglichkeiten<br />

soll e-mail Eingangs- <strong>und</strong> Lesebestätigungen nur der Wert eines Anscheinsbeweises über den<br />

Zugang zukommen. Die Widerlegung des Anscheinsbeweises erfordert keinen vollen Gegenbeweis<br />

sondern nur das Behaupten der ernsthaften Möglichkeit einer anderen Ursache oder Möglichkeit. Ein<br />

Fax-Sendeprotokoll dokumentiert lediglich die Absendung <strong>und</strong> nicht den Zugang. 4<br />

Fall: Sohn<br />

Herr Krüger (K) interessiert sich <strong>für</strong> den Erwerb eines Gebrauchtwagens des<br />

Autohändlers Vogel (V). K bot dem V 10.000,-- € <strong>für</strong> den Wagen. V lehnte jedoch ab,<br />

da er 11.500,-- € erzielen wollte. Nach einigen Wochen bietet der V dem K das<br />

Fahrzeug erneut an zum Preis von 10.500,-- €. Das Angebotsschreiben überbringt<br />

der V selbst, um mit dem K wieder ins Gespräch zu kommen. Er trifft den K jedoch<br />

nicht an. Zuhause ist nur dessen 10jähriger Sohn Stefan (S). S verspricht den Brief<br />

seinem Vater nach dessen Rückkehr am Abend sofort zu übergeben. Als K nach<br />

einigen St<strong>und</strong>en nach Hause kommt, denkt S nicht mehr an den Brief. Kurze Zeit<br />

später ruft V an, um dem K mitzuteilen, dass er es sich mittlerweile anders überlegt<br />

hat. Erst jetzt erfährt K von dem Brief. Er forscht bei S nach <strong>und</strong> bekommt nun den<br />

Brief von S ausgehändigt. K erklärt dem V, dass er das Angebot annehme.<br />

Kann K die Übereignung des Fahrzeugs verlangen?<br />

Lösung:<br />

Ein Anspruch des K könnte sich aus § 433 Abs. 1 S. 1 ergeben. Ein Kaufvertrag<br />

müsste wirksam zustande gekommen sein. Ein erstes Angebot des K war von V nicht<br />

3 BGH NJW 2008 S. 843<br />

4 Peter Mankowski: Zum Nachweis des Zugangs bei elektronischen Erklärungen, in NJW 2004 S.<br />

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18<br />

angenommen worden. V war nicht bereit, zu dem von K angebotenen Preis das<br />

Fahrzeug zu veräußern. Dieses Angebot war damit erloschen.<br />

Der Kaufvertrag könnte jedoch auf Gr<strong>und</strong> eines zweiten schriftlichen Angebots des V<br />

zustande gekommen sein. V hat das schriftliche Angebot wirksam abgegeben.<br />

Dieses Angebot müsste dem K nach § 130 zugegangen sein. Das Angebot ist dem K<br />

zugegangen, sobald es in seinen Machtbereich gelangt ist <strong>und</strong> die Kenntnisnahme<br />

unter normalen Umständen zu erwarten war. Zum Machtbereich gehören neben den<br />

technischen Empfangsvorkehrungen wie Briefkasten auch die Übergabe an hier<strong>für</strong><br />

vorgesehene Hilfspersonen.<br />

Hier<strong>für</strong> vorgesehene Hilfspersonen können ein Empfangsvertreter nach § 164 Abs. 3<br />

oder ein Empfangsbote sein. Der Sachverhalt bietet keinerlei Hinweis, ob S eine<br />

Vollmacht zum Empfangsvertreter hatte. Ein 10jähriges Kind gilt nach der<br />

Verkehrsanschauung nicht schon als Empfangsbote. In Anbetracht des kindlichen<br />

Spieltriebs fehlt es erfahrungsgemäß an der Zuverlässigkeit in rechtsgeschäftlichen<br />

Angelegenheiten. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Eltern ein<br />

10jähriges Kind zur Überbringung von Willenserklärungen einsetzen.<br />

S war hingegen Erklärungsbote des V, der das Risiko einer verspäteten Übergabe<br />

durch S trägt. Damit ist der Brief nicht schon durch Übergabe des V an S<br />

zugegangen, sondern erst später durch die tatsächliche Weiterleitung des Briefes<br />

von S an K.<br />

Das Angebot des V könnte durch die Übergabe des Briefes von S an K wirksam<br />

zugegangen <strong>und</strong> von K angenommen worden sein. Dem steht entgegen, dass der<br />

Brief vor dem effektiven Zugang von V widerrufen worden war nach § 130 Abs. 1 S.<br />

2. Die Annahmeerklärung des K ging folglich ins Leere. Ein Vertragsabschluss kam<br />

nicht zustande.<br />

4. Die Anfechtung<br />

Bislang wurde untersucht, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit eine<br />

Willenserklärung zustande kommt. Dabei wurde deutlich, dass Willenserklärungen<br />

Wirksamkeit erlangen können, die der Erklärende so gar nicht wollte. Dies war der<br />

Fall, wenn nach den Regeln über den objektiven Empfängerhorizont dem<br />

Erklärenden eine Willenserklärung zugerechnet wird, die er so gar nicht abgeben<br />

wollte. Im Folgenden soll nun untersucht werden, ob diese Willenserklärungen nicht<br />

im Wege der Anfechtung wieder aufgehoben werden können.<br />

Ist dem Erklärenden bei seiner Willenserklärung ein Irrtum unterlaufen, so räumt ihm<br />

das Gesetz nach §§ 119 ff. unter gewissen Voraussetzungen ein Anfechtungsrecht<br />

ein. Das Anfechtungsrecht ist die Konsequenz daraus, dass eine Willenserklärung<br />

regelmäßig nach ihrem objektiven Gehalt im Rechtsverkehr verstanden wird,<br />

andererseits der Erklärende nicht in jedem Fall gegen seinen Willen an einer<br />

Erklärung festgehalten werden soll, die seinem subjektiven Willen nicht entspricht.<br />

Voraussetzung der Anfechtung ist, dass bei unbewusster Diskrepanz zwischen<br />

Willen <strong>und</strong> Erklärung nicht das Gewollte, sondern das Erklärte gilt. Zum Schutze des<br />

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Geschäftspartners gewährt das Gesetz ihm bei Anfechtung einen<br />

Schadensersatzanspruch nach § 122.<br />

Die Anfechtung setzt nach §§ 119, 123 einen vom Gesetz normierten<br />

Anfechtungstatbestand voraus.<br />

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19<br />

a. Ein Erklärungsirrtum ist gegeben, wenn der Erklärende ... eine Erklärung dieses<br />

Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte nach § 119 Abs. 1. Dies sind die Fälle des<br />

Sich- Versprechens, Verschreibens oder Vergreifens. Beim Einkauf im Supermarkt nimmt<br />

der Käufer versehentlich eine Dose Kartoffelsuppe aus dem Regal anstelle der gewollten Dose<br />

Ananas. Der Käufer verspricht sich <strong>und</strong> verlangt drei Bratwürste anstelle der gewollten zwei<br />

Bratwürste. Der Käufer kann nach § 119 Abs. 1 anfechten wegen eines Erklärungsirrtums.<br />

V stellte einen PKW Bugway Buggy auf der Webseite von ebay ein zum Startpreis von 1.000.- € <strong>und</strong><br />

schaltete die Angebotsseite <strong>für</strong> die Versteigerung von Fahrzeugen frei. Er verlinkte das Angebot mit<br />

seiner Firmenhomepage, auf der das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 15.000.- € angeboten wurde.<br />

K gab mit 1.751.- € das Höchstgebot ab. V verweigerte die Eigentumsübertragung mit dem Argument,<br />

er habe versehentlich zu 1.000.- statt wie vorgesehen zu 10.000.- € angeboten. Das OLG Oldenburg<br />

sah es als erwiesen an, dass V nicht <strong>für</strong> 1.000.- € anbieten wollte sondern ein Tippfehler vorlag, da er<br />

das ebay-Angebot mit seiner Firmenhomepage verlinkt hatte, auf der das Fahrzeug <strong>für</strong> 15.000.- €<br />

angeboten wurde. 5<br />

b. Ein Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1 S. 1 liegt vor, wenn der Erklärende ... bei der<br />

Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war. Der Erklärende gibt<br />

die Erklärung ab, die er will. Er irrt sich über die rechtliche Bedeutung seiner<br />

Erklärung. Er versteht die Erklärung anders als der Erklärungsempfänger. Der<br />

Geschäftsmann unterschreibt in der Unterschriftsmappe einen Kaufvertrag, den er <strong>für</strong> eine<br />

Weihnachtsgrußkarte hält. Er misst seiner Erklärung den Inhalt einer rein gesellschaftlichen aber nicht<br />

einer rechtsgeschäftlichen Erklärung bei – fehlender Erklärungswille. Er unterschreibt einen<br />

Kaufvertrag, den er <strong>für</strong> einen Mietvertrag hält – fehlender Geschäftswille.<br />

Beim Inhalts- <strong>und</strong> Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 weicht beides Mal die<br />

Erklärung vom gebildeten Willen ab. Beide Irrtümer werden in § 119 Abs. 1 gleich<br />

behandelt.<br />

c. Einem Erklärungsirrtum steht nach § 120 die Falschübermittlung durch einen<br />

Boten oder eine Einrichtung gleich.<br />

d. Nach § 119 Abs. 2 berechtigt der Eigenschaftsirrtum ... der Irrtum über solche<br />

Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen<br />

werden ebenfalls zur Anfechtung. Eigenschaften sind alle gegenwärtigen, rechtlichen<br />

<strong>und</strong> tatsächlichen Verhältnisse, die einer Person oder Sache <strong>für</strong> eine gewisse Dauer<br />

anhaften <strong>und</strong> <strong>für</strong> die Wertschätzung von Bedeutung sind. Hier besteht keine<br />

Diskrepanz zwischen Wille <strong>und</strong> Erklärung sondern ein Fehler bei der Willensbildung.<br />

Der Personalchef hält den neuen Buchhalter <strong>für</strong> redlich, weil er nichts von dessen Vorstrafenregister<br />

weiß. Dies ist ein Irrtum über die Eigenschaft der Person. Kein Eigenschaftsirrtum ist es, wenn der<br />

Erwerber eines Wiesengr<strong>und</strong>stücks sich in seiner Erwartung enttäuscht sieht, dieses werde alsbald<br />

Bauland werden. Er irrt sich über eine zukünftige Entwicklung <strong>und</strong> nicht über eine gegenwärtige<br />

Eigenschaft geirrt.<br />

5 OLG Oldenburg NJR-RR 2007 S. 268<br />

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20<br />

e. Nach § 123 kann eine Willenserklärung angefochten werden, wenn der Erklärende<br />

vom Anfechtungsgegner arglistig getäuscht wurde <strong>und</strong> diese Täuschung <strong>für</strong> die<br />

Willenserklärung ursächlich war. Eine Täuschung kann auch beim Verschweigen<br />

eines offenbarungspflichtigen Umstandes gegeben sein wie Unfalleigenschaft des PKW,<br />

Altlastenverdacht auf einem Gr<strong>und</strong>stück, Befall eines Gebäudes mit Hausschwamm. 6<br />

f. Andere Irrtümer bei der Willensbildung sind mit Ausnahme des dargestellten<br />

Eigenschaftsirrtums <strong>und</strong> Irrtums wegen arglistiger Täuschung rechtlich nicht relevant.<br />

Es liegt ein sogenannter unerheblicher Motivirrtum vor. Wird ein Ring zur Verlobung<br />

gekauft, die dann platzt, irrt sich der Käufer über keine Eigenschaft des Ringes. Wer einen neuen<br />

Badeanzug kauft in Erwartung eines schönen Badeurlaubs kann nicht anfechten, wenn der Sommer<br />

verregnet ist.<br />

Wem ein vom Gesetz anerkannter Irrtum unterlaufen ist, kann seine Willenserklärung<br />

nach § 142 anfechten. Der Irrtum muss kausal <strong>für</strong> die abgegebene Willenserklärung<br />

gewesen sein. Die Anfechtungserklärung ist nach § 143 Abs. 1 eine einseitige<br />

empfangsbedürftige Willenserklärung.<br />

Die Anfechtung muss nach § 121 Abs. 1 unverzüglich erfolgen. Unverzüglich ist nicht<br />

mit sofort gleichzusetzen. Unverzüglichkeit bedeutet nach der Legaldefinition des §<br />

121 Abs. 1, dass die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern erfolgen muss, sobald<br />

der zur Anfechtung Berechtigte vom Anfechtungsgr<strong>und</strong> Kenntnis erlangt hat. Es ist<br />

ihm eine Überlegungszeit <strong>und</strong> bei umfangreichem Rechtsgeschäften auch die Zeit <strong>für</strong><br />

eine Beratung mit einem Rechtsanwalt zuzubilligen. Längstens bis zu zehn Jahren kann<br />

nach § 121 Abs. 2 das Anfechtungsrecht ausgeübt werden, gerechnet ab Abgabe der anfechtbaren<br />

Willenserklärung.<br />

Es kommt nicht auf den unverzüglichen Zugang sondern die unverzügliche Abgabe<br />

derselben an. Bei der Anfechtungserklärung handelt es sich um eine gesetzlich<br />

angeordnete Ausnahme vom Gr<strong>und</strong>satz des § 130, wonach es <strong>für</strong> die Rechtzeitigkeit<br />

bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen auf deren Zugang ankommt.<br />

Eine Ausnahme von der Unverzüglichkeit gibt es nur bei der arglistigen Täuschung,<br />

hier gilt die Jahresfrist des § 124. Dies erklärt sich aus dem Umstand, dass dem<br />

arglistig Täuschenden kein besonderes Interesse an der Rechtsklarheit über den<br />

Bestand des Rechtsgeschäfts zugebilligt wird. Er hat sich sehenden Auges in die<br />

missliche Situation gebracht. Das Anfechtungsrecht kann höchstens bis zehn Jahre nach<br />

Abgabe der Willenserklärung ausgeübt werden.<br />

Die Irrtumsanfechtung führt nach § 142 7 zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Die<br />

Anfechtung vernichtet das Rechtsgeschäft rückwirkend von Anfang an. Das<br />

Rechtsgeschäft wird so betrachtet, als sei es nie abgeschlossen worden. Nach § 242<br />

kann der Anfechtungsgegner verlangen, dass die Anfechtung auf „Das Gewollte“<br />

beschränkt wird. Der Anfechtungsgegner kann aber auch auf die Gesamtnichtigkeit<br />

bestehen. Hat der Käufer versehentlich 1000 Hefte statt 100 Hefte geschrieben, liegt ein<br />

Erklärungsirrtum vor. Der Verkäufer kann die Anfechtungswirkung auf die 100 Hefte überschreitende<br />

Menge beschränken.<br />

6 Arglist ist oftmals nur schwerlich nachweisbar. Deshalb gibt es nach § 13 a UWG bei unwahren <strong>und</strong><br />

irreführenden Werbeangaben ein Rücktrittsrecht <strong>und</strong> die Sachmängelhaftung nach § 434 Abs. 1 S. 3.<br />

7 Gegennorm<br />

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21<br />

Bei der Anfechtung stellt sich die Frage, ob diese nur das schuldrechtliche Geschäft<br />

oder auch das dingliche Erfüllungsgeschäft, das Verfügungsgeschäft nach § 929<br />

erfasst. Es kann nur das Geschäft angefochten werden, auf das sich der Irrtum<br />

bezieht. Zumeist ist nur das Verpflichtungsgeschäft anfechtbar, nicht jedoch das<br />

rechtlich selbständige Erfüllungsgeschäft. Soweit bereits erfüllt wurde, kann nach<br />

erfolgter Anfechtung des Verpflichtungsgeschäfts das Geleistete wegen Fehlens des<br />

Rechtsgr<strong>und</strong>es aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 zurückgefordert<br />

werden.<br />

Die Anfechtung nach §§ 119 f. löst gemäß § 122 einen Schadensersatzanspruch<br />

aus, nicht jedoch die Anfechtung nach § 123. Der Umfang des<br />

Schadensersatzanspruchs beschränkt sich auf den sog. Vertrauensschaden. Zu<br />

ersetzen ist der Schaden, den der Geschäftspartner dadurch erleidet, dass er auf die<br />

Gültigkeit der Erklärung vertraut. Er wird so gestellt, als wäre das Geschäft niemals<br />

angebahnt worden. Der Vertrauensschaden ist vom Nichterfüllungsschaden zu<br />

unterscheiden. Der Nichterfüllungsschaden erfasst alle Positionen, die dem<br />

Geschäftspartner dadurch entstanden sind, dass nicht erfüllt wurde. Beim<br />

Nichterfüllungsschaden kann der Geschäftspartner einen entgangenen Gewinn aus<br />

dem nicht erfüllten Geschäft geltend machen nicht jedoch beim Vertrauensschaden.<br />

Nach § 122 ist der Vertrauensschaden nur bis zur Höhe des Nichterfüllungsschaden<br />

zu ersetzen. Der Geschäftspartner soll durch die Irrtumsanfechtung nicht besser<br />

gestellt werden, als er bei Gültigkeit der Erklärung gestanden hätte. Der Käufer K<br />

bestellte durch anfechtbare Willenserklärung eine Ware vom Verkäufer V. Der Verkäufer übersandte<br />

die Ware portofrei an K. Bei Anlieferung stellte K seinen Irrtum fest. Er schickte die Ware sofort zurück<br />

<strong>und</strong> focht an. V kann nun die vergeblich aufgewandten Transport- <strong>und</strong> Verpackungskosten verlangen.<br />

Er hat diese im Vertrauen auf den Bestand des Rechtsgeschäfts aufgewandt. Nicht jedoch kann er<br />

einen entgangenen Gewinn verlangen. Dieser Schaden ist ihm aus der Nichterfüllung <strong>und</strong> nicht aus<br />

dem Vertrauen auf den Bestand des Rechtsgeschäfts erwachsen.<br />

5. Geschäftsfähigkeit<br />

Die Wirksamkeit einer Willenserklärung hängt davon ab, ob der Erklärende in der<br />

Lage ist, Inhalt <strong>und</strong> Tragweite seiner Erklärung zu erfassen, um die rechtlichen<br />

Konsequenzen aus der Willenserklärung abschätzen zu können. Er muss nach §§<br />

104 ff. geschäftsfähig sein.<br />

Die Geschäftsfähigkeit muss nicht nur bei der Abgabe einer Willenserklärung nach<br />

§§ 105 ff vorliegen sondern auch bei Empfang einer Willenserklärung nach §§ 130 f.<br />

Auch der Empfänger einer Willenserklärung muss in der Lage sein, deren Inhalt <strong>und</strong><br />

Tragweite erfassen zu können, um sachgerecht zu reagieren.<br />

Die Geschäftsfähigkeit ist <strong>für</strong> die Abgabe <strong>und</strong> den<br />

Zugang einer Willenserklärung von Bedeutung<br />

Die Geschäftsfähigkeit bei Rechtsgeschäften ist das Gegenstück zur Deliktsfähigkeit<br />

bei unerlaubten Handlungen.<br />

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a. Nach §§ 104, 105, 131 Abs. 1 kann ein Kind unter 7 Jahren <strong>und</strong> ein dauerhaft<br />

Geisteskranker, außer in lichten Augenblicken, keine wirksame Willenserklärung<br />

abgeben <strong>und</strong> empfangen. Für diese Personen kann nur ein gesetzlicher Vertreter<br />

handeln. Der Geschäftsunfähige kann als Bote <strong>für</strong> die Übermittlung der Erklärung<br />

des gesetzlichen Vertreters eingeschaltet werden, er kann jedoch keine eigene<br />

Willenserklärung wirksam abgeben. Eine vom Geschäftsunfähigen abgegebene<br />

Erklärung erlangt auch durch Genehmigung des gesetzlichen Vertreters keine<br />

Wirksamkeit.<br />

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22<br />

Eine Ausnahme bestimmt § 105 a <strong>für</strong> volljährige Geschäftsunfähige. Sie können<br />

Geschäfte des täglichen Lebens wirksam tätigen, die geringfügige Mittel erfordern,<br />

sobald Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung erbracht sind. Für die Bewirkung mit<br />

geringfügigen Mitteln sind die durchschnittlichen <strong>und</strong> nicht die individuellen Preis-<br />

<strong>und</strong> Einkommensverhältnisse entscheidend. Mit der Bewirkung gelten Leistung <strong>und</strong><br />

Gegenleistung <strong>und</strong> insofern der zugr<strong>und</strong>eliegende Vertrag als wirksam. 8 Es besteht<br />

ein Rückforderungsausschluss <strong>für</strong> die bewirkte Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung. §§ 812<br />

ff, 985 kommen nicht zum Zuge. Die Wirksamkeit des Verpflichtungs- <strong>und</strong> des<br />

Erfüllungsgeschäftes werden fingiert. Die Vertragsfiktion greift nur, wenn die<br />

geschuldete Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung erbracht wird. Sie greift nicht, wenn eine<br />

andere, eine unvollständige oder eine mangelhafte Leistung erbracht wird. Die<br />

Fiktion greift bei erheblichen Gefahren <strong>für</strong> Person oder Vermögen des<br />

Geschäftsunfähigen nicht ein.<br />

b. Minderjährige Kinder zwischen dem 7. <strong>und</strong> 18. Lebensjahr sind nach §§ 106 ff.<br />

beschränkt geschäftsfähig. Sie können nach § 107 rechtlich vorteilhafte<br />

Willenserklärungen wirksam abgeben. Sie können jedoch wirtschaftlich vorteilhafte<br />

Willenserklärungen, die unmittelbar mit einer rechtlichen Verpflichtung einhergehen,<br />

nicht wirksam abgeben. Lediglich rechtlich vorteilhaft sind Schenkungen. Rechtlich nachteilig ist<br />

selbst der Kauf einer Wertsache zum symbolischen Preis von 1 Cent. Mittelbare rechtliche <strong>und</strong><br />

wirtschaftliche Nachteile sind <strong>für</strong> die Wirksamkeit der Willenserklärung unerheblich.<br />

Rechtlich vorteilhaft sind obendrein Verfügungsgeschäfte zugunsten des<br />

Minderjährigen. Aus dem Verfügungsgeschäft erlangt der Minderjährige eine<br />

Vermehrung seiner Rechtsgüter. Der 10jährige hat ohne Wissen seiner Eltern ein wertvolles<br />

Buch gekauft. Den Kaufpreis hat er noch nicht bezahlt. Der Kaufvertrag ist nach §§ 433 Abs. 2, 107<br />

unwirksam, da es sich um ein rechtlich nachteiliges Geschäft handelt. Die Übereignung nach § 929 ist<br />

gemäß § 107 wirksam, da er hierdurch alleine einen rechtlichen Vorteil erlangt. Das erlangte Eigentum<br />

verschafft ihm eine neue Rechtsposition. Aus der Eigentumserwerb des Buches erwachsen ihm aus §<br />

929 überhaupt keine Pflichten. Der Kaufpreisanspruch erwächst ihm nicht aus § 929. Der<br />

Kaufpreisanspruch wäre alleine eine Folge des Kaufvertrages nach § 433 Abs. 2, der jedoch<br />

unwirksam ist. Die Übereignung ist wirksam. Wenn die Eltern den Kaufvertrag nach § 108 nicht<br />

genehmigen, bleibt dem Veräußerer nur die Möglichkeit, nach § 812 Abs. 1 das – ohne Rechtsgr<strong>und</strong><br />

weil ohne Kaufvertrag – übereignete Buch zurückzuverlangen.<br />

Nach Sinn <strong>und</strong> Zweck findet § 107 auch Anwendung, wenn ein Rechtsgeschäft zwar<br />

keinen rechtlichen Vorteil bringt, gleichwohl auch zu keinem rechtlichen Nachteil<br />

führt, keine Rechtspflichten begründet. Dem Minderjährigenschutz ist Genüge getan,<br />

wenn der Minderjährige keinen Nachteil erleidet. 9 Der Minderjährige veräußert als<br />

8 Vertragsfiktion<br />

9 Teleologische Reduktion<br />

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23<br />

Stellvertreter eine fremde Sache. Nach § 164 trifft ihn selber weder das Verpflichtungs- noch das<br />

Verfügungsgeschäft, diese treffen den Geschäftsherrn. Dieses rechtlich neutrale Geschäft ist<br />

wirksam. Dem trägt § 165 Rechnung, der ausdrücklich zulässt, dass ein beschränkt Geschäftsfähiger<br />

Stellvertreter sein kann.<br />

c. Rechtlich nachteilige Geschäfte können Minderjährige mit vorheriger Zustimmung<br />

ihrer gesetzlichen Vertreter – nach § 1629 der Eltern – tätigen. Die Zustimmung kann<br />

nach § 182 sowohl gegenüber dem Minderjährigen wie auch gegenüber dem<br />

Geschäftspartner abgegeben werden. Die Zustimmung kann auf ein einzelnes<br />

Rechtsgeschäft beschränkt sein, sie kann sich aber auch generell <strong>für</strong> im einzelnen<br />

noch nicht vorhersehbare Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit einem<br />

bestimmten Lebenssachverhalt beziehen. Dieser beschränkte Generalkonsens wird<br />

Minderjährigen erteilt auf Ferienfahrten, bei auswärtiger Schul- <strong>und</strong><br />

Berufsausbildung, damit die Minderjährigen nicht vorhersehbare, gleichwohl<br />

erforderliche Geschäfte tätigen können. Ein unbeschränkter Generalkonsens ist nicht<br />

zulässig, da die Eltern sich damit ihrer elterlichen Sorgepflicht entziehen würden <strong>und</strong> der Schutz der<br />

§§ 107 ff. leer laufen würde.<br />

d. Minderjährige können nach § 110, dem sog. Taschengeldparagraph, Geschäfte<br />

ohne Zustimmung der Eltern tätigen, wenn der Minderjährige seine geschuldete<br />

Leistung vollständig aus Mitteln bewirkt, die ihm zur freien Verfügung überlassen<br />

sind. Diese Mittel sind nicht auf das Taschengeld beschränkt. Es ist allein<br />

entscheidend, dass diese Mittel zur freien Verfügung stehen. Ein Abzahlungskauf wird<br />

deshalb erst wirksam, wenn der Minderjährige den Kaufpreis vollständig aus seinen freien Mitteln<br />

bewirkt hat.<br />

e. Führt ein Minderjähriger mit Zustimmung seiner Eltern <strong>und</strong> Genehmigung des<br />

Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichts nach § 112 ein selbständiges Erwerbsgeschäft, kann er<br />

im Rahmen dieses Erwerbsgeschäfts alle Rechtsgeschäfte alleine tätigen. Er kann<br />

Büroräume anmieten, nicht aber eine Privatwohnung.<br />

f. Ist der Minderjährige mit Zustimmung seiner Eltern ein Arbeitsverhältnis<br />

eingegangen, kann er im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses nach § 113 alle<br />

dazugehörigen Rechtsgeschäfte tätigen wie Beitritt zu einer Gewerkschaft, Bezug<br />

einer Fachzeitung, Erwerb eines Abonnements <strong>für</strong> die öffentlichen Verkehrsmittel. Er<br />

kann das Arbeitsverhältnis kündigen, nicht aber ein neues Arbeitsverhältnis<br />

eingehen. § 113 gilt nicht <strong>für</strong> die Berufsausbildung. Soweit ihm die Eltern das<br />

Arbeitsentgelt zur freien Verfügung überlassen, kann er unter den Voraussetzungen<br />

des § 110 mit diesen Mitteln Rechtsgeschäfte wirksam tätigen.<br />

g. Liegt weder ein rechtlich vorteilhaftes Geschäft nach § 107 vor, noch haben die<br />

gesetzlichen Vertreter nach §§ 107, 108, 110, 112, 113 im Vorfeld des<br />

Rechtsgeschäfts ihre Zustimmung erteilt, dann wird das Rechtsgeschäft nur wirksam,<br />

wenn die gesetzlichen Vertreter nachträglich genehmigen nach §§ 108, 182.<br />

Bis zur Genehmigung oder Ablehnung durch die Eltern ist das Geschäft schwebend<br />

unwirksam. Um diesen Schwebezustand abzuwenden, kann der Geschäftspartner<br />

- nach § 109 grds. eine Widerrufserklärung abgeben oder<br />

- nach § 108 Abs. 2 die Eltern zur Genehmigung auffordern; erklären sich die<br />

Eltern hierauf nicht innerhalb von 2 Wochen, gilt die Genehmigung als<br />

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24<br />

verweigert. Das Gesetz arbeitet hier im Interesse der Rechtssicherheit mit der<br />

Fiktion eines normierten Schweigens.<br />

h. Einseitige Rechtsgeschäfte wie Kündigung, Anfechtung, Rücktritt sind nach §<br />

111 ohne Einwilligung der Eltern unwirksam. Eine schwebende Unwirksamkeit kennt<br />

das Gesetz bei einseitigen Rechtsgeschäften nicht. Einseitige Rechtsgeschäfte<br />

vertragen im Interesse der Rechtssicherheit keine schwebende Unwirksamkeit.<br />

Selbst wenn der Minderjährige die Einwilligung der Eltern erteilt bekommen hat, kann<br />

der Geschäftspartner die einseitige Willenserklärung zurückweisen, wenn ihm der<br />

Minderjährige die Einwilligung nicht schriftlich nachgewiesen hat. Die<br />

Rechtssicherheit hat Vorrang.<br />

i. Hat ein Minderjähriger nach §§ 107 ff wirksam ein entgeltliches Geschäft<br />

abgeschlossen, ist er hieraus zur Entrichtung der Gegenleistung verpflichtet. Die<br />

Eltern haften nicht direkt aus dem vom Minderjährigen abgeschlossenen<br />

Rechtsgeschäft. Auch eine Genehmigung verpflichtet die Eltern nicht. Es ist das<br />

entgeltliche Geschäft des Minderjährigen <strong>und</strong> nicht das Geschäft der Eltern. Diese<br />

sind nicht selbst Vertragspartner geworden.<br />

Nach § 1629 a kann der volljährig Gewordene seine Haftung <strong>für</strong> Verbindlichkeiten, die während der<br />

Minderjährigkeit begründet wurden, auf das am 18. Geburtstag vorhandene Vermögen begrenzen.<br />

Diese Haftungsbegrenzung gilt auch <strong>für</strong> Verpflichtungen, die die Eltern im Namen des Kindes<br />

begründet haben. Sie gilt nicht <strong>für</strong> Verbindlichkeiten aus einem selbständigen Erwerbsgeschäft nach<br />

§§ 112, 1629 a Abs.2.<br />

Fall: Filmgeschichte<br />

Der 17jährige Karl-Theodor (K) sucht beim Antiquar Volkmann (V) ein seit langem<br />

vergriffenes Buch über die deutsche Filmgeschichte. K hinterlässt dem V seine<br />

Adresse. V kann nach langem Suchen das Buch finden. Er übersendet das Buch mit<br />

einem auf 2 Wochen befristeten Kaufangebot an K. Bei Kaufentschluss soll K<br />

sogleich Eigentümer werden, Bezahlung soll nach weiteren 2 Wochen erfolgen. V<br />

hält den K aufgr<strong>und</strong> dessen Äußeren <strong>und</strong> souveränen Verhalten <strong>für</strong> volljährig. Bereits<br />

2 Tage nachdem K den Band erhalten hat, meldet sich V bei K <strong>und</strong> widerruft das<br />

Angebot. Er hat den Band mittlerweile an einen anderen K<strong>und</strong>en zu einem höheren<br />

Preis verkauft. Nun erklärt K die Annahme. Die Eltern des K sind mit dem Erwerb<br />

nicht einverstanden, da der K nicht über ausreichende finanzielle Mittel zum Kauf des<br />

teuren Buches verfügt. Trotzdem ist K nicht zur Rückgabe des Buches bereit.<br />

V verlangt Bezahlung oder wenigstens die Herausgabe des Buches.<br />

Lösung:<br />

1. Der Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises könnte sich aus einem Kaufvertrag<br />

nach § 433 Abs. 2 zwischen K <strong>und</strong> V ergeben. V <strong>und</strong> K müssten einen wirksamen<br />

Kaufvertrag nach §§ 145 ff. abgeschlossen haben. V hat dem K den Abschluss des<br />

Kaufvertrages angetragen. Das Angebot konnte dem minderjährigen K nach § 131<br />

Abs. 2 S. 2 wirksam zugehen, da er ihm aus dem Angebot selbst keine rechtlichen<br />

Verpflichtungen erwachsen. Das Angebot könnte von V wirksam widerrufen worden<br />

sein. Der Widerruf seines Angebots ist nach § 130 Abs. 1 S. 2 verspätet erfolgt. Der<br />

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Widerruf ging dem K erst nach Erhalt des Angebots zu. Das Angebot des V ist<br />

wirksam erfolgt.<br />

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25<br />

Zum Abschluss des Kaufvertrages fehlt es jedoch an der wirksamen<br />

Annahmeerklärung des K. K ist noch minderjährig <strong>und</strong> bedarf nach § 107 der<br />

Genehmigung der Eltern. Der Abschluss des Kaufvertrages ist ein rechtlich<br />

nachteiliges Geschäft <strong>für</strong> K. Aus dem Kaufvertrag erwächst <strong>für</strong> ihn unmittelbar die<br />

Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises nach § 433 Abs. 2. Die erforderliche<br />

Genehmigung der Eltern wurde verweigert. § 110 kommt nicht zur Anwendung, da K<br />

den Kaufpreis nicht bezahlt hat.<br />

Der Kaufvertrag ist unwirksam <strong>und</strong> V kann nicht Bezahlung des Kaufpreises<br />

verlangen.<br />

2. V könnte Herausgabe des Buches nach § 985 verlangen. Er müsste noch<br />

Eigentümer sein. V war zwar Eigentümer. Er könnte sein Eigentum jedoch nach §<br />

929 auf K übertragen haben. Die Übergabe an K ist erfolgt. V <strong>und</strong> K müssten sich<br />

über den Eigentumsübergang geeinigt haben. Die Einigung kommt nach § 145 durch<br />

Angebot <strong>und</strong> Annahme zustande. Dem K ging das Angebot des V zur Übereignung<br />

nach § 130 zu. Dieses Angebot war an den Kaufentschluss <strong>und</strong> nicht an das<br />

wirksame Zustandekommen des Kaufvertrages geb<strong>und</strong>en.<br />

Die Unwirksamkeit des Kaufvertrages schließt damit nicht ein wirksames Angebot<br />

des V aus. Dieses Angebot ging dem K nach § 131 Abs. 2 S. 1 wirksam zu, da das<br />

Angebot <strong>für</strong> ihn lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Es verschafft ihm die Möglichkeit<br />

zum Rechtserwerb.<br />

Das Angebot zur Übereignung war nicht unter der Bedingung erfolgt, dass der<br />

Kaufpreis vor Eigentumserwerb beglichen sein muss.<br />

Der Widerruf dieses Angebots ist, wie oben erläutert, verspätet erfolgt.<br />

Damit ging dem K ein wirksames <strong>und</strong> unbedingtes Angebot des V zu.<br />

K hat das Angebot zur Übereignung nach § 929 angenommen. Diese<br />

Annahmeerklärung ist <strong>für</strong> ihn lediglich rechtlich vorteilhaft <strong>und</strong> bedarf nach § 107<br />

nicht der Zustimmung der Eltern. Aus der Annahme des Übereignungsangebots<br />

entstehen dem K unmittelbar keine rechtlichen Verpflichtungen, da die<br />

Kaufpreiszahlungspflicht nicht aus dem § 929 erwächst. K ist Eigentümer geworden.<br />

Die Unwirksamkeit des Kaufvertrages steht dem nach dem Abstraktionsprinzip nicht<br />

entgegen. K hat Eigentum erlangt, was zum Eigentumsverlust des V führte. V kann<br />

nicht nach § 985 Herausgabe verlangen.<br />

3. K hat das Eigentum am Buch durch Leistung des V erlangt. Ein<br />

Herausgabeanspruch des V folgt aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. Der dem<br />

Eigentumserwerb zu Gr<strong>und</strong>e liegende Kaufvertrag war unwirksam <strong>und</strong> damit war der<br />

Eigentumserwerb ohne Rechtsgr<strong>und</strong> erfolgt. V kann deshalb Herausgabe des<br />

Erlangten verlangen.<br />

Fall: Selbständiger<br />

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26<br />

Der 17-jährige Karl Krieger (K) will sich als Fahrradkurier selbständig machen. Er<br />

bestellt beim Händler (V) verschiedene Ausrüstungsgegenstände zum Preis von<br />

insgesamt € 970,- einschließlich Versandkosten. Es handelt sich hierbei um Artikel<br />

aus einer Geschäftsaufgabe, die sonst nahezu das Dreifache kosten würden. Als die<br />

Ware zur Abholung bereit steht, hat K seine beruflichen Pläne geändert. Nun fordert<br />

V den K <strong>und</strong> auch dessen Eltern zur Zahlung auf. Er ist der Ansicht, dass der<br />

wesentlich älter aussehende K ihn auf seine Minderjährigkeit hätte hinweisen<br />

müssen <strong>und</strong> im übrigen Eltern <strong>für</strong> ihre Kinder haften.<br />

Muss K die bestellte Ware abnehmen <strong>und</strong> bezahlen oder müssen seine Eltern die<br />

Ware abnehmen <strong>und</strong> bezahlen?<br />

Lösung:<br />

I. Anspruch gegen K aus § 433 Abs. 2:<br />

Ein Anspruch des V gegen K besteht gemäß § 433 Abs. 2, wenn der Vertrag nach §§<br />

145 ff wirksam zustande gekommen ist. Hierzu müsste K eine wirksame<br />

Willenserklärung abgegeben haben.<br />

a. K ist nach §§ 2, 106 beschränkt geschäftsfähig. Er kann gr<strong>und</strong>sätzlich nur mit<br />

Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter, eine Willenserklärung wirksam abgeben.<br />

Es gibt keinen guten Glauben in die Volljährigkeit eines Geschäftspartners. V<br />

handelte auf eigenes Risiko. Erst recht gibt es keine Pflicht des Minderjährigen, auf<br />

seine Minderjährigkeit hinzuweisen.<br />

b. Eine Ausnahme zum Einwilligungserfordernis gilt bei rechtlich vorteilhaften<br />

Geschäften nach § 107. Das von K anvisierte Geschäft ist rechtlich nachteilig, da aus<br />

dem Kaufvertrag nach § 433 Abs. 2 der Kaufpreis zu entrichten wäre <strong>und</strong> damit <strong>für</strong> K<br />

ein Rechtsnachteil entstehen würde. Es kommt nach dem Wortlaut des Gesetzes<br />

nicht darauf an, ob das Geschäft wirtschaftlich günstig ist.<br />

c. Die Eltern als gesetzliche Vertreter nach § 1629 haben weder vor Abschluss des<br />

Kaufvertrages eine Einwilligung nach § 107 noch im Anschluss daran eine<br />

Genehmigung nach § 108 erklärt. Ihr Schweigen gilt nach § 108 Abs. 2 S. 2 nicht als<br />

Genehmigung.<br />

d. Das Geschäft wurde nicht nach § 110 wirksam. K hat den Kaufpreis nicht aus<br />

seinen Mitteln tatsächlich bewirkt. Es genügt nicht, dass er die Absicht hatte, den<br />

Kaufpreis mit frei verfügbaren Mitteln zu begleichen.<br />

e. Das Geschäft ist nicht wirksam nach § 112. K hatte sich weder selbständig<br />

gemacht noch lagen die weiteren Voraussetzungen des § 112 vor wie Genehmigung<br />

der Selbständigkeit durch das Vorm<strong>und</strong>schaftsgericht <strong>und</strong> die Eltern.<br />

Es besteht kein Anspruch auf Kaufpreiszahlung gegen K.<br />

II. Anspruch gegen die Eltern aus § 433 Abs. 2<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

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27<br />

a. Ein Anspruch aus § 433 Abs. 2 gegen die Eltern scheidet aus. Die Eltern haben<br />

keinen Kaufvertrag mit V abgeschlossen. Auch ist K nicht als ihr Vertreter nach § 164<br />

tätig geworden. K trat im eigenen Namen auf.<br />

b. Es gibt keinen Rechtssatz, der besagt, dass Eltern <strong>für</strong> Rechtsgeschäfte ihrer<br />

Kinder haften, ob diese nun fehlgeschlagen oder wirksam sind. § 832 gilt nur in den<br />

Fällen, in denen der Minderjährige eine unerlaubte Handlung nach §§ 823 ff<br />

begangen hat. K hat ein unwirksames Rechtsgeschäft getätigt, jedoch keine<br />

unerlaubte Handlung begangen.<br />

6. Formzwang<br />

Im Privatrechtsverkehr gilt als Ausprägung der Privatautonomie der Gr<strong>und</strong>satz der<br />

Formfreiheit. Einen Formzwang gibt es nur, soweit das Gesetz <strong>für</strong> ein<br />

Rechtsgeschäft ausnahmsweise ein Formerfordernis vorsieht. Es steht daneben den<br />

Vertragsparteien als Ausfluss der Privatautonomie frei, durch besondere<br />

Vereinbarung einen Formzwang <strong>für</strong> ein Geschäft vorzusehen, das von Gesetzes<br />

wegen formfrei ist. Neben dem<br />

- gesetzlichen Formzwang kann damit ein<br />

- rechtsgeschäftlicher Formzwang, auch gewillkürter Formzwang genannt,<br />

begründet werden.<br />

a. Formzwang gibt es in den unterschiedlichsten Ausgestaltungen. Am häufigsten ist<br />

die Schriftform, die §§ 766, 126 <strong>für</strong> das Angebot des Bürgen vorschreibt <strong>und</strong><br />

weitergehend die notarielle Beurk<strong>und</strong>ung, die § 311b, 128 <strong>für</strong> Gr<strong>und</strong>stücksgeschäfte<br />

anordnet.<br />

In Baden-Württemberg kann der Ratsschreiber der Gemeinde <strong>für</strong> die zum Gr<strong>und</strong>buchamtsbezirk<br />

gehörenden Gr<strong>und</strong>stücke nach § 32 Abs. 3 Nr. 1 LFGG Kauf- <strong>und</strong> Tauschverträge beurk<strong>und</strong>en. Diese<br />

Beurk<strong>und</strong>ung ersetzt die notarielle Beurk<strong>und</strong>ung nach §§ 311 b, 128.<br />

Eine Spielart der Schriftform ist nach § 126 Abs. 3 die elektronische Form. Sie<br />

erfüllt das Schriftformerfordernis, soweit nicht ein besonderer Ausschluss eingreift:<br />

So bedarf nach § 623 die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses <strong>und</strong> nach § 630 das<br />

Arbeitszeugnis der herkömmlichen Schriftform <strong>und</strong> kann nicht in elektronischer Form<br />

erfolgen.<br />

Die elektronische Form wird erfüllt, wenn das elektronische Dokument mit dem<br />

Namen des Ausstellers <strong>und</strong> einer elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz<br />

versehen ist gemäß § 126 a. Die Signatur kann von einem Zertifizierungs-<br />

Dienstanbieter erlangt werden. Mittels einer Smartcard, einer Geheimzahl <strong>und</strong> einem<br />

Kartenlesegerät <strong>für</strong> den Computer wird die Signatur in das jeweilige Dokument<br />

eingesetzt.<br />

Bei der Textform nach § 126 b genügt die dauerhafte Wiedergabe einer Erklärung in<br />

Schriftzeichen, wobei der Erklärende genannt sein muss. Einer Unterschrift bedarf es<br />

nicht im Gegensatz zur Schriftform des § 126. Die Textform kann durch e-mail, Fax<br />

<strong>und</strong> Serienbrief gewahrt werden. Es genügt die Übermittlung per Diskette oder CD-<br />

Rom, die der Empfänger am Bildschirm anschauen oder ausdrucken kann. Damit<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

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Stand 02-2011


10<br />

BGH NJW 2004 S. 3626<br />

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28<br />

sollen Informations- <strong>und</strong> Dokumentationsinteressen erfüllt werden, wenn eine<br />

mündliche Erklärung wegen der Verlässlichkeit der Information als zu gering<br />

erscheint wie in § 554 Abs. 3 S. 1, wonach Modernisierungen <strong>und</strong> ihre Modalitäten vom Vermieter<br />

dem Mieter in Textform mitzuteilen sind.<br />

Der Formzwang kann bei zweiseitigen Rechtsgeschäften nur <strong>für</strong> eine Seite bestehen<br />

als einseitiger Formzwang. Bei der Bürgschaft ist nur die Willenserklärung des<br />

Bürgen nach § 766 formbedürftig, bei der Schenkung ist das<br />

Schenkungsversprechen notariell zu beurk<strong>und</strong>en nach § 518 Abs. 1. Hingegen sind<br />

bei Gr<strong>und</strong>stücksgeschäften beide Verpflichtungserklärungen nach §§ 311 b, 128<br />

formbedürftig. Es besteht ein beidseitiger Formzwang.<br />

Zur gesetzlichen Form zählt ebenso die gleichzeitige Anwesenheit bei der<br />

Auflassung nach § 925, 873 oder bei der Eheschließung nach § 1310 Abs. 1 S. 1.<br />

Verstößt ein Rechtsgeschäft gegen einen gesetzlichen Formzwang ist es nach § 125<br />

S. 1 nichtig. Ausnahmsweise kann die Nichtigkeit nach §§ 311b Abs. 1 S. 2 , 518<br />

Abs. 2, 766 S. 2 geheilt werden durch den Vollzug des Geschäfts. Die Heilung eines<br />

Verstoßes gegen einen gesetzlichen Formzwang tritt nur ein, wenn das Gesetz die<br />

Heilung vorsieht. Andernfalls bleibt den Vertragsparteien nur die formwahrende<br />

Neuvornahme des Rechtsgeschäfts.<br />

Die Heilungsvorschriften finden ihre Rechtfertigung im Gedanken der Rechtssicherheit. Es soll<br />

vermieden werden, dass sachenrechtlich abgeschlossene Verhältnisse bis zum Ablauf der Verjährung<br />

nach §§ 195, 199 der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung unterliegen. Es kommt hinzu, dass<br />

diese Formvorschriften Schutz vor Übereilung bieten sollen. Wurde trotz Mangel des<br />

Verpflichtungsgeschäfts das Verfügungsgeschäft vollzogen, dann bedarf es dieses Schutzes nicht<br />

mehr. 10<br />

b. Verstößt ein Rechtsgeschäft gegen einen nicht durch Gesetz sondern durch<br />

Vereinbarung bestimmten – gewillkürten - Formzwang, ist es nach § 125 S. 2 nur im<br />

Zweifel nichtig. Der Verstoß gegen einen rechtsgeschäftlich bestimmten Formzwang,<br />

die gewillkürte Form, führt folglich nicht in allen Fällen zur Nichtigkeit. Die Nichtigkeit<br />

tritt ein, wenn der vereinbarte Formzwang eine Warnfunktion hat wie bei einer<br />

Kündigung, nicht jedoch, wenn der Formzwang lediglich Beweisfunktion hat wie beim<br />

Erfordernis des Zugangs per Einschreiben.<br />

7. Gesetzes- <strong>und</strong> sittenwidriges Rechtsgeschäft<br />

Im Interesse der Einheit der Rechtsordnung dürfen Willenserklärungen nur zu einem<br />

Rechtserfolg führen, wenn sie im Einklang mit der Rechtsordnung stehen. Deshalb<br />

bestimmen §§ 134, 138, dass Rechtsgeschäfte nichtig sind, die gegen ein<br />

gesetzliches Verbot bzw. die guten Sitten verstoßen.<br />

7.1 Gesetzeswidrige Rechtsgeschäfte<br />

Gesetzwidrige Rechtsgeschäfte sind gr<strong>und</strong>sätzlich nichtig. Soweit die betroffene<br />

Rechtsnorm selbst die Nichtigkeit anordnet, bedarf es des § 134 nicht.<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

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Stand 02-2011


11<br />

BGH NJW-RR 2001 S. 380<br />

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29<br />

a. Aus dem Wortlaut des § 134 folgt, dass nicht jeder Gesetzesverstoß zu Nichtigkeit<br />

führt ... wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Zur Nichtigkeit führen<br />

nur Verstöße gegen Gesetze, die sich gegen das Rechtsgeschäft <strong>und</strong> seinen Inhalt<br />

als solches richten wie Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz oder Verträge<br />

unter Hehlern über den Vertrieb der Ware. Es ist im Wege der Auslegung des<br />

Normzwecks zu ermitteln, ob das Gesetz sich gegen die Vornahme des<br />

Rechtsgeschäfts richtet. Für Nichtigkeit spricht es, wenn sich Straf- <strong>und</strong> Bußgeldnormen gegen<br />

beide Vertragsschließenden richten.<br />

b. Keine Nichtigkeit bewirkt der Verstoß gegen Gesetze, die nicht das<br />

Rechtsgeschäft als solches verbieten wollen, sondern nur die äußeren Umstände<br />

seiner Vornahme <strong>und</strong> Abwicklung wie der Verkauf von Backwaren unter<br />

Überschreitung des Ladenschlussgesetzes. Der Verkauf von Backwaren steht mit<br />

der Rechtsordnung in Einklang.<br />

Es führt nicht zur Nichtigkeit, wenn ein Architekt ohne Rechnungsstellung bezahlt werden soll. Die<br />

Vereinbarung, das Honorar schwarz auszuzahlen, dient dazu, eine Steuerhinterziehung entgegen der<br />

AO zu erleichtern. Die Steuergesetze verbieten nicht den betreffenden Vertrag sondern die erst in<br />

Folge geplante Steuerhinterziehung. Auch ist der Hauptzweck des Architektenvertrages nicht die<br />

Steuerhinterziehung sondern die Planung <strong>und</strong> Errichtung des Bauobjektes. 11<br />

7.2 Sittenwidrige Rechtsgeschäfte<br />

a. Nichtig sind nach § 138 Abs. 1 sittenwidrige Rechtsgeschäfte. Sittenwidrig sind<br />

Rechtsgeschäfte, die gegen das Anstandsgefühl aller billig <strong>und</strong> gerecht Denkenden<br />

verstoßen wie Schmiergeldabreden um Mitbewerber im freien Wettbewerb<br />

auszuschalten oder um jemanden zu einem Vertragsbruch zu verleiten.<br />

b. § 138 Abs. 2 enthält einen Sonderfall eines sittenwidrigen Rechtsgeschäfts, den<br />

Wucher. Der Wucher nach § 138 Abs. 2 setzt<br />

- eine Missverhältnis zwischen Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung sowie<br />

- eine Not- oder Zwangslage des Übervorteilten <strong>und</strong><br />

- die Ausbeutung dieser Zwangslage durch den Wucherer voraus.<br />

c. Fehlt das Bewusstsein, eine Zwangslage auszubeuten, kann kein Wucher nach §<br />

138 Abs. 2 vorliegen. Ohne das Bewusstsein eine Zwangslage auszunutzen, kann<br />

jedoch ein Fall des Zinswuchers nach § 138 Abs. 1 vorliegen. Dieser Zinswucher ist<br />

gegeben, wenn<br />

- doppelt soviel Zinsen verlangt werden als in vergleichbaren Fällen am Markt<br />

gefordert wird oder<br />

- der marktübliche Zinssatz um mindestens 12 % überschritten wird.<br />

Im Darlehensvertrag sind 21 % Zinsen <strong>für</strong> ein mit einer ersten Hypothek gesichertes Darlehen<br />

vorgesehen. In vergleichbaren Fällen werden am Markt 7,5 % Zinsen verlangt. Hier liegt ein Fall des<br />

Zinswuchers vor. Der vereinbarte Zinssatz ist doppelt so hoch wie der marktübliche Zinssatz, der<br />

obendrein mehr als 12 % über dem marktüblichen Zinssatz liegt. Hier sind beide Alternativen des<br />

Zinswuchers erfüllt. Es würde nur eine Alternative genügen, um den Zinswucher zu erfüllen <strong>und</strong> die<br />

Sittenwidrigkeit zu begründen.<br />

§ 138 Abs. 1 kommt auch in anderen Fällen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung <strong>und</strong><br />

Gegenleistung ausnahmsweise in Betracht: Liegt der Preis einer Immobilie um 140 % über ihrem<br />

<strong>Skript</strong><br />

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30<br />

Wert, so liegt ein großes Missverhältnis zwischen Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung vor. Bei einem solchen<br />

Missverhältnis kann ohne weiteres auf eine verwerfliche Gesinnung des Verkäufers geschlossen<br />

werden. Deshalb ist der Kaufvertrag nach § 138 Abs. 1 nichtig. 12<br />

IV. Vertrag<br />

Der Vertrag ist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, das durch zwei Willenserklärungen,<br />

Angebot <strong>und</strong> Annahme zustande kommt. Da der Vertrag durch zwei<br />

Willenserklärungen zustande kommt, gelten <strong>für</strong> jede dieser Willenserklärungen die<br />

oben unter Rechtsgeschäfte erläuterten Voraussetzungen.<br />

a. Das Angebot muss mit Rechtsbindungswillen erklärt sein. Dieser<br />

Rechtsbindungswille fehlt bei einer unverbindlichen Aufforderung zur Abgabe eines<br />

Angebots, der invitatio ad offerendum. Diese ist bei Katalogen, Speisekarten,<br />

Werbung, Angeboten im Internet, Handzetteln, Waren- <strong>und</strong> Preislisten anzutreffen.<br />

Der Erklärende will sich hier noch nicht binden. Er will den Kreis der Empfänger zur Abgabe<br />

eines Angebots anhalten, um sich dann zu entschließen, ob er mit dem vertragsbereiten Empfänger<br />

den Vertrag abschließen will. Ist die Ware ausgegangen, gefällt ihm der Vertragspartner nicht, kann er<br />

vom Vertragsabschluss Abstand nehmen, da er kein bindendes Angebot abgegeben hat.<br />

b. Wer ein Angebot zu einem Vertragsabschluss abgibt, ist nach §§ 145, 130 an<br />

diese Willenserklärung ab deren Zugang geb<strong>und</strong>en. Bis zum Zugang kann das<br />

Angebot noch nach § 130 Abs. 1 S. 2 widerrufen werden.<br />

c. Die Bindung erlischt, wenn der Vertragspartner das Angebot ablehnt oder nicht<br />

rechtzeitig annimmt. § 146 errichtet das Gebot der Rechtzeitigkeit der Annahme.<br />

Unter Anwesenden <strong>und</strong> am Telefon muss nach § 147 Abs. 1 sofort angenommen<br />

werden. Unter Abwesenden ist eine übliche Annahmefrist einzuhalten. Diese setzt<br />

sich je nach Lage des Einzelfalles aus Überlegungs-, Bearbeitungs- <strong>und</strong> Postlauffrist<br />

zusammen. Wurde ein Angebot durch Fax abgegeben, ist <strong>für</strong> die Berechnung der<br />

Rechtzeitigkeit der Annahme, von der Dauer einer Faxantwort auszugehen.<br />

d. Des Zugangs der Annahmeerklärung bedarf es nach § 151 nicht, wenn hierauf<br />

verzichtet wurde oder dies nach der Verkehrssitte nicht üblich ist. Die<br />

Annahmeerklärung muss jedoch gleichwohl abgegeben werden. Nur des Zugangs<br />

der Annahmeerklärung bedarf es nicht. Die Annahmeerklärung wird in diesen Fällen<br />

zumeist konkludent abgegeben. Bei der schriftlichen Hotelbuchung, dem Angebot, ist es nach<br />

der Verkehrssitte nicht üblich, dem K<strong>und</strong>en eine Bestätigung, eine Annahmeerklärung, zukommen zu<br />

lassen. Der K<strong>und</strong>e wird im Gästebuch eingetragen. Das genügt als Annahmeerklärung, die keines<br />

Zugangs nach Verkehrssitte bedarf. Entsprechendes gilt bei Bestellungen im Versandhandel.<br />

Mit Aushändigung der Garantiekarte durch den Verkäufer an den Käufer kommt der Garantievertrag<br />

zwischen Käufer <strong>und</strong> Hersteller zustande, ohne dass der Käufer seine Annahmeerklärung dem<br />

Hersteller noch zukommen lassen muss. Der Verkäufer hat als Bote das Angebot des Herstellers zum<br />

Abschluss des Garantievertrages übermittelt.<br />

Übersendet der Bürge seine Bürgschaftserklärung an den Gläubiger, kommt der Bürgschaftsvertrag<br />

mit Empfangnahme der Urk<strong>und</strong>e durch den Gläubiger zustande. Des Zugangs der Annahmeerklärung<br />

bedarf es nicht.<br />

12 OLG Oldenburg PM vom 27.6.2002<br />

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31<br />

e. Ist der Antragende nach Abgabe des Angebots geschäfts- oder rechtsunfähig<br />

geworden, lässt dies nach § 130 Abs. 2 die Wirksamkeit des Angebots unberührt.<br />

Das Angebot führt nach seiner Abgabe rechtlich ein Eigenleben. Nimmt der<br />

Vertragspartner das Angebot an, kann der Vertrag nach § 153 gleichwohl zustande<br />

kommen, wenn die Annahmeerklärung nach § 131 Abs. 1 dem gesetzlichen Vertreter<br />

des Geschäftsunfähigen oder nach § 1922 dem Erben des verstorbenen Anbieters<br />

zugeht.<br />

f. Die verspätete Annahme <strong>und</strong> die Annahme unter Abänderung gelten nach § 150<br />

als neuer Antrag, der seinerseits der Annahme bedarf.<br />

g. Angebot <strong>und</strong> Annahme müssen sich decken. Sie müssen kongruent sein, es<br />

muss ein Konsens vorliegen. Ansonsten ist das Geschäft wegen eines Dissenses<br />

nach § 150 Abs. 2 unwirksam.<br />

h. Gerade bei umfangreichen <strong>und</strong> komplizierten Vertragswerken kann es<br />

vorkommen, dass nicht ohne weiteres erkennbar ist, ob sich Angebot <strong>und</strong> Annahme<br />

decken, der Vertrag schon geschlossen ist oder noch einzelne Vertragspunkte offen<br />

sind – Dissens – <strong>und</strong> es noch der Einigung hierüber bedarf.<br />

Zu diesen Zweifelsfragen finden sich in §§ 154 f. zwei Auslegungsregeln.<br />

aa. Sind noch Punkte offen, über die eine Partei erklärtermaßen eine Einigung<br />

wünscht, ist der Vertrag im Zweifel nach § 154 noch nicht geschlossen. Bei diesem<br />

offenen Dissens liegt regelmäßig noch kein Vertragsabschluss vor. Alle Details eines<br />

Kaufvertrages wurden ausgehandelt, nur über die Tragung der Transportkosten konnten sich die<br />

Parteien noch nicht einigen <strong>und</strong> der Käufer besteht auf kostenlosen Transport.<br />

bb. Glauben die Parteien hingegen, dass Einigkeit in allen Punkten besteht, obwohl<br />

ein Punkt versehentlich noch offen ist, dann ist der Vertrag im Zweifel geschlossen<br />

nach § 155. Beim diesem versteckten Dissens geht der Gesetzgeber davon aus,<br />

dass der offene Punkt im Zweifel nicht so wesentlich ist, dass der Vertragschluss<br />

hiervon abhängen soll.<br />

Es handelt sich bei § 154 <strong>und</strong> § 155 wohlgemerkt nur um Auslegungsregeln. Im<br />

Einzelfall kann bei besonderer, offenk<strong>und</strong>ig abweichender Interessenlage eine<br />

andere Auslegung geboten sein. Mieter <strong>und</strong> Vermieter haben sich auf die Anmietung einer<br />

Wohnung ab einem bestimmten Termin <strong>und</strong> zu einem bestimmten Mietpreis geeinigt. Offen ist nur<br />

noch die Frage, ob der Mieter auch einen Stellplatz benutzen darf. Der Vermieter will ihm dieses<br />

Nutzungsrecht nicht einräumen, während der Mieter erklärtermaßen großen Wert auf einen Stellplatz<br />

legt. Der Mietvertrag ist nach § 154 noch nicht abgeschlossen. Zieht jedoch der Mieter ein, ohne<br />

weiter auf die Klärung der Stellplatzfrage zu beharren, ist der Vertrag abgeschlossen zu den<br />

Bedingungen, zu denen Übereinstimmung herrscht. Ein Stellplatz wurde nicht mitvermietet.<br />

Fall: Sonderangebot<br />

Herr Kaufmann (K) erhält den Katalog des Büro-Ausstatters Vogelmann (V). Er<br />

entscheidet sich <strong>für</strong> den Kauf eines Computers <strong>und</strong> füllt den als Fax zu<br />

versendenden, aus dem Katalog des V stammenden vorgedruckten Bestellschein<br />

aus <strong>und</strong> unterschreibt diesen. Es handelt sich hierbei, wie dem Katalog <strong>und</strong> dem<br />

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32<br />

Bestellschein zu entnehmen ist, um ein bis zum Ablauf des übernächsten Tages<br />

befristetes Sonderangebot des V. K legt den Bestellschein auf seinen Schreibtisch im<br />

Büro. Er will die Anschaffung noch eine Nacht überdenken. Auf dem Nachhauseweg<br />

sieht er in den Auslagen eines Computershops ein weitaus günstigeres Angebot. Er<br />

entschließt sich deshalb, nicht bei V zu kaufen. Er ist froh, dass er die Faxbestellung<br />

noch nicht abgesandt hat. Als die Sekretärin (S) am nächsten Morgen ins Büro<br />

kommt, entdeckt sie das von K noch nicht abgesandte Fax. Sie erkennt, dass die<br />

Erklärung alsbald zugehen muss, um in den Genuss des Sonderpreises zu kommen.<br />

Sie nimmt an, dass K die Absendung des Fax vergessen hat. Deshalb schickt sie<br />

sofort das Fax ab. Als die Bestellung bei V ankommt, wird der Computer sofort<br />

verpackt <strong>und</strong> mittels eines Paketdienstes abgesandt. Erst St<strong>und</strong>en später trifft ein<br />

Fax des K ein, dass er die gegen seinen Willen abgesandte Bestellung widerrufe.<br />

V verlangt von K Bezahlung <strong>und</strong> Abnahme, mindestens jedoch die Versandkosten.<br />

Lösung:<br />

1. V könnte einen Anspruch gegen K aus § 433 Abs. 2 haben. Ein Kaufvertrag<br />

müsste wirksam abgeschlossen worden sein. Ein Angebot liegt nicht schon in dem<br />

Katalog <strong>und</strong> dem Bestellvordruck des V vor. Hierbei handelt es sich um eine<br />

unverbindliche invitatio ad offerendum. Der Versender eines Kataloges will sich mit<br />

der Aufnahme eines Artikels in den Katalog noch nicht gegenüber etwaigen<br />

Kaufwilligen binden. Ansonsten würde er selbst eine Bindung eingehen, wenn seine<br />

Vorräte erschöpft wären oder es käme ohne sein weiteres Zutun zu einem<br />

Vertragsabschluss mit kaufwilligen K<strong>und</strong>en, mit denen er keine Rechtsbeziehung<br />

eingehen will. Beim Katalog handelt es sich um eine unverbindliche invitatio ad<br />

offerendum.<br />

Ein Angebot könnte von K abgegeben <strong>und</strong> von V nach § 151 angenommen worden<br />

sein. K hat schriftlich erklärt, den Computer erwerben zu wollen. Diese Erklärung ist<br />

jedoch nur wirksam geworden, wenn sie von K abgegeben, d.h. willentlich entäußert<br />

wurde. Da K diese Erklärung noch nicht zum Versand freigegeben hatte, fehlt es an<br />

einer willentlichen Entäußerung. Die Willenserklärung wurde entgegen seinem Willen<br />

von der Sekretärin abgesandt. Es handelt sich um eine abhanden gekommene<br />

Willenserklärung. Die abhanden gekommene Willenserklärung ist nicht wirksam. Ein<br />

Vertrag ist deshalb nicht zu Stande gekommen. Deshalb kann V weder den<br />

Kaufpreis nach § 433 Abs. 2 noch die Transportkosten nach § 448 Abs. 1 verlangen.<br />

Soweit V eine Annahmeerklärung nach § 151 abgegeben hat, geht diese ins Leere.<br />

2. Ein Anspruch auf Ersatz der Versandkosten könnte sich analog § 122 ergeben. §<br />

122 kommt nicht unmittelbar zur Anwendung, da der Vertrag nicht durch Anfechtung<br />

untergegangen ist. Der Vertrag war von vornherein nicht zustande gekommen,<br />

weshalb sich <strong>für</strong> K eine Anfechtung erübrigte. Ähnlich wie beim wirksam zustande<br />

gekommenen, dann aber angefochtenen Vertrag hat V im Vertrauen auf einen<br />

wirksamen Vertragsabschluss die Versandkosten zur Erfüllung des vermeintlichen<br />

Vertrages aufgewandt. V konnte nicht darum wissen, dass die Willenserklärung von<br />

K nicht willentlich abgegeben worden war, sondern ihm abhanden gekommen war. In<br />

Anbetracht dieser Situation ist es unzumutbar, dass V die Versandkosten zu tragen<br />

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hat. Es ist angemessen, § 122 entsprechend heranzuziehen <strong>und</strong> dem V den ihm<br />

entstandenen Vertrauensschaden zu ersetzen.<br />

V kann aus § 122 analog die Versandkosten verlangen, nicht jedoch den Kaufpreis<br />

des Computers.<br />

Fall: Geschäftsbriefkasten<br />

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33<br />

Herr Volkmann (V) bietet Herrn Knaus (K) einen Sonderposten Weihnachtsartikel an<br />

<strong>und</strong> setzt ihm eine Annahmefrist bis zum 15. November. Der K entscheidet sich <strong>für</strong><br />

den günstigen Kauf <strong>und</strong> wirft das Schreiben mit der Annahmeerklärung am 15.<br />

November um 22.00 Uhr in den Geschäftsbriefkasten des V. Um 23.00 Uhr begibt<br />

sich der V zufälligerweise nochmals in seine Büroräume, da er etwas vergessen hat.<br />

Er findet den Brief des K im Briefkasten vor. Er teilt dem K sogleich per e-mail mit,<br />

dass die Annahmeerklärung verspätet zugegangen sei <strong>und</strong> er deshalb nicht mehr<br />

liefern werde.<br />

Lösung:<br />

Ein Anspruch des K könnte sich aus § 433 Abs. 1 S. 1 ergeben. Dann müsste<br />

zwischen V <strong>und</strong> K ein Kaufvertrag nach §§ 145 ff. abgeschlossen worden sein. Ein<br />

wirksames Angebot war von V abgegeben worden. Dieses Angebot müsste von K<br />

rechtzeitig angenommen worden sein. K hat seine Annahmeerklärung schriftlich<br />

abgegeben. Sie ist dem V auch zugegangen. Zum Zeitpunkt des Zugangs dürfte das<br />

Angebot des V noch nicht erloschen sein. Das Angebot könnte nach §§ 146, 148<br />

erloschen sein, wenn der Zugang erst am 16.11., nach Ablauf der Annahmefrist,<br />

erfolgt ist.<br />

Bei schriftlichen Willenserklärungen unter Abwesenden ist die Erklärung<br />

zugegangen, sobald sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist <strong>und</strong> mit der<br />

Kenntnisnahme unter regelmäßigen Umständen zu rechnen ist. Die Willenserklärung<br />

ist zwar schon am 15. 11. in den Briefkasten <strong>und</strong> damit in den Machtbereich des<br />

Empfängers gelangt. Um 22.00 Uhr war jedoch nicht mehr mit einer Kenntnisnahme<br />

an diesem Tag zu rechnen. Die Annahmeerklärung wäre hiernach erst am folgenden<br />

Morgen, dem 16.11. zugegangen <strong>und</strong> damit nach Ablauf der Annahmefrist.<br />

Auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme unter normalen Umständen kommt es jedoch<br />

nicht an, wenn der Empfänger die Willenserklärung tatsächlich früher zur Kenntnis<br />

genommen hat. Zufälligerweise hat V die Willenserklärung bereits am 15.11. um<br />

23.00 Uhr dem Briefkasten entnommen. Damit ist die Annahmeerklärung noch<br />

rechtzeitig am 15.11. zugegangen. Der Kaufvertrag ist wirksam abgeschlossen<br />

worden. K hat einen Lieferanspruch.<br />

V. Allgemeine Geschäftsbedingungen<br />

Allgemeine Geschäftsbedingungen spielen im modernen Wirtschaftsleben eine<br />

große Rolle. Gerade beim Abschluss von Massenverträgen kommt ihnen ein<br />

Rationalisierungseffekt zu. Es müssen nicht alle Vertragsdetails einzeln<br />

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34<br />

abgesprochen werden. Diesen Vorteilen stehen Nachteile gegenüber. Der<br />

Verwender der AGB kann diese einseitig zu seinen Gunsten <strong>und</strong> damit zu Lasten<br />

seines Geschäftspartners ausgestalten. Zum Schutz des Geschäftspartners hat das<br />

Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine besondere Ausgestaltung<br />

erfahren.<br />

Es wurden besondere Erfordernisse<br />

- an die Einbeziehung in den Vertrag nach §§ 305 Abs. 2, 305 c Abs. 1 <strong>und</strong><br />

- ihre inhaltliche Ausgestaltung nach §§ 307 ff<br />

begründet, die neben § 145 beim Vertragsabschluss zu bedenken sind.<br />

Diese Einschränkungen gelten in erster Linie nur <strong>für</strong> AGB im Sinne des §305<br />

Abs.1. 13 AGB sind hiernach<br />

- <strong>für</strong> mindestens drei Anwendungsfälle beabsichtigte<br />

- vorformulierte Vertragsbedingungen, es genügen mündlich übermittelte<br />

Vertragsbedingungen oder die maschinen- oder handschriftlich in Wiederholungsabsicht in<br />

den Vertragstext eingefügte Klauseln; auf Festplatte oder Diskette mit Wiederholungsabsicht<br />

festgehaltene Klauseln; der Verwender muss die Vertragsbedingungen nicht selbst formuliert<br />

haben, es genügt die Übernahme eines von einem Dritten entwickelten Vertragmusters.<br />

- die der anderen Vertragspartei gestellt werden, d. h. mit dieser nicht einzeln<br />

ausgehandelt werden.<br />

Ohne die Einschränkungen der §§ 305 ff könnte ein Vertrag nach §§ 145 ff zwischen<br />

dem Verwender von AGB <strong>und</strong> dem Geschäftspartner dadurch wirksam zustande<br />

kommen, dass der Verwender erklärt, er biete unter Zugr<strong>und</strong>elegung seiner AGB an.<br />

Nähme der Vertragspartner dieses Angebot an, wäre der Vertrag mit den AGB<br />

wirksam abgeschlossen worden, ohne dass der K<strong>und</strong>e Zugang zu den AGB hat <strong>und</strong><br />

um ihre Tücken wissen kann.<br />

Um diese Gefahr abzuwenden muss nach §305 Abs. 2 eine wirksame Einbeziehung<br />

der AGB in den Vertrag erfolgen, die über die Anforderungen der §§ 145 ff<br />

hinausgeht.:<br />

a. Der Verwender der AGB muss die andere Vertragsseite ausdrücklich auf seine<br />

AGB hinweisen. Bei schriftlichen Verträgen muss der Hinweis vor der Unterschrift im<br />

Vertrag angebracht sein. Ein Hinweis nach der Unterschriftszeile oder auf der<br />

Rückseite genügt dem Erfordernis nicht. Werden die AGB-Klauseln in den<br />

Vertragstext direkt aufgenommen, erübrigt sich dieser Hinweis. AGB sind bei einem<br />

Vertragsschluss im Internet nicht schon wirksam einbezogen, wenn die AGB<br />

heruntergeladen werden können. Es muss noch ein klarer <strong>und</strong> unmissverständlicher<br />

Hinweis auf die Geltung der AGB hinzukommen. 14<br />

Eines ausdrücklichen Hinweises im Vertrag bedarf es nicht, wenn dies wegen der Art<br />

des Vertragsabschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist.<br />

13 Legaldefinition<br />

14 OLG Hamburg WM 2003, 581<br />

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Stand 02-2011


Es genügt dann ein deutlich sichtbarer Aushang des Hinweises am Ort des<br />

Vertragsabschlusses.<br />

Bei laufenden Geschäftsbeziehungen kann ein Rahmenvertrag abgeschlossen<br />

werden nach § 305 Abs. 3. Hiernach soll die Geltung bestimmter AGB <strong>für</strong> alle<br />

zukünftigen Geschäfte gelten.<br />

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35<br />

b. Der Verwender muss der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschaffen, in<br />

zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Diese Möglichkeit zur<br />

Kenntnisnahme kann durch Aushändigung oder durch Aushang der AGB am Ort<br />

des Vertragsabschlusses geschehen. Es genügt jedoch nicht, wenn der<br />

Vertragspartner darauf verwiesen wird, wo er sich die AGB selbst beschaffen kann<br />

oder ihm diese erst nach Vertragsabschluss zugeschickt werden. Verspätet ist es<br />

hiernach, wenn erst nach Vertragsabschluss die Möglichkeit der Kenntnisnahme auf der Rechnung,<br />

einer Auftragsbestätigung oder einem Lieferschein erfolgt.<br />

c. Der Vertragspartner muss mit den AGB einverstanden sein. Sein Einverständnis<br />

wird vermutet, wenn er nicht widerspricht.<br />

d. Nach § 305 c Abs. 1 werden überraschende Klauseln nicht Vertragsbestandteil.<br />

Überraschende Klauseln sind solche, mit denen nach dem Gesamtzusammenhang<br />

nicht gerechnet werden muss. Sie gelten als nicht geschrieben. Der Käufer eines<br />

Sportgeräts verpflichtet sich zum regelmäßigen entgeltlichen Trainingskursbesuch beim Verkäufer,<br />

ansonsten er auch ohne Inanspruchnahme des Trainingskurses das Entgelt bezahlen muss.<br />

Genügt die Einbeziehung der AGB nicht den Anforderungen des § 305 <strong>und</strong> § 305 c,<br />

sind diese nicht Vertragsbestandteil geworden <strong>und</strong> kommen somit nicht zur<br />

Anwendung. Der Vertrag ist nach §306 im übrigen wirksam. Er wird nach den Regeln<br />

des <strong>BGB</strong> abgewickelt.<br />

Neben den besonderen Anforderungen an die Einbeziehung von AGB kennt das<br />

Gesetz eine inhaltliche Kontrolle von AGB. Auf die Inhaltskontrolle der AGB kommt<br />

es nur an, wenn die AGB wirksam in den Vertrag einbezogen wurden. Wurden die<br />

AGB nicht wirksam einbezogen, sind sie nicht Vertragsbestandteil <strong>und</strong> eine<br />

Inhaltskontrolle erübrigt sich.<br />

a. § 309 verbietet bestimmte Klauseln in AGB. §309 enthält ganz konkrete<br />

Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit. Wichtig ist nach § 309 Nr. 8 b, dass bei der<br />

Leistung neu hergestellter Sachen die vom Gesetz vorgesehenen Gewährleistungsansprüche nicht<br />

gänzlich ausgeschlossen werden können. Nach § 309 Nr. 7 b kann die Haftung <strong>für</strong> Vorsatz <strong>und</strong> grobe<br />

Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen werden.<br />

b. Hingegen enthält § 308 auslegungsbedürftige Klauselverbote. So ist nach § 308<br />

Nr. 1 eine Klausel unwirksam, die <strong>für</strong> die Erbringung einer Leistung eine unangemessen lange oder<br />

nicht hinreichend bestimmte Frist vorsieht. Es hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, welche<br />

Frist noch angemessen oder schon unangemessen ist. Bei Massenwaren ist eine kürzere Lieferfrist<br />

angemessen als bei Sonderanfertigungen.<br />

c. Die Generalklausel des § 307 verbietet Bestimmungen, die den Vertragspartner<br />

entgegen den Geboten von Treu <strong>und</strong> Glauben unangemessen benachteiligen. Es<br />

handelt sich um eine auslegungsbedürftige Generalklausel.<br />

<strong>Skript</strong><br />

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Stand 02-2011


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36<br />

Das in einem Einkaufsmarkt ausgehängte Schild mit der Aufschrift: „Das Aufreißen der Verpackung<br />

verpflichtet zum Kauf der Ware“, ist eine AGB-Klausel, die den K<strong>und</strong>en entgegen den Geboten von<br />

Treu <strong>und</strong> Glauben unangemessen benachteiligt. Die beanstandete Klausel umfasst auch den Fall,<br />

dass der K<strong>und</strong>e beim Aufreißen der Verpackung eines höherwertigen Gegenstandes, der dadurch<br />

selbst keinen Schaden oder Wertminderung erleidet, zum Kauf verpflichtet wird. Der K<strong>und</strong>e wird<br />

unangemessen benachteiligt, wenn er die Ware abnehmen <strong>und</strong> bezahlen muss, obwohl die<br />

Wiederherstellung der Verpackung möglich ist <strong>und</strong> die Verkäuflichkeit des Gegenstandes nicht<br />

beeinträchtigt. Nach den Vorschriften des <strong>BGB</strong> ist der K<strong>und</strong>e, wenn er die Verpackung aufreißt, nicht<br />

zum Kauf verpflichtet. Es entstehen allenfalls Schadensersatzansprüche. In einem derartigen Fall<br />

wirkt sich die Verpflichtung zur Abnahme <strong>und</strong> Bezahlung der Ware wie eine<br />

Schadensersatzpauschalierung nach § 309 Nr. 5 aus. Diese ist unzulässig, wenn die Pauschale den<br />

nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden oder die gewöhnlich eintretende<br />

Wertminderung übersteigt oder dem Käufer den Nachweis abschneidet, ein Schaden oder eine<br />

Wertminderung sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale. Gerade<br />

bei höherwertigen Gegenständen ist beim Aufreißen der Verpackung ohne Beschädigung des Inhalts<br />

der zu erwartende Schaden wesentlich geringer als der Kaufpreis der Ware. 15<br />

Es verstößt gegen die Generalklausel des § 307 Abs. 2, wenn auf der Vorderseite eines Vertrages<br />

eine Vertragsdauer von einem Jahr genannt wird, während in den Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen auf der Rückseite eine Klausel zu finden ist, wonach sich der Vertrag<br />

automatisch verlängert, wenn er nicht bis zu einem bestimmten Termin gekündigt wird. 16<br />

Sind AGB wegen Verstoß gegen § 305 Abs. 2 nicht einbezogen worden, so bleibt<br />

nach § 306 der Vertrag trotzdem wirksam. Sind einzelne Bestimmungen wegen<br />

Verstoßes gegen §§ 307 ff nicht Vertragsbestandteil geworden, so richtet sich der<br />

Inhalt des Vertrages in diesen Punkten nach den gesetzlichen Vorschriften.<br />

Die Schutzbestimmungen der §§ 305 ff gelten nicht uneingeschränkt <strong>für</strong> alle<br />

Vertragsarten <strong>und</strong> Vertragsparteien.<br />

a. Nach §§ 305 a, 310 Abs. 4 sind bestimmte Vertragsarten <strong>und</strong> Vertragsklauseln<br />

ausgenommen, weil auf andere Weise die inhaltliche Ausgewogenheit sichergestellt<br />

ist. Insofern gilt ein sachlicher Ausschluss von der Anwendbarkeit. So sind nach<br />

dem Personenbeförderungsgesetz genehmigte Tarifbestimmungen nach § 305 a Nr. 2<br />

ausgenommen, weil diese behördlicher Kontrolle unterfallen.<br />

b. Werden AGB gegenüber Unternehmern oder einer juristischen Person des<br />

öffentlichen Rechts verwendet, bedarf dieser in geschäftlichen Dingen bewanderte<br />

Personenkreis keines so weitgehenden Schutzes wie eine Privatperson. Für den<br />

Begriff des Unternehmers gilt die Legaldefinition des § 14. Hier gilt ein persönlicher<br />

Ausschluss von der Anwendbarkeit. § 310 Abs. 1 lässt zugunsten<br />

- juristischer Personen des öffentlichen Rechts, öffentlich-rechtlicher<br />

Sondervermögen <strong>und</strong><br />

- Unternehmern<br />

nur die Anwendung des § 307, die Generalklausel <strong>für</strong> die Inhaltskontrolle, übrig.<br />

Die Schutzbestimmungen kommen uneingeschränkt zur Anwendung soweit Unternehmer <strong>und</strong><br />

juristische Personen des öffentlichen Rechts AGB gegenüber ihren K<strong>und</strong>en anwenden, so wenn die<br />

Stadt als Vermieterin einer Privatperson ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen stellt. Die<br />

Schutzbestimmungen finden mit Ausnahme des § 307 keine Anwendung, wenn ein privater Vermieter<br />

einer Stadt als Mieterin seine AGB stellt.<br />

15 OLG Düsseldorf NJW-RR 2001 S. 1563 f.<br />

16 BGH NJW 1989 S. 2255<br />

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37<br />

Die besonderen Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 – Hinweis,<br />

Möglichkeit zur Kenntnisnahme <strong>und</strong> Einverständnis - kommen gegenüber diesem<br />

Personenkreis nicht zur Anwendung. Es genügt, wenn das Angebot zum<br />

Vertragsschluss nach § 145 auf die AGB Bezug nimmt. Diese müssen nicht<br />

zugänglich gemacht werden. Bei länger bestehenden Vertragsbeziehungen können die AGB bei<br />

einem früheren Vertragsabschluss <strong>für</strong> spätere Abschlüsse konkludent in den Vertrag einbezogen<br />

werden ohne besonderen Hinweis.<br />

Die Generalklausel <strong>für</strong> die Inhaltskontrolle, § 307, kommt auf AGB zur Anwendung,<br />

die gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Unternehmern<br />

verwendet werden. §§ 308 f. sind ausdrücklich von der Anwendung ausgeschlossen.<br />

Gleichwohl können die Klauselverbote der §§ 308 f. im Rahmen der Generalklausel<br />

des § 307 Abs. 2 als Leitbilder <strong>für</strong> Treuwidrigkeit herangezogen werden. Ihnen kann<br />

allgemein die Aussage entnommen werden, dass ihnen widersprechende Klauseln<br />

im Regelfall gegen Treu <strong>und</strong> Glauben verstoßen <strong>und</strong> deshalb nach § 307 unwirksam<br />

sind.<br />

Bei einer klausurmäßigen Abprüfung von Vertragsbedingungen nach den §§ 305 ff<br />

ist eine logische Prüfungsreihenfolge einzuhalten:<br />

1. Liegen AGB vor?<br />

2. Unterfallen die AGB dem sachlichen Anwendungsbereich?<br />

3. Unterfallen die Vertragspartner dem persönlichen Anwendungsbereich?<br />

4. Wurden die AGB wirksam in den Vertrag einbezogen?<br />

5. Sind die Klauseln inhaltlich wirksam?<br />

Liegen keine AGB vor, kommen die §§ 305 ff. nicht unmittelbar zur Anwendung. Unterfallen AGB nicht<br />

dem sachlichen oder persönlichen Anwendungsbereich, finden die besonderen<br />

Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 nach §§ 305a, 310 Abs. 1 keine Anwendung <strong>und</strong><br />

die Inhaltskontrolle ist eingeschränkt. Deshalb ist zuerst zu prüfen, ob AGB vorliegen <strong>und</strong> wenn ja, ob<br />

eine Ausnahme vom sachlichen <strong>und</strong> persönlichen Anwendungsbereich gegeben ist, bevor auf die<br />

Einbeziehung <strong>und</strong> die Inhaltskontrolle eingegangen wird.<br />

§ 310 Abs. 3 erstreckt die Inhaltskontrolle auf Verbraucherverträge. Hat ein<br />

Unternehmer Vertragsbedingungen nur <strong>für</strong> einen einmaligen Anwendungsfall<br />

vorformuliert, kommt der Verbraucher in den Genuss der Inhaltskontrolle durch §§<br />

307 bis 309. Auch <strong>für</strong> diese Verbraucherverträge ist die Gestaltungsfreiheit wie bei<br />

Allgemeinen Geschäftsbedingungen eingeschränkt.<br />

VI. Stellvertretung<br />

Im Alltag gibt jedermann die Willenserklärungen in seinem Rechtskreis regelmäßig<br />

selbst ab. Die moderne arbeitsteilige Gesellschaft macht es jedoch erforderlich, dass<br />

Dritte zur Stellvertretung bei Abgabe <strong>und</strong> Empfang von Willenserklärungen<br />

eingeschaltet werden. Bei wirksamer Stellvertretung wirkt die Willenserklärung des<br />

Stellvertreters <strong>für</strong> <strong>und</strong> gegen den vertretenen Geschäftsherrn nach § 164. Während des<br />

Urlaubs des Geschäftsherrn führt sein Mitarbeiter als Stellvertreter das Geschäft weiter. Alle von ihm<br />

abgegebenen <strong>und</strong> empfangenen Willenserklärungen wirken, als wären sie von dem Geschäftsherrn<br />

selbst abgegeben worden oder ihm selbst zugegangen.<br />

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a. Nach §§ 164 ff ist Stellvertretung gr<strong>und</strong>sätzlich bei allen Willenserklärungen<br />

zulässig. Ausnahmen bestehen bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften wie der<br />

Eheschließung nach § 1311 oder der Testamentserrichtung nach § 2064.<br />

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38<br />

b. Der Stellvertreter gibt eine eigene Willenserklärung im Namen des Vertretenen<br />

ab. Die Willenserklärung eines geschäftsunfähigen Stellvertreters ist deshalb<br />

unwirksam. Dieser kann keine wirksame Willenserklärung abgeben. Es genügt<br />

beschränkte Geschäftsfähigfähigkeit nach § 165, weil die Folgen der<br />

Willenserklärung nicht den Vertreter sondern den Vertretenen treffen <strong>und</strong> ihm<br />

deshalb kein rechtlicher Nachteil i.S. von § 107 aus dem Rechtsgeschäft erwachsen<br />

kann.<br />

Im Gegensatz zum Boten gibt der Vertreter eine eigene Willenserklärung ab. Der<br />

Bote übermittelt lediglich eine fremde Willenserklärung. Deshalb kann der Bote<br />

geschäftsunfähig sein. Übermittelt der Bote die Willenserklärung des Geschäftsherrn unbewusst<br />

falsch, ist dieser an die Willenserklärung geb<strong>und</strong>en. Er kann die unrichtig übermittelte<br />

Willenserklärung nach § 120 anfechten wie eine eigene fehlerhafte Willenserklärung.<br />

Da der Vertreter eine eigene Willenserklärung abgibt, stellt § 166 Abs. 1 <strong>für</strong> die Frage<br />

der Anfechtung der Erklärung darauf ab, ob er sich im Irrtum befand.<br />

c. Der Vertreter muss offenk<strong>und</strong>ig im Namen des Vertretenen handeln nach § 164<br />

Abs. 1. Dieses Gebot der Offenk<strong>und</strong>igkeit der Stellvertretung dient dem Schutz<br />

des Dritten. Der Dritte will wissen, mit wem er das Geschäft abschließt, gegen wen er<br />

einen Anspruch hat <strong>und</strong> mit wem er es im Falle von Streitigkeiten zu tun hat. Der Dritte<br />

sucht sich seinen Geschäftspartner häufig nach Kriterien wie dessen Zahlungs- <strong>und</strong><br />

Leistungsfähigkeit, dessen Ruf <strong>und</strong> die Erreichbarkeit aus. Die Offenk<strong>und</strong>igkeit ist gewahrt,<br />

wenn der Stellvertreter auf die Vertretung hinweist oder wenn sich dies aus den<br />

Gesamtumständen ergibt, wie beim Kellner in der Gaststätte.<br />

Will der Vertreter im Namen eines anderen handeln, ohne dass dies nach außen<br />

deutlich wird, so handelt es sich mangels Offenk<strong>und</strong>igkeit um ein Eigengeschäft des<br />

Vertreters. Eine Ausnahme vom Offenk<strong>und</strong>igkeitsprinzip stellt das Geschäft <strong>für</strong> den,<br />

den es angeht dar. Ein solches Geschäft liegt bei Bargeschäften des täglichen<br />

Lebens vor, bei denen der Dritte kein Interesse daran hat, wer sein Geschäftspartner<br />

ist: 17<br />

- Der Dritte bietet seine Leistungen jedermann an.<br />

- Das Entgelt <strong>für</strong> die Leistung wird sofort entrichtet.<br />

- Auf die Person des K<strong>und</strong>en kommt es nicht an.<br />

M kauft im Auftrag seines Nachbarn N ein Brot beim Bäcker B. N findet im Brot Papierreste. B<br />

verweigert ihm Ansprüche auf Nacherfüllung aus §§ 433, 437 Nr.1, 439. Er habe mit N keinen<br />

Kaufvertrag abgeschlossen <strong>und</strong> auch M habe nicht offenk<strong>und</strong>ig als Vertreter des N gehandelt. Da es<br />

sich um ein Bargeschäft des täglichen Lebens handelt, liegt eine wirksame Stellvertretung vor. M hat<br />

als Vertreter des N gehandelt. Für N wurde wirksam ein Kaufvertrag abgeschlossen <strong>und</strong> N kann<br />

Ansprüche aus dem Kaufvertrag geltend machen.<br />

d. Der Vertreter muss nach § 164 Abs. 1 innerhalb der ihm zustehenden<br />

Vertretungsmacht handeln. Dieses Erfordernis dient dem Schutz des Vertretenen.<br />

17 AG Herrne NJW 1998, 3651 Kauf von Eintrittskarten <strong>für</strong> ein Konzert.<br />

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Die Vertretungsmacht kann auf einem Rechtsgeschäft oder auf einer gesetzlichen<br />

Vorschrift beruhen.<br />

Fall: Bierkästen<br />

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39<br />

Herr Gaier (G) beauftragt seinen Fre<strong>und</strong> Volkmann (V), <strong>für</strong> seinen bevorstehenden<br />

Polterabend <strong>und</strong> das Hochzeitsfest 30 Kästen Bier, nebst mehreren Kästen Sekt <strong>und</strong><br />

Wein beim Getränkehändler Dreier (D) zu besorgen. V begibt sich in das Geschäft<br />

des D <strong>und</strong> bestellt die Getränke zur Anlieferung an die Adresse des G <strong>und</strong> Zahlung<br />

gegen Rechnung nach Anlieferung. Er machte dabei nicht deutlich, dass er namens<br />

des G handelt <strong>und</strong> unterschrieb die Bestellung mit seinem Namen.<br />

Als D von V Bezahlung der Rechnung verlangt, weist ihn V darauf hin, dass er <strong>für</strong><br />

seinen Fre<strong>und</strong> G gehandelt habe. D ist nicht bereit, gegen G vorzugehen, da dieser<br />

zwar als guter Gastgeber, aber weithin als säumiger Zahler bekannt ist.<br />

Muss V den Kaufpreis bezahlen?<br />

Lösung:<br />

V muss den Kaufpreis nach § 433 Abs. 2 bezahlen, wenn zwischen ihm <strong>und</strong> D ein<br />

Kaufvertrag nach § 145 zustande gekommen ist. V hat gegenüber D eine<br />

Willenserklärung abgegeben. Es könnte jedoch der Rechtsbindungswille des V<br />

gefehlt haben. V wollte sich nicht selbst binden. Nach dem objektiven<br />

Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 ist die von ihm abgegebene <strong>und</strong> im eigenen<br />

Namen unterzeichnete Bestellung dahin zu verstehen, dass er selber im eigenen<br />

Namen den Vertrag abschließen wollte. Mangels offenk<strong>und</strong>igem Handeln im fremden<br />

Namen wirkt die Angebotserklärung des V <strong>für</strong> <strong>und</strong> gegen ihn selbst.<br />

Ein anderes könnte allenfalls gelten, wenn es sich aus der Sicht des D um ein<br />

Geschäft wen es angeht handelt, dem D also die Person seines Vertragspartners<br />

gleichgültig ist. Ein solches Geschäft wen es angeht, wird bei Bargeschäften des<br />

täglichen Lebens angenommen. Bei diesen Bargeschäften des täglichen Lebens ist<br />

es dem Verkäufer egal, mit wem er den Vertrag abschließt. Ein solches Bargeschäft<br />

des täglichen Lebens liegt jedoch nicht vor, da der Rechnungsbetrag nicht sogleich<br />

bezahlt wurde. D hat sehr wohl ein Interesse an der Person seines Vertragspartners,<br />

von dem er Bezahlung verlangen kann.<br />

Die im eigenen Namen des V abgegebene Willenserklärung zum Vertragsabschluss<br />

könnte infolge einer Anfechtung des V nach §§ 142, 119 Abs. 1 unwirksam sein.<br />

Dem V könnte ein Inhaltsirrtum unterlaufen sein. Er wollte die Bestellung mit Wirkung<br />

<strong>für</strong> seinen Fre<strong>und</strong> D abgeben <strong>und</strong> nicht eine Bestellung im eigenen Namen. V wollte,<br />

dass das Angebot <strong>für</strong> <strong>und</strong> gegen seinen Fre<strong>und</strong> G wirkt. Nach dem objektiven<br />

Empfängerhorizont hat er aber erklärt, dass es <strong>für</strong> <strong>und</strong> gegen ihn wirken solle. Nach<br />

§ 164 Abs. 2 ist die Anfechtung eines solchen Inhaltsirrtums jedoch ausgeschlossen.<br />

Eine Anfechtung des V kommt nicht in Betracht.<br />

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1. Vertretungsmacht<br />

18<br />

Teleologische Reduktion<br />

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40<br />

a. Gesetzliche Vertretungsmacht besteht nach § 1629 Abs. 1 <strong>für</strong> die Eltern als<br />

gesetzliche Vertreter des Kindes oder nach § 1902 des Betreuers <strong>für</strong> den Betreuten.<br />

b. Die durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht wird in § 166 als Vollmacht<br />

bezeichnet.<br />

Sie wird nach § 167 durch eine empfangsbedürftige formfreie Willenserklärung erteilt.<br />

Sie kann als sogenannte Innenvollmacht im Innenverhältnis zwischen dem<br />

Geschäftsherrn <strong>und</strong> dem Stellvertreter diesem erteilt werden.<br />

Sie kann aber auch als sogenannte Außenvollmacht im Außenverhältnis vom<br />

Geschäftsherrn dem Geschäftspartner gegenüber erklärt werden. In aller Regel<br />

besteht diese Außenvollmacht nicht isoliert sondern ergänzt eine bereits bestehende<br />

Innenvollmacht. Zur Außenvollmacht zählt obendrein die öffentliche<br />

Bekanntmachung der Vollmacht ob nun durch K<strong>und</strong>gebung oder besondere<br />

Mitteilung nach §§ 170 f. oder durch Erteilung einer Vollmachtsurk<strong>und</strong>e nach § 172.<br />

c. Die Erteilung der Vollmacht ist nach § 167 Abs. 2 gr<strong>und</strong>sätzlich formlos gültig. Sie<br />

ist auch in den Fällen formfrei, in denen das Rechtsgeschäft, <strong>für</strong> das bevollmächtigt<br />

wurde, formbedürftig ist.<br />

Eine Ausnahme besteht bei der unwiderruflichen Bevollmächtigung zu einem<br />

formbedürftigen Rechtsgeschäft, bei dem die Formvorschrift eine Warnfunktion<br />

erfüllt. 18 Erteilt der Gr<strong>und</strong>stückseigentümer einem anderen eine unwiderrufliche<br />

Vollmacht zum Verkaufe eines Gr<strong>und</strong>stücks, dann muss diese Vollmacht wie das<br />

Gr<strong>und</strong>stücksgeschäft selbst die Form des § 311 b Abs.1 wahren. Ansonsten ginge<br />

die Warnfunktion des § 311b Abs. 1 ins Leere. Der Gr<strong>und</strong>stückseigentümer würde<br />

sich bereits mit der formlosen Erteilung der unwiderruflichen Vollmacht zum<br />

Gr<strong>und</strong>stücksverkauf binden <strong>und</strong> hätte keinen Einfluss auf die weitere Entwicklung<br />

mehr.<br />

d. Der Vollmachtserteilung liegt häufig ein Vertragsverhältnis zwischen<br />

Geschäftsherrn <strong>und</strong> Stellvertreter zugr<strong>und</strong>e wie ein Auftrag, ein Arbeitsvertrag, ein<br />

Handelsvertretervertrag. Dieses Rechtsverhältnis betrifft das Innenverhältnis<br />

zwischen Geschäftsherrn <strong>und</strong> Stellvertreter, während die Vollmacht dem<br />

Stellvertreter Befugnisse im Außenverhältnis einräumt.<br />

Die Vollmacht ist von dem ihm zugr<strong>und</strong>e liegenden Rechtsverhältnis streng zu<br />

trennen. Sie ist unabhängig, d.h. abstrakt von diesem Rechtsverhältnis. Deshalb<br />

kann trotz unwirksamem Rechtsverhältnis im Innenverhältnis eine wirksame<br />

Vollmacht nach außen bestehen. Auf der anderen Seite kann trotz fortbestehendem<br />

Rechtsverhältnis im Innenverhältnis die Vollmacht widerrufen werden. Dem<br />

Handelsvertreter wird die Abschlussvollmacht entzogen. Er darf nur noch als Nachweisvertreter<br />

Geschäfte anbahnen aber nicht mehr selber abschließen.<br />

Ein Zusammenhang zwischen Vollmacht <strong>und</strong> Rechtsverhältnis im Innenverhältnis<br />

besteht jedoch nach § 168, wonach das Ende des Rechtsverhältnisses im<br />

Innenverhältnis zum Erlöschen der Vollmacht führt.<br />

<strong>Skript</strong><br />

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41<br />

Die Vollmacht kann durch Widerruf nach § 168 erlöschen, soweit nicht<br />

ausnahmsweise eine unwiderrufliche Vollmacht erteilt wurde. Ist die Vollmacht<br />

erloschen, fehlt dem bislang Bevollmächtigten <strong>für</strong> die Zukunft die Vertretungsmacht.<br />

Bei der Außenvollmacht ist nach §§ 170, 171 Abs. 2, 172 Abs. 2 darauf zu achten,<br />

dass diese nach außen solange fortbesteht, als der Geschäftspartner darauf<br />

vertrauen kann. Hier besteht die Vollmacht kraft Rechtsscheins im<br />

Außenverhältnis weiter. Dies entspringt dem Vertrauensschutzgedanke, wonach der<br />

Geschäftspartner auf das Fortbestehen der Außenvollmacht vertrauen darf, solange<br />

diese nicht widerrufen wurde. Diese Rechtsscheinsvollmacht gilt nach § 173 jedoch<br />

nur gegenüber einem gutgläubigen Dritten weiter. Nur dieser kann sich auf<br />

Vertrauensschutz berufen. Die Außenvollmacht ist in gleicher Weise zu widerrufen,<br />

wie sie erteilt wurde.<br />

Abweichend von den gesetzlichen Regelungen hat die Rechtsprechung im Interesse<br />

des Rechtsverkehrs noch zwei weitere Rechtsscheinsvollmachten entwickelt, die<br />

Duldungs- <strong>und</strong> Anscheinsvollmacht. Diese berühren Fälle, in denen zwar keine<br />

Vollmacht vorliegt, gleichwohl der Dritte auf eine solche gutgläubig vertraut.<br />

Bei der Duldungsvollmacht hat der Geschäftsherr den Rechtsschein einer<br />

Bevollmächtigung in zurechenbarer Weise gesetzt, in dem er das Verhalten des<br />

Pseudostellvertreters kennt <strong>und</strong> duldet. Der Geschäftsherr lässt es wissentlich<br />

geschehen, dass ein anderer <strong>für</strong> ihn wie ein Vertreter auftritt <strong>und</strong> der<br />

Geschäftsgegner dieses Dulden nach Treu <strong>und</strong> Glauben dahin verstehen darf, dass<br />

der als Vertreter Handelnde bevollmächtigt ist. 19 Der Geschäftsherr weiß, dass der<br />

Auszubildende am Telefon Geschäfte anbahnt <strong>und</strong> abschließt, obwohl er ihm dies zu Beginn des<br />

Ausbildungsverhältnisses untersagt hat. Unbeanstandet werden diese Geschäfte vom Geschäftsherrn<br />

ausgeführt, den nur der Erfolg interessiert. Gegenüber einem gutgläubigen Geschäftspartner ist er an<br />

diesen von ihm gesetzten Rechtsschein geb<strong>und</strong>en bis er diesen wirksam <strong>für</strong> die Zukunft widerrufen<br />

hat.<br />

Bei der Anscheinsvollmacht kennt der Vertretene das Verhalten des<br />

Pseudostellvertreters nicht. Bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte er dies aber erkennen<br />

<strong>und</strong> verhindern können. Der Vertretene kann sich auf den Mangel der<br />

Vertretungsmacht des als Vertreter Handelnden nicht berufen, wenn er schuldhaft<br />

den Rechtsschein einer Vollmacht veranlasst hat, so dass der Geschäftsgegner nach<br />

Treu <strong>und</strong> Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte von einer Bevollmächtigung<br />

ausgehen durfte. Dieser Rechtsschein greift in der Regel nur ein, wenn das<br />

Verhalten des angeblich Vertretenen, aus dem der Geschäftsgegner auf die<br />

Bevollmächtigung des Dritten schließt, von einer gewissen Häufigkeit <strong>und</strong> Dauer<br />

ist. 20<br />

Sowohl bei der Duldungs- wie bei der Anscheinsvollmacht muss der<br />

Geschäftspartner auf den geschaffenen Rechtsschein vertraut haben. Analog § 173<br />

darf er das Fehlen einer Vollmacht weder kennen noch kennen müssen.<br />

Bei den Rechtsscheinsvollmachten hat der Stellvertreter keine Vollmacht erhalten<br />

oder sie ist erloschen. Trotzdem sind seine Rechtshandlungen namens des<br />

Vertretenen wirksam.<br />

19 BGH VR 1992 S. 989, 990<br />

20 BGH VR 1992 S. 989, 990; BGH NJW 1998 S. 1854 ff<br />

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42<br />

Nach § 174 kann die einseitige Willenserklärung eines Bevollmächtigten vom<br />

Empfänger der Erklärung zurückgewiesen werden, wenn dieser keine<br />

Vollmachtsurk<strong>und</strong>e vorweist. Die Vorschrift dient der Rechtssicherheit bei einseitigen<br />

Willenserklärungen wie Kündigung, Rücktritt oder Anfechtung. Der Empfänger der<br />

Erklärung hat ein besonderes Interesse daran, Gewissheit über das Vorliegen der<br />

Vertretungsmacht <strong>und</strong> damit die Wirksamkeit der Willenserklärung zu erlangen. Diese<br />

Vorschrift findet auf die gesetzliche Vertretungsmacht <strong>und</strong> auf die organschaftliche Vertretungsmacht<br />

keine Anwendung. So ergibt sich bei Handelsgesellschaften die gesetzliche Vertretung aus<br />

öffentlichen Registern.<br />

2. Umfang der Vertretungsmacht<br />

Es gibt Fälle, in denen der Stellvertreter zwar eine Vertretungsmacht hat, jedoch die<br />

ihm eingeräumten Befugnisse überschreitet. Im Gr<strong>und</strong>satz handelt er dann als<br />

Vertreter ohne Vertretungsmacht. Seine Rechtshandlungen wirken nicht <strong>für</strong> <strong>und</strong><br />

wider den Geschäftsherrn. Der Geschäftsherr räumt seinem Einkäufer nur die Befugnis zum<br />

Erwerb von Baumaterialien ein. Schließt der Einkäufer namens des Geschäftsherrn einen Kaufvertrag<br />

über den Erwerb eines Geschäftswagens ab, ist dieser Vertrag mangels Vollmacht <strong>für</strong> dieses<br />

Geschäft unwirksam. Ebenso wenn der Einkäufer nur Kaufverträge bis zu einem bestimmten Betrag<br />

abschließen darf <strong>und</strong> einen Kaufvertrag abschließt, der diese Obergrenze überschreitet.<br />

Der Umfang der Vollmacht bestimmt sich nach dem Inhalt der rechtsgeschäftlichen<br />

Erteilung <strong>und</strong> Zweckbestimmung oder dem gesetzlichen Umfang.<br />

Hat ein Stellvertreter eine gesetzliche Vertretungsmacht, dann kann er im<br />

Außenverhältnis in vollem Umfang von der Vollmacht Gebrauch machen, auch wenn<br />

er im Innenverhältnis entgegenstehende Weisungen hat <strong>und</strong> hiergegen verstößt.<br />

Sein rechtliches Können reicht in diesen Fällen weiter als sein rechtliches Dürfen.<br />

Dies kann im Innenverhältnis zu Regressansprüchen oder zur Kündigung führen.<br />

Nach § 56 HGB hat der Angestellte in einem Laden oder offenen Warenlager die gesetzliche<br />

Vertretungsmacht, die in solch einem Laden oder Warenlager gewöhnlich anfallenden Geschäfte zu<br />

tätigen. Er kann also Ware verkaufen, obwohl er die Weisung hat, diese nicht zum Verkauf zu bringen.<br />

Ausnahmsweise kann sein Handeln im Außenverhältnis jedoch unwirksam, ohne<br />

Rechtsbindung <strong>für</strong> den Vertretenen sein.<br />

a. Das von ihm getätigte Rechtsgeschäft kann nach § 138 Abs. 1 sittenwidrig sein,<br />

wenn er gemeinsam mit dem Geschäftspartner bewusst zum Nachteil des<br />

Vertretenen handelt. Hier spricht man von Kollusion.<br />

b. Das von ihm getätigte Rechtsgeschäft verstößt gegen § 242, wenn er zwar nicht<br />

gemeinsame Sache mit dem Geschäftspartner gegen den Vertretenen macht, der<br />

Geschäftspartner jedoch den Verstoß des Vertreters gegen die Weisungen hätte<br />

erkennen können. Es wäre rechtsmissbräuchlich, wenn sich der Geschäftspartner<br />

auf die Vertretungsmacht berufen könnte, obwohl er um die entgegenstehenden<br />

Weisungen wusste oder hätte wissen können.<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


Fall: Prokurist<br />

<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen<br />

Ludwigsburg<br />

43<br />

Herr Petermann (P) ist Prokurist im Handelsgeschäft des eingetragenen Kaufmanns<br />

Karl (K). Die Erteilung der Prokura wurde im Handelsregister vermerkt. Zur<br />

Erweiterung seines Geschäftsbetriebes will K ein Gr<strong>und</strong>stück erwerben. Von<br />

mehreren angebotenen Gr<strong>und</strong>stücken sagt ihm das Gr<strong>und</strong>stück des Herrn Geiger<br />

(G) am meisten zu. Da sein 6wöchiger Segeltörn bevorsteht, weist er den P an, mit<br />

G weiterzuverhandeln <strong>und</strong> vor allem noch den Preis zu drücken. Nach seinem<br />

Urlaub, werde er dann die Angelegenheit zu Ende bringen. Gerade als K in Urlaub<br />

gefahren ist, taucht ein weiterer zahlungskräftiger Interessent auf, der das<br />

Gr<strong>und</strong>stück erwerben will. P versucht erfolglos mit K Kontakt aufzunehmen. Nun<br />

entschließt sich P zum Kauf zu den bis dahin ausgehandelten Konditionen namens<br />

des K. Der Kaufvertrag wird notariell beurk<strong>und</strong>et. Als K von seiner Urlaubsreise<br />

zurückkommt, weigert er sich, den Vertrag zu erfüllen. P habe keine Vollmacht<br />

gehabt. Der Preis sei zu hoch. Deshalb fechte er den Vertrag an.<br />

Kann G von K Erfüllung des Kaufvertrages verlangen?<br />

Lösung:<br />

G könnte gegen K einen Anspruch aus § 433 Abs. 2 <strong>BGB</strong> haben. Zwischen G <strong>und</strong> K<br />

müsste nach § 145 <strong>BGB</strong> ein wirksamer Kaufvertrag abgeschlossen worden sein.<br />

Der Vertrag wahrt die erforderliche Schriftform nach § 311b Abs. 1 <strong>BGB</strong>. Der Vertrag<br />

wurde notariell beurk<strong>und</strong>et.<br />

Jedoch wurde der Vertrag nicht von K selbst nach § 145 <strong>BGB</strong> abgeschlossen. Für<br />

ihn trat sein Prokurist P auf. K hat dem P nach § 48 Abs. 1 HGB Prokura erteilt. Die<br />

Prokura müsste eine Vollmacht zum Erwerb des Gr<strong>und</strong>stücks nach § 164 <strong>BGB</strong><br />

umfassen. Die Prokura berechtigt nach § 49 Abs. 1 HGB zu allen gerichtlichen <strong>und</strong><br />

außergerichtlichen Rechtsgeschäften, die der Betrieb eines Handelsgeschäftes mit<br />

sich bringt. Der Erwerb eines Gr<strong>und</strong>stücks zur Erweiterung eines Handelsgeschäfts<br />

gehört hierzu. § 49 Abs. 2 HGB enthält Ausnahmen zu den Befugnissen nach § 49<br />

Abs. 1 HGB. Ausgenommen ist hiernach die Veräußerung von Gr<strong>und</strong>stücken, nicht<br />

hingegen der Erwerb von Gr<strong>und</strong>stücken.<br />

Die Vollmacht könnte durch die entgegenstehenden Weisungen des K wirksam<br />

eingeschränkt sein. K hat den P nur zu Verhandlungen, insbesondere hinsichtlich<br />

des Preises, nicht hingegen zum Abschluss ermächtigt. Nach § 50 Abs. 1 HGB ist<br />

eine Beschränkung des gesetzlichen Umfangs der Prokura im Interesse der<br />

Schnelligkeit <strong>und</strong> Leichtigkeit des Handelsverkehrs unwirksam. Diese Beschränkung<br />

hat nur Bedeutung im Innenverhältnis zwischen Prokurist P <strong>und</strong> K. Nicht hingegen im<br />

Außenverhältnis zu G. Im Interesse des Rechtsverkehrs sind solche<br />

Einschränkungen unwirksam, soweit nicht nach §§ 138, 242 ein Missbrauch der<br />

Vertretungsmacht durchgreift. Dies setzt Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis<br />

des Vertragspartners voraus. Da<strong>für</strong> enthält der Sachverhalt keinen Hinweis.<br />

Der Vertrag wurde wirksam namens des K abgeschlossen. K hat den Kaufpreis zu<br />

zahlen.<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


3. Vertreter ohne Vertretungsmacht<br />

Hat jemand als Stellvertreter ein Rechtsgeschäft abgeschlossen, obwohl er keine<br />

Vollmacht hat, weder<br />

- aus Gesetz<br />

- aus Bevollmächtigung noch<br />

- aus Rechtsschein<br />

hat er als Vertreter ohne Vertretungsmacht nach §§ 177 ff gehandelt.<br />

<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen<br />

Ludwigsburg<br />

44<br />

Hat ein Vertreter ohne Vertretungsmacht im Namen des Geschäftsherrn ein Geschäft<br />

mit einem Dritten abgeschlossen, ist dieses Geschäft nach § 177 Abs. 1 schwebend<br />

unwirksam. Es ist nicht bereits von vornherein endgültig unwirksam. Der Vertretene<br />

kann das Geschäft genehmigen. Die Genehmigung kann nach § 182 sowohl<br />

gegenüber dem Vertreter wie auch gegenüber dem Geschäftspartner erfolgen. Nur bei<br />

einseitigen Rechtsgeschäften wie Kündigung, Anfechtung ist nach § 180 das ohne Vertretungsmacht<br />

vorgenommene Rechtsgeschäft unwirksam, außer der Geschäftspartner hat dies trotz Wissen darum<br />

nicht beanstandet.<br />

Solange das Geschäft schwebend unwirksam ist, kann es der Geschäftspartner nach<br />

§ 178 widerrufen. Eine Ausnahme gilt, wenn dieser den Mangel der<br />

Vertretungsmacht bei Vertragsschluss gekannt hat. Diese Kenntnis schließt das<br />

Widerrufsrecht aus.<br />

Der Geschäftspartner kann den Vertretenen zur Klärung über die Genehmigung<br />

auffordern nach § 177 Abs. 2. Nunmehr kann der Geschäftsherr seine Erklärung nur<br />

noch gegenüber dem Geschäftspartner abgeben entgegen § 182. Wird innerhalb von<br />

zwei Wochen vom Geschäftherrn gegenüber dem Geschäftspartner keine Erklärung<br />

abgegeben, gilt die Genehmigung als verweigert. Diese Fiktion beendet den<br />

Schwebezustand im Interesse der Rechtssicherheit.<br />

Die gesetzliche Konstruktion folgt bis hierher der Regelung im Minderjährigenrecht.<br />

Im folgenden ergibt sich eine weitergehende Regelung gegenüber dem<br />

Minderjährigenrecht.<br />

Ist das vom Vertreter ohne Vertretungsmacht geschlossene Geschäft mangels<br />

nachträglicher Genehmigung unwirksam, kann der Geschäftspartner nach § 179<br />

gegen den Stellvertreter vorgehen. Er kann nach § 179 Abs. 1 vom Vertreter<br />

Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen.<br />

Kannte der Vertreter bei Abschluss des Geschäfts den Mangel der Vertretungsmacht<br />

nicht, haftet er nach § 179 Abs. 2 nur auf den Vertrauensschaden bis zur Höhe des<br />

Erfüllungsschadens.<br />

Kannte der Geschäftspartner den Mangel der Vertretungsmacht oder hätte er ihn<br />

erkennen können, kann er laut § 179 Abs. 3 nicht gegen den Stellvertreter vorgehen.<br />

Er hat ebenfalls keine Rechte gegen den Stellvertreter, wenn er von seinem<br />

Widerrufsrecht nach § 178 Gebrauch gemacht hat.<br />

Fall: Sportwagen<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen<br />

Ludwigsburg<br />

45<br />

Herr Geier (G) erteilt seinem Schwager, Herrn Volkmann (V) Vollmacht zum Erwerb<br />

eines von ihm bereits besichtigten <strong>und</strong> <strong>für</strong> gut bef<strong>und</strong>enen gebrauchten Sportwagens<br />

beim Gebrauchtwagenhändler Dick (D). Zu dem Zeitpunkt der Vollmachtserteilung ist<br />

G an einer manisch-depressiven Psychose erkrankt <strong>und</strong> befindet sich in ärztlicher<br />

Behandlung. Aufgr<strong>und</strong> der Erkrankung ist er geschäftsunfähig. V weiß von dieser<br />

Erkrankung des G nichts. V begibt sich zum Gebrauchtwagenhändler D. D will den<br />

Sportwagen <strong>für</strong> 32.000,-- € verkaufen. Dem V gelingt es den Kaufpreis auf 30.000,--<br />

€ herabzuhandeln. Er schließt namens seines Schwagers G den Kaufvertrag mit D<br />

ab. Als D das Fahrzeug gegen Zahlung des Kaufpreises liefern will, stellt sich die<br />

Erkrankung des G heraus. Der <strong>für</strong> G im Nachhinein bestellte Betreuer verweigert die<br />

Genehmigung des Kaufvertrages. D verlangt nun Schadensersatz von V. Im<br />

Vertrauen auf den mit G abgeschlossenen Kaufvertrag, hatte er das Fahrzeug einem<br />

später noch aufgetauchten Interessenten nicht weiter veräußert, der bereit war, die<br />

von ihm gewünschten 32.000,-- € zu bezahlen. Das Fahrzeug hat lediglich einen<br />

Verkehrswert von 28.000,-- €.<br />

Steht dem D ein Schadensersatzanspruch gegen V zu?<br />

Lösung:<br />

Der Anspruch des D gegen V könnte sich aus § 179 Abs. 1 ergeben. V hat den<br />

Kaufvertrag als Vertreter ohne Vertretungsmacht abgeschlossen. Die<br />

Bevollmächtigung war nach §§ 167, 104 Nr. 2, 105 Abs. 1 nicht wirksam erfolgt. Die<br />

Genehmigung des vollmachtlosen Handelns des V seitens des Betreuers wurde<br />

verweigert. Dem D ist ein Nichterfüllungsschaden in Höhe von 2.000,-- € entstanden.<br />

Wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages konnte er das Fahrzeug nicht mit einem<br />

Gewinn von 2.000,-- € an G veräußern (30.000,-- € Kaufpreis ./. 28.000,-- €<br />

Verkehrswert).<br />

Es ist jedoch zu bedenken, dass V nicht um die fehlende Geschäftsfähigkeit <strong>und</strong><br />

damit die fehlende Vollmacht bei Abschluss des Kaufvertrages wusste. In diesen<br />

Fällen besteht nur ein Anspruch aus § 179 Abs. 2 auf das negative Interesse, das<br />

Vertrauensinteresse. Hiernach kann D verlangen so gestellt zu werden, wie er<br />

stehen würde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Kaufvertrages mit G vertraut hätte.<br />

In diesem Fall hätte er das Auto mit einem Gewinn von 4.000,-- € an den zweiten<br />

Interessenten verkauft. Der Anspruch aus § 179 Abs. 2 wird durch das<br />

Erfüllungsinteresse begrenzt. Das Erfüllungsinteresse lag bei 30.000,-- €<br />

Kaufpreiserlös <strong>und</strong> einen Gewinn von 2.000,-- €. D soll nicht besser gestellt werden,<br />

als wenn der Vertrag mit G abgewickelt worden wäre. Deshalb kann D nach § 179<br />

Abs. 2 nur einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 2.000,-- € geltend machen.<br />

4. Vertretung der Gemeinden im Privatrechtsverkehr<br />

Die Gemeinden als juristische Personen des öffentlichen Rechts können selbst nicht<br />

entscheiden <strong>und</strong> nicht handeln. Sie bedürfen im Innenverhältnis ihrer Organe zur<br />

Entscheidungsfindung. Nach § 23 GemO sind dies der Gemeinderat <strong>und</strong> der<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen<br />

Ludwigsburg<br />

46<br />

Bürgermeister. Zur Vertretung der Gemeinde im Außenverhältnis ist nach § 42 Abs. 1<br />

S. 2 GemO der Bürgermeister berufen, nicht der Gemeinderat.<br />

4.1 Vertretungsmacht des Bürgermeisters<br />

Die Vertretungsmacht des Bürgermeisters ist unabhängig davon, ob der<br />

Gemeinderat nach §§ 24, 44 GemO zur Entscheidung in dieser Angelegenheit<br />

berufen ist <strong>und</strong> wie er entschieden hat. Die Vertretungsmacht des Bürgermeisters ist<br />

im Außenverhältnis unbeschränkt <strong>und</strong> unbeschränkbar im Interesse der<br />

Rechtssicherheit <strong>und</strong> der Leichtigkeit des Rechtsverkehrs.<br />

Bei Verpflichtungsgeschäften hat der Bürgermeister § 54 GemO zu wahren. Die<br />

Verpflichtungserklärung des Bürgermeisters muss schriftlich abgegeben <strong>und</strong> von ihm<br />

handschriftlich unterzeichnet werden. Nur seine Verpflichtungserklärung bedarf der<br />

Schriftform, nicht die des Geschäftspartners. Besteht <strong>für</strong> das abzuschließende<br />

Rechtsgeschäft noch ein weiteres Formerfordernis wie § 311b, ist beiden Formerfordernissen<br />

Rechnung zu tragen.<br />

Das Schriftformerfordernis soll den Bürgermeister von übereilten <strong>und</strong> unüberlegten Entscheidungen<br />

abhalten <strong>und</strong> trägt der Klarstellungs- <strong>und</strong> Beweisfunktion Rechnung.<br />

Verpflichtungserklärungen sind Willenserklärungen, die den Zweck verfolgen, eine<br />

rechtliche Verpflichtung zu begründen wie Miet- <strong>und</strong> Kaufverträge. Keine<br />

Verpflichtungserklärungen sind hingegen Kündigung <strong>und</strong> Anfechtung, die die Lösung<br />

rechtlicher Bindungen bezwecken <strong>und</strong> allenfalls als Nebenfolge zu Rechtspflichten<br />

führen wie § 122. Nicht erfasst werden Mahnungen <strong>und</strong> Fristsetzungen.<br />

Von der Schriftform des § 54 Abs. 1 GemO kann der Bürgermeister absehen in<br />

Geschäften der laufenden <strong>Verwaltung</strong> gemäß § 54 Abs. 4 GemO. Geschäfte der<br />

laufenden <strong>Verwaltung</strong> sind regelmäßig wiederkehrende Rechtsgeschäfte, die<br />

wirtschaftlich <strong>und</strong> politisch ohne erhebliche Bedeutung <strong>für</strong> die Gemeinde sind.<br />

Bei Verstößen gegen gesetzliche Formvorschriften ordnet § 125 die Nichtigkeit des<br />

Rechtsgeschäftes an. Es stellt sich die Frage, ob § 54 GemO eine gesetzliche<br />

Formvorschrift im eigentlichen Sinne ist:<br />

Da nach Art. 74 GG dem Landesgesetzgeber die Gesetzgebungsbefugnis zu<br />

Regelungen des Bürgerlichen Rechts neben den Regelungen des <strong>BGB</strong> ermangelt,<br />

kann er keine zivilrechtlichen Formvorschriften i.S. von § 125 erlassen. Wäre § 54<br />

GemO eine zivilrechtliche Formvorschrift, wäre § 54 GemO wegen Kollision mit den<br />

Kompetenzregelungen des Verfassungsrechts nichtig.<br />

In die Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers fällt hingegen das<br />

Gemeinderecht <strong>und</strong> damit Regelungen über die Vertretung der Gemeinden. Deshalb<br />

wird § 54 Abs. 1 GemO als <strong>Teil</strong> der Vertretungsregelungen verstanden. Der<br />

Bürgermeister vertritt die Gemeinde nur wirksam, wenn er die Formvorschrift des §<br />

54 GemO wahrt:<br />

Verstößt er gegen die Formvorschrift, handelt er als Vertreter ohne<br />

Vertretungsmacht. Das Rechtsgeschäft ist schwebend unwirksam nach § 177.<br />

Durch formwahrende Genehmigung, auch Bestätigung genannt, wird das<br />

Rechtsgeschäft im Nachhinein wirksam. Erfolgt keine Genehmigung, kann der<br />

Geschäftspartner von der Gemeinde keine Erfüllung verlangen. Ein Anspruch gegen den<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


21<br />

NJW 2001 S. 2505<br />

<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen<br />

Ludwigsburg<br />

47<br />

Bürgermeister selbst aus § 179 scheidet nach dem BGH 21 aus, der auf die spezielle Konstellation des<br />

Gemeindevertretungsrechts nicht passe: § 179 schützt das Vertrauen des Vertragspartners in die –<br />

fehlende - Vertretungsmacht des Handelnden. Der handelnde Bürgermeister hat im Gr<strong>und</strong>e<br />

genommen Vertretungsmacht, nur hat er diese entgegen den Regeln des Gemeinderechts nicht<br />

richtig ausgeübt. Es kommen jedoch Ansprüche aus § 839 gegen den Bürgermeister in Betracht. Da<br />

es sich um kein hoheitliches Handeln dreht, gehen diese nicht nach Art. 34 GG auf die Gemeinde<br />

über. Die Gemeinde kann gegebenenfalls nach §§ 31, 89 <strong>für</strong> ihr Organ haften. Der Vertragspartner ist<br />

so zu stellen, wie wenn sich der Bürgermeister amtspflichtgemäß verhalten hätte.<br />

Da die Vertretung der Gemeinde nicht ständig alleine vom Bürgermeister zu<br />

bewältigen ist, sieht die GemO die Möglichkeit zur Vertretung des Bürgermeisters<br />

vor.<br />

4.2 Stellvertreter des Bürgermeisters<br />

In Gemeinden ohne Beigeordnete wird der Bürgermeister im Verhinderungsfall von<br />

seinem Stellvertreter vertreten. Der Stellvertreter wird vom Gemeinderat aus seiner<br />

Mitte bestellt. Dessen Vertretungsmacht reicht soweit wie die des Bürgermeisters<br />

aber beschränkt auf den Verhinderungsfall.<br />

Nach § 54 Abs. 2 <strong>und</strong> Abs. 4 GemO hat er Verpflichtungserklärungen ebenfalls<br />

handschriftlich zu unterzeichnen, soweit kein Geschäft der laufenden <strong>Verwaltung</strong><br />

vorliegt. Wird er außerhalb eines Verhinderungsfalles tätig oder wahrt er § 54 Abs. 2<br />

GemO nicht, handelt er als Vertreter ohne Vertretungsmacht.<br />

4.3 Beigeordnete<br />

In Gemeinden mit Beigeordneten ist der Erste Beigeordnete nach § 49 Abs. 4 S. 1<br />

GemO ständiger allgemeiner Stellvertreter des Bürgermeisters. Seine<br />

Vertretungsmacht reicht soweit wie die des Bürgermeisters <strong>und</strong> ist unabhängig von<br />

einem Verhinderungsfall. Es gilt die Schriftform des § 54 Abs. 2 <strong>und</strong> Abs. 4 GemO.<br />

Die anderen Beigeordneten vertreten den Bürgermeister in ihrem Geschäftskreis.<br />

Sind der Bürgermeister <strong>und</strong> der Erste Beigeordnete verhindert, sind sie <strong>für</strong> den<br />

Verhinderungsfall allgemeine Stellvertreter des Bürgermeisters in der vom<br />

Gemeinderat beschlossenen Reihenfolge. Für Verpflichtungserklärungen gilt die<br />

Form des § 54 Abs. 2 <strong>und</strong> Abs. 4 GemO.<br />

4.4 Beauftragung<br />

Der Bürgermeister kann nach § 53 Abs. 1 GemO Beamte <strong>und</strong> Angestellte mit seiner<br />

Vertretung in bestimmten Aufgabengebieten betrauen. Eine Beauftragung von Arbeitern<br />

kommt nicht in Betracht. Des geschieht zumeist durch den Geschäftsverteilungsplan.<br />

Nach § 54 Abs. 2 GemO können Verpflichtungserklärungen nur wirksam abgegeben<br />

werden, wenn sie von zwei vertretungsberechtigten Angestellten oder Beamten<br />

handschriftlich unterzeichnet werden. Es besteht Gesamtvertretung im Gegensatz<br />

zur bislang beschriebenen Einzelvertretung. Eine Ausnahme von diesem besonderen<br />

Unterschriftserfordernis ist zulässig nach § 54 Abs. 4 GemO, wenn<br />

- ein Geschäft der laufenden <strong>Verwaltung</strong> vorliegt oder<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen<br />

Ludwigsburg<br />

48<br />

- der Beauftragte über eine vom Bürgermeister handschriftlich unterzeichnete<br />

Vollmachtsurk<strong>und</strong>e verfügt; diese Urk<strong>und</strong>e muss dem Geschäftspartner nicht<br />

vorgelegt werden.<br />

Überschreiten die Beauftragten ihren Aufgabenbereich oder halten sie § 54 GemO<br />

nicht ein, handeln sie wiederum als Vertreter ohne Vertretungsmacht.<br />

4.5 Rechtsgeschäftlich Bevollmächtigte<br />

Der Bürgermeister kann in einzelnen Angelegenheiten nach § 53 Abs. 2 GemO<br />

sowohl Gemeindebediensteten wie Arbeitern, Angestellten oder Beamten, aber auch<br />

außenstehenden Personen – Rechtsanwalt, Architekt – eine rechtsgeschäftliche<br />

Vollmacht nach § 167 erteilen. Bei Verpflichtungserklärungen müssen die<br />

Bevollmächtigten § 54 GemO wahren. Häufig erhalten Sie eine vom Bürgermeister<br />

unterzeichnete Vollmachtsurk<strong>und</strong>e gemäß § 54 Abs. 4 GemO.<br />

VII. Fristen <strong>und</strong> Termine<br />

Fristen <strong>und</strong> Termine spielen im Privatrecht eine große Rolle. Es müssen<br />

Kündigungsfristen <strong>und</strong> Zugangsfristen berechnet werden. Der Ablauf der<br />

Verjährungsfrist entzieht mancher Forderung den Boden. Der Ablauf einer<br />

Ausschlussfrist wie §§ 121, 124 bringt eine Recht zum Erlöschen.<br />

Es kommt hinzu, dass die Fristenberechnung nach <strong>BGB</strong> Vorbildfunktion hat <strong>für</strong> die<br />

Berechnung verfahrensrechtlicher Fristen. § 222 ZPO <strong>und</strong> § 57 Abs. 2 VwGO <strong>und</strong> §<br />

31 VwVfG verweisen bei der Fristenberechnung weithin auf die Regeln des <strong>BGB</strong>. 22<br />

1. Berechnung von Fristen <strong>und</strong> Terminen<br />

Das <strong>BGB</strong> enthält in §§ 186 ff eine Reihe von Auslegungsvorschriften <strong>für</strong> die<br />

Berechnung von Fristen <strong>und</strong> Terminen.<br />

Das Gesetz unterscheidet zwischen 2 Fristentypen<br />

- Ereignisfristen, die ab einem Ereignis laufen ab Zugang, Mitteilung,<br />

Schadensereignis wie die Klagefrist des § 74 VwGO <strong>und</strong><br />

- Tagesbeginnfristen, die mit dem Anfang eines Tages zu laufen beginnen ab<br />

Montag, ab dem 01. 01.<br />

Der Unterschied ist wichtig <strong>für</strong> die Berechnung von Tagesfristen nach § 187 Abs. 1:<br />

- bei der Ereignisfrist läuft die Tagesfrist erst ab dem folgenden Tag<br />

- die Tagesbeginnfrist läuft bereits ab diesem Tag<br />

Besteht eine 3tägige Überlegungsfrist ab Zugang – einem Ereignis - am Montag dem 01. Februar<br />

endet diese am Donnerstag dem 04. Februar. Wurde hingegen bestimmt, dass die 3tägige<br />

22 U.Schroeter: Die Fristenberechnung im Bürgerlichen Recht, JuS 2007 S. 29 ff.<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


23<br />

BGH NJW-RR 2004 S. 164<br />

<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen<br />

Ludwigsburg<br />

49<br />

Überlegungsfrist ab 01. 02. zu laufen beginnen solle, endet diese Tagesbeginnfrist mit Mittwoch dem<br />

03. Februar.<br />

Der Unterschied zwischen Ereignis- <strong>und</strong> Tagesbeginnfristen ist weiter relevant <strong>für</strong> die<br />

Berechung von Wochen-, Monats- <strong>und</strong> Jahresfristen:<br />

- Ereignisfristen enden nach §§ 188 Abs. 1, 1. HS., 187 Abs. 1 mit Ablauf des<br />

Tages, der nach Ablauf des fraglichen Zeitraums dieselbe Bezeichnung wie<br />

der Ereignistag trägt.<br />

- Tagesbeginnfristen enden hingegen bereits am Vortag des relevanten Tages<br />

<strong>und</strong> damit einen Tag früher als bei Ereignisfristen. Begann ein 3jähriger Mietvertrag<br />

am 01. Februar 2000 zu laufen, endet er am 31. Januar 2003; die Auslegungsfrist des § 3<br />

Abs. 2 BauGB<br />

Endet eine Frist an einem Sonnabend, Sonntag oder Feiertag, dann können<br />

Willenserklärungen <strong>und</strong> Leistungen noch fristwahrend am nächsten Werktag nach §<br />

193 abgegeben werden. Die Regelung dient der Wahrung der Wochenend- <strong>und</strong><br />

Feiertagsruhe. Die Regelung gilt nur <strong>für</strong> Feiertage nach B<strong>und</strong>es- oder Landesrecht.<br />

Sie gilt nicht <strong>für</strong> Tage, an denen weite <strong>Teil</strong>e der Wirtschaft <strong>und</strong> Behörden ohnehin nicht arbeiten wie<br />

Silvester, Heiligabend.<br />

Diese Regelung erfasst Kündigungen nicht. Aus Gründen der Rechtssicherheit muss<br />

die Kündigung am letzten Tag der Frist erfolgen unabhängig davon, ab dieser ein<br />

Sonnabend, Sonn- oder Feiertag ist.<br />

2. Die Verjährung<br />

Die §§ 194 ff regeln die Verjährung von Ansprüchen. Gr<strong>und</strong>sätzlich verjähren alle<br />

Ansprüche nach Ablauf einer bestimmten Frist. Da weithin nur Ansprüche nicht aber auch<br />

sonstige Rechte wie Herrschafts- <strong>und</strong> Gestaltungsrechte der Verjährung unterfallen, wird in § 218 die<br />

Auswirkung der Verjährung auf Gestaltungsrechte wie Rücktritt <strong>und</strong> Minderung gesondert geregelt.<br />

Die Verjährung gibt dem Schuldner eine Einrede. Er ist nach § 214 berechtigt die<br />

Leistung dauernd zu verweigern. Der verjährte Anspruch bleibt als solcher bestehen,<br />

er erlischt nicht. Er kann jedoch nicht mehr gerichtlich geltend gemacht werden<br />

entgegen der Einrede des Schuldners. Im Zivilprozess wird die Verjährung nur auf<br />

die – zumindest schlüssige - Einrede des Schuldners hin beachtet. Die Verjährung<br />

begründet ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners. Die Einrede der<br />

Verjährung kommt in einem Rechtsstreit vor Gericht nur zum Zuge, wenn der Schuldner sich auf die<br />

Verjährung beruft. Im Gegensatz zu Einwendungen, werden Einreden vor Gericht nur berücksichtigt,<br />

wenn der Schuldner die Einrede erhebt. Es genügt nicht, wenn die die Einrede begründenden<br />

Tatsachen dem Gericht aus dem Vorbringen der Parteien ersichtlich sind, ohne dass die Einrede<br />

geltend gemacht wird.<br />

Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 42 ZPO abgelehnt werden, wenn er den<br />

Beklagten darauf hinweist „Der Anspruch ... dürfte verjährt sein, wenn der Beklagte die Einrede der<br />

Verjährung erhebt...“ 23<br />

Die Verjährung ist von Ausschlussfristen zu unterscheiden. Bei einer Ausschlussfrist<br />

wie § 121 erlischt mit Ablauf der Frist das Recht. Ausschlussfristen gelten vor allem<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


<strong>für</strong> Gestaltungsrechte wie §§ 121, 124 <strong>und</strong> sind als rechtsvernichtende<br />

Einwendungen ausgestaltet.<br />

<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>Verwaltung</strong> <strong>und</strong> Finanzen<br />

Ludwigsburg<br />

50<br />

Wurde <strong>für</strong> den verjährten Anspruch eine Sicherheit bestellt, kann trotz der Verjährung<br />

des Anspruchs nach § 216 Befriedigung aus der Sicherheit verlangt werden. Wurde <strong>für</strong><br />

ein Darlehen eine Sache als Pfand hingegeben, kann der Pfandgegenstand verwertet werden, auch<br />

wenn der Darlehensanspruch verjährt ist. Sind Schuldner <strong>und</strong> Sicherungsgeber personenverschieden,<br />

so haftet der Sicherungsgeber im Ergebnis länger als der Schuldner.<br />

Trotz der Verjährung eines Anspruchs kann nach § 215 mit diesem noch<br />

aufgerechnet werden oder daraus ein Zurückbehaltungsrecht nach §§ 273, 320<br />

hergeleitet werden. Diese Befugnis setzt voraus, dass der Anspruch in dem Zeitpunkt<br />

noch nicht verjährt war, als die Aufrechnung oder das Zurückbehaltungsrecht<br />

erstmals hätten geltend gemacht werden können.<br />

2.1 Die Verjährungsfrist<br />

Die Verjährung steht im Dienst der Rechtssicherheit <strong>und</strong> des Rechtsfriedens.<br />

Geschäfte sollen schnell abgewickelt werden. Mit zunehmendem Zeitablauf fällt es<br />

schwerer, Ansprüche zu beweisen <strong>und</strong> umgekehrt sich gegen Ansprüche zu<br />

verteidigen. Gleichwohl sind nach § 202 Abs. 2 verjährungsverlängernde Vereinbarungen bis zu<br />

einer Dauer von 30 Jahren zulässig.<br />

a. Die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 beträgt 3 Jahre. Zu dieser Regel gibt<br />

es eine Vielzahl von Ausnahmen:<br />

b. So verjähren Ansprüche auf die Verschaffung, Änderung oder Aufhebung von<br />

Rechten an einem Gr<strong>und</strong>stück nach § 196 in 10 Jahren. Hierzu zählt der<br />

Eigentumsübertragungsanspruch aus § 433 Abs. 1. Gerade beim Kauf noch nicht vermessener<br />

Gr<strong>und</strong>stücke kann sich eine erhebliche Verzögerung bis zur Eintragung des Erwerbers im Gr<strong>und</strong>buch<br />

ergeben.<br />

Der 10-jährigen Verjährungsfrist unterfallen auch die Ansprüche auf die<br />

Gegenleistung wie Kaufpreiszahlung.<br />

c. Eine 30jährige Verjährungsfrist gilt nach § 197 <strong>für</strong> Ansprüche auf Herausgabe aus<br />

Eigentum <strong>und</strong> anderen dinglichen Rechten wie § 985. Nicht darunter fallen Ansprüche auf<br />

Unterlassung oder Beseitigung aus § 1004 u.a. Die lange Verjährungsfrist war in Anbetracht<br />

des Art. 14 GG erforderlich, damit das Eigentum nicht schon nach wenigen Jahren<br />

wertlos würde.<br />

d. Familien- <strong>und</strong> erbrechtliche Ansprüche verjähren nach § 197 Abs. 1 Nr. 2 in 30<br />

Jahren. Bei diesen lassen sich die maßgeblichen Verhältnisse oftmals erst nach<br />

langer Zeit feststellen. Hingegen gilt nach § 197 Abs. 2 <strong>für</strong> regelmäßig<br />

wiederkehrende familienrechtliche Ansprüche wie Unterhaltsleistungen die<br />

regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195.<br />

e. Die 30 jährige Verjährungsfrist gilt <strong>für</strong> rechtskräftig festgestellte Ansprüche mit<br />

Ausnahme wieder der regelmäßig wiederkehrenden zukünftigen Ansprüche.<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


f. Im besonderen <strong>Teil</strong> des <strong>BGB</strong> gibt es noch eine Vielzahl abweichender<br />

Verjährungsbestimmungen, die der allgemeinen Regel des § 195 vorgehen. Nach §<br />

438 verjähren Ansprüche wegen mangelhafter Kaufsache in der Regel nach 2 Jahren. Für<br />

Mängelansprüche gibt es im Werkvertragsrecht, § 634 a, gestaffelte Verjährungsfristen; <strong>für</strong><br />

Baumängel gilt eine 5-jährige Verjährungsfrist. Ersatzansprüche des Vermieters wegen<br />

Veränderungen oder Verschlechterung der Mietsache verjähren in 6 Monaten ab Rückgabe der<br />

Mietsache durch den Mieter nach § 548.<br />

24<br />

Subjektives System<br />

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Ludwigsburg<br />

51<br />

Nach dem Gr<strong>und</strong>satz der Privatautonomie können über die Dauer der Verjährung<br />

Vereinbarungen abgeschlossen werden:<br />

- Verjährungserleichterungen sind zulässig. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />

unterliegen sie den Grenzen der §§ 309 Nr. 7 a <strong>und</strong> b, 8 b ee <strong>und</strong> ff, 307. Unwirksam ist die<br />

Verjährungserleichterung bei Lieferung neuer mangelhafter Sachen.<br />

- Jedoch darf nach § 202 die Verjährung wegen einer Haftung aus Vorsatz nicht<br />

im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. Ansonsten bestünde die<br />

Gefahr, dass § 276 Abs. 3 ausgehöhlt würde, wonach die Haftung wegen<br />

Vorsatzes nicht im Voraus erlassen werden kann.<br />

- Verjährungsfristen können auch verlängert werden. Nach § 202 Abs. 2 darf die<br />

vereinbarte Verjährungsfrist nicht mehr als 30 Jahre betragen. Diese Vorschrift<br />

bezieht sich nur auf verjährbare Ansprüche. Soweit ein Anspruch nicht<br />

verjährbar ist, kann er durch Vereinbarung nicht der Verjährung unterstellt<br />

werden.<br />

- Beim Verbrauchsgüterkauf sind nach § 475 Abs. 2 Verjährungserleichterungen<br />

bei Lieferung neuer Sachen weitestgehend ausgeschlossen <strong>und</strong> können bei<br />

Lieferung gebrauchter Sachen nicht kürzer als ein Jahr sein.<br />

Für die Verjährungsfrist sind nicht nur die Dauer der Frist sondern auch die<br />

Bestimmung des Anfangs <strong>und</strong> des Endes maßgeblich.<br />

2.2 Der Beginn der Verjährung<br />

Der Beginn der regelmäßigen 3-jährigen Verjährungsfrist des § 195 bestimmt sich<br />

nach § 199 Abs. 1. Die Frist beginnt zu laufen<br />

- zum Schluss des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden ist <strong>und</strong><br />

- der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen <strong>und</strong> der<br />

Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte<br />

erlangen können.<br />

Damit begründet § 199 Abs. 1 ein subjektives Verjährungsregime.<br />

Gr<strong>und</strong>satz der Erkennbarkeit <strong>für</strong> den Verjährungsbeginn 24<br />

Die Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 beginnt erst mit dem Schluss des Jahres zu<br />

laufen, in dem der Anspruch entstanden ist <strong>und</strong> die erforderliche Kenntnis vorlag.<br />

Entstanden ist ein Anspruch, wenn er fällig ist. Der Fristbeginn wurde auf das<br />

Jahresende verlegt, um eine permanente <strong>und</strong> damit kostenintensive Fristenkontrolle<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


zu vermeiden. Des weiteren muss im Regelfall nicht auf den Tag genau bestimmt<br />

werden, wann der Gläubiger Kenntnis erhielt oder hätte erlangen können. Es wird<br />

von einer Ultimo-Verjährung gesprochen.<br />

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52<br />

Der Beginn der Verjährung nach § 199 Abs. 1 setzt die Entstehung des Anspruchs<br />

voraus. Der Anspruch entsteht regelmäßig mit seiner Fälligkeit.<br />

Bei Schadensersatzansprüchen kommt nach dem Gr<strong>und</strong>satz von der<br />

Schadenseinheit ein früherer Beginn in Frage. Der Gr<strong>und</strong>satz besagt, dass ein<br />

Schadensersatzanspruch auch hinsichtlich der noch nicht eingetretenen Schäden mit<br />

der Verwirklichung des ersten Schadenspostens entstanden ist, soweit die später zu<br />

Tage getretenen Schadenselemente eine vorhersehbare Folge des<br />

Schadensgeschehens waren. Würde man hier auf die Fälligkeit abstellen, würden die<br />

Schadenspositionen abhängig vom Auftreten des Schadens uneinheitlich verjähren.<br />

Der Verjährungsbeginn ist kenntnisabhängig. § 199 Abs. 1 ist regelmäßig erfüllt,<br />

wenn der Gläubiger positive Kenntnis hat oder sich die erforderliche Kenntnis ohne<br />

weiteres hätte beschaffen können. Entscheidend ist der Zeitpunkt, in welchem der<br />

Gläubiger seine grob fahrlässige Unkenntnis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge<br />

frühestens hätte beseitigen können. Erforderlich ist die Kenntnis von Namen <strong>und</strong><br />

Anschrift des Schuldners.<br />

Der Schuldner, der den Eintritt der Verjährung behauptet, trägt die Beweislast <strong>für</strong> den<br />

Eintritt der Verjährung. Der subjektive kenntnisabhängige Fristenbeginn führt <strong>für</strong> den<br />

Schuldner zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit. Er weiß regelmäßig nicht, wann<br />

der Gläubiger die Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.<br />

Da der Beginn der Verjährung von der Kenntnis über die Person des Schuldners<br />

abhängig ist, würden Ansprüche aus einem Verkehrsunfall mit anschließender<br />

Unfallflucht niemals verjähren, wenn dem Gläubiger die Person des Schuldners<br />

unbekannt bliebe. Zur Vermeidung einer Unverjährbarkeit begründen § 199 Abs. 2<br />

bis 4 Verjährungshöchstfristen.<br />

a. Bei Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Lebens, des Körpers, der<br />

Ges<strong>und</strong>heit oder der Freiheit gilt eine 30-jährige Verjährungsfristhöchstfrist nach §<br />

199 Abs. 2 von dem schadensauslösenden Ereignis ab, die unabhängig von der<br />

Schadensentstehung <strong>und</strong> der Kenntnis eintritt. Die 30-jährige Verjährungshöchstfrist<br />

gilt <strong>für</strong> alle vertraglichen <strong>und</strong> außervertraglichen Schadensersatzansprüche.<br />

b. § 199 Abs. 3 Nr. 1 sieht <strong>für</strong> sonstige Schadensersatzansprüche eine<br />

Verjährungshöchstfrist ohne Rücksicht auf die Kenntnis von 10 Jahren ab<br />

Entstehung vor. Zu diesen sonstigen Schadensersatzansprüchen können solche aus<br />

Verletzung des Eigentums oder reine Vermögensschäden zählen.<br />

Ohne Rücksicht auf Kenntnis <strong>und</strong> Entstehung verjähren sonstige<br />

Schadensersatzansprüche nach § 199 Abs. 3 Nr. 2 in einer Verjährungshöchstfrist<br />

von 30 Jahren. Diese Frist ist bedeutsam <strong>für</strong> unvorhersehbare künftige Schäden.<br />

Bei einem Fehler des Notars bei der Testamentsgestaltung, die erst mit Eintritt des Erbfalls zu einem<br />

Schaden führt, können zwischen der Pflichtverletzung <strong>und</strong> der Schadensentstehung ohne weiteres<br />

mehr als 30 Jahre liegen.<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

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Stand 02-2011


Für sonstige Schadensersatzansprüche kann folglich<br />

- § 199 Abs. 3 Nr. 1: 10 Jahre ab Entstehung oder<br />

- § 199 Abs. 3 Nr. 2: 30 Jahre nach dem schadensauslösenden Ereignis<br />

zur Anwendung kommen. Es ist dann auf diejenige der beiden Fristen abzustellen,<br />

die früher abgelaufen ist.<br />

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53<br />

Hat der Anwalt dem Erblasser am 15. 3. 2002 einen fehlerhaften Testamentsentwurf verfasst, den der<br />

Erblasser seinem handschriftlichen Testament zugr<strong>und</strong>e legt <strong>und</strong> stirbt der Erblasser am 1. 10. 2033,<br />

so verjähren die Schadensersatzansprüche aus<br />

- § 199 Abs. 3 Nr. 1 mit Ablauf des 1. 10. 2043, also 10 Jahre nach Entstehung der<br />

Schadensersatzansprüche; diese sind mit dem Todesfall im Jahr 2033 entstanden<br />

- § 199 Abs. 3 Nr. 2 mit Ablauf des 15. 3. 2032, also 30 Jahre nach der schadensstiftenden<br />

Handlung, die am 15. 3. 2002 sich ereignet hat.<br />

Gemäß § 199 Abs. 3 S. 2 ist auf den früheren Verjährungseintritt im Jahre 2032 abzustellen. 25<br />

Aus der unterschiedlichen Regelung der Schadensersatzansprüche in § 199 Abs. 2<br />

<strong>und</strong> Abs. 3 kann sich die Situation ergeben, dass aus derselben unerlaubten<br />

Handlung resultierende Ansprüche je nach Art des verletzten Rechtsguts zu<br />

unterschiedlichen Zeitpunkten verjähren. Herr A wird im Jahr 2002 von einem unbekannten<br />

Radfahrer angefahren. Er erleidet einen Sach- <strong>und</strong> Personenschaden. Im Jahr 2015 wird die Person<br />

des Schädigers bekannt. Nach §§ 195, 199 Abs. 1 würde die Verjährungsfrist erst mit Ablauf des<br />

Jahrs der Kenntnisnahme zu laufen beginnen. Ein anderes kann sich aus den Höchstfristen <strong>für</strong><br />

Schadensersatzansprüche des § 199 Abs. 2 <strong>und</strong> Abs. 3 ergeben. Für den Körperschaden gilt nach §<br />

199 Abs. 2 eine Höchstfrist ab der Entstehung von 30 Jahren. Diese Höchstfrist ist 2015 noch nicht<br />

abgelaufen. Für den Sachschaden gilt nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 ab Entstehung des Schadens eine<br />

Höchstfrist von 10 Jahren. Diese war im Jahr 2015 bereits verstrichen. Die längere 30jährige<br />

Höchstfrist <strong>für</strong> den Sachschaden nach § 199 Abs. 3 Nr. 2 tritt nach § 199 Abs. 3 S. 2 hinter der früher<br />

endenden Frist zurück. 26<br />

c. Nach § 199 Abs. 4 verjähren Ansprüche, die keine Schadensersatzansprüche sind<br />

in einer Höchstfrist von 10 Jahren von ihrer Entstehung an.<br />

d. Für diese Verjährungshöchstfristen gilt anders als bei § 199 Abs. 1 keine Ultimo-<br />

Verjährung. Bei Verjährungshöchstfristen ist der Verjährungsbeginn auf den Tag<br />

genau zu bestimmen.<br />

Liegt kein Fall der regelmäßigen 3- jährigen Verjährungsfrist nach § 195 vor, sondern<br />

gilt eine andere Verjährungsfrist wie §§ 196, 197 so beginnt die Verjährungsfrist nach<br />

§ 200 mit der Fälligkeit des Anspruchs zu laufen. § 199 kommt auf diese Fälle nicht zur<br />

Anwendung. Die Verjährung läuft taggenau <strong>und</strong> nicht nach dem Ultimo-prinzip.<br />

Die 30jährige Verjährungsfrist des § 197 Abs. 1 Nr. 3 <strong>für</strong> rechtskräftig festgestellte<br />

Ansprüche beginnt nach § 201 mit der Rechtskraft zu laufen.<br />

2.3 Hemmung<br />

Es gibt Ereignisse, die den Ablauf einer Verjährungsfrist beeinflussen. Der Gläubiger<br />

hat es nicht immer in der Hand, die Anspruchsdurchsetzung zu steuern <strong>und</strong> er bedarf<br />

25 Beispiel nach Mansel, Hans-Peter: Die Neuregelung des Verjährungsrechts, NJW 2002 S. 89, 93.<br />

26 Beispiel nach Luther, Andersen (Hrsg.): Die Schuldrechtsreform, 2001 S. 19.<br />

<strong>Skript</strong><br />

<strong>BGB</strong> AT<br />

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig<br />

Stand 02-2011


des Schutzes gegen den Ablauf der Verjährung. Dies kann durch Hemmung,<br />

Ablaufhemmung oder Neubeginn der Verjährung geschehen.<br />

Bei der Hemmung der Verjährung wird der Ablauf der Verjährungsfrist durch ein<br />

Ereignis vorübergehend ausgesetzt. Anschließend läuft die Verjährungsfrist weiter.<br />

27<br />

BGH NJW 1986 S. 1337.<br />

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54<br />

Eine Hemmung der Verjährung tritt nach § 203 ein, wenn zwischen dem Schuldner<br />

<strong>und</strong> dem Gläubiger des Anspruchs Verhandlungen über diesen schweben. Es ist<br />

nicht angebracht laufende Verhandlungen unter den Zeitdruck des Ablaufs der<br />

Verjährungsfrist zu stellen. Es genügt jeder Meinungsaustausch über die<br />

Angelegenheit, solange nicht der Schuldner offensichtlich von vornherein jegliche<br />

Ersatzpflicht bestreitet <strong>und</strong> Verhandlungen darüber ablehnt. Die Hemmung endet,<br />

wenn eine Seite die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Schlafen die<br />

Verhandlungen lediglich ein, so endet die Hemmung in dem Zeitpunkt, in dem der<br />

nächste Schritt nach Treu <strong>und</strong> Glauben zu erwarten gewesen wäre. 27 Da das Ende<br />

der Verhandlungen <strong>für</strong> den Gläubiger überraschend eintreten kann, sieht § 203 S. 2<br />

eine Ablaufhemmung vor: Frühestens drei Monate nach dem Ende der<br />

Verhandlungen kann Verjährung eintreten. Treten die Parteien gerade zwei Monate vor<br />

Ablauf der Verjährung in Verhandlungen ein, würden nach Abbruch der Verjährung gerade die zwei<br />

von der Verjährungsfrist noch verbliebenen Monate laufen <strong>und</strong> sodann die Verjährung eintreten.<br />

Durch die Ablaufhemmung laufen noch drei Monate <strong>und</strong> der Gläubiger hat Zeit, um sich weitere<br />

Schritte zu überlegen.<br />

Nach § 204 tritt eine Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung in einem<br />

förmlichen Verfahren - wie Klageerhebung oder Einleitung des gerichtlichen<br />

Mahnverfahrens - ein. Die Regelung des § 204 <strong>für</strong> den Fall der Klageerhebung ist<br />

neben der 30jährigen Verjährungsfrist des § 197 Abs. 1 Nr. 3 <strong>für</strong> rechtskräftig<br />

festgestellte Ansprüche bedeutsam, wenn das Verfahren einschläft oder eine<br />

Klagerücknahme erfolgt <strong>und</strong> es deshalb zu keiner rechtskräftigen Entscheidung<br />

kommt.<br />

Gemäß § 204 Abs. 2 endet die Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung<br />

nach 6 Monaten nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen<br />

Erledigung des Verfahrens.<br />

Zu einer weiteren Hemmung der Verjährung führen<br />

- § 205 ein vereinbartes Leistungsverweigerungsrecht wie eine St<strong>und</strong>ung;<br />

- § 206 die Hinderung des Gläubigers an der Rechtsverfolgung durch höhere<br />

Gewalt;<br />

- § 207 die Hemmung der Verjährung aus familiären Gründen wie der Bestand<br />

einer Ehe, einer Lebenspartnerschaft oder zwischen Eltern <strong>und</strong> Kindern<br />

während der Minderjährigkeit;<br />

- § 208 bei Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung bis<br />

zur<br />

Vollendung des 21. Lebensjahres des Gläubigers.<br />

Die praktische Bedeutung des § 205 wird gering sein. Eine anfängliche St<strong>und</strong>ung ist als Bestimmung<br />

eines Fälligkeitstermins zu verstehen <strong>und</strong> bei der Bestimmung des Verjährungsbeginns bedeutsam<br />

<strong>und</strong> vermag diesen hinauszuschieben. Eine nachträgliche St<strong>und</strong>ung bedeutet ein Anerkenntnis nach §<br />

<strong>Skript</strong><br />

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55<br />

212 <strong>und</strong> führt zu einem Neubeginn der Verjährung. Für § 205 bleibt der Fall, dass der Gläubiger trotz<br />

Bestreitens der Forderung durch den Schuldner die bestrittene Forderung dem Schuldner st<strong>und</strong>et.<br />

Ist eine Hemmung der Verjährung eingetreten, wird der Zeitraum, währenddessen<br />

die Verjährung gehemmt ist nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet gemäß § 209.<br />

Davon zu unterscheiden ist die Ablaufhemmung nach<br />

- § 204 Abs. 2 Hemmung durch Rechtsverfolgung<br />

- § 210 bei nicht voll Geschäftsfähigen<br />

- nach § 211 in Nachlassfällen.<br />

Bei der Ablaufhemmung endet die Hemmung nicht schon mit Wegfall des<br />

Hindernisses sondern erst nach sechs Monaten seit Behebung des Hindernisses. An<br />

die Hemmung ist folglich eine Ablaufhemmung angeknüpft. Der Verjährungseintritt<br />

soll nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt liegen. Dem Gläubiger verbleibt somit nach<br />

Wegfall des Gr<strong>und</strong>es <strong>für</strong> die Hemmung noch eine Mindestfrist zur Einleitung weiterer<br />

Rechtsverfolgungsmaßnahmen, die nicht vom Ablauf der Verjährung bedroht sind.<br />

V <strong>und</strong> K schließen im Februar 2002 einen Kaufvertrag. V erhebt am 30. 12. 2005 ein Klage auf<br />

Leistung des offenen Kaufpreises. Er nimmt die Klage am 15. 03. 2006 wieder zurück. Am 15. 08.<br />

2006 klagt er erneut. Der Kaufpreisanspruch wäre nach §§ 195, 199 Abs. 1 in 3 Jahren ab<br />

Vertragsschluss verjährt. Die Verjährung beginnt mit Jahresende des Vertragsabschlusses zu laufen.<br />

Die Verjährungsfrist wäre hiernach am 31. 12. 2005 abgelaufen. Sie wurde rechtzeitig durch<br />

Klageerhebung am 30. 12. 2005 nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 gehemmt. Die Hemmung endete nach § 204<br />

Abs. 2 erst 6 Monate nach Beendigung des Verfahrens. Das Verfahren endete am 15. 03. 2006 <strong>und</strong><br />

die Ablaufhemmung dauerte noch bis zum 15. 09. an. Damit wurde die zweite Klage noch rechtzeitig<br />

vor Ablauf der Verjährungsfrist erhoben. Der Anspruch war bei Klagerhebung noch nicht verjährt.<br />

2.4 Neubeginn<br />

Weitreichender als die Hemmung der Verjährung ist nach § 212 der Neubeginn der<br />

Verjährung. Beim Neubeginn beginnt die Verjährungsfrist erneut von Anfang an zu<br />

laufen, wenn<br />

- der Schuldner die Schuld anerkannt hat oder<br />

- eine Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird.<br />

Der Neubeginn der Verjährung setzt voraus, dass die erste Verjährungsfrist noch<br />

nicht abgelaufen ist. Der Schuldner einer Kaufpreisforderung will den Gläubiger bewegen, im die<br />

Forderung zu st<strong>und</strong>en. Der Gläubiger lehnt dies ab <strong>und</strong> fordert unverzügliche Zahlung. Nun erbringt<br />

der Schuldner, ohne dass dies vereinbart wurde, Abschlagszahlungen. Sowohl das St<strong>und</strong>ungsgesuch<br />

wie die Abschlagszahlungen stellen ein Anerkenntnis der Forderung dar <strong>und</strong> führen jedes Mal zu<br />

einem Neubeginn der Verjährungsfrist.<br />

3. Die Verwirkung<br />

Die Verjährung ist von der Verwirkung zu unterscheiden. Wie bei den<br />

Ausschlussfristen führt auch die Verwirkung zum Untergang des Anspruchs. Dies<br />

unterscheidet beide von der Verjährung, bei der der Anspruch nicht untergeht. Der<br />

verjährte Anspruch kann nicht mehr vor Gericht eingeklagt werden, wenn sich der<br />

Schuldner darauf beruft. Hingegen stellt die Verwirkung eine inhaltliche Begrenzung<br />

des Rechts dar <strong>und</strong> ist als rechtsvernichtenden Einwendung von Amts wegen zu<br />

beachten.<br />

<strong>Skript</strong><br />

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Die Verwirkung leitet sich aus § 242 her – dem Verbot rechtsmissbräuchlichen<br />

Verhaltens als Unterfall einer unzulässigen Rechtsausübung. 28 Ein Anspruch geht<br />

hiernach unter, wenn er<br />

- längere Zeit nicht geltend gemacht wurde <strong>und</strong><br />

- der Gläubiger durch sein Verhalten den Anschein erweckt, er lege auf den<br />

Anspruch keinen Wert mehr.<br />

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56<br />

Alleine durch Zeitablauf tritt keine Verwirkung ein. Es muss neben das Zeitmoment<br />

noch das Umstandsmoment hinzutreten. Im Schuldner muss durch das tatsächliche<br />

Verhalten des Gläubigers Vertrauen darauf geweckt worden sein, dass der Gläubiger<br />

sein Recht nicht mehr ausüben werde. Der Zeitablauf kann um so kürzer sein, je<br />

gravierender die Umstandsmomente sind <strong>und</strong> umgekehrt.<br />

Soweit kurze Verjährungsfristen gelten, kommt die Verwirkung regelmäßig nicht zur<br />

Anwendung. Der Mieter zahlt anstelle der vereinbarten Miete von € 438,-- zwei Jahre lang nur eine<br />

Miete von € 435,--. Der Vermieter hat diese Zahlungen niemals beanstandet, weshalb beim Mieter der<br />

Eindruck entstehen konnte, der Vermieter sei mit dieser Abr<strong>und</strong>ung einverstanden. Der<br />

Nachzahlungsanspruch ist verwirkt.<br />

Fall: Tunnelröhre 29<br />

Von der Baufirma Bauer (B) im Jahr 2002 nachlässig <strong>und</strong> unsachgemäß ausgeführte<br />

Arbeiten beim Bau einer U-Bahn-Tunnelröhre führen im Jahr 2035 zum Absinken des<br />

Gr<strong>und</strong>es in der näheren Umgebung der Tunnelröhre. Das Haus des Herrn<br />

Hausmann (H) sinkt ab <strong>und</strong> stürzt ein. Jetzt erst werden die Mängel beim Tunnelbau<br />

bekannt.<br />

Hat H gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz, den er 2035 noch geltend<br />

machen kann?<br />

Lösung:<br />

Der Anspruch könnte sich aus § 823 Abs. 1 ergeben. B hat durch die unsachgemäß<br />

ausgeführten Arbeiten eine adäquate Ursache <strong>für</strong> die spätere Eigentumsverletzung<br />

des H gesetzt. Die Rechtswidrigkeit ist indiziert. In Anbetracht der erwähnten<br />

Nachlässigkeit ist von fahrlässigem Verhalten auszugehen. Es ist ein<br />

Schadensersatzanspruch nach §§ 249 ff entstanden.<br />

B könnte nach § 214 Abs. 1 zur Erhebung der Verjährungseinrede berechtigt sein.<br />

Es gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren nach § 195. Nach dem<br />

subjektiven Verjährungsregime des § 199 Abs. 1 hätte die Frist erst mit Ende des<br />

Jahres 2035 zu laufen begonnen, weil erst im Jahr 2035 Kenntnisnahme der<br />

anspruchsbegründenden Tatsachen nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 möglich war.<br />

Dem könnte der Ablauf einer Höchstfrist nach § 199 Abs. 3 entgegenstehen.<br />

a. Ohne Rücksicht auf die Kenntnisnahme von den anspruchsbegründenden<br />

Tatsachen beträgt nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 die Höchstfrist 10 Jahre ab<br />

28 BGH NJW 2006 S. 219<br />

29 Beispiel nach Marx, Claudius/Wenglorz, Georg: Schuldrechtsreform 2002, 2001, S. 21.<br />

<strong>Skript</strong><br />

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57<br />

Schadensentstehung. Diese 10jährige Höchstfrist hätte erst im Jahr 2035 zu<br />

laufen begonnen <strong>und</strong> würde erst im Jahr 2045 ablaufen.<br />

b. Die 30jährige Höchstfrist des § 199 Abs. 3 Nr. 2 beginnt ohne Rücksicht auf<br />

die Schadensentstehung <strong>und</strong> die Kenntnis mit dem Schaden auslösenden<br />

Ereignis zu laufen. Das Schaden auslösende Ereignis ist in den unsachgemäß<br />

erfolgten Arbeiten im Jahr 2002 zu sehen. Die 30jährige<br />

Verjährungshöchstfrist ist im Jahr 2035 bereits abgelaufen.<br />

Nach § 199 Abs. 3 S. 1 ist die früher endende Frist aus § 199 Abs. 3 Nr. 2<br />

maßgebend. Die Schadensersatzansprüche sind bereits verjährt.<br />

VIII. Anhang: Übungsfälle zum Selbststudium<br />

1. Schwarzweiß e.V.<br />

Der reiche aber kinderlose E will, dass nach seinem Tode auf seinem Gr<strong>und</strong>stück ein<br />

Tennisplatz errichtet werden soll mit Mitteln aus seinem Vermögen. Der Platz soll<br />

seinem Tennisclub Schwarzweiß e.V ausschließlich <strong>und</strong> auf Dauer zur Verfügung<br />

stehen. Kann er in seinem Testament dem Gr<strong>und</strong>stück sein Barvermögen zu diesem<br />

Zweck vermachen?<br />

2. H<strong>und</strong>e<br />

Die A züchtet Rottweiler. Sie hat 5 hochprämierte, wertvolle Zuchttiere. Nach 10<br />

Jahren will sie erstmals wieder eine Urlaubsreise machen. Sie möchte eine 6wöchige<br />

Australienr<strong>und</strong>reise - Kosten € 10.000.- - buchen. Da sie die Tiere in keiner<br />

Tierpension unterbringen kann, bittet sie ihren Bruder B, während ihrer Reise, die<br />

Pflege <strong>und</strong> Betreuung der Tiere zu übernehmen. Ohne diese Hilfeleistung kann sie<br />

die Reise nicht antreten. B sagt ihr die Betreuung der H<strong>und</strong>e während der gesamten<br />

Reisedauer zu. A bucht hierauf die Reise. Eine Woche vor Reiseantritt teilt B mit, er<br />

habe keine Lust, seine wertvolle Zeit mit diesen ewig hungrigen <strong>und</strong> sappernden<br />

Viechern zu verbringen.<br />

A will wissen, ob sie von ihrem Bruder die zugesagte Betreuung der H<strong>und</strong>e rechtlich<br />

verlangen kann.<br />

3. Schwarzer Mercedes<br />

A ist Inhaber eines stolzen Mercedes Baujahr 1968, genannt Kanzlerlimousine,<br />

Farbe dunkelblau, den er neu lackieren lassen möchte. Er begibt sich mit dem Pkw<br />

zur Autolackiererei des K <strong>und</strong> fragt diesen, was eine Neulackierung – Farbe Gold –<br />

koste.<br />

K antwortet: € 3.000,--.<br />

<strong>Skript</strong><br />

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Darauf A: Und schwarz?<br />

K: € 2.000 ,--.<br />

A: Also gut.<br />

Als A eine Woche später sein Auto mit einer schönen schwarzen Lackierung<br />

versehen auf dem Hof des K erblickt, ist er entsetzt.<br />

Kann K € 2.000,-- fordern?<br />

4. Kündigung mit Tücken<br />

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A ist seit vielen Jahren im Betrieb des B als Buchhalter beschäftigt. A ist sehr fähig<br />

<strong>und</strong> fleißig, nur mangelt es ihm an Selbstbewusstsein <strong>und</strong> Durchsetzungsvermögen,<br />

was von B ausgenutzt wird. A will kündigen, da ihm eine besser bezahlte Stelle<br />

angeboten worden ist. Er ist sich jedoch sehr unsicher, ob dieser Schritt der richtige<br />

ist <strong>und</strong> wie er dies dem B mitteilen soll. Er <strong>für</strong>chtet sich vor der Reaktion des B.<br />

4.1. Was hat A bei der Kündigung nach § 620 Abs. 2 zu beachten?<br />

4.2. A verfasst übungshalber mehrere Kündigungsschreiben <strong>und</strong> versteckt diese<br />

in seinem Schreibtisch im Büro. Als B aus Neugierde den Schreibtisch des A<br />

durchsucht, findet er die Kündigungsschreiben.<br />

4.3. A verfasst ein Kündigungsschreiben. Da er noch immer unsicher ist, schickt er<br />

das Schreiben nicht ab sondern lässt es unterm Kissen liegen, um noch<br />

einmal darüber zu schlafen. Seine Ehefrau steckt das Schreiben in den<br />

Briefkasten.<br />

4.4. A schreibt dem B die Kündigung. Bevor der Brief den B erreicht, stirbt A. Ist<br />

die Kündigung wirksam?<br />

4.5. A schreibt dem B die Kündigung <strong>und</strong> steckt das Schreiben in den Briefkasten<br />

des B.<br />

4.6. A schreibt die Kündigung <strong>und</strong> vergräbt den Brief im Garten des B unter einem<br />

Baum.<br />

4.7. A steckt den Brief am Freitag, dem 03.03. um 23.55 Uhr in den Briefkasten am<br />

Betriebssitz. Das Büro des B ist von Freitag 16.00 Uhr bis Montag 07.00 Uhr<br />

regelmäßig nicht besetzt. Wann ist die Kündigung erfolgt?<br />

4.8. A schickt die Kündigung per Einschreiben. Da der Briefträger niemand im<br />

Büro antrifft, steckt er die Benachrichtigungskarte am 03.03. in den<br />

Briefkasten. Erst drei Tage später wird das Schreiben bei der Post abgeholt.<br />

Wann ist die Kündigung erfolgt?<br />

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4.9. Der Briefträger hat am Montag, dem 03.03. den Einschreibebrief der<br />

Sekretärin des B ausgehändigt. B ist auf Geschäftsreise <strong>und</strong> bekommt erst am<br />

Freitag den Brief vorgelegt. Wann ist die Kündigung erfolgt?<br />

4.10. A schickt das Kündigungsschreiben mit der Post. Schon am nächsten Tag<br />

bereut er seine Entscheidung. Er teilt dem B mündlich mit, er nehme die<br />

Kündigung zurück. B hat das Kündigungsschreiben noch gar nicht erhalten.<br />

5. Waldameisen<br />

K findet im Antiquariat des A ein Buch „Waldameisen“ von Maier zum Preis von €<br />

2.500,-- <strong>und</strong> ein Buch „Tausendfüßler“ von Schulze zum Preis von € 4.800,--. K kann<br />

sich nicht sogleich entscheiden <strong>und</strong> bittet den A, ihm beide Bücher <strong>für</strong> zwei Tage<br />

zurückzulegen.<br />

K entschließt sich <strong>für</strong> die „Waldameisen“. Er ruft bei A am nächsten Tag an. K bestellt<br />

bei A das Buch von Schulze <strong>und</strong> bittet um Zusendung.<br />

Als das Buch bei K eintrifft, stellt er fest, dass die „Waldameisen“ gerade nicht von<br />

Schulze stammen. Sofort schickt er den Band zurück <strong>und</strong> verweigert die Bezahlung<br />

unter Hinweis auf sein Missverständnis. A ist empört. Kurz nachdem er den Band<br />

dem K zugeschickt hat, hat er das Angebot eines Sammlers abgelehnt, der <strong>für</strong> die<br />

„Tausendfüßler“ sogar € 5.000,-- geboten hatte. Er kann später nur einen<br />

Interessenten finden, der gerade € 4.000,-- zu zahlen bereit ist.<br />

A will wissen, ob er von K den Kaufpreis in Höhe von € 4.800,-- verlangen kann oder<br />

wenigstens € 1.000,-- entgangenen Gewinn.<br />

6. Englisches Tuch<br />

Textilfabrikant F beauftragt seinen Einkäufer E, ein Angebot über 100 Ballen<br />

englischen Tuchs einzuholen. Es gelingt dem E, mit dem Geschäftsführer G der<br />

Tuchimport GmbH (T) besonders günstige Konditionen auszuhandeln. F weist den E<br />

an, 200 Ballen des Tuchs zu bestellen. Als E dem G die Bestellung telefonisch<br />

durchgibt, wird G immer wieder von Mitarbeitern gestört <strong>und</strong> hört deshalb nur mit<br />

halbem Ohr zu. G bekommt nicht mit, dass E 200 Ballen bestellt <strong>und</strong> nicht wie in den<br />

Vorverhandlungen von 100 Ballen spricht. G bestätigt dem E die Bestellung mit den<br />

Worten: „Wir liefern unverzüglich wie bestellt“. Die T liefert 100 Ballen. Als sich das<br />

Missverständnis herausstellt, weigert sich G weitere 100 Ballen zum alten Preis zu<br />

liefern, da der Tuchpreis zwischenzeitlich deutlich gestiegen ist <strong>und</strong> es sich bei den<br />

angebotenen 100 Ballen um den Rest eines Lagerbestandes handelte.<br />

Kann die F Lieferung weiterer 100 Ballen verlangen?<br />

7. Minderjähriger<br />

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7.1. Der 12jährige M bekommt von seiner Tante T ein Fahrrad geschenkt. Sind der<br />

Schenkungsvertrag <strong>und</strong> die gleichzeitig vorgenommene Übereignung<br />

wirksam?<br />

7.2. M bekommt einen Schoßh<strong>und</strong> geschenkt.<br />

7.3. M kauft günstig ein Fahrrad vom Händler H. Er zahlt € 50,-- an <strong>und</strong> erhält<br />

sogleich das Fahrrad übereignet.<br />

Welche Rechtsgeschäfte wurden hier vorgenommen – sind diese<br />

wirksam?<br />

7.4. M kauft ein gebrauchtes Mountain-Bike im Wert von € 900,-- <strong>für</strong> € 300,--.<br />

Ist der Kaufvertrag wirksam?<br />

7.5. M hat von seiner Tante ein Mietshaus geerbt. Ein Mieter händigt die<br />

Kündigung des Mietvertrages dem M aus.<br />

Ist die Kündigung wirksam erfolgt?<br />

7.6. Ein Mieter zahlt den fälligen Mietzins von € 600,-- bar an M aus. M kauft sich<br />

davon Lollis.<br />

Wurde der Mieter von der Zahlungspflicht frei?<br />

7.7. M hat sich von seinem 20jährigen Bruder B ein Buch geliehen. Weil M Geld<br />

braucht, verkauft er das Buch an den Antiquar A <strong>und</strong> übereignet es. Er erhält<br />

€ 20,-- da<strong>für</strong>.<br />

8. Fußball<br />

K erhält zu seinem 14. Geburtstag von seiner Patentante € 50,-- geschenkt. Er will<br />

sich hiervon einen Fußball kaufen. Im Sportgeschäft des V findet er eine große<br />

Auswahl an Fußbällen. Ein Ball <strong>für</strong> € 70,-- gefällt ihm besonders gut. K <strong>und</strong> V<br />

verabreden, dass K diesen Ball kauft, € 50,-- anzahlt <strong>und</strong> den Rest später<br />

vorbeibringt. K hofft auf eine großzügige Geste seiner Eltern anlässlich seines<br />

Geburtstags. Zu Hause erzählt er den Eltern, dass er dem V noch € 20,-- schulde.<br />

Dann nimmt er den Ball <strong>und</strong> geht zum Fußballspielen. Zufällig treffen die Eltern noch<br />

am selben Tag den V. V fragt, ob sie mit dem Kauf einverstanden sind. Als die Eltern<br />

im Gespräch erfahren, dass V dem K auch billigere Bälle angeboten hatte, sprechen<br />

sie sich gegen den Kauf aus.<br />

V will den Restbetrag von € 20,-- oder den Ball zurück sowie Ersatz <strong>für</strong> die<br />

Abnutzung des Balles.<br />

9. Münzsammlung<br />

Der 15jährige K macht eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Seine Eltern<br />

belassen ihm sein Ausbildungsgehalt zur freien Verfügung. Arbeitskollege V, der in<br />

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Geldnöten ist, bietet ihm eine Münzsammlung <strong>für</strong> € 3.800,-- an. V weiß um das Alter<br />

des K. K zahlt sogleich € 1.800,-- an, den Rest will er in 6 gleichen Raten begleichen.<br />

Nach Zahlung der letzten Rate will V die Sammlung dem K übergeben. Als die Eltern<br />

des K von dem Geschäft erfahren, machen sie dem K deutlich, dass sie das<br />

Geschäft ablehnen wollen, sollte es sich nicht wirklich um einen günstigen Kauf<br />

handeln. Eine Anfrage bei einem Händler ergibt, dass die Sammlung fast € 6.000,--<br />

wert ist. Nun sind die Eltern überzeugt <strong>und</strong> erklären dem K am 21.10. ihr<br />

Einverständnis. Ebenfalls am 21.10. schreibt V an die Eltern, er habe von deren<br />

Bedenken erfahren <strong>und</strong> widerrufe das Geschäft. Er könne die Sammlung zu einem<br />

besseren Preis verkaufen.<br />

Die Eltern verlangen namens des K Übergabe <strong>und</strong> Übereignung der Sammlung.<br />

10. Kündigung<br />

Herr Adam ist im Betrieb des Herrn Friedrich beschäftigt. Im Arbeitsvertrag des Herrn<br />

Adam befindet sich der Passus „Eine Kündigung kann nur schriftlich per<br />

Einschreiben ausgesprochen werden“. Am Montag kommt es zwischen Herrn Adam<br />

<strong>und</strong> Herrn Friedrich zu einem bösen Streit. Herr Friedrich behauptet, Herr Adam<br />

habe ihn bei verschiedenen Geschäftspartnern angeschwärzt. Herr Friedrich spricht<br />

Herrn Adam die fristlose Kündigung nach § 626 aus.<br />

Ist der mündliche Ausspruch der Kündigung wirksam?<br />

Abwandlung:<br />

Herr Friedrich hat die Kündigung schriftlich abgefasst <strong>und</strong> dem Herrn Adam im<br />

Beisein eines Zeugen ausgehändigt. Von einer Zusendung per Einschreiben hat Herr<br />

Friedrich abgesehen.<br />

Wurde die Kündigung wirksam erklärt?<br />

11. Sparsamkeit<br />

A will von B dessen Baugr<strong>und</strong>stück <strong>für</strong> € 400.000,-- kaufen. Um<br />

Beurk<strong>und</strong>ungsgebühren <strong>und</strong> Steuern zu sparen, vereinbaren sie im Beisein von<br />

Zeugen, dass lediglich ein Kaufpreis von € 300.000,-- beurk<strong>und</strong>et werden soll. Der<br />

Differenzbetrag soll nach erfolgter Auflassung bezahlt werden. Nachdem die<br />

Auflassung erklärt ist <strong>und</strong> die Übereignung im Gr<strong>und</strong>buch eingetragen wurde,<br />

verweigert A die Zahlung des Differenzbetrages.<br />

Hat B einen Zahlungsanspruch gegen A?<br />

12. Versandhandel<br />

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Der übergewichtige Karl Kämmle (K), ein begeisterter Motorradfahrer, bestellte sich<br />

beim Versandhaus Vogel-GmbH (V) einen maßgeschneiderten Lederkombi <strong>für</strong> €<br />

900.- am 01.03. Die Bestellkarte ging am 04.03. bei V ein. Schon einen Tag zuvor<br />

war K tödlich verunglückt. Er hinterlässt seine Ehefrau Erna Kämmle (E) als einzige<br />

Angehörige. Ein Testament gibt es nicht. Als am 29.04. der V den fertiggestellten<br />

Lederkombi anliefern will, verweigert E die Annahme.<br />

Welche Ansprüche hat V gegen E?<br />

13. Francs<br />

Mister Albert (A) aus Bur<strong>und</strong>i kauft bei einer Werkzeugmaschinenmesse in Lausanne<br />

eine Stanzmaschine von Monsieur Blanc (B) aus Lausanne zum preis von 9.000.-<br />

Francs. Als es ums Bezahlen geht, verlangt B 9.000.- SF, während A 9.000.- BF<br />

zahlen will.<br />

Welcher Kaufpreis wurde vereinbart?<br />

Abwandlung: Der Vertrag wurde auf der Leipziger Messe geschlossen.<br />

14. Architekt<br />

Baumann (B) ist Eigentümer der beiden Bauplätze Flurstück 3415 <strong>und</strong> 3416, die im<br />

Baugebiet „Hasentanz“ der baden-württ. Gemeinde Waldensteig gelegen sind. Er<br />

vereinbarte mit dem Architekten Auer (A), dass dieser in seinem (des B) Namen den<br />

Bauplatz 3415 verkaufen <strong>und</strong> die Planung, Oberleitung <strong>und</strong> örtliche Bauaufsicht <strong>für</strong><br />

ein auf dem Bauplatz 3416 zu errichtendes Einfamilienhaus übernehmen solle. Im<br />

schriftlichen Vertrag zwischen Auer <strong>und</strong> Baumann heißt es u.a.:<br />

2.3 Herr Baumann erteilt dem Architekten Auer unwiderrufliche<br />

Vollmacht zum Verkauf des Gr<strong>und</strong>stücks 3415.<br />

4.7 Architekt Auer darf Verträge mit Bauunternehmern <strong>und</strong><br />

Handwerkern nur im jeweiligen Einvernehmen mit Herrn Baumann<br />

abschließen.<br />

Im Namen des B verkaufte A den 4 a großen Bauplatz 3415 <strong>für</strong> € 350.000,-- an<br />

Kübler (K). Der Vertrag wurde vom Ratschreiber der Gemeinde Waldensteig<br />

beurk<strong>und</strong>et. Der Kaufpreis ist noch nicht bezahlt.<br />

Aufgr<strong>und</strong> einer durch A vorgenommenen Ausschreibung gingen Zuschriften<br />

verschiedener Bauunternehmer ein. Im Namen des B erteilte A dem Ignaz Igel (I)<br />

den Zuschlag über den Rohbau des Einfamilienhauses zum Festpreis von €<br />

198.000,--. Weil er den B telefonisch nicht sofort erreichen konnte, hatte A, um Zeit<br />

zu sparen, davon abgesehen, dessen Einverständnis einzuholen.<br />

B – inzwischen mit Auer zerstritten, verweigert die Eigentumsübertragung an K <strong>und</strong><br />

lehnt Leistungen des I ab. Er erklärt allen Beteiligten: „Die Geschäfte seines<br />

Architekten gingen ihn nichts an, er wolle nichts damit zu tun haben.“<br />

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I beziffert seinen Reingewinn aus der Erstellung des Rohbaus zutreffend mit €<br />

42.000,-- Kübler trägt ebenfalls zutreffend vor, außer dem Bauplatz 3415 sei ihm<br />

seinerzeit ein vergleichbarer Bauplatz zu einem allerdings um € 40,--/qm teureren<br />

Preis angeboten gewesen. Diesen Platz hätte er sonst gekauft. Heute müssten <strong>für</strong><br />

entsprechende Bauplätze im „Hasentanz“ bereits € 100,--/qm mehr bezahlt werden.<br />

Aufgabe:<br />

Fertigen Sie ein Gutachten über die <strong>für</strong> Igel <strong>und</strong> Kübler bestehende Rechtslage.<br />

15. Kopiergerät<br />

Bürgermeister B der Gemeinde G (9.000 Einwohner) beauftragt den Inspektor I, ein<br />

Kopiergerät zu kaufen. Der Kaufpreis soll max. € 2.000,-- betragen. Er händigt dem I<br />

eine entsprechend abgefasste Vollmacht aus. I findet im Büroeinrichtungshaus H ein<br />

Kopiergerät <strong>für</strong> € 2.500,-- das die anderen Geräte in technischer Hinsicht weitaus<br />

übertrifft. I erklärt dem H, er werde den Kauf auf seine Kappe nehmen. Der<br />

Bürgermeister B werde den Handel sicherlich gutheißen. I kauft das Gerät. Als B von<br />

I unterrichtet wird, willigt er nach reiflichem Überlegen widerstrebend ein. Als gleich<br />

darauf der H anruft <strong>und</strong> um Bestätigung des Kaufes bittet, überlegt sich B die Sache<br />

anders. Er will das Kopiergerät nicht mehr haben.<br />

Hat H Ansprüche gegen G oder I?<br />

16. Widerruf<br />

Fabrikant Karl (K) schließt mit der Fertigungs-GmbH (V) am 3. Juni einen Kaufvertrag<br />

über die Lieferung eines größeren Warenpostens zum Preise von € 50.000,--. Da K<br />

erst noch in Erfahrung bringen muss, ob er ausreichende Verarbeitungs- <strong>und</strong><br />

Abnehmerkapazitäten hat, kommen beide Vertragsparteien überein, dass der<br />

abgeschlossene Vertrag von K widerrufen werden könne „binnen einer Frist von 10<br />

Tagen, vom Eingang der Auftragsbestätigung bei K an gerechnet“. Die<br />

Auftragsbestätigung des V geht bei K nachweislich am 4. Juni per Fax ein. Dort<br />

bedarf es verschiedener Klärungen, so dass schließlich K am Montag, 15. Juni,<br />

telegrafisch den Rücktritt vom Vertrag erklärt. V ist der Meinung, K müsse<br />

abnehmen, weil die Rücktrittserklärung zu spät erfolgt <strong>und</strong> der Vertrag daher nicht<br />

annulliert worden sei.<br />

Muss K die Lieferung abnehmen <strong>und</strong> bezahlen?<br />

17. Bürgschaft<br />

Herr Groß benötigt einen Geschäftskredit von € 200.000,--. Seine Hausbank ist<br />

bereit, ihm diesen Kredit zu gewähren. Sie verlangt jedoch eine Bürgschaft seiner<br />

Ehefrau. Seine Ehefrau übernimmt schriftlich die Bürgschaft <strong>für</strong> dieses Darlehen in<br />

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Höhe von € 200.000,--. Im vorformulierten Vertragsformular findet sich der Passus „...<br />

selbstschuldnerische Bürgschaft zur Sicherung aller bestehenden <strong>und</strong> künftigen<br />

Forderungen gegen den Hauptschuldner...“.<br />

Zur Finanzierung anderer Geschäfte nahm Herr Groß zwei Jahre später ein weiteres<br />

Darlehen in Höhe von € 500.000,-- auf. Als Herr Groß seinen Zins- <strong>und</strong><br />

Tilgungszahlungen der Hausbank gegenüber nicht mehr nachkommen kann, kündigt<br />

diese die Darlehen <strong>und</strong> verlangt von Frau Groß Rückzahlung der offenen<br />

Forderungen aus beiden Verträgen in einer Höhe von € 186.479,33,-- (1. Darlehen)<br />

<strong>und</strong> € 498.913,54,-- (2. Darlehen).<br />

18. Kaufleute<br />

Kaufmann Karl (K) bestellt bei der Papiergroßhandels-GmbH (G) mehrere Paletten<br />

Kopierpapier. Die Bestellung wird von K telefonisch aufgegeben. Der Sachbearbeiter<br />

Seelig (S) der G nimmt die Bestellung entgegen <strong>und</strong> erklärt dem K: „Für die<br />

Bestellung gelten unsere AGB.“ K ist damit einverstanden, ohne die AGB zu kennen.<br />

Bei der Anlieferung unterläuft dem Fahrer Fleißig (F) der G ein peinlicher Fahrfehler.<br />

Beim Rückwärtsfahren an die Laderampe vertauscht er die Pedale <strong>und</strong> fährt voll<br />

gegen die Laderampe, die erheblich beschädigt wird. Als K seinen Schaden bei G<br />

geltend machen will, verweigert G den Ausgleich unter Hinweis auf seine AGB, in<br />

denen es heißt: Eine Haftung <strong>für</strong> Schäden beim Besteller ist ausgeschlossen.<br />

Hat K einen Anspruch gegen G?<br />

19. Waschmaschine<br />

Herr Kaufmann (K) erwirbt am 14.03.2005 eine Waschmaschine beim Elektrohändler<br />

Erich (E) zum Kaufpreis von 1.050.- €. Den Kaufpreis kann er in der Folgezeit nicht<br />

begleichen. E mahnt ihn 5 Mal vergeblich <strong>und</strong> kündigt im September 2008 an, Klage<br />

zu erheben. K bittet ihn nun, um vorläufige St<strong>und</strong>ung bis Ende 2009. E gewährt die<br />

erbetene St<strong>und</strong>ung. Im Sommer 2010 fällt ihm die Forderung wieder ein. Ist die<br />

Forderung mittlerweile verjährt?<br />

IX. Literaturhinweise<br />

Das <strong>Skript</strong> soll den Studierenden einen Überblick über das Rechtsgebiet <strong>BGB</strong> AT<br />

geben. Eine Vertiefung kann nur anhand eines Lehrbuches oder eines Kommentars<br />

erfolgen. Lehrbücher <strong>und</strong> Kommentare haben einen ganz anderen Umfang <strong>und</strong><br />

vermitteln mehr Detailwissen. Fälle mit Musterlösungen erlauben eine<br />

Selbstkontrolle, ob das erlernte Wissen auch angewandt werden kann, wie es in<br />

Klausuren gefordert wird. Zur Vertiefung <strong>und</strong> Wiederholung finden Sie in der<br />

Bibliothek eine Vielzahl geeigneter Medien unter der Signatur Tc <strong>und</strong> Tf. Verwenden<br />

Sie nach Möglichkeit immer die aktuellste Auflage, da sich im Recht rasch<br />

<strong>Skript</strong><br />

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Änderungen ergeben können durch Gesetzesänderungen <strong>und</strong> Änderungen der<br />

Rechtsprechung.<br />

Folgende Werke sind m. E. zur Vertiefung geeignet:<br />

Brox, Hans <strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong> des <strong>BGB</strong><br />

Köhler, Helmut <strong>BGB</strong> <strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong><br />

Palandt Bürgerliches Gesetzbuch mit Nebengesetzen, Kommentar<br />

Rumpf-Rometsch, Die Fälle <strong>BGB</strong>-AT*<br />

Egbert<br />

Wörlen, Rainer Einführung in das Recht <strong>und</strong> <strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong> des <strong>BGB</strong>*<br />

*Bei Studierenden sehr beliebt<br />

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