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Newsletter Arbeitsrecht Deutschland - Mannheimer Swartling

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a newsletter from<br />

mannheimer swartling<br />

february 2012<br />

kontaktpersonen:<br />

Rechtsanwälte<br />

Dr. Christian Bloth, Fachanwalt für<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>,<br />

Frankfurt (Editor)<br />

Bettina Kreimer, Fachanwältin für<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>, Frankfurt<br />

Alper Ardali, Frankfurt<br />

Ulf Christoph Lohrum, LL.M, Berlin<br />

Dr. Kerstin Kamp-Wigforss, LL.M.,<br />

Stockholm<br />

e-mail<br />

<strong>Mannheimer</strong><strong>Swartling</strong><br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>s-News@msa.se<br />

mannheimer swartling<br />

frankfurt am main<br />

Bockenheimer Landstraße 51-53<br />

D-60325 Frankfurt am Main<br />

Tel: +49 69 97 40 12 0<br />

Fax: +49 69 97 40 12 10<br />

berlin<br />

Mauerstraße 83/84<br />

D-10117 Berlin<br />

Tel: +49 30 22 66 99 0<br />

Fax: +49 30 22 66 99 10<br />

stockholm<br />

Norrlandsgatan 21<br />

Box 1711, 111 87 Stockholm<br />

Tel: +46 8 595 065 00<br />

Fax: +46 8 595 065 01<br />

www.mannheimerswartling.de<br />

dieser newsletter<br />

erfolgt zu informationszwecken<br />

und nicht zur<br />

rechtsberatung. unter<br />

angabe der quelle dürfen<br />

die beiträge verbreitet und<br />

zitiert werden.<br />

<strong>Newsletter</strong><br />

<strong>Arbeitsrecht</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

Editorial<br />

sehr geehrte damen und herren,<br />

wir freuen uns, Ihnen den ersten arbeitsrechtlichen <strong>Newsletter</strong><br />

des Jahres 2012 übersenden zu können. Gesetzgebung und<br />

Rechtsprechung sind in den letzten Monaten selbstverständlich<br />

nicht untätig geblieben. So weisen wir hin auf Änderungen<br />

des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, Rechtsprechung zum<br />

Arbeitsvertragsrecht sowie dem Kündigungsrecht, aber auch auf ein<br />

Verfahren vor dem EuGH zu Diskriminierungsfragen.<br />

Das BAG hat nochmals zu Bezugnahmeklauseln Stellung<br />

genommen und zwar im Hinblick darauf, ob es einen zeitlich<br />

begrenzten Vertrauensschutz für Altverträge gibt. Das LAG<br />

Baden-Württemberg hat das Bundesurlaubsgesetz im Hinblick<br />

auf die Rechtsprechung des EuGH im Interesse der Arbeitgeber<br />

weiterentwickelt.<br />

Wir berichten zu einer Stellungnahme des EuGH Generalanwalts<br />

zur Frage der Vermutung von unzulässiger Diskriminierung, wenn<br />

der Arbeitgeber Auskünfte zum Bewerbungsverfahren verweigert.<br />

Im Kündigungsrecht verdient eine nochmalige Entscheidung<br />

des BAG zur Altersgruppenbildung Beachtung, wie auch eine<br />

Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg zur Kündigung in<br />

der Probezeit bei vorliegender HIV-Infektion. Letztendlich –<br />

Weihnachtsgratifikationen wurden in den letzten Wochen ausgezahlt<br />

– stellt sich einmal mehr die Frage, ob eine Klausel, wonach eine<br />

Gratifikation nur zur Auszahlung kommt, falls das Arbeitsverhältnis<br />

ungekündigt ist, wirksam ist.<br />

Wir wünschen Ihnen eine interessante und anregende Lektüre und<br />

stehen für Ihre Rückfragen gerne zur Verfügung.<br />

dr. christian bloth


Neue Regelung zur<br />

Arbeitnehmerüberlassung<br />

Zum 1. Dezember 2011 ist nunmehr die letze Änderung zum<br />

Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) in Kraft getreten. Die<br />

Änderungen, die zum Teil bereits im Mai 2011 in Kraft getreten<br />

sind, basieren auf einem Gesetz vom 28. April 2011 mit<br />

dem der Gesetzgeber die Anpassung an das Europäische Recht<br />

(Leiharbeitsrichtlinie) und die Beseitigung der erkannten Defizite<br />

der bisherigen Regelungen beabsichtigt hat. Auch eine Änderung,<br />

die gerade Auswirkung auf die konzerninterne Verleihung von<br />

Arbeitnehmern hat, ist ohne viel Aufmerksamkeit zu erlangen, im<br />

Dezember 2011 in Kraft getreten.<br />

1. grundsätzliches<br />

Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. AÜG ist grundsätzlich erlaubnispflichtig.<br />

Die Erlaubnis muss vor dem ersten Verleih vorliegen und<br />

wird gegen Gebühr (EUR 750/1.000) von der Bundesagentur für<br />

Arbeit erteilt, soweit die Voraussetzungen hierfür gegeben sind.<br />

Sie ist unter anderem zu versagen, wenn dem Leiharbeitnehmer für<br />

die Zeit der Überlassung nicht die Arbeitsbedingungen – einschließlich<br />

des Entgelts – gewährt werden, die im Entleihbetrieb für<br />

vergleichbare Arbeitnehmer gelten („Equal Pay“). Lediglich ein<br />

Tarifvertrag kann hiervon abweichende Regelungen zulassen (§ 3<br />

Abs. 1 Nr. 3 AÜG).<br />

Die rechtswidrige Überlassung ist sowohl für den Ver- als auch<br />

den Entleiher sanktioniert. Darüber hinaus kommt es im Falle<br />

der illegalen Arbeitnehmerüberlassung u.U. dazu, dass ein Anstel-<br />

lungsverhältnis zwischen Entleiher und überlassenem Arbeitnehmer<br />

als entstanden gilt, sodass sich dieser ggf. Ansprüchen<br />

auf Gehaltsnachzahlung seitens der Leiharbeitnehmer und Nach-<br />

zahlungsansprüchen wegen zu Unrecht nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge<br />

seitens der Sozialversicherungsbehörden<br />

ausgesetzt sieht.<br />

2. erweiterung des verleiherbegriffs<br />

Bisher galt, dass erlaubnispflichtiger Verleiher im Sinne des AÜG<br />

derjenige Arbeitgeber ist, der einem Dritten Arbeitnehmer gewerbsmäßig,<br />

d.h. grundsätzlich mit Gewinnerzielungsabsicht, zur<br />

Arbeitsleistung überlässt (§ 1 Abs. 1 AÜG).<br />

Das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit ist nun entfallen. Für die<br />

Qualifizierung als Verleiher reicht es seit dem 1. Dezember 2011<br />

aus, dass die Überlassung im Rahmen der wirtschaftlichen<br />

Tätigkeit des Arbeitgebers erfolgt. Auf die bis dahin vorausgesetzte<br />

Gewinnerzielungsabsicht kommt es damit nicht mehr an, denn<br />

eine wirtschaftliche Tätigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung<br />

des Europäischen Gerichtshofes schon immer dann vor, wenn<br />

Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt angeboten werden.<br />

Von dieser Erweiterung des Verleiherbegriffs sind insbesondere diejenigen<br />

Arbeitgeber betroffen, die Arbeitnehmer – üblicherweise<br />

im Rahmen konzerninterner Arbeitnehmerüberlassung – gegen<br />

Erstattung der Lohnkosten zzgl. einer geringen Umlage an verbundene<br />

Unternehmen ausgeliehen haben. In dieser Konstellation<br />

wurde bisher mangels Gewinnerzielungsabsicht keine erlaubnispflichtige<br />

Arbeitnehmerüberlassung gesehen.<br />

2<br />

Für diese Form der Arbeitnehmerüberlassung wird es nun, sofern<br />

keine Ausnahmetatbestände des § 1 Abs. 3 AÜG greifen, einer<br />

Erlaubnis zur Überlassung der Arbeitnehmer bedürfen.<br />

Hintergrund der Anpassung ist insbesondere die Befürchtung,<br />

dass viele Unternehmen die beschriebene Gestaltungsmöglichkeit<br />

nutzten, um Personalkosten dadurch zu senken, dass sie eine<br />

Tochtergesellschaft gründeten, die nicht einem Arbeitgeberverband<br />

angehörte und somit nicht tarifgebunden war. Die in der<br />

Tochtergesellschaft eingestellten Mitarbeiter wurden sodann<br />

zum „Selbstkostenpreis“ an die Mutter verliehen ohne dass das<br />

„Equal Pay-Gebot“ i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG zur Anwendung<br />

kam. Auch konnten so ggf. bestehende Modelle zur betrieblichen<br />

Altersversorgung im Mutterunternehmen umgangen werden.<br />

3. dauer der überlassung<br />

Ferner ist in § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG nunmehr explizit festgelegt,<br />

dass die Arbeitnehmerüberlassung vorübergehend erfolgt. Bis wann<br />

eine Arbeitnehmerüberlassung noch als vorübergehend gilt, ist nicht<br />

geregelt. Höchstüberlassungsgrenzen sieht das Gesetz nicht vor.<br />

Entscheidend dürfte jedoch sein, dass vorgesehen ist, dass der überlassene<br />

Arbeitnehmer tatsächlich wieder in den Entleiherbetrieb<br />

zurückkehrt.<br />

4. die „drehtürklausel“<br />

Als weitere Neuerung wurde, mit Geltung bereits ab 1. Mai<br />

2011, die sogenannte „Drehtürklausel“ eingeführt, nach der<br />

Leiharbeitnehmern, die in den letzten sechs Monaten vor der<br />

Überlassung an den Entleiher aus einem Arbeitsverhältnis bei diesem<br />

oder einem mit diesem im Sinne des Aktiengesetzes verbundenden<br />

Unternehmen ausgeschieden sind, in jedem Fall Gleichstellung<br />

mit den Stammarbeitnehmerinnen und Stammarbeitnehmern zu<br />

gewähren ist. Ggf. anzuwendende tarifvertragliche Regelungen,<br />

durch die vom „Equal-Pay Gebot“ abgewichen wird, entfalten insoweit<br />

keine Geltung. Durch diese Neuerung soll verhindert werden,<br />

dass Unternehmen Mitarbeitern mit dem Ziel kündigen, diese<br />

anschließend als Leiharbeitnehmer zu schlechteren Bedingungen<br />

weiter zu beschäftigen, um so kurzfristig die Personalkosten zu<br />

reduzieren.<br />

5. lohnuntergrenze<br />

Ferner wurde, ebenfalls ab Mai 2011, die Einführung von<br />

Lohnuntergrenzen für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer<br />

ermöglicht. Von dieser Möglichkeit ist durch Verordnung<br />

des Bundesministerium für Arbeit und Soziales bereits Gebrauch<br />

gemacht worden. Bis Oktober 2012 beläuft sich die Lohnuntergrenze<br />

auf EUR 7,01 für die neuen und EUR 7,89 für die alten Bundes-<br />

länder. Ab November 2011 bis Oktober 2013 ist die Lohnunter-<br />

grenze mit EUR 7,50 bzw. EUR 8,19 festgelegt. Auch Tarifverträge<br />

dürfen von diesen Untergrenzen nicht abweichen.<br />

6. zuvor arbeitslose leiharbeitnehmer<br />

Entfallen ist auch die bisher geltende Ausnahme vom Gleichstellungsgrundsatz<br />

des AÜG nach der zuvor arbeitslose Leiharbeitnehmer<br />

für bis zu sechs Wochen in Höhe des zuletzt gezahlten<br />

Arbeitslosenentgelts entlohnt werden konnten. Auch für diese<br />

Mitarbeiter gilt der „Equal Pay-Grundsatz“ nun von Beginn ihrer<br />

Tätigkeit.<br />

7. zusätzliche arbeitgeberpflichten<br />

Schließlich treffen den Entleiher nunmehr erweiterte


Arbeitgeberpflichten. So ist er grundsätzlich verpflichtet, den<br />

in seinem Betrieb tätigen Leiharbeitnehmern Zugang zu den<br />

Gemeinschaftseinrichtungen oder Diensten im Unternehmen, z.B.<br />

Betriebskindergarten, Kantine, Personenbeförderung, zu gewähren<br />

und sie über freie Arbeitsplätze im Einsatzunternehmen zu<br />

unterrichten, um so die Möglichkeit der Leiharbeitnehmer in die<br />

Stammbelegschaft übernommen zu werden, zu stärken.<br />

Arbeitgebern, die Arbeitnehmer ver- oder entleihen, ist dringend zu<br />

raten, zu prüfen, ob die beschriebenen Änderungen, insbesondere im<br />

Hinblick auf den Entfall des Merkmals der „Gewerbsmäßigkeit“ auf<br />

die Erlaubnispflicht einer praktizierten Arbeitnehmerüberlassung,<br />

Auswirkungen haben. Dies gilt insbesondere, da die beschriebenen<br />

Änderungen ohne Vertrauensschutz Geltung entfalten, eine bisher<br />

erlaubnisfreie Arbeitnehmerüberlassung, also bereits jetzt schon illegal<br />

sein kann.<br />

Bemerkenswert ist ferner, dass auch Verleiher aus den EU-<br />

Mitgliedstaaten neben der Erlaubnis aus ihrem eigenen Land,<br />

die deutsche Erlaubnis benötigen, wenn sie Arbeitnehmer nach<br />

<strong>Deutschland</strong> verleihen. Das Vorliegen beider Erlaubnisse ist daher<br />

vor Einsatz der Leiharbeiter gerade durch den Entleiher abzufragen,<br />

möchte dieser unangenehme Überraschungen vermeiden.<br />

bettina kreimer, bek@msa.se<br />

Zeitliche Begrenzung der<br />

Urlaubsansprüche langzeiterkrankter<br />

Arbeitnehmer, doch<br />

kein Handlungsbedarf?<br />

Nachdem der EuGH mit seiner Entscheidung vom 22. November<br />

2011 (C-214/10 „Schulte“) festgestellt hat, dass die zeitliche<br />

Beschränkung des Übertragungszeitraumes des Jahresurlaubsanspruchs<br />

in einem Tarifvertrag bei langfristiger Arbeitsunfähigkeit<br />

grundsätzlich zulässig ist und damit der unbegrenzten Ansammlung<br />

von Urlaubsansprüchen über mehrere Jahre hinaus eine Absage erklärt<br />

hat, haben sich viele Praktiker gefragt, wie man die rechtlichen<br />

Grundsätze dieses Urteils in die Praxis umsetzen kann.<br />

Während einige Autoren eher „schicksalsergeben“ auf das Handeln<br />

der Tarifvertragsparteien bzw. des Gesetzgebers verweisen, sahen<br />

andere Autoren durchaus die Gunst der Stunde gekommen,<br />

auch einzelvertraglich Vereinbarungen zu entwerfen, die diese<br />

Rechtsprechung des EuGH schon heute in die Praxis umsetzen sollen.<br />

Es ist bisher nämlich nicht höchstrichterlich geklärt, wie die<br />

Vorgaben des EuGH in die rechtliche Realität umgesetzt werden<br />

können. Grundsätzlich denkbar ist natürlich als nächstgelegene<br />

Lösung auf eine Änderung des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) zu<br />

warten, daneben selbstverständlich die Vereinbarung des Verfalls<br />

3


von Urlaubsansprüchen in einem Tarifvertrag anzuregen, so wie<br />

dies in dem Sachverhalt, der dem EuGH Urteil vom 22. November<br />

2011 zu Grunde lag, der Fall war. Diese Vorgehensweisen sind<br />

unstreitig anerkannt. Rechtlich noch nicht gesichert ist dagegen die<br />

Umsetzung über eine Betriebsvereinbarung bzw. die Umsetzung in<br />

einem Arbeitsvertrag, also als Individualvereinbarung. Der EuGH<br />

spricht in seinem Urteil nur generalisierend von einer „nationalen<br />

Regelung“ ohne weitere Ausführung hierzu zu tätigen. Gerade § 13<br />

Abs. 1 BUrlG, der es verbietet von dem Gesetz zum Nachteil der<br />

Arbeitnehmer abzuweichen (mit Ausnahme von Tarifverträgen),<br />

stellt in dieser Hinsicht eine zumindest gedankliche Hürde dar.<br />

Doch während die juristische Fachwelt noch über die effektivste<br />

Methode diskutiert und insbesondere zur rechtlichen Absicherung<br />

den Urlaubsanspruch – der sich häufig nämlich nicht nur aus dem<br />

gesetzlichen Anspruch in Höhe von 4 Wochen, sondern zusätzlich<br />

einzelvertraglich gewährtem Urlaub zusammensetzt – trennt,<br />

um dann so einzelvertraglich den gesetzlichen Anspruch nach<br />

15 Monaten, nach Ende des Urlaubsjahres und den vertraglich<br />

gewährten zusätzlichen Urlaub je nach Vereinbarung bereits zum<br />

31. Dezember oder gleichlaufend mit dem gesetzlichen zum<br />

31. März des Folgejahres erlöschen zu lassen, überrascht das<br />

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 21. Dezember<br />

2011, Az. 10 Sa 19/11) mit einem soweit ersichtlich derzeit noch<br />

nicht diskutierten Ansatz, indem es § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz<br />

im Wege der unionsrechtskonformen Fortbildung aufgrund der<br />

Entscheidung des EuGH entsprechend den Grundsätzen aus diesem<br />

Urteil anwendet und damit von Gesetzes wegen Urlaubsansprüche<br />

bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit spätestens 15 Monate nach<br />

Ende des Urlaubsjahres und einer eventuellen Übernahme bis zum<br />

31. März untergehen lässt und bei einer späteren Beendigung des<br />

Arbeitsverhältnisses nicht mehr einer Abgeltung unterwirft.<br />

Im zugrunde liegenden Fall war die Situation so, dass der Kläger<br />

von 2006 bis zu dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am<br />

30. November 2010 arbeitsunfähig erkrankt war. Er begehrte die<br />

Abgeltung von Urlaubsansprüchen der Jahre 2007 – 2009. Das LAG<br />

hat dem Kläger Abgeltungsansprüche nur für das Jahr 2009 zugesprochen.<br />

Es hat entschieden, dass Urlaubsansprüche aus den Jahren<br />

2007 und 2008 zum Zeitpunkt des Ausscheidens bereits verfallen<br />

waren, da sich dies aus einer unionsrechtskonformen Auslegung von<br />

§ 7 Abs. 3 BurlG ergebe.<br />

4<br />

Diese Entscheidung des LAG Baden-Württemberg hätte für<br />

Arbeitgeber den Vorteil, dass nicht nur bei neuen Verträgen der<br />

Verfall von Urlaubsansprüchen vereinbart werden könnte, sondern<br />

ein Verfall auf dem Wege der Gesetzesauslegung auch Altverträge<br />

erfassen würde.<br />

So praktisch die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg<br />

auch wirken mag, ist Vorsicht geboten, da nicht sicher ist, ob diese<br />

Auffassung auch durch das BAG bestätigt wird. Der dogmatische<br />

Ansatz darf zumindest als zweifelhaft bezeichnet werden. So hat<br />

das LAG zwar schon mehrfach durch unionsrechtskonforme<br />

Rechtsfortbildung den Anwendungsbereich von § 7 Abs. 3 BUrlG<br />

erweitert, doch sollte dies nicht Arbeitgeber zur Unvorsicht verführen.<br />

Eine derart extensive Auslegung und zudem nunmehr im<br />

Widerspruch zu vorhergehenden Ansätzen durch Schultz-Hoff<br />

stehende Auslegung erscheint methodisch unsicher. Rechtlich sicherer<br />

erscheint es derzeit, hier auch durch angepasste Klauseln<br />

Vorkehrungen zu treffen, um im Falle des Falles abgesichert zu sein.<br />

Absolute Sicherheit bietet keine der bisher diskutierten Lösungen.<br />

Angesichts der praktischen Relevanz dürfte es allerdings nur eine<br />

Frage der Zeit sein, bis auch hier für obergerichtliche Klärung<br />

gesorgt wird. Insgesamt bleibt es also dauerhaft spannend im<br />

Bereich des Urlaubsrechts.<br />

alper ardali, alp@msa.se<br />

BAG: Vertrauensschutz bei<br />

Verweisklauseln in Altverträgen?<br />

Der vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat in neueren<br />

Entscheidungen (Urteil vom 14. Dezember 2011, Az. 4 AZR 79/10,<br />

Urteil vom 27. Januar 2010, Az. 4 AZR 570/08) klargestellt, dass für<br />

vor dem 31. Dezember 2001 zustande gekommene Arbeitsverträge<br />

aus Gründen des Vertrauensschutzes Verweisungsklauseln auch<br />

nach nahezu 10 Jahren seit der Schuldrechtsreform in der Regel<br />

als Gleichstellungsklauseln auszulegen sind, also keine Dynamik<br />

entfalten. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen hatte sich in


seinem Urteil vom 4. Dezember 2008 (Az. 20 Sa 639/08) gegen eine<br />

unbefristete Gewährung eines Vertrauensschutzes ausgesprochen.<br />

Das LAG Berlin- Brandenburg hingegen schloss sich mit Urteil<br />

vom 3. November 2009 (Az. 16 Sa 1228/09) der Meinung des BAG<br />

an. Das BAG hat in seinem Urteil vom 14. November 2011 deutlich<br />

gemacht, dass es an seiner bisherigen Auffassung festhalte.<br />

Bis zur Änderung seiner Rechtsprechung mit Urteil vom 18. April<br />

2007 (Az. 4 AZR 652/05) und Urteil vom 14. Dezember 2005<br />

(Az. 4 AZR 536/04) hatte das Gericht Bezugnahmeklauseln allgemein,<br />

die von einem tarifgebundenen Arbeitgeber im Geltungs-<br />

bereich eines Tarifvertrages vereinbart wurden, als Gleichstellungsklauseln<br />

behandelt. Als Begründung führte es an, dass Sinn und<br />

Zweck der Klausel sei, tarifgebundene und nicht tarifgebundene<br />

Arbeitnehmer gleichzustellen, indem die gleichmäßige Anwendung<br />

der einschlägigen Tarifverträge gewährleistet werde. Folge<br />

dieser Handhabung war, dass im Falle eines Verbandsaustritts<br />

des Arbeitgebers die zum Zeitpunkt seines Austritts verbindlichen<br />

Tarifbedingungen auch für die Zukunft statisch auf das<br />

Arbeitsverhältnis Anwendung fanden.<br />

Diese Auslegungsgrundsätze gab das BAG für nach dem 31. Dezember<br />

2001 abgeschlossene Arbeitsverträge auf. Nunmehr werden<br />

Bezugnahmeklauseln in solchen Fällen als zeitdynamische<br />

Verweisungen auf die einschlägigen Tarifverträge gesehen. Das<br />

bedeutet, dass der Arbeitgeber selbst dann an die arbeitsvertrag-<br />

liche Vereinbarung gebunden bleibt, wenn der Tarifvertrag nicht<br />

zur Anwendung gelangt.<br />

Im konkreten, vom BAG am 14. Dezember 2011 entschiedenen<br />

Fall, war Gegenstand des Streites ein im Jahre 1992 unterzeichneter<br />

formularmäßiger Arbeitsvertrag, in dem die Parteien<br />

eine Vergütung nach einer bestimmten Tarifgruppe des zum dama-<br />

ligen Zeitpunkt geltenden Tarifvertrages für den Einzelhandel<br />

Brandenburg vereinbart hatten. Im Weiteren stellten die Parteien<br />

das Arbeitsverhältnis unter die Regelung der in den jeweiligen<br />

Ressorts geltenden Tarifverträge. Die beklagte Arbeitgeberin<br />

gehörtezum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages<br />

dem Einzelhandelsverband an, während die klagende Arbeitnehmerin<br />

nie Mitglied einer entsprechenden Gewerkschaft war.<br />

Die Beklagte trat 1997 aus dem Arbeitgeberverband aus.<br />

Die Arbeitnehmerin begehrte Vergütung nach dem aktuellen<br />

Tarifstand, welches die Arbeitgeberin mit der Begründung,<br />

dass die Verweisklausel als Gleichstellungsabrede auszulegen sei,<br />

ablehnte. Die erste Instanz gab der von der Arbeitnehmerin erhobene<br />

Klage auf Vergütungsdifferenzen statt, während das LAG<br />

Berlin – Brandenburg die Klage abwies. Die Revision der Klägerin<br />

hatte keinen Erfolg. Das BAG entschied, dass die streitige Klausel in<br />

ihrer Bezugnahme auf den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses<br />

geltenden Tarifvertrag für den Einzelhandel Berlin zwar hinreichend<br />

klar formuliert und daher als Gleichstellungsabrede<br />

auszulegen sei, dass aber trotz der geänderten Rechtsprechung<br />

zur Auslegung von Verweisungsklauseln Vertrauensschutz<br />

gewährt werde, weil der Vertrag vor dem festgesetzten Stichtag<br />

für die Gewährung des Vertrauensschutzes unterzeichnet worden<br />

war. Die nach dem Verbandsaustritt geschlossenen Entgelttarifverträge<br />

seien auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar, die<br />

Klägerin könne daher das tarifliche Entgelt nicht verlangen.<br />

Das BAG hält an seiner Auffassung fest und lehnt damit die<br />

Meinung des Hessischen LAG ab. Dieses hatte in seinem Urteil<br />

vom 4. Dezember 2008 entgegen der vom BAG in seinem Urteil<br />

vom 14. Dezember 2005 angekündigten Rechtsprechungsänderung<br />

ausgeführt, dass der Vertrauensschutz für Altverträge im Hinblick<br />

auf die Auslegung der kleinen dynamischen Verweisungsklauseln<br />

als Gleichstellungsabreden auch bei Fehlen der Erkennbarkeit<br />

des Gleichstellungszwecks nicht zeitlich unbegrenzt gewährt<br />

werden könne. Als Begründung führte es an, dass einer unbegrenzten<br />

Gewährung des Vertrauensschutzes der Rechtsgedanke<br />

des Art. 229 § 5 EGBGB entgegenstehe, der eine gesetzliche<br />

Vertrauensschutzregelung für Dauerschuldverhältnisse darstelle,<br />

die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung<br />

des Schuldrechts vom 26. November 2001 abgeschlossen<br />

wurden. Art. 229 § 5 EGBGB gewährt den Parteien von<br />

Dauerschuldverhältnissen eine Jahresfrist zur Vertragsanpassung<br />

für Regelungen, die durch die Einführung der §§ 305 ff. BGB im<br />

Zuge der Schuldrechtsreform unwirksam geworden waren. Es stelle<br />

einen Wertungswiderspruch dar, wenn einerseits die Parteien eine<br />

vertragliche, im Zuge der Schuldrechtsreform unwirksam gewordene<br />

Klausel innerhalb eines Jahres anpassen müssen, andererseits aber<br />

für die Auslegung einer höchstrichterlichen Auslegungsregel unbegrenzter<br />

Vertrauensschutz gewährt wird. In Anlehnung an Art. 229<br />

§ 5 EGBGB müsse der Vertrauensschutz jedenfalls mit Verstreichen<br />

eines Jahres seit Ankündigung der Rechtsprechungsänderung in der<br />

Entscheidung des BAG vom 14. Dezember 2005 entfallen.<br />

Nach Ansicht des BAG hingegen würde eine entsprechende<br />

Anwendung des Art. 229 § 5 EGBGB zur Verunsicherung der<br />

Rechtspolitik in den Betrieben führen (Urteil vom 14. Dezember<br />

2005, a.a.O., Rn. 27). Die Entscheidung des BAG bedeutet<br />

keine Abweichung von seiner grundsätzlichen Auffassung,<br />

dass die Schuldrechtsreform vom 1. Januar 2002 einen<br />

Paradigmenwechsel eingeläutet hat, der die Auslegung von allgemeinen<br />

Arbeitsvertragsbedingungen auf ein neues Fundament<br />

stellt. Nunmehr ist die Position des Verwenders von arbeitsvertraglichen<br />

Formularen gestärkt. Die Stichtagsregelung markiert eine<br />

Zeitgrenze, die zuverlässig die Auslegung der Gleichstellungsklausel<br />

vorgibt.<br />

Die Begrenzung des Vertrauensschutzes auf ein Jahr in Anlehnung<br />

an den Rechtsgedanken der in Art. 229 § 5 EGBGB enthaltenen<br />

Regelung ist zwar naheliegend, allerdings nicht hilfreich im Sinne<br />

der Rechtssicherheit.<br />

dr. christian bloth, cbl@msa.se;<br />

annika schreiber, ansc@msa.se<br />

5


Diskriminierungsvermutung<br />

aufgrund Auskunftsverweigerung<br />

Bereits im <strong>Newsletter</strong> vom Dezember 2011 wurde anlässlich der<br />

Entscheidung „Kelly“ (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 Az. C –<br />

104/10) die Frage behandelt, inwieweit ein erfolgloser Bewerber<br />

gegen den Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch geltend machen<br />

kann, um die für § 22 AGG erforderlichen Indizien für das<br />

Vorliegen einer Benachteiligung zu sammeln.<br />

In dieser Entscheidung stellte der EuGH fest, dass sich ein<br />

Auskunftsanspruch grundsätzlich nicht aus den europarechtlichen<br />

Bestimmungen herleiten ließe, sich jedoch im Einzelfall ein Indiz<br />

für eine Diskriminierung aus der nicht erfolgten Auskunft ergeben<br />

könne. Wann ein solcher Einzelfall anzunehmen ist, ließ der EuGH<br />

in dieser Entscheidung jedoch offen.<br />

Nunmehr hat der EuGH-Generalanwalt am 12. Januar 2012 (Az.<br />

C 415/10, G. Meister ./. Speech Design) zu dieser Frage Stellung<br />

genommen. Der Grund für die Stellungnahme lag in der Revision<br />

einer in Russland geborenen und inzwischen in <strong>Deutschland</strong> lebenden<br />

Systemtechnikingenieurin mit entsprechendem russischem<br />

Diplom. Dieses Diplom ist mit dem einer deutschen Fachhochschule<br />

gleichwertig. Die Ingenieurin hatte sich zweimal beim selben<br />

Arbeitgeber um eine Stelle als Softwareentwicklerin beworben und<br />

wurde beide Male ohne die Angabe von Gründen und ohne zu einem<br />

Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein, abgelehnt. Da die<br />

Bewerberin eine Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und<br />

ihrer Herkunft vermutete, klagte sie auf Entschädigung gem. § 15<br />

AGG, wobei sie zugleich die Herausgabe der Bewerbungsunterlagen<br />

des erfolgreichen Mitbewerbers verlangte.<br />

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht wiesen<br />

die Klage mit der Begründung ab, die Klägerin habe keine<br />

ausreichenden Indizien i.S.d. § 22 AGG für eine Benachteiligung<br />

vorlegen können. Auf die Revision der Klägerin, setzte das<br />

Bundesarbeitsgericht das Verfahren aus und legte die Fragen, ob<br />

ein etwaiger Auskunftsanspruch besteht und ob die Nichterteilung<br />

der Auskunft eine Diskriminierung vermuten lasse, dem EuGH zur<br />

Vorabentscheidung vor.<br />

Der Generalanwalt schlug dem Gericht vor, die erste Frage zu verneinen<br />

und die zweite in bestimmten Konstellationen zu bejahen.<br />

Er war der Ansicht, dass Arbeitnehmer, welche sich erfolglos um<br />

eine Stelle bewerben und als Grund eine Diskriminierung vermuten,<br />

weder einen Anspruch aus Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43/<br />

EG noch aus Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG und auch<br />

nicht aus Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG auf Erteilung<br />

einer Auskunft über die Beweggründe der Ablehnung gegen den<br />

Arbeitgeber haben (auch dann nicht, wenn der Bewerber darlegt,<br />

dass er die in der Stellenanzeige geforderten Qualifikationen erfüllt).<br />

Jedoch führte der Generalanwalt aus, dass die Verweigerung<br />

der Auskunft durch den Arbeitgeber eine Diskriminierung<br />

vermuten lassen könne, wenn weitere Umstände hinzuträten.<br />

Solche könnten z.B. sein: Die offensichtliche Entsprechung<br />

von Bewerberqualifikation und Arbeitsstelle, die unterbliebene<br />

Einladung zu einem Vorstellungsgespräch und das eventuelle erneute<br />

Unterbleiben einer Einladung desselben Bewerbers seitens des<br />

Arbeitgebers zu einem Vorstellungsgespräch, wenn der Arbeitgeber<br />

eine zweite Bewerberauswahl für diese Stelle durchgeführt hat.<br />

Es ist also festzuhalten, dass ein abgelehnter Bewerber keinen<br />

Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber hat, eine unterbliebene<br />

Auskunft jedoch ein Indiz für eine Diskriminierung darstellen<br />

kann, wenn noch weitere Umstände hinzutreten.<br />

Ob der EuGH (wie meist) dem Vorschlag des Generalanwalts<br />

folgt, bleibt abzuwarten, dürfte aber, wenn das geschieht, zu neuen<br />

Herausforderungen im Bewerbungsverfahren führen. Dann dürfte<br />

umso mehr gelten, dass an einer sorgfältigen Dokumentation der<br />

Entscheidungsfindung bei der Bewerberauswahl nichts vorbeiführt.<br />

bettina kreimer, bek@msa.se;<br />

malte norstedt, mano@msa.se<br />

Altersgruppenbildung bei<br />

der Sozialauswahl<br />

Das BAG hatte sich in seinem Urteil vom 15. Dezember 2011, Az.<br />

2 AZR 42/10, wiederum mit der Frage zu beschäftigen, ob und<br />

inwieweit im Rahmen einer betrieblichen Auswahlrichtlinie die<br />

Bildung von Altersgruppen zulässig, bzw. nicht altersdiskriminierend<br />

ist. In dem zu entscheidenden Fall ging es um die Kündigungsschutzklage<br />

einer zum Zeitpunkt der Aussprache der Kündigung<br />

37 Jahre alten Arbeitnehmerin, die bereits 9 Jahre in der Produktion<br />

des Betriebes beschäftigt war. Im Zusammenhang mit einer<br />

Reduktion der Produktionskapazität kam es zum Abschluss eines<br />

Interessenausgleichs- und Sozialplans mit Namenliste sowie dem<br />

Abschluss einer Auswahlrichtlinie. Diese Auswahlrichtlinie sah<br />

vor, dass eine Altersgruppenbildung „in Zehnerschritten“ vorgenommen<br />

wurde, nämlich Altersgruppen 25-34, 35-44, 45-54 und 55<br />

und älter. Die 37-jährige Mitarbeiterin bemängelte im Rahmen der<br />

Kündigungsschutzklage u.a., dass sie bei einer zutreffenden Sozialauswahl<br />

hätte weiter beschäftigt werden müssen und ein jüngerer<br />

Arbeitnehmer hätte gekündigt werden müssen. Die Regelung der<br />

Auswahlrichtlinie fasste sie als altersdiskriminierend auf.<br />

Auswirkung einer solchen Auswahlrichtlinie ist, dass das Alter<br />

des Mitarbeiters im Hinblick auf die Kündigungsentscheidung<br />

nur innerhalb der Altersgruppe gewertet wird, also z.B. wird die<br />

Kündigung eines über 40-jährigen nicht durch die Beschäftigung<br />

eines nur 20-30 Jahre alten Arbeitnehmers ausgeschlossen.<br />

Vorteilhaft ist zum anderen, aus betrieblicher Sicht, dass die<br />

Altersgruppenstruktur eines Betriebes erhalten bleiben kann.<br />

Das BAG sowie das vorinstanzlich entscheidende LAG Köln, Urteil<br />

vom 14. August 2009, Az. 11 Fa 320/09, kommen zu der Ansicht,<br />

dass eine solche Regelung nicht gegen die Richtlinie 2000/78/EG<br />

vom 27. November 2000 (Altersdiskriminierung) verstoße. Es wird<br />

angeführt, dass die Regelung zum einen den sinkenden Chancen<br />

auf dem Arbeitsmarkt im höheren Lebensalter gerecht wird,


andererseits aber auch die ansonsten im Rahmen einer Sozialauswahl<br />

erfolgende Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer berücksichtigt.<br />

Sozialpolitisch sei dies im Sinne der Generationengerechtigkeit sowie<br />

der Sicherung der Vielfalt der Altersstruktur sinnvoll.<br />

Mit diesem erneuten Urteil des BAG zur Frage der<br />

Altersgruppenbildung sollte an sich für die betriebliche Praxis eine<br />

ausreichend gefestigte Rechtsprechung vorliegen, um bei erforderlichen<br />

Maßnahmen eine „gesunde“ Altersstruktur im Betrieb<br />

zu wahren. Dies dürfte im Zuge des demografischen Wandels in<br />

<strong>Deutschland</strong> auch von erheblicher Bedeutung sein, möchte ein<br />

Arbeitgeber die sicherlich eher vermindert zur Verfügung stehenden,<br />

qualifizierten jüngeren Arbeitskräfte in seinem Betrieb erhalten<br />

und nicht auf „gesetzlichem“ Wege – indirekt – gezwungen werden,<br />

gerade diese Arbeitnehmergruppe auszugrenzen.<br />

Es kann daher nur ermuntert werden, in Betrieben, soweit sinnvoll,<br />

entsprechende Auswahlrichtlinien mit dem Betriebsrat zu vereinbaren.<br />

Eine solche Gelegenheit sollte insbesondere genutzt werden,<br />

wenn nicht gerade Restrukturierungsmaßnahmen anstehen, um<br />

solche Fragen möglichst losgelöst von Situationen zu besprechen,<br />

die typischerweise nicht emotionsfrei sein können.<br />

dr. christian bloth, cbl@msa.se<br />

HIV-Infektion als<br />

Kündigungsgrund<br />

Am 13. Januar 2012 hatte das LAG Berlin-Brandenburg (Az. 6 Sa<br />

2159/11) unter großer Aufmerksamkeit von Medien und Unterstützungsvereinen<br />

HIV-Infizierter eine Entscheidung zu treffen, hinsichtlich<br />

derer allen Beteiligten bewusst war, dass sie unabhängig<br />

von ihrem Ausgang weitreichende Kritik erfahren würde. Hier<br />

standen die verschiedensten Vorwürfe zu erwarten, begonnen mit<br />

dem Vorwurf der einseitigen Benachteiligung von Arbeitgebern bis<br />

hin zur vorurteilsbehafteten Ignoranz gegenüber einer heute besser<br />

als früher beherrschbaren, wenn auch nicht heilbaren, Krankheit.<br />

Ein zweifelsohne schwierige Aufgabe, mit der sich die 6. Kammer<br />

des LAG Berlin-Brandenburg konfrontiert sah.<br />

Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zu Grunde, wonach ein Pharmaunternehmen<br />

einen chemisch-technischen Assistenten einstellte,<br />

der für die Herstellung von Medikamenten im „Reinbereich“<br />

zuständig war. Das Unternehmen hatte bereits vor der Einstellung<br />

des betroffenen Arbeitnehmers allgemein festgelegt, dass im<br />

Bereich der Fertigung keine Arbeitnehmer mit Erkrankungen jedweder<br />

Art, zu denen insbesondere auch eine HIV- Infektion zählte,


eschäftigt werden dürfen. Die Arbeitnehmer hatten sich daher vor<br />

ihrem Einsatz Gesundheitsprüfungen zu unterziehen.<br />

Während des Vorstellungsgespräches fand die Erkrankung des<br />

Klägers wohl keine Erwähnung. Jedenfalls hätte schon insoweit<br />

diskutiert werden können, ob dem Kläger auf die Frage nach einem<br />

die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigenden Gesundheitszustand<br />

ein „Recht zur Lüge“ zugestanden hätte. Grundsätzlich ist dies im<br />

Hinblick auf eine HIV-Infektion der Fall. Eine Ausnahme hierzu<br />

würde nur bestehen, wenn der Arbeitgeber aufgrund des funktionellen<br />

Zusammenhangs zum einzugehenden Arbeitsverhältnis ein<br />

berechtigtes Interesse an einer ehrlichen Antwort gehabt hätte. Nur<br />

dann könnte der Arbeitgeber im Falle einer Lüge seine das Arbeitsverhältnis<br />

begründende Willenserklärung anfechten.<br />

Vorliegend hatte das Beschäftigungsverhältnis bereits begonnen,<br />

der Arbeitgeber erfuhr allerdings noch innerhalb der ersten<br />

sechs Monate der Anstellung im Rahmen einer betriebsärztlichen<br />

Untersuchung von der Erkrankung des Arbeitnehmers. In einem<br />

daraufhin anberaumten Gespräch zwischen den Beteiligten<br />

kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung<br />

der Kündigungsfrist im Rahmen der Wartezeit des § 1 Abs. 1<br />

KSchG. Der Arbeitnehmer reichte daraufhin Klage ein und machte<br />

die Unwirksamkeit der Kündigung mit Hinweis auf den Verstoß<br />

gegen Grundsätze von „Treu und Glauben“ geltend, hilfsweise<br />

beanspruchte er auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes<br />

(AGG) eine Entschädigung.<br />

Das LAG wies die Klage – wie bereits zuvor das Arbeitsgericht –<br />

vollumfänglich ab. Es gelangte dabei zu der Ansicht, dass das Arbeitsverhältnis<br />

von der Beklagten wirksam gekündigt worden sei.<br />

Die Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetztes (KSchG)<br />

konnten dabei außer Betracht bleiben, da der Kläger die sechsmonatige<br />

Wartefrist im Kündigungszeitpunkt noch nicht erfüllt hatte.<br />

Der Maßstab einer sozialen Rechtfertigung im Sinne von § 1 Abs.<br />

2 KSchG war damit nicht heranzuziehen.<br />

Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darf sich jedoch auch<br />

außerhalb des KSchG nicht als willkürlich erweisen, d.h. die Kündigung<br />

darf nicht im Widerspruch zum Grundsatz von Treu und<br />

Glauben stehen (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch). Der Tatbestand<br />

des § 242 BGB darf aber nicht als „Ersatzkündigungsschutz“<br />

verstanden werden, sondern soll – so die ständige Recht-<br />

sprechung – den Arbeitnehmer nur vor „Willkür“ oder Kündi-<br />

gungen aus „sachfremden Motiven“ schützen. Liegt aber ein<br />

irgendwie gearteter einleuchtender Grund vor, so kommt ein<br />

Verstoß gegen § 242 BGB nicht in Betracht.<br />

Das LAG kam daher auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis,<br />

dass der Grundsatz von Treu und Glauben nicht verletzt sei. Die<br />

Entscheidung eines Arbeitgebers, dauerhaft mit dem HI-Virus infizierte<br />

Arbeitnehmer bei der Herstellung von Medikamenten nicht<br />

beschäftigen zu wollen und sie deshalb zu entlassen, verletze nicht<br />

das Anstandsgefühl „aller billig und gerecht Denkenden“. Der Arbeitgeber<br />

hatte hier bereits im Vorhinein feste Regeln und Grundlinien<br />

für die Beschäftigung in sensiblen Bereichen festgelegt, die<br />

unter anderem die Beschäftigung von Personen mit „ansteckenden<br />

Krankheiten“ ausschließt, zu denen nach § 7 Abs. 3 Infektionsschutzgesetz<br />

auch HIV gehört, unabhängig von Stadium der<br />

Krankheit.<br />

Im Ergebnis offen gelassen wurde die Frage, ob eine HIV-Infektion<br />

eine Behinderung im Sinne von § 1 AGG darstellt bzw. ob in der<br />

Kündigung des Klägers eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu<br />

anders erkrankten Arbeitnehmern lag. Das LAG hatte vorliegend<br />

eine solche Benachteiligung/Ungleichbehandlung aufgrund der von<br />

der Beklagten wahrgenommenen Interessen jedenfalls als gerechtfertigt<br />

angesehen. Ein Anspruch auf Entschädigung nach §§ 21<br />

Abs. 2, 15 Abs. 2, 7, 1 AGG schied damit ebenfalls aus.<br />

Wie eingangs erläutert, hätten die der Entscheidung zu Grunde<br />

liegenden Argumente auch anders gewertet werden können, da das<br />

„Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkender“ ein sich ständig<br />

durch die Zeiten entwickelnder Terminus ist. Für den Arbeitgeber<br />

erwies es sich auf jeden Fall als vorteilhaft, dass er bereits<br />

allgemein verbindliche Leitlinien festgelegt und umgesetzt hatte,<br />

also keine „ad-hoc“ Regelung für den hier eingetretenen Fall getroffen<br />

hatte, was vielleicht eher dazu gedient hätte, für eine gegen<br />

diese Mitarbeiter gerichtete ungerechtfertigte Benachteiligung argumentieren<br />

zu können. Das letzte Wort ist insoweit noch nicht<br />

gesprochen, da das LAG die Revision und damit den Weg zum<br />

BAG zugelassen hat. Ferner darf daraus nicht geschlossen werden,<br />

dass eine solche Kündigung eines Mitarbeiters in weniger sensiblen<br />

Bereichen ebenfalls zulässig wäre. Dies dürfte zweifelhaft, jedenfalls<br />

einzelfallabhängig sein.<br />

ulf c. lohrum, ucl@msa.se<br />

Kein Anspruch auf<br />

Weihnachtsgratifikation<br />

bei gekündigtem Arbeits-<br />

verhältnis<br />

Die Frage, inwieweit Arbeitnehmer bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis<br />

Anspruch auf Gratifikationen haben, war schon<br />

häufig Gegenstand von Verfahren vor den Arbeitsgerichten. Im<br />

Rahmen dieser Frage differenziert die Rechtsprechung grundsätzlich<br />

zwischen Gratifikationen wie „Weihnachtsgelder“, welche<br />

in Zusammenhang mit der Hauptleistung des Arbeitnehmers stehen<br />

und solchen, welche unabhängig von ihr geleistet werden (z.B.<br />

Treueboni etc.).<br />

Bei ersteren hat der Arbeitnehmer stets einen Anspruch auf die<br />

Gratifikation aus § 611 BGB, da sich diese als Vergütung für die<br />

geleistete Arbeit darstellt (z.B. 13. Monatsgehalt).<br />

Bei letzteren kann arbeitsvertraglich vereinbart werden, dass die<br />

Gratifikation entfällt bzw. zurückgezahlt werden muss, falls das Arbeitsverhältnis<br />

zum Auszahlungszeitpunkt endet oder gekündigt ist<br />

(z.B. Zuwendungen für lange Betriebsangehörigkeit etc.)<br />

In dem Urteil vom 18. Januar 2012 hat das Bundesarbeitsgericht<br />

diese Differenzierung weiterverfolgt und im Rahmen der leistungsunabhängigen<br />

Gratifikationen klargestellt, dass der Wegfall einer<br />

solchen Gratifikation unabhängig davon erfolgen kann, wer das<br />

Arbeitsverhältnis kündigt oder in wessen Sphäre der Grund für die


Kündigung fällt. Eine entsprechende Klausel bzgl. einer leistungsunabhängigen<br />

Gratifikation im Arbeitsvertrag, welche die eben erwähnte<br />

Differenzierung nicht enthält, verstößt nicht gegen § 307<br />

Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

Der Entscheidung liegt der Fall einer Steuerfachwirtin zugrunde,<br />

welche seit dem 1. Juli 2008 bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt war<br />

und welcher ordentlich im November 2009 zum 31. Dezember<br />

2009 aus betrieblichen Gründen seitens des Arbeitgebers gekündigt<br />

wurde. Ihr Arbeitsvertrag enthielt eine Klausel, nach welcher sie<br />

jeweils im November eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von<br />

EUR 1.900 erhalten sollte. Diese sollte jedoch ausgeschlossen sein,<br />

falls sich das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Auszahlung, hier<br />

im November des Jahres, in gekündigtem Zustand befand. Mit ihrer<br />

Klage zum Arbeitsgericht, begehrte die Klägerin zum Einen die<br />

Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung, zum Anderen die<br />

Zahlung der Weihnachtsgratifikation.<br />

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das auf die Berufung des Arbeitgebers<br />

hin befasste LAG Hamm sprachen der Klägerin die Gratifikation<br />

mit der Begründung zu, die entsprechende Ausschlussklausel<br />

im Arbeitsvertrag stelle eine entgegen Treu und Glauben unan-<br />

gemessene Benachteiligung dar und verstoße daher gegen § 307<br />

Abs. 1 S. 1 BGB, da sie nicht danach differenziere, ob das Arbeitsverhältnis<br />

durch den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer gekündigt<br />

wurde und ob der Kündigungsgrund aus der Sphäre des Arbeitgebers<br />

oder des Arbeitnehmers stamme.<br />

Das BAG hob auf die Revision des Arbeitgebers hin jedoch das Urteil<br />

des LAG Hamm auf und führte aus, dass es für eine Gratifikation,<br />

welche unabhängig von der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers<br />

bezahlt werde, nicht darauf ankomme, wer die Kündigung veranlasst<br />

hat. Vielmehr reicht als Anknüpfungspunkt für die Zahlung<br />

das bloße Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Zahlungszeitpunkt<br />

aus. Dies verstoße nicht gegen § 307 Abs. 1 S.1 BGB. Zu fragen bleibt<br />

– dies wird sich eventuell aus den noch nicht vorliegenden Urteilsgründen<br />

ergeben – ob diese Entscheidung auch so ausfiel weil der<br />

Betrag nicht einen bestimmten Anteil des Jahresgehalts überstieg.<br />

Eine andere Frage ist jedoch, ob der Eintritt der Bedingung, also<br />

die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung treuwidrig<br />

herbeigeführt wurde und daher nach § 162 Abs. 2 BGB als<br />

nicht erfolgt gilt. Diese Frage wird nunmehr das LAG Hamm zu<br />

entscheiden haben.<br />

Dem Urteil des BAG ist dahingehend zuzustimmen, dass leistungsunabhängige<br />

Zuwendungen grundsätzlich durch Vorliegen einer<br />

Kündigung entfallen können. Es bleibt abzuwarten, ob gerade im<br />

Falle betriebsbedingter Kündigungen – mit dem der Arbeitgeber<br />

die Auszahlung der Gratifikation verhindern kann – dem Schutz<br />

des Arbeitnehmers mit einer Missbrauchskontrolle ausreichend<br />

Rechnung getragen werden kann.<br />

alper ardali, alp@msa.se;<br />

malte norstedt, mano@msa.se


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