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Armut macht krank - Caritas NRW

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Interview mit GesundheitsministerinBarbara<br />

Steffens im Internet.<br />

Dort mit Antworten zur<br />

Krankenhausplanung, zu<br />

IGeL-Leistungen und der<br />

Versäulung im Gesundheitswesen.<br />

www.caritas-nrw.de<br />

10<br />

c<br />

caritas in <strong>NRW</strong> · 1/12<br />

Obwohl sie mit ihrer Kompetenz eine Chronifizierung<br />

verhindern könnten. Das führt oft dazu, dass Folgekosten<br />

für die Kassen teurer kommen.<br />

c Wie könnte man das Problem angehen? Die Kassen<br />

werden sich wehren gegen mehr Freiheiten für<br />

Ärzte, weil sie höhere Kosten befürchten.<br />

Ja natürlich, weil die Kassen an dieser Stelle eher kurzsichtig<br />

denken. Vielleicht könnte eine Öffnungsklausel<br />

funktionieren, oder die Kassen machen mal einen Modellversuch,<br />

um das auszuprobieren. Das ist allerdings<br />

Bundeskompetenz. Auf Landesebene haben wir an solchen<br />

Stellen keinen Spielraum. In der ambulanten Versorgung<br />

haben wir überhaupt nichts mitzuentscheiden.<br />

Ich kann nur den Finger in die Wunde legen.<br />

c Solche Systemfehler gibt es auch bei Mutter-Kind-<br />

Kuren, hier steigt die Zahl der abgelehnten Anträge<br />

wieder.<br />

Unser Gesundheitssystem denkt immer in einzelnen<br />

Säulen. Dann verschieben die Verantwortlichen Kosten<br />

zur anderen Säule – immer zu Lasten der Menschen.<br />

Es wird zu wenig betrachtet, was gesamtgesellschaftlich<br />

kostengünstiger ist. Manches, was in der Krankenversicherung<br />

bezahlt werden könnte, aber abgelehnt wird,<br />

produziert später massive Kosten in der Pflegeversicherung.<br />

Das heißt, letztendlich zahlen alle drauf: das<br />

System sowie auch die Versicherungsnehmerinnen und<br />

Versicherungsnehmer.<br />

c Hightech-Medizin im Krankenhaus nutzt letztendlich<br />

nur, wenn die Menschen auch im Alltag stabilisiert<br />

werden?<br />

Genau. Wenn ein älterer Mensch, dessen Pflege zu Hause<br />

rundum organisiert ist, im Krankenhaus nicht entsprechend<br />

betreut wird, kann es schnell passieren, dass<br />

er verwirrt ist. Wir kennen das als Übergangssyndrom.<br />

Wenn sich am Anfang jemand gekümmert hätte und gefragt<br />

hätte: „Frau Maier, womit kann ich Ihnen helfen?“,<br />

wäre dieser Zustand der Patientin erspart geblieben.<br />

Oder die oder der ambulant behandelnde Ärztin oder<br />

Arzt hätte gesagt: „Bei Ihren Symptomen können wir<br />

auch eine bessere Therapie oder eine höhere Betreuungsdichte<br />

zu Hause verordnen.“ Das würde Folgekosten,<br />

womöglich Unterbringung in einer stationären Einrichtung<br />

mit einer höheren Pflegestufe, ersparen. Aber<br />

solch kurzfristig notwendige menschliche Zuwendung<br />

zahlt das System am Anfang nicht. Deswegen glaube<br />

ich, dass wir im Gesundheitssektor nach jahrelangen<br />

<strong>Armut</strong> <strong>macht</strong> <strong>krank</strong><br />

Wer geld hat,<br />

lebt gesünder.<br />

Diskussionen über Hightech-Medizin, über den Einsatz<br />

von IT und anderen Bereichen an einem Punkt sind, wo<br />

wir vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung<br />

über Menschlichkeit im System reden müssen. Diese<br />

spannende Diskussion wird auch die Themen <strong>Armut</strong><br />

und Krankheit sowie Alter und Krankheit beinhalten.<br />

c Die <strong>Caritas</strong> beobachtet mit Sorge im Bereich der<br />

ärztlichen Versorgung, dass sich in sozialen Brennpunkten<br />

Schwierigkeiten abzeichnen. Kinderärzte<br />

finden keine Nachfolger, wenn sie die Praxis aufgeben<br />

oder pensioniert werden.<br />

Das gibt es flächendeckend. Der einzige Ausweg ist für<br />

mich die Bürgerversicherung. Solange wir ein Finanzierungssystem<br />

haben, wo eine Ärztin oder ein Arzt,<br />

die, der ausschließlich gesetzlich Krankenversicherte<br />

hat, davon keine Praxis lukrativ aufrechterhalten kann,<br />

ist das System nicht leistungsfähig genug. Unser Solidarsystem<br />

ist von einer funktionierenden Mischkalkulation<br />

abhängig, die in armen Stadtteilen nicht mehr<br />

durchzuhalten ist. Ich möchte ein Versicherungssystem<br />

haben, wo alle Bürgerinnen und Bürger einzahlen und<br />

wir innerhalb dieses Systems solidarisch umverteilen,<br />

um die flächendeckende Versorgung zu gewährleisten.<br />

c Bürgerversicherung bedeutet Einbeziehung von<br />

Einkommen aus Vermögen, Einbeziehung von<br />

Selbstständigen und Beamten?<br />

Genau. Eine Versicherungsart für alle. Natürlich kann<br />

es mehrere Anbieter geben, um über den Wettbewerb<br />

die Qualität zu sichern.<br />

c Insofern sind die <strong>Caritas</strong>-Kampagne und die Werbung<br />

„Jeder verdient Gesundheit“ für Sie eine hilfreiche<br />

Sache, und Sie zählen darauf?<br />

Ja, ich finde so eine Kampagne total gut und total klasse,<br />

weil sie den Solidargedanken betont. Es gibt sogar<br />

viele Beispiele, wie mehr Menschlichkeit, mehr Lebensqualität<br />

und weniger Kosten zusammengehen. Daher<br />

freue ich mich über so eine Kampagne, weil ich glaube,<br />

dass der Blick auf Menschen im System der ist, den wir<br />

jetzt brauchen.<br />

c Vielen Dank für das Gespräch. b

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