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Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte

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Die Parteisprache in der Sowjetzone 345<br />

Wie weit diese Pluralvorliebe geht, mag ein Blick auf eine besonders eigentümliche<br />

Formenbildung zeigen, die vielleicht als Pluralis adversativus bezeichnet werden<br />

könnte. Nämlich, daß der Name des Gruppenfeindes nur durch Voransetzen des<br />

entsprechenden Artikels in die Mehrzahl erhoben wird. Bei Stalins bekanntem Ausspruch:<br />

„Die Hitler kommen und gehen ..." kann es sich noch darum handeln,<br />

bewußt einen Gattungsbegriff oder einen Typ zu schaffen. Jedoch bei der Pressemeldung<br />

: „Am Sonntag erteilten die Adenauer und Lehr den Befehl, in eine friedliche<br />

Demonstration in Essen zu schießen" ist diese Erklärung kaum noch möglich.<br />

Ob hier gewisse Ansätze aus der juristischen Fachsprache anklingen, ob etwa in Gedanken<br />

„. . . und Komplicen" ergänzt wird, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls<br />

will die Gruppe mit dem Plural ihre Feinde als Klassenexponenten hinstellen.<br />

Auf den Komplex des verborgenen Genitivus objectivus wurde bereits bei den mit<br />

,,-bewegung" zusammengesetzten Wörtern hingewiesen. Diese Erscheinung ist aber<br />

noch wesentlich häufiger und wird, wo sie auftaucht, von den Gruppenangehörigen<br />

sofort richtig verstanden. Zum Beispiel ist es an sich nicht ohne weiteres selbstverständlich,<br />

daß bei „Massenagitation" die Massen das Objekt der agitatorischen Bemühung,<br />

bei „Massenaufstand" dagegen das Subjekt des Handelns sind.<br />

Das stillschweigende Einverständnis über das Zugrundeliegen eines Genitivus<br />

objectivus gibt der Gruppe geradezu die Möglichkeit zu einer Geheimsprache. So<br />

kann in aller Öffentlichkeit die Tätigkeit der „Volkskontrolle" so dargestellt werden,<br />

als ob es darum ginge, daß das Volk eine Kontrollfunktion auf niederer Ebene ausüben<br />

soll, während sich die Gruppe jeden Augenblick darüber klar ist, daß es darum<br />

geht, das Volk als Objekt unter Kontrolle zu halten. Bei „Weltfriedenslager" und<br />

„Friedenshort" läßt die Gruppe jeden Außenstehenden gern glauben, daß es sich<br />

um den Ort handelt, wo der Frieden seine Stätte hat, während sie natürlich weiß,<br />

daß es lediglich die Bezeichnung <strong>für</strong> den Sammelplatz derjenigen ist, die mit allen<br />

Mitteln den Frieden ihrer speziellen Konzeption anstreben.<br />

Als hervorstechender Eindruck bei der Betrachtung des Satzbaus ergibt sich,<br />

daß die Satzaussagen schwindsüchtig geworden sind. Wo immer sich aus einem Verbum<br />

ein Substantiv herauspressen läßt, wird die Gelegenheit wahrgenommen.<br />

Verben sind nämlich Wagnisse. Deshalb hat das Hilfsverb die Herrschaft angetreten.<br />

Die herausgegriffenen Beispielfälle zeigen, wie pompöse Sätze auf den<br />

tönernen Füßen von Hilfsverb-Satzaussagen stehen. Etwa:<br />

„Die Analyse des gesamten Inhaltes der beiden Versklavungsverträge ergibt, daß<br />

Westdeutschland nach dem Willen seiner Urheber zum Protektorat Amerikas und<br />

zum Rekrutierungsgebiet und militärischen Aufmarschgelände <strong>für</strong> den geplanten<br />

amerikanischen Angriffskrieg gegen die Völker des Weltfriedenslagers werden soll."<br />

Oder: „Für jeden einzelnen von uns, den Arbeiter, den Bauern, den Ingenieur, den<br />

Wissenschaftler und den Künstler ist in unserem gemeinsamen Wirken und Schaffen<br />

das wertvollste Geschenk in diesem Jahre 1952 das Werk des Genossen Stalin ,Über<br />

die ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR' aus der Schatzkammer<br />

des Marxismus-Leninismus."<br />

Im gleichen Maße, in dem die Satzaussage verkümmert, erstarrt die Beifügung

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