Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ALEX NATAN<br />
SIR LEWIS NAMIER: HISTORIKER MIT VORURTEILEN<br />
Vorbemerkung des Herausgebers: Der Verfasser der hier folgenden Miszelle,<br />
Senior History Master am King's College, Worcester, betont, daß es ihm nicht auf eine<br />
wissenschaftliche Kritik, sondern auf eine Vorstellung des bedeutenden englischen<br />
Historikers Namier vor deutschen Lesern ankam*. In der Tat wäre dem vom Verfasser<br />
in sehr humanem Geist gemachten allgemeinen Vorbehalt vieles Speziellere hinzuzufügen,<br />
das wichtige Fragen der jüngsten deutschen Geschichtsepoche und ihrer Auffassung<br />
betrifft. So bedeutsam etwa die in Namiers Buch über 1848 („The Revolution<br />
of the Intellectuals") <strong>für</strong> die Vorgeschichte des Alldeutschtums gezogenen Linien sind,<br />
so wenig kann die Behandlung der deutschen Widerstandsfrage, der er sich in seinem<br />
neuesten Essayband besonders gewidmet hat, befriedigen. Es fehlt ihr nicht nur an<br />
Einfühlungsvermögen, wie es vielleicht nur die Erfahrung des Lebens unter einem<br />
totalitären Regime voll zu verleihen vermag, sondern auch an Offenheit des Sinnes<br />
<strong>für</strong> entscheidende Zeugnisse. Sie ist nicht frei von jener dogmatischen Haltung, der<br />
Lord Vansittart in seinem (2.) Affidavit <strong>für</strong> Nürnberg in den Worten Ausdruck gegeben<br />
hat: „The whole basis of my attitude toward Germany was the conviction that<br />
there neither existed nor would exist any real or effective Opposition." Weit über den<br />
Einzelfall hinaus erhebt sich hier die <strong>für</strong> die Möglichkeit internationaler Verständigung<br />
nicht unwichtige Frage, inwieweit Historiker, die in vielen Ländern im letzten<br />
Krieg ihr Wissen auswärtigen Ämtern zur Verfügung gestellt haben, dadurch mit der<br />
in einer gegebenen Situation verfolgten Politik mehr oder weniger solidarisch geworden<br />
sind, die— was das berührte Problem betrifft— in einem anderen Artikel dieses<br />
Heftes vom denkbar entgegengesetzten Standpunkt eines Außenseiters beleuchtet<br />
wird.<br />
Damit soll in keiner Weise gesagt sein, daß Namiers Analysen kritischer Art nicht<br />
ernsteste Beachtung verdienen. Wir teilen vielmehr durchaus die Meinung des Verfassers,<br />
daß man an dieser glänzenden Figur nicht vorbeigehen darf und daß es <strong>für</strong><br />
eine interessierte deutsche Öffentlichkeit sehr wichtig ist, die Anschauungen kennenzulernen,<br />
die ein führender Historiker Englands so scharfsinnig und so erfolgreich vertritt.<br />
H. R.<br />
„Alle Geschichte ist notwendigerweise subjektiver und individueller Natur, bedingt<br />
durch das Interesse und die Vorstellungskraft des Historikers . . . Der große<br />
Geschichtsschreiber ähnelt dem großen Künstler oder Arzt: nachdem er sein Werk<br />
beendet hat, sollten andere nicht mehr in der Lage sein, in der gleichen Sphäre und<br />
unter den Voraussetzungen der vorhergehenden Ära zu praktizieren . . . Eine<br />
analytische Einsicht in das Gewebe menschlicher Angelegenheiten, verbunden mit<br />
der Gewissenhaftigkeit der eigenen Beschränkungen, ist das Kennzeichen des wirklichen<br />
Historikers."<br />
Dies sind bezeichnende Bemerkungen aus den Werken des englischen Geschichtsschreibers<br />
Lewis Namier, den Professor A. P. Taylor (Oxford) als den „führenden<br />
Historiker unseres Zeitalters" bezeichnet hat und der selbst <strong>für</strong> den liberalen<br />
„Manchester Guardian" „a master without a peer" ist. Sir Lewis reiht sich in der Tat<br />
jenen großen englischen Historikern würflig an, die durch Gibbon, Carlyle, Ma-