Demokratie- theorien
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78 Teill: Vorläufer moderner <strong>Demokratie</strong><strong>theorien</strong><br />
Montesquieu erörtert Strukturen, handlungsleitende Prinzipien und Voraussetzungen<br />
der <strong>Demokratie</strong> und erkundet zudem ihre Störanfälligkeit und Zerfallsbedingungen.<br />
Ihr Prinzip zu wahren, also die Tugend beizubehalten, ist eine<br />
anspruchsvolle Aufgabe. Dabei drohen der <strong>Demokratie</strong> Gefahren. Kommt ihr<br />
"der Geist der Gleichheit" abhanden und gewinnt der "Geist der Ungleichheit"<br />
die Oberhand, wird sie entarten (De /'Esprit des Loix VIII, 2). Auseinanderbrechen<br />
wird die <strong>Demokratie</strong> aber auch, wenn "der Geist extremer Gleichheit einreißt"<br />
(De l'Esprit des Loix VIII, 3). Der "Geist der Ungleichheit" formt die <strong>Demokratie</strong><br />
zur Aristokratie oder zur Einerherrschaft um. Der "Geist extremer Gleichheit"<br />
hingegen mündet in Despotie. Gleiches kann geschehen, wenn der <strong>Demokratie</strong><br />
die "Liebe zur Frugalität" verlorengeht<br />
Ursache des Verfalls einer jeden Staatsform ist für Montesquieu die Erosion<br />
der kulturellen Grundlagen. Der Verfall beginnt fast immer mit der Auflösung<br />
ihrer Grundsätze, mit zuviel oder zuwenig Gleichheit in der <strong>Demokratie</strong>, mit<br />
willkürlicher Machtanwendung im Fall der Aristokratie, mit Abschaffung intermediärer<br />
Gewalten und übermäßiger Konzentration politischer Macht in der<br />
Monarchie und mit Selbstzerstörung aufgrund der inneren Logik der Despotie<br />
(De !'Esprit des Loix VIII). Auch an dieser Stelle erweist sich der "Geist der Geset<br />
ze" als eine Schlüsselgröße.<br />
3.5 Würdigung von Montesquieus "freiheitlichem Staatsmodell"<br />
Montesquieus Staatsmodell ist seiner Zeit voraus. Das gilt sowohl für die Gewaltenverteilungslehre<br />
als auch für die demokratietheoretische Bedeutung seines<br />
Werkes. In ihm wird die Gewaltenverteilung mit dem "monarchischen Prinzip"<br />
kombiniert, das lange als der Logik der Gewaltenteilung entgegengesetzt galt<br />
(Korioth 1998). Montesquieus Staatsmodell enthält zudem demokratiefreundliche<br />
Züge. Sie haben manche dazu verleitet, sein Staatsmodell insgesamt als "liberalisierte"<br />
<strong>Demokratie</strong> (Sartori 1992) zu werten oder als "gemäßigte <strong>Demokratie</strong>"<br />
(Schwan 1991) einzustufen. Doch Montesquieu ist kein Parteigänger der <strong>Demokratie</strong>.<br />
Vielmehr favorisiert er, hin- und hergerissen von der "Spannung zwischen<br />
aristokratischer Vorliebe und republikanischer Neigung" (Ottrnann 2006: 450),<br />
eine gemäßigte konstitutionelle Monarchie mit aristokratischem und republikanischem<br />
Beiwerk. Von <strong>Demokratie</strong> ist nach wie vor nur in schmaler Dosierung die<br />
Rede: Demos heißt bei Montesquieu Volk abzüglich der großen Mehrheit des<br />
"niederen Volkes". Und <strong>Demokratie</strong> ist für ihn primär ein ideeller, programmatischer<br />
Bestandteil einer scharfen Kritik am französischen Absolutismus.<br />
Montesquieus Idee der "gemäßigten <strong>Demokratie</strong>" 79<br />
Gleichwohl sind Montesquieus demokratietheoretische Elemente für die<br />
damalige Zeit radikal (Weigand 1965: 31, 77). Manche schreiben ihnen sogar<br />
"revolutionäres Potential" zu (Schwan 1991: 216). Tatsächlich werden sich führende<br />
Köpfe der Französischen Revolution auf Montesquieu als geistigen Ahn<br />
herrn berufen (Hampson 1983). Auch in die Verfassung der Vereinigten Staaten<br />
von Amerika werden seine Lehren Eingang finden.<br />
Montesquieus "Verurteilung des Despotismus" (Fetscher 1985: 444) und sei<br />
ne Kritik der Monarchie und des Monarchen trugen ihm allerdings die Ungunst<br />
des Hofes ein (Desgraves 1992: 99f.). Auch die Kirche brachte er gegen sich auf.<br />
Beleidigung der Religion, Naturreligion und Mangel an christlicher Überzeugung<br />
warf sie ihm vor. Drei Jahre nach der Erstveröffentlichung von 1748 wurde Vom<br />
Geist der Gesetze sogar auf den Index gesetzt (Desgraves 1992: 350f., 358f.). Zudem<br />
distanzierten sich etliche Personen, die sich in einzelnen Passagen des Werkes zu<br />
harsch kritisiert sahen, Genuas Kaufleute beispielsweise und die Finanziers der<br />
Staatsverschuldung (ebd.: 342f.), von Montesquieu. Größte Aufmerksamkeit fand<br />
Montesquieus Kritik jedoch bei der intellektuellen Opposition gegen den Staatsabsolutismus,<br />
und praktisch-politisch hat sein Werk vor allem in Westeuropa<br />
und Amerika nachhaltig gewirkt. Auch die genuin wissenschaftliche Bedeutung<br />
seines Werkes ist groß. Montesquieus Staatsformenlehre ist lehrreich, auch in<br />
demokratietheoretischer Hinsicht. Sie hat eine beachtliche empirische Komponente<br />
und demonstriert ein gutes Gespür für sozialwissenschaftliche Analyse<br />
(Durkheim 1953), auch wenn die Methodik noch nicht ausgereift und die Beweisführung<br />
mitunter impressionistisch ist. Doch der sozialwissenschaftliche Gehalt<br />
von Montesquieus Staatsformenlehre, insbesondere ihre Sensibilität für institutionelle<br />
und kulturelle Variablen, setzt Maßstäbe. Rund hundert Jahre später wird<br />
Alexis de Tocqueville die <strong>Demokratie</strong> in den Vereinigten Staaten von Amerika<br />
systematisch hinsichtlich des Spannungsverhältnisses von Gleichheit und Freiheit<br />
untersuchen - unter anderem mit Begriffen und Methoden, die auf Montesquieu<br />
und auf Analytiker, die auf seinem Werk aufbauen, zurückgehen. Besonders<br />
fruchtbar für die Theorie und Praxis des demokratischen Verfassungsstaates ist<br />
Montesquieus Lehre der Balancierung der Staatsgewalten und der gesellschaftlichen<br />
Kräfte (Weinacht 1999a, 1999b). Mit ihr trägt Montesquieu Wegweisendes<br />
zur Theorie des Verfassungsstaates und zur konstitutionellen ZügeJung der<br />
Herrschaft bei, auch zur Theorie und Praxis der <strong>Demokratie</strong>bändigung.