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Demokratie- theorien

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seaus Bild der politischen Rolle der Frau (Ottmann 2006: 501). Feministische Theoretikerinnen<br />

sind deshalb schlecht beraten, wenn sie Rousseau als Kronzeugen<br />

für "feministische <strong>Demokratie</strong>" aufrufen. Und die Anhänger der partizipatorischen<br />

und der deliberativen <strong>Demokratie</strong>theorie tun sich keinen Gefallen, wenn<br />

sie ihr Anliegen auf Rousseaus Theorie stützen wollen.<br />

Der fehlende grundrechtliche Unterbau<br />

Ein weiterer Mangel von Rousseaus Befürwortung politischer Beteiligung ist der<br />

fehlende grundrechtliche Unterbau. Rousseau kennt Bürgerrechte, aber er kennt<br />

keine Grundrechte, d.h. dem Einzelnen zustehende, meist durch Verfassung<br />

verbriefte Elementarrechte zum Schutz gegen öffentliche Gewalt und zum Zwecke<br />

interindividueller Abgrenzung von Freiheits- und Interessensphären. Somit<br />

fehlen seiner Theorie fundamentale Sicherungen der Bürger gegen staatliche<br />

Politik und Herrschaft. Rousseaus Theoriewerk liegt offensichtlich eine eigentümliche<br />

Vorstellung von weitgehend konfliktfreier Homogenität und Harmonie<br />

in der Bürgerschaft zugrunde. Und Politik scheint für Rousseau eine höchst einfache<br />

Angelegenheit zu sein. Doch beides passt nicht auf eine nach Schichten und<br />

Klassen, Ethnien und Konfessionsgruppen gegliederte Gesellschaft.<br />

Verabsolutierte Volkssouveränität<br />

Wie schon erwähnt wird die Volkssouveränität in Rousseaus Theorie absolut<br />

gesetzt. Die Souveränität des Volkes ist Rousseau zufolge prinzipiell unbeschränkt<br />

und unbeschränkbar - sie kann nicht durch formelle oder informelle<br />

Institutionen begrenzt werden. Dem einzelnen Bürger mangelt es demnach an<br />

jeglichem Schutz vor dem Souverän. Insoweit trifft von Gierkes Vorwurf ins<br />

Schwarze, wonach Rousseaus Gesellschaftsvertrag mit der "absoluten Veräußerung<br />

allen Individualrechts an die souveräne Gesamtheit" einhergehe (zitiert bei Maier<br />

1968: 129). Im Extremfall kann die "Souveränität des Volkes" sogar die "Souveränität<br />

des Individuums zerstören" (Berlin 1969: 163).<br />

Das problematische Gesetzgebungsmodell<br />

Das Gesetzgebungsmodell ist ein fünftes Problem von Rousseaus Politischer<br />

Theorie. Ihm zufolge hat das Volk in der Volksversammlung oder beim Plebiszit<br />

die Aufgabe, Gesetze zu beschließen und zu verabschieden. Nicht zu seinen Befugnissen<br />

gehört die Formulierung der Gesetze. Deren Ausarbeitung und Vorberatung<br />

wird Sachverständigen überlassen, die als- aufs Gemeinwohl verpflichtete<br />

Berater des Volkes tätig werden. Faktisch ist ihre Position jedoch die von<br />

"Volkserziehem" (Schwan 1991: 227). Das schließt die Möglichkeit der Verwand-<br />

Radikale Theorie der Volkssouveränität: Rousseaus zur <strong>Demokratie</strong>theorie 95<br />

lung von Sachautorität in politische Herrschaft und der Manipulation des eigentlichen<br />

Souveräns durch die Sachverständigen ein.<br />

Auch die Regierung hat erheblich mehr Spielraum gegenüber dem Souverän,<br />

als dies auf den ersten Blick gegeben zu sein scheint. Und dennoch kommt<br />

ihr in Rousseaus Theorie nur eine untergeordnete Rolle zu. Rousseau ist ihrem<br />

großen Handlungsspielraum gegenüber gleichgültig. Seine Theorie kennt keine<br />

Schranken gegen die volle Nutzung oder Dehnung des Handlungsspielraums,<br />

weder seitens des Souveräns noch seitens der Regierungen. Mithin ist in seiner<br />

Theorie die Flanke zur Verselbständigung der Staatsgewalten offen.<br />

Die autoritarismusanfällige Lehre von der" Zivilreligion"<br />

Schlussendlich ist der autoritäre Zug zu bedenken, den Rousseau in seiner Lehre<br />

von der Volkssouveränität und der volonte generale anlegt und dadurch stärkt,<br />

dass er auf den letzten Seiten im Gesellschaftsvertrag die Lehre von der "Zivilreligion"<br />

einführt. Die "Zivilreligion" gibt einen Satz von Dogmen vor, unter ihnen<br />

"die Heiligkeit des Gesellschaftsvertrags und der Gesetze" (Vom Gesellschaftsvertrag<br />

IV, 8), der alle Bürger gesinnungspolitisch darauf festlegt, seine Pflichten zu<br />

lieben. Die "Zivilreligion" ist als Stabilisierungsmittel gedacht, um den Gemeinwillen<br />

gesamtgesellschaftlich verbindlich durchzusetzen, nötigenfalls mit Zwang<br />

und im Grenzfall -bei anhaltendem öffentlichen Verstoß gegen die Dogmen<br />

mit Sanktionen bis zur Todesstrafe.<br />

Wirkungen und Bewertungen des Werkes<br />

Insoweit mischen sich in Rousseaus Theorie radikalemanzipatorische und radikaldemokratische<br />

Elemente mit autoritären Komponenten. Die Souveränität des<br />

absolutistischen Staates färbt auch auf die Kritik ab, die Rousseau als einer ihrer<br />

Gegner entwirft. Der demokratische Souverän des Gesellschaftsvertrags ist in<br />

seiner legislativen Entscheidungskompetenz "nicht weniger machtvollkommen<br />

als der monokratische oder aristokratische Souverän des Leviathan", und die<br />

Staatslehre des Jean-Jacques Rousseau in ihrer rechtstechnischen Grundstruktur<br />

"so absolutistisch-autoritär wie die des Thomas Hobbes" (Mayer-Tasch 1968:<br />

104). Mehr noch: Rousseaus Souveränität hat gottesähnliche Attribute (Ottmann<br />

2006: 485f.). In die Souveränität liest er die Vorstellung hinein, die sich die Philosophen<br />

lange Zeit von Gott gemacht haben. Allerdings ist die Souveränität von<br />

Rousseaus Gesellschaftsvertrag zumindest an den Mehrheitswillen und im Prinzip<br />

an Gemeinwohlnormen gebunden - das unterscheidet sie wesentlich von der<br />

absolutistischen und totalitären Souveränität.

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