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G L A N Z L IC H T E R IM J U N I - Sonnendeck

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Privat, öffentlich oder gleich Crowdfunding – woher kommt in Zukunft das Geld für die Kultur?<br />

Antonio Manfredi tritt vor sein Museum für<br />

zeitgenössische Kunst, nickt den Pressevertreten<br />

und Schaulustigen zu, greift zu einem Industrieflammenwerfer<br />

– und fackelt ein surrealistisches<br />

Gemälde des brasilianischen Künstlers José<br />

D’Apice ab. In der Woche zuvor waren Astrid Stöfhas,<br />

Séverine Bourguignon und Rosaria Matarese<br />

dran. Alle zwei, drei Tage verbrennt der Fotograf,<br />

Bildhauer und Museumsdirektor Manfredi Werke<br />

namhafter Künstler aus dem Bestand seines Casoria<br />

Contemporary Art Museum (CAM). Casoria<br />

ist eine mittelgroße Stadt im Dunstkreis von<br />

Neapel. An Flammen sind sie dort gewöhnt, die<br />

brennenden Müllkippen der Metropole sind in<br />

Sichtweite. Die Gemeinde beauftragte Manfredi<br />

vor sieben Jahren ein Museum für Zeitgenössisches<br />

im leerstehenden UG der Grundschule<br />

einzurichten. Doch schon wenig später wurde<br />

der Gemeinderat wegen Durchsetzung mit Mafia-<br />

Typen aufgelöst. Der nachfolgende Rat war zwar<br />

mafiafrei – aber auch weniger kunstsinnig, und<br />

strich die Förderung des CAM. Nun stellten auch<br />

die wenigen privaten Geber den Geldfluss ein, da<br />

keine steuerfähigen Spendenbescheide mehr zu<br />

20 – BRISE<br />

erwarten waren. Seither machen Manfredi und<br />

seine Mitarbeiter den Job für Umme. Im Jahr<br />

2011 erbat der kunstvernarrte CAM-Direktor in<br />

einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />

„politisch-kulturelles Asyl“ für seine auf über tausend<br />

Werke angewachsene Sammlung. Merkel<br />

lies das Goethe-Institut Neapel eine vierwöchige<br />

Sommerausstellung in Berlin organisieren. Mehr<br />

war nicht drin, denn eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis<br />

sieht das deutsche Asylrecht auch<br />

für Kunstwerke nicht vor. Nachdem die Gemeinde<br />

Casoria nun auch noch die Nutzungsverträge für<br />

die Museumsräume gekündigt hat, griff Manfredi<br />

zum äußersten Mittel, dem Industrieflammenwerfer.<br />

„Wenn die Werke keine Bleibe mehr haben,<br />

sind sie eh verloren, da kann ich sie gleich verbrennen“<br />

meint der frustrierte Kunstmensch, während<br />

er Fotografien der österreichischen Künstlerin<br />

Helga Gasser verheizt. Gasser gab wie alle anderen<br />

Künstlerinnen die Erlaubnis zur Einäscherung<br />

und war per Skype zugeschaltet. Gebracht hat die<br />

Aktion bisher nichts, Manfredi sucht immer noch<br />

Räume und Gönner und Asyl, jedoch hat sie auf<br />

spektakuläre Weise zu einer Diskussion beigetra-<br />

gen, die seit der Etablierung eines Dauerlochs in tungen dem „Sichtbarmachen“ des eigenen Hauses<br />

den öffentlichen Kassen geführt wird: Wer soll die oder Logos gewichen. Die Massen, die vor der Tür<br />

Kunst und ihre Präsentation finanzieren?<br />

Schlange stehen, sind sichtbarer, als die Armselig-<br />

Another Hedge – another Munch<br />

keit der Exposition des Immergleichen, die drinnen<br />

den kunstinteressierten Besucher erwartet.<br />

Anfang Mai ging in New York Edvard Munchs Ausstellungen die Jahr für Jahr wie eine Musical-<br />

Der Schrei für 107 Millionen US-Dollar netto über truppe auf Tournee durch Europas Kunsthäuser<br />

den Tisch. Bieter öffentlicher Museen wurden in geschleust werden, sind Ausdruck eines öffentlich<br />

den Räumen des Aktionshauses Sotheby‘s keine bezuschussten Kulturverständnisses, das Kunst<br />

gesehen, sie hätten ohnehin nach drei Minuten nur noch auf ihre Eventtauglichkeit hin abklopft.<br />

Bietergefecht wegen notorischer Klammheit aus- Wem das jetzt zu sehr nach Bashing der stadt- und<br />

steigen müssen. Das international bekannte Bild staatstragen Großmuseen und Kunsthallen klingt,<br />

steht symbolisch für die existentielle Angst und soll sich beruhigen – und in die kleinen und mitt-<br />

die Verzweiflung des Menschen in der Moderne – leren Häuser gehen, wo oft aus mageren Börsen<br />

und seit 2. Mai auch für die Impotenz öffentlicher Spitzenarbeit geschöpft und mit Messer und Gabel<br />

Kulturetats. Im Falle von Der Schrei ist das nicht gegessen wird.<br />

weiter tragisch, hängen doch zwei weitere Versi- Wer heute im großen Stil Kunst kauft, zeigt sie,<br />

onen des Temperagemäldes in öffentlich zugäng- schon im eigenen Interesse. Banken, Versichelichen<br />

Hallen in Oslo herum. Doch auf Dauer rungen und globale Wirtschaftsunternehmen<br />

betrachtet ist es kein Zustand, wenn Teile unseres präsentieren ihre großen Sammlungen, auch, um<br />

Kulturschatzes in den privaten Gemächern irgend- ein Image aufzupolieren das in ihren Hauptgewelcher<br />

Telefonbieter verschwinden, deren Namen schäftsfeldern beständig leidet. Gemeinden und<br />

man nicht erfährt, und die man nicht mal zurück- Städte sitzen zwar nicht mehr mit am Bietertisch,<br />

rufen kann, da die gewieften Privatsammler mit verrenken sich aber schier, wenn es darum geht<br />

Rufnummernunterdrückung arbeiten. „Gemach, einen Museumsneubau einer dieser privaten Groß-<br />

gemach“, ruft da der Hedgefonds-Manager Steven sammler auf der eigenen Gemarkung anzusiedeln.<br />

Cohen, einer der größten Kunstsammler der Welt, Was man sich selbst nicht mehr leisten kann oder<br />

„viele mir bekannte Blue-Chip-Sammler haben will, dessen Abglanz kann man sich wenigstens<br />

doch längst Kunsthallen gebaut, wo die Werke wie noch erschleichen, um so, sozusagen mit der<br />

in öffentlichen Museen zugänglich sind“. „Klasse“, letzten Puste, doch noch den Standortfaktor zu<br />

ruft der Vertreter vom Deutschen Museumsbund, pushen. Man sieht, die Unterschiede zwischen pri-<br />

„soll ich in die Emirate fliegen, um einen August vater und öffentlicher Kunstverwalterei sind mar-<br />

Macke zu Gesicht zu bekommen? Längst werden ginal, beide folgen sie ähnlichen Strukturen, beide<br />

doch die Werke der Top-50-Artists in Dirham, streben nach gleichen Zielen. Die konzentrischen<br />

Rubel oder Rupien bezahlt!“ Man sieht, der Kampf Kreise von Wirtschaft, Kunst, Medien und Politik<br />

um die Schätze der Kulturen, um die in Kunst- finden zusammen, doch was lauert in deren Mitte?<br />

werke umgegossenen kollektiven Ängste und Sehn- Leserbriefe bitte an die Redaktionsadresse. Die<br />

süchte ihrer Bürger, wird mit glühender Zunge und ersten drei Einsender einer sinnbehafteten Ant-<br />

lauen Argumenten geführt. Das Klischee wort erhalten eine Freikarte für die Landesgarten-<br />

vom selbstsüchtigen Großsammler schau 2012 in Nagold.<br />

mit atomwaffensicherem Kunsttresor<br />

in den kein Licht des Tages und<br />

Bei Anruf – Kunst<br />

kein Blick eines Sterblichen dringt, Es ist ein Desaster, und weil es ein Desaster ist,<br />

ist ebenso falsch, wie die Mär von haben jetzt alle ganz viele tolle Ideen. Schirnder<br />

fürsorgenden öffentlichen Kul- Direktor und Städel-Chef Max Hollein schwärmt<br />

turförderung, die noch einem jeden in der SZ über die Vorzüge der Bürgerstiftung.<br />

Künstler ein zimmerwarmes Plätzchen All die verdienten Sammler und Kleinanleger,<br />

zuteilt. Längst haben auch in öffentlichen sollten doch die Kulturetats entlasten, indem<br />

Kulturhäusern bizarre Verteilungsprozesse und sie stiften. Mehr „philanthropisches Handeln“<br />

marktkapitalistische Entscheidungsstrukturen sei gefragt, „in der Kultur, in der Erziehung, im<br />

Einzug erhalten. Des Öfteren entsteht der Ein- Gesundheitswesen“. Wir kennen das aus den USA,<br />

druck, da wird bezuschusst, was eigentlich bezu- wo jede Zuschauerbank in der Videokabine eines<br />

schussen sollte. Die Quotenfalle pervertiert Kunstmuseums den Namen des Spenders trägt<br />

den „Erziehungsauftrag“, das „Sichtbar- und die ersten zehn Seiten des Biologiebuchs Klasmachen“<br />

einer Vielheit aktueller Kunstsenstufe 7 aus einer Werbestrecke eines Düngewerke,<br />

ist in einigen großen Einrichmittelherstellers besteht. Dann doch lieber gleich<br />

BRISE – 21

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