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30. Januar 2011 - Die Evangelisch-altreformierte Kirche in ...

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Seite 14<br />

I M S T R O M D E R Z E I T<br />

Zum Tag des Gedenkens<br />

an die Opfer des<br />

Nationalsozialismus am 27. <strong>Januar</strong><br />

»<strong>Die</strong> Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist<br />

nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen<br />

dem hellen Morgenstern. Auch wer zur<br />

Nacht gewe<strong>in</strong>et, der stimme froh mit e<strong>in</strong>.<br />

Der Morgenstern besche<strong>in</strong>et auch de<strong>in</strong>e<br />

Angst und Pe<strong>in</strong>.« So dichtet Klepper im<br />

Jahre 1938. Der helle Morgenstern, der<br />

das Ende der langen Nacht besche<strong>in</strong>t, er<br />

steht für Jesus Christus. Und dieser Morgenstern,<br />

er besche<strong>in</strong>t all unsere »Angst<br />

und Pe<strong>in</strong>«. Jochen Klepper wusste, wovon<br />

er sprach, als er diesen Text verfasste. Seit<br />

Anfang der 30er-Jahre war er mit se<strong>in</strong>er<br />

jüdischen Frau Johanna verheiratet, die<br />

aus erster Ehe zwei Töchter mit <strong>in</strong> die<br />

neue Familie brachte.<br />

Bereits mit der Machtübernahme der<br />

Nationalsozialisten verlor Klepper aufgrund<br />

se<strong>in</strong>er jüdischen Beziehung se<strong>in</strong>e<br />

Anstellung beim Rundfunk. Jahre der Demütigungen<br />

und Verunglimpfungen folgten.<br />

Doch der Ehemann stand zu se<strong>in</strong>er<br />

Ehefrau und sie zu ihm. Als sich im Dezember<br />

1942 se<strong>in</strong>e Hoffnung auf e<strong>in</strong>e<br />

Emigration nach Schweden für die jüngere<br />

Tochter zerschlug, sah die Familie ke<strong>in</strong>en<br />

anderen Ausweg der drohenden Deportation<br />

zu entkommen, als ihrem Leben<br />

selbst e<strong>in</strong> Ende zu setzen.<br />

»Gott will im Dunkel wohnen, und hat<br />

es doch erhellt«, so dichtet Klepper <strong>in</strong> der<br />

fünften und letzten Strophe. Und weiter<br />

heißt es: »Als wollte er belohnen, so richtet<br />

er die Welt. Der sich den Erdkreis baute,<br />

der lässt den Sünder nicht. Wer hier<br />

dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem<br />

Gericht.«<br />

In diesem Vertrauen auf die Barmherzigkeit<br />

des Sohnes Gottes muss Jochen<br />

Klepper mit se<strong>in</strong>er Familie <strong>in</strong> den Tod gegangen<br />

se<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong> letzter Tagebuche<strong>in</strong>trag<br />

zeugt davon, wenn er schreibt: »Wir gehen<br />

heute Nacht geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> den Tod.<br />

Über uns steht <strong>in</strong> den letzten Stunden das<br />

Bild des segnenden Christus, der um uns<br />

r<strong>in</strong>gt. In dessen Anblick endet unser Leben.«<br />

Als Roman Herzog 1996 die erste Rede<br />

anlässlich des Tages des Gedenkens an<br />

die Opfer des Nationalsozialismus hielt,<br />

sagte er: »Das Allerwichtigste ist es, den<br />

Jungen den Blick dafür zu schärfen, woran<br />

man Rassismus und Totalitarismus <strong>in</strong><br />

den Anfängen erkennt. Denn im Kampf<br />

gegen diese Grundübel des 20. Jahrhunderts<br />

kommt es vor allem anderen auf<br />

rechtzeitige Gegenwehr an. <strong>Die</strong> Erfahrung<br />

der NS-Zeit verlangt von uns und allen<br />

künftigen Generationen, nicht erst aktiv<br />

zu werden, wenn sich die Schl<strong>in</strong>ge schon<br />

um den eigenen Hals legt. Nicht abwarten,<br />

ob die Katastrophe vielleicht ausbleibt,<br />

sondern verh<strong>in</strong>dern, dass sie überhaupt<br />

die Chance bekommt e<strong>in</strong>zutreten.«<br />

Der heutige Bundespräsident formulierte<br />

es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Weihnachtsansprache wie<br />

folgt: »Wir leben <strong>in</strong> verschiedenen Lebenswelten,<br />

wir s<strong>in</strong>d unterschiedlich, was unsere<br />

Herkunft angeht, unsere Religion, unsere<br />

Bildung und unsere Träume vom<br />

Glück. Damit e<strong>in</strong>e Gesellschaft aus so<br />

vielfältigen Menschen Bestand hat, brau-<br />

chen wir vor allen D<strong>in</strong>gen: Respekt. Respekt<br />

vor dem, der anders ist als man<br />

selbst.«<br />

Wo der Respekt verloren geht, wo die<br />

Menschenwürde des anderen nichts wert<br />

ist, wo versucht wird, Sicherheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Gesellschaft oder zwischen Nationen e<strong>in</strong>zig<br />

auf militärischer Stärke oder auf Ausgrenzung<br />

des Andersartigen aufzubauen,<br />

da wird e<strong>in</strong>es verkannt: Lebendige Sicherheit,<br />

so formulierte es e<strong>in</strong>mal jemand, lebendige<br />

Sicherheit gründet auf Zusammenarbeit.<br />

Dass diese Zusammenarbeit<br />

das notwendige Streiten und Benennen<br />

von Unterschieden und Aushalten von<br />

Spannungen mit e<strong>in</strong>schließt und nicht<br />

ausblendet, ist grundlegend. Grundlegend<br />

ist aber auch, was Jochen Klepper erfahren<br />

hat: Dass über uns das Bild des segnenden<br />

Christus steht. E<strong>in</strong>es Christus, dessen<br />

Bewegung dar<strong>in</strong> besteht, auf den Andersartigen,<br />

den Fremden zuzugehen. Er<br />

hätte bei se<strong>in</strong>em Vater im Himmel bleiben<br />

können – <strong>in</strong> Sicherheit … Aber er wollte<br />

es anders sicher. Er wollte den Frieden auf<br />

Erden: Er g<strong>in</strong>g auf die anderen zu.<br />

Friedhelm Schrader, Emlichheim

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