Stenografischer Bericht - Deutscher Bundestag
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9522 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007<br />
Bundesminister Franz Müntefering<br />
(A) Information nützlich ist. Deshalb hätten Sie aber nicht so wirkt. Aber es gibt zunehmend mehr Menschen, die be- (C)<br />
viel Unsinn in Ihren Antrag hineinschreiben müssen, schäftigt sind und trotzdem ergänzend Arbeitslosen-<br />
Herr Kolb. Das wäre auch anders möglich gewesen. geld II bekommen. Darunter sind etwa 500 000 Voll-<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
der CDU/CSU)<br />
beschäftigte, eine Reihe von Teilzeitbeschäftigten,<br />
80 000 Selbstständige und die Aufstocker, bei denen das<br />
Arbeitslosengeld I nicht hoch genug ist. Damit müssen<br />
Ihren einfältigen Hinweis darauf, dass Stundenlöhne wir uns auseinandersetzen. Die Diskussion darüber, ob<br />
nicht davon abhängen, ob jemand verheiratet ist oder wir 21,4 Milliarden oder 25 Milliarden Euro für passive<br />
nicht, Kinder hat oder nicht – das wusste ich auch vorher Leistungen im Rahmen des Arbeitslosengeldes II ausge-<br />
schon.<br />
ben, hat damit zu tun.<br />
(Beifall bei Abgeordneten der SPD –<br />
Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da bin ich mir<br />
nicht so sicher!)<br />
Also, die Frage zum Schluss war wahrscheinlich doch<br />
nicht so ganz ernst gemeint.<br />
Allen, die sagen, der Staat müsse zuzahlen, sage ich:<br />
Leute, überlegt es euch noch einmal genau! Diese<br />
Staatslohnphilosophie führt in die Irre. Wenn man Ihren<br />
Antrag genau liest, stellt man fest: Sie sagen im<br />
Grunde nichts. Wenn die Löhne nun einmal so niedrig<br />
sind, wie sie sind, dann muss nach Ihrer Vorstellung ein<br />
Bürgergeld – ein schöner Name – aus der Staatskasse gezahlt<br />
werden. Woher denn eigentlich sonst? Aber das<br />
kann nicht sein. Eine soziale Marktwirtschaft muss den<br />
Anspruch an sich selbst haben, dass die Produktivität der<br />
Menschen so hoch ist, dass sie so viel verdienen, dass sie<br />
davon auch leben können. Das muss das Ziel einer vernünftigen<br />
sozialen Marktwirtschaft sein.<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
der CDU/CSU)<br />
Inzwischen gibt es in Deutschland etwa 2,5 Millionen<br />
Menschen – Tendenz steigend –, die nicht arbeitslos<br />
sind, also Arbeitslosengeld II bekommen. Seit Einführung<br />
dieses Instruments sind es 800 000 mehr geworden.<br />
Ursprünglich waren es 1,7 Millionen. Die Zahl derjenigen,<br />
die arbeitslos sind und Arbeitslosengeld II bekommen,<br />
sinkt dagegen. Die Belebung auf dem Arbeitsmarkt<br />
Wie viel muss denn eigentlich gezahlt werden? Und<br />
wer zahlt diese Löhne nicht so hoch, wie sie eigentlich<br />
sein müssten? Darüber haben wir diskutiert. Wir haben<br />
fünf Lösungsansätze, die ich in aller Kürze beschreiben<br />
möchte:<br />
Wir haben in langen Diskussionen zwei Probleme im<br />
Niedriglohnbereich in Deutschland herausgearbeitet, die<br />
auch unbestritten sind. Die Lohnspreizung ist groß. Es<br />
gibt zunehmend Menschen, die einen so niedrigen Lohn<br />
haben, dass sie davon nicht leben können. Deshalb zahlt<br />
der Staat zunehmend Löhne indirekt. Für Verheiratete<br />
und Arbeitnehmer mit Kindern gibt es – darauf haben<br />
Sie abgehoben – immer Sozialtransfers; das ist völlig<br />
unbestritten. Aber immer mehr ist es so, dass, so zum<br />
Beispiel bei Postdiensten, die zu Billigstbedingungen<br />
Erster Lösungsansatz: Angebot an alle Branchen, in<br />
das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu kommen. Wir<br />
können keinen dazu zwingen; das wollen wir auch nicht.<br />
Das Angebot gilt aber für alle. Sie müssen versuchen,<br />
die dafür erforderlichen Strukturen herzustellen. Ich<br />
möchte, dass wir Anfang des nächsten Jahres dann in einem<br />
großen Gesetz möglichst viele Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz<br />
aufnehmen können und es<br />
so in Bezug auf die Dienstleistungsrichtlinie, die 2009<br />
kommen wird, sichern können.<br />
(B)<br />
Post verteilen – Stichwort „billige Briefmarken“ –, der<br />
Staat mit seinem Sozialtransfers die Löhne ersatzweise<br />
zahlt. Das ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verbraucherpolitik<br />
nicht vernünftig. Dort, wo Löhne und Preise<br />
– beispielsweise beim Friseur – so niedrig werden, dass<br />
anschließend die Gemeinschaft aller aus der Steuerkasse<br />
den Rest der Löhne zahlen muss, ist das ein Verstoß gegen<br />
„normale“ Ordnungspolitik. Das hat mit sozialer<br />
Marktwirtschaft und vernünftiger Ordnungspolitik überhaupt<br />
nichts zu tun.<br />
Wir werden sehen, welche Branchen die Aufnahme<br />
beantragen werden. Einige kenne ich schon; die haben<br />
sich schon bei mir gemeldet. Es melden sich übrigens<br />
nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber. Das<br />
zweite Problem, das ich vorhin nicht angesprochen habe,<br />
ist nämlich, dass es ganz viele Arbeitgeber gibt, die einen<br />
ordentlichen, fairen Lohn zahlen und sagen: Es kann<br />
doch nicht sein, dass irgendeiner mit Lohndumping mich<br />
als Unternehmer untergräbt. – Da kamen Arbeitgeber<br />
aus der Wachdienstbranche zu mir und sagten: Wir wol-<br />
(D)<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
der CDU/CSU)<br />
len unseren Leuten anständige Löhne, 7 Euro, zahlen.<br />
Was sollen wir aber machen, wenn ein anderes Unternehmen<br />
die Arbeit für 2,50 Euro macht? – Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer wollen also in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz<br />
aufgenommen werden.<br />
Unser Angebot gilt für alle Branchen: Sie sollen im<br />
Verlauf dieses Jahres klären, ob sie in das Arbeitnehmer-<br />
Entsendegesetz aufgenommen werden wollen; dann<br />
müssen sie die strukturellen Voraussetzungen dafür<br />
schaffen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen Verträge<br />
schließen. Wir beeinflussen die Tarife überhaupt<br />
nicht.<br />
Das läuft wie bei den Gebäudereinigern. Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer dieser Branche sind zu uns gekommen<br />
und haben gesagt: Macht den Tarif von<br />
7,87 Euro im Westen und 6,36 Euro im Osten allgemeinverbindlich.<br />
Das haben wir dann gemacht. So läuft das<br />
ab. Instrument Nr. 1 ist also, ein tariflicher Mindestlohn,<br />
wie ich es immer genannt habe.<br />
Instrument Nr. 2: Kombilöhne. Ja, es gibt Menschen,<br />
die aus verschiedenen Gründen nicht produktiv genug<br />
sind. Da sagen wir: Wir zahlen dazu. Bei schwervermittelbaren<br />
Jugendlichen unter 25 Jahren sagen wir: Arbeitnehmer,<br />
stell den Jugendlichen ein, wir zahlen zwei