Afghanistan Alive!
Afghanistan Alive!
Afghanistan Alive!
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Afghanistan</strong> <strong>Alive</strong>! – Filme aus und<br />
über <strong>Afghanistan</strong><br />
INES STEINER<br />
Freie Meinungsäußerung, die Freiheit der Kunst und<br />
die Rechte der Frauen – diese lästigen »westlichen«<br />
errungenschaften aufzugeben, wäre die heutige<br />
afghanische Regierung wohl zu allererst bereit,<br />
wenn sie sich dafür mit den taliban über die Aufteilung<br />
materieller Ressourcen einigen könnte. noch<br />
ist der einfluss der internationalen Geldgeber und<br />
truppensteller groß genug, eine solche entwicklung<br />
aufzuhalten. Mehr denn je steht jedoch dahin, ob<br />
das experiment einer afghanischen Demokratie eine<br />
Zukunft haben wird.<br />
Unter diesen außergewöhnlichen, ja singulären<br />
Bedingungen gehört <strong>Afghanistan</strong> – eine nation<br />
ohne große Kinotradition, die noch immer unter den<br />
kulturellen verwüstungen leidet, wie sie von den<br />
radikalen Bilderstürmern angerichtet wurde – jetzt in<br />
diesem Augenblick zu den spannendsten Filmländern<br />
der Welt.<br />
Standen zu Beginn der 2000er-Jahre die kommunikativen<br />
Aspekte des Mediums, soziale verständigung<br />
und Selbstverständigung über den neuanfang im<br />
Zentrum der Produktion, so wird inzwischen immer<br />
deutlicher auch die Frage nach der problematischen<br />
nationalen Identität des vielvölkerstaates, seinen<br />
kulturellen Wurzeln und darauf abgestellten Wegen<br />
der vermittlung – einem afghanischen Film-Stil,<br />
einer afghanischen Film-Sprache – gestellt. Die<br />
unabweisbare Gefährdung durch einen Rückfall in<br />
Barbarei und Unterdrückung verleiht diesen Fragen,<br />
und damit auch den aus ihnen entstandenen Filmen,<br />
eine spezifische Dringlichkeit.<br />
AFGhAnIStAn AlIve!<br />
nicht zuletzt beraubt dieses Kino den westlichen<br />
Betrachter, der es gern einfach hätte, aller vermeintlichen<br />
Sicherheiten: Weder zwischen Religiösen und<br />
Weltlichen noch zwischen hauptstadt und Provinz<br />
oder verschiedenen ethnien verlaufen klare trennlinien.<br />
Stattdessen gibt es Widersprüchliches zuhauf;<br />
in einer spannungsreichen Konstellation von tradition<br />
und Moderne sehen sich die Menschen plötzlich<br />
einer vielzahl von Wahlmöglichkeiten ausgesetzt,<br />
welche die Suche nach Identität zum Patchworkunternehmen<br />
werden lassen.<br />
Dies bildet sich, reflektiert, zuallererst in der aus<br />
Kostengründen immer noch raren afghanischen<br />
Spielfilm-Produktion ab, wo mit höchst verschiedenen,<br />
heterogenen und manchmal unvereinbaren<br />
Mitteln nach angemessenen Darstellungsweisen für<br />
die Probleme des zerrissenen landes gesucht wird.<br />
Zugleich aber wird dem aufmerksamen Betrachter<br />
schnell klar, dass Feature und Dokumentarformate<br />
in der aktuellen Situation eine einheit bilden, die<br />
beider Differenzen manchmal zum verschwinden<br />
bringt.<br />
Die breit angelegte Filmwoche »<strong>Afghanistan</strong> <strong>Alive</strong>«<br />
zeigt darum drei differente Perspektiven auf ein<br />
durch dreißig Jahre Krieg und den Zivilisationsbruch<br />
der taliban-Diktatur traumatisiertes land, dessen<br />
Bevölkerung einen Alltag in trümmern zu bewältigen<br />
hat und trotz aller Probleme die hoffnung auf<br />
ein besseres (Zusammen-)leben nicht aufgeben will.<br />
Da ist erstens die »fremde« – ethnologisch interessierte<br />
oder sozialkritisch engagierte – »Perspektive«<br />
europäischer und amerikanischer Filmteams, die<br />
für die Dauer eines Filmprojektes nach <strong>Afghanistan</strong><br />
reisen, um hier die Arbeit und die Probleme der Zusammenarbeit<br />
von starken Frauen beim Wiederaufbau<br />
vor Ort zu dokumentieren; so liz Mermin in the<br />
BeAUtY ACADeMY OF KABUl und Jochen Frank in<br />
AFGhAnen FlIRten nICht. Oder man wendet sich<br />
einem Segment der afghanischen (Populär-)Kultur<br />
zu, der endlich wieder erklingenden Musik etwa, um<br />
so Prozesse gesellschaftlicher veränderung aufscheinen<br />
zu lassen (die ausgezeichneten britischen<br />
Dokumentarfilme BReAKInG the SIlenCe oder<br />
AFGhAn StAR). Auch the BOY WhO PlAYS On the<br />
BUDDhAS OF BAMIYAn, Phil Grabskys teilnehmender<br />
Blick aufs Alltagsleben vertriebener hazara,<br />
kann und will den »fremden Blick« durch die Kamera<br />
bei aller empathie nicht verleugnen – so wie helga<br />
Reidemeisters WAR AnD lOve In KABUl aus stets<br />
spürbarer Distanz zeigt, dass auch die afghanischen<br />
Männer Opfer sind, Opfer nicht nur der Kriege,<br />
sondern auch der grotesken Ungleichheit zwischen<br />
den Geschlechtern.<br />
Da wäre zweitens die »gebrochene« Perspektive<br />
jener afghanischen (R-)emigranten der ersten oder<br />
zweiten Generation, die mit der Kamera bewehrt in<br />
ihr herkunftsland zurückkehren, um nach Zeichen<br />
des neuen, der hoffnung, der (ihnen selbstverständlichen)<br />
Modernität zu suchen. So sympathisieren<br />
Bahareh hosseini in AFGhAn GIRlS CAn KICK und<br />
Saharaa Karimi in AFGhAn WOMen At the Wheel<br />
natürlich mit den Mädchen und Frauen, die in Männerdomänen<br />
einbrechen. Und in einem schonungs-<br />
39