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»Gehn's zum roten Rößl, dös fin<strong>de</strong>n S' von selbst!« »War ich schon.« »Laßn S'<br />

das Herz sprechen und gehn's zum Scheidl!« »Kenn ich auch schon.«. »Ja,<br />

was wollen's <strong>de</strong>nn nacher haben? Wenn einer eh schon alls mitg'macht hat<br />

und is noch nicht zufrie<strong>de</strong>n —! Mirkwirdik san die Menschen!« Ich torkelte<br />

nach Hause. Am nächsten Tag stand ich mit einem fürchterlichen Katzenjammer<br />

auf. Ein Freund suchte mich zu überre<strong>de</strong>n, mit ihm ins Café Stadtpark zu<br />

gehen. Ich wi<strong>de</strong>rstand. Er sagte, ich sei blasiert.<br />

22<br />

Notizen<br />

Prag, im Palace—Saal, am 6. Januar:<br />

I. Nestroy: Szenen aus »Die bei<strong>de</strong>n Nachtwandler o<strong>de</strong>r: Das Notwendige<br />

und das Überflüssige« II. Untergang <strong>de</strong>r Welt durch<br />

schwarze Magie (aus S. 6—11, 18—23) / Man muß die Leute ausre<strong>de</strong>n<br />

lassen; Durch Bahr zur Suffragette gewor<strong>de</strong>n; Auf <strong>de</strong>r Suche<br />

nach Frem<strong>de</strong>n; Ich pfeife auf <strong>de</strong>n Text; Petite chronique scandaleuse<br />

III. Harakiri und Feuilleton (mit Vorwort). — Zugaben:<br />

Beim Anblick einer son<strong>de</strong>rbaren Parte; Der Deutlichkeit halber;<br />

Interview mit einem sterben<strong>de</strong>n Kind; Ich rufe die Rettungsgesellschaft;<br />

Wahrung berechtigter Interessen.<br />

Wie überall, auch hier Pendants:<br />

'Prager Tagblatt' (8. Januar):<br />

Ein übervoller Saal; auf <strong>de</strong>n Sitzen elegantes Damenpublikum,<br />

längs <strong>de</strong>r Wän<strong>de</strong>, Kopf an Kopf, in enggeschlossenen Reihen, junge<br />

und ältere Männer, Stu<strong>de</strong>nten, Künstler, Schriftsteller, Kaufleute.<br />

An <strong>de</strong>r Kasse und in <strong>de</strong>r Gar<strong>de</strong>robe ein fürchterliches Gedränge;<br />

an zweihun<strong>de</strong>rt Personen, die Karten verlangen, müssen<br />

abgewiesen wer<strong>de</strong>n. Dies das äußere Bild <strong>de</strong>s vorgestrigen Kraus<br />

—Abends, <strong>de</strong>s vierten seit zwei Jahren. Und wenn auch nur ein<br />

Zehntel von all diesen, die sich um Kraus drängten, nicht nur <strong>de</strong>n<br />

Polemiker son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Künstler suchten, so war's doch ein Erfolg<br />

für das intellektuelle Prag, das einem <strong>de</strong>r meistgehaßten und<br />

schlechtest verstan<strong>de</strong>nen Schriftsteller ein solches Aufgebot ins<br />

Haus schicken konnte.<br />

Kraus mag in diesen Jahren <strong>de</strong>r Reife <strong>de</strong>s Bewußtseins froh wer<strong>de</strong>n,<br />

daß sich in seinem Zeichen die Gegner banalen Rationalismus',<br />

ungeistiger Bildung und wichtigtuen<strong>de</strong>n »Fortschritts« sammeln.<br />

Der Mann, <strong>de</strong>m ein Satz gelingt wie: »Es ist so furchtbar<br />

schwer, sich mit Leuten, die ihre fünf Sinne beisammen haben, zu<br />

verständigen«, dieser Mann hat nicht nur <strong>de</strong>n Ruhm, daß seine<br />

Sätze mit die erfreuendsten sind, die heute im <strong>de</strong>utschen Sprachbereich<br />

geschrieben wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch das Verdienst, daß er<br />

die wirklich höchsten Güter <strong>de</strong>s absoluten Geistes vor platt—vernünftigem<br />

Zugriff schützt. Daß er bei dieser Arbeit wütend wur<strong>de</strong>,<br />

war seine Pflicht; daß <strong>de</strong>r Grimm seine Muse ward, ist nur natürlich<br />

in einer Zeit, an <strong>de</strong>ren Webstuhl <strong>de</strong>r Komödiant mit <strong>de</strong>m Bildungsphilister<br />

in grinsen<strong>de</strong>r Gemeinschaft sitzt. Und je schäbiger<br />

und schmutziger die Instinkte wer<strong>de</strong>n, je mehr sich die Grenzen<br />

zwischen Erlebtem und Erlerntem, zwischen <strong>de</strong>m Geist und <strong>de</strong>r<br />

Materie, zwischen Kunst und Technik, Dichtung und Literatentum

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