Programmheft - Abaco Orchester
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Gustav Mahler<br />
Das Klagende Lied<br />
Text: 1878, Musik: 1879–1880<br />
Uraufführung der Teile 2–3: 1901 (Wien)<br />
Uraufführung der Teile 1–3: 1934 (Brünn)<br />
Die beiden Ausdrucksmittel Text und Musik<br />
sind in Gustav Mahlers Klagendem<br />
Lied gleichberechtigt miteinander verwoben.<br />
Und obgleich er im Dezember 1896<br />
versicherte: „Ich habe seit meinem vierten<br />
Lebensjahr immer Musik gemacht und<br />
komponiert, bevor ich noch Tonleitern<br />
spielen konnte“, so war er doch auch schon<br />
früh als Dichter tätig: Das Libretto zu seinem<br />
Klagenden Lied verfasste er selbst im<br />
Alter von 17 Jahren, inspiriert von Ludwig<br />
Bechsteins Erzählung „Das klagende Lied“<br />
und dem Märchen „Der singende Knochen“<br />
der Gebrüder Grimm.<br />
Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist<br />
kontrastiv aufgebaut: Leid und Mitleid,<br />
Recht und Unrecht, Klage und Anklage stehen<br />
einander gegenüber, sprechen zueinander<br />
und klingen miteinander auf.<br />
Im ersten Satz („Waldmärchen“) begeben<br />
sich zwei Brüder – der jüngere sanft und<br />
verträumt, der ältere finster und gewalttätig<br />
– auf die Suche nach einer roten Blume, die<br />
es dem Finder ermöglicht, die schöne Königin<br />
zu freien. Der Jüngere entdeckt die Blume,<br />
wird jedoch im Schlaf vom Älteren aus<br />
Neid erschlagen.<br />
Ein Spielmann gelangt im zweiten Satz<br />
(„Der Spielmann“) an die Stelle im Wald,<br />
wo ein Jahr zuvor der grausige Mord begangen<br />
wurde. Aus einem Knöchlein, das<br />
er dort findet, sucht er sich eine Flöte zu<br />
schnitzen. Da beginnt das Knöchlein ein<br />
Lied zu singen, mit dem es ihm sein ungeheures<br />
Schicksal klagt.<br />
Seite 10<br />
Im Schloss, so berichtet der dritte Satz<br />
(„Hochzeitsstück“), findet derweil die<br />
Hochzeit der Königin mit dem jungen Ritter<br />
statt. Den Spielmann zieht es zum Fest,<br />
und sogleich beginnt seine Knochenflöte<br />
ihre Anklage zu singen. Die Königin und<br />
der Brudermörder erstarren, die Gäste fliehen,<br />
das Schloss stürzt in sich zusammen.<br />
Die Solisten erzählen im Wechsel oder auch<br />
zusammen die traurigen Begebenheiten.<br />
Der Chor kommentiert, lässt das Erzählte<br />
nachklingen, fragt weiter. Das <strong>Orchester</strong><br />
schließlich liefert symphonische Vorspiele<br />
und trägt die dramatische Handlung. Das<br />
Liedhafte der Komposition wird zum Theatralischen<br />
ausgebaut, indem Mahler im<br />
„Hochzeitsstück“ ein stattliches Fernorchester<br />
erklingen lässt, das räumliche Wirkungen<br />
erzeugt. Mit diesem Klangeffekt bezieht<br />
sich Mahler auf die Opern Richard Wagners<br />
und bereitet gleichzeitig den Weg für die<br />
Gurre-Lieder Arnold Schönbergs.<br />
Mahler selbst sagte über sein Werk im<br />
November 1880: „Mein Märchenspiel ist<br />
endlich vollendet – ein wahres Schmerzenskind,<br />
an dem ich schon über ein Jahr<br />
arbeite. – Dafür ist es aber etwas Rechtes<br />
geworden.“ Dass bis zur ersten Aufführung<br />
in vollständiger Form mit allen drei Sätzen<br />
über 50 weitere Jahre vergehen sollten, war<br />
vor allem Überlegungen der Aufführbarkeit<br />
geschuldet, nicht der Ausführbarkeit.<br />
Wenn das Klagenden Lied heute erklingt,<br />
zeigt es die Spannkraft des Märchens, das<br />
Mahler in seiner Jugend faszinierte, ebenso<br />
wie die Reife der musikalischen Form, die er<br />
in seinen späteren Werken beibehalten hat.<br />
Cordula Bachmann