Ernährungszustand und Chemotherapie - Verband der Diaetologen ...
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<strong>Ernährungszustand</strong> <strong>und</strong> <strong>Chemotherapie</strong><br />
Relevanz <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Körperkompartimente mittels BIA zur prädiktiven 1<br />
Beurteilung <strong>der</strong> Toxizität von Zytostatika<br />
Eine Pilotstudie<br />
Auszug aus <strong>der</strong> Diplomarbeit von Bernhard Perktold<br />
Mehrere internationale Studien bestätigen positive Zusammenhänge zwischen gutem<br />
<strong>Ernährungszustand</strong>, stabilem Körpergewicht <strong>und</strong> günstigerem Krankheitsverlauf mit<br />
geringerer Komorbidität, besserer Therapieverträglichkeit <strong>und</strong> höherem Therapieerfolg, mit<br />
kürzerer Krankenhausaufenthaltsdauer <strong>und</strong> höherer Lebenserwartung <strong>und</strong> daraus resultierend<br />
einer verbesserten Lebensqualität für den Patienten sowie einer beträchtlichen<br />
Kostenersparnis für den Krankenhausträger [1-9]. Ergänzend dazu finden sich in <strong>der</strong> Literatur<br />
Beschreibungen über Zusammenhänge zwischen initialem Gewichtsverlust beziehungsweise<br />
Abnahme <strong>der</strong> fettfreien Masse vor Therapiebeginn <strong>und</strong> schlechterem Outcome nach Radio<strong>und</strong><br />
/o<strong>der</strong> <strong>Chemotherapie</strong> [10-25]. Zu den negativen Auswirkungen <strong>der</strong> malignen<br />
Gr<strong>und</strong>erkrankung auf den <strong>Ernährungszustand</strong> kommt hinzu, dass die Toxizität verschiedener<br />
Therapiekonzepte (<strong>Chemotherapie</strong> <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Radiotherapie) den Ernährungsstatus <strong>und</strong> den<br />
Allgemeinzustand weiter verschlechtert [29]. Die Behandlung <strong>der</strong> Malnutrition stellt daher in<br />
<strong>der</strong> Ernährungstherapie bei onkologischen Patienten ein zentrales Thema dar <strong>und</strong> muss aus<br />
den genannten Gründen fixer Bestandteil <strong>der</strong> Gesamttherapie sein.<br />
Problem Malnutrition<br />
Obwohl Überernährung in <strong>der</strong> westlichen Normalbevölkerung ständig zunimmt [36-39], sind<br />
in Abhängigkeit <strong>der</strong> gewählten Diagnosekriterien zwischen 20 % <strong>und</strong> 85 % aller<br />
Krankenhauspatienten mangelernährt [29, 40-43]. Dass die Gruppe <strong>der</strong> onkologischen<br />
Patienten von Mangelernährung beson<strong>der</strong>s betroffen ist, zeigen Publikationen, die von einer<br />
Prävalenz <strong>der</strong> Mangelernährung zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Diagnose, von bis zu 90 % sprechen [9,<br />
24, 25, 29, 44-46]. Da bisher auf internationaler Ebene kein Konsens über die Verwendung<br />
einheitlicher Methoden <strong>und</strong> Parameter zur Bestimmung des <strong>Ernährungszustand</strong>es erzielt<br />
werden konnte, erfolgen Analyse <strong>und</strong> Bewertung des Ernährungsstatus durch verschiedene<br />
Scoringsysteme, Messungen <strong>der</strong> Körperzusammensetzung mit unterschiedlichen Methoden,<br />
klinische Laborparameter <strong>und</strong> anthropometrische Messgrößen [25, 30, 36, 39, 47, 48]. In <strong>der</strong><br />
Praxis bedeutet das, dass verschiedene Aspekte des <strong>Ernährungszustand</strong>es durch<br />
unterschiedliche Parameter erfasst werden <strong>und</strong> die Vergleichbarkeit von Ergebnissen bei<br />
Verwendung unterschiedlicher Scoringmethoden erschwert o<strong>der</strong> überhaupt nicht gegeben ist.<br />
Dieser Umstand erklärt die große Schwankungsbreite <strong>der</strong> publizierten Daten.<br />
Tumorkachexie<br />
Der Begriff Kachexie ist abgeleitet aus den griechischen Wörtern „kakos“ für schlecht <strong>und</strong><br />
„hexis“ für Zustand [49]. Unter Kachexie versteht man eine schwere Form <strong>der</strong> Abmagerung<br />
mit allgemeiner Atrophie [50]. Wenn bei malignen Erkrankungen eine extreme,<br />
krankheitsbedingte Mangelernährung auftritt, spricht man von Tumorkachexie [40]. Die<br />
1 vorhersagbar<br />
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Ursache für die Entstehung einer Tumorkachexie ist multifaktoriell bedingt. Der Einfluss<br />
verschiedener katabol wirken<strong>der</strong> Mediatoren auf den Stoffwechsel, eine vermin<strong>der</strong>te<br />
Nahrungszufuhr, Anorexie (Appetitlosigkeit, griech. „ohne Hunger sein“) <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>te<br />
beziehungsweise gesteigerte Stoffwechselaktivitäten werden unter an<strong>der</strong>em als Gründe dafür<br />
angeführt [9, 29, 49, 51-53]. Die Tumorkachexie kann in allen Stadien <strong>der</strong> Krebserkrankung<br />
auftreten [29].<br />
Für die Diagnostik <strong>der</strong> Tumorkachexie gibt es keine einheitlichen Kriterien. Typische<br />
Symptome sind Verschlechterung des <strong>Ernährungszustand</strong>es, fortschreiten<strong>der</strong>, starker<br />
Gewichtsverlust, erheblicher Abbau von Fettgewebe <strong>und</strong> Muskulatur mit ungünstigen<br />
Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Körperzusammensetzung, reduzierte Immunfunktion, Anämie,<br />
körperliche Schwäche, Anorexie, frühes Sättigungsgefühl, Übelkeit, chronische Müdigkeit<br />
(Fatigue Syndrome), schlechter Allgemeinstatus <strong>und</strong> reduzierte Lebensqualität [29, 54].<br />
Neben den primären metabolischen Ursachen einer Tumorkachexie können noch weitere<br />
– sek<strong>und</strong>äre - Faktoren die klinische Symptomatik verstärken <strong>und</strong> die Entstehung<br />
beziehungsweise den Verlauf <strong>der</strong> Kachexie beeinflussen (Tabelle 1).<br />
Impaired food intake Mucositis (stomatitis, pharyngo-oesophagitis) related to<br />
chemotherapy, radiotherapy, and infections<br />
Xerostomia: secondary to radiotherapy and drug side-effects<br />
(tricyclics, opioids)<br />
Tumour presence (mechanical) induced dysphagia, bowel<br />
obstruction<br />
Chronic nausea and/or vomiting<br />
Decreased gastrointestinal motility: autonomic failure<br />
Cognitive impairment of delirium<br />
Others: severe pain, dyspnoe, depression, taste abnormalities<br />
Decrease absorption of nutrients Malabsorption: related to intestinal atrophy secondary to<br />
decreased food intake, mucositis, infections<br />
Treatment-related complications<br />
Exocrine pancreatic insufficiency<br />
Associated co-morbidities Acute and chronic infections<br />
Chronic heart failure<br />
Chronic lung disease<br />
Renal failure<br />
Other cause of muscle loss Deconditioning, hypogonadism, aging<br />
Tabelle 1: Sek<strong>und</strong>äre Ursachen für eine Tumorkachexie, modifiziert nach [57]<br />
Die Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA)<br />
Die Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA) ist eine einfach durchzuführende, nicht invasive,<br />
ungefährliche <strong>und</strong> kostengünstige Methode zur Bestimmung <strong>der</strong> Körperzusammensetzung.<br />
Das Prinzip <strong>der</strong> Bioelektrischen Impedanzanalyse beruht darauf, dass <strong>der</strong> menschliche Körper<br />
einem schwachen, elektrischen Wechselstrom einen Wi<strong>der</strong>stand entgegensetzt. Aus den<br />
gewonnenen Impedanzwerten kann mit Hilfe von empirisch ermittelten, mathematischen<br />
Gleichungen die Körperzusammensetzung des Menschen ermittelt werden. Die BIA ist keine<br />
direkte Messung <strong>der</strong> Körperzusammensetzung [58, 59].<br />
ECM/BCM-Index <strong>und</strong> Phasenwinkel<br />
Unter den verschiedenen Parametern <strong>der</strong> BIA nehmen <strong>der</strong> ECM/BCM-Index <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Phasenwinkel als Übersichtsparameter eine Son<strong>der</strong>stellung zur Beurteilung des<br />
<strong>Ernährungszustand</strong>es ein. Beim Ges<strong>und</strong>en ist die Körperzellmasse (BCM, Body Cell Mass)<br />
stets deutlich größer als die Extrazellulärmasse (ECM, Extra Cellular Mass), sodass <strong>der</strong> Index<br />
kleiner als 1 ist [60]. Im Frühstadium <strong>der</strong> Malnutrition ist eine BCM-Abnahme bei<br />
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gleichzeitiger Vergrößerung des Extrazellulärraumes charakteristisch. Magermasse <strong>und</strong><br />
Gewicht können dabei konstant bleiben. Der steigende ECM/BCM-Index macht bereits<br />
frühzeitig auf eine Verschlechterung des <strong>Ernährungszustand</strong>es aufmerksam [60].<br />
Der Phasenwinkel ermöglicht in Kombination mit weiteren Parametern eine Beurteilung des<br />
<strong>Ernährungszustand</strong>es. Der Phasenwinkel entsteht durch die Kugelkondensator-Eigenschaften<br />
<strong>der</strong> Zellen <strong>der</strong> BCM. Gut ernährte Zellen o<strong>der</strong> trainierte Muskelzellen haben eine hohe<br />
Membranintegrität <strong>und</strong> -dichte. Nährstoffe <strong>und</strong> Zellwasser werden im Zellinneren gespeichert.<br />
Diese Zellen haben einen hohen Phasenwinkel. Schlecht ernährte Zellen o<strong>der</strong> nicht trainierte<br />
Muskelzellen haben eine verringerte Membrandichte <strong>und</strong> verlieren Nährstoffe <strong>und</strong><br />
Zellwasser. Solche Zellen haben einen niedrigen Phasenwinkel. Der Phasenwinkel steigt<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich bei Verbesserung des Ernährungs- o<strong>der</strong> Trainingszustandes des Patienten, wie<br />
zum Beispiel bei Beseitigung einer Malnutrition, optimaler Versorgung des Organismus mit<br />
Mikro- <strong>und</strong> Makronährstoffen <strong>und</strong> bei sportlichem Training [60].<br />
Der Phasenwinkel sinkt gr<strong>und</strong>sätzlich bei einer Verschlechterung des <strong>Ernährungszustand</strong>es<br />
o<strong>der</strong> bei an<strong>der</strong>weitigen Störungen beziehungsweise Schädigungen <strong>der</strong> Zellmembran, wie zum<br />
Beispiel bei Katabolie, allen Formen <strong>der</strong> Malnutrition, Inaktivitätsatrophie, durch<br />
Wasserretention <strong>und</strong> durch membranschädigende Noxen bei Infektionen, Intoxikationen o<strong>der</strong><br />
posttraumatischen Stress [60]. Weitere gemessene Parameter sind Gesamtkörperwasser<br />
(TBW, Total Body Water), Extrazellulärwasser (ECW, Extra cellular Water) <strong>und</strong> Fettmasse<br />
(FM, Fat Mass).<br />
Durchführung <strong>der</strong> Pilotstudie<br />
Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Pilotstudie stand die Überprüfung <strong>der</strong> Hypothese, ob die individuelle<br />
Ausgangssituation eines Patienten vor <strong>Chemotherapie</strong>beginn - in Bezug auf die<br />
Körperzusammensetzung - die Nebenwirkungen (Toxizität) <strong>und</strong> den Verlauf einer<br />
<strong>Chemotherapie</strong> beeinflusst.<br />
Guter <strong>Ernährungszustand</strong> vor <strong>Chemotherapie</strong>∨ Gute Verträglichkeit <strong>der</strong> Therapie (Niedrige<br />
Toxizität)<br />
BMI im Normbereich o<strong>der</strong> darüber; kein schwerer Gewichtsverlust seit Beginn <strong>der</strong><br />
Erkrankung; Körperkompartimente den Normwerten entsprechend; beson<strong>der</strong>e<br />
Berücksichtigung des Phasenwinkels <strong>und</strong> des ECM/BCM-Index; guter Allgemeinzustand;<br />
Schlechter <strong>Ernährungszustand</strong> vor <strong>Chemotherapie</strong>∨ Schlechte Verträglichkeit <strong>der</strong> Therapie<br />
(Hohe Toxizität)<br />
BMI unterhalb des Normbereichs; starker Gewichtsverlust seit Beginn <strong>der</strong> Erkrankung; von<br />
<strong>der</strong> Norm abweichende Körperkompartimente; niedrige Phasenwinkelwerte; hoher<br />
ECM/BCM-Index; reduzierter Allgemeinzustand; pathologische Laborwerte;<br />
Aus den Hypothesen ergeben sich folgende Fragestellungen:<br />
1. Ist <strong>der</strong> <strong>Ernährungszustand</strong> (beson<strong>der</strong>s die Körperzusammensetzung) ein prädiktiver<br />
Parameter zur Beurteilung <strong>der</strong> Toxizität von Zytostatika?<br />
2. Gibt es statistisch signifikante Zusammenhänge <strong>und</strong> Unterschiede zwischen den gewählten<br />
Messmethoden?<br />
Methodik<br />
Seite 3
Die Pilotstudie wurde als prospektive Verlaufsuntersuchung durchgeführt. Geplant war die<br />
Erhebung des <strong>Ernährungszustand</strong>es (EZ), des Allgemeinzustandes (AZ) <strong>und</strong><br />
krankheitsbezogener Symptome vor <strong>Chemotherapie</strong>beginn <strong>und</strong> die Durchführung einer<br />
Verlaufskontrolle (Follow-up) nach zwei bis vier Monaten. Die Untersuchungen erfolgten<br />
immer im Rahmen <strong>der</strong> ärztlichen Kontrolluntersuchung. Bei <strong>der</strong> Verlaufskontrolle wurde<br />
erneut <strong>der</strong> EZ, <strong>der</strong> AZ <strong>und</strong> die häufigsten Nebenwirkungen evaluiert. Die Verlaufsprofile <strong>der</strong><br />
BIA bildeten die Gr<strong>und</strong>lage zur Beurteilung <strong>der</strong> Therapietoxizität. Verän<strong>der</strong>ungen des<br />
Körpergewichtes, Messwerte <strong>der</strong> BIA <strong>und</strong> die Beurteilung des Allgemeinzustandes mit dem<br />
Karnofsky Index beziehungsweise dem ECOG Performance Status wurden anhand<br />
selbsterstellter, standardisierter Fragebögen erhoben <strong>und</strong> dokumentiert. Die Erfassung des EZ<br />
mit Gewichtsverän<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> BIA, beziehungsweise die Information <strong>der</strong> Patienten über den<br />
Zweck <strong>und</strong> die Durchführung <strong>der</strong> Untersuchung, wurde von Seiten <strong>der</strong><br />
Ernährungsmedizinischen Beratung durchgeführt. Die Beurteilung <strong>und</strong> Dokumentation des<br />
AZ <strong>und</strong> <strong>der</strong> häufigsten Nebenwirkungen <strong>der</strong> Zytostatikatherapie erfolgte durch den<br />
behandelnden Arzt.<br />
Bestimmung des <strong>Ernährungszustand</strong>es<br />
Zur Bestimmung <strong>und</strong> Evaluierung des <strong>Ernährungszustand</strong>es wurden die anthropometrischen<br />
Parameter Körpergröße, Körpergewicht <strong>und</strong> BMI ermittelt, eine Analyse <strong>der</strong><br />
Körperzusammensetzung mittels BIA durchgeführt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gewichtsverlauf von Beginn <strong>der</strong><br />
Erkrankung bis zur Verlaufskontrolle dokumentiert. Ernährungsrelevante Laborwerte zur<br />
Beurteilung des Ernährungsstatus standen nicht zur Verfügung.<br />
Die Körpergröße <strong>der</strong> Patienten wurde mit Hilfe eines handelsüblichen Rollmaßbandes<br />
ermittelt. Es wurde darauf geachtet, dass die Fersen, das Gesäß <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hinterkopf <strong>der</strong><br />
Patienten Kontakt mit <strong>der</strong> Wand hatten. Gemessen wurde ohne Schuhe, auf einen Zentimeter<br />
genau ger<strong>und</strong>et. Unmittelbar vor <strong>Chemotherapie</strong>beginn <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Verlaufskontrolle wurde<br />
das aktuelle Körpergewicht ermittelt. Zum Einsatz kamen verschiedene Personenwaagen,<br />
welche jedoch alle auf eine geeichte Referenzpersonenwaage <strong>der</strong> Firma Tanita (Modell BWB<br />
800S, Firma Tanita Europe, Deutschland) kalibriert wurden, um vergleichbare <strong>und</strong><br />
reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten. Die Messungen erfolgten ohne Schuhe <strong>und</strong> das<br />
Gewicht <strong>der</strong> Kleidung wurde vom Messergebnis abgezogen <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Dokumentation<br />
berücksichtigt. Aus Körpergröße <strong>und</strong> Körpergewicht wurde <strong>der</strong> Body Mass Index (BMI) nach<br />
<strong>der</strong> Formel Körpergewicht(kg)/Körpergröße(m²) errechnet. Zur Einschätzung des<br />
Gewichtverlaufs wurden die Patienten zu ihrem gewohnten, über einen längeren Zeitraum<br />
stabilen Körpergewicht vor Krankheitsbeginn <strong>und</strong> ihrem Körpergewicht sechs Monate<br />
beziehungsweise zwei Monate vor Beginn <strong>der</strong> <strong>Chemotherapie</strong> befragt.<br />
Die Bioelektrische Impedanzanalyse wurde mit einem Akern BIA Singlefrequenzmessgerät<br />
(Modell BIA 101, Firma Akern, Florenz, Italien) <strong>und</strong> einer tetrapolaren Elektrodenanordnung<br />
durchgeführt. Tetrapolar bedeutet, dass je zwei Elektroden am Handrücken beziehungsweise<br />
am Fußrücken nach vorhergehen<strong>der</strong> lokaler Hautdesinfektion aufgeklebt werden. Die<br />
Wi<strong>der</strong>stände Resistanz (R) <strong>und</strong> Reaktanz (Xc) wurden bei 0,8 mA <strong>und</strong> 50 KHz gemessen. Zur<br />
Anwendung kamen EKG-Elektroden <strong>der</strong> Firma SKINTACT (Typ RT 34, Firma Skintact,<br />
Innsbruck, Österreich). Die Patienten wurden gebeten, vor <strong>der</strong> Messung auf die Toilette zu<br />
gehen. Die BIA-Messungen erfolgten im Liegen, auf <strong>der</strong> körperdominanten Seite, Arme <strong>und</strong><br />
Beine vom Körper abgespreizt nach einer Ruhephase von mindestens fünf Minuten. Die<br />
Berechnung <strong>der</strong> Körperkompartimente erfolgte mit <strong>der</strong> Auswertungssoftware BodyComp 7.0<br />
Seite 4
(Firma MediCal, Karlsruhe, Deutschland).<br />
Bestimmung des Allgemeinzustandes<br />
Der Karnofsky Index <strong>und</strong> <strong>der</strong> ECOG Performance Status (Tabellen 2 <strong>und</strong> 3) sind international<br />
gebräuchliche Beurteilungsskalen zur Einschätzung des Allgemeinzustandes <strong>und</strong> zur<br />
Abschätzung des Therapieerfolges bei onkologischen Patienten [70]. Beide Skalen<br />
beschränken sich ausschließlich auf die Bewertung <strong>der</strong> physischen Leistungsfähigkeit <strong>der</strong><br />
Patienten. Der Allgemeinzustand fließt als wichtiger Parameter in die Therapieplanung ein.<br />
Bei <strong>der</strong> durchgeführten Untersuchung kamen beide Skalen zum Einsatz um herauszufinden,<br />
ob <strong>der</strong> Allgemeinzustand beziehungsweise die BIA-Übersichtsparameter <strong>der</strong> Patienten<br />
vergleichbare prädiktive Werte für den Therapieverlauf liefern.<br />
Karnofsky Index<br />
Grad Beschreibung<br />
100 Normal, keine Beschwerden, kein Hinweis auf eine Erkrankung<br />
90 Normale Aktivität möglich, geringe Krankheitssymptome<br />
80 Normale Aktivität nur mit Anstrengung, mäßige Krankheitssymptome<br />
70 Selbstversorgung, aber unfähig zu normaler Aktivität o<strong>der</strong> Arbeit<br />
60 Gelegentliche Hilfe, aber noch weitgehende Selbstversorgung<br />
50 Häufige Unterstützung <strong>und</strong> medizinische Versorgung erfor<strong>der</strong>lich<br />
40 Überwiegend bettlägerig, spezielle Hilfe <strong>und</strong> Pflege erfor<strong>der</strong>lich<br />
30 Dauernd bettlägerig, eventuell Krankenhauseinweisung, jedoch keine akute Lebensgefahr<br />
20 Schwerkrank, aktive unterstützende Therapie, eventuell Krankenhauseinweisung<br />
10 Morib<strong>und</strong>, rasches Fortschreiten <strong>der</strong> Erkrankung<br />
0 Tod<br />
Tabelle 2: Karnofsky Index, modifiziert nach [72]<br />
ECOG PERFORMANCE STATUS<br />
Grad Beschreibung<br />
0 Uneingeschränkte normale Aktivität<br />
1 Ambulant mit Beschwerden, kann sich selbst versorgen<br />
2 Versorgt sich selbst, arbeitsunfähig, tagsüber weniger als die Hälfte <strong>der</strong> Zeit im Bett<br />
3 Tagsüber mehr als die Hälfte <strong>der</strong> Zeit im Bett; pflegebedürftig<br />
4 Völlig pflegebedürftig <strong>und</strong> bettlägerig<br />
5 Tod<br />
Tabelle 3: ECOG Performance Status, modifiziert nach [74]<br />
Beurteilung <strong>der</strong> Toxizität <strong>der</strong> <strong>Chemotherapie</strong><br />
Zur Beurteilung <strong>der</strong> Therapietoxizität wurde vor allem die Verlaufsdynamik <strong>der</strong> BIA,<br />
Verän<strong>der</strong>ungen des AZ <strong>und</strong> des Körpergewichtes zwischen den beiden Untersuchungen<br />
herangezogen. Ergänzend war eine Dokumentation <strong>der</strong> am häufigsten auftretenden<br />
Therapienebenwirkungen (Blutbildverän<strong>der</strong>ungen, gastrointestinale Symptome, Fatigue)<br />
geplant. Für diesen Zweck wurde vom Cancer Therapy Evaluation Program (CTEP) des<br />
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National Cancer Institute (NCI) aus den USA das Therapieevaluierungsinstrument Common<br />
Terminology Criteria for Adverse Events, Version 3.0 (CTCAE V3.0) entwickelt [75]. Aus<br />
diesem umfangreichen Katalog wurde von Diplomarbeitsbetreuer Univ. Professor Dr.<br />
Wolfgang Hilbe eine Auswahl geeigneter Parameter getroffen, die auf separaten<br />
Dokumentationsbögen zusammengefasst wurden. Aus organisatorischen <strong>und</strong> zeitlichen<br />
Gründen standen zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Auswertung nicht genügend Toxizitätsbögen für eine<br />
aussagekräftige, statistische Beurteilung zur Verfügung.<br />
Statistische Analyse<br />
Die statistische Auswertung <strong>der</strong> erhobenen Daten erfolgte mit <strong>der</strong> Statistiksoftware SPSS<br />
13.0. (SPSS Inc., Chicago, USA). Bei allen Vergleichen wurde ein Signifikanzniveau von 5 %<br />
(P5, ECM/BCM Index
Arithmetischer Mittelwert; * Median<br />
Mittelwerte <strong>der</strong> Gruppe 2 („schlechter <strong>Ernährungszustand</strong>“)<br />
Erstuntersuchung Verlaufskontrolle Differenz<br />
Körpergewicht kg 64,17 61,88 -2,29 (3,6 %)<br />
BMI kg/m² 22,22 21,42 -0,8<br />
Phasenwinkel º 4,43 4,15 -0,28 (6,3%)<br />
ECM/BCM-Index 1,278 1,543 +0,27 (20 %)<br />
BCM % 34,55 33,42 -1,13<br />
TBW % 60,75 62,57 +1,82<br />
ECW % 54,67 57,07 +2,4<br />
FM % 21,82 20,48 -1,34<br />
ECOG *<br />
1,5 1,5 0<br />
Karnofsky *<br />
75 65 -10<br />
Arithmetischer Mittelwert; * Median<br />
Tabelle 4: Ergebnisse des Gruppenvergleichs 1<br />
Innerhalb <strong>der</strong> Gruppe 1 gibt es keine statistisch signifikanten Verän<strong>der</strong>ungen im Verlauf <strong>der</strong><br />
einzelnen Parameter. Der Gewichtsverlust von 2,7 % ist wegen <strong>der</strong> Standardabweichung von<br />
5,75 % nicht signifikant.<br />
Die Gruppe 2 weist einen signifikanten mittleren Gewichtsverlust zwischen den zwei<br />
Untersuchungen von 3,6 % ± 0,96 % Standardabweichung auf (P=0,028 Wilcoxon; P=0,002<br />
T-Test). Der BMI sinkt dabei um 0,8 Punkte ± 0,38 (P=0,027 Wilcoxon; P=0,004 bei<br />
gepaartem T-Test).<br />
Ein Vergleich zwischen beiden Gruppen, zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erstuntersuchung <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Verlaufskontrolle zeigt signifikante Unterschiede bei den in Tabelle 5 dargestellten<br />
Parametern. Die signifikanten Unterschiede zwischen Phasenwinkel <strong>und</strong> ECM/BCM-Index<br />
bei <strong>der</strong> Erstuntersuchung sind durch die Definitionskriterien <strong>der</strong> Gruppen bedingt.<br />
Unterschiede zwischen<br />
den<br />
beiden Gruppen<br />
Mann-Whitney<br />
U-Test<br />
Signifikanz P<br />
Erstuntersuchung Verlaufskontrolle<br />
T-Test bei<br />
unabhängigen<br />
Stichproben<br />
Signifikanz P<br />
Mann-Whitney<br />
U-Test<br />
Signifikanz P<br />
T-Test bei<br />
unabhängigen<br />
Stichproben<br />
Signifikanz P<br />
Körpergewicht 0,065 0,050 0,041 0,074<br />
Phasenwinkel 0,002 0,004 0,041 0,041<br />
ECW 0,002 0,004 0,041 0,058<br />
ECM/BCM-Index 0,002 0,006 0,041 0,117<br />
1 Quelle: Eigene Darstellung<br />
2 Quelle: Eigene Darstellung<br />
Tabelle 5: Ergebnisse des Gruppenvergleichs 2<br />
Seite 7
Überprüfung von Korrelationen<br />
Ein hoher Phasenwinkel bei <strong>der</strong> Erstuntersuchung korreliert mit einem hohen Körpergewicht<br />
(r=0,708, P= 0,010 Pearson) <strong>und</strong> einem niedrigen ECM/BCM-Index bei Verlaufskontrolle<br />
(r=-0,604, P=0,037 Pearson).<br />
Eine Überprüfung von Zusammenhängen zwischen hohem ECM/BCM-Index bei <strong>der</strong><br />
Erstuntersuchung <strong>und</strong> Parametern <strong>der</strong> Verlaufskontrolle ergab Signifikanzen mit niedrigem<br />
Körpergewicht (r=-0,733, P=0,007 Pearson) beziehungsweise mit niedrigem Phasenwinkel<br />
(r=-0,668, P=0,018 Pearson).<br />
Diskussion<br />
Die Spalte Differenz in <strong>der</strong> Tabelle 4 zeigt, dass beide Gruppen im Verlauf eine ähnliche<br />
Verschlechterung des <strong>Ernährungszustand</strong>es erfahren. Ein Blick auf die absoluten Zahlen zeigt<br />
allerdings, dass die Gruppe mit dem besseren <strong>Ernährungszustand</strong> einen günstigeren Verlauf<br />
nach erfolgter <strong>Chemotherapie</strong> aufweist.<br />
Gruppe 1 hat bei <strong>der</strong> Erstuntersuchung ein um 10 kg höheres durchschnittliches<br />
Körpergewicht im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die prozentuelle Zunahme des ECM/BCM-<br />
Index <strong>und</strong> die Abnahme des Phasenwinkels fällt bei Gruppe 1 im Verlauf geringer aus. Auch<br />
alle an<strong>der</strong>en BIA-Parameter mit Ausnahme <strong>der</strong> BCM zeigen im Gruppenvergleich einen<br />
günstigeren Verlauf.<br />
Bei Gruppe 2 kann <strong>der</strong> hohe ECM/BCM-Index, die Abnahme des Phasenwinkels, <strong>der</strong> niedrige<br />
absolute BCM-Wert <strong>und</strong> die Zunahme des ECW als Abbau von Körperprotein mit<br />
Wassereinlagerung im Extrazellulärbereich interpretiert werden.<br />
Bemerkenswert ist, dass die Bewertung des Allgemeinzustandes mit den beiden Skalen<br />
ECOG Performance Status <strong>und</strong> Karnofsky Index kaum Unterschiede im Therapieverlauf<br />
aufzeigt.<br />
Ist <strong>der</strong> <strong>Ernährungszustand</strong> (beson<strong>der</strong>s die Körperzusammensetzung) ein prädiktiver<br />
Parameter zur Beurteilung <strong>der</strong> Toxizität von Zytostatika?<br />
Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Untersuchungsergebnisse kann diese Frage mit ja beantwortet werden. Die<br />
Überprüfung von Korrelationen zwischen Phasenwinkel, ECM/BCM-Index <strong>und</strong><br />
Körpergewicht zeigt, dass mit diesen Parametern eine prädiktive, tendenzielle Aussage über<br />
die Entwicklung <strong>der</strong> Körperzusammensetzung im Therapieverlauf getätigt werden kann.<br />
Ein initial schlechter <strong>Ernährungszustand</strong> laut BIA lässt auf eine stärker fortschreitende<br />
Verschlechterung des <strong>Ernährungszustand</strong>es während einer <strong>Chemotherapie</strong> schließen.<br />
Während hingegen bei Patienten mit gutem <strong>Ernährungszustand</strong> negative Entwicklungen<br />
geringer auftreten.<br />
Relevanz <strong>der</strong> BIA zur Beurteilung des Allgemeinzustandes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Therapietoxizität<br />
Der Allgemeinzustand ist ein wichtiges Kriterium für die Planung <strong>der</strong> <strong>Chemotherapie</strong> <strong>und</strong><br />
einer <strong>der</strong> wichtigsten prädiktiven Faktoren, ob <strong>der</strong> Patient überhaupt von einer Behandlung<br />
profitiert, in welchem Ausmaß er mit Nebenwirkungen rechnen muss <strong>und</strong> welche<br />
Lebenserwartung er hat. Die Qualität des <strong>Ernährungszustand</strong>es beeinflusst wie<strong>der</strong>um den<br />
Allgemeinzustand ganz wesentlich. Bei den zwei Skalen zur Einschätzung des<br />
Allgemeinzustandes (ECOG Performance Status <strong>und</strong> Karnofsky Index) werden nicht<br />
objektivierbare Mengen- <strong>und</strong> Häufigkeitsangaben abgefragt (normal, mäßig, gering,<br />
Seite 8
gelegentlich, häufig, erheblich, überwiegend). Eine Vergleichbarkeit <strong>der</strong> Patienten wird<br />
dadurch erheblich erschwert. Die BIA-Messung als objektivierbare Methode kann hier einen<br />
Vorteil bieten.<br />
Schlussfolgerung<br />
Ein guter <strong>Ernährungszustand</strong> ist Teil eines guten Allgemeinzustandes.<br />
Es ist anzunehmen, dass ein guter <strong>Ernährungszustand</strong> laut BIA vor <strong>der</strong> <strong>Chemotherapie</strong> den<br />
nachfolgenden Therapieverlauf günstig beeinflusst, weil negative Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong><br />
Körperzusammensetzung geringer ausfallen <strong>und</strong> in Summe <strong>der</strong> Allgemeinzustand <strong>und</strong> die<br />
Lebensqualität <strong>der</strong> Patienten großteils erhalten bleibt.<br />
Die BIA könnte einen wesentlichen Beitrag zur prädiktiven Abschätzung <strong>der</strong><br />
Therapietoxizität <strong>und</strong> Objektivierung <strong>der</strong> Beurteilung des Allgemeinzustandes bei<br />
onkologischen Patienten leisten <strong>und</strong> damit bei klinischen Studien die Vergleichbarkeit <strong>der</strong><br />
Patienten verbessern. Diese Pilotphase hat die Umsetzbarkeit <strong>der</strong> Methode im klinischen<br />
Alltag bewiesen. Eine Ausdehnung dieser Studie zur Erfassung <strong>und</strong> Evaluierung mehrerer<br />
Patienten ist jedoch vor einem routinemäßigen Einsatz noch notwendig.<br />
Autor:<br />
Bernhard Perktold<br />
Diaetologe<br />
bernhard.perktold@inode.at<br />
Literatur: (Auszug)<br />
1. Bauer, J.D., S. Capra, Nutrition intervention improves outcomes in patients with cancer cachexia receiving<br />
chemotherapy--a pilot study.<br />
Support Care Cancer, 2005. 13(4): p. 270-4.<br />
2. Isenring, E., et al., The impact of nutrition support on body composition in cancer outpatients receiving radiotherapy.<br />
Acta Diabetol, 2003. 40 Suppl 1: p. S162-4.<br />
3. Isenring, E.A., S. Capra, and J.D. Bauer, Nutrition intervention is beneficial in oncology outpatients receiving<br />
radiotherapy to the gastrointestinal or head and neck area. Br J Cancer, 2004. 91(3): p. 447-52.<br />
4. Ravasco, P., I. Monteiro-Grillo, and M.E. Camilo, Does nutrition influence quality of life in cancer patients<br />
<strong>und</strong>ergoing radiotherapy? Radiother Oncol, 2003. 67(2): p. 213-20.<br />
5. Ravasco, P., et al., Dietary counseling improves patient outcomes: a prospective, randomized, controlled trial in<br />
colorectal cancer patients <strong>und</strong>ergoing radiotherapy.<br />
J Clin Oncol, 2005. 23(7): p. 1431-8.<br />
6. Davidson, W., et al., Weight stabilisation is associated with improved survival duration and quality of life in<br />
unresectable pancreatic cancer.<br />
Clin Nutr, 2004. 23(2): p. 239-47.<br />
7. van Eys, J., Effect of nutritional status on responses to therapy.<br />
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