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art - Ensuite

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30<br />

<strong>art</strong>ensuite<br />

Simon Baur, lebt als Kurator<br />

und Publizist in Basel<br />

und Berlin. Er bereitet in<br />

Zusammenarbeit mit Lisa<br />

Wenger Oppenheim eine<br />

Publikation vor, die Teile des<br />

schriftlichen Nachlass von<br />

Meret Oppenheim vorstellt.<br />

Ab 1. Juni bis 15. Oktober<br />

2006 zeigt das Kunstmuseum<br />

Bern eine Retrospektive<br />

Meret Oppenheim.<br />

Ich weide meine Pilze aus...<br />

■ «Mein Vorschlag war, eine von<br />

oben an rundum mit Wasser berieselte<br />

Säule zu machen. Um die Säule sollte<br />

eine Spirale aus unterbrochenen Rinnen<br />

laufen. Von einer Rinne in die an-<br />

von Simon Baur<br />

dere sollte Wasser träufeln oder laufen.<br />

Und zwischen dieser Spirale sollte sich<br />

eine zweite mit grünen Pflanzen (Gras,<br />

Unkraut) bewachsene Spirale winden.<br />

Damit die Säule oben nicht wie abgeschnitten<br />

aussehe, hatte ich die Idee,<br />

den kleinen Rund-Pavillon darauf zu<br />

setzen.<br />

Als ganzes machte der Brunnen<br />

eher einen «romantischen» Eindruck,<br />

und ich konnte mir vorstellen, dass er<br />

sich gut in die Umgebung einpassen<br />

werde.<br />

Weil die Pflanzenspirale das vom Turm<br />

herunter fliessende Wasser zu sich herüberleitet,<br />

sollte einem, wenn man sich<br />

nahe an die Brunnensäule stellt, ein<br />

leichter Sprühregen entgegenkommen,<br />

wie in der Nähe eines Wasserfalles. (...)<br />

Darum herum, auf die dem Brunnen<br />

abgewendete Seite, sollen grössere und<br />

kleinere Felsbrocken (oder Stücke), 50<br />

– 80 cm hoch, gestellt werden, die auch<br />

als Sitze benützt werden können.»<br />

Der obenstehende Abschnitt stammt<br />

aus einem Text mit dem Titel: «Habt<br />

Geduld», gefunden im schriftlichen<br />

Nachlass von Meret Oppenheim. Es ist<br />

dieser Geduld zu verdanken, dass der<br />

Brunnen heute noch steht, denn nach<br />

wie vor scheiden sich die Geister über<br />

den Sinn und Wert dieser Arbeit. Davon<br />

soll in diesem Text aber nicht die<br />

Rede sein, da ich eine Position bereits<br />

bezogen habe: bei jedem Bernbesuch<br />

erweise ich ihm meine Referenz, und<br />

auf die Geister kommen wir vielleicht<br />

noch, sie spielen im Werk von Meret<br />

Oppenheim eine zentrale Rolle.<br />

Die Zitate scheinen mir doch einige<br />

Hinweise auf Meret Oppenheims Gedanken<br />

zu geben, die sich in veränderten<br />

Formulierungen auch in anderen<br />

Werken finden. Aus Anlass des 20.<br />

Todestages von Meret Oppenheim, am<br />

15. November, soll über dieses Wahrzeichen<br />

der Stadt Bern, das heute bekannter<br />

ist als der Bärengraben oder<br />

das Bundeshaus, nach gedacht werden.<br />

«Wildrose», «Kristall» und Wasserpavillon<br />

«Unterm Teich» heissen Brunnenmodelle,<br />

die Meret Oppenheim für<br />

eine Ausstellung in der Kunsthalle Bern<br />

1982 schuf. Bereits die Titel verweisen<br />

auf eine Vorstellung, das neben der realen<br />

noch eine weitere, verwunschene<br />

Welt existiere. E.T.A. Hoffmann hat<br />

einmal von sich behauptet er sei «ins<br />

Kristall gefallen», womit er auf seine<br />

Jugend in einer surrealen Welt anspielte.<br />

Doch auch die Wildrose lässt an<br />

Dornröschen denken, hinter deren Dickicht<br />

eine eigene Welt im Tiefschlaf<br />

ruhte und der Pavillon referiert auf eine<br />

arkadische Landschaft, der solche Gebäude<br />

eigen sind. In den Zeichnungen,<br />

die zum Brunnen in Bern erhalten sind,<br />

finden sich pflanzliche Elemente, aber<br />

auch die Spiralen und das Wasser und<br />

jeweils auch der oben drauf sitzende<br />

Pavillon.<br />

Einige Monate nach diesen Arbeiten,<br />

entsteht im August 1981 die Arbeit<br />

«Blaue Blume auf Schwarz», die als<br />

Schlüsselwerk gesehen werden kann,<br />

bei der Frage, um was es Meret Oppenheim<br />

mit ihrem Brunnen gehen könnte.<br />

Auch in einer Zeichnung, die im Herbst<br />

desselben Jahres entstand ist die Situation<br />

der Gesamtanlage zu sehen, wobei<br />

sie die Blickrichtung so gewählt hat,<br />

dass der Brunnen vor den entlaubten<br />

Bäumen im Hintergrund steht. Je nach<br />

Standort, den man vor dem Brunnen<br />

einnimmt, ändert sich auch seine<br />

Aussage: Doch immer bleibt der locus<br />

amoenus das Hauptthema, das ist kein<br />

Zufall.<br />

In der Einleitung zum Katalog, anlässlich<br />

des Legats Meret Oppenheims<br />

an das Kunstmuseum Bern, hat Christoph<br />

von Tavel die künstlerische Qualität<br />

der Künstlerin treffend charakterisiert:<br />

«Im Unterschied zu ihren meisten<br />

Zeitgenossen hat sie die Formen ihrer<br />

Aussage nicht kontinuierlich vervollkommnet,<br />

sondern hat jedes Werk aus<br />

schöpferischen Urgründen, Träumen,<br />

Assoziationen, Spielen, Gedanken neu<br />

erstehen lassen. So besteht eine wesentliche<br />

Qualität dieser Künstlerin im<br />

unerw<strong>art</strong>eten, immer wieder wechselnden<br />

Zusammenfügen und Aneinanderreihen<br />

verschiedener Materialien und<br />

Inhalte in bildnerischer und dichterischer<br />

Form.»<br />

Das obenstehende Zitat Meret Oppenheims<br />

und die eben zitierte Charakterisierung<br />

implizieren, dass der<br />

Brunnen aus verschiedenen Elementen<br />

besteht, die wie Zitate aus älteren<br />

Arbeiten in diesen einfliessen. 1939<br />

entsteht das Bild «Die Waldfrau». Ein<br />

Kind macht mit dem linken Arm eine<br />

Geste in Richtung einer gekrönten.<br />

übergrossen Figur, die mit Blättern und<br />

Blumen bedeckt, halb Mensch halb<br />

Schlange ist und zwischen den Bäumen<br />

eines Waldes hindurch geht. Gut zwanzig<br />

Jahre später entsteht der «Berggeist»,<br />

eine zylinderförmige Figur, die<br />

auf Armhöhe wie eine Bauchlade vor<br />

sich trägt und deren obere Öffnung<br />

von einer hutähnlichen Bedeckung<br />

verschlossen ist. Ummantelt ist die Figur<br />

von Steinsplittern. Oder die Arbeit<br />

«Wolken auf Brücke», die sechs asymmetrische<br />

Formen zeigt, die auf unterschiedlich<br />

gedrechselten Rohren sitzen<br />

und eher an Pilze denn an Wolken erinnern.<br />

Analogien sind nicht bloss in der<br />

äusseren Erscheinung auszumachen.<br />

Das Ambiente des Pavillons findet eine<br />

Entsprechung im «Belvedere» jenem<br />

kleinen G<strong>art</strong>enhaus neben der Kirche<br />

in Carona, in das sich Meret Oppenheim<br />

gerne zurückzog, oder auch in der<br />

Beschäftigung mit Spirale und Schlangenbewegungen,<br />

mit dem Wachsen und<br />

Vergehen, in Gedichtstrophen wie «ich<br />

weide meine Pilze aus...».<br />

Wenn Meret Oppenheim über ihren<br />

Brunnen sagt: «ich konnte mir vorstellen,<br />

dass er sich gut in die Umgebung<br />

einpassen werde», so könnte sie, wenn<br />

wir uns den Standort vergegenwärtigen,<br />

mit dem Brunnen an einen surrealen<br />

oder besser subversiven Angriff<br />

gedacht haben. Neben Polizeikaserne,<br />

einem trostlosen Platz und umgeben<br />

von Schnellstrassen wirkt dieser Brunnen,<br />

wie eine Gegenwelt, ein «Paradies-Gärtlein»<br />

im städtischen Ambiente,<br />

in dem neben bunten Blumen,<br />

Schmetterlingen und kleinen Wolken<br />

auch eine kleine Ringelnatter und ein<br />

Schar weidender Waldpilze gesehen<br />

wurden. Nun fehlen nur noch die von<br />

Meret Oppenheim vorgesehenen Steine,<br />

die zum Verweilen einladen.

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