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6 K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />

TILL HILLBRECHT<br />

mit der fingerspitze gegen die faust<br />

Das Frauenhaus in Bern feiert 25 Jahre Engagement für die Gesellschaft<br />

■ Ein Übel schafft es, sich der<strong>art</strong> fest in eine Gesellschaft<br />

einzuhocken, dass man es kaum mehr wegbringt.<br />

Das Übel setzt sich an, setzt zu, sitzt fest und wird, irgendwann,<br />

normal. Einmal alltäglich geworden, mag die<br />

Gesellschaft es nicht mehr wahr haben und lässt das<br />

Bekämpfen sein. Und so wird das Übel erst richtig gefährlich:<br />

Es verschwindet zwar aus den Gedanken, nicht<br />

aber aus der Gesellschaft.<br />

Suchen und Finden. Ich stehe auf, bedanke mich und<br />

gehe zu meinem Fahrrad. Diesem sonnigen Herbstag<br />

fehlt nichts, wir haben unser Gespräch kurzerhand auf<br />

die Terrasse des Restaurants verlegt, um dem vielleicht<br />

letzten wirklich warmen Nachmittag des Jahres das<br />

Sommergemüt abzuknöpfen und es für einen bevorstehenden<br />

tristen, regnerischen Novembertag zu sparen.<br />

Einzig der Grund des Treffens ist in der Wurzel ein Trüber<br />

und nun, nach dem Gespräch, haben sich zumindest<br />

in meinem Kopf ein paar dunkle Wolken breit gemacht<br />

– Gedanken über unsere Gesellschaft und reichlich<br />

Zweifel an ihr sind die Ursache. Sie haben mir die geheime<br />

Adresse nicht verraten, ich habe auch kein Interesse,<br />

sie zu erfahren. Aber Stephanie und Yasmin vom<br />

Frauenhaus haben mir von den h<strong>art</strong>en Schicksalen jener<br />

Frauen erzählt, welche die Adresse erfahren dürfen, um<br />

an diesem Ort Zufl ucht zu fi nden. Beide arbeiten dort<br />

– Stephanie H<strong>art</strong>ung als Leiterin, Yasmin Nüscheler-Gutiérrez<br />

als Beraterin. Und wenn diese zwei Frauen zu<br />

meinem Erstaunen mit einer gewissen – oder professionellen<br />

– Leichtigkeit von Gewalt und Bedrohung erzählen,<br />

dann nicht, weil es sie nicht berührt. Sondern weil es<br />

ihr Alltag ist, Opfern männlicher Gewalt zu helfen. Dabei<br />

dreht es sich nebst physischer oftmals auch um psychische<br />

Gewalt: Drohung, Nötigung, Erniedrigung und vor<br />

allem geistige Tortur treibt Frauen in einen Teufelskreis,<br />

aus dem der Weg hinaus, sprich hinein ins Frauenhaus<br />

kaum machbar scheint: Wenn du gehst, bring ich dich<br />

um / wirst du dein Kind nie wieder sehen / mache ich<br />

dein Leben zur Hölle / glaub ja nicht, ich werde dich<br />

nicht fi nden… Stephanie und Yasmin zählen auf. So wagen<br />

viele Frauen und Kinder den Schritt ins Frauenhaus<br />

gar nicht erst zu unternehmen. Dort versucht das Beraterinnenteam<br />

die Opfer aus der Gewaltspirale zu ziehen.<br />

Die meist traurige und schwierige Vorgeschichte macht<br />

diese Aufgabe jedoch zu einem sehr komplexen, subtilen<br />

Unterfangen, das viel Fingerspitzengefühl verlangt.<br />

Denn viele Frauen stehen in einer so enormen Abhängigkeit,<br />

dass ein rund ein Drittel bald wieder zu ihrem<br />

Peiniger zurückkehrt, bald wieder Leid erfährt und zuweilen<br />

auch bald wieder am Frauenhaus anklopft. Trotzdem<br />

– Stephanie sieht ihr Tun nicht als Sisyphosarbeit.<br />

Wer den Weg ins Frauenhaus schafft, hat bereits einen<br />

wichtigen Schritt gemacht.<br />

Theorie und Praxis. Ich sitze an unserem Tisch, nippe<br />

an meinem Glas Wasser. Es ist mir nicht ganz wohl in<br />

meiner Haut. Stephanie und Yasmin erzählen mir ganz<br />

offen über ihre Arbeit im Frauenhaus, obwohl sich mit<br />

der unbekannten Adresse doch eigentlich die schützende<br />

Hand der Anonymität über die Institution legt. Ich<br />

frage mich, was wohl die Kellnerin oder der Mann am<br />

Tisch neben mir denken, ich weiss sie hören die Schilderungen<br />

mit einem Ohr mit. Ob sie wohl auch so wenig<br />

über ein Problem wissen, von dem mehr Menschen<br />

betroffen sind, als die meisten denken? Dieser Punkt<br />

stellt eine komplexe Aufgabe an die Leitung des Frauenhauses:<br />

Den mühseligen Gang zwischen Geheimhaltung<br />

und Öffentlichkeitsarbeit zu meistern. Die Gesellschaft<br />

bestmöglich über eine Institution zu informieren, von<br />

der niemand wissen darf, wo sie ist. Den Frauen Angst<br />

nehmen, ihnen näher bringen, was sie nicht sehen dürfen.<br />

Enttabuisieren, Schweigen brechen. Unterstützen.<br />

Das Frauenhaus Bern ist eine anerkannte Opferhilfestelle<br />

und fi nanziert sich über Kantonsbeiträge, Landeskirchen,<br />

Kostgeldeinnahmen und Spenden. Der Auftrag<br />

der Häuser indes ist mit drei Schüsselbegriffen klar<br />

defi niert: Schutz, Beratung und Unterkunft für Frauen<br />

und Kinder, die Opfer häuslicher Gewalt wurden. Diese<br />

Aufgabe beginnt damit, Hilfesuchenden einen ersten<br />

Moment der Sicherheit und Ruhe zu schenken, dann<br />

Grundlage des Falles zu analysieren und schlussendlich<br />

mit weiterführenden Fachstellen zu vernetzen: ÄrztInnen,<br />

SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, Polizei. Das<br />

Frauenhaus sieht sich als stationäre Einrichtung für gewaltbetroffene<br />

Frauen und Kinder, als Beratungs- nicht<br />

aber Therapiestelle. Doch so klar dieser Auftrag auf<br />

dem Papier steht, so schwierig ist er in der Praxis umzusetzen<br />

und ihn auch einzuhalten. Die prekären Vorgeschichten<br />

der Betroffenen loten die Grenzen des Beratungsauftrages<br />

oftmals aus. Hinzu kommen Faktoren,<br />

die ein standardisiertes Abwickeln der Fälle vorneweg<br />

ausschliessen: Kultur- und Sprachbarrieren, religiöse<br />

Hintergründe, kontinuierliche Gewaltandrohung, zunehmende<br />

Elterngewalt gegenüber jungen Frauen. So kann<br />

ein Aufenthalt bis zu sechs Monaten dauern und endet<br />

in einzelnen Fällen sogar mit Namen- und Ortswechsel.<br />

Im Worst Case liegen Perücken bereit.<br />

Nicht gerade mit Perücke und Schminke, aber mit<br />

einer handvoll anderer Animationen ist der einzige<br />

Mann im Hause engagiert. Seine Tätigkeit nennt sich<br />

«Kinderanimator», das junge Klientel kennt ihn allerdings<br />

unter dem Namen «Kindermann». Im Gefüge des<br />

Frauenhauses ist dem Kindermann diejenige Rolle zugeteilt,<br />

welche die untergebrachten Kinder vielleicht nur<br />

vom Hörensagen kennen: Die Person des Guten Mannes.<br />

Diese unternimmt mit den Kids kleine Ausfl üge, geht in<br />

den Tierpark oder auf die Schlittschuhbahn. Es klingt<br />

simpel, aber die Wichtigkeit dieser Figur ist für ein Kind<br />

nicht zu unterschätzen. Der Kindermann soll ihm den<br />

Eindruck schenken, dass ein Mann auch nett, lieb und<br />

vertrauenswürdig sein kann. Kann.<br />

Die Kunst des Loslassens. Gegen das Klischee, häusliche<br />

Gewalt sei vorwiegend ein Migrantinnenproblem,<br />

wehrt sich Yasmin vehement. Die betroffenen Frauen<br />

kommen aus allen Schichten, durchschnittlich sind sie<br />

32 Jahre alt. Doch die verschiedenen kulturellen Fundamente<br />

verlangen auch ein differenziertes Umgehen<br />

mit den Frauen und Kindern. Die Beraterinnen bewegen<br />

sich während dem Kontakt mit Hilfesuchenden auf dem<br />

schmalen Grat zwischen Einfühlung und Abgrenzung.<br />

Yasmin will keine Wand zwischen der Frau und ihrer Person<br />

bilden, im Gegenteil: Betroffenheit soll entstehen.<br />

Dennoch darf die Option, Abschalten zu können, nicht<br />

verloren gehen. Man refl ektiert im Team Erlebnisse,<br />

tauscht aus, was sonst aufgrund der Schweigepfl icht<br />

niemand hören darf. Psychohygiene nennen sich diese<br />

Massnahmen: Die innere Balance fi nden, den Kopf frei<br />

halten. Abschalten. Trotzdem – die Erlebnisse begleiten<br />

Yasmin oftmals über die Schwelle des Frauenhauses hinaus.<br />

Wir wollen auch mal. Der Beginn des Gespräches ist<br />

kein Einfacher bei so einem ernsten Thema. Stephanie<br />

hat kurzerhand Yasmin mitgenommen, sie kennt den<br />

Frauenhausalltag als Beraterin aus erster Hand. Reden<br />

wir erst über das 25. Jubiläum, denke ich, ein dankbarer<br />

Einstieg in ein ernstes Thema. Locker anfangen. Ich halte<br />

den farbigen Flyer des Geburtstag-Events im Progr in

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