Freimaurerei zwischen Ideal und Alltag - Großloge der Alten Freien ...
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Vortrag vorgelesen am 26.02.2008 anläßlich eines Gästeabends in <strong>der</strong> Loge „Carl zur gekrönten Säule“,<br />
Braunschweig von Kurt Schönauer, MvSt.<br />
Jens Oberheide:<br />
<strong>Freimaurerei</strong> <strong>zwischen</strong> <strong>Ideal</strong> <strong>und</strong> <strong>Alltag</strong><br />
„Edel sei <strong>der</strong> Mensch, hilfreich <strong>und</strong> gut“. Er soll es sein, sagt Goethe mit diesen<br />
Worten. Er ist es nicht, wie wir alle wissen.<br />
Kann man es werden? Moses Mendelssohn, Lessings Vorbild für Nathan den<br />
Weisen, sagt mit einfachen Worten, wie es möglich wäre: „Nach Wahrheit<br />
forschen, Schönheit lieben, Gutes wollen, das Beste tun.“<br />
1<br />
Mendelssohns ebenso geniale wie triviale Vereinfachung allen Strebens verführt<br />
dazu, auch unsere <strong>Freimaurerei</strong> so schlicht zu übersetzen, <strong>und</strong> wenn sie sich in<br />
diesem Lebensentwurf des besseren Menschen erschöpfte, dann ist diese „Idee<br />
<strong>Freimaurerei</strong>“ so alt, wie die Frage <strong>der</strong> Selbstverwirklichung <strong>und</strong> die Sehnsucht<br />
<strong>der</strong> Menschen nach dem besseren Miteinan<strong>der</strong> für eine bessere Welt.<br />
„<strong>Freimaurerei</strong>“ ist nichts an<strong>der</strong>es, als ein Synonym für solche <strong>Ideal</strong>zustände <strong>und</strong><br />
gleichzeitig die Übersetzung für die <strong>Alltag</strong>sfähigkeit von <strong>Ideal</strong>en.<br />
Den Vorsatz „Gutes wollen, das Beste tun“ kann wohl nur jemand fassen, <strong>der</strong><br />
einer Charakteristik entspricht, wie sie die <strong>Alten</strong> Pflichten <strong>der</strong> Freimaurer von<br />
1723 skizzieren. Freimaurer, so heißt es darin, sollen „gute <strong>und</strong> redliche“<br />
Menschen sein, „von Ehre <strong>und</strong> Anstand“.<br />
Eigentlich eine allgemeine menschliche Gr<strong>und</strong>voraussetzung. Wie sieht <strong>der</strong><br />
ideale Freimaurer aus?<br />
Symbolisch konstruiert, wie es heißt „aus den Materialien seiner Loge“, zeigt<br />
ihn ein Kupferstich von 1754. Der Kopf ist eine strahlende Sonne. Man sieht,<br />
<strong>der</strong> Freimaurer ist ein „Erleuchteter“, seine Arme sind rechte Winkel als<br />
Ausdruck für rechtes Tun <strong>und</strong> redliches Handeln, an den Enden Zirkel <strong>und</strong><br />
Senkblei für die Gedankenkreise <strong>und</strong> den Tiefgang. Der Körper ist das „Buch<br />
des Heiligen Gesetzes“, weil man Elementares braucht, <strong>und</strong> seine Beine sind die<br />
festen Säulen des Tempels, das F<strong>und</strong>ament ist das musivische Pflaster für die<br />
Gesetzmäßigkeiten, für Gerechtigkeit <strong>und</strong> Ordnung. Ein starrer, überaus<br />
künstlicher Homunkulus, ja, fast eine Karikatur, denn <strong>der</strong> Freimaurer aus<br />
Fleisch <strong>und</strong> Blut ist natürlich ein Mensch mit allen Fehlern <strong>und</strong> Schwächen.<br />
Freilich auch mit seiner Anlage zur Schaffens- <strong>und</strong> Lebensfreude, begabt mit<br />
Phantasie <strong>und</strong> Kreativität, das heißt: mit schöpferischer Kraft.<br />
Was macht er daraus?
2<br />
Symbolgeübt macht er aus solchen Kunstgebilden seine ganz persönliche<br />
<strong>Alltag</strong>sübersetzung. Ein Freimaurer liest Symbolik wie an<strong>der</strong>e die Piktogramme<br />
des <strong>Alltag</strong>s lesen – vom „Notausgang“ bis zu „Rauchen verboten“.<br />
Er tut das jedoch individuell, denn vom schwärmerischen Schöngeist bis zum<br />
handfesten Pragmatiker ist die ganze Bandbreite von Mentalitäten <strong>und</strong><br />
Befindlichkeiten bei uns vertreten. Sie eint <strong>der</strong> <strong>Ideal</strong>ismus, Menschlichkeit ins<br />
Miteinan<strong>der</strong> zu denken.<br />
Das kann natürlich je<strong>der</strong> tun, ja, nach Goethe sollte sogar „je<strong>der</strong> Mensch“ edel,<br />
hilfreich <strong>und</strong> gut sein. Die Crux ist, dass Deutung <strong>und</strong> Praxis <strong>der</strong>artiger<br />
Attribute von Kultur zu Kultur durchaus so unterschiedlich sein können, wie<br />
etwa <strong>zwischen</strong> den Auffassungen abendländischer Tugendwächter <strong>und</strong><br />
morgenländischer Gotteskrieger.<br />
Gibt es ein objektives <strong>Ideal</strong>? In den <strong>Alten</strong> Pflichten <strong>der</strong> Freimaurer von 1723 ist<br />
die Rede von einer „Religion, in <strong>der</strong> alle Menschen übereinstimmen“, <strong>und</strong> von<br />
einem „Sittengesetz“, als gäbe es eine Ethik für eine Welt.<br />
Immerhin haben Vertreter aller Weltreligionen (Freimaurer waren nicht dabei)<br />
in ihrer Chicagoer Erklärung von 1993 ökumenische Gr<strong>und</strong>kriterien erarbeitet,<br />
in denen alle Kulturen übereinstimmen müssten, weil sie alle Menschen<br />
umfassen. Die Erklärung hat zwei Prinzipien:<br />
1. Je<strong>der</strong> Mensch muss menschlich behandelt werden.<br />
2. Wir müssen an<strong>der</strong>e behandeln, wie wir von an<strong>der</strong>en behandelt werden<br />
wollen.<br />
Wir Deutsche haben dafür das volkstümliche Sprichwort: „Was du nicht willst,<br />
das man dir tu, das füg auch keinem an<strong>der</strong>n zu.“ Ein überaus schlichter<br />
Minimalkonsens für das <strong>Ideal</strong> des Miteinan<strong>der</strong>s.<br />
Vertreter aller Weltreligionen haben sich auch auf immerhin vier Gebote<br />
verständigen können, die in allen Religionen <strong>und</strong> allen Kulturkreisen gelten:<br />
1. Du sollst nicht töten<br />
2. Du sollst nicht stehlen<br />
3. Du sollst nicht lügen<br />
4. Du sollst nichts Unreines tun.<br />
Diese Gebote finden sich praktisch auch in allen Gesetzeswerken aller<br />
freiheitlichen Verfassungen wie<strong>der</strong>.<br />
In manchen Diktaturen <strong>und</strong> absoluten Religionen sagt man den abhängigen<br />
Untertanen, was gut <strong>und</strong> was böse ist. So entstehen Feindbil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Konflikte.<br />
So entsteht die unruhige Welt, die wir beklagen. Schuld ist nicht die Welt.<br />
Verursacher ist alleine <strong>der</strong> Mensch.
Ohne Orientierung am <strong>Ideal</strong> wird <strong>der</strong> Mensch immer nur gehorchen o<strong>der</strong> aber<br />
lediglich seinen eigenen Vorteil sehen. Dafür streitet er, bekämpft den an<strong>der</strong>en,<br />
neidet dem Besitzenden seinen Besitz, setzt vermeintliches Recht durch, o<strong>der</strong><br />
lässt sich befehlen, zu töten o<strong>der</strong> sich töten zu lassen, führt Kalte Kriege <strong>und</strong><br />
schlägt heiße Schlachten. Ja, es gibt eben auch den Missbrauch von <strong>Ideal</strong>en.<br />
Mündige, idealistisch denkende Menschen, wie wir sie denken, bemühen sich<br />
um globalen Konsens <strong>und</strong> darum, den an<strong>der</strong>en in seinem An<strong>der</strong>ssein zu<br />
tolerieren in <strong>der</strong> Absicht, ihn besser zu verstehen.<br />
3<br />
Wir meinen, das ist ein guter Ansatz für den Umgang mit <strong>Ideal</strong>en, weil die<br />
gegenseitige Achtung für je<strong>der</strong>mann machbar ist. Man muss nur beim Nächsten<br />
damit beginnen. Auch, wenn´s schwerfällt. Aber was wir nicht im Kleinen tun,<br />
das scheitert meist auch in größeren Dimensionen. Gegenseitigkeit.<br />
Nächstenliebe. Brü<strong>der</strong>lichkeit. Das <strong>Ideal</strong> hat viele Namen. Es beginnt immer bei<br />
uns selbst <strong>und</strong> stets vor <strong>der</strong> eigenen Haustür.<br />
Der Publizist <strong>und</strong> Freimaurer Ludwig Börne hat ein solches <strong>Ideal</strong> vor 200 Jahren<br />
gewissermaßen archaisch begründet: „Als Gott die Welt erschuf, da schuf er den<br />
Mann <strong>und</strong> das Weib. Nicht Herren <strong>und</strong> Knechte, nicht Juden <strong>und</strong> Christen, nicht<br />
Arme <strong>und</strong> Reiche. Darum lieben wir den Menschen, sei er denn Herr o<strong>der</strong><br />
Knecht, arm o<strong>der</strong> reich, Jude o<strong>der</strong> Christ“ - o<strong>der</strong> Moslem o<strong>der</strong> sonst was,<br />
möchte man hinzufügen. Das heißt ja nicht, dass wir alle gleich sind, aber im<br />
menschlichen Sinn, <strong>und</strong>, wenn es das gibt, in <strong>der</strong> göttlichen Absicht<br />
gleichberechtigt.<br />
Selbst diese Logik erscheint uns angesichts <strong>der</strong> Weltwirklichkeit idealisiert.<br />
Mehr noch. Die Weltwirklichkeit macht exakt jene Unterschiede, die Ludwig<br />
Börne hier auflöst, indem er sie auf das freimaurerische Symbol <strong>der</strong> Waage<br />
stellt, <strong>der</strong> gleichen Ebene aller, auf <strong>der</strong> wir uns begegnen.<br />
Gleichberechtigt sein, das meint: einan<strong>der</strong> ertragen, erdulden, füreinan<strong>der</strong> da<br />
sein, aufeinan<strong>der</strong> zugehen. Das ist <strong>Alltag</strong>. Das kann man machen. <strong>Freimaurerei</strong><br />
ist immer auch <strong>der</strong> Appell an Eigeninitiative, an die eigene Kraft, die eigene<br />
Kreativität <strong>und</strong> Mündigkeit. Je<strong>der</strong> nach seinen individuellen Mitteln <strong>und</strong><br />
Möglichkeiten, denn <strong>Freimaurerei</strong> äußert sich niemals als Gruppe, als Partei, als<br />
Ideologie.<br />
Sie will ihre Mitglie<strong>der</strong> lediglich konfrontieren mit Selbstsichten <strong>und</strong><br />
Weltsichten. Das liegt an <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Ausrichtung des Symbolb<strong>und</strong>es, an<br />
dessen Ritualen <strong>und</strong> <strong>Ideal</strong>en, am Appell zur Selbsterkenntnis <strong>und</strong><br />
„Selbstveredlung“ – auch so ein <strong>Ideal</strong> - <strong>und</strong> an den Verpflichtungen zur<br />
Menschlichkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> unermüdlichen Suche nach verbindenden Werten.
Noch ein <strong>Ideal</strong>: Alle Menschen werden Brü<strong>der</strong>. Ist Schillers Text von <strong>der</strong><br />
allgemeinen Menschenliebe angesichts <strong>der</strong> Wirklichkeit nicht ein bitterer<br />
Anachronismus?<br />
Wenn ja, dann sollten wir alle uns einen solchen Anachronismus leisten.<br />
Die Loge tut das als Lehr- <strong>und</strong> Übungsstätte für Brü<strong>der</strong>lichkeit <strong>und</strong> Humanität.<br />
Hier kann man im Kleinen miteinan<strong>der</strong> einüben, was im Großen so selten<br />
funktioniert. Hier darf man idealistisch denken, auch, wenn das Gleichgewicht<br />
<strong>der</strong> Kräfte ein <strong>Ideal</strong> bleibt, so, wie das Menschenbild, das sich daran orientiert.<br />
Die Vision einer geeinten Menschheit bleibt lebendig durch die praktische<br />
Politik <strong>der</strong> kleinen Schritte. Wir selbst müssen sie machen.<br />
Auch das alte freimaurerische Fanal „Freiheit – Gleichheit – Brü<strong>der</strong>lichkeit“<br />
pendelt <strong>zwischen</strong> <strong>Ideal</strong> <strong>und</strong> <strong>Alltag</strong>. Die Vereinten Nationen haben die UN-<br />
Charta <strong>der</strong> Menschenrechte im freimaurerischen Geist formuliert: „Alle<br />
Menschen sind frei <strong>und</strong> gleich an Würde <strong>und</strong> Rechten geboren. Sie sind mit<br />
Vernunft <strong>und</strong> Gewissen begabt <strong>und</strong> sollten einan<strong>der</strong> im Geiste <strong>der</strong><br />
Brü<strong>der</strong>lichkeit begegnen.“<br />
4<br />
Schöner ideeller Gedanke an gelebte Brü<strong>der</strong>lichkeit, praktizierte Toleranz,<br />
friedliches, verständnisvolles <strong>und</strong> rücksichtsvolles Miteinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> Füreinan<strong>der</strong>.<br />
Menschenrechte sind Gr<strong>und</strong>rechte. Sie bleiben ein <strong>Ideal</strong>, wenn wir sie nicht<br />
praktizieren, denn Menschrechte sind auch Menschenpflichten. Wenn ein<br />
solcher Pflichtgedanke stirbt, sagt Eduard Spranger, dann „stirbt auch die<br />
Kultur“. Wir beobachten mit Sorge, dass überall in <strong>der</strong> Welt Kulturen sterben.<br />
Vor allem die Kultur des verständnisvollen Miteinan<strong>der</strong>s. Konkurrierende<br />
Religionen, unversöhnliche Feindbil<strong>der</strong>, kontroverse Ideologien,<br />
Wirtschaftsinteressen, die stärker sind, als Ethik <strong>und</strong> Moral <strong>und</strong> ein<br />
Machtstreben, das sich essentiell intolerant gebärdet, sind die starken<br />
Gegenkräfte <strong>der</strong> Kulturen.<br />
Menschenrechte müssen gelebt <strong>und</strong> die Würde des Menschen muss verteidigt<br />
werden. Über Menschenverachtendes muss geredet werden. Was wir wollen, ist<br />
jenes „laute Denken mit dem Fre<strong>und</strong>e“, wie Lessing das genannt hat. Auch das<br />
unbequeme Querdenken ist bei uns gefragt. Glücklicherweise gibt es seit<br />
Anbeginn <strong>der</strong> <strong>Freimaurerei</strong> immer auch Menschen, die etwas tun <strong>und</strong> bewegen<br />
können. Sympathisanten sind herzlich willkommen.<br />
Wir haben im vergangenen Jahr Prof. Hans Küng unseren Kulturpreis Deutscher<br />
Freimaurer verliehen, weil er unbeirrt grenzüberschreitend denkt <strong>und</strong> handelt,<br />
weil er so mutig ist, gegen die vielfältigen staatlichen <strong>und</strong> religiösen Egoismen<br />
mit dem „Weltethos“ ein verbindendes <strong>Ideal</strong> zu stellen <strong>und</strong> das Machbare dieses<br />
<strong>Ideal</strong>s immer wie<strong>der</strong> einzufor<strong>der</strong>n. Das ist Geist von unserem Geist.
5<br />
<strong>Freimaurerei</strong> kann nicht die Welt verbessern, sie kann aber gute Menschen dazu<br />
anstiften, bessere zu werden, in <strong>der</strong> Hoffnung, dass diese dann am besseren<br />
Miteinan<strong>der</strong> für eine bessere Welt arbeiten. Wenigstens hier <strong>und</strong> da, wo es dem<br />
Einzelnen möglich ist. Zugegeben: Oft ist das nicht viel. Glücklicherweise wird<br />
aber auch die freimaurerische Reihe jener <strong>Ideal</strong>isten fortgesetzt, die im<br />
öffentlichen Leben stehen <strong>und</strong> wirken, <strong>und</strong> dann gerät doch etwas vom <strong>Ideal</strong> in<br />
den <strong>Alltag</strong>.<br />
Jede Wirksamkeit geht jedoch davon aus, dass all das Gute, Wahre, Schöne,<br />
Edle <strong>der</strong> <strong>Ideal</strong>e <strong>und</strong> Weisheitslehren nicht ein So-Sein, son<strong>der</strong>n ein So-Werden<br />
kennzeichnet, ein Danach-Streben. Man muss es wollen. Man muss sich auf den<br />
Weg machen. <strong>Freimaurerei</strong> ist so ein Weg.<br />
<strong>Freimaurerei</strong> ist die Idee des sinnvollen Bauens <strong>und</strong> Gestaltens von Zeit <strong>und</strong><br />
Raum. So, wie unsere Vorväter in den mittelalterlichen Bauhütten konkret<br />
Räume gebaut <strong>und</strong> ausgestaltet haben, wollen wir das im übertragenen Sinn tun.<br />
Wir wollen die Zeit sinnvoll nutzen zur Selbstfindung <strong>und</strong> zur Selbsterziehung,<br />
zur Suche nach Lebensqualität <strong>und</strong> Sinn, zur Gestaltung von Lebensraum <strong>und</strong><br />
Umwelt.<br />
Unsere Freimaurerbru<strong>der</strong> Her<strong>der</strong> hat das mit „Veredlung <strong>der</strong> Lebenshaltung“, ja<br />
mit „Versittlichung“ übersetzt <strong>und</strong> eine „höhere Natur des Menschen“<br />
angesprochen. Darunter versteht er die Entfaltung von Humanität, dem <strong>Ideal</strong><br />
aller Erziehung <strong>und</strong> Bildung. In diesem Sinne gehört zur Humanität auch die<br />
Verantwortung des Menschen für die Zustände des Daseins, <strong>und</strong> dazu gehört<br />
auch das Vertrauen in die eigenen Kräfte. Das Vertrauen darauf, dass man<br />
selbstverantwortlich denken <strong>und</strong> selbstverantwortlich handeln kann, ja, muss.<br />
Her<strong>der</strong> spricht von einer „Gesellschaft aller denkenden Menschen“ <strong>und</strong> sieht in<br />
unserer <strong>Freimaurerei</strong> all´ das, „wonach zu allen Zeiten alle Guten strebten.“<br />
Er spricht eine freimaurertypische Mischung von <strong>Ideal</strong>ismus, Gesittung, Geist<br />
<strong>und</strong> Gemüt an. Im Kleinen funktioniert das mitunter, selten lei<strong>der</strong> in großen<br />
Zusammenhängen. Denn wir wissen natürlich sehr wohl, wie auch Her<strong>der</strong>, dass<br />
sich all´ die Guten <strong>und</strong> alle Denkenden nicht organisatorisch verbinden lassen,<br />
<strong>und</strong> schon gar nicht „immer“ <strong>und</strong> „zu allen Zeiten“. So ist natürlich auch die<br />
Loge ein <strong>Ideal</strong>bild. Die Vorstellung, es könne so sein, es möchte so werden.<br />
Als <strong>Ideal</strong>isten gehen wir Freimaurer von <strong>der</strong> gestaltenden Kraft <strong>der</strong> <strong>Ideal</strong>e aus,<br />
<strong>und</strong> jene idealistischen Symbole, Parabeln <strong>und</strong> Allegorien vom Tempelbau <strong>der</strong><br />
Menschlichkeit o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Weltbru<strong>der</strong>kette, die alle verbindet <strong>und</strong> vereint, sind<br />
uns wohlvertraut. Sie sind Wegweiser, das Phantastische zu denken, aber immer<br />
auch Auffor<strong>der</strong>ung, das Machbare zu tun.<br />
Anspruch <strong>und</strong> Wirklichkeit. <strong>Ideal</strong> <strong>und</strong> <strong>Alltag</strong>.
Verhaltensnormen <strong>und</strong> menschliche Tugenden sind, wie wir wissen, ideal<br />
definiert. Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maßhalten. Glaube, Liebe,<br />
Hoffnung, Nächstenliebe. Auch die bürgerlichen Tugenden sind ideale,<br />
anstrebenswerte, hier <strong>und</strong> da freilich auch erreichbare Wertvorstellungen. Ich<br />
nenne nur Toleranz, Selbstdisziplin, Zivilcourage, Brü<strong>der</strong>lichkeit.<br />
6<br />
Derartige Werte, Tugenden, ethische Normen verschlüsselt die <strong>Freimaurerei</strong> in<br />
ihren Symbolwelten. Als im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert berufsfremde Denker zu den <strong>Alten</strong><br />
<strong>Freien</strong> Maurern stießen, übersetzten sie die alte Baukunst in eine Kunst zu leben.<br />
Basis dazu war die umgedachte Praxis des Bauhandwerks <strong>und</strong> Werkzeuge vom<br />
Bau, die sich ins Geistige, Ethische <strong>und</strong> Moralische umdenken ließen.<br />
Himmelwärts bauen – das konnte auch himmelwärts denken heißen. Auf <strong>der</strong><br />
Waage, <strong>der</strong> gleichen Ebene aller, traf man sich. So recht, wie <strong>der</strong> rechte Winkel<br />
sollten Denken <strong>und</strong> Handeln sein. Es „recht machen“, richtig machen,<br />
rechtschaffen sein, redlich <strong>und</strong> anständig. So, wie ein Stein den an<strong>der</strong>en stützt<br />
<strong>und</strong> trägt für den Brückenschlag, so wollte man einan<strong>der</strong> stützen <strong>und</strong> tragen,<br />
füreinan<strong>der</strong> da sein. Der Zirkelschlag sollte alle einschließen, ohne Rücksicht<br />
auf Rang, Stand, Weltanschauung, Hautfarbe <strong>und</strong> irdische Güter. Nur die<br />
menschliche Qualität sollte zählen, sonst nichts. Mit dem Senkblei wollte man<br />
das eigene Innere ausloten, sehen, wie es ums Ego bestellt ist, um mit sich selbst<br />
ins Reine zu kommen.<br />
„Die alten Symbole Winkelmaß, Waage <strong>und</strong> Senkblei“, sagt Siegfried Lenz,<br />
„zeugen von <strong>der</strong> Beharrlichkeit einer Hoffnung, die sich durch nichts wi<strong>der</strong>legt<br />
sehen will. Vor <strong>der</strong> etablierten Ungerechtigkeit nach Gerechtigkeit zu verlangen,<br />
im Zeichen <strong>der</strong> Ungleichheit Gleichheit zu for<strong>der</strong>n, angesichts tätiger<br />
Feindseligkeit zur Brü<strong>der</strong>lichkeit zu überreden….“<br />
Weil diese Symbole des <strong>Ideal</strong>en sehr hoch hängen, kann <strong>Freimaurerei</strong> nicht<br />
statisch sein. Sie ist vielmehr ein immerwähren<strong>der</strong> Prozess des Lernens <strong>und</strong><br />
Überdenkens solcher Symbolik, des Einübens in Brü<strong>der</strong>lichkeit, Toleranz, Ethik,<br />
Moral. Ein Prozess auch <strong>der</strong> individuellen Sinnsuche, denn was man daraus<br />
macht <strong>und</strong> wie man das tut, bleibt jedem einzelnen überlassen. Alles beginnt<br />
beim Menschen <strong>und</strong> führt auf diesen zurück, <strong>und</strong> niemand, sagt Lessing, „kann<br />
zum Besten <strong>der</strong> Menschheit beitragen, <strong>der</strong> nicht aus sich selbst macht, was aus<br />
ihm werden kann.“<br />
Freimauerei ist die Auffor<strong>der</strong>ung, etwas aus sich selbst zu machen. Wer diese<br />
Auffor<strong>der</strong>ung annimmt, darf keine Angst vor Selbsterkenntnis haben <strong>und</strong> muss<br />
den Mut zur Selbstverwirklichung mitbringen. Schau in dich. Erst dann: Schau<br />
um dich. Erst dann das Bemühen um ein harmonisches Miteinan<strong>der</strong>.
7<br />
Miteinan<strong>der</strong> leben, miteinan<strong>der</strong> auskommen <strong>und</strong> das Beste daraus machen, so<br />
schlicht ist das eigentlich. Aber es ist auch jedem bewusst, dass dieses<br />
Miteinan<strong>der</strong>-leben-miteinan<strong>der</strong>-auskommen das Schwierigste überhaupt ist, <strong>und</strong><br />
das alle Konflikte in <strong>der</strong> Welt, die kleinen, wie auch die schrecklichen großen,<br />
ihre Ursache darin haben, dass das Miteinan<strong>der</strong> nicht funktioniert. Hier projiziert<br />
die <strong>Freimaurerei</strong> gleichsam ein <strong>Ideal</strong>bild gegen die Realität <strong>und</strong> sagt: Was wir<br />
brauchen ist eine absichtsfreie Menschlichkeit, die von keinem, wie immer<br />
gearteten Fraktionszwang bestimmt wird, son<strong>der</strong>n nur den Menschen selbst<br />
meint.<br />
Alle Problemfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Welt sind Menschenwerk. Ausgang aller<br />
Missverständnisse <strong>und</strong> Konflikte sind Dogmatismus, Fanatismus, Intoleranz.<br />
Wir brauchen aber eine Toleranz, die das Ertragen des An<strong>der</strong>en meint, in <strong>der</strong><br />
Absicht, ihn besser zu verstehen. Selbstverständlich ist Toleranz das<br />
Geltenlassen frem<strong>der</strong> Gebräuche, an<strong>der</strong>er Nationen, Hautfarben, Mentalitäten,<br />
Weltanschauungen. Toleranz überwindet Trennendes, baut Gegensätze ab – <strong>und</strong><br />
die Achtung vor an<strong>der</strong>en auf. Toleranz macht fähig, Konflikte zu lösen.<br />
Toleranz macht friedfertig <strong>und</strong> verständnisvoll.<br />
Einüben in Brü<strong>der</strong>lichkeit ist deswegen auch: Einüben in Konfliktfähigkeit.<br />
„Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> <strong>Freimaurerei</strong>“, sagt Stefan Zickler, „ist die Einssicht, dass alle<br />
mit den Menschen gegebenen Konflikte ausgetragen werden können, ohne sich<br />
zugleich zerstörerisch gegen an<strong>der</strong>e Menschen zu richten., wenn nur ein<br />
ausreichendes Vertrauensverhältnis <strong>zwischen</strong> den Menschen verschiedener<br />
Überzeugungen geschaffen werden kann.“ Eine unserer vordringlichen<br />
Aufgaben ist es, Vertrauensverhältnisse herzustellen. Da klopfen wir uns<br />
natürlich auch selbst an unsere eigene maurerische Brust <strong>und</strong> denken an unsere<br />
kleinen Engbünde, genannt „Loge“.<br />
Dort, wie überall, wo Menschen zusammenkommen <strong>und</strong> miteinan<strong>der</strong> leben <strong>und</strong><br />
wirken, geht es um Humanität, jenes <strong>Ideal</strong> vom Menschen <strong>und</strong> seiner Würde,<br />
nach Kant <strong>der</strong> „Sinn für das Gute in Gemeinschaft mit an<strong>der</strong>en.“<br />
Freimaurerische <strong>Ideal</strong>vorstellungen meinen, es müsse eigentlich ein<br />
Minimalkonsens gef<strong>und</strong>en werden, über alle Kulturen, Religionen <strong>und</strong> Nationen<br />
hinweg. Man sollte sich auf gemeinsame Werte verständigen können. Es gelte,<br />
ein gemeinsames ethisches F<strong>und</strong>ament zu finden, tragfähig für alle. Wie schön<br />
wäre es, könnte man zu einer Kultur <strong>der</strong> Gewaltlosigkeit, Friedfertigkeit,<br />
Brü<strong>der</strong>lichkeit <strong>und</strong> Ehrfurcht vor dem Leben übergehen.<br />
„Einen nötigen Geist, <strong>der</strong> Möglichkeiten dichtet“, hat Lessing das genannt. Das<br />
heißt, <strong>der</strong> “Geist hat die Aufgabe, eine Welt <strong>der</strong> Möglichkeiten zu denken“<br />
(Jürgen Daiber) .Nachdenken über die bessere Welt. <strong>Ideal</strong>bil<strong>der</strong> entwerfen <strong>und</strong><br />
Machbares suchen. Nachdenken über Sinnfragen, wie sie Immanuel Kant
angesprochen hat: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich<br />
hoffen? Was ist <strong>der</strong> Mensch?“<br />
8<br />
Man kann, man darf, <strong>und</strong> manchmal müsste man auch <strong>der</strong> Welt eine an<strong>der</strong>e Welt<br />
entgegenhalten. Weil eine Loge eine Welt im Kleinen ist, könnte sie<br />
gewissermaßen Modellcharakter für die Welt im Großen haben. Sie könnte,<br />
beispielgebend für die große, eine funktionierende, eine ideelle Gemeinschaft im<br />
Kleinen darstellen, <strong>und</strong> das ist eigentlich auch die Absicht, lei<strong>der</strong> nicht immer<br />
auch die Realität. <strong>Freimaurerei</strong> ist, genau besehen, ein menschlicher<br />
Gegenentwurf zur unmenschlichen Welt.<br />
Wir werben nicht dafür. Wir wollen lediglich durch individuelles Beispiel<br />
anstecken <strong>und</strong> anstiften. Und wir wollen im vertrauten Engb<strong>und</strong> Loge<br />
gemeinsam darüber nachdenken, wie das gehen kann. Nachdenken auch über die<br />
Welt <strong>und</strong> darüber, was sie bewegt. Wir wollen feinfühlig sein für Zeitprobleme,<br />
„Trennendes sich befre<strong>und</strong>en lassen“, aufeinan<strong>der</strong> zugehen in allen<br />
Lebenssituationen, geduldig zuhören, friedfertig sein. Egoismen überwinden,<br />
Verständigung suchen, offen sein für den Dialog. Geduldig sein. Das ist ganz<br />
<strong>Alltag</strong>. Das kann man machen. Und das <strong>Ideal</strong>? „<strong>Ideal</strong>e sind wie Sterne“, sagt <strong>der</strong><br />
Freimaurer Carl Schurz, „man sieht sie, man kann sich an ihnen orientieren, aber<br />
man erreicht sie nicht.“<br />
Alle Menschen werden Brü<strong>der</strong>...“ Was Schiller in seiner Ode an die Freude für<br />
die Loge in Dresden dichtete <strong>und</strong> was Beethoven in seiner Neunten so<br />
meisterhaft vertonte, das ist natürlich eine Fiktion, wie <strong>der</strong> Schlussvers einer<br />
freimaurerischen Zusammenkunft:<br />
„Geist <strong>der</strong> Lieb´ umweh die Erde, dass das menschliche Geschlecht eine<br />
Bru<strong>der</strong>kette werde, teilend Wahrheit, Licht <strong>und</strong> Recht...“ Weil es geteilte<br />
Wahrheit, geteiltes Licht <strong>und</strong> Recht nicht gibt, <strong>und</strong> weil nicht alle Menschen<br />
Brü<strong>der</strong> werden, bleibt <strong>Freimaurerei</strong> Synonym für das bessere Miteinan<strong>der</strong> in<br />
einer besseren Welt. Wie gesagt, eigentlich ist das alles ganz schlicht, wie<br />
Moses Mendelssohn sagt: „Nach Wahrheit forschen, Schönheit lieben, Gutes<br />
wollen, das Beste tun.“ Zugegeben: Das repariert nicht die unheile Welt. Aber es<br />
ist ein Weg, <strong>und</strong> <strong>der</strong> beginnt bei dir <strong>und</strong> mir, <strong>und</strong> er führt zu einem<br />
Schulterschluss mit allen Menschen guten Willens in <strong>der</strong> Welt.<br />
Ich zitiere hier gern Friedrich Ludwig Schrö<strong>der</strong> (1744 – 1816), nach dessen<br />
Ritualwerk die Loge „Zum Schwarzen Bär“ arbeitet. Schrö<strong>der</strong> hat vor rd. 200<br />
Jahren gesagt, die <strong>Freimaurerei</strong> habe „alle Eigenschaften, die Menschen besser<br />
zu machen“. Sie sei die „erklärte Feindin aller Vorurteile“ <strong>und</strong> lehre „wahre<br />
Duldung“. „Güte des Herzens“, sagt Schrö<strong>der</strong>, sei ein „Hauptbedingnis“,<br />
„Wohltätigkeit“ sei <strong>der</strong> „Geist“. <strong>Freimaurerei</strong> müsse in ihren Mitglie<strong>der</strong>n „etwas<br />
bewirken, denn sonst wäre sie unnütz. Sie soll bewirken, was we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Staat<br />
noch die Kirche bewirken kann.“ Durch sie soll „innere Tugend <strong>und</strong>
9<br />
Rechtschaffenheit vermehrt <strong>und</strong> verbreitet werden.“ Sie sei darauf angelegt, „auf<br />
innere Sittlichkeit zu arbeiten, das Gute, welches die bürgerliche Gesellschaft<br />
nicht bewirken kann, zu beför<strong>der</strong>n, Weisheit <strong>und</strong> Tugend in ihrer wesentlichen<br />
Reinheit zu erhalten… <strong>und</strong> die Trennungen <strong>und</strong> Spaltungen, welche das<br />
Interesse <strong>der</strong> Staaten, Religionen, Ständen <strong>und</strong> aller zufälligen Verhältnisse<br />
hervorbringt, aufzuheben.“<br />
Weil es so nicht ist, bleibt <strong>Freimaurerei</strong> ein hohes <strong>Ideal</strong>, gewissermaßen<br />
definiert über den Dingen. Überstaatlich. Überkonfessionell. Philanthropisch,<br />
altruistisch, kosmopolitisch.. <strong>Freimaurerei</strong> ist ein Lebensstil für offene Herzen<br />
<strong>und</strong> offene Sinne für die Zeit, die Umwelt <strong>und</strong> die Dinge um uns herum.<br />
Die „Überzeugung, dass alle Menschen im Gr<strong>und</strong>e gleich vernünftig <strong>und</strong> gut“<br />
sind (Brockhaus) prägt Aufklärung <strong>und</strong> Menschenrechte. „Dass ein <strong>Ideal</strong> nie<br />
völlig erreichbar ist, son<strong>der</strong>n ständig zu erstreben bleibt“, ist Wesensinhalt des<br />
<strong>Ideal</strong>ismus. Dass sich <strong>Ideal</strong>ismus <strong>und</strong> Realität nicht ausschließen, lehrt die<br />
<strong>Freimaurerei</strong>. Humanität, das <strong>Ideal</strong> aller Erziehung <strong>und</strong> Bildung, liegt irgendwo<br />
da<strong>zwischen</strong> <strong>und</strong> muss – trotz <strong>der</strong> aktuell so schlimmen Weltwirklichkeit –<br />
anfassbar, umsetzbar <strong>und</strong> alltagsfähig bleiben.<br />
„Am <strong>Ideal</strong> gemessen, versagt die Wirklichkeit“, sagt Richard von Weizsäcker,<br />
„aber was wäre das für eine traurige Wirklichkeit, wenn sie aufhören würde,<br />
sich am <strong>Ideal</strong> zu orientieren.“<br />
So sehen wir Freimaurer das auch.<br />
Jens Oberheide ,Großmeister <strong>der</strong> <strong>Großloge</strong> A.F.u.A.M. von Deutschland.