Freimaurerei zwischen Ideal und Alltag - Großloge der Alten Freien ...

Verhaltensnormen und menschliche Tugenden sind, wie wir wissen, ideal
definiert. Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maßhalten. Glaube, Liebe,
Hoffnung, Nächstenliebe. Auch die bürgerlichen Tugenden sind ideale,
anstrebenswerte, hier und da freilich auch erreichbare Wertvorstellungen. Ich
nenne nur Toleranz, Selbstdisziplin, Zivilcourage, Brüderlichkeit.
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Derartige Werte, Tugenden, ethische Normen verschlüsselt die Freimaurerei in
ihren Symbolwelten. Als im 17. Jahrhundert berufsfremde Denker zu den Alten
Freien Maurern stießen, übersetzten sie die alte Baukunst in eine Kunst zu leben.
Basis dazu war die umgedachte Praxis des Bauhandwerks und Werkzeuge vom
Bau, die sich ins Geistige, Ethische und Moralische umdenken ließen.
Himmelwärts bauen – das konnte auch himmelwärts denken heißen. Auf der
Waage, der gleichen Ebene aller, traf man sich. So recht, wie der rechte Winkel
sollten Denken und Handeln sein. Es „recht machen“, richtig machen,
rechtschaffen sein, redlich und anständig. So, wie ein Stein den anderen stützt
und trägt für den Brückenschlag, so wollte man einander stützen und tragen,
füreinander da sein. Der Zirkelschlag sollte alle einschließen, ohne Rücksicht
auf Rang, Stand, Weltanschauung, Hautfarbe und irdische Güter. Nur die
menschliche Qualität sollte zählen, sonst nichts. Mit dem Senkblei wollte man
das eigene Innere ausloten, sehen, wie es ums Ego bestellt ist, um mit sich selbst
ins Reine zu kommen.
„Die alten Symbole Winkelmaß, Waage und Senkblei“, sagt Siegfried Lenz,
„zeugen von der Beharrlichkeit einer Hoffnung, die sich durch nichts widerlegt
sehen will. Vor der etablierten Ungerechtigkeit nach Gerechtigkeit zu verlangen,
im Zeichen der Ungleichheit Gleichheit zu fordern, angesichts tätiger
Feindseligkeit zur Brüderlichkeit zu überreden….“
Weil diese Symbole des Idealen sehr hoch hängen, kann Freimaurerei nicht
statisch sein. Sie ist vielmehr ein immerwährender Prozess des Lernens und
Überdenkens solcher Symbolik, des Einübens in Brüderlichkeit, Toleranz, Ethik,
Moral. Ein Prozess auch der individuellen Sinnsuche, denn was man daraus
macht und wie man das tut, bleibt jedem einzelnen überlassen. Alles beginnt
beim Menschen und führt auf diesen zurück, und niemand, sagt Lessing, „kann
zum Besten der Menschheit beitragen, der nicht aus sich selbst macht, was aus
ihm werden kann.“
Freimauerei ist die Aufforderung, etwas aus sich selbst zu machen. Wer diese
Aufforderung annimmt, darf keine Angst vor Selbsterkenntnis haben und muss
den Mut zur Selbstverwirklichung mitbringen. Schau in dich. Erst dann: Schau
um dich. Erst dann das Bemühen um ein harmonisches Miteinander.