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Magazin 2009 - Frankfurter Presseclub

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Bauern, die für Geld am Rand ihrer Felder Reklameschilder<br />

aufstellen und dabei ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht<br />

immer ganz nachkommen. Zur besseren Dokumentation der<br />

Streitfälle legt sich Erich Salomon eine Contessa-Nettel-Kamera<br />

zu, die er in seiner Freizeit für kleine Reportagen nutzt.<br />

1927 drucken verschiedene Ullstein-Zeitungen die ersten<br />

Salomon-Bilder ab. Ullstein ist zu jener Zeit das größte und erfolgreichste<br />

Verlagshaus Europas, sein Flaggschiff ist die „Berliner<br />

Illustrirte Zeitung“, deren Auflage 1930 bei zwei Millionen<br />

liegt. Hier veröffentlicht Salomon 1928 Aufnahmen aus<br />

einem aufsehenerregenden Polizistenmörderprozess. Dabei<br />

gelingt es ihm nicht nur, das strikte Fotografierverbot<br />

zu überwinden, indem er seine neue Ermanox, eine<br />

35-mm-Spiegelreflex-Plattenkamera mit lichtstarkem<br />

Objektiv, in einem Hut versteckt. Salomon beweist<br />

auch zum ersten Mal sein Gespür für packende atmosphärische<br />

Aufnahmen und jenes Quäntchen Frechheit,<br />

mit dem er es noch oft zum Erfolg bringen wird:<br />

Als ihm einer der Gerichtsdiener am letzten Tag auf<br />

die Schliche kommt und die Herausgabe der Bilder<br />

verlangt, gibt sich Salomon reumütig und händigt ihm<br />

eine Kassette mit freilich unbelichteten Platten aus.<br />

Die belichteten trägt er seelenruhig in der Jacketttasche<br />

nach draußen. Nur ein Jahr nachdem Erich<br />

Salomon zum ersten Mal eine Kamera in Händen hatte,<br />

beginnt seine Karriere, bald ist er der berühmteste<br />

und gefragteste Bildjournalist der Welt.<br />

Fotos Marke Salomon<br />

Nachdem eine weitere Serie von Gerichtsfotos europaweit<br />

veröffentlicht wird, kündigt Salomon seine Stellung<br />

bei Ullstein und arbeitet fortan als freier Bildjournalist.<br />

Er reist zu allen wichtigen internationalen Konferenzen,<br />

in den Wandelgängen des Reichstages kennt man ihn<br />

ebenso wie in der Pariser Nationalversammlung. Immer<br />

sind es sein gepflegtes Auftreten, Sprachkenntnisse und<br />

die vollkommene Selbstverständlichkeit, mit der er sich<br />

auf glänzendem Parkett bewegt, die ihn zum „Schuss“<br />

kommen lassen. Im Völkerbundpalast in Genf setzt er sich ungerührt<br />

– und unbemerkt – auf den Platz des gerade abwesenden<br />

polnischen Delegierten, während der ersten Regierungserklärung<br />

des Reichskanzlers Hermann Müller nimmt er dessen<br />

Abgeordnetenplatz ein: „Wenn man ohne formelle Erlaubnis<br />

irgendwo fotografiert, kann man voraussetzen, dass jeder, der<br />

nichts damit zu tun hat, sich nicht im Geringsten darum kümmern<br />

wird und dass diejenigen, die an sich befugt wären, sich<br />

darum zu kümmern, es in den meisten Fällen nicht tun werden,<br />

da sie aus der Tatsache, dass fotografiert wird, schließen zu<br />

müssen glauben, dass es auch irgendjemand erlaubt haben<br />

muss.“ Wo er nicht hineinkommt, etwa ins Reichspräsidentenpalais<br />

beim Empfang des ägyptischen Königs, da beschafft er<br />

60 FPC-<strong>Magazin</strong> <strong>2009</strong><br />

sich einen Fensterplatz im gegenüberliegenden Haus. Für eine<br />

Aufnahme des amerikanischen Präsidenten versteckt er seine<br />

Ermanox im Blumenschmuck auf der Festtafel, bei Nachtsitzungen<br />

mit schläfrigen Ministern im Smoking steht er hinter einem<br />

Paravent.<br />

In seinem Buch „Berühmte Persönlichkeiten in unbewachten<br />

Augenblicken“ erzählt er einen seiner Coups auf dem Festbankett<br />

der Royal Academy in London: „So wartete ich ruhig<br />

bis zum Abend, zog meinen Frack an und ging hin, wobei ich<br />

meinen Grundsatz, eine Stunde zu spät zu kommen, genau befolgte.<br />

Er beruht auf der Erfahrung, dass Kontrollbeamte, wenn<br />

man zu spät kommt, schon abgekämpft und daher<br />

milde gestimmt sind.“ Nachdem man ihm die Fotografiererlaubnis<br />

verweigert, „that is quite impossible,<br />

that has never been done before“, entscheidet er sich<br />

„zum sofortigen Beschreiten des illegalen Weges, der<br />

diesmal zu dem Saalausgang führte, durch den die<br />

Kellner ein- und ausströmten. Neben diesem Ausgang<br />

hatte ich eine vollkommen unmotivierte Doppelgardine<br />

entdeckt, nun machte ich durch die Gardinenspalte<br />

hindurch eine Anzahl Aufnahmen. Nachdem<br />

ich mir schon wenigstens zwölf verschiedene<br />

Bilder gesichert hatte, trat ein Herr auf mich zu und<br />

fragte, was ich eigentlich da täte. Ich sagte, dass ich<br />

fotografierte. ‚Yes, but for whom are you taking these<br />

photographs?’, fragte er mich. Um irgend etwas zu<br />

antworten, sagte ich: ‚For the Weekly Graphic.’ – ‚But<br />

they haven’t asked for!’ Worauf ich mit waschechtem<br />

Erstaunen ‚O, haven’t they?’ hervorbrachte. Der Herr<br />

ließ mich nun einige Zeit in Ruhe, kehrte aber dann<br />

wieder und sagte: ‚The secretary of the academy<br />

says, that that has never been done before.’ – ‚That<br />

is why I am doing it’, entgegnete ich mit der natürlichsten<br />

Harmlosigkeit, die mir zur Verfügung stand.<br />

Der Herr konnte sich dieser Logik anscheinend nicht<br />

verschließen und verließ mich zum zweiten Mal.<br />

Nach einiger Zeit kam er wieder und sagte: ‚Are you<br />

Dr. Erich Salomon?’ Ich bestritt nicht, der Gesuchte<br />

zu sein, worauf der Herr mir sagte, der Sekretär habe nichts<br />

dagegen, dass ich noch weiter fotografierte, aber ich dürfe<br />

niemanden bitten, für mich zu posieren. Ich sagte lachend:<br />

‚That’s what I never do’, aber in diesem Augenblick kam Prince<br />

George, der vierte Sohn des Königs, in Begleitung des Akademiepräsidenten<br />

in den Saal, und beide pflanzten sich aufnahmeheischend<br />

vor meiner Kamera auf.“<br />

Längst ist aus dem gefürchteten „roi des indiscrets“ (Aristide<br />

Briand) ein gern gesehener Gast und Garant für Bedeutsamkeit<br />

geworden. Als sich das Reichskabinett Anfang der Dreißigerjahre<br />

auf einem Schiff mit Vertretern der britischen Regierung<br />

zu einer geheimen Zusammenkunft trifft, erhält nur Salomon<br />

die Genehmigung, mit seiner Kamera dabei zu sein. „Heutzuta-

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