Die Deutschen in Polen 1918 bis 1939

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Im 19. Jahrhundert, vor allem in der Vormärzzeit, als die nationalliberalen Kräfte in Europa um nationale und individuelle Freiheit kämpften, wurden die in ihren Aufständen gegen Russland gescheiterten Polen zu Idealgestalten, zu edlen Rittern und selbstlosen Opfern des Kampfes für politische Emanzipation in Europa stilisiert. In Deutschland und Frankreich gab es nach dem Aufstand von 1830 geradezu eine Polomanie; man gründete Hilfsgesellschaften und verfasste polenverherrlichende Gedichte und Prosawerke; die geflüchteten, durch Deutschland nach Frankreich ziehenden Reste der polnischen Armee wurden beherbergt und materiell unterstützt. Beim Hambacher Fest wurde neben der deutschen die polnische Fahne gehisst, und polnische Sprecher traten bei dieser Versammlung liberaler Deutscher auf. Zu diesem idealisierten Polenbild in Europa trugen die polnischen Dichter des 19. Jahrhunderts nicht unerheblich bei. Polnischer Messianismus Juliusz Slowacki beschrieb die Sendung Polens als die eines Winkelrieds der Nationen, der sich in die Speere stürzte, um die Freiheit aller Völker zu retten.4) Von solchem Messianismus sind auch die Werke von Adam Mickiewicz und Zygmunt Krasinski geprägt. In Mickiewicz’ Werk „Die Ahnen“ erschaut ein Mönch visionär das Golgatha des gekreuzigten Polen, der Christusnation, und die Gestalt des zweiten Welterlösers, der Polen auferweckt und ein Reich des Friedens stiftet.5) „Ausgehend von der Vorstellung, die Existenz Polens sei zur Gewährleistung einer göttlichen Harmonie unter den Nationen unabdingbar, wiesen sie [diese Dichter] dem polnischen Volk eine wichtige Mission für die Befreiung ganz Europas von Unfreiheit und Despotie und die Herstellung einer allgemeinen, universalen Brüderlichkeit unter den Völkern zu – eine Vorstellungswelt, die das Leiden der Polen unter der Fremdherrschaft als Ausdruck eines göttlichen Willens interpretierte und daher folgerichtig in dem Bild von Polen als dem ‚gekreuzigten Heiland der Völker’ [und ihrem Miterlöser] kulminierte.“6) Ein solcher Glaube an Auserwähltheit zeigte sich erstmals 1656 offensichtlich in der symbolischen Vermählung der Gottesmutter Maria mit König Johann Kasimir, was Maria zur „Königin der Krone Polens“ machte.7) Solche Selbsteinschätzung gibt es in Polen bis in die Gegenwart, wie etwa die Wahlergebnisse von Jaroslaw Kaczynski zeigen oder die Äußerung von Papst Johannes Paul II. bei seinem Polenbesuch, der wichtigste Auftrag Polens und seiner Kirche sei bei einem EU-Beitritt des Landes die moralische Erneuerung Europas. Noch vor kurzem, im Jahr 2006, stellten 46 polnische Parlamentsabgeordnete den Antrag, Jesus Christus zum König von Polen zu krönen.8) Die vierte polnische Teilung; Polen nach 1815 Nach dem von 1807 bis 1815 dauernden Zwischenspiel des von Napoleon ins Leben gerufenen Großherzogtums Warschau in Personalunion mit dem Königreich Sachsen, beschloß der Wiener Kongreß die Wiederherstellung der vorherigen Dreiteilung des Landes. 2
Der preußische König Friedrich Wilhelm III. versicherte den Polen: „Wenn ihr auch Preußen zugeteilt seid, so habt ihr doch das Vaterland nicht verloren und braucht auch nicht auf eure Nationalität zu verzichten.“ Er gewährte den Polen Gleichberechtigung mit den Deutschen und erlaubte die polnische Sprache in Schulen und Behörden.9) Die Polenfrage drang wieder ins Bewusstsein Europas während der revolutionären Jahre 1848/49 mit den Debatten im Bundestag und dem Paulskirchenparlament über die politische Neugestaltung Deutschlands. Neben Freiheitspathos gab es auch realpolitische Stimmen, die in richtiger Einschätzung der polnischen Mentalität vor allzu idealistischen Zugeständnissen warnten. Bismarck nahm in einem Brief an die „Magdeburger Zeitung“ vom 20. April 1848 folgendermaßen Stellung: „Man kann Polen in seinen Grenzen von 1772 herstellen wollen, ihm ganz Polen, Westpreußen und Ermland wiedergeben; dann würden Preußen seine Sehnen durchschnitten und Millionen Deutscher der polnischen Willkür überantwortet sein, um einen unsicheren Verbündeten zu gewinnen, der lüstern auf jede Verlegenheit Deutschlands wartet, um Ostpreußen, `Polnisch’-Schlesien, die ‚polnischen’ Bezirke von Pommern für sich zu gewinnen. Andererseits kann eine Wiederherstellung Polens in einem geringeren Umfang beabsichtigt werden, etwa so, dass Preußen zu diesem neuen Reiche nur den entschieden polnischen Teil des Großherzogtums Polen hergäbe. In diesem Fall kann nur der, welcher die Polen gar nicht kennt, daran zweifeln, dass sie unsere geschworenen Feinde bleiben würden, solange sie nicht die Weichselmündung sowie jedes polnisch redende Dorf in West- und Ostpreußen, Pommern und Schlesien von uns erobert haben würden.“10) Der Erste Weltkrieg Der größte polnische Dichter Adam Mickiewicz ließ in seinen „Büchern der polnischen Pilgerfahrt“ seine Polen beten: „O wojne powszechna prosimy Cie, Panie“ (Um einen allgemeinen Krieg bitten wir Dich, o Herr). Dieses Beten um einen allgemeinen europäischen Krieg, um einen Weltkrieg, der Polen die Freiheit erbringen sollte, ging 1914 in Erfüllung. Schon 1909 hatte der Offizier Josef Klemens Pilsudski begonnen, polnische Einheiten, sogenannte Schützenverbände, in Galizien aufzustellen. Diese kleine Truppe wurde nach Kriegsausbruch mit zwei neu aufgestellten polnischen Legionen vereinigt und kämpfte auf Seiten Deutschlands und Österreich-Ungarns. Am 5. November 1916 erklärten diese beiden Länder die Wiederherstellung eines selbständigen polnischen Staates. Auf einen im Januar 1917 gebildeten polnischen Regentschaftsrat folgte ein provisorischer Staatsrat, in dem Pilsudski Wehrminister und Oberbefehlshaber der polnischen Streitkräfte wurde; im Oktober 1917 wurde dieser Staatsrat zu einem polnischen Kronrat erhöht, der mit den wichtigsten Rechten wie Gerichtsbarkeit und Erziehungswesen ausgestattet war.11) Im Westen leistete der polnische Politiker Roman Dmowski, der Vorsitzende des vom ihm 1917 gegründeten „Polnischen Nationalkomitees“ , in London, Paris und Amerika effiziente Lobbyarbeit für den 3
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